Navigieren durch die Kaptitel von diesem Buch

Zweites Kapitel - Die erste Einweihung….. Die Geburt zu Bethlehem - Teil 1

Zweites Kapitel

Die erste Einweihung ..... Die Geburt zu Bethlehem

Leitgedanke

«Es sei denn, dass ein Mensch [31] von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen!» (Johannes III/3)

ZWEITES KAPITEL

Die erste Einweihung. ... Die Geburt zu Bethlehem

1.
In unserer Besprechung [33] der fünf grossen Einweihungen werden wir versuchen, dreierlei zu tun: Erstens werden wir uns vorzustellen bemühen, dass das Christentum Blüte und Frucht der Religionen der Vergangenheit ist, die letzte, die mit Ausnahme des Islam gegeben wurde. Wir haben gesehen, dass in der christlichen Religion der Nachdruck auf die Einheit der menschlichen Familie gelegt wurde und auch auf die einzigartige Mission von Christus selbst. Christus kam, den höchsten Wert des Einzelmenschen zu lehren, worauf in dem vorhergehenden Kapitel bereits hingewiesen wurde. Es scheint, dass der Nachdruck, den die Nachfolger Mohammeds auf die Tatsache Gottes, des Höchsten, des Einen und Einzigen, legten, eine ausgleichende Verkündigung war wie es im 15. Jahrhundert geschah , um den Menschen davor zu bewahren, Gott zu vergessen, als er seiner eigenen verborgenen und wesentlichen Göttlichkeit als Sohn des Vaters näherkam. Das Studium der Verwandtschaft dieser verschiedenen Bekenntnisse, die Art und Weise, in welcher sie einander vorbereiten und ergänzen, ist von grösstem Interesse. Das haben unsere westlichen Theologen oft vergessen. Das Christentum bewahrt verborgen in sich die heilige Lehre, aber es erbte diese Lehre von der Vergangenheit. Sie mag sich selbst darstellen durch den grössten der göttlichen Boten, aber der Weg dieses Boten war lange vorbereitet, und ihm sind [34] andere grosse Gottessöhne vorausgegangen. Sein Wort mag das lebensspendende WORT für unsere westliche Zivilisation sein und die Erlösung verkörpern, die uns gebracht werden sollte; aber der Osten hatte seine eigenen Lehrer, und jede der vergangenen Zivilisationen auf unserem Planten hat ihre göttlichen Vertreter gehabt. Wenn wir die Botschaft des Christentums und seinen einzigartigen Beitrag betrachten, so lasst uns nicht die Vergangenheit vergessen, denn wenn wir das tun, werden wir niemals unseren eigenen Glauben verstehen.

Zweitens müssen wir daran denken, das Ganze im Auge zu behalten, und uns vergegenwärtigen, dass die grossen Bewusstseinserweiterungen, auf die wir uns beständig beziehen werden, ihre weltweiten Parallelen haben. Einige dieser Entfaltungen gehören der Vergangenheit der Menschheitsgeschichte an, andere werden kommen. Eine Entfaltung liegt als unmittelbare Möglichkeit in der Gegenwart. Da des Menschen physische und mechanische Ausrüstung sich entwickelt, um dem sich erweiternden Bewusstsein zu entsprechen, wird er schrittweise dazu gebracht, von der göttlichen Immanenz immer mehr zu erfahren, die göttliche Transzendenz stärker zu erfassen und mit einem zunehmend erleuchteten Gewahrsein die Offenbarung aufzunehmen, die ihm stufenweise zur Ausbildung und für sein kulturelles Wachstum gegeben wird.

Heute stehen wir dicht vor der Geburtsstunde des Christus im Menschen, und aus der Dunkelheit des Mutterschosses der Materie kann das Christuskind eintreten in das Licht des Reiches Gottes. Wir sind an einen Wendepunkt gelangt, für den die Menschheit durch Christus vorbereitet wurde, denn als er zu Bethlehem geboren wurde, war dies nicht einfach die Geburt eines weiteren göttlichen Lehrers und Boten, sondern das Erscheinen einer Wesenheit, die in sich nicht nur die Errungenschaften der menschlichen Vergangenheit vereinigte, sondern die auch der Vorläufer der Zukunft war; denn Christus verkörperte in sich alles, was der Menschheit überhaupt zu erreichen möglich war. Das Erscheinen Christi in der Höhle zu Bethlehem war die Einführung der Möglichkeit eines neuen Zyklus geistiger Entfaltung sowohl für die Menschheit, als auch für den Einzelnen.

Schliesslich werden wir diese Entfaltungen vom Standpunkt des Einzelnen betrachten und jene Ereignisse aus dem Evangelium studieren, die das einzelne menschliche Wesen lebenswichtig angehen, das bei der Annäherung an das Ende des langen und schwierigen Weges der Evolution bereit ist, das gleiche Drama in seiner [35] eigenen Erfahrung zu erleben. Damit kommt für ihn die günstige Gelegenheit, aus dem Zustand der neuen Geburt in jenen der endgültigen Auferstehung überzugehen über den steilen Pfad nach Golgatha. In seiner innersten Natur muss der Mensch die Worte Christi verstehen lernen: «Ihr müsst wiedergeboren werden. ...» (Joh. III/7) und die bedeutsame Botschaft von Paulus ausdrücken, dass wir vom Tod zum Leben kommen müssen (I. Korinther XV/31).

Jeder von uns muss früher oder später dieses für sich selbst erproben, denn «Lebendige religiöse Erfahrung ist der einzige rechtmässige Weg zum Verständnis der Dogmen» (Pavel Florensky, zitiert in «Die Entdeckung der Wahrheit», engl., von Hermann Keyserling, S. 80). Nur wenn wir dem Beispiel jener folgen, die das Ziel erreicht haben, können wir die Bedeutung des Erreichten erkennen. Nur durch göttliches Leben kann unsere verborgene Göttlichkeit ihren wahren Ausdruck finden. Dies schliesst eine praktische Selbstanwendung ein, die ihre eigene Belohnung bringt, in die man aber zuerst blindlings eintreten muss.

Die Geschichte der Menschheit ist deshalb die Geschichte dieses individuellen Suchens nach göttlichem Ausdruck und Licht und nach dem schliesslichen Erreichen der neuen Geburt, die einen Menschen für den Dienst am Reich Gottes frei macht. Seit jeher sind Einzelne in der ganzen Welt durch diese fünf Bewusstseinserweiterungen hindurchgegangen und in das tiefere Leben eines volleren und reicheren Dienens eingetreten. Stufe für Stufe ist ihr Sinn für das Göttliche gewachsen, und ihr Gewahrwerden des göttlichen Lebens, das der Natur innewohnt, hat sie zur Erkenntnis der gleichlaufenden Wahrheit des Gottes über uns geführt. Gott im Einzelnen und Gott in Christus. Gott in allen Formen, Gott das Leben des Kosmos, und doch ein Gott, der bewusst ein Universum wie auch einen Menschen und das kleinste Atom der Substanz lenkt. Diese Erkenntnis der Göttlichkeit im Menschen hat sich allmählich und langsam entwickelt; aber an gewissen Punkten der Menschheitsgeschichte (wie in der Geschichte des Einzelmenschen) wurden kritische Momente erreicht, Krisen sind aufgetaucht und überwunden worden, und jede bestimmte Einweihung hat die Menschheit mit einem erweiterten Verstehen zurückgelassen. Heute wird sie [36] für einen solchen Übergang und für die Verlegung des Brennpunkts des menschlichen Bewusstseins in eine höhere Dimension und in ein reicheres Feld der Erfahrung vorbereitet. Die Menschheit ist bereit, eine weitere Stufe der Evolution zu betreten. Angesichts einer derart seltenen Situation und einer so beispiellosen Erfahrung braucht uns unsere gegenwärtige chaotische Verwirrung nicht zu überraschen. Wir stehen zitternd am Rand des nächsten Schrittes nach vorwärts; wir sind bereit für die nächste Einweihung. Wir stehen an dem Punkt der Erweiterung unseres Horizonts und schreiten durch ein offenes Tor in einen grösseren Raum. Alles, was geschieht, ist kein Zeichen eines Versagens, sinnloser Zerstörung und blinden Aufruhrs, es ist eher ein Prozess von zeitweiliger Zerstörung für den zukünftigen Aufbau, und es zeigt sich eine Entsprechung im menschlichen Leben zu diesen Erprobungen und Prüfungen, die stets das Los des Jüngers sind, der sich auf Einweihung vorbereitet. Das Christentum hat viele Menschen hierzu bereit gemacht. Die neue Auslegung und die nächste Offenbarung stehen unmittelbar bevor.

Die kommende Wiederbelebung der wesentlichen und inneren Natur der Menschheit mit ihrer darauffolgenden Neuorganisation der Weltangelegenheiten und des menschlichen Lebens wird bereits gespürt und von den Denkern der Menschheit erwartet, diese heben ständig die gegenwärtige günstige Möglichkeit hervor. Die Erwartung in der Menschheit nimmt grosse Ausmasse an. Ein alter mexikanischer Aphorismus sagt: «Immer im Mittelpunkt soll ein neues Wort kommen». Jede Form hat ihr positives Lebenszentrum, jeder Organismus baut sich um einen zentralen Kraftkern. Es gibt in unserem Universum ein Zentrum, von dem das WORT hinausging, das unser organisiertes Sonnensystem, wie wir es jetzt haben, und den Planten, auf dem wir leben, mit seinen Myriaden von Lebensformen ins Dasein rief.

«Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.

Dieses war am Anfang bei Gott.

Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht worden ist.

In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht des Menschen.

Er war in [37] der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht, und die Welt hat ihn nicht erkannt». (Joh. I/1, 2, 3, 4, 10)

Was für das Ganze gilt, gilt auch für den Teil. Jede Zivilisation als ein Ausdruck menschlichen Bewusstseins hat ihr WORT gehabt. Vor zweitausend Jahren war für uns ein Wort «Fleisch geworden», und um diesen dynamischen Mittelpunkt geistigen Lebens bewegt sich die Welt. Ob wir diese Tatsache annehmen oder nicht, tut nichts zur Sache, soweit es die Resultate betrifft. Albert Schweitzer sagt:

«Die historische Grundlage des Christentums, wie Rationalismus, Liberalismus und die moderne Theologie es darstellen, gibt es nicht mehr; jedoch ist nicht gesagt, dass das Christentum deshalb seine historische Grundlage verloren hat. Das Werk, welches die historische Theologie glaubt hinaustragen zu müssen und das sie in Stücke zerfallen sieht in eben dem Moment, da die Erfüllung nahe war, ist nur die äussere Umhüllung für die wahre, unzerstörbare, historische Grundlage, die unabhängig ist von irgendeinem historischen Wissen und Beweis einfach weil sie da ist, besteht sie.

Jesus bedeutet etwas für unsere Welt, weil ein mächtiger Strom geistigen Einflusses von ihm ausgegangen ist und auch unsere Zeit durchdrungen hat. Diese Tatsache wird weder erschüttert, noch bestätigt durch eine historische Wissenschaft (A. Schweitzer: Das Mysterium des Reiches Gottes, engl., S. 28, 29).

Immer ist das WORT hinausgegangen, das die Menschheit zum Sehen und Erkennen des nächsten Schrittes fähig gemacht hat. Christus befähigte den Menschen, dies in der Vergangenheit zu hören, er wird ihn auch heute wieder dazu befähigen. Eines Tages werden, wie die Freimaurer wissen, diese Worte, die periodisch gesprochen wurden, ersetzt werden durch ein WORT, das sie als «Das verlorene Wort» bezeichnen. Wenn dieses WORT zuletzt gesprochen ist, wird die Menschheit in der Lage sein, den höchsten Gipfel ihres Strebens zu besteigen. Die verborgene Göttlichkeit wird dann in ihrem Glanz durch die Vermittlung der Menschheit hervorstrahlen. Der Höhepunkt materieller Errungenschaften ist vielleicht erreicht. Nun kommt die Gelegenheit für das feinstoffliche göttliche Selbst, sich durch das Mittel der Erfahrung, die wir die «neue Geburt» nennen und die im Christentum immer gelehrt [38] wurde, sich zu offenbaren. Alles, was jetzt auf die Erde einwirkt, bezweckt, das im Menschenherzen Verborgene zum Vorschein zu bringen und für unsere Augen die neue Vision zu enthüllen. Dann können wir durch das Tor des neuen Zeitalters hindurchgehen in eine Welt, die charakterisiert wird durch ein neues Gewahrwerden, ein tieferes Verstehen der wesentlichen Wahrheiten und einen echteren und höheren Wertmassstab. Das WORT muss wieder ertönen aus dem Zentrum dem Zentrum in den Himmeln und dem Zentrum in jedem menschlichen Herzen. Jede einzelne Seele muss es für sich allein hören. Jeder von uns muss durch diese Erfahrung hindurchgehen, in der wir uns erkennen als das «Wort, das Fleisch wurde». Ehe nicht die Bethlehem-Erfahrung ein Teil unseres individuellen Bewusstseins als Seele wurde, bleibt sie ein Mythos. Sie kann zur Tatsache werden, zur grössten Tatsache in der Erfahrung der Seele.

Ich kann mich hier nicht mit einer Definition des Wortes «Seele» befassen. Ein Auszug aus einem Buch von Bosanquet (Wert und Schicksal des Einzelmenschen, engl., S. 129) bringt die Idee mit individueller Erfahrung in Verbindung und bewahrt trotzdem die kosmische Bedeutung in ihrer Schönheit. Eine isolierte Seele ist eine Unmöglichkeit. Er sagt: «Die Seele ich gebrauche den Ausdruck im allgemeinsten Sinn als ein Zentrum der Erfahrung, das als ein Mikrokosmos eigenen Charakter und eine relative Fortdauer erwirbt oder erworben hat , die Seele ist nicht in Gegensatz zu bringen als eine abgesondert wirkende Kraft mit ihrer Veräusserlichung (= äusseren Erscheinung) einerseits oder mit dem Leben des Absoluten auf der anderen Seite. Unsere Idee ist durchaus diese: Die Seele ist eine Reihe von äusseren Einwirkungen, die lebendig werden durch ihre Zusammenfassung im Denken. Und wenn wir von der Seele als dem Willen sprechen, der schöpferisch die Umstände formt, so ist dies ein anderer Ausdruck für den Mikrokosmos, der das Zentrum einschliesst, das von seinen Umständen umgeben ist, die sich selbst neu formen und neu gestalten. Sie ist andererseits ein Faden des absoluten Lebens ... ein Strom oder eine Flut von wechselnder Ausdehnung, Stärke und Isoliertheit innerhalb des grossen Stromes, in dem sie sich bewegt». (Kursiv von mir, A. A. B).

Was diese Seele ist, unverhüllt und manifestiert selbst durch die Beschränkungen des Fleisches, machte Christus uns klar: Der Teil in uns ist [39] vollkommen in ihm, im wahrsten Sinn des Wortes. Er hat uns durch seine vollendete Menschlichkeit mit sich verbunden. Er hat uns mit Gott verbunden durch seine zum Ausdruck gebrachte Göttlichkeit.

Zwei Gedanken müssen jetzt deshalb von uns allen festgehalten werden, damit wir in dem offenkundigen Weltchaos nicht untergehen und dadurch die Sicht verlieren. Der eine ist, dass jedes Zeitalter sich seinen Ausweg schafft. Dies meinte Christus, als er sagte: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben» (Joh. XIV/6). Er wusste, dass er in sich die Seele der Vergangenheit und den Geist der Zukunft vereinigte. Was von Christus gilt, gilt auch von seiner Lehre. Im Christentum ist die Vergangenheit mit ihren besten religiösen Elementen enthalten.

Die Seele des Menschen steht vor den Toren der Offenbarung, und der Mensch muss lernen, dass diese Offenbarung durch ihn zur Vollkommenheit gebracht wird. Browning drückt dies in folgenden bekannten Zeilen aus:

«... Er wohnt in allem,

vom kleinsten Lebensanfang bis hinauf zum Menschen,

der Krönung dieses Plans des Seins,

der Vollendung dieser Sphäre des Lebens.

Seine Eigenschaften fanden sich schon zuvor

verstreut in der Welt,

nach Einheit suchend,

dunkle Bruchstücke,

die sich einen sollten zum Wunderganzen,

unfertige Eigenschaften der Schöpfung,

die ein Geschöpf andeuteten,

das kam,

ein Punkt, wo die zerstreuten Strahlen,

sich begegnen sollten in des Menschen Wesen.

Zum Menschen strebte alles.

Beginnt die Ausrichtung nach dem wahren Menschen,

das Hinneigen zu Gott,

dann hat das Frühere ein Ende.

Schon kündigt sich das Neue an.

Erhabene Vorgefühle, Typen und Symbole

einer kommenden [40] Herrlichkeit zeigen an,

dass im ewigen Kreis des Lebens

der neue Mensch sich naht.

Die Grenzen seines Wesens überschreitend

streift er die alten Fesseln ab,

verdrängt durch neue Hoffnung werden Gram und Freude.

Zu eng die früheren Glaubenssätze,

die alten Ansichten von Gut und Böse

verblassen vor dem unermesslichen Durst

nach dem Guten.

Schon jetzt auf dieser Erde sind solche Menschen.

In ihnen ist Friede.

Heiter stehen sie inmitten Wesenheiten

noch unerlöster Schöpfung,

die durch sie erlöst und mit ihnen verbunden werden soll.

(Browning: Paracelsus)

Der Mensch, das menschliche Wesen, eine Seele in Inkarnation, ist im Begriff, diesen Schritt nach vorwärts zu tun, der ihn zu der ersten der grossen Entfaltungen bringen wird, der «Neuen Geburt». Wenn das einmal geschehen ist, wird das Leben des Christuskindes zunehmen, und die in Gang gesetzte Antriebskraft wird ihn vorwärts tragen auf dem Weg von einem erreichten Höhepunkt zum anderen, bis er selbst ein erleuchteter Lichtträger wird und ein Mensch, der den Weg für andere erleuchten kann. Erleuchtete haben immer die Menschheit vorwärts geführt; die Wissenden, Mystiker und Heiligen haben uns immer die Höhen der Möglichkeiten für die Menschheit und das Einzelwesen offenbart.

Der Weg von der Geburt zu Bethlehem bis zur Kreuzigung ist hart und schwierig; aber er wird mit Freude von Christus begangen und von jenen, deren Bewusstsein mit dem seinen in Einklang ist. Die Freude des physischen Lebens ist in die Freude des Verstehens verwandelt, und neue Werte, neues Streben und neue Liebe ersetzen das Frühere.

Die Geburt zu Bethlehem kennzeichnete den Beginn des langen tragischen Weges des Erlösers. Er wurde zu einem «Mann der Schmerzen, vertraut mit Kummer» (Jesaja LIII/3). Es war der Anfang vom Ende und kennzeichnet seine Einweihung in höhere Bewusstseinszustände. Dies wird im Evangelium gezeigt.

2.
Ehe wir in [41] eine bestimmte Betrachtung dieser grossen Einweihungen eintreten, könnte es von Wert sein, in Verbindung mit dem Gesamtthema ein oder zwei Punkte zu berühren. Es sind in dieser Zeit derart viele sonderbare und ungesunde Lehren über diesen Gegenstand verbreitet worden, und das allgemeine Interesse ist so gross, dass ein Mass von klarem Denken dringend notwendig ist, und die Aufmerksamkeit sollte deshalb auf gewisse, oft übersehene Umstände gelenkt werden. Es könnte an dieser Stelle gefragt werden: «Wer ist der Einweihende? Wer ist würdig, vor ihm zu stehen und durch eine Initiation hindurchzugehen?»

Nicht klar genug kann betont werden, dass der erste Einweihende, mit dem es ein Mensch zu tun hat, stets und immer seine eigene Seele ist. Viele esoterische Schulen und Lehrer lenken ihre Lehre und ihre Aspiranten auf einen der grossen Meister, von dem erwartet wird, dass er sie vorbereitet für diesen Schritt. Sie vergessen, dass es solchen Meistern nicht einmal möglich ist, in dieser Beziehung mit einem Menschen Verbindung aufzunehmen, ehe er nicht einen klaren und bestimmten Kontakt mit seiner eigenen Seele geschaffen hat. Auf der Ebene des Gewahrseins, welche die der Seele ist, können jene, die helfen können, gefunden werden, und ehe wir als Einzelwesen in dieses Stadium nicht vorgedrungen sind, ist es für uns nicht möglich, in intelligente Berührung mit jenen gebracht zu werden, die normalerweise dort tätig sind. Einweihung bezieht sich auf Bewusstsein und ist nur ein Wort, das wir gebrauchen, um den Übergang auszudrücken, der den Menschen aus dem Bewusstsein des vierten oder Menschenreichs in das fünfte oder geistige Reich, das Reich Gottes, führt. Christus kam, um den Weg in dieses Reich zu offenbaren.

Diese einweihende Seele ist, wie wir bereits gesehen haben, im Neuen Testament mit vielen Namen benannt, und in den anderen Religionen wird sie durch eine Terminologie bezeichnet, die der Zeit und dem Temperament des Aspiranten entspricht. Wo der christliche Jünger von «Christus in dir, die Hoffnung auf Herrlichkeit» spricht (Kolosser I/27) mag der orientalische Jünger vom Selbst oder Atman reden. Die modernen Geistesschulen sprechen [42] vom Ego oder dem höheren Selbst, dem wirklichen Menschen oder der geistigen Wesenheit, während im Alten Testament auf den «Engel der Gegenwart» bezug genommen wird. Eine lange Liste dieser Synonyme könnte zusammengetragen werden, aber für unseren Zweck wollen wir uns auf das Wort «Seele» beschränken wegen seines allgemeinen Gebrauchs im Westen.

Die unsterbliche Seele im Menschen bereitet ihn für die erste Einweihung vor; denn es ist diese Seele, die sich auf Erden als das «Christuskind» manifestiert und im Menschen erscheint. Dies ist die Neue Geburt. Das, was sich allmählich im Menschen gestaltet hat, kommt jetzt zur Geburt, und Christus oder die Seele wird bewusst geboren. Immer ist der Keim des lebendigen Christus obwohl verborgen in jedem menschlichen Wesen gegenwärtig gewesen; aber erst, wenn Zeit und Stunde gekommen sind, tritt die Kind-Seele in Erscheinung, und die erste der fünf Einweihungen ist möglich geworden. Das Werk schreitet voran, und das Christusleben entfaltet sich im Menschen, bis die zweite und die dritte Einweihung stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt werden wir, wie viele glauben, durch die Mitwirkung von Christus eingeweiht; in vollwachem Bewusstsein steht der Initiat in seiner Gegenwart und sieht ihn von Angesicht zu Angesicht. Browning drückt diese Wahrheit in dem grossartigen Gedicht «Saul» folgendermassen aus:

«O Saul, es wird sein ein Angesicht gleich meinem Angesicht, das dich gewahrt;

ein Mensch gleich mir, den du lieben sollst

und der dich liebet immerdar:

Eine Hand gleich dieser Hand wird öffnen dir

das Tor zu neuem Leben.

Siehe, der Christus steht vor dir!»

Nach der dritten Einweihung, der Verklärung, wenn die Persönlichkeit der Seele oder dem innewohnenden Christus ganz untergeordnet ist und die Herrlichkeit des Herrn durch den Körper scheinen kann, werden wir dem höchsten Ziel gegenübergestellt, der Kreuzigung und der Auferstehung. Dann, so wird uns gesagt, wird jenes geheimnisvolle Wesen seine Rolle spielen, von dem im Alten Testament als Melchisedek oder dem Alten der Tage gesprochen wird; er vollzieht dann die Einweihung in die noch höheren Mysterien. Von ihm wird gesagt, dass «dieser Melchisedek, König von Salem, Priester des [43] allerhöchsten Gottes ... wie sein Name sagt, an erster Stelle stand, König der Rechtschaffenheit und König von Salem (Friedenskönig). Er ist ohne Vater und Mutter und Vorfahren, hat weder Beginn noch Ende. Er ist ein Priester in Ewigkeit (Hebräer VII/14 Weymouth Übersetzung, engl).

Er ist der Eine, der den Einzuweihenden empfängt und die höheren Bewusstseinsübergänge beaufsichtigt, die der Lohn für siegreich bestandene Prüfungen sind. Er ist der Eine, dessen «Stern hervorleuchtet», wenn der Eingeweihte in das Licht eintritt.

Demnach gibt es drei Einweihende: des Menschen eigene Seele, dann den Christus der Geschichte und schliesslich «den Alten der Tage», «der Eine», in dem wir leben und weben und unser Dasein haben» (Apostelgeschichte XVII/28). Diese Gedanken sind interessant, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass drei dieser fünf Einweihungen von höchster Wichtigkeit zu sein scheinen und es auch sind. Im Leben Christi gibt es Ereignisse, die bedeutende Punkte des Erreichens darstellen. Es sind: die erste Einweihung, die Geburt; die dritte Einweihung, die Verklärung; und die fünfte, die Auferstehung. Die Natur besitzt irgendeinen geheimnisvollen Wert, der mit dem ersten, dritten und fünften zusammenhängt mit Anfang, Mitte und Vollendung. Wie ausgeführt wurde, «sind es die Intervalle nicht nur zwischen Grundton, grosser Terz und Quinte, sondern auch jene, welche Achtel und Sechzehntel unterscheiden, mit denen man eine Symphonie oder ein Lied aufbauen kann». Zwischen diesen Höhepunkten, in den Intervallen, deren Einzelheiten in den Evangelien angegeben werden, geht das Werk voran, das die späteren Errungenschaften ermöglicht. Wir betrachten in diesem Buch vor allem die Methode des Eintritts in das Reich Gottes. Dieses Reich besteht, und die Geburt dorthin ist so unausweichlich, wie die Geburt in eine menschliche Familie. Der Prozess geht schrittweise vor sich, von der Schwangerschaft bis «die Zeit erfüllt ist» und das Christuskind geboren wird. Die Seele beginnt ihr Werk auf Erden kundzutun, und das Leben des Jüngers und Eingeweihten beginnt. Er schreitet von Stufe zu Stufe, bis er alle Gesetze des [44] geistigen Reichs gemeistert hat. Durch Geburt, Dienst und Opfer wird der Eingeweihte ein Bürger dieses Reichs, und dies ist in Verbindung mit seinem inneren Leben ein ebenso natürlicher Vorgang, wie es die physischen Vorgänge in ihrer Verbindung mit dem äusseren Leben als menschliches Wesen sind. Beide schreiten zusammen voran, aber die innere Wirklichkeit kommt schliesslich dadurch zur Erscheinung, dass das Menschliche sich dem Göttlichen opfert.

Der Eingeweihte ist nicht einfach nur ein guter Mensch. Die Welt ist voll von guten Menschen, die wahrscheinlich weit davon entfernt sind, Eingeweihte zu sein, noch ist der Eingeweihte ein wohlmeinender Frömmler. Er ist ein Mensch, der den Grundeigenschaften eines gesunden moralischen Charakters und der Frömmigkeit ein vernünftiges intellektuelles Verstehen hinzugefügt hat. Durch Selbstzucht hat er seine niedere Natur, die Persönlichkeit, gleichgeschaltet, so dass sie ein «Gefäss ist, geeignet für des Meisters Gebrauch» (Tim. II/21), und dieser Meister ist seine eigene Seele. Er weiss, dass er sich in einer Welt der Illusion bewegt, doch wenn er sich im Licht der Seele bewegt, schult er sich, in der Erkenntnis, dass er im Dienst für seine Mitmenschen und in Selbstvergessenheit sich vorbereitet, vor dem Tor der Einweihung zu stehen. Auf diesem Pfad trifft er jene, die gleich ihm lernen, Bürger des Gottesreichs zu werden.

Dies ist das Wissen und die Botschaft aller wahren Christen durch die Jahrhunderte gewesen, und ihr vereintes Zeugnis beweist die Wirklichkeit des Reichs dergestalt, dass alle, die es suchen, es auch wirklich finden können, und dass alle, die nach seiner Existenz forschen, nicht enttäuscht sein werden. Der Weg in das Reich wird gefunden durch Fragen und Antworten, durch Suchen und Finden und durch Gehorsam gegenüber jener inneren Stimme, die man hört, wenn alle anderen Stimmen schweigen.

Wenn diese Stimme gehört wird, kommen wir zu einem Bewusstsein der vor uns liegenden Möglichkeiten, und wir tun den Schritt zur Einführung in jene erste Einweihung, die nach Bethlehem führt, um dort Christus zu finden und ihm zu begegnen. In uns selbst finden wir Gott. In der Höhle des Herzens kann das göttliche Leben pulsierend erfühlt werden. Der Mensch entdeckt, dass er einer der Vielen ist, die durch dieselbe Erfahrung gegangen sind [45] und durch den Vorgang der Einweihung Christus gebaren. Das «junge Leben», neugeboren in das Reich Gottes, beginnt den Kampf und die Erfahrung, die es Schritt für Schritt, von einer Einweihung zur anderen, führen wird, bis es auch das Ziel erreicht hat. Dann wird auch er ein Lehrer und ein Ausdruck von Göttlichkeit. Er folgt den Fussspuren des Erlösers, dient der Menschheit, lässt den erforderlichen Ton erklingen und hilft anderen, zu dem von ihm erreichten Punkt zu gelangen. Der Pfad des Dienens und der Zusammenarbeit mit dem göttlichen Willen wird der Zweck seines Lebens.

Nicht alle Eingeweihten können die Höhe erreichen, die Christus erreichte. Er hatte eine einzigartige und kosmische Mission. Aber die Erfahrung jedes Stadiums der Erleuchtung, wie sie das Evangelium darstellt, ist für die Jünger der Welt möglich. Zusammenfassend sollte für die Ideen zu dieser neuen Geburt in das Reich folgendes bedacht werden:

Mit der ersten grossen Einweihung wird der Christus im Jünger geboren. Dieser wird dann zum erstenmal in sich der Ausgiessung göttlicher Liebe gewahr und erfährt jene wunderbare Wandlung die ihn sich eins fühlen lässt mit allem Lebendigen. Dies ist die «Zweite Geburt», bei dieser jubeln die Himmlischen, denn er ist «in das himmlische Reich geboren als einer von den Kleinen», als «kleines Kind» welchen Namen man immer den Neueingeweihten gegeben hat. Dies ist der Sinn der Worte Jesu, dass der Mensch ein kleines Kind werden muss, um in das Himmelreich einzutreten». (Esoterisches Christentum, v. Annie Besant, engl., S. 185, 286, 53, 54).

Dieselbe Schriftstellerin sagt an anderer Stelle, dass die «zweite Geburt» ein anderes wohlbekanntes Wort für Einweihung ist; noch heute werden in Indien die höheren Kasten «Zweimal-Geboren» genannt, und die Zeremonie, die sie zu Zweimal-Geborenen macht, ist eine Einweihungszeremonie, nur eine «Hülse» in dieser Zeit, das «Vorbild der Dinge in den Himmeln» (Hebräer IX/23). Wenn Jesus zu Nikodemus sagt, dass «niemand das Reich Gottes sehen könne, ausser er sei wiedergeboren», so spricht er von jener Geburt aus dem Wasser und dem Geist (Joh. III/3, 5), der ersten Initiation; eine spätere ist die «mit dem Heiligen Geist und mit Feuer» [46] (Matth. III/11), die Taufe des Eingeweihten in das Stadium des Erwachsenen, wie die erste die der Geburt ist, die ihn als das «Kleine Kind» begrüsst, welches das Reich betritt (Matth. XVIII/3). Wie bekannt diese Vorstellung unter den jüdischen Mystikern war, zeigt die Überraschung Jesu, als Nikodemus über seine symbolische Ausdrucksweise staunte: «Du bist ein Meister in Israel und kennst nicht diese Dinge?» (Joh. III/10)

Heute stehen die Jünger der Welt vor diesen möglichen Höhen des Erreichbaren. Hier befindet sich auch der müde Weltjünger, die Menschheit als Ganzes, erschöpft und bestürzt, verwirrt und ruhelos, jedoch der göttlichen Möglichkeiten, der grossen Träume, der Visionen und Ideale, bewusst, die eine Hoffnung erwecken und die Weigerung, sich geschlagen zu geben, und der Bürge des schliesslichen Erfolgs sind. Die Stimmen aller Welterlöser und das Beispiel Christi zeigen der Menschheit den Weg, der beschritten werden muss. Er führt heraus aus dem Oberflächlichen und Materiellen, aus der Welt der Unwirklichkeit in die Welt der Wirklichkeit. «Der Mensch hat genug von einem Leben, das abgeschnitten ist von seinem religiösen Mittelpunkt, und ein Forschen nach einem neuen religiösen Gleichgewicht, eine geistige Vertiefung wird beginnen. Sein Handeln kann er nicht länger nur oberflächlich weiterführen, ein rein äusserliches Leben. (Das Ende unserer Zeit, v. N. Berdyaev, engl., S. 59). Tiefe ruft nach Tiefe, und aus der Dunkelheit dieser Tiefe, durch Schmerz und Leiden, wird das Christkind hervorkommen, und die Menschheit als ganzes wird bereit stehen, den grossen Übergang in das Reich Gottes zu vollziehen. Der Mensch kann nun eintreten in das Reich und beginnen, geistige Geschichte zu machen. Bis zur Gegenwart war die Geschichte nur Vorbereitung. Die Menschheit ist heute zum erstenmal fähig, den grossen Schritt auf dem Pfad der Jüngerschaft und der Läuterung zu tun, der dem Pfad der Einweihung vorausgeht. Einzelne haben immer die grosse Masse verlassen, sich zu den Gipfeln des Erreichbaren erhoben und den Berg der Einweihung erklommen. Aber heute wird das für viele möglich. Die Stimme derer, die am Ziel und in [47] die Geheimnisse des Gottesreichs eingeweiht sind, ihr Trompetenruf macht den neuen Schritt möglich. Der Augenblick ist einmalig und dringend. Der Ruf geht an den Einzelnen, aber auch, zum erstenmal in der Geschichte, ertönt er in den Ohren der Masse, weil diese reif geworden ist zu reagieren.

So ist die Situation jetzt. Die Stimmen jener Einzelmenschen, die in das Reich eingetreten sind, rufen heute die Menge nicht mehr in vagen Ausdrücken; das Ergebnis ist klar, obwohl manchem erscheinen mag, dass die Einweihung der Menschheit ein langsamer Vorgang ist. Alte Wahrheiten, von Weltlehrern und Erlösern verkündet, sind im Begriff, neu ausgelegt zu werden, um den alten Bedürfnissen in neuer Formulierung und in lebendigerer Art zu begegnen. Jene Führer, die den Geist der Menschen formen, halten die Türen weit offen, und die Menschheit wird genötigt sein, hindurchzugehen schnell, wenn sie hören wird, aber unvermeidlich, ob sie nun hört oder nicht.

Wir werden uns allmählich unserer Aufgabe bewusst. Wir erkennen, dass man sich ihr von zwei Gesichtspunkten aus nähern muss. Daher werden wir diese fünf Einweihungen Jesu vor allem von dem Blickpunkt des individuellen Aspiranten aus betrachten, so dass es offenbar wird, dass wir alle als Kinder Gottes Teilhaber sein können an dem, was Christus durchlebte. Eines der interessanten Dinge, die auftreten, wenn wir das Leben Christi betrachten und verfolgen, wie der göttliche Plan für dieses Leben in seinem Bewusstsein fortschreitend erkannt wurde, ist, dass er zuerst nur dunkel fühlte, was er zu tun hatte. Die Ideen entwickelten sich mit zunehmendem Alter. Nach der ersten Einweihung, der Geburt zu Bethlehem, richtete er folgende Worte an seine Mutter: «Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?» (Lukas II/49). Er wusste, dass er bestimmt war zu arbeiten und zu dienen, doch die Einzelheiten dieses Wirkens wurden seinem Denken erst später klar. Er erkannte einfach einen Plan, und diesem Plan widmete er sich. Das muss auch von denen getan werden, die seinen Schritten folgen.

Dann fand die zweite Einweihung statt, die Taufe. Christus war zu einem Mann geworden, und es folgte unmittelbar eine bestimmte und bewusste Zurückweisung des Bösen. Auf die Erkenntnis der zu leistenden Arbeit muss die Läuterung desjenigen folgen, [48] der so zu arbeiten hat; von dieser Läuterung und dem Freisein vom Bösen muss der Beweis geliefert werden. Erst nach dieser bewiesenen Vorbereitung, in dem Sieg über die drei Versuchungen, lesen wir, dass er zu lehren begann (Lukas IV/14, 15).

Auf die Erkenntnis und Vorbereitung der Teilnahme am göttlichen Plan folgte die Widmung für diesen Plan. Nach der Verklärung trat er in die volle Verwirklichung dessen ein, was vor ihm lag, und er erklärte es deutlich seinen Jüngern, indem er sagte: «Des Menschen Sohn muss noch viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tag auferstehen. Will jemand mir nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz täglich auf sich und folge mir!» (Lukas IX/22, 23).

Dann lesen wir später im gleichen Kapitel, dass er sein Angesicht wendete, zu gehen» an den Platz des Leidens und des Opfers.

Schliesslich kam die Erkenntnis, dass er vollendet hatte, wozu er bestimmt war. Er hatte den PLAN erfüllt; was seines Vaters ist, war getan und die «vielen Dinge» ausgeführt. Wir lesen, dass der PLAN sogar noch am Kreuz seine Aufmerksamkeit beanspruchte; mit seinem letzten Ruf: «Es ist vollbracht» (Joh. XIX/30) ging er durch die Tore des Todes zu einer freudigen Auferstehung.

Die allmähliche Offenbarwerdung des PLANS und des Dienstes an ihm begleitet immer den Einweihungsvorgang. Der Mensch lernt, sein Leben dem Willen des Vaters unterzuordnen und wie Christus ein Diener dieses Willens zu werden. Der Einweihungsvorgang selbst ist nur ein Teil des gesamten Plans für die Menschheit, und die Wege der Jüngerschaft und Initiation sind nur die letzten Stadien auf dem Pfad der Evolution. Die früheren Schritte auf diesem Pfad befassen sich mit Leben und Erfahrung des Menschen, die letzten Stufen, nach der neuen Geburt, mit der geistigen Entfaltung.

Was für die Entfaltung des Einzelmenschen gilt, gilt auch für die Menschheit, und [49] alle diese Stadien müssen im menschlichen Leben ausgearbeitet werden. Wer dies klar sieht, kann die Beweise dieses sich entfaltenden Plans im stetigen Wachstum verschiedener Ideen verfolgen, die jetzt in der Welt vorherrschen. Ohne ins Einzelne zu gehen oder längere Ausführungen über das Thema zu bringen, kann das Wachsen des Plans und die menschliche Antwort darauf ganz klar verfolgt werden in der Entwicklung des Gottesbegriffes. Zuerst war Gott eine weit entfernte, menschenähnliche Gottheit, unbekannt und ungeliebt, doch mit Scheu und Furcht betrachtet, und verehrt als die Gottheit, die sich durch die Naturkräfte ausdrückte. Mit der Zeit kam dieser ferne Gott seinem Volk etwas näher und nahm eine menschlichere Färbung an, bis wir ihn im jüdischen Gottesbegriff uns selbst ähnlich finden, aber noch als den zornigen, moralischen Herrscher, dem man gehorchen und den man fürchten muss.

Mit der Zeit näherte er sich weiter, und vor der Zeit des Christentums erkannten ihn die Menschen als den geliebten Krishna des Hinduglaubens und als den Buddha. Dann kam Christus für den Westen. Gott selbst war inkarniert unter den Menschen zu sehen, der Entfernte war der Nahe geworden, und der Eine, der in Scheu und Staunen verehrt worden war, konnte jetzt erkannt und geliebt werden. Heute kommt Gott noch näher; und das neue Zeitalter wird nicht nur die Wahrheit der vergangenen Offenbarungen erkennen und ihre Gültigkeit und fortschreitende Enthüllung der Göttlichkeit bezeugen, sondern zu all diesem wird die letzte Offenbarung der göttlichen Gegenwart im menschlichen Herzen hinzugefügt: des Christus, im Menschen geboren, und jedes menschlichen Wesens, das sich in Wahrheit als ein Sohn Gottes zeigt.

Derselbe göttliche Plan kommt ebenfalls zum Vorschein, wenn wir die Entfaltung des Bewusstseins betrachten. Während die Menschheit in ihrer Kindheit durch den Instinkt beherrscht wurde, begann mit der Zeit der Intellekt sich zu zeigen und fährt jetzt fort, die menschlichen Angelegenheiten, die Regierung und das Denken zu überwachen. Durch den Intellekt, richtig verstanden und gebraucht, wird etwas Schöneres und Offenbarenderes entwickelt; und wir können das Wachstum dieser neuen Kraft, der Intuition, im modernen intelligenten Menschen ständig verfolgen. Dies wiederum bringt Erleuchtung, und so schreitet der Mensch von [50] Herrlichkeit zu Herrlichkeit, bis der allwissende kosmische Sohn Gottes gesehen werden kann, der durch jeden Menschensohn zum Ausdruck kommt.

Die gleiche Entfaltung kann auch in der Menschheitsgeschichte im Übergang der verschiedenen Stadien des einzeln lebenden Wilden zu Familie und Stamm, dann in der Vereinigung der Stämme zu Nationen unter einer zentralen Regierung verfolgt werden, bis wir heute in einer Welt leben, die beginnt empfänglich zu werden für das, was grösser ist als die Nation die Menschheit selbst, und seinen Ausdruck findet durch die Entwicklung eines internationalen Bewusstseins. Es spielt keine Rolle, von welchem Gesichtspunkt aus wir die Ausweitung des Plans betrachten; wir kommen aus einer entfernten, dunklen, unwissenden Vergangenheit zu einer Gegenwart, in der wahrere Werte sichtbar werden. Wir beginnen zu sehen, was der Plan ist und wohin wir gehen. Wir treten unaufhaltsam in die Welt geistiger Wirklichkeiten ein, denn «es führt ein Weg von jeder natürlichen Gruppe von Tatsachen zu jeder geistigen Wirklichkeit im Universum; und die wesentliche Natur der Denkkraft ist immer, diesen Weg in einem gewissen Grad zu beschreiten». (Bosanquet: Wert und Schicksal des Einzelmenschen, engl., S. 111).

An diesem «Ende des Zeitalters» steht der Mensch vor der Tür der günstigen Gelegenheit, und weil er im Begriff ist, seine eigene Göttlichkeit zu entdecken, wird er in das Reich der wirklichen Werte eintreten und wird mehr Wissen von Gott erlangen. Das Mysterium der neuen Geburt steht vor ihm, durch diese Erfahrung muss er hindurch.

Dieses Göttliche im Menschen muss im Einzelmenschen und in der Menschheit geboren werden; so kann das Reich Gottes auf Erden ins Dasein gebracht werden.

3.
Diese fünf Einweihungen haben gewisse Grundzüge gemeinsam, Ähnlichkeiten, die in sich von wirklicher Bedeutung sind, Tatsachen, die allen zugehören. Der Weg in das Reich ist universal, der Mensch ist selbst das Symbol und die Wirklichkeit. Er schaut aus nach allen Mythen und Symbolen der Welt; er liest und kennt die [51] Geschichte der Welterlöser. Gleichzeitig hat er das gleiche Geschehen erneut aufzuführen und den Mythos zu einer Tatsache in seiner eigenen persönlichen Erfahrung zu machen. Er muss von Christus wissen, er muss auch Christus Schritt für Schritt durch die grossen Erfahrungen der Einweihungen folgen.

Jede Einweihung ist das Ziel einer Wanderung; jedes Stadium und jedes dramatische Geschehen kommt am Ende einer Zeit des Wanderns. Der Symbolismus darin ist offensichtlich. «Das Betreten des Pfades» ist eine gebräuchliche Bezeichnung für die Annäherung eines Menschen an die Mysterien. Es ist interessant zu bemerken, dass heute die ganze Welt unterwegs ist. Jedermann reist oder wandert ein Vorgang, symbolisch für den inneren Zustand des Suchens und der Bewegung zum vorgezeichneten Ziel. Reisen mit der Bahn, dem Schiff oder dem Flugzeug sind heute Gewohnheiten von jedermann. Gruppen von Menschen in vielen Ländern werden von Ort zu Ort befördert, wie die wirtschaftlichen Bedingungen es ermöglichen oder das Schicksal es diktiert. Wir reisen hierhin und dorthin, wir sind unterwegs, um unseren Horizont zu erweitern. So bereiten wir uns auch für Bewusstseinserweiterungen vor, die uns befähigen werden, in zwei Reichen gleichzeitig zu leben: das Leben, das auf der Erde gelebt werden muss, und das Leben, das wir im Reich Gottes leben können. Die Menschheit ist auf dem ersten Abschnitt ihrer Reise, dem mystischen Bethlehem entgegen, wo das Christkind geboren werden wird. Die erste Einweihung ist jetzt ein unmittelbar bevorstehendes Ereignis für viele.

«Jedem Menschen öffnet sich ein Weg,

Es öffnen sich Wege und EIN WEG.

Und die hohe Seele nimmt den hohen Weg,

Und die niedrige Seele tappt den niedrigen.

Und dazwischen schweift im Nebel der Ebenen

Der Rest, schwankt hin und her.

Aber jedem Menschen ist geöffnet ein hoher Weg

Und ein niedriger,

Und jeder Mensch wählt den Weg,

Den seine Seele gehen soll».

John Oxenham

Wiederum [52] ist jede Einweihung gekennzeichnet durch das Aussprechen eines MACHTWORTES. Der Eingeweihte hört es, obwohl die Welt es nicht hören kann. Als Christus durch diese Krisen ging, ertönte jedesmal eine Stimme, und der Klang, der hinausging, «öffnete aufs neue die Tore des Lebens». Tür um Tür wird auf Verlangen des Initiaten geöffnet und auf die Erwiderung des Einweihenden, der auf der anderen Seite des Tores steht. Wir werden sehen, was jedes Wort bedeutet. Das WORT geht immer von dem Zentrum hinaus. Im Neuen Testament wird uns wieder und wieder gesagt «Wer Ohren hat zu hören, der höre!» (Matth. XI/15), und ein Studium der Worte, die in der Offenbarung zu den sieben Kirchen gesprochen wurden, wird viel Licht zu dem Thema bringen.

Grosse Menschheitsworte sind hinausgeklungen, haben notwendige Veränderungen hervorgebracht und für den Sensitiven eine Kraft von wahrem geistigen Wert bedeutet.

Das WORT oder der Ton war für das alte Asien der Vergangenheit TAO oder der WEG. Es stand für jenen alten WEG, den die Eingeweihten des Fernen Ostens gingen und lehrten. Für unsere Rasse ist der Ton AUM, das in der westlichen Sprache zum AMEN degenerierte. Die alten indischen Schriften betrachten dieses Wort ganz besonders als Bezeichnung der Göttlichkeit, des Lebensgeistes, des Atems Gottes. Welches das neue WORT sein wird, das «aus dem Zentrum herauskommen» wird, wissen wir nicht; denn es wird nicht eher gehört werden, als bis die Menschheit bereit ist. Doch es gibt ein allgemeines Machtwort, das in die Obhut unserer Rasse gegeben wird, wenn wir der gebotenen Gelegenheit gerecht werden und durch die neue Geburt in das Reich Gottes eintreten. Dieses neue Wort wird die verborgene Seele des Menschen schneller zum Leben bringen und ihn zu einer erneuten geistigen Tätigkeit anregen. Wenn die Menschheit an geistiger Empfänglichkeit zunimmt, werden die Aspiranten der Welt in den vielen Religionen durch Meditation die Fähigkeit kultivieren, die alle anderen Stimmen übertönende STIMME zu hören, und wenn sie lernen, den Klang zu verzeichnen, der alle anderen Klänge auslöschen wird, werden sie als eine Gruppe das neue WORT aufnehmen, das hinausgesendet werden wird.

Bei jeder Einweihung [53] Jesu wurde, wie wir sehen werden, ein ZEICHEN gegeben; es war ein Zeichen, das sich dem Bewusstsein derer einprägte, die nicht eingeweiht waren. Jedesmal wurde ein Symbol oder eine Form gesehen, die auf die Offenbarung hinwies. Christus selbst sagt uns, dass am Ende des Zeitalters das Zeichen des Menschensohnes in den Himmeln zu sehen sein wird (Matth. XXIV/30). Genau so, wie die Geburt zu Bethlehem durch das Zeichen des Sterns angekündigt wurde, so soll jene Geburt, auf welche die Menschheit zueilt, gleicherweise durch ein himmlisches Zeichen angekündigt werden. Der Anruf, welcher aus den Herzen aller wahren Anwärter auf Einweihung aufsteigt, ist in folgendem Gebet wunderbar ausgedrückt:

«Es gibt einen Frieden, der das Verstehen übersteigt;

er wohnt im Herzen derer, die im Ewigen leben.

Es gibt eine Kraft, die alles neu macht;

sie lebt und webt in denen, die das Selbst als eins erkennen.

Möge dieser Friede über uns walten,

diese Kraft uns emportragen, bis wir dort stehen,

wo der Eine Einweihende angerufen wird,

bis wir seinen Stern aufleuchten sehen».

Wenn dieses ZEICHEN zu sehen und das WORT zu hören ist, wird der nächste Schritt sein, die Vision aufzunehmen. Der PLAN und die Rolle, die der Einzuweihende zu spielen hat, werden ihm gezeigt; und er weiss, was er zu tun hat. Von dieser Vision wird als «Vision von Gott» gesprochen; doch sie wird dem Menschen in den Begriffen von Gottes Willen und der Vollkommenheit von Gottes Absicht übermittelt. Wir sind bestimmt, in das Geheimnis dieses Willens eingeweiht zu werden. Die Vision von Gott ist die Vision von Gottes Plan. Kein Mensch zu irgendeiner Zeit hat Gott gesehen, die Offenbarung Gottes geschieht durch die Offenbarung Christi.

«Philippus sagt zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und wir sind zufrieden. Jesus erwiderte: Bin ich so lange bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat auch den Vater gesehen». (Matth. XXIV/30).

Christus offenbarte in sich den Willen Gottes und gab der Menschheit eine Vision von Gottes Plan für die Welt, dieser Plan [54] enthält das Kommen des Reichs. Er war Gott, und das Wort Gottes ging von ihm aus.

Der Mensch lebt durch die Inkarnation Gottes in ihm. Beim Durchgang durch das Tor der neuen Geburt kann er das Fleisch, in welches das Göttliche eingeschlossen ist, loskaufen und dann bei der Erlösung der Welt mithelfen. Auch für die Menschheit gibt es die Krise, die Einweihung und die Vision. «Wo keine Vision ist, geht das Volk zugrunde» (Sprüche XXIX/18). Doch diese Vision umfasst niemals den ganzen Plan; sie ist nicht die letzte Erfahrung, noch die unergründliche Vollendung. Für diese sind wir noch nicht vorbereitet. Christus selbst hat nicht von der letzten Offenbarung gesprochen, er sah und verkündete den nächsten Schritt für die Menschheit. Die unmittelbar bevorstehenden Ereignisse werden erfühlt, um später einsichtsvoll erwogen zu werden. Da ist ein Augenblick der Vorausschau, ein Vorhersagen der Bewegung und Tätigkeit, von Schwierigkeit und Dienst und von der nächsten sich entfaltenden Herrlichkeit.

Als Folge der Vision, die der Einweihung folgt, kommt ein neuer Zyklus von Prüfungen und Schwierigkeiten. Die offenbarten Wahrheiten und die gewährte Offenbarung müssen sich in der Erfahrung des täglichen Lebens auswirken. Augenblicke der Angleichung und des Nachdenkens müssen den Perioden der Verzückung und der Vision folgen. Ohne praktisches Ausüben dessen, was man weiss, verbleibt es auf dem Berggipfel der Offenbarung.