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Siebtes Kapitel - Intuition und Erleuchtung

Siebtes Kapitel

Intuition und Erleuchtung

«Und Gott sprach:

Es werde Licht!

Und es ward Licht!»

BIBEL

(147) Wir haben nun im vorhergehenden die allgemeine Tatsache festgestellt, dass die modernen westlichen Erziehungsmethoden den Menschen mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, dass er ein Denkvermögen besitzt; sie haben ihn so sehr zur Wertschätzung des Intellekts gebracht, dass für viele die Erlangung intellektueller Fähigkeiten die Krönung des Evolutionsprozesses bedeutet. Wir haben ferner darauf hingewiesen, dass wenn die östliche Meditationstechnik mit ihren Stufen der Konzentration, Meditation und Kontemplation von westlichen Intellektuellen angewandt würde - die Denkvorgänge bis zur höchsten Entwicklungsstufe ausgebildet und dann von einer noch höheren Fähigkeit, nämlich der Intuition, abgelöst werden können. Wir haben auch festgestellt, dass im Westen die hervorragendsten Denker, die wir haben, durch ein starkes Interesse und in praktischer Anwendung denselben Grad der Vollendung erreichen wie die östlichen Aspiranten, die durch Meditation zu Erkenntnissen kommen. An diesem Punkt jedoch trennen sich die Wege. Die westliche Erziehung vermag ihre Exponenten nicht in das Reich der Intuition oder der Erleuchtung zu führen. Tatsache ist, dass wir die Idee eines erleuchteten Bewusstseins eher belächeln und viele vorhandenen Beweise den Halluzinationen eines überstimulierten Mystikers (148) oder jenen psychopathischen Fällen zuschreiben, mit denen sich unsere Psychologen dauernd beschäftigen.

Ich glaube aber, dass man beweisen kann, dass eine entwickelte geistige Wahrnehmung und ein erleuchteter Intellekt sehr wohl zum geistigen Rüstzeug gesunder und ausgeglichener Geschäftsleute oder Wissenschaftler gehören können und keineswegs einen Mangel an psychischem Gleichgewicht, oder emotionelle Unbeständigkeit zu bedeuten brauchen. Das Licht der Erleuchtung und der Inspiration lässt sich mit den täglichen Beschäftigungen sehr gut vereinbaren; dies wurde schon vor Jahrhunderten in einer alten chinesischen Lehre aus dem achten Jahrhundert ausgesprochen:

«Meister Lü Dsu sprach: Wenn es allmählich gelingt, den Kreislauf des Lichts in Gang zu bringen, so darf man dabei seinen gewöhnlichen Beruf nicht aufgeben. Die Alten sprachen: Wenn die Geschäfte auf uns zukommen, so muss man sie annehmen, wenn die Dinge auf uns zukommen, so muss man sie bis auf den Grund erkennen. Wenn man durch rechte Gedanken die Geschäfte in Ordnung bringt, so wird das Licht nicht von den Aussendungen umgetrieben, sondern das Licht rotiert nach eigenem Gesetz». 

Diese charakteristischen Merkmale der Erleuchtung und ihrer Resultate zeigen sich im Bewusstsein eines Menschen, der die früher beschriebenen Stadien durchschritten hat, und bilden nun das Thema dieses Kapitels. Erleuchtung ist ein Stadium im Meditationsprozess, denn sie bringt sorgfältige Kontrolle des Denkvermögens und wissenschaftliches Herangehen an das Thema mit sich; sie ist ein Ergebnis des echten kontemplativen Zustandes und Seelen-Kontaktes, und zeigt durch die darauffolgenden Wirkungen an, dass die (einige Seiten vorher behandelte) (149) zweite Tätigkeit des Denkvermögens eingesetzt hat.

Von den Pionieren auf dem Weg zum Reich der Seele wissen wir, dass der Zustand der Erleuchtung unmittelbar nach dem Stadium der Kontemplation folgt und seinerseits wieder als Ursache dreier Wirkungen beschrieben werden kann: eines erleuchteten Intellekts, einer intuitiven Wahrnehmung und eines inspirierten Lebens in der äusseren Welt. Dieser Zustand wird von allen Mystikern und all denen, die über mystische Offenbarung schreiben, anerkannt. Der Gedanke eines Lichtes, das aufstrahlt und unseren Weg erhellt, der Symbolismus eines intensiven Strahlenglanzes oder einer blendenden Ausstrahlung, welche die Phase göttlicher Begegnung begleitet, ist in seiner Anwendung so allgemein, dass wir das heute einfach als eine mystische Ausdrucksweise ansehen; es ist relativ kaum mehr als ein Versuch des visionären Aspiranten, die erlebten Wunder in Worten auszudrücken.

Bei näherer Untersuchung scheint jedoch ziemlich viel Sinn in dieser besonderen Ausdrucksweise und in diesen symbolischen Redewendungen enthalten zu sein. Die Einheitlichkeit der verwendeten Ausdrücke, die Zeugenschaft vieler Tausende achtbarer Zeugen und die Ähnlichkeit der geschilderten Ereignisse scheinen auf eine Art echten phänomenalen Geschehens hinzuweisen. Dr. Overstreet erwähnt in seinem Buch «DIE EWIGE SUCHE» eine grosse Anzahl von Menschen, von denen behauptet wird, dass sie erleuchtet waren, und weist darauf hin, dass «diese Menschen zu ihren Schlussfolgerungen nicht durch Begründungen der Vernunft kommen, obwohl die Vernunft die Suche nach (150) Wahrheit bei der Vorbereitung auf ihre schliessliche Innenschau offensichtlich eine Rolle gespielt hat».»Auf jeden Fall», fügt er hinzu, «erlebten sie das, was wir mangels einer besseren Bezeichnung "Erleuchtung" nennen können». Er fährt fort, dass wir «diese Erfahrungen natürlich als Geistesverwirrungen abtun können», ... fügt aber hinzu, dass «diese Menschen keineswegs nach Art von Geistesgestörten handeln. Von ihnen stammt ein Grossteil der geistigen Weisheit der Menschenrasse. Sie gehören gleichsam zu den Illuminaten der Menschheit. Wenn man sie, an ihren Früchten erkennen soll, dann haben diese Menschen so überdurchschnittliche Leistungen bekundet, dass sie dadurch zu geistigen Führern der Menschheit wurden.

Betrüblich war nur der Umstand, dass der durchschnittliche Mystiker - nicht aber die von Dr. Overstreet genannten hervorragenden Gestalten - im allgemeinen unfähig war, diesen Zustand der Erleuchtung zu definieren oder klar auszudrücken. «Der Mystiker» - heisst es in den Bamptoner Vorträgen von 1930 - «kann nicht erklären, er weiss aber, dass er gewusst und nicht bloss gefühlt hat; und oft bleibt dieses Wissen ein dauernder Besitz, den Kritik nicht erreichen kann ... obwohl die Mystiker also unfähig zu sein scheinen, anderen einen Wahrheitsgehalt verständlich zu machen, der auf dem gewöhnlichen Wege der Erfahrung und Vernunft nicht erlangt werden kann, ist es trotzdem möglich, dass ihr besonders intensives Erfassen der Wirklichkeit dazu dienen mag, unser grundlegendes Problem in ein klareres Licht zu rücken, - so wie extreme Fälle dazu helfen, die Wahrheit eines geometrischen Lehrsatzes zu beweisen».

(151) Hier schaltet sich der Osten ein und zeigt das System, nach dem man Erleuchtung erlangen kann, und legt uns ein geordnetes Verfahren und eine Methode dar, die den Menschen zum Wissen des Einsseins mit seiner Seele führt. Diese Methode stellt als Ergebnis dieses Einsseins und der daraus folgenden Wirkungen - eine erleuchtete Wahrnehmung und intuitive Erfassung der Wahrheit als Tatsache hin. Das Denkvermögen reflektiert - wie uns die östlichen Schriften berichten - das Licht und die Erkenntnis der allwissenden Seele, und das Gehirn wird seinerseits erleuchtet. Dies ist nur dann möglich, wenn die Wechselbeziehung zwischen den drei Faktoren Seele, Denkvermögen und Gehirn, vollständig ist. Patanjali schreibt in seinen Yoga Sutras:

«Der Herr des Denkvermögens, der Wahrnehmende, ist stets des ständig aktiven Denk-Stoffes gewahr.

«Da das Denkvermögen gesehen oder erkannt werden kann, ist es klar, dass es nicht die Quelle der Illumination ist.

«Wenn die alleinstehende und vom Objektiven losgelöste geistige Intelligenz sich im Denkstoff widerspiegelt, erfolgt die Wahrnehmung des Selbst.

«Dann wird der Denkstoff, der den Erkennenden und das Erkennbare widerspiegelt, allwissend.

«Das Denkvermögen strebt dann nach Unterscheidungskraft und zunehmender Erleuchtung.

«Wenn die Mittel zur Vereinigung stetig angewandt wurden und wenn Unreinheit überwunden wurde, findet eine Aufhellung statt, die zu voller Erleuchtung führt.

«Die erlangte Erkenntnis (oder Erleuchtung) ist siebenfach und wird schrittweise gewonnen».

Patanjali weist später darauf hin, dass nach richtiger Konzentration, Meditation und Kontemplation (152) «das, was das Licht verdunkelt, allmählich verschwindet»; und fügt hinzu:

«Wenn das, was das Licht verhüllt, beseitigt ist, tritt der Seinszustand ein, den man exkarniert (oder entkörpert) nennt; er ist frei von der Veränderung des Denkprinzips. Dies ist der Zustand der Erleuchtung».

Es könnte also sein, dass Christus, als er Seinen Jüngern befahl, «ihr Licht leuchten zu lassen», gar nicht symbolisch gesprochen, sondern ihnen die dringende Notwendigkeit vor Augen geführt hat, einen Zustand der Befreiung vom körperlichen Bewusstsein zu erreichen, damit das Licht der Seele durch das Denkvermögen ins Gehirn strömen und dort jene Erleuchtung bewirken könne, die einem Menschen zu sagen ermöglicht: «In diesem grossen Licht werden wir Licht sehen».

Der Weg zu diesem Freisein wurde von der christlichen Kirche stets verstanden und wird «der Weg der Läuterung» genannt. Er hat die Reinigung oder Verfeinerung der niederen Körpernatur und die Abnutzung des materiellen Schleiers zur Folge, der das Licht in jedem Menschen verhüllt. Dieser Schleier muss durchbrochen werden und dazu gibt es viele Wege. Dr. Winslow Hall spricht in «Illuminanda» (153) von drei Wegen dem Weg der Schönheit, dem des Intellekts und dem der Seele. Durch Schönheit und durch Suche nach der Wirklichkeit, aus der die Schönheit hervorgeht, erzwingt der Mystiker seinen Weg hinter die äussere Form und findet das Gute und das Herrliche. Dr. Otto befasst sich in seiner Exegese (Ausdeutung) mit der Fähigkeit «göttlichen Eindringens» (oder Aufspürens), jener Gabe, mit Ehrfurcht und Bewunderung das wesentliche Heilige und Schöne hinter allen Formen zu erkennen. Sein diesbezügliches Kapitel ist sorgfältiger Beachtung wert. Der Mystiker «erahnt» also (durch das Göttliche in ihm selbst) die vom Schleier der Materie verhüllte Wirklichkeit.

Dies ist der Weg der Sinne. Dann gibt es den Weg des Intellekts, der intensiven Gedankenkonzentration auf ein Problem und auf den Formaspekt, um dessen Ursache oder Anlass herauszufinden. Darin haben die Wissenschaftler solche Fortschritte gemacht und den Schleier soweit durchlöchert, dass sie bei jenem «etwas», das sie «Energie» nennen, angelangt sind. Dr. Winslow Hall erklärt den dritten Weg wie folgt:

«Der Weg der Seele ist der älteste und zugleich breiteste der drei Wege ... denn die Seele tut mehr als nur den Materie-Schleier durchdringen; sie identifiziert sich sowohl mit diesem Schleier, als auch mit der dahinter stehenden Wirklichkeit. Dadurch werden Seele Schleier und Wirklichkeit als eins empfunden».

Auf diese Weise werden wir zur Idee der Ganzheit und Einheit mit dem Universum, auf die wir schon früher zu sprechen kamen, zurückgeführt; Dr. Hall fügt hinzu: «Ich würde Erleuchtung als ein überwältigendes Gefühl des Einsseins mit dem Ganzen definieren».

Wir wollen nun so einfach als möglich auszudrücken versuchen, wohin unsere Schlussfolgerungen uns geführt haben und untersuchen, was der Mensch erlebt, der seine Ausbildung von der Gedächtnisschulung (154) und der Erwerbung von Kenntnissen zum bewussten Gebrauch des Intellekts, und von da weiter in das Reich des bewusst Erkennenden fortgesetzt hat.

Durch Konzentration und Meditation erreichte er eine weitgehende Beherrschung des Denkens und lernte, «das Denken stetig im Licht zu halten». Dann gleitet das Bewusstsein aus dem niederen Selbst (aus dem Wahrnehmungsbereich von Gehirn und Denken), und der Mystiker geht in den kontemplativen Zustand über wo er als Seele funktioniert und sich als Wissenden erkennt. Das Wesen der Seele ist Erkenntnis und Licht, und ihr Daseinsbereich ist das Reich Gottes. Während der ganzen Zeit dieser Identifikation mit der Seele wird das Denken fest und stetig gehalten und verweigert Kontakten aus anderen Wahrnehmungszuständen, wie z.B. aus der emotionellen und physischen Welt, ein Gehör. Aufgegangen in der Vereinigung mit Gott, in den «Dritten Himmel» erhoben (wie der Hl. Paulus) und versunken in der beseligenden Vision der Wirklichkeit, weiss er nichts, sieht und hört nichts ausser jenen Phänomenen, die der Welt, in der er jetzt lebt, angehören. In dieser Welt aber hört er, sieht und erkennt er; er gewahrt Wahrheit, unverhüllt und frei von jener Täuschung, die der Schleier der Materie über sie geworfen hat; er lauscht der Weisheit, die in seiner eigenen, unergründlichen Seele aufgespeichert liegt, und er ist diese Weisheit selbst, denn Subjekt und Objekt existieren nicht mehr für ihn: Er ist beides und weiss dies. Er tritt in das Denken Gottes ein, in diese universale Schatzkammer des Wissens, deren Tore für jene individuellen Denker ständig weit offen stehen, die ihr Denken genügend beruhigen und beherrschen können, um ihnen die Vision (155) dieses Tores und den Eintritt zu gestatten. Und während dieses ganzen transzendentalen Vorganges ist das Denken stetig im Lichte gehalten worden.

Der kontemplative Zustand geht jedoch bald darauf zu Ende, und das Denkvermögen wird sofort zu erneuter Tätigkeit getrieben; diese Tätigkeit beruht darauf, dass das Denkvermögen auf das Licht reagiert und imstande ist, all die Informationen zu registrieren und festzuhalten, mit denen die Seele es auszustatten versucht. Die Energien der Seele waren nach aussen in die Welt göttlicher Wirklichkeiten geströmt. Nun aber wechselt das Ziel der Aufmerksamkeit, die Gottheit richtet ihr Augenmerk auf das wartende Instrument und sucht diesem soviel an Weisheit und Erkenntnis einzuprägen, als es aufzunehmen und zu reflektieren vermag.

Unter jenen Schriftstellern über Mystik, die sich mit dem rein mystischen Weg befassen und die Technik des Ostens nicht genügend studiert haben, besteht die Neigung, Erleuchtung mit Gefühl zu verwechseln. Evelyn Underhill z.B. schreibt: « ... Der Zustand der Erleuchtung bringt eine Vision des Absoluten mit sich, ein Gefühl göttlicher Gegenwart, jedoch nicht wirkliche Vereinigung mit ihr». «Es ist» sagt sie «ein Zustand physischer Glückseligkeit»

Die Erleuchtung des Denkens durch Wissen und durch ein Gewahrsein der Vereinigung mit Gott, sowie das Verstehen der Gesetze, die das geistige Reich beherrschen, mag schliesslich ein physisches Glücksgefühl hervorrufen, doch ist dieses Glücksgefühl eine Nachwirkung und nicht ein Teil des erleuchteten Zustandes. Wahre Erleuchtung hat mit dem Intellekt zu tun und sollte - in ihrem reinsten Aspekt - von Gefühl gänzlich getrennt sein. (156) Sie ist ein Erkenntniszustand, in dem das Denkvermögen in Beziehung zu Gott gebracht wird; und je länger dieser Zustand frei von emotionellen Reaktionen gehalten werden kann, um so unmittelbarer ist die Verbindung zwischen der Seele und ihrem Instrument, um so unverfälschter sind die mitgeteilten Wahrheiten.

Ein Vergleich zwischen dem Weg des Wissenden und dem des Mystikers mag hier angebracht erscheinen. Der Mystiker, besonders der des Westens, erhascht ein Aufblitzen der Innenschau, er sieht das Geliebte; er kommt zu Höhepunkten des Gewahrseins, aber sein Weg dorthin ging in den meisten Fällen vom HERZEN aus und schloss daher Gefühl, Sinneswahrnehmung und Emotion ein. Das Resultat war Ekstase. Seine Technik bestand in Devotion, Disziplin und emotionellem Vorwärtsstreben, im «Emporheben des Herzens bis zum Herrn», in der «Vision des Geliebten», in der «Himmlischen Hochzeit», im Ausgiessen der Liebes-Natur zu Füssen des Geliebten, und in darauf folgender Ekstase. Danach folgte - wenn wir den Schriften der Mystiker selbst Glauben schenken dürfen - eine Periode der Wiederanpassung an das tägliche Leben und oft ein Gefühl der Niedergeschlagenheit und Enttäuschung über das Entschwinden dieses hohen Augenblicks; dazu kam noch das Unvermögen, über das Erlebnis klar zu sprechen. Dann beginnt ein neuer Zyklus der Devotion und Disziplin, bis die Vision wiederum erschaut wird und mit dem Geliebten erneut ein Kontakt zustande kommt. Von gewissen Gesichtspunkten aus ist die Selbstbezogenheit des westlichen Mystikers sowie auch sein Unvermögen, den Intellekt zu gebrauchen, sehr bemerkenswert. Wir müssen aber (157) solche Mystiker wie Böhme, Ruysbroek oder Meister Eckehart ausnehmen, in deren Schriften das Moment des Intellekts stark betont wird und wo die Qualität des Wissens klar hervortritt. Hören wir, was Meister Eckehart selbst sagt:

«In der Seele liegt eine Kraft, der Intellekt, der für die Seele von grösster Bedeutung ist, um Gott wahrzunehmen und zu entdecken. ... Die stichhaltigsten Argumente stellen ausdrücklich und wahrheitsgemäss fest, dass der Kern, das innerste Wesen des ewigen Lebens mehr in der Erkenntnis als in der Liebe liegt. ... Die Seele ist von zeitlichen Dingen unabhängig, in der Verzückung aber steht sie in Verbindung mit den Dingen Gottes».

Der Wissende hat eine andere Methode als der Mystiker. Diese besteht darin, dass er den Intellekt auf den Gegenstand seines Forschens richtet; sie ist der Weg des Denkens, dessen Disziplinierung und Beherrschung. Er festigt das Denkvermögen; er hemmt dessen Unbeständigkeit und richtet es auf ein einziges Ziel; er sucht und trachtet nach Gott; er trennt sich vom Gefühl und ist an seiner eigenen persönlichen Befriedigung uninteressiert, denn das Denkvermögen ist der «gesunde Menschenverstand», der in seiner höchsten Funktion mit der Fähigkeit zur Synthese, zur Ganzheit, ausgestattet ist. Er spricht - wie Dr. Müller-Freienfels es ausdrückt - nicht mehr von «SEINER» Seele, sondern von der universellen Seele, die sich in ihm wie in allen anderen Geschöpfen manifestiert und entfaltet, und die fortdauern wird, auch wenn diese Illusion der Individualität vergeht. ... Er wird sein Leben als «Leben» führen, das heisst, als Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung, in dem Bewusstsein, dass nicht nur sein eigenes Selbst (158) verwirklicht und vollendet wird, sondern das Universum, die Gottheit, deren Teil dieses offenbare Selbst ist.

Persönliches Gefühl ist ausgemerzt. Der Aspirant beherrscht das Denken, hält es stetig im Lichte, und dann sieht und erkennt er. Darauf folgt das Stadium der Erleuchtung. Meister Eckehart fasst den Unterschied zwischen den beiden Wegen wie folgt zusammen:

«Erkenntnis erhebt die Seele in den Rang Gottes. Liebe vereint die Seele mit Gott. Anwendung führt zur Vervollkommnung der Seele in Gott. Diese drei Dinge tragen die Seele geradewegs aus der Zeit in die Ewigkeit».

Diese Unterschiede sollten sorgfältig beachtet werden. Für viele ist zur Zeit die Erlangung der Erkenntnis Gottes von grösserer Wichtigkeit als die Liebe zu Gott. Diese besitzen sie bereits; sie ist der Hintergrund ihrer Bestrebungen, nicht aber ihres gegenwärtigen Zieles und ihrer Selbst-Disziplinierung. Für die breite, gedankenlose Masse trifft es vielleicht zu, dass der mystische Weg der Liebe und Devotion das Ziel ihrer Bestrebungen sein sollte; für die Denker der Welt aber sollte die Erlangung der Erleuchtung das Ziel sein.

Diese Unterschiede sollten sorgfältig beachtet werden. Für viele ist zur Zeit die Erlangung der Erkenntnis Gottes von grösserer Wichtigkeit als die Liebe zu Gott. Diese besitzen sie bereits; sie ist der Hintergrund ihrer Bestrebungen, nicht aber ihres gegenwärtigen Zieles und ihrer Selbst-Disziplinierung. Für die breite, gedankenlose Masse trifft es vielleicht zu, dass der mystische Weg der Liebe und Devotion das Ziel ihrer Bestrebungen sein sollte; für die Denker der Welt aber sollte die Erlangung der Erleuchtung das Ziel sein.

Der wahrhaft erleuchtete Mensch ist die seltene Mischung des Mystikers mit dem Wissenden; wir besitzen das Ergebnis der mystischen Methoden des Ostens und des Westens; die Vereinigung von Kopf und Herz, von Liebe und Intellekt. Daraus geht das hervor, was im Orient der Yogi (der Kenner der Vereinigung), im Okzident der praktische Mystiker genannt wird, - mit welcher unzulänglichen Bezeichnung (159) jener Mystiker bezeichnet wird, der den Intellekt mit der Gefühlsnatur vereinigt hat und daher ein harmonisch ausgeglichener Mensch ist, dessen Gehirn, Denkvermögen und Seele in vollkommenster Einheit und Synthese zusammenwirken.

Die Erleuchtung des Denkvermögens durch die Seele und das Ausschütten jener Erkenntnis und Weisheit, die das Vorrecht der Seele bilden, in das wartende und aufmerksame Denken, bewirken im wahrhaft geeinten und harmonischen Menschen Ergebnisse, die je nach dem Teil seines Instrumentes, mit dem ein Kontakt zustande kam, verschieden sind. Wir stellen das Thema über die Vereinigung und das Wachstum transzendentaler Kräfte für eine spätere Betrachtung zurück und beschränken uns jetzt auf die direkten Wirkungen der Erleuchtung. Diese Ergebnisse wollen wir der Klarheit halber wie folgt zusammenfassen:

Die Wirkung auf das Denkvermögen zeigt sich in einem direkten Erfassen der Wahrheit und im unmittelbaren Verstehen eines Wissens, das in seiner Reichweite so umfassend und synthetisch ist, dass wir es mit der nebelhaften Bezeichnung «Universales Denken» belegen. Diese Art Erkenntnis wird manchmal Intuition genannt und ist eines der Hauptmerkmale der Erleuchtung. Eine zweite Wirkung auf das Denkvermögen besteht in der Aufnahmefähigkeit telepathischer Mitteilungen und in der Empfänglichkeit für die Gedanken anderer Denker, welche die Fähigkeit erlangt haben, auf dem Niveau der Seele wirksam tätig zu sein. Ich spreche jedoch hier weder von der sogenannten telepathischen Kommunikation (160) auf physischen Ebenen, noch von jenen zwischen Gehirn und Gehirn im gewöhnlichen Verkehr des täglichen Lebens, die uns allen bekannt sind. Ich meine vielmehr die Wechselwirkung und Beziehung, die zwischen göttlich abgestimmten Seelen hergestellt werden kann und deren Auswirkung in der Vergangenheit in der Übermittlung inspirierter Offenbarungen an die Welt, in den Heiligen Schriften und in jenen göttlichen Aussprüchen zu sehen ist, die von gewissen grossen Gottessöhnen, wie Christus und Buddha, herrühren. Intuition und Telepathie sind daher in ihren reinsten Formen zwei Auswirkungen der Erleuchtung des Denkvermögens.

In der emotionellen Natur oder in der Sprache des Esoterikers im Begierden- oder Gefühlskörper, wird Freude, Glück und das Erlebnis der Ekstase erfahren. Es gibt einen Sinn der Erfüllung, der Befriedung und freudigen Erwartung, so dass die Welt in einem neuen Licht gesehen wird und die Umstände eine freundlichere Färbung annehmen.

«Der Himmel droben strahlt in tieferem Blau,

Die Erde drunten liegt in lieblicherem Grün;

In jedem Farbton lebt und webt etwas,

Das christlose Augen niemals erschauten».

Auch im physischen Körper zeigen sich gewisse, sehr interessante Reaktionen. Sie zerfallen in zwei Hauptgruppen: Erstens ein Ansporn zu intensiver Aktivität, die eine ganz klare Wirkung auf das Nervensystem hat; und zweitens strahlt oft ein Licht im Kopfe auf, das auch bei geschlossenen Augen im Dunkeln gesehen werden kann.

Dr. Winslow Hall befasst sieh in seinem Buche über Erleuchtung mit diesem Merkmal des Lichtes und schreibt an einer Stelle, dass er zu beweisen wünsche, dass «Erleuchtung nicht nur eine psychologische, sondern auch eine physiologische Tatsache ist».

(161) Diese Wirkungen im dreifachen Instrument im mentalen, emotionellen und physischen das wir als ein menschliches Wesen bezeichnen, sind nur Manifestationen ein und derselben fundamentalen Energie, die von einer Körperhülle in die andere übertragen wird. Es ist das gleiche göttliche Bewusstsein, das sein Vorhandensein in verschiedenen Sphären menschlicher Wahrnehmung und menschlichen Verhaltens fühlbar werden lässt.

Wir wollen uns nun zuerst mit der mentalen Reaktion befassen. Was ist eigentlich dieses mysteriöse Etwas, das wir Intuition nennen? Es ist interessant festzustellen, dass dieses Wort in einigen Büchern über Psychologie überhaupt nicht vorkommt, und dies sogar in den Werken von prominenten Wissenschaftlern auf diesem Gebiet. Intuition wird nicht anerkannt. Wir könnten sie als ein unmittelbares Erfassen von Wahrheit definieren, das unabhängig von der Vernunft oder einer Denktätigkeit erfolgt. Es ist das plötzliche Auftauchen einer vorher nie gewahrten Wahrheit oder Schönheit im Bewusstsein. Sie taucht aber nicht aus dem Unterbewusstsein oder aus der Vorratskammer des rassischen oder individuellen Gedächtnisses auf, sondern ist ein direkter Einfall aus dem Überbewussten, aus der allwissenden Seele, in das Denkvermögen. Sie wird sofort als unfehlbar wahr erkannt und erweckt keinerlei Fragen. Alle plötzlichen Lösungen scheinbar unlösbarer oder unverständlicher Probleme und viele revolutionierende Erfindungen fallen unter diese Kategorie. Evelyn Underhill spricht davon wie folgt:

« ... dieses erleuchtete Erfassen von Dingen, dieses Reinigen der Pforten der Wahrnehmung ist sicherlich das, was wir zu erwarten haben, wenn der Mensch sich höheren Bewusstseinszentren zuwendet. Seine, von der Beherrschung der Sinne befreite, oberflächliche Intelligenz wird in steigendem (162) Masse von der transzendentalen Persönlichkeit, vom "Neuen Menschen", verdrängt, der von Natur aus ein Bürger der unabhängigen geistigen Welt, und dessen Bestimmung (in mystischer Sprache) es ist, "zu seinem Ursprung zurückzukehren". Daraus ergibt sich ein Zustrom neuer Lebenskraft, eine grössere Fähigkeit der Vision und eine ausserordentliche Steigerung seiner intuitiven Anlagen». 

Dieser unmittelbare Zugang zur Wahrheit ist die schliessliche Bestimmung für alle Menschen und es ist wahrscheinlich, dass das Denkvermögen selbst eines Tages ebenso unter der Bewusstseinsschwelle liegen wird, wie es heute bei den Instinkten der Fall ist. Wir werden dann im Reiche der Intuition wirken und uns in Begriffen der Intuition mit ebenso grosser Leichtigkeit ausdrücken, wie jetzt in Begriffen des Denkvermögens, und wie wir uns jetzt bemühen, als mentale Wesen zu wirken.

Pater Maréchal definiert in seinen «STUDIEN ÜBER DIE PSYCHOLOGIE DER MYSTIKER» die intuitive Wahrnehmung wie folgt:

«Intuition in ganz allgemeiner Weise definiert ist die direkte Assimilation einer Erkenntniskraft mit ihrem Objekt. Alles Wissen ist ja in gewisser Hinsicht ein Aufgehen oder Angleichen. Intuition ist eine unmittelbare "Mitteilung" ohne gegenständliche Zwischenvermittlung; sie ist der einzige Akt, durch den die Erkenntniskraft sich selbst formt, und zwar nicht nach der abstrakten Ähnlichkeit des Gegenstandes, sondern nach diesem selbst. Sie ist, wenn ihr wollt das genaue Zusammentreffen, die gemeinsame Berührungslinie des erkennenden Subjektes und des Objektes». 

Eines der bemerkenswertesten und gehaltvollsten Bücher über Intuition, eines, das sowohl den östlichen wie auch den westlichen Standpunkt in erstaunlicher Weise miteinander verbindet, hat den Titel «INSTINKT UND INTUITION» und ist von Dr. Dibblee am Oriel College, Oxford. Darin gibt er uns mehrere interessante Definitionen über Intuition und bemerkt «So wie ein starker Sinneseindruck auf das Gefühl wirkt, ebenso wirkt die Intuition auf das Denken, indem sie diesem Denken Ideen und Wissen schenkt». (163) Er zitiert auch Dr. Jung, der sagt, dass Intuition ein ausserhalb des Bewusstseins liegender Mentalprozess ist, dessen wir von Zeit zu Zeit dunkel gewahr werden. Er bringt uns auch Professor H. Wildon Carr's Definition: «Intuition ist die unmittelbare Erfassung der Wirklichkeit durch das Denkvermögen, so wie sie tatsächlich ist, und nicht in Form einer Wahrnehmung oder einer Vorstellung (auch nicht als Idee oder Denkobjekt), die im Gegenteil alle intellektuelle Erkenntnisse sind. «Intuition», sagt er «ist nur an rein immateriellen Ergebnissen interessiert, und wenn sie den Zeitfaktor ausser acht lässt, ist sie auch vom Gefühl unabhängig».  In einer besonders klar formulierten Textstelle definiert er (vielleicht unabsichtlich, denn sein Thema befasst sich mit anderen Dingen) den harmonischen, praktischen Mystiker oder Erkennenden wie folgt:

« ... intuitive Inspiration und instinktive Energie werden zuletzt im vollständigen Selbst, das schliesslich eine einzige Persönlichkeit bildet, unterworfen und geeint».

Hier sehen wir, dass der Mechanismus in seinen physischen Beziehungen und Reaktionen vom Instinktapparat (der sich durch die Sinne betätigt) und vom Gehirn geleitet und dirigiert wird, und dass die Seele ihrerseits, die ihren physischen Kontaktpunkt im Obergehirn (164) hat, das Denkvermögen durch die Intuition führt und lenkt. Diese Idee wird von Dr. Dibblee in folgende Worte zusammengefasst: «Ich bin nun endgültig zu der Annahme gekommen, dass es im Menschen zwei verschiedene Intelligenzorgane gibt, und zwar den Thalamus (Sehhügel), welcher der Sitz des Instinkts, und die Hirnrinde (Cerebral Cortex), die der Sitz der verbündeten Fähigkeiten des Intellekts und der Intuition ist».  Dieser Standpunkt hat eine genaue Parallele in der orientalischen Lehre, die als Tatsache annimmt, dass sich das koordinierende Funktionszentrum der gesamten niederen Natur in der Gegend des Hirnanhanges und der Kontaktpunkt des Höheren Selbst sowie die Intuition in der Gegend der Zirbeldrüse befindet.

Die Situation ist also folgendermassen: Das Denkvermögen empfängt von der Seele Erleuchtung in Form von ausgeschütteten Ideen oder Intuitionen, die ein exaktes und direktes Wissen vermitteln denn Intuition ist immer unfehlbar. Dieser Vorgang wird dann vom aktiven Denkvermögen wiederholt, das die von der Seele übermittelten Intuitionen und Erkenntnisse dem empfangsbereiten Gehirn zuleitet. Wenn sich dieser Vorgang automatisch und genau abspielt, haben wir den erleuchteten Menschen, den Weisen, vor uns.

Die zweite Tätigkeit, auf die das Denkvermögen als Folge der Erleuchtung reagiert, ist Telepathie. Es wurde gesagt, dass «Erleuchtung selbst als das höchste Beispiel von Telepathie angesehen werden könne; denn während der ganzen Zeit, in der diese höchste Erleuchtung flammend hervorbricht, ist die menschliche Seele eine Wahrnehmende, und der Vater des Lichtes ist die bewirkende Kraft oder Ursache». Diese verursachende Kraft kann durch viele Denker wirken, denn die Welt der Seele ist die Welt (165) des Gruppengewahrseins; so erschliesst sich ein Kontaktbereich, der in der Tat umfassend ist. Die menschliche Seele steht nicht nur mit dem Universalen Denken «en rapport», sondern auch mit allen anderen Denkern, durch die jene göttliche Absicht, die wir Gott nennen, wirken kann. Auf diese Weise können wir das ununterbrochene Auftauchen erleuchteter Schriften und der Welt-Botschaften zu allen Zeiten erklären, welche die Gedanken und Schicksale der Menschen geleitet und sie auf dem Pfade der Erkenntnis vom Stadium des Animismus und Fetischismus bis zu unserer gegenwärtigen Vorstellung über einen innewohnenden (immanenten) Gott geführt haben. Vom Gesichtspunkt des Menschen und der Natur sind wir zu der Auffassung von einem göttlichen Ganzen fortgeschritten, in dem wir leben, uns bewegen und unser Sein haben, und mit dem wir uns im Bewusstsein eins wissen. Wir erkennen uns als göttlich. Die Söhne Gottes haben einer nach dem andern ihr Erbe angetreten und gefunden, dass sie für den Weltplan empfänglich sind. Sie haben sich durch beständige Kontemplation das geistige Rüstzeug geschaffen, um als Interpreten des Universalen Denkens und als Vermittler zwischen der nicht-telepathischen Masse und dem ewigen Brunnen der Weisheit zu fungieren. Auf die Erleuchteten in der Welt, auf die intuitiven Denker aller Wissensgebiete, und auf die telepathischen und inspirierten Übermittler können das beste Wissen der heutigen Menschheit, der Ursprung der grossen Weltreligionen und die Triumphe der Wissenschaft zurückgeführt werden.

Diese telepathische Übermittlung darf jedoch nicht mit Mediumschaft oder mit der Unmenge sogenannter inspirierter Schriften, die uns jetzt (166) überschwemmen, verwechselt werden. Die meisten dieser Mitteilungen sind mittelmässigen Charakters und bringen weder etwas Neues noch Botschaften, die den Menschen einen Schritt weiter in das Neue Zeitalter führen, oder die seine Schritte auf der Stufenleiter zu den Himmlischen Stätten leiten können. Das Schöpfen aus dem Unbewussten und die Bekundungen einer achtbaren, hochstehenden Denkungsweise erklären zu achtundneunzig Prozent das jetzt erscheinende Material. Daraus ist zu ersehen, dass der Mensch bereits viel erreicht hat und dabei ist, sich zu einer harmonischen Einheit zu formen. Die Wirksamkeit der Intuition oder die Fähigkeit geistiger Telepathie sind aber nicht zu erkennen. Die Menschen müssen sehr genau zwischen Intuition und Instinkt, zwischen Intellekt in seinen niederen Aspekten und höherem oder abstraktem Denken unterscheiden. Die Grenzlinie zwischen inspirierten Äusserungen einer Seele, die mit der Wirklichkeit (Realität) oder mit anderen Seelen Kontakt hat, und den Gemeinplätzen einer angenehmen und kultivierten Denkungsart muss gewahrt bleiben.

Die Wirkung des Illuminationsvorganges auf die emotionelle Natur äussert sich in zweifacher Art und mag es auch paradox erscheinen in zwei einander vollständig entgegengesetzten Formen. Bei manchen Menschen bewirkt er die Besänftigung der Natur, so dass alle Besorgnisse und weltliche Unruhen aufhören und der Mystiker in jenen Frieden eingeht, der die Vernunft überschreitet. Er kann dann sagen:

In mir ist eine Flamme, die

Vom Schatten der Jahre unberührt, bewegungslos verharrte.

Sie kennt weder Liebe noch Lachen, nicht Hoffnung oder Furcht;

Nicht törichtes Aufwallen des Bösen, noch die Trunkenheit des Guten, Ich fühle keinen Hauch der Winde, die sich zusammenballen,

Kein Flüstern hör' ich der Gezeiten, die sich wenden;

Ich webe nicht Gedanken der Leidenschaft, noch der Tränen;

Ich bin nicht mehr durch Zeit und durch Gepflogenheit gebunden,

(167) Ich kenne nicht Geburt, noch Tod, der Erstarrung bringt.

Ich fürchte nicht das Schicksal, noch den Brauch,

Nicht Ursach', noch Bekenntnis.

Den Schlummer aller Berge werd' ich überdauern,

Die Knospe bin ich, Blume und auch Saat,

Denn ich erkenne, dass von allem, was ich sehe,

Ein Teil ich bin, und dieser meine Seele ist».

Im Gegensatz dazu kann Erleuchtung zur mystischen Ekstase führen, jenem Emporheben und Ausgiessen des Herzens zur Gottheit hin, worüber unsere mystische Natur ununterbrochen Zeugnis gibt. Sie ist ein Zustand der Verzückung und freudiger Gewissheit hinsichtlich der empfundenen Wirklichkeiten. Sie trägt den Verzückten auf den Flügeln der Gottseligkeit aufwärts, so dass ihn zeitweilig wenigstens nichts berühren oder verletzen kann. Bildlich gesprochen, sind die Füsse beflügelt, um dem Geliebten entgegenzueilen, und die Wechselwirkung zwischen dem Liebenden und dem Geliebten ist sehr stark; immer aber bleibt das Gefühl von Dualität, von etwas anderem oder von etwas über das Erreichte Hinausgehendem gegenwärtig. Das muss so lange als möglich im Bewusstsein festgehalten werden, andernfalls entschwindet die ekstatische Vision, die Wolken verhüllen wiederum die Sonne, und die Welt mit all ihren Sorgen verfinstert den Himmel. In dem Buch «Mystik» heisst es, dass Ekstase - physisch betrachtet - ein Trance-Zustand ist. Sie ist ein Zustand der Verzückung und kann sowohl gut als auch schlecht (oder gefährlich) sein. Evelyn Underhill zitiert Pater Maleval wie folgt:

(168)
«Die grossen Gelehrten des mystischen Lebens sagen, dass es zwei Arten von Verzückung gibt, die sorgfältig unterschieden werden müssen. Die erste Art tritt bei Menschen zutage, die auf dem Wege erst wenig fortgeschritten und noch voll Selbstsucht sind; sie kommt entweder durch die Kraft erhitzter Einbildung, die ein sinnlich wahrnehmbares Objekt intensiv erfasst, oder durch die Künste des Teufels zustande. ... Die andere Art Verzückung ist im Gegenteil die Folge einer rein intellektuellen Vision bei jenen, die eine grosse und hochherzige Liebe zu Gott besitzen. Gott unterlässt niemals, jenen edlen Seelen, die vollkommene Selbstverleugnung erreicht haben, in diesen Verzückungen hohe Dinge mitzuteilen».

Die gleiche Schriftstellerin berichtet ferner, was psychologisch gesehen Ekstase ist. «Das Aufgehen des Selbst in der einen Idee, in dem einen Verlangen, ist so tief, und im Fall der grossen Mystiker so leidenschaftlich, das alles andere ausgelöscht ist». Es ist bemerkenswert, wie sehr die Idee des Verlangens, des Gefühls und der Dualität den ekstatischen Zustand kennzeichnet. Leidenschaft, Hingabe und ein verzücktes Hindrängen zur Quelle der Erkenntnis sind stets vorhanden, daher muss der Erlebende sorgfältig unterscheiden lernen, damit diese Eigenschaften nicht krankhaft ausarten. Wir haben aber mit diesem Zustand sinnlicher und gefühlsmässiger Wahrnehmung im Grunde nichts zu tun. Unser hohes Ziel ist stetiges, mentales Verstehen und ständige mentale Beherrschung; dieser Zustand gehört nur den frühen Stadien der Erleuchtung an. Später wird man erfahren, dass wahre Erleuchtung alle solchen Reaktionen automatisch ausschaltet. Die Seele erkennt sich als von den Gegensatzpaaren Freude und Schmerz frei und steht im spirituellen (169) Sein. Die Linie oder der Kanal der Verbindung führt dann direkt und ausschliesslich von der Seele zum Denkvermögen, und von diesem zum Gehirn.

Wenn wir zur physischen Bewusstseinsebene und zur physischen Reaktion auf die in das Gehirn einströmende Erleuchtung kommen, zeigen sich gewöhnlich zwei vorherrschende Wirkungen: Ein Bewusstwerden oder Empfinden eines Lichtes im Kopf, und oft auch ein Ansporn zu ungewöhnlicher Tätigkeit. Der Mensch scheint von der ihn durchströmenden Energie angetrieben zu werden und seine Tage sind viel zu kurz für das, was er vollbringen möchte. Er wünscht so sehnlichst an dem Plan mitzuarbeiten, mit dem er in Berührung gekommen ist, dass seine Urteilsfähigkeit zeitweise beeinträchtigt ist; er arbeitet, spricht, liest und schreibt mit unermüdlicher Tatkraft, was aber sein Nervensystem dennoch erschöpft und seine Vitalität angreift. Alle, die auf dem Gebiete der Meditation gearbeitet und die Menschen in dieser Richtung zu schulen versucht haben, kennen diesen Zustand genau. Der Aspirant tritt in das Reich göttlicher Energien ein und entdeckt, dass er darauf intensiv reagiert; er empfindet seine Gruppenbeziehungen und -Verantwortlichkeiten und fühlt sich verpflichtet, sein Möglichstes zu tun, um ihnen gerecht zu werden. Dieses Verspüren eines ununterbrochenen Zustromes von Lebenskraft ist äusserst charakteristisch, denn die Koordinierung zwischen der Seele und ihrem Instrument, und die nachfolgende Reaktion des Nervensystems auf die Seelen- Energie ist so stark und exakt, dass man eine ziemliche Zeit braucht, um die notwendige Umstellung zu erlernen.

Eine zweite Wirkung ist - wie bereits bemerkt - das Erkennen (170) des Lichtes im Kopfe. Diese Tatsache ist so einwandfrei erwiesen, dass sie kaum einer Bekräftigung bedarf. Dr. Jung bezieht sich darauf in folgender Weise:

«Die Lichtvision ist ein vielen Mystikern gemeinsames Erlebnis das unzweifelhaft von höchster Bedeutsamkeit ist, denn in allen Zeiten und Zonen erweist es sich als das Unbedingte, das grösste Kraft und höchsten Sinn in sich vereinigt. Hildegard von Bingen, diese, ganz abgesehen von ihrer Mystik, bedeutende Persönlichkeit, drückt sich über ihre zentrale Vision ganz ähnlich aus. ,Seit meiner Kindheit', sagt sie, «sehe ich immer ein Licht in meiner Seele, aber nicht mit den äusseren Augen und auch nicht durch die Gedanken des Herzens; auch nehmen die fünf äusseren Sinne an diesem Gesicht nicht teil. ... Das Licht, das ich wahrnehme, ist nicht örtlicher Art, sondern ist viel heller als die Wolke, welche die Sonne trägt. Ich kann an demselben keine Höhe, Breite oder Länge unterscheiden. ... Was ich in einer solchen Vision sehe und lerne, das bleibt mir lange im Gedächtnis. Ich sehe, höre und weiss zugleich und lerne, was ich weiss, gleichsam im Augenblick. ... Ich kann an diesem Licht durchaus keine Gestalt erkennen, jedoch erblicke ich in ihm bisweilen ein anderes Licht, das mir das lebende Licht genannt wird. ... Während ich mich des Anschauens dieses Lichtes erfreue, verschwindet alle Traurigkeit und Schmerz aus meinem Gedächtnis ...».

«Ich selber kenne einige wenige Leute, die um dieses Erlebnis aus eigener Erfahrung wissen. Soweit es mir überhaupt gelang, über ein derartiges Phänomen etwas auszumachen, so scheint es sich um einen akuten Zustand eines ebenso intensiven als abstrakten Bewusstseins zu handeln, um ein "losgelöstes" Bewusstsein ... welches, wie Hildegard treffend andeutet, Gebiete des seelischen Geschehens zur Bewusstheit emporhebt, die sonst vom Dunkel bedeckt sind. Die Tatsache, dass in Verbindung damit öfters die körperlichen Allgemeinempfindungen schwinden, weist darauf hin, dass ihre spezifische Energie ihnen entzogen und wahrscheinlich zur Verstärkung der Bewusstseinshelle verwendet wird. (171) Das Phänomen ist in der Regel spontan, kommt und geht aus eigenem Antrieb. Seine Wirkung ist insofern erstaunlich, als es fast eine Lösung seelischer Komplikationen und damit eine Loslösung der inneren Persönlichkeit aus emotionalen und ideellen Verwicklungen hervorbringt und damit eine Einheit des Wesens erzeugt, welche allgemein als "Befreiung" empfunden wird».

Diese Worte kann jeder erfahrene Lehrer der Meditation unzweifelhaft bestätigen. Das Phänomen ist sehr bekannt und beweist sicherlich, dass eine enge physische Entsprechung zur mentalen Erleuchtung besteht. An hunderten von Fällen könnte dies bewiesen werden, wenn die Betreffenden bereit wären, ihre Erlebnisse zu berichten, aber die meisten schrecken aus Scheu vor dem Spott und Zweifel derer, die nur wenig wissen, davor zurück. Dieses Licht im Kopfe nimmt verschiedene Formen an, und seine Entwicklung erfolgt oft stufenweise. Zuerst wird ein zerstreutes Licht wahrgenommen, manchmal ausserhalb des Kopfes, später bei tiefer Versunkenheit oder Meditation im Gehirn. Es konzentriert sich dann immer mehr und ähnelt wie manche es beschreiben einer strahlenden, stark glänzenden Sonne. Wiederum später erscheint im Zentrum dieser Strahlung ein Punkt lebhaften «elektrisch blauen Lichtes» (vielleicht jenes vorher erwähnte «lebendige Licht»), und von diesem führt ein goldener Lichtstrahl nach aussen. Manchmal wurde diese Erscheinung «der Pfad» genannt und es besteht die Möglichkeit, dass der Prophet nicht nur symbolisch sprach, wenn er sagte: «Der Pfad des Gerechten ist ein strahlendes Licht, das immer heller leuchtet bis zum ersehnten Tag».

Dieses Licht im Kopfe, das eine allgemeine Begleiterscheinung der Erleuchtung zu sein scheint, (172) ist wahrscheinlich auch der Ursprung des Heiligenscheines, der auf den Bildern die Köpfe der Grossen Erleuchteten umgibt.

Viel Forschungsarbeit bleibt diesbezüglich noch zu tun übrig, und viel Zurückhaltung und Vorurteil muss überwunden werden. Viele aber beginnen ihre Erlebnisse aufzuzeichnen, und das sind nicht die Geistesgestörten der menschlichen Rasse, sondern angesehene und tatkräftige Persönlichkeiten aus den verschiedensten Gebieten menschlicher Bestrebungen. Es mag vielleicht bald die Zeit kommen, in der die Tatsache der Erleuchtung als ein natürlicher Vorgang, und das Licht im Kopfe als Anzeichen dafür angesehen wird, dass tatsächlich ein Stadium harmonischer Ausgeglichenheit und Wechselwirkung zwischen der Seele, dem geistigen Menschen, und dem Menschen auf der physischen Ebene erreicht wurde. Sobald dies der Fall ist, werden wir unsere menschliche Evolution bis zu dem Punkt gebracht haben, wo Instinkt, Intellekt und Intuition vom geschulten und voll ausgebildeten Menschen nach Belieben gebraucht, und das «Licht der Seele» auf jedes Problem gerichtet werden kann. So wird sich die Allwissenheit der Seele auf Erden manifestieren.

Ich möchte dieses Kapitel mit einigen Worten sowohl eines Hindu-Mystikers als auch eines modernen christlichen Mystikers beschliessen, die typische Beispiele für die beiden Gesichtspunkte des Mystikers und des Wissenden sind. Der Hindu sagt:

«Brahmins werden nur jene genannt, in denen ein inneres Licht wirkt ... die menschliche Seele ist eine Lampe, die nicht mit einem Scheffel zugedeckt ist. Die Lampe strahlt nicht das Licht des Fleisches, sondern mentales Licht aus, um die ganze Menschheit zu erleuchten, und ist daher der Lichtstollen für die Weltseele. Die Strahlen des Mentallichtes verhelfen der ganzen Menschheit zu mentalem Wachstum und zu Bewusstseinserweiterung; die Lampe ist daher einer der (173) ewigen Welt-Brahmins. Sie gibt der Welt Licht, nimmt aber nichts von dem, was die Welt zu geben hat».

Der Christ schreibt:

«Ich sah ein Leben entflammt von Gott!

Mein Vater, gib mir

Die Segnung eines Lebens, von Gott verzehrt,

Dass ich leben möge für Dich!

Ein Leben des Feuers! Ein Leben entflammt von Gott!

Erleuchtet von den Feuern pfingstlicher Liebe!

Ein Leben im Feuer! Brennend in Liebe zu Menschen,

Entzündet von oben durch göttliches Mitleid!

Ein brennendes Leben, das Gott nehmen und enden lassen kann

Im Hause, auf der Strasse, wo immer er will,

Um ein anderes Leben für Ihn zu entzünden,

Und so das Feuer stets weiter zu verbreiten».

Dann werden wir das endgültige Stadium des Meditationsprozesses, das wir Inspiration nennen, bezeugt haben. Diese Möglichkeit eines solchen Lebens wird von den Grossen aller Zeiten bezeugt. Sie erkannten sich als Söhne Gottes und brachten diese Erkenntnis in physischer Inkarnation zu voller Verwirklichung. Sie sind inspirierte Verkünder der Realität der Wahrheit, der Unsterblichkeit der Seele und der Tatsache des Reiches Gottes. Sie sind Lichter an dunklen Plätzen, um den Rückweg zu dem Vaterhaus zu erleuchten.