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Dritter Teil - Das Ende der Verblendung – Teil 1

Dritter Teil

Das Ende der Verblendung

Wir kommen [161] jetzt zum dritten Teile unserer Betrachtung der Weltverblendung. Klar darüber zu schreiben, ist deshalb schwer, weil wir uns inmitten ihrer schärfsten Ausdrucksform befinden - der schlimmsten, welche die Welt jemals erlebt hat, weil die durch Jahrhunderte der Habgier und Selbstsucht, Angriffslust und Materialismus bedingte Verblendung in einem Dreigestirn von Nationen ihren Brennpunkt gefunden hat. Sie ist deshalb leicht erkennbar und äusserst wirkungsvoll in ihrer Manifestation. Drei Nationen drücken die drei Aspekte der Weltverblendung (Illusion, Verblendung und Maya) in erstaunlicher Weise aus, [während des zweiten Weltkrieges] und ihr mächtiger Ansturm auf auf das Bewusstsein der Menschheit hängt nicht nur davon ab, wie Deutschland, Japan und Italien auf diesen uralten Krankheitsstoff reagieren, sondern auch von der Tatsache, dass jede Nation - die Vereinten sowohl als auch die totalitären Nationen - die Ansteckungssymptome dieses universellen Zustandes aufweist. Die Freiheit der Welt hängt deshalb weitgehend von jenen Menschen in jeder Nation ab, die sich (innerlich) aus einer oder der anderen dieser «trügerischen Illusionen und Maya-Impressionen» der Menschenseele freigemacht und zu einem Gewahrseinszustand durchgedrungen haben, in welchem sie den Konflikt in seinem grösseren Ausmass zu erschauen vermögen, nämlich als den Konflikt zwischen dem Hüter der Schwelle und dem Engel der GEGENWÄRTIGKEIT.

Diese Menschen sind die Aspiranten, Jünger und Eingeweihten der Welt. Sie kennen und erkennen den Dualismus, den wesentlichen Dualismus des Konfliktes durchaus, weniger die dreifache Natur und die äusseren Veränderungen der Situation, die dem von ihnen erkannten Dualismus zugrunde liegen. Ihre Einstellung zu diesem Problem [162] ist deshalb eine einfachere und aus diesem Grund liegt die Weltlenkung zurzeit hauptsächlich in ihren Händen.

Gerade an dieser Stelle hat Religion im grossen Ganzen versagt. Ich beziehe mich dabei auf die orthodoxe Religion. Sie hat sich zu sehr mit dem Hüter der Schwelle beschäftigt; der Theologe hat sein Augenmerk auf den materiellen Erscheinungsaspekt des Lebens gerichtet, aus reiner Furcht und im Bann des Unmittelbaren, während der Engel blosse Theorie und Gegenstand wunscherfüllten Denkens blieb. Das Gleichgewicht wird allmählich durch humanitäre Bestrebungen hergestellt, die in so hohem Mass und ohne Rücksicht auf irgendwelche theologischen Tendenzen zur Geltung kommen. Diese Bestrebungen fussen auf dem Glauben an die eingeborene Rechtschaffenheit des menschlichen Geistes, auf dem Glauben an das Göttliche im Menschen sowie auf der Unzerstörbarkeit der Menschenseele. Dadurch entsteht unvermeidlich der Begriff der GEGENWÄRTIGKEIT oder des Immanenten Gottes, als Folge einer notwendigen Auflehnung gegen den Glauben an den Transzendenten Gott. Diese geistige Revolution war lediglich ein Ausgleichsbestreben, das zu keinen grundsätzlichen Befürchtungen Anlass gibt, denn der Transzendente Gott besteht in alle Ewigkeit; er kann aber nur durch den Immanenten Gott erschaut, erkannt und richtig erreicht werden, durch den Gott, der im einzelnen Menschen, in Gruppen und Nationen, in organisierten Formen und in der Religion, in der Menschheit als Ganzem und im planetarischen Leben selbst immanent ist. Die Menschheit steht heute (und stand seit altersher) im Kampf gegen Illusion, Verblendung und Maya. Fortgeschrittene Denker (auf dem Probepfad, auf dem Pfad der Jüngerschaft und der Einweihung) haben einen Punkt erreicht, auf dem Materialismus und Geistigkeit, der Hüter der Schwelle und der Engel der GEGENWÄRTIGKEIT und der grundlegende Dualismus der Manifestation in klaren Umrissen erkennbar sind. Diese Klarheit der Abgrenzungen ermöglicht eine ebenso klare Erkenntnis und Einschätzung der Probleme, die den derzeitigen Weltereignissen zugrunde liegen, der Ziele des heute weltumspannenden Kampfes, der Mittel und Wege zur Wiederherstellung des zurzeit der Atlantis so vorherrschenden und seitdem verlorenen [163] geistigen Kontaktes sowie der Methoden, deren Anwendung geeignet ist, die neue Weltära und ihre kulturelle Ordnung einzuleiten.

Alle Verallgemeinerungen enthalten Irrtümer. Immerhin lässt sich sagen, dass Deutschland die Weltverblendung - den mächtigsten und ausdrucksvollsten der drei Verblendungs-Aspekte - in sich konzentriert hat. Japan manifestiert die Kraft der Maya - die gröbste Form materieller Kraft. Das individualistische und mental polarisierte Italien ist der Ausdruck der Weltillusion. Die Vereinten Nationen, mit all ihren Fehlern, Beschränkungen, Schwächen und Nationalismen, bilden den Brennpunkt des Konfliktes zwischen dem Hüter und dem Engel; somit treten die drei Ausdrucksformen der Verblendung und die Endform des Konfliktes zwischen dem geistigen Ideal und seinem materiellen Gegenpol gleichzeitig in Erscheinung. Die Vereinten Nationen verlagern jedoch den Schwerpunkt ihrer Bemühungen und Bestrebungen allmählich und mit grösster Entschiedenheit auf die Seite des Engels, wodurch sie das verlorene Gleichgewicht wiederherstellen und auf planetarischer Basis langsam jene Merkmale und Bedingungen schaffen, die am Ende die Illusion vertreiben, Verblendung verscheuchen und der vorherrschenden Maya die Kraft entziehen werden. Das kommt dadurch zustande, dass die Gedanken und Überlegungen der zum Sieg über die drei Achsenmächte verbundenen Nationen immer klarer werden und dass die Vereinten Nationen in zunehmendem Mass fähig werden, Ideen im Sinn des Ganzen zu erfassen und zwischen den Kräften des Lichts und der Macht des Bösen (oder des Materialismus) kritisch zu unterscheiden.

Die Aufgaben derer, die das Welttheater als den Kampfplatz zwischen dem Hüter der Schwelle und dem Engel der GEGENWÄRTIGKEIT betrachten, liessen sich im einzelnen wie folgt aufzählen:

1. Die Schaffung solcher Voraussetzungen, die es den Kräften des Lichtes ermöglichen, die Kräfte des Bösen zu überwinden. Das können sie durch das Gewicht ihrer bewaffneten Macht sowie durch ihre klare Einsicht bewerkstelligen.

2. Die Menschheit [164] zu lehren, die Unterschiede zu erkennen zwischen:

a. Geistigkeit und Materialismus; die verschiedenen Ziele der sich bekämpfenden Mächte müssen klargemacht werden.

b. Der Bereitwilligkeit, miteinander zu teilen und der Habgier; es soll das Bild einer zukünftigen Welt gezeigt werden, in der die Vier Freiheiten vorherrschen und alle das haben werden, wessen sie zu einem normalen Leben bedürfen.

c. Licht und Dunkelheit, gemessen am Unterschied zwischen einer erleuchteten Zukunft der Freiheit mit ihren grossen Möglichkeiten und der düsteren Zukunft allgemeiner Versklavung.

d. Gemeinschaft und Absonderung, im Sinne einer Weltordnung, in der Rassenhass, Kastengeist und Glaubensunterschiede einer internationalen Verständigung nicht länger im Weg stehen werden, im Gegensatz zur Ordnung der Achsenmächte mit ihren Herrenrassen, religiösen Vorurteilen und Sklavenvölkern.

e. Dem Ganzen und dem Teil, im Hinblick auf die (unter dem evolutionären Drang des Geistes) herannahende Zeit, in welcher der Teil oder Lebensfunke die Verantwortung für das Ganze übernimmt und in der das Ganze nur zum Wohl des Teiles da ist.

Der dunkle Aspekt ist das Produkt von Jahrhunderten der Verblendung. Das Licht wird betont und erklärt von den Weltaspiranten und Jüngern, die durch ihre Einstellung und ihr Handeln, durch Wort und Schrift Licht in die dunklen Stätten hineinleuchten lassen.

3. Die Wege zu bahnen für die drei geistigen Energien, welche die Menschheit mit sich fortreissen werden in ein Zeitalter allgemeinen Verstehens; das wird zu einer wesentlichen Klärung des menschlichen Denkens in der ganzen Welt führen. Diese drei Energien sind:

a. Die Energie der Intuition, welche [165] die Weltillusion allmählich vertreiben und automatisch die Reihen der Eingeweihten erheblich verdichten wird.

b. Die Wirksamkeit des Lichtes, die vermittels der Energie der Erleuchtung die Weltverblendung zerstreuen und viele Tausende auf den Pfad der Jüngerschaft bringen wird.

c. Die Energie der Inspiration, die durch ihre ungestüme Wirksamkeit die Anziehungskraft der Maya oder Substanz unwirksam machen und sie wie ein Windstoss hinwegfegen wird. Das wird ungezählte Tausende auf den Probepfad bringen.

4. Die Freilassung neuen Lebens, damit es auf allen verfügbaren Wegen in den Planeten einströmen kann. Das erfordert erstens, dass die Macht des Materialismus durch die totale Niederlage der Achsenmächte tatsächlich gebrochen ist und zweitens (nachdem dies geschehen ist), dass die Vereinten Nationen imstande sind, die Wirkungskraft geistiger Werte dadurch zu demonstrieren, dass sie konstruktive Massnahmen zur Wiederherstellung der Weltordnung treffen und die nötigen Grundlagen schaffen, die ein besseres und in höherem Mass vergeistigtes Leben gewährleisten. Diese konstruktive Einstellung und Tatbereitschaft muss sowohl von jeder Einzelperson für sich, als auch von den einzelnen Nationen in ihrer Gesamtheit anerkannt und bekräftigt werden. Die erste Bedingung wird bereits geschaffen, die zweite bleibt noch zu erfüllen.

5. Den Nationen der Welt eindringlich die Wahrheiten vorzustellen, die von Buddha, dem Herrn des Lichtes und von Christus, dem Herrn der Liebe, gelehrt wurden. In diesem Zusammenhang könnte man grundsätzlich folgendes sagen:

a. Die Achsenmächte müssen die Lehren des Buddha begreifen lernen, die Er in den Vier Edlen Wahrheiten aussprach; sie [166] müssen erkennen, dass die Ursache alles Leidens und aller Pein im Wünschen liegt - im Verlangen nach materiellen Dingen.

b. Die Vereinten Nationen müssen das Gesetz der Liebe anwenden lernen, wie es im Leben Christi Ausdruck fand; sie müssen der Wahrheit Nachdruck verleihen, dass «kein Mensch für sich selber lebt», auch keine Nation und dass das Ziel allen menschlichen Bemühens liebevolles Verstehen ist, das auf einem Programm der Liebe zur Gesamtheit beruht.

Wenn die Lebensprinzipien und die Lehren dieser beiden grossen Avatare richtig verstanden und erneut im Leben und Denken der heutigen Menschen, im Weltgeschehen und im täglichen Leben verwirklicht werden würden, dann könnte die gegenwärtige Weltordnung (die heute hauptsächlich aus Unordnung besteht) so umgewandelt und verändert werden, dass allmählich eine neue Welt und eine neue Menschenrasse in die Erscheinung treten würde. Verzicht und Opferwille sollten das Leitmotiv bilden für die Zwischenzeit nach dem Krieg und bis zum Anbruch des Neuen Zeitalters.

Man sollte beachten, dass das uralte Symbol für jede Manifestation und jede Krise ein Punkt innerhalb eines Kreises ist, der Kraft-Brennpunkt innerhalb einer Einflusssphäre oder einer Aura. So steht es heute mit dem Gesamtproblem der Beendigung der Weltverblendung und Illusion, welche die eigentlichen Ursachen der akuten Krise und katastrophalen Weltlage sind. Die Möglichkeit einer solchen Beendigung und Zerstreuung konzentriert sich ganz klar auf die beiden Avatare Buddha und Christus.

Innerhalb der Welt der Verblendung - der Welt der Astralebene und der Gefühle - erschien ein Lichtpunkt. Buddha, der Herr des Lichtes, übernahm die Aufgabe, in sich die Erleuchtung zusammenzufassen, die mit der Zeit die Zerstreuung der Verblendung möglich machen sollte. Innerhalb der Welt der Illusion - der Welt der Mentalebene - erschien Christus, der Herr der Liebe, [167] der in sich die Macht des anziehenden Willens Gottes verkörperte. Er übernahm die Aufgabe, die Illusion dadurch zu vertreiben, dass er (kraft seiner Liebe) die Herzen aller Menschen an sich zog; und er drückte diesen Entschluss mit den Worten aus: «Und ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, so will ich alle Menschen zu mir ziehen.» (Ev. Joh. 12, 32). Von dem Standpunkt aus, den sie dann erreicht haben werden, wird die Welt geistiger Wahrnehmung, die Welt der Wahrheit und der göttlichen Ideen unverhüllt dastehen. Das Resultat wird das Verschwinden der Illusion sein.

Das vereinte Wirken dieser beiden grossen Gottessöhne, gestützt auf die Weltjünger und ihre Eingeweihten, muss und wird unvermeidlich die Illusion zerschellen und die Verblendung zerstreuen - erstere durch die intuitive Erkenntnis der Wirklichkeit seitens der auf sie eingestellten Denker und letztere durch das Einströmen des Lichtes der Vernunft. Der Buddha machte den ersten planetarischen Versuch, die Weltverblendung zu zerstreuen; Christus machte den ersten planetarischen Versuch, die Illusion zu vertreiben. Ihr Werk muss jetzt von einer Menschheit fortgesetzt werden, die weise genug ist, ihr Dharma zu erkennen. Die Menschen werden jetzt sehr rasch ihrer Illusion beraubt; infolgedessen werden sie alles viel klarer sehen. Die Weltverblendung verschwindet immer mehr aus dem Leben der Menschen. Beide Entwicklungen verdanken wir dem Einströmen neuer Ideen, die von den intuitiven Menschen der Welt erfasst und von grossen Denkern der breiten Masse dargestellt werden. Dabei hilft in hohem Masse die nahezu unbewusste, aber nichtsdestoweniger tatsächliche Erkenntnis der wahren Bedeutung dieser Vier Edlen Wahrheiten aufseiten der Masse. Der Illusion und Verblendung beraubt, erwartet die Menschheit die kommende Enthüllung. Diese Enthüllung wird durch das vereinte Bemühen von Buddha und Christus zustande kommen. Über diese Enthüllung können wir nur soviel voraussehen und voraussagen, dass gewisse mächtige und weitreichende Wirkungen durch die Verschmelzung von Licht und Liebe sowie durch die Reaktion «erleuchteter Substanz auf die Anziehungskraft der Liebe» erzielt werden sollen. In diesem Satze habe ich denen, die ihn verstehen [168] können, einen tiefgründigen und nützlichen Wink in bezug auf die Methode und den Zweck des Unternehmens gegeben, das zurzeit des Junivollmondes 1942 ins Werk gesetzt wurde. Auch habe ich damit einen Schlüssel geliefert zum wahren Verständnis für das Werk dieser Avatare - woran es bislang durchaus mangelte. Ich möchte noch folgendes hinzufügen: Erst, wenn die Bedeutung der Worte «Verklärung des menschlichen Wesens» voll gewürdigt wird, kommt es zur Erkenntnis, dass wenn «der Körper voller Licht» ist, wir «in diesem Licht das LICHT erschauen» werden. Das bedeutet: Wenn die Persönlichkeit einen hohen Grad der Läuterung, Hingabe und Erleuchtung erreicht hat, dann kann die Anziehungskraft der Seele (deren Natur Liebe und Verständnis ist) wirksam werden und die Verschmelzung dieser beiden stattfinden. Das ist es, was Christus bewies und praktisch vorführte.

Wenn das Werk des Buddha (oder des verkörperten, buddhischen Prinzips) im aufstrebenden Jünger und in seiner integrierten Persönlichkeit vollendet ist, dann kann das Werk Christi (des verkörperten Prinzips der Liebe) zu ebenso vollendetem Ausdruck gelangen und es werden sich diese beiden Wirkkräfte - Licht und Liebe - im verklärten Jünger strahlend manifestieren. Was vom Individuum gilt, gilt auch von der Gesamtmenschheit; und da die Menschheit zur Reife gelangt ist, kann sie jetzt an die Realisierung herangehen und sich bewusst am Werk der Erleuchtung und geistiger, liebevoller Aktivität beteiligen. Die praktischen Auswirkungen dieser Handlungsweise werden sein: Zerstreuung der Verblendung und die Erlösung des Menschengeistes aus der Knechtschaft der Materie; ausserdem wird diese Tat zur Vertreibung der Illusion und zur Erkenntnis der Wahrheit führen, wie sie im Bewusstsein derer besteht, die im «Gewahrsein Christi» polarisiert sind.

Dabei handelt es sich notwendigerweise nicht um einen schnellen, sondern um einen ordnungsmässigen und geregelten Vorgang, dessen Enderfolg gesichert ist, der aber zu seiner Einleitung und zu seinem weiteren Verlauf verhältnismässig viel Zeit braucht. Er wurde auf der Astralebene von Buddha und auf der Mentalebene zu [169] der Zeit eingeleitet, als Christus sich auf Erden manifestierte. Er deutete auf die herannahende Reife der Menschheit hin. Er beschleunigte sich allmählich in dem Mass, wie diese beiden grossen Wesen während der letzten zweitausend Jahre Ihre Jünger und Eingeweihten um sich sammelten. Er hat sich schliesslich als äusserst nützlich erwiesen, weil er die Verbindung zwischen Shamballa und der Hierarchie eröffnete und erweiterte und weil er den Kontakt zwischen diesen beiden grossen Zentren und der Menschheit noch mehr festigte.

Die Gradlinigkeit der Verbindung zwischen dem Zentrum, wo der Wille Gottes thront, dem Zentrum, wo die Liebe Gottes waltet und dem Zentrum intelligenter Erwartung wurde zurzeit des Juni-Vollmondes 1942 erstmalig auf die Probe gestellt. Ermöglicht wurde diese Probe durch das vereinte Bemühen Christi, Buddhas und derer, die auf ihren gemeinsamen Einfluss reagierten. Diese Probe musste inmitten eines furchtbaren Ansturms der Mächte des Bösen durchgeführt werden und erstreckte sich über die zwei Wochen vom Tag des Vollmondes (30. Mai 1942) bis zum 15. Juni 1942. In dieser Zeit kam es zu einer grossen Konzentration Geistiger Kräfte und es wurde eine besondere Invokation angewendet (die von der Menschheit selbst nicht benutzt werden darf); aber der Erfolg oder Misserfolg der Probe wurde im letzten Grunde von der Menschheit selbst bestimmt.

Man mag, wenn auch zu Unrecht, das Gefühl haben, dass es nicht genug Menschen gibt, die etwas von der gebotenen Gelegenheit wissen oder die verstehen, was da vor sich geht. Der Erfolg einer solchen Probe hängt jedoch nicht vom esoterischen Wissen der wenigen, der verhältnismässig wenigen, ab, die über die Tatsachen und ihre Bedeutung teilweise unterrichtet waren. Er hängt auch von der Tendenz der vielen ab, die unbewusst nach den geistigen Wirklichkeiten streben, die nach einer neuen und besseren Lebensweise für alle Menschen suchen, die das Wohl des Ganzen anstreben und [170] deren Sehnen und Wünschen nach wirklicher Erfahrung des Guten, nach rechten, menschlichen Beziehungen und nach geistiger Betätigung unter den Menschen trachtet. Ihre Zahl ist Legion und man findet sie in jeder Nation.

Wenn der in Shamballa ausgedrückte und im Buddha konzentrierte Wille Gottes, wenn die in der Hierarchie ausgedrückte und in Christus konzentrierte Liebe Gottes und das in den Weltjüngern, Weltaspiranten und Menschen guten Willens zusammengefasste intelligente Verlangen der Menschheit alle miteinander in Einklang gebracht werden - sei es bewusst oder unbewusst -, dann kann und wird eine grosse Neuorientierung stattfinden. Es ist ein Ereignis, das im Bereich der Möglichkeit liegt.

Das erste Resultat wird die Erleuchtung der Astralebene und der Beginn des Vorganges sein, der die Verblendung zerstreuen wird; das zweite Resultat wird die Durchstrahlung der Mentalebene und die Vertreibung aller Illusionen der Vergangenheit sein, ferner die schrittweise Enthüllung neuer Wahrheiten, für die alle früheren Ideale und sogenannten Formulierungen der Wahrheit blosse Wegweiser waren. Diese Feststellung sollte durchdacht werden. Der Wegweiser deutet eine Richtung an; er enthüllt nicht das Ziel. Er ist ein Hinweis, aber nichts Endgültiges. So verhält es sich auch mit aller Wahrheit bis zur heutigen Zeit.

Es besteht also Bedarf an Wissenden und solchen Menschen, die in ihrem Denken und in ihren Herzen aufgeschlossen sind; die frei von vorgefassten und fanatisch verfochtenen Ideen sind; frei von althergebrachten Idealen, die doch nur als teilweise Andeutungen grosser, noch unverwirklichter Wahrheiten gelten können - Wahrheiten, die weitgehend und zum ersten Mal wirklich erkannt werden können, WENN die Menschen die nötigen Lehren aus der jetzigen Weltlage und aus der Katastrophe des Krieges ziehen und den Opferwillen einsetzen.

Ich habe auf die praktische Anwendbarkeit der Lehren über Verblendung, Illusion und Maya deshalb hingewiesen und dafür aktuelle Beispiele angeführt, weil das ganze Weltproblem heute auf einem Krisenpunkt angelangt ist und weil seine Klärung den [171] Hauptgegenstand des gesamten - pädagogischen, religiösen und wirtschaftlichen - Fortschrittes bis 2025 A.D. bilden wird.

Im folgenden wollen wir die praktischen Mittel und Wege betrachten, wie Illusion, Verblendung und die Kraft der Maya im Leben des Einzelnen, dann im Leben der Nationen und schliesslich in der Welt beendet werden können. Wir müssen stets mit der Lebenseinheit, dem Mikrokosmos, beginnen; nachdem wir den Vorgang und Fortschritt in bezug auf den Einzelnen erfasst haben; können wir die Idee sodann auf die Gruppe, die Organisation, die Nation und die Menschheit als Ganzes ausdehnen. Auf diese Weise werden wir langsam der grossen Idee näher kommen, die wir Gott, den Makrokosmos nennen.

In diesem Abschnitt wollen wir uns mit technischen Methoden beschäftigen; sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Die Technik der Gegenwärtigkeit. Vermittels dieser Technik übernimmt die Seele die Kontrolle über die integrierte Persönlichkeit und über deren horizontale und vertikale Beziehungen. Diese Technik umfasst die Entfaltung der Blüte der Intuition, welche die Illusion verscheucht, den Engel enthüllt, die Gegenwärtigkeit anzeigt und dem Jünger die Welt der Ideen und die Pforte zu den höheren Einweihungen eröffnet. Dadurch, dass der Jünger diese göttlichen Ideen oder Saatgedanken erfasst und anwendet, wird er eingeweiht und die dritte Einweihung wird zum unmittelbar erreichbaren Ziel. Die Intuition ist die angewandte Kraft der Verklärung. Diese Technik steht mit dem wenig bekannten Yoga in Beziehung, der Agni Yoga oder der Yoga des Feuers genannt wird.

2. Die Technik des Lichtes. Vermittels dieser Technik übernimmt das erleuchtete Denken die Kontrolle über den astralen oder Gefühlskörper und zerstreut die Verblendung. Wenn Licht einströmt, verblasst die Verblendung. Erleuchtung herrscht vor und die Vision [172] der Wirklichkeit wird erlebt. Diese Technik steht mit dem Raja Yoga in Verbindung, ihr Ziel ist die zweite Einweihung; sie erwirkt die Fähigkeit, den Pfad der Jüngerschaft zu betreten und ermöglicht es dem Menschen, «ein durch Göttlichkeit erleuchtetes Leben zu führen.» Erleuchtung ist die angewandte Kraft der Verwandlung.

3. Die Technik der Indifferenz. Vermittels dieser Technik wird Maya beendet; denn die Kontrolle des geläuterten, astralen Trägers wird bewusst und praktisch zur Anwendung gebracht, wodurch die Energien des ätherischen Körpers von der Kontrolle der Materie oder Kraftsubstanz befreit und Menschen in grosser Zahl auf den Probepfad gebracht werden. Wo «göttliche Indifferenz» gegenüber dem Lockruf oder der Anziehungskraft der Materie vorhanden ist, wird Inspiration möglich. Diese Technik steht mit Karma Yoga in seiner praktischsten Form in Verbindung und bedingt die Verwendung von Materie mit vollendeter Unpersönlichkeit. Das Ziel dieser Technik ist die erste Einweihung, die es dem Menschen möglich macht, «ein von Gott inspiriertes Leben zu führen». Inspiration ist die angewandte Kraft der Übermittlung.

1. DIE TECHNIK DER GEGENWÄRTIGKEIT.

Zu Beginn unserer Betrachtung dieses Themas muss der Schüler dreierlei im Auge behalten: das Bestehen der Intuition, die Tatsache der Illusion und die überschattende Gegenwärtigkeit. Die Gegenwärtigkeit wird durch die Intuition vermittels des Engels enthüllt und wenn sie enthüllt und erkannt ist, dann bringt sie die Illusion zu Ende.

Illusion darf nicht mit Verblendung verwechselt werden, denn sie bezieht sich auf den Gesamtvorgang der Enthüllung. Verblendung bezieht sich möglicherweise, ja sogar oft auf die Entstellung dessen, was enthüllt worden ist; man darf aber nicht vergessen, dass Illusion in erster Linie mit der Reaktion des Denkens auf die sich entfaltende Enthüllung zu tun hat, mit der die wahrnehmende [173] Seele den höchsten Aspekt des persönlichen, niederen Selbstes zu beeindrucken sucht. Illusion ist demnach das Unvermögen des Denkens, in der richtigen Weise das wahrzunehmen, zu deuten oder zu übersetzen, was übermittelt worden ist; sie ist deshalb eine Sünde (wenn dem Leser an diesem Wort etwas gelegen ist) der intelligenten und hochentwickelten Menschen, eine Sünde derer, die sich auf dem Pfad befinden und im Begriff stehen, ihr richtiges Ziel ins Auge zu fassen; sie ist auch eine Sünde jener akzeptierten Jünger, die infolge des erlangten Seelenkontaktes ihr Bewusstsein zu erweitern trachten. Wenn sie die «Illusion durchschaut» haben (und ich gebrauche diesen Ausdruck in seinem esoterischen Sinne), dann sind sie reif für die dritte Einweihung.

Unser Thema ist also das der Enthüllung, und ich möchte einige allgemeine Betrachtungen darüber anstellen, denn dadurch lässt sich das Problem der Weltillusion und nebenbei auch das Problem individueller Illusion klären.

Die Entfaltung menschlichen Gewahrseins hat im Lauf der Jahrtausende stetige Fortschritte gemacht und dabei ist sie von zwei hauptsächlichen und miteinander verbundenen Faktoren abhängig gewesen. Diese beiden Faktoren sind:

1. Die stufenweise Entwicklung des menschlichen Denkens durch die fortschreitende Evolution selbst. Man könnte dies als die eingeborene Fähigkeit dessen betrachten, was wir Denkvermögen, Chitta oder Gedankenstoff nennen, auf den Ansturm der Erscheinungswelt und auf die aus höheren Welten kommenden Impressionen in zunehmendem Mass zu reagieren. Das Denkvermögen ist das Werkzeug, das den Vorgang des «Werdens» wahrnimmt, aber es ist ausserdem in den späteren Stadien menschlicher Entfaltung fähig, das Wesen oder die Funktion des Seins wahrzunehmen. Das Werden wird vermittels des Intellektes enthüllt, das Sein durch die Intuition. Beim Studium der Illusion muss man stets im Auge behalten, dass das Denkvermögen seinem Wesen nach ein Werkzeug ist und dass es [174] die Fähigkeit besitzt, das aus der Erscheinungswelt stammende Wissen und die aus dem Reich der Seele kommende Weisheit aufzunehmen, zu deuten und zu übermitteln.

2. Die Methode, durch welche die Menschheit von dem in Kenntnis gesetzt wird, was nicht unmittelbar vor Augen liegt. Dies ist die Methode (oder der Vorgang) der sogenannten «auferlegten Enthüllung» oder der Impression. Dafür empfängliche Denker werden mit jenen Ideen, Wesenheiten, Plänen und Vorhaben beeinflusst, die sozusagen hinter den Kulissen existieren und die (letzten Endes) die Faktoren sind, welche das Weltgeschehen bestimmen und bedingen. Diese Enthüllungen oder subjektiven, lebenswichtigen Impressionen werden durch die Intuition ans Licht gebracht; sie haben mit den Kenntnissen, Eindrücken und Kontakten, die mit den drei Welten menschlicher Evolution zusammenhängen, nichts zu tun oder nur insoweit, als sie (richtig verstanden) die Lebensweise des Menschen ständig verändert, ihm seine Ziele enthüllt und sein wahres Wesen angedeutet haben. Die Enthüllungen, die seit altersher übermittelt wurden und das Denken derer beeindruckt haben, die dazu vorgeschult waren, befassen sich stets mit den grossen, universalen Belangen; sie betreffen das Grosse Ganze und führen zu zunehmender Würdigung der Einheit des Lebens in seiner hylozoistischen (Urstoff-beseelten) Ausdrucksform.

Zwei parallele Vorgänge haben die Menschheit und ihre Zivilisation hervorgebracht: Einer davon ist der Evolutionsvorgang selber, wodurch das Denken des Individuums allmählich entfaltet wurde, bis es zum vorherrschenden Aspekt der Persönlichkeit wird; zweitens kam es zu einer abgestuften, weise zugemessenen Reihe von Offenbarungen, welche die gesamte Menschheit zwangsläufig zu einem besseren Verstehen des Daseins gebracht haben. Diese Offenbarungen führten den Menschen stetig von der Identifizierung mit der Formenwelt hinweg in jene Bewusstseinszustände, die vom gewöhnlichen, menschlichen Standpunkt als übernatürlich erscheinen, vom geistigen Standpunkt aber durchaus normal sind.

In okkulter [175] Terminologie bedeutet dies folgendes:

Individualität hat zur stetigen Vervollkommnung des Denkvermögens, des Wahrnehmungs- und Auffassungsvermögens, der Analyse und Auslegung geführt; Einweihung hingegen bewirkt durch Zunahme der Intuition (wenn einmal die mentale Vervollkommnung einen verhältnismässig hohen Entwicklungsgrad erreicht hat) die Wahrnehmung der Welt der geistigen Werte, des geeinten Seins und des intuitiven Verstehens. Das bedingt deshalb die Verlegung des individuellen Brennpunktes aus der Erscheinungswelt in die Welt der Wirklichkeit. Die niedere Anwendung des Denkvermögens und dessen Entfaltung hat zur Illusion geführt, während die Entfaltung des höheren Denkens und später dessen Anwendung als Übermittler der Intuition und der höheren Enthüllung, die Verklärung der drei Erscheinungswelten im Sinn der Welt des Seins hervorbringen wird.

Illusion besteht häufig aus falsch ausgelegter und falsch angewandter, mentaler Erfassung von Wahrheit. Sie hat nichts mit der mentalen Phase der Verblendung zu tun, obwohl Illusion in die Gefühlswelt heruntergebracht und dadurch zu Verblendung werden kann. Wenn es dazu kommt, ist ihre Wirkungskraft ausserordentlich stark, weil dann eine Gedankenform zu einer Wesenheit mit lebendiger Kraft geworden ist und sich die magnetische Kraft des Gefühls zur kalten Gedankenform hinzugesellt hat. Das sollte durchdacht werden. Im Stadium der reinen Illusion jedoch, mit dem wir uns jetzt befassen, fand eine Enthüllung ihren Niederschlag auf der Mentalebene; und da diese Enthüllung weder richtig erfasst und interpretiert, noch nützlich angewandt wurde, entwickelte sie sich zu einer Illusion und trat ihre Laufbahn der Täuschung, Kristallisierung und Irreführung an.

Das Thema dieser Technik lässt sich demnach in der Hauptsache in folgende Kategorien einteilen:

1. Der Vorgang der Enthüllung. Dieser Vorgang war von jeher und ist heute der hauptsächliche Zeuge und Bürge dafür, dass es [176] hinter den Kulissen der Erscheinungswelt eine enthüllende Gruppe oder Vermittlungsstelle gibt, deren Aufgabe von dreierlei Art ist:

a. Die Entfaltung des menschlichen Bewusstseins abzuschätzen und dem ständigen Ruf und Verlangen nach mehr Licht und mehr Wissen nachzukommen.

b. Zu beurteilen, welche Enthüllung die nächstnotwendige ist und welche Form sie annehmen, durch wessen Vermittlung sie zum Vorschein kommen und wo und wann sie in Erscheinung treten sollte.

c. Festzustellen, mit welchen Hindernissen, Schwierigkeiten und vorgefassten Ideen die neu hereinkommende Enthüllung zu rechnen haben wird.

2. Die Tatsache der Gegenwärtigkeit. Diese Gegenwärtigkeit ist die Antriebskraft hinter jeder Enthüllung und ist in Wirklichkeit der Immanente Gott, der von jeher nach Anerkennung strebt und selbst dazu durch die Tatsache des Transzendenten Gottes angetrieben wird.

3. Der Einfluss des Engels, der das individualisierte Saatkorn des Bewusstseins ist und durch dessen Vermittlung - nach gebührender Entfaltung und Empfänglichkeit des persönlichen, niederen Selbstes - die Enthüllung der Gegenwärtigkeit zustande kommen wird. Jede wahre Enthüllung befasst sich mit der Entfaltung göttlicher Herrlichkeit auf irgendeinem Ausdrucksgebiet und legt damit Zeugnis ab für die latent verborgene Gegenwärtigkeit.

4. Die Empfänglichkeit der intuitiven Menschen in der ganzen Welt für die Enthüllung und für die Form, in welcher sie diese Enthüllung den Weltdenkern darbieten. Die grossen Denker sind stets die ersten, die eine neue Wahrheit würdigen und sich zu eigen machen. Die Intuitiven selbst stellen die nächste Phase der Wahrheit in verhältnismässig reiner Form dar, wenn sie auch zur Zeit der Darbietung symbolisch verhüllt sein mag.

5. Der Widerhall in der denkenden Welt, den die dargebotene [177] Idee findet. Dies ist die Stelle, an der Illusion in Erscheinung tritt und Missdeutung und Verdrehung stattfinden. Wenn diese unwahren Auslegungen der enthüllten Wahrheit lange genug angedauert und Triebkraft gewonnen haben, tragen sie zur allgemeinen Illusion bei und werden zu einem Teil davon; auf diese Weise nähren sie die Weltillusion und werden von ihr genährt. Es ist dies die im Lauf der Jahrtausende aufgebaute und entwickelte trügerische Form des Denkens, die den Glauben der Masse in so hohem Mass beherrscht. Wenn die Enthüllung diese Stufe erreicht, dann umfasst sie die Masse der Menschen; sie betrachten diese Illusion als Wirklichkeit; sie können die Bedeutung der verschleierten, symbolisch dargestellten Enthüllung nicht begreifen, sondern verwechseln sie mit der illusorischen Darstellung; und damit wird die intuitiv wahrgenommene Enthüllung zur verzerrten, verdrehten Doktrin.

Theologische Auslegungen und Dogmen gehören in diese Kategorie; es wiederholt sich das alte Drama der von Blinden geführten Blinden, auf das Christus sich im Hinblick auf die Theologen seiner Zeit bezog.

Die obigen Feststellungen treffen auf jede Enthüllung zu, die aus dem Lichtzentrum ihres Ursprungs hervortritt, gleichviel ob es sich um sogenannte religiöse Wahrheiten handelt oder um wissenschaftliche Entdeckungen oder um die grosse Norm geistiger Werte, aufgrund deren die Menschheit beider Hemisphären zu leben sucht und deren Bedeutung und Wichtigkeit von Zeit zu Zeit um einen Schritt vorankommt.

a. Intuition verscheucht individuelle Illusion.

Heute haben wir einen Krisenpunkt auf dem Gebiet menschlicher Auffassungsgabe erreicht. Wir können jetzt in eine neue Ära eingehen, in der die Illusion verscheucht werden kann und in der die Denker allmählich genau und ohne Missverständnis das wahrnehmen können, was die Intuitiven ihnen übermitteln. Diese Feststellung [178] bezieht sich noch nicht auf die breite Masse; es wird noch lange dauern, bis sie ohne Illusion darauf reagieren wird, denn Illusion gründet sich auf die Aktivität des niederen Denkens Gedankenformen zu erschaffen. Die Massen sind gerade erst im Begriff, das niedere Denkvermögen zu benutzen. Illusion ist deshalb für sie ein notwendiges Stadium der Erprobung und Schulung; sie müssen es durchmachen, da sie andernfalls viel wertvolle Erfahrung versäumen und ihre Fähigkeiten kritischer Unterscheidung unentwickelt lassen würden. Diesen Gesichtspunkt sollten alle Lehrer des Okkultismus im Auge behalten. Es ist demnach wesentlich, dass die Massen über die Bedeutung der Illusion unterrichtet und dazu geschult werden, in jeder ihnen etwa dargebotenen, äusseren Darstellung einer Wahrheit stets den Kern reiner Wahrheit zu erkennen und herauszuschälen. Ebenso ist es wichtig, dass die Intuitiven der Welt lernen, die Fähigkeit geistiger Wahrnehmung, göttlicher Absonderung und dementsprechender Empfänglichkeit zu gebrauchen, zu beherrschen und zu verstehen, eine Fähigkeit, die für die Intuition charakteristisch ist. Das können sie durch Anwendung der Technik der Gegenwärtigkeit tun, aber nicht wie sie gewöhnlich gelehrt und dargestellt wird.

Vielleicht kann ich das folgendermassen klarer machen: Diese Technik besteht in bestimmten wissenschaftlichen Arbeitsweisen oder Methoden, für welche der Aspirant schon weitgehend in den Schulen wahrer Meditation und durch die Raja Yoga Systeme vorbereitet wurde. Diese Stadien beginnen dort, wo die gewöhnlichen Formeln aufhören; sie setzen eine gewisse Geschicklichkeit in der Annäherung an den Engel oder die Seele voraus, dazu die Fähigkeit, das Bewusstsein bis zu einem Fusionspunkte mit der Seele emporzuheben. Ich möchte diese Vorgänge oder Etappen wie folgt aufzählen:

1. Die Evokation oder das Stadium der Spannung; sie ist grundlegend und wesentlich. Es ist eine Spannung, die durch vollkommene Beherrschung des persönlichen Selbstes erzielt wird, so dass es «für den Kontakt mit dem Wirklichen befähigt» ist.

2. Das Erreichen eines Zustandes der Fusion mit der Seele oder mit dem Engel, der den Zutritt zum Pfad der Höheren Evolution bewacht.

3. Das beharrliche Festhalten des Denkens im Licht der Seele, [179] eine Haltung, in der das niedere Selbst während der ganzen, übrigen Werkperiode verbleibt und wobei das Denken durch die Seele und nicht durch ein Bemühen der Persönlichkeit auf dem Spannungspunkte festgehalten wird. Die Seele besorgt dieses Festhalten, wenn das persönliche Selbst sein Möglichstes getan hat, um die erwünschte Spannung zu erzielen.

Das sind drei Anfangsstufen, auf welche die Praxis der Gleichschaltung den Schüler der höheren Mysterien vorbereitet haben sollte. Diese Stadien müssen jedem Bemühen vorausgehen, die Intuition zu entwickeln und das mag einige Monate (oder sogar Jahre) sorgfältiger Vorbereitung erfordern. Feuer ist das Symbol des Denkens und dies sind die drei ersten Stufen der Agni Yoga Disziplin oder des Yoga des Feuers, auf die der Raja Yoga den Schüler vorbereitet hat.

Darauf folgen sechs weitere Stufen in der Technik, die gründlich verstanden werden müssen; sie bilden die Grundlage für anhaltende Betrachtung und gedankliche Vertiefung, die nicht zu festgesetzten Zeiten, sondern inmitten der täglichen Obliegenheiten und Pflichten des Alltags vorzunehmen sind. Der geschulte Intuitive oder Jünger lebt stets ein Doppelleben weltlicher Betätigung und gleichzeitig intensiver, geistiger Vertiefung. Das wird das Hauptmerkmal des westlichen Jüngers sein, im Gegensatz zum östlichen Jünger, der sich aus dem Leben in stille Stätten zurückzieht, hinweg vom Zwang des Alltags und von der ständigen Berührung mit anderen. Die Aufgabe des westlichen Jüngers ist eine viel härtere, aber das, was er sich selbst und der ganzen Welt beweist, wird dementsprechend höher zu bewerten sein. Das steht zu erwarten, wenn der Evolutionsvorgang überhaupt einen Sinn hat. Die westlichen Rassen müssen zu geistiger Vorherrschaft vorwärts schreiten, ohne dadurch den Beitrag des Ostens zu entwerten; das Walten des Gesetzes der Wiedergeburt bietet den Schlüssel dazu und beweist praktisch diese Notwendigkeit. Die Flut des Lebens bewegt sich [180] so wie die Sonne von Osten nach Westen; und diejenigen, welche in vergangenen Jahrhunderten die Tendenz des östlichen Mystizismus bestärkt haben, müssen jetzt die Eigenart des westlichen Okkultismus betonen. Deshalb müssen den drei vorhergenannten Stadien die weiteren folgen. Wir wollen sie fortlaufend numerieren, denn was ich hier vorschlage, ist eine Formel für eine fortgeschrittenere meditative Einstellung. Ich sage Formel, nicht Form.

4. Ein bestimmtes und anhaltendes Bemühen, die Gegenwärtigkeit im ganzen Universum in allen Formen und in allen Darstellungen der Wahrheit zu erspüren. Man könnte es auch so ausdrücken: «das Bemühen, den Keim oder Samen des Göttlichen herauszufinden, der alle Formen ins Dasein gebracht hat.» Ich möchte darauf hinweisen, dass damit nicht die Erreichung einer liebevollen Haltung und einer sentimentalen Einstellung gegenüber allen Menschen und Lebenslagen gemeint ist. Das ist die mystische Art, die zwar im Leben des Jüngers nicht verneint werden soll, jetzt aber für das erfolgreiche Vorwärtskommen nicht mehr aktuell ist. Vielmehr handelt es sich hauptsächlich um das Bemühen, in dem vom Engel ausgestrahlten Licht den Lichtpunkt hinter allen phänomenalen Erscheinungen zu erschauen. Das bedeutet also die Übertragung der mystischen Vision auf die höheren Stufen des Gewahrseins. Es ist nicht die Vision der Seele, sondern die Vision oder das geistige Erspüren einer Enthüllung, bei der das Licht der Seele behilflich sein kann. Das im persönlichen Selbst flackernde Seelenlicht hat den Jünger befähigt, die Vision der Seele zu erschauen und in diesem Licht, wenn auch nur vorübergehend, die Vereinigung mit der Seele zu erlangen. Jetzt vereinigt sich das grössere Licht der Seele wie eine strahlende Sonne zu einem Brennpunkte und enthüllt seinerseits eine noch erstaunlichere Vision - die der Gegenwärtigkeit, die der Engel verbürgt oder verheisst. Gleichwie das Licht des Mondes dafür bürgt, dass das Licht der Sonne existiert, so verbürgt das Licht der Sonne ein zwar ungeahntes, aber noch grösseres Licht.

5. Hat [181] man die Gegenwärtigkeit - nicht bloss theoretisch, sondern in einer auf ihre Existenz reagierenden Schwingung - verspürt, dann folgt die nächste Stufe: die Ermittlung des grossen Planes oder Vorhabens. Die Hoffnung, an dem Vorhaben regsten Anteil nehmen zu können, liegt selbst für den Eingeweihten unterhalb des Meisterranges noch in weiter Ferne. Mit dieser (für uns) unerreichbaren Stufe beschäftigen wir uns nicht. Wir befassen uns aber mit dem Bemühen, das verstehen zu lernen, was die hohe Absicht jeweils im evolutionären Zyklus mit Hilfe einer Form zu verkörpern sucht. Das ist möglich und ist seit altersher denen gelungen, die sich dem Weg der Höheren Evolution in der richtigen Weise genähert und darüber gebührend nachgesonnen haben. Dieser Weg wird dem Jünger enthüllt, wenn er auch vielleicht nichts mit der intuitiven Botschaft zu tun hat, die der Jünger von seiner hohen Erfahrung mitbringen mag.

6. Dann trägt er irgendein Weltproblem oder einen Plan, den sein Denken entworfen oder sein Herz zugunsten der Menschheit ersehnt hat, in das hinein, was man esoterisch als «das dreifache Licht der Intuition» bezeichnet. Dieses Licht entsteht aus der Vereinigung des im Denken konzentrierten Lichtes des persönlichen Selbstes, des im Engel konzentrierten Lichtes der Seele und des von der Gegenwärtigkeit ausgehenden All-Lichtes. Wenn diese Vereinigung durch Konzentration und lange Übung mit Leichtigkeit erlangt wird, bringt sie zwei Wirkungen hervor:

a. Im erwartungsvollen Denken des Jüngers (welches nach wie vor das Empfangsinstrument bleibt) dämmert plötzlich die Lösung seines Problemes auf, die Erkenntnis der Erfordernisse, die das Los der Menschheit erleichtern könnten und die erwünschte Auskunft, deren Anwendung irgendeine Tür auf dem Gebiet der Wissenschaft, Psychologie oder Religion aufschliessen wird. Diese geöffnete Tür wird vielen Menschen Hilfe oder Erleichterung bringen. Wie ich bereits erwähnt habe, befasst sich die Intuition [182] niemals mit individuellen Problemen oder Fragen, wie so viele bloss auf sich selbst eingestellte Aspiranten denken. Sie ist rein unpersönlich und nur auf die Menschheit im synthetischen Sinne anwendbar.

b. Der «eindringende Lichtvermittler» (wie der Alte Kommentar diese wagemutigen Intuitiven nennt) wird als jemand anerkannt, dem irgendeine Enthüllung, eine Neuausgabe der Wahrheit, eine bedeutsame Erweiterung eines der Menschheit bereits mitgeteilten Wahrheitskernes anvertraut werden kann. Er sieht dann eine Vision, hört eine Stimme, vernimmt eine Botschaft oder wird - im allerhöchsten Fall - zum Mittler von Kraft und Licht für die Welt, zur bewussten Verkörperung der Göttlichkeit oder zum Treuhänder eines göttlichen Prinzips. Von solcher Art sind wahre, mitgeteilte oder verkörperte Enthüllungen; sie kommen noch selten vor, werden sich aber in zunehmender Anzahl innerhalb der Menschheit entwickeln.

7. Die nächsten paar Stadien heissen, in Vorbereitung auf die Enthüllung:

a. Das Verlassen des Höheren Weges.

b. Die Rückkehr zum Engel oder eine erneute Polarisierung innerhalb der Seele.

c. Eine Pause oder Unterbrechung zum konstruktiven Nachdenken unter dem Einfluss des Engels.

d. Die Hinwendung des Denkvermögens auf die Formulierung jener Gedankenformen, welche die Enthüllung verkörpern müssen.

e. Dann wiederum eine Pause, die sogenannte «Pause, die der Darstellung vorangeht.»

8. Darauf folgt die Darstellung der Enthüllung oder der mitgeteilten Wahrheit und ihr Niederschlag in der Welt der Illusion. In dieser Welt der Illusion erleidet sie die «Feuerprobe», wobei «ein Teil des im Enthüllten verborgenen Feuers den Rückflug zur Quelle seines Ursprunges antritt; ein Teil dient dazu, den [183] Enthüller zu zerstören und ein anderer dazu, diejenigen zu versengen, welche die Enthüllung erkennen.» Dies ist eine Phase des Agni Yoga, die natürlich nur auf diejenigen zutrifft, welche über den Engel hinaus zu der Stätte vorzudringen vermögen, «wo das Feuer weilt» und wo Gott, die Gegenwärtigkeit, als ein verzehrendes Feuer waltet und auf die Stunde der Gesamtenthüllung wartet. Dies ist eine symbolische Wiedergabe einer grossen Wahrheit. Im Fall des einzelnen Eingeweihten kennzeichnet die dritte Einweihung, die Verklärung, die Vollendung dieses Vorganges. Nur Herrlichkeit ist dann sichtbar, nur die Stimme der Gegenwärtigkeit ist vernehmbar und die Einswerdung mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ist erreicht.

9. Schliesslich unterliegt die Enthüllung der vorherrschenden Illusion, sinkt in die Welt der Verblendung hinab, verschwindet als Offenbarung oder Enthüllung und taucht wieder als Doktrin auf. In der Zwischenzeit hat jedoch die Menschheit Hilfe bekommen und ist vorwärts geführt worden; die Intuitiven setzen ihr Werk fort und das Hereinströmen dessen, was zu enthüllen ist, versiegt nie.

Diese grundlegende Technik gilt sowohl für primäre als auch für sekundäre Enthüllungen. Im ersten Fall ist der Zeitzyklus ein langer, im zweiten ist er ein kurzer. Ein sehr gutes Beispiel für eine sekundäre Enthüllung war die Lehre, die vor fünfzig Jahren von der Hierarchie, dem Treuhänder sekundärer Enthüllungen (Shamballa ist Treuhänder primärer Enthüllungen) ausging und welche die Form der Geheimlehre annahm. H. P. B. war in diesem Fall die «eindringende, sich einfühlende und Besitz ergreifende Intuitive.» Die von ihr vermittelte Enthüllung nahm den gewohnten Verlauf aller sekundären Enthüllungen von der Quelle bis zur äusseren Ebene. Dort wurde sie durch das von Illusion umschleierte und von Verblendung umwölkte Denken der Menschen zu einer starren Doktrin umformuliert, die keine weitere Enthüllung anerkennt; und viele theosophische Gruppen behaupten und bleiben hartnäckig dabei, dass die Geheimlehre eine endgültig letzte Enthüllung war, [184] dass nur dieses Buch anzuerkennen sei und dass nur ihre Auslegungen dieses Buches als richtig anzusehen seien. Wenn sie recht haben, dann ist die evolutionäre Enthüllung beendet, und die Menschheit befindet sich in der Tat in einer schwierigen Lage.

Selbst der Neuling auf dem Pfad der Intuition kann die Kraft in sich entwickeln, das zu erkennen, was das niedere Denkvermögen ihm nicht geben kann. Irgendein Gedanke, der eine Wirkungskraft aufzeigt und dem Wohl vieler Menschen dienen kann, mag in seinem Denken auftauchen; irgendeine neue Erhellung einer alten, alten Wahrheit mag sich durchringen, welche die Wahrheit von den Fesseln der Orthodoxie loslöst und damit sein Bewusstsein erleuchtet. Er muss diese Erkenntnisse weitergeben, nicht bloss für sich selbst benutzen. Nach und nach findet er den Weg in die Welt der Intuition; Tag für Tag und Jahr für Jahr wird er für die göttlichen Ideen empfänglicher und immer fähiger, sie weise zum Nutzen seiner Mitmenschen anzuwenden.

Die Hoffnung der Welt und die Zerstreuung der Illusion liegt in der Entwicklung der Intuitiven und in ihrer bewussten Ausbildung. Es gibt viele geborene Intuitive, deren Wirken eine Mischung von höherem Psychismus mit Lichtblitzen wahrer Intuition darstellt. Neben ihrer intuitiven Empfänglichkeit und ihrem Bemühen, ihre Intuition in die menschliche Gedankenwelt herunter zu bringen, muss es zu einer parallelen Entwicklung des menschlichen Denkvermögens kommen, damit es die Enthüllung erfassen und verstehen kann; und hierin liegt ebenfalls die Hoffnung der Menschenrasse.

b. Gruppenintuition zerstreut Weltillusion.

Heute ist die Welt voll von Illusionen, von denen sich viele in Gestalt von Idealismen verschleiern; sie ist voll von wunschbedingtem Denken und Planen und wenn auch vieles davon grundsätzlich richtigen Zielen zustrebt und den festen Entschluss der intelligenten Oberschicht ausdrückt, bessere Lebensbedingungen für die [185] gesamte Weltbevölkerung zu schaffen, so ergibt sich doch die Frage: Enthält dieses gesamte wunschbedingte Denken ein hinreichendes Mass an wirksamer, dynamischer Lebenskraft, um es zu physischer Manifestation und tatsächlicher Auswirkung herunterzubringen und damit den Erfordernissen gerecht zu werden? Ich möchte darauf hinweisen, dass die beiden grössten Enthüllungs-Vermittler, Die innerhalb der letzten dreitausend Jahre auf die Erde kamen, der Menschheit folgende einfache Enthüllungen verkündet haben:

1. Wünschen und persönlicher Eigennutz sind die Ursachen allen menschlichen Leidens. Gib deine Wünsche auf und du wirst frei sein.

2. Es gibt einen Weg der Befreiung und er führt zur Erleuchtung.

3. Es nützt einem Menschen nichts, die ganze Welt zu gewinnen und seine Seele zu verlieren.

4. Jedes Menschenwesen ist ein Sohn Gottes.

5. Es gibt einen Weg der Befreiung: es ist der Weg der Liebe und des Opfers.

Das Leben dieser Enthüller war eine symbolische Darstellung dessen, was sie lehrten; und der Rest ihrer Lehren nur eine Erweiterung ihrer Kerngedanken. Ihr Beitrag war ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtenthüllung der Zeitalter, welche die Menschen vom Urzustand ihres Daseins bis zur komplizierten Struktur moderner Zivilisation geführt hat. Man kann diese Gesamtenthüllung als die Enthüllung des Pfades bezeichnen, der aus der Formgestalt heraus zum Mittelpunkt allen Lebens führt. Die Reinheit dieser Enthüllung wurde zu allen Zeiten von einer kleinen Handvoll von Jüngern, Eingeweihten und wahren Esoterikern gewahrt, die stets auf Erden zugegen waren, um die Einfachheit dieser Lehre zu verteidigen, um nach denen auszuschauen, die den Kern oder Saatgedanken der Wahrheit erkennen und darauf reagieren konnten und um Menschen zu ihren Nachfolgern auszubilden und dafür zu schulen, den Weg intuitiver Wahrnehmung zu beschreiten. Eine der Hauptaufgaben der Hierarchie besteht darin, Menschen zu finden, die für Enthüllung empfänglich sind und deren Denken so geschult ist, [186] dass sie auftauchende Wahrheiten in der Weise formulieren können, dass sie das Gehör der Weltdenker in relativ unverzerrter Form erreichen. Jede Enthüllung verliert jedoch etwas von ihrer göttlichen Klarheit, sobald sie in Worte oder Wortformen gekleidet wird.

Viele Enthüllungen der Vergangenheit kamen meistens als Eingebungen auf religiösem Gebiet; und in dem Mass, wie die Illusion sich mit der Zeit vertiefte und verstärkte, ging die ursprüngliche Einfachheit (wie sie von ihren Enthüllern übermittelt worden war) verloren. Alle grundlegenden Enthüllungen werden in den einfachsten Formen dargeboten. Zusatz um Zusatz schlich sich ein; menschliches Denken komplizierte die Lehre durch mentale Dissertationen, bis die grossen theologischen Systeme aufgebaut wurden, die wir beispielsweise die Christliche Kirche und das Buddhistische System nennen. Ihren Gründern würde es schwerfallen, darin die zwei oder drei grundlegenden und göttlichen Tatsachen oder Wahrheiten wiederzuerkennen, welche sie zu enthüllen und zu betonen suchten; so gross ist der Mantel der Illusion, mit dem die einfachen Aussprüche Christi und Buddhas überdeckt worden sind. Die Riesenkathedralen und prunkvollen Zeremonien der Orthodoxen sind weit entfernt von der bescheidenen Lebensart Christi, des Meisters aller Meister und des Lehrers der Engel sowohl als auch der Menschen, weit entfernt auch von der Einfachheit seines gegenwärtigen Lebens; er beobachtet und wartet darauf, dass die seinen den einfachen Weg geistiger Erkenntnis wiederfinden.

So gross war und ist die Illusion, dass die Menschen im Westen heute von der «weltlichen Macht der Katholischen Kirche» sprechen; die Protestantischen Kirchen sind in Parteien zerspalten, die sich untereinander bekämpfen; die Kirche der Christlichen Wissenschaft ist bekannt für ihre Fähigkeit, Geld anzuhäufen und ihre Anhänger zu lehren, ein Gleiches zu tun und eine zeitweilige, gute Gesundheit zu erlangen; die Griechisch-Orthodoxe Kirche war durch und durch verfault und nur der einfache Glaube der Unkultivierten und der Armen hat ein wenig von der Wahrheit in ihrer ursprünglichen, einfachen Form bewahrt. Sie haben keinen Sinn für [187] hochtrabende, theologische Diskussionen, aber sie glauben fest daran, dass Gott Liebe ist - einfach Liebe -, dass es einen Weg gibt, der zu Frieden und Licht führt und dass sie Gott gefällig sind, wenn sie ihre eigenen, materiellen Wünsche aufgeben. Ich weiss, lieber Bruder, dass ich damit in hohem Mass verallgemeinere, denn ich weiss auch, dass es innerhalb der theologischen Systeme weise und gute Christen und Geistliche gibt; sie verbringen ihre Zeit aber nicht in theologischen Diskussionen, sondern damit, dass sie ihre Mitmenschen lieben und das tun sie, weil sie Christus lieben und das, wofür er sich einsetzt. Sie sind nicht daran interessiert, grosse Kirchen aus Stein und Marmor zu erbauen und das für die Instandhaltung notwendige Geld einzusammeln; ihr Bestreben geht dahin, diejenigen um sich zu scharen, welche die wahre Kirche auf der inneren, geistigen Ebene bilden und ihnen zu helfen, im Lichte zu wandeln.

Die Illusion der Macht, die Illusion der Überlegenheit befleckt sie nicht. Wenn einmal die Weltkrise vorüber ist, werden Geistliche allerorten nicht ruhen, bis sie Mittel und Wege finden, um die Illusion von Doktrin und Dogma, in der sie tief versunken sind, zu durchdringen und zu Christus und seiner einfachen Botschaft zurückzufinden, welche die Kraft in sich birgt, die Welt zu erlösen, wenn sie nur erkannt und angewandt wird.

Seit der Zeit Christi ist der Welt viel wahre Enthüllung auf dem Gebiet der Wissenschaft zuteil geworden. Die wissenschaftliche Feststellung zum Beispiel, dass materielle Substanz im wesentlichen nur eine Form von Energie ist, war eine ebenso grosse Enthüllung, wie irgendeine, die Christus oder Buddha gebracht hatte. Sie veränderte das menschliche Denken von Grund auf und bedeutete - so wenig man das auch meinen mag - einen empfindlichen Stoss gegen die Grosse Illusion. Sie brachte Energie mit Kraft, Form mit Leben und den Menschen mit Gott in Beziehung und sie birgt das Geheimnis der Umformung, Verwandlung und Verklärung. Soweit die Enthüllungen der Wissenschaft grundlegend und wesentlich neu sind, sind sie genau so göttlich wie die der Religion; aber beide wurden zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse [188] missbraucht. Wir stehen unmittelbar vor einer Zeit, in der die Wissenschaft alles daran setzen wird, um die Wunden der Menschheit zu heilen und eine bessere und glücklichere Welt zu erschaffen.

Obwohl die Enthüllungen der Wissenschaft oft durch einen einzelnen Menschen, einen Mann oder eine Frau, in die Erscheinung treten, sind sie doch eigentlich mehr das Resultat eines Gruppenbemühens oder einer geschulten Gruppenbetätigung, als die sogenannten Enthüllungen der Religion. Eine Enthüllung erfolgt demnach auf zweierlei Art:

1. Durch angestrengtes Bemühen, durch Aspiration und die Errungenschaft eines einzigen Menschen, welcher der Hierarchie so nahe steht und von bewusster Göttlichkeit so durchdrungen ist, dass er die Botschaft direkt aus der zentralen, göttlichen Quelle schöpfen kann. Er ist in die Reihen der Grossen Intuitiven eingetreten und wirkt frei in der Welt göttlicher Ideen. Er kennt klar seine Mission; er wählt sein Tätigkeitsgebiet aus eigenem Entschluss und sondert die Wahrheit oder die Wahrheiten heraus, die er als dem Bedürfnis der Zeit angemessen erachtet. Er tritt hervor als ein Botschafter des Allerhöchsten, führt ein dramatisches und Aufsehen erregendes Leben des Dienstes an der Allgemeinheit und symbolisiert an den Ereignissen seines Lebens gewisse Grundwahrheiten, die zwar schon enthüllt worden waren, die er aber erneut versinnbildlicht. Er fasst die Enthüllungen der Vergangenheit in sich zusammen und fügt ihnen seinen eigenen Beitrag als neue Enthüllung hinzu, die er der Welt darbietet in Erfüllung seiner Mission.

2. Durch das angestrengte Bemühen einer Gruppe von Suchern, wie z.B. von wissenschaftlichen Forschern in jedem Land, die alle zusammen nach Licht suchen zur Erhellung der Probleme der Erscheinungswelt oder nach Mitteln zur Linderung menschlicher Not, kommt es zu einer Enthüllung. Auf den Flügeln ihres noch nicht klar erkannten Strebens trägt das Bemühen einer solchen Gruppe oft einen einzelnen Menschen zu solcher Höhe empor, dass er in die Welt göttlicher Ideen eindringen und dort ein langersehntes Heilmittel oder einen Schlüssel finden kann, so dass er intuitiv ein seit langem gesuchtes Geheimnis entdeckt. Wenn es [189] eine Entdeckung ersten Ranges ist, dann ist sie eine ebenso grosse Enthüllung, wie die von den Weltlehrern dargebotenen Wahrheiten. Wer kann sagen, dass die Feststellung, dass Gott Liebe ist, mehr Wert hat, als die Feststellung, dass alles Energie ist?