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VIERTES KAPITEL - Die Kultur des Einzelmenschen - Teil 1

VIERTES KAPITEL

Die Kultur des Einzelmenschen 

Die [99] Kultur des Einzelmenschen soll hier von drei Gesichtspunkten aus beleuchtet werden, von denen jeder zur Ganzheit des Individuums beiträgt, die den Vollmenschen hervorbringen soll: ein intelligenter Bürger zweier Welten (der Welt des äusseren Daseins und der inneren Welt der zugrunde liegenden Bedeutung), ein weiser Vater oder eine weise Mutter, und eine voll beherrschte und recht geleitete Persönlichkeit. Diese Gesichtspunkte wollen wir nun im einzelnen durchsprechen.

Ich bin nicht näher auf den Unterricht im Wassermann-Zeitalter eingegangen, auch nicht auf die Erziehungssysteme, die dann zur Anwendung kommen werden. Es würde euch nämlich nicht helfen oder euer Denken wirklich fördern, wollte ich die nächsten 200 Jahre überspringen und euch in eine Zivilisation und Kultur mitnehmen, von der wir heute nur ganz leichte Andeutungen sehen können. Wertvoller ist die Betonung der neuen Ideen, die ihren Stempel der nächsten Generation aufdrücken und die Welt durch die schwierigste Übergangsperiode, die sie jemals gesehen hat, führen werden.

Gewisse grundlegende, aus den zeitgemässen Ideologien hervorgehende Ideale beginnen das öffentliche Bewusstsein zu beeindrucken. Diese Ideale selber sind im Grunde nichts anderes als menschliche Reaktionen auf göttliche Ideen; deshalb sind sie nicht ganz frei von Irrtum und notwendigerweise gefärbt durch die Fassungskraft der Denker, die sie formulieren; es lässt sich nicht vermeiden, dass sie von der Geschichte, von nationalen Traditionen und von rassischen Denkrichtungen beeinflusst sind. Sie weisen jedoch eine merkwürdige Einheitlichkeit auf, obgleich sie von Vertretern [100] grundverschiedener Arten des Weltidealismus vorgebracht werden. Wenn wir diese Ideen recht verstehen und ihnen eine feste Grundlage schaffen wollen, dann dürfte es wertvoll sein, einige dieser universellen Einstellungen zu besprechen und zu überlegen, was sie im Licht der heutigen Weltprobleme andeuten, und welches Bild sie von der kommenden Welt erkennen lassen.

Der Gesichtspunkt des Staatsbürgertums

Bei den Bürgern der meisten Nationen verstärkt sich immer mehr die Empfindung oder Ansicht, dass es die Hauptaufgabe der Erziehungssysteme sei, aus dem Kind einen guten Staatsbürger zu machen. Sie wollen damit sagen, dass es Aufgabe des Staates und der Steuerzahler sei, das Kind so zu schulen, dass es zu einem mitarbeitenden, intelligenten Teil des organisierten Ganzen wird, das wir eine Nation nennen, dass der junge Mensch so zur Zucht und Ordnung angehalten wird, dass er seinen Platz darin einnehmen und seine Aufgabe dem Staat gegenüber erfüllen und somit sozial wertvoll sein kann; er soll eine individuelle Rolle spielen, aber zugleich auch die Aufgaben seiner Gruppe erfüllen, im Leben der Gemeinschaft, in die er hineingeboren wurde und in der er sich notwendigerweise ständig aufhalten und erhalten muss; es soll ihm beigebracht werden, dass sein Leben als Einzelmensch und seine individuellen Interessen weniger bedeuten als das Gemeinschaftsleben, und dass ihm als erste und vornehmste Lehre einzuprägen ist, dass er eine Einheit in einer gut funktionierenden Gruppe ähnlicher Einheiten ist, von denen man erwartet, dass jeder seinen Anteil zum Wohl des Ganzen beiträgt.

Der erste Keim dieser Idee wurde (so merkwürdig es auch scheinen mag) schon vor Tausenden von Jahren gepflanzt, als die allererste Schule ins Leben gerufen wurde. Die damaligen Schulen waren zuerst sehr klein und bildeten nur einige wenige Auserwählte aus, doch führten sie langsam aber beständig (zumeist durch die Religionsgemeinschaften) zur Erziehung der breiten Massen und zum Schulzwang, der in den modernen Staatsschulen besteht, deren Hauptaufgabe es ist, Millionen und Abermillionen von jungen Leuten in der Welt auf ein intelligentes, aber zweckbestimmtes Staatsbürgertum vorzubereiten.

Heute sind die breiten Massen aller sogenannten «aufgeklärten» Nationen dem Schulzwang unterworfen; die Kinder [101] dieser Nationen lernen lesen, schreiben und die Grundzüge der Rechenkunst. Dabei sollen sie sich auch - durch den Unterricht in Geographie, Geschichte und Wirtschaftskunde - allgemeine Vorstellungen über die Zustände in der Welt aneignen, und man erwartet von ihnen, dass sie in objektiver und natürlicher Weise verstehen, wie und weshalb die verschiedenen Nationen zu ihrem heutigen Platz in der Welt gelangt sind und wo dieser Platz ist, so dass sie ein allgemeines Gesamtbild über unsere Mutter Erde besitzen. Die ständigen Grenzänderungen in diesem Bild entwickeln heute in den Kindern eine gedankliche Elastizität, was in mehrfacher Hinsicht von günstiger Wirkung ist.

Bis jetzt wurden zwei Gesichtspunkte betont, um einen Bürger heranzubilden. Das Ziel der Erziehung bestand darin, den jungen Menschen so auszurüsten, dass er als Erwachsener in der raubgierigen, modernen Welt für sich selber sorgen und seinen Lebensunterhalt verdienen kann, dass er möglichst reich wird und somit von seinen Angehörigen nicht abhängig ist. Bei all dieser Schulung wurde der Standpunkt des einzelnen betont, und alles war nur darauf eingestellt, was er tun würde, wie er leben würde und was er aus dem Leben herausholen und daraus machen könnte.

Dort, wo der Einfluss der Religion ausschlaggebend war (also in Kirchenschulen aller Art) wurde ihm gelehrt, dass er bestrebt sein müsse, «gut» zu sein. Falls ihm das gelänge, so lautete der eigennützige Ansporn, würde er schliesslich in den Himmel kommen und in eitel Glückseligkeit leben. Man war bestrebt, ihm diese Ideen beizubringen, ihn durch wohlorganisierten Druck in die gewünschte, vorbildliche Form zu pressen, ihm die nötige Menge oberflächlichen Wissens über die Menschheit und menschlichen Errungenschaften einzutrichtern und seine Fähigkeit zu entwickeln, geschichtliche, wissenschaftliche, religiöse und andere Tatsachen auswendig zu lernen, auch wenn seine Denkfähigkeit ganz unentwickelt blieb; dann wurde er auf die Welt und auf die ihm vom Schicksal bestimmte Gemeinde losgelassen, wo er sich zu behaupten und durchzusetzen hatte.

Mir ist natürlich klar, dass das oben Gesagte eine [102] starke Verallgemeinerung ist. Nicht enthalten sind darin die angeborenen und inneren Fähigkeiten des Kindes, der von ihm erreichte Punkt der Seelenentwicklung und die Anerkennung der Gaben, mit denen es als Resultat früherer Lebenserfahrung ins Leben tritt. Nicht berücksichtigt ist auch der Einfluss der vielen gewissenhaften, geistig eingestellten und hochentwickelten Lehrer, die zu allen Zeiten junge Menschen richtunggebend beeinflusst, belehrt, gelenkt und ihnen den Weg zu besseren Dingen gewiesen haben. Ich spreche hier nur von dem Anstalts-Aspekt der Erziehungssysteme und von dessen erwiesener Wirkung auf die jungen Leute jeder Nation, welche diesen Systemen ausgesetzt wurden. Die Endziele, die dem Anstaltslehrer vorschwebten, waren eng und beschränkt, und die Endergebnisse seiner Lehre und Arbeit waren selbstsüchtige, materialistisch eingestellte Menschen, deren Ziel und Lebenszweck die Besserung ihrer materiellen Existenz war. Das wurde noch besonders begünstigt, wenn persönlicher Ehrgeiz vorhanden war, der den Zögling dazu verleitete, sich willig ein solch enges, selbstsüchtiges Lebensziel zu eigen zu machen. Durch das Gewicht des Materialismus, der die weltzugewandten Erziehungsmethoden kennzeichnet, durch die Selbstsucht der weltumspannenden Geschäftsinteressen, und bei ständiger Betonung der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, wurde der natürliche Idealismus des Kindes (und welches Kind ist nicht ein geborener Idealist?) langsam aber sicher erstickt.

Ganz allmählich ist aber eine Veränderung in dieser unheilvollen Lage der Dinge (die ihren Höhepunkt zu Anfang dieses Jahrhunderts erreichte) eingetreten, so dass heute in vielen Ländern das Wohlergehen des Staates selber, das Wohl des Reiches und die Bedürfnisse des Volkes dem jungen Menschen von frühester Kindheit an als höchstes Ideal vorgehalten werden. Dem jungen Menschen wird gelehrt, dass er dem Staat, dem Reich oder dem Volk mit seinen besten Gaben dienen muss; es wird seinem Bewusstsein scharf eingeprägt, dass sein persönliches Leben dem grösseren Leben des Staates oder Volkes unterzuordnen ist, und dass es seine Pflicht ist, die Anforderungen seines Volkes zu erfüllen, ja ihm sogar sein [103] Leben zu opfern. Es wird ihm gelehrt, dass er in Zeiten dringender Not als Einzelmensch nichts bedeutet, sondern dass allein die grössere Gemeinschaft, der er als winziger Teil angehört, von Wichtigkeit ist. Das ist ein deutlicher Schritt vorwärts in der Bewusstseins-Erweiterung, die der Menschheit zum Ziel gesetzt ist.

Ich möchte euch hier wieder an das Ziel aller göttlichen und hierarchischen Bestrebungen erinnern: die Erweiterung des Bewusstseins und das Erzeugen einer verstärkten Empfänglichkeit und eines intuitiven Gewahrseins. Das Ziel ist nicht eine Verbesserung der materiellen Bedingungen. Diese werden sich automatisch verbessern, wenn der Sinn des Gewahrseins sich ständig weiter entfaltet. Die Zukunft der Menschheit ist durch das geistige Streben der Menschen bedingt, und durch ihre Fähigkeit, dem Idealismus Gehör zu geben, der heute die ganze Welt durchflutet.

Zurzeit wird aber auch noch ein weiterer Schritt unternommen. Überall und in jedem Land wird den jungen Menschen schon frühzeitig gelehrt, dass sie nicht nur Individuen, nicht nur Glieder eines Staatskörpers, Reiches oder Volkes sind, und nicht nur Leute mit einer persönlichen Zukunft, sondern dass man von ihnen erwartet, sie als die Vertreter einer bestimmten grossen Gruppen-Ideologie zu sehen: der Demokratie, der Lehre vom totalen Staat oder des Kommunismus. Diese Ideologien sind letzten Endes Träume oder Visionen, die Gestalt annehmen. Für diese - so wird den modernen jungen Leuten gelehrt - müssen sie arbeiten und streben und, wenn nötig, auch kämpfen. Es wird somit klar, dass hinter all dem äusseren Chaos, der heute überall im menschlichen Bewusstsein vorherrschenden Unruhe und Verwirrung, und hinter all der Furcht und dem Argwohn, dem Hass und den Sonderbestrebungen, die Menschen beginnen, drei Bewusstseins-Stadien in sich zu verbinden: das Bewusstsein des Individuums, des Bürgers und des Idealisten. Die Fähigkeit dies zu erreichen und alle drei Stadien gleichzeitig zu manifestieren, reicht jetzt in jene Schichten menschlichen Lebens hinunter, die wir die «untergeordneten Klassen» nennen.

All dies ist durchaus gut und gehört zum vorbestimmten Plan. Ob es sich nun um das demokratische Ideal, um die Vision des totalen Staates oder um den Traum eines kommunistischen Enthusiasten [104] handelt, die Wirkung auf das Bewusstsein der Menschheit als Ganzes ist entschieden gut. Des Menschen Gefühl weltweiter Bewusstheit ist entschieden im Wachsen begriffen, seine Fähigkeit, sich selbst als Teil des Ganzen zu betrachten, entwickelt sich schnell, und all diese Stadien sind wünschenswert und richtig und sind im göttlichen Plan enthalten.

Es ist aber natürlich auch wahr, dass dieser Entwicklungsgang durch höchst unerwünschte Methoden und Beweggründe vereitelt und gehemmt wird, doch pflegen die Menschen leider das Schöne zu verderben; sie haben ja die hochentwickelte Fähigkeit, egoistisch und materialistisch zu sein. Da das Denkvermögen der Menschen im allgemeinen noch ungeschult und unentwickelt ist, so haben sie nur wenig Unterscheidungskraft und kaum die Fähigkeit, den Unterschied zwischen Altem und Neuem, oder zwischen dem Richtigen und dem noch Richtigeren zu erfassen. Da sie im Elternhaus und in den heutigen Schulen in einer selbstsüchtigen und materialistischen Lebensanschauung geschult worden sind, so laufen ihre Gedanken normalerweise in diese unerwünschte Richtung.

In dem jetzt zu Ende gehenden Fische-Zeitalter sind die jungen Leute in allen Ländern unter dem Einfluss dreier Grundideen grossgezogen worden. Der Inbegriff dieser Ideen kommt etwa in den drei folgenden Fragen zum Ausdruck:

1. Welchen Beruf soll ich wählen, damit ich so viel materiellen Besitz haben kann, wie es meine Lebensstellung und meine Bedürfnisse gestatten?

2. Welche Leute, zu denen ich aufschaue und die ich ehren muss, stehen über mir in der sozialen Rangordnung, und welche sind unter mir? Inwieweit wird es mir möglich sein, auf der sozialen Leiter emporzusteigen und meine Lage zu verbessern?

3. Von Kindheit an ist mir gelehrt worden, dass es meine natürliche Neigung ist, Schlechtes zu tun, ungezogen zu sein, oder (falls es sich um engreligiöse Kreise handelt), dass ich ein armseliger Sünder und künftiger Glückseligkeit unwürdig bin. Wie kann ich den üblen Folgen meiner natürlichen Neigungen entfliehen?

Die Folge [105] dieser Einstellung ist, dass im Menschengeschlecht ein tiefverwurzeltes Gefühl materiellen und gesellschaftlichen Ehrgeizes grossgezogen wird, ebenso ein Minderwertigkeitskomplex, der notwendigerweise in irgendeiner Form persönlicher Auflehnung, rassischer Explosionen oder - beim Einzelmenschen - in einer ausschliesslich egozentrischen Lebensauffassung durchbricht. Die Menschheit muss endlich einmal von solchen verkehrten Tendenzen und rückschrittlichen Ideen freikommen. Gerade diese Erkenntnis hat bei einigen Völkern die Überbetonung des nationalen und rassischen Wohles und des Staatswesens hervorgerufen. Das führte zur Unterminierung der hierarchischen sozialen Rangordnung. Diese Rangordnung nach hierarchischem Aufbau ist eine grundlegende und ewige Wirklichkeit, doch ist diese Grundidee so verzerrt und so missbraucht worden, dass die Menschen sich dagegen aufgelehnt haben; infolgedessen entstand ein fast abnormer Drang nach Freiheit, und eine Zügellosigkeit, die unerwünschte Ausmasse anzunehmen droht.

Das weitverbreitete Verlangen der heutigen Jugend (in gewissen Ländern) nach Vergnügen und Zerstreuung, ihre Unverantwortlichkeit und ihre ablehnende Einstellung den wahren Lebenswerten gegenüber, - das alles sind Anzeichen dieser Tendenz. Am schlimmsten ist es in den demokratischen Ländern. In den totalitären Staaten wird das nicht im gleichen Ausmass gestattet, da die Jugend in diesen Ländern gezwungen wird, Verantwortlichkeiten auf sich zu nehmen und sich in den Dienst eines grösseren Ganzen zu stellen, nicht aber einem Leben materieller Berufe sich hinzugeben und die schönen Jahre mit dem zu vergeuden, was ihr landläufig «to have a good time» (sich ausleben) nennt. Eine solche «schöne Zeit» geht meistens auf Kosten anderer, und diese Vergnügungssucht zeigt sich gerade in den Bildungsjahren, die unwiderruflich die Zukunft des jungen Menschen beeinflussen und bestimmen.

Ich spreche hier nicht politisch oder als Verteidiger eines Regierungssystems. Erzwungene Tätigkeit und dann erzwungene Verantwortlichkeit drückt die Masse der so Beeinflussten auf die Stufe der frühen Kindheit herab; die Menschheit aber sollte jetzt ihre Reife erlangen und mit wachsendem Verständnis für die wahren Werte des Lebens willens sein, Verantwortung auf sich zu nehmen. Das Gefühl der Verantwortung ist eines der ersten Anzeichen dafür, dass [106] die individuelle Seele erwacht ist. Die Menschheitsseele erwacht zurzeit «en masse», deshalb finden wir die folgenden Merkmale:

1. Überall entstehen oder wachsen Gesellschaften, Organisationen und Massenbewegungen zur Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen.

2. Das Interesse der breiten Massen an der allgemeinen Wohlfahrt nimmt zu.

Bisher sind nur die höheren Gesellschaftsklassen daran interessiert gewesen, und zwar entweder aus eigennützigen Gründen, um sich selbst zu schützen, oder aus angeborenem Edelsinn. Die führenden und fachlich ausgebildeten Schichten haben die öffentliche Wohlfahrtspflege vom Standpunkt des mentalen und wissenschaftlichen Interesses, das auf allgemein-materialistischer Grundlage beruhte, erforscht und studiert; und das Kleinbürgertum ist natürlicherweise aus Gründen des Finanz - und Handelsprofits in die selben Interessen mitverwickelt worden. Heute reicht dieses Interesse bis in die untersten Schichten der menschlichen Gesellschaft, und alle Klassen verfolgen das allgemeine, nationale, rassische und internationale Wohlergehen mit wacher und wachsender Anteilnahme. Das ist gut so und ein hoffnungsvolles Zeichen.

3. Humanitäre und philanthropische Bestrebungen haben überall einen Höhepunkt erreicht, gleichzeitig aber auch Grausamkeit, Hass und Verirrungen, die eine Folge des Separatismus, übertriebener nationaler Ideologien, der Angriffslust und des Ehrgeizes im Leben der Völker sind.

4. Erziehung und Bildung werden immer grösseren Massen zuteil, und die Kinder aller Völker, von der höchsten bis zur niedrigsten Gesellschaftsklasse, erhalten eine intellektuelle Ausbildung wie nie zuvor. Das Streben läuft natürlich zumeist darauf hinaus, den materiellen und nationalen Bedingungen gerecht zu werden, dem Staat nützlich zu sein und ihm nicht zur Last zu fallen. Das allgemeine Resultat wirkt sich indes im Sinn des göttlichen Planes aus und ist fraglos gut.

5. Die wachsende Einsicht der leitenden Stellen, dass der Durchschnittsmensch immer mehr zu einem Faktor in der Weltpolitik wird. Die Presse und das Radio hämmern von allen Seiten auf ihn ein, aber er ist heute genügend intelligent und [107] interessiert, um den Versuch zu machen, sich seine eigene Meinung zu bilden und seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Alles dies ist erst im Werden, aber die Anzeichen seines Bemühens sind zweifellos da; daher die Presse- und Radio-Kontrolle, die in allen Ländern in irgendeiner Form anzutreffen ist, denn die hierarchische Struktur, auf der sich das Leben unseres Planeten gründet, kann auf die Dauer nicht umgangen werden. Diese Kontrolle zerfällt in zwei Hauptkategorien:

Finanzkontrolle, wie in den Vereinigten Staaten.

Regierungskontrolle, wie in Europa und Grossbritannien.

Man sagt eben den Leuten, was für sie gut ist; stille Vorbehalte und Geheimdiplomatie beeinflussen das Verhältnis der Regierung zur breiten Masse, und die Hilflosigkeit der Durchschnittsmenschen (gegenüber den politischen Machthabern, die über Krieg und Frieden usw. beschliessen, gegenüber theologischen Druckmitteln und wirtschaftlichen Denkweisen) ist noch immer beklagenswert, wenn auch lange nicht mehr so gross und so drastisch, wie es früher der Fall war. Die Seele der Menschheit ist im Erwachen, und die gegenwärtige Lage kann als ein Übergangsstadium angesehen werden.

Es wird das Bestreben der kommenden Erziehungssysteme sein, die individuelle Integrität zu bewahren, das Gefühl der persönlichen Verantwortlichkeit zu stärken, die Entwicklung eines Gruppenbewusstseins grundlegender individueller, nationaler und internationaler Beziehungen zu fördern und dabei Fähigkeiten, Interessen und Talente nach aussen zu integrieren und zu organisieren. Ferner wird man bestrebt sein, das Gefühl zu stärken, ein Bürger beider «Reiche» zu sein, nämlich sowohl der äusseren Welt hier auf der physischen Ebene als auch des Reiches Gottes und seiner Seelenbeziehungen.

Um das zu erreichen und somit die Denkweisen der heutigen Welt und die falschen Wertbetonungen gänzlich umzugestalten, sind die drastischen planetarischen Katastrophen und Ereignisse der Gegenwart gestattet worden.

Die Weltlage und die Ideologien

Bevor [108] wir mit der mehr technischen Seite unserer Arbeit beginnen, wollen wir ein wenig über die Weltlage und die Weltideologien vom Standpunkt der Erziehung aus nachsinnen. Vertieft euch darin vom Gesichtspunkt der bestehenden Gruppenbeziehungen und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, die Jugend der Zukunft auf das kommende Zeitalter vorzubereiten, dessen Umrisse nur verschwommen erschaut werden können. Macht euch, wenn möglich, eine allgemeine Vorstellung von der heutigen Weltlage in ganz allgemeinen Umrissen, also unter Zurückstellung aller Einzelheiten oder führender Persönlichkeiten, es sei denn zur Erläuterung des Gesagten. Ich schaffte die Grundlage hierzu in meinen anderen Schriften, indem ich versuchte, die psychologischen Probleme der verschiedenen Völker und die Ursachen dieser Probleme aufzuzeigen sowie das Besondere hervorzuheben, das jedes Volk zum Weltganzen beizutragen hat.

Wir werden versuchen, gewisse wichtige Tatsachen zu erkennen, obgleich diese in der Regel mehr von den Esoterikern als der grossen Allgemeinheit als Tatsachen angesehen werden. Doch ist es ja gerade unsere Absicht, als Esoteriker zu arbeiten. Diese Tatsachen sind:

1. die Tatsache, dass es gewisse grundlegende Ideen gibt, die im Lauf der Zeitalter hervorgetreten sind und die Menschheit zur jetzigen Entwicklungsstufe gebracht haben. Ideen sind ja das Wesentliche des Entwicklungsdranges;

2. die Tatsache, dass seit undenklichen Zeiten eine verborgene Kontrolle besteht, die wiederum auf das Vorhandensein eines bestimmten Planes hindeutet, soweit das menschliche Bewusstsein davon berührt wird;

3. die Tatsache, dass alles Wachstum auf Erfahrung, Kampf und Beharrlichkeit beruht - daher die heutigen Umwälzungen. Es bedeutet ein «Hindurchdringen zum Licht» - das Aufleuchten des Lichtes in der Welt und die Ausgestaltung der Gruppen-Antahkarana.

Es ist [109] klar, dass vieles von diesen meinen Ausführungen nicht zur sofortigen Anwendung geeignet ist, doch sollen die Schüler dazu angeregt werden, über die hier angedeuteten Richtlinien nachzudenken und nachzusinnen, denn nur durch die Bildung einer für die neuen Erziehungsideen empfänglichen Kerngruppe von Denkern wird es der geistigen Hierarchie der Meister ermöglicht, die gewünschten Resultate ihres Strebens und Arbeitens zu erzielen, nämlich den Plan Gottes auf Erden zu verwirklichen.

Die Meister können nicht und wollen nicht ohne ihre erwählten Brennpunkte auf der physischen Ebene arbeiten. Ich möchte euch hier wieder bitten, euch als die Vorposten des Bewusstseins jener zu betrachten, die auf der Innenseite des Lebens versuchen, neues Licht auf die Fragen sozialer Einrichtungen, auf die Beziehungen des Einzelmenschen zum Ganzen und auf die neuen und wünschenswerten Richtungen in der Erziehung zu werfen. Ich möchte euch bitten, euch einer Gedankenschulung in diesem Sinn zu unterziehen. Beachtet, wie ich diese Bitte ausgedrückt habe: erst betrachten, dann sich schulen. Erst der Glaube an die Möglichkeit des Kontaktes, dann die Massnahmen, um diese Fühlungnahme zu erleichtern und auszugestalten.

Unser Thema ist das Studium des menschlichen Erziehungswesens in seiner Auswirkung, das (in den späteren Stadien) Verantwortlichkeit und rechtes Handeln miteinschliesst. Wir wollen in grossen Zügen die Entwicklung des Menschen von einer isolierten Einzelpersönlichkeit durch die Stadien des Familien-, Stammes- und Volkslebens bis zum jetzigen Stadium einer hochstrebenden, idealistischen Menschheit betrachten. Dieser Idealismus mit dem daraus erwachsenden ständigen Suchen und Forschen hat das jetzige Weltchaos verursacht; diese Faktoren haben die sich widersprechenden Ideologien und das dramatische Hervortreten nationaler Retter, der Weltpropheten und -verbesserer, Idealisten, Opportunisten, Diktatoren und Forscher aller Richtungen, auf jedem Gebiet menschlichen Denkens und in jedem Land hervorgebracht. Das Erscheinen dieses Idealismus ist ein gutes Zeichen. Er ist auch verantwortlich für die siedende Unruhe und das dringende Verlangen nach besseren Lebensbedingungen, nach mehr Aufklärung und Verständnis, nach engerer Zusammenarbeit, nach Sicherheit auf der Grundlage rechter Neuordnung und nach Frieden und Überfluss anstelle von Terror, Furcht und Hunger.

Es ist [110] nicht meine Absicht, dieses Thema vom Standpunkt der vielen modernen Lehrbücher über Staatswissenschaft, Gesetzeskunde oder der mannigfachen Theorien (über Volkswirtschaft, Politik etc.) zu betrachten, denen heute so starke Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich beabsichtige auch nicht, auf Einzelheiten oder Definitionen einzugehen. Die Vertreter der verschiedenen Gedankenrichtungen sind die beste Quelle der einschlägigen Literatur, und sie können ihre Ansicht viel erfolgreicher darstellen, als ich es vermag; die Anhänger einer Ideologie können ja ihre Überzeugungen und Ziele mit viel mehr Temperament und Zukunftsgewissheit ausmalen, als es mir möglich wäre. Ich schreibe zu eurer Belehrung als einer, der das Vorbild klarer sieht als ihr, da ich es von innen wie von aussen erschauen kann, und auch aus dem Plan kenne, der sich im Verwahrsam der Hierarchie befindet. Ich schreibe als einer, der in lebendigem Meinungsaustausch mit den Mitarbeitern der Hierarchie versucht hat, die erstrebten Ziele zu erschauen und an den nächsten Projekten mitzuarbeiten - in dieser Zeit planetarischer Krisen, Umwälzungen und durchgreifender Veränderungen, da die Menschheit zu neuen Lebenshöhen und höheren Bewusstseinszuständen emporsteigt. Ich schreibe als einer, der recht eingehend die Archive der Vergangenheit und die Methoden der Meditation studiert und dadurch die Fähigkeit erlangt hat, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als zusammengehörige Einheit zu sehen, was euch derzeit natürlich noch nicht möglich ist.

Ich will versuchen, euch einige Pläne und Ideen, welche die hierarchische Handlungsweise bestimmen, darzulegen; lasst diese Ideen in eurem Denken gären und reifen, bis ihr sie entweder ablehnt oder aber überzeugt seid. Ich möchte lediglich Anregungen und Hinweise geben. Es bleibt euch überlassen, daraus intelligente Schlussfolgerungen zu ziehen und in der hier angegebenen Richtung nachzudenken. Ich möchte, dass ihr euch in diese Gedankengänge vertieft, damit mein Einwirken auf eure Gedanken erleichtert wird und der Gruppenbau der nötigen Lichtbrücken unaufhaltsam vorwärtsschreiten kann. Vergesst bitte nicht, dass auch ich eine Anstrengung machen muss, um euch meine Gedanken und Ideen verständlich zu machen, und das ist nur dann möglich, wenn ich mich von Weisheit leiten [111] lasse und ihr Intelligenz und Ausdauer beweist. Wenn der Lehrer weise und der Schüler intelligent ist, lässt sich vieles erreichen.

Ich möchte euch auch bitten, (wenigstens zeitweilig) von einer Kritik abzusehen; eure vorgefassten Meinungen zunächst zurückzustellen; willens zu sein, abzuwägen und reiflich zu erwägen - diesmal nicht Beweise, sondern eine innere Struktur esoterischen Geschehens, das wichtiger ist als die äusseren Ereignisse, um auf diese Weise etwas vom Zweck der neuen Erziehung zu erfassen. Denkt über diesen letzten Satz nach und erwägt den Sinn meiner Worte. Ich möchte, dass ihr eine vertikale Einstellung mit einem horizontalen Gesichtspunkt vereint. Lasst euch auch diesen Satz durch den Kopf gehen.

Wenn wir den Entwicklungsweg des Menschen studieren, wie er sich langsam aus dem animalischen Zustand zu seiner heutigen immer mehr intellektuellen Einstellung emporarbeitet, und wie er in eine Zukunft weitester Möglichkeiten und Gelegenheiten vorwärtsdrängt, so wollen wir uns immer vor Augen halten, dass für die Hüter des göttlichen Planes und für jene, welche die neuen Entwicklungsphasen ausarbeiten, die Formseite des Lebens, die äussere greifbare Ausdrucksform nur von zweitrangiger Bedeutung ist. Eure Schau wird oft durch den Schmerz und das Leid, denen die äussere Form ausgesetzt ist, getrübt (sei es euer eigenes Leid oder das anderer, sei es persönlicher oder allgemeiner Art), so dass ihr den Zweck und die dringende Notwendigkeit des Lebens in der Form nicht klar erkennen könnt. Für viele von euch war z.B. der Weltkrieg eine Katastrophe schlimmster Art, eine Seelenqual, die man in Zukunft um jeden Preis verhüten sollte, voll schrecklicher Geschehnisse, welche die Bösartigkeit der Menschen und die unglaublich blinde Gleichgültigkeit Gottes zeigten. Für uns, auf der inneren Seite des Lebens, war der Weltkrieg gleichsam ein einschneidender operativer Eingriff, ein Versuch, um das Leben des Patienten zu retten. Um es symbolisch auszudrücken: Ein tödlicher Streptococcus voller Ansteckungsgefahren bedrohte das Leben der Menschheit, und es wurde zur Operation geschritten, um die günstige Gelegenheit zu verlängern und Leben zu retten, nicht um Formen zu retten. Diese Operation war im grossen Ganzen erfolgreich. Der Bazillus ist natürlich noch nicht völlig ausgerottet und macht sich in den infizierten Teilen des Menschheitskörpers bemerkbar.

Ein anderer [112] operativer Eingriff wird vielleicht noch nötig sein, nicht um die heutige Zivilisation zu zerstören und ihr ein Ende zu bereiten, sondern um die Ansteckungsgefahr zu beseitigen und das Fieber loszuwerden. Vielleicht wird aber ein solcher Eingriff gar nicht erforderlich sein, da derzeit eine Verringerung der Infektionsherde, eine Absorbierung und Beseitigung im Gange ist, die sich als erfolgreich erweisen kann. Auf dieses Ziel wollen wir hinarbeiten, aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass das Leben, sein Zweck und Ziel, und sein vorbestimmtes Schicksal von Wichtigkeit sind; wenn sich also eine Form als unzulänglich, als zu krank oder als zu unbrauchbar erweist, um dieses Vorhaben zum Ausdruck zu bringen, dann ist es - vom Standpunkt der Hierarchie - kein Unglück, wenn diese Form verschwinden muss. Der Tod ist ja kein Unglück, das man zu fürchten hat; das Werk des Zerstörers ist wirklich nicht grausam und unerwünscht. Das sage ich euch, ich, der ich selber auf dem Strahl der Liebe bin und seine Bedeutung kenne.

Es gibt zwei Arten der Zerstörung: die eine erfolgt durch Menschen, die kein Verständnis für die Ziele und Zwecke des Lebens haben, die blind und unwissend handeln, angetrieben durch selbstsüchtige Begierden, Machtliebe und Hass. Die andere Art der Zerstörung wird von der Seele zur rechten Zeit gestattet und erfolgt dann, wenn das innewohnende Leben nach einem neuen Ausdrucksträger verlangt. Daher wird von den Hütern des Planes viel Zerstörung gestattet und viel Böses in Gutes verwandelt, da das Ende schon von Anfang an erschaut wird und das Bewusstsein in der Erfahrung genügend gereift ist, um die Form des höheren Nutzens wegen aufzugeben. Diese Wahrheit gilt für Einzelmenschen, für Völker und Rassen. Empfindungsfähigkeit für das Leiden der Welt ist eine grosse und göttliche Eigenschaft; wenn sie jedoch gefühlsbetont ist, dann wird sie separatistisch und richtet ihr Augenmerk nur auf Parteien und Persönlichkeiten; so wird daraus Verblendung und Illusion, die den wahren Sachverhalt verwischen und die Menschen für die göttlichen Wirklichkeiten blind machen.

Ich möchte euch daran erinnern, dass der Esoteriker seine Schlussfolgerungen immer vom Universellen aufs Einzelne oder Besondere zieht. Das werde auch ich immer tun, um auf diese Weise der zu sehr auf das Einzelne eingestellten Ansicht des Schülers, seiner [113] falschen Perspektive und seiner Kurzsichtigkeit entgegenzuwirken. Wir wollen die Haupt-Tendenzen und den weiten Spielraum des heranwachsenden menschlichen Bewusstseins studieren, das - ohne Unterlass - nach einem seiner Entfaltung entsprechenden Wechsel in der Erziehung, in der Religion und im Sozialwesen verlangt. Zivilisationen, Kulturen, Rassen und Völker erscheinen auf der Bühne des Lebens und verschwinden wieder, doch sind es dieselben Individualitäten, die mit ihnen kommen und gehen, welche die Früchte der Erfahrung einsammeln und die zu vollerer Selbst-Herrschaft, zur Gruppengestaltung und zur Synthese vorwärtsschreiten.

Ich möchte euch ferner daran erinnern, dass in jedem Menschen eine besondere Eigenschaft steckt - eine angeborene, innewohnende Eigentümlichkeit, deren Vorhandensein unvermeidlich ist - die man als mystische Perzeption bezeichnen könnte. Ich benutze diesen Ausdruck in einem viel weiteren Sinn, als es gewöhnlich geschieht, und ich möchte, dass ihr diese mystische Perzeption so anseht, dass sie die folgenden Qualitäten umfasst:

1. das mystische Schauen der Seele, Gottes und des Alls;

2. die Fähigkeit, mit der Welt der Bedeutung, der subjektiven Welt der zum Vorschein kommenden Wirklichkeit, in Berührung zu kommen und sie richtig einzuschätzen;

3. die Fähigkeit, zu lieben und all dem Liebe entgegen zu bringen, was anders ist, als das eigene Selbst;

4. die Fähigkeit, Ideen zu erfassen und innerlich zu erschauen;

5. die Fähigkeit, das Unbekannte, das Wünschenswerte und das Erwünschte zu erfühlen. Daraus ergibt sich entschlossenes Streben und Beharrlichkeit, die es dem Menschen möglich machen, der unbekannten Wirklichkeit nachzuforschen und sie zu verlangen. Gerade diese Neigung zum Mystischen hat die grossen. weltbekannten Mystiker, die zahlreichen Forscher, Entdecker und Erfinder hervorgebracht;

6. die Fähigkeit, das Gute, Schöne und Wahre zu erfühlen, in sich aufzunehmen und aufzuzeichnen. Diese Fähigkeit hat die Schriftsteller, Dichter, Künstler und Architekten hervorgebracht;

7. den Drang, die Geheimnisse Gottes und der Natur zu entdecken und in sie einzudringen. Dieser Drang hat die Wissenschaftler und die Religiösen hervorgebracht.

Aus der Betrachtung [114] dieser Definitionen erseht ihr, wie umfassend der Ausdruck «mystische Perzeption» ist. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als die dem Menschen eingeborene Fähigkeit, nach dem seine Hand auszustrecken und das zu erfassen, was grösser und besser als er selber ist, und was ihn durch die fort- und vorwärtsschreitenden Kulturen und Zivilisationen angetrieben hat, so dass er heute an der Schwelle eines neuen Naturreiches steht. Es ist die Fähigkeit, das scheinbar unerreichbare Gute richtig abzuschätzen und zu erstreben. Denkt deshalb an diese umfassende und allgemeingültige These, wenn wir die sich im Menschen entwickelnde Fähigkeit des Selbst-Ausdrucks, der Selbst-Bestimmung und der Selbst-Herrschaft studieren.

Welche grundlegenden Ideen (beginnend mit den bekannten Instinkten) haben den Menschen Schritt für Schritt zu seinem heutigen Kampf um Weltverbesserung, Gruppenwürdigung und natürliche Selbst-Bestimmung geführt, mit dem Ziel - zumeist unbewusst -, ein besseres Ausdrucksorgan im lebendigen Organismus der Menschheit zu schaffen?

Ich habe dies schon an anderer Stelle behandelt, und zwar bei der Besprechung des jetzigen Strahlen-Planes für die Menschheit auf dem Gebiet der Politik, der Religion und der Erziehung, und ich möchte hier einen Teil des Gesagten wiederholen, da es sich direkt auf unser Thema bezieht:

«Letzten Endes besteht das Hauptproblem einer Weltregierung in der weisen Benutzung von Ideen. Die Macht der Sprache ist hier fühlbar, ähnlich wie im Bereich der Religion und der Erziehung das geschriebene und gedruckte Wort alles bedeutet. In der Politik werden Massen von ihren Rednern beeinflusst, und durch das Radio geschieht dies heute in stärkerem Mass als je zuvor. Grosse Ideen werden dem Publikum ohne Unterlass förmlich in die Ohren geschrien - Theorien über Diktatur, Kommunismus, Sozialismus, Faschismus, Marxismus, Nationalismus und über demokratische Ideale. Von dieser oder jener Gruppe von Denkern werden dem Publikum dauernd Regierungsmethoden vorgeschlagen, man lässt dem einzelnen kaum Zeit, etwas klar zu überdenken oder zu erfassen. Rassische Antipathien werden ausgestreut, und jeder kann seine persönlichen Ansichten und Illusionen anbringen, welche die Gedanken derer, die nicht selbst denken können, in die Irre führen. Wer [115] eine goldene Zunge hat, wer das Talent besitzt, mit Worten zu jonglieren und die Übelstände im Volk recht herauszustreichen, der Mann, der mit Statistiken herumgaukeln kann, der Fanatiker, der für alle sozialen Missstände die sichere und einzig richtige Abhilfe weiss, und der Propagandaredner, der gern Rassenhass anfacht, - sie alle haben es leicht, Anhänger zu finden. Solche Personen können mit Leichtigkeit den ganzen Staat dadurch aus dem Gleichgewicht bringen, dass sie einer gedankenlosen Gefolgschaft zu vorübergehendem Erfolg und einer gewissen Machtstellung verhelfen oder sie in die Sackgasse der Geschmähten und Missachteten treiben.

"Durch dieses wechselvolle Spiel von Ideen und durch die grossen Gedanken, die hinter unserer evolutionären Entwicklung als treibende Kraft wirken, lernt der Mensch denken, wählen und eine gesicherte Grundlage bilden. Diese Gedanken, die durch die evolutionäre Entwicklung herangetragen werden, führen langsam aber sicher zu einer Freiheit des Denkens (nach der alten Methode zu experimentieren, beiseite zu legen und mit neuer Anstrengung an neue Gesichtspunkte heranzugehen), die den Menschen befähigen wird, sich getreu an die grossen Gedankenvorbilder zu halten, die dem Gefüge unserer Welt zugrunde liegen. Die aufmerksamen Denker dieser Zeit werden für diese Vorbilder dauernd empfänglich gemacht, so dass der einzelne sie verstehen und aus dem Dunkel ans Tageslicht bringen kann. So werden die wahren Archetypen (Urbilder) zugänglich gemacht und erfüllen die Aufgabe, die Menschen zu ihrem Schicksalsweg hinzuführen, sie zu jenen tieferen Erkenntnissen zu bringen, welche die einzelnen Rassentypen prägen, und ihnen jenes weltweite Einigungsbestreben zu vermitteln, das in der Bruderschaft der Menschen seinen Höhepunkt findet.

Solcherart spielen Gedanken ihre massgebliche Rolle, und man wird das Problem der Ideen erst dann besser verstehen, wenn wir unsere trainierten intuitiven Denker um uns haben werden, die in die Welt der gedanklichen Vorstellungen einzudringen vermögen und (zum Nutzen ihrer Mitmenschen) die vorgebildeten Ideen aufzeigen können, mit Hilfe derer die Menschheit fortschreiten kann. Ich bin mir voll bewusst, dass man mich ob dieser Mitteilung schelten mag, dass ich romantische Geschichten erzähle und unmögliche Dinge berichte; die Zeit jedoch wird zeigen, dass meine Vorhersagen auf Wahrheit beruhen. Der Aufbau dieser Welt erfolgt nach gewissen inneren Gedankenformen, und eben diese Gedankenvorbilder bringen derzeit eine Flut von Experimenten in Regierungsmethoden bei [116] allen Nationen hervor. Aber niemand wird heute darin geschult, wie man diese Gedankenformen abfangen und diese Ideen richtig deuten und erklären kann; hier liegt der Kernpunkt der Schwierigkeiten. Wenn die Menschheit - später - ihr Problem mit klareren Augen erkennt, dann wird man Persönlichkeiten, die solche Urbilder wahrnehmen und anderen zur Kenntnis bringen können, mit grösster Hochachtung begegnen und ihnen ein sorgfältiges Training ermöglichen. Diese genannten Persönlichkeiten werden Männer und Frauen sein, die durch den Drang ihres Erkenntnisvermögens ein Erwachen der Intuition erlebten; es sind Menschen, die ihr Denken ganz dem Wohle der Gruppe unterordnen und die sich von jedem Ichgefühl so freigemacht haben, dass sie mit ihrer Denkkraft unbehindert die Welt der Wirklichkeit und inneren Wahrheit erreichen können. Man wird sie nicht im gewöhnlichen Sinn als «religiös» bezeichnen können, aber es sind Menschen guten Willens, von hohem geistigen Format, mit guten Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet; persönlichen Ehrgeiz und Egoismus kennen sie nicht, dagegen sind sie von Liebe zur Menschheit und von einem tiefen Verlangen, der Menschheit zu helfen, beseelt. Einen solchen Menschen nennen wir einen spirituellen Menschen.»

(Eine Abhandlung über die Sieben Strahlen, 1. Band).

Die Ursachen des Aufruhrs in der heutigen Welt

Ich möchte nun einige Ursachen für die Ruhelosigkeit in der heutigen Welt aufzählen und euch daran erinnern, dass manche dieser Ursachen soweit in die Vorzeit zurückreichen, dass die Geschichtsschreibung davon nichts weiss; sie würden euch ganz unverständlich erscheinen, da ihr euch keinen klaren Begriff von der Frühmenschheit machen könnt. Wenn ihr der künftigen Entwicklung mit Einsicht folgen wollt, ist ein ungefähres Verstehen der Situation wichtig.

Erstens ist schon das von der Menschheit erreichte Entwicklungsstadium eine der hauptsächlichsten und grundlegenden Ursachen. Die Menschheit ist auf ihrer Entwicklungsreise nun an die Schwelle einer Tür gelangt, und die erreichte Evolutionsstufe weist auf eine Entfaltung hin, die in der Lebensanschauung des Menschen und in all seinen weltlichen Beziehungen einschneidende Veränderungen notwendig macht. Diese Veränderungen werden vom Menschen [117] selber hervorgerufen und werden ihm nicht durch eine äussere Macht oder durch einen von der Menschheit ausgehenden Zwang aufgenötigt. Das ist ein wichtiger Punkt, der recht verstanden werden sollte. Man kann deshalb das Folgende sagen:

1. Der Mensch ist jetzt an einen Punkt gelangt, wo das Intelligenzprinzip so stark in ihm erwacht ist, dass nichts mehr sein Vordringen in Wissensgebiete aufhalten kann, die in gefährlicher Weise missbraucht und selbstsüchtig angewendet werden könnten, wenn nichts geschehen würde, um ihm Einhalt zu gebieten und ihn also vor sich selber zu bewahren - sogar um den Preis zeitweiligen Leidens. Man muss ihn lehren, auf eine höhere und bessere Wertempfindung zu reagieren.

2. Millionen von Menschen sind schon jetzt integrierte (abgerundete) Persönlichkeiten oder stehen unmittelbar vor der Integration. Sie beginnen, in sich selber als Einheit zu wirken, in Vorbereitung auf einen höheren Werdegang, der es ihnen möglich machen wird, bewusst in das grössere Ganze hereinzuwachsen. Von der Formseite der Manifestation aus betrachtet, arbeiten und wirken Denkvermögen, Gefühl und Gehirn als eine Einheit. Nun muss aber die höhere Entsprechung dieser niederen Kräfte, nämlich Weisheit, Liebe und Ausrichtung in Erscheinung treten; die feineren Kräfte müssen zum Ausdruck kommen. Instinktiv und mystisch verspürt die Menschheit diese Notwendigkeit mit klarer Gewissheit. Der Instinkt, zu höherer Vollendung vorwärtszuschreiten, nach dem Besseren zu forschen und zu suchen, bleibt ein mächtiger Antrieb. Man kann sich darauf verlassen, dass die Menschheit vorwärtsdrängen und Fortschritte machen wird. Die Hierarchie der Liebe ist aber bemüht, diesen Fortschritt zu beschleunigen, und dabei nimmt sie das Risiko möglicher Verwicklungen und Schwierigkeiten auf sich.

3. Gewisse Männer und Frauen auf jedem Gebiet menschlichen Denkens geben der Kraftfülle ihrer errungenen Integration und (wenn ihr es nur glauben wolltet) dem tatsächlich verwirklichten Seelenkontakt dadurch Ausdruck, dass sie aus der breiten Masse der Menschheit hervortreten. Sie überragen ihre Mitmenschen durch die Strahlkraft ihrer integrierten Persönlichkeit und dadurch, dass sie als edle und idealistische [118] Wesen wirken können. Von der Höhe, auf der sie stehen (relativ hoch vom menschlichen Standpunkt aus und bemerkenswert vom Gesichtspunkt der Hierarchie) trachten sie danach, das Denken und Leben des Menschengeschlechtes nach einem grossen Muster zu formen, das ihnen - je nach ihrer Neigung, ihrem Typus und ihrem Strahl - wünschenswert erscheint.

Man findet diese Menschen in den Wirkungsbereichen der Regierungen, Religionen, Wissenschaften, des Wirtschaftslebens, der Philosophie und der Soziologie, und als ein Ganzes gesehen sind sie ausserordentlich einflussreich; dieser Einfluss ist teilweise edler und guter Art, teilweise weniger erfreulich. Sie beeinflussen ihre Zivilisation im materiellen Sinn, wenn sie das Materielle betonen; sie erzielen auf subjektive und geistige Weise eine kulturelle Wirkung, falls sie eine solche Beeinflussung anstreben. Ihre Beweggründe sind oft edel und gut, haben sie doch alle einen Anflug von wahrem Idealismus; aber da sie noch in den Dingen der Seele unerfahren sind, machen sie viele Fehler, werden auf gefährliche Wege abgelenkt und führen viele Leute in Irrtum und Verwirrung. Am Ende führt dies aber dazu, dass das öffentliche Bewusstsein geweckt wird, und das ist immer gut.

Zweitens: Das Hervortreten eines neuen Rassentypus. Die subjektiven Umrisse dieses neuen Typus können bereits klar erkannt werden. So verblendet sind wir aber von der Formseite, dass heute viele behaupten, die neue Rasse entstehe in Amerika. Die neue Rasse formt sich jedoch in aller Herren Länder, wenn auch zumeist in denen, die von der fünften oder kaukasischen Rasse bevölkert sind. Die Hierarchie entdeckt aber auch unter den Völkern der vierten Rasse, zumal unter den Chinesen und Japanern, einige wenige, deren esoterischer Beitrag für das Ganze wertvoll ist.

Ich möchte an dieser Stelle eine bestimmte Feststellung machen, die viele verwundern mag. Das fünfte Naturreich, das geistige Reich, wird aus der fünften Stammrasse hervorgehen. Das ist die esoterische Kontrolle des Gesetzes der Entsprechungen. Ich möchte euch [119] aber daran erinnern, dass die einzigen Völker, die auf unserem Planeten noch der vierten Stammrasse angehören, die Chinesen, die Japaner, die verschiedenen mongolischen Rassen in Zentralasien (die sich aber schon bis zu einem gewissen Grade mit den Kaukasiern vermischt haben) und die Mischlingsgruppen auf vielen Inseln in den südlichen Gewässern beider Ozeane und Halbkugeln sind; dazu gehören auch die Nachkommen jener Rassen, die vor einer Million Jahren den südamerikanischen Kontinent durch ihre Zivilisation berühmt gemacht haben. Natürlich kann ich hier nur sehr stark verallgemeinern.

Der neue Rassentypus ist mehr ein Bewusstseinszustand als eine physische Form; er ist mehr eine Geistesverfassung als ein mit besonderen Eigenschaften ausgestatteter Körper. Im Lauf der Zeit aber bedingt und bestimmt jeder entwickelte Bewusstseinszustand beständig die Natur des Körpers, und bringt schliesslich ganz bestimmte physische Merkmale hervor. Die kommende neue Rasse wird zu der überall anerkannten Erkenntnis kommen, dass das mystische Wahrnehmungsvermögen eine Tatsache ist. Ihre Hauptqualität wird das intuitive Verstehen und die Beherrschung von Energie sein; ihr Beitrag zur Entwicklung der Menschheit ist die Umwandlung selbstsüchtigen Begehrens in Gruppenliebe. Man kann das sogar heute schon an der Einstellung der grossen nationalen Führer erkennen, die zumeist nicht von selbstischem Ehrgeiz erfüllt sind, sondern sich von der Liebe zu ihrem Volke, somit von einer bestimmten Form des Idealismus, leiten lassen; daher das Hervortreten der weltweiten Ideologien. Denkt darüber nach, erlangt ein umfassenderes Bild über das Wachstum des menschlichen Bewusstseins und begreift wenigstens teilweise das Ziel des neuen und kommenden Erziehungswesens.

Drittens: Das Ende des Fische-Zeitalters, das alle Ausdrucksformen seiner Ideale zur endgültigen Kristallisation (und daher in das Stadium des Verfalls) gebracht hat. Diese Formen haben grosse und durchaus notwendige Arbeit geleistet, und haben ihren Zweck erfüllt. Man könnte an dieser Stelle fragen: Was waren denn die hauptsächlichsten Ideale des nun zu Ende gehenden Fische-Zeitalters?

1. Die Autoritätsidee. Sie führte zu den verschiedenen Formen des Paternalismus (väterliche Fürsorge), der den Menschen von [120] politischen, erzieherischen, sozialen und religiösen Obrigkeiten auferlegt wurde. Es kann sich um den menschenfreundlichen Paternalismus der privilegierten Klassen handeln, die bestrebt waren, die Lage der von ihnen Abhängigen zu verbessern (und das ist auch vielfach geschehen); oder um den Paternalismus der Kirchen und Weltreligionen, der in der Autorität der Priester und Geistlichen seinen Ausdruck fand; oder um den Paternalismus im Erziehungswesen.

2. Die Idee der Wichtigkeit von Leiden und Schmerzen.

In der Absicht, dem Menschengeschlecht die nötige Eigenschaft des Loslösens oder Nicht-Anhangens zu lehren, und um das Wünschen und Planen der Menschen von der Formseite des Lebens abzulenken, haben die Führer der Menschheit die Idee der Tugend des Leidens und den Erziehungswert der Schmerzen betont. Es handelt sich hier durchaus um wahre Tugenden, doch sind sie von kleindenkenden Lehrern der Menschheit allzu stark betont worden, so dass die Einstellung der heutigen Menschheit ein Fürchten und Bangen vor der Zukunft ist, gepaart mit einer schwachen Hoffnung, dass eine Belohnung (in irgendeiner wünschenswerten und zumeist materiellen Form, wie z.B. die Himmelslehren der verschiedenen Weltreligionen) nach dem Tod folgen wird, um einen für all das Schwere, was man im Leben durchgemacht hat, zu entschädigen. Viele Menschen leben heute noch versunken im Elend und in einer unglückseligen psychologischen Bejahung von Leiden und Schmerzen. Das klare Licht der Liebe muss all dies hinwegfegen, dann wird Freude das Leitmotiv des kommenden Zeitalters sein.

3. Der obige Gedanke muss sich aber mit der Idee verbinden, selber Opfer zu bringen. Seit kurzem ist diese Idee vom Opfer des Einzelmenschen auf die Gruppe übertragen worden. Das Wohlergehen des Ganzen erscheint schon heute theoretisch von solch ausschlaggebender Bedeutung, dass die Gruppe bereitwillig den Einzelmenschen oder kleinere Gruppen aufopfert. Idealisten dieser Art vergessen aber leicht, dass ein wahres Opfer stets auf eigener Initiative beruht, und dass ein erzwungenes Opfer (das von einer mit höherer Macht ausgestatteten [121] Person oder Gruppe auferlegt wurde) letzten Endes meistens eine Nötigung des Einzelmenschen ist, der sich dem Zwang eines stärkeren Willens beugen muss.

4. Die Idee der Wunschbefriedigung.

Das Fische-Zeitalter ist in erster Linie das Zeitalter materieller Produktion und der Ausbreitung des Welthandels gewesen; es war die Zeit, in welcher der Verkauf von kunstfertigen Erzeugnissen blühte, die (wie dem Publikum ständig wiederholt wird) zu seinem Wohlergehen unbedingt notwendig sind. Die alte Einfachheit und die wahren Werte sind zeitweilig in den Hintergrund gedrängt worden. Man liess diese Entwicklung ziemlich lange weiterlaufen ohne ihr «Halt» zuzurufen, da die Hierarchie der Weisheit beschlossen hatte, die Menschheit diesen Weg bis zur Übersättigung gehen zu lassen. Die heutige Weltlage beweist nur zu klar, dass Besitz und die unaufhaltsame Vermehrung materieller Güter sich zu einem schweren Hindernis auftürmen können und durchaus kein Anzeichen dafür sind, dass die Menschheit den Weg zum wahren Glück gefunden hat. Doch lernt die Menschheit die Lehre daraus sehr schnell, und der Umschwung zur Einfachheit gewinnt heute immer mehr Boden. Der Handelsgeist und seine Ausdrucksformen sind dem Untergang geweiht, obgleich seine Herrschaft noch keineswegs beendet ist. Dieser Geist des Besitzens und der ungestümen Besitzergreifung des Wünschenswerten hat sich als sehr weitreichend und umfassend erwiesen und kennzeichnete die Gesinnung von Völkern, Rassen und Einzelmenschen. «Angreifen, um zu besitzen» war das Leitmotiv unserer Zivilisation während der letzten 1500 Jahre.

Viertens: Das Hereinkommen des Wassermann-Zeitalters.

Diese Tatsache sollte einem tiefgehenden und überzeugten Optimismus Raum geben; nichts kann die wachsende, stabilisierende und entscheidende Wirkung der neu hereinströmenden Einflüsse hemmen. Diese werden unvermeidlich die Zukunft bestimmen; sie werden den Kultur- und Zivilisationscharakter prägen, die Regierungsformen ausgestalten und die ganze Menschheit beeinflussen, wie es das Fische-Zeitalter, die Christliche Ära, in seiner Weise getan hat, oder die vorherige Weltperiode, die von Aries, dem Widder, regiert worden war. Die Hierarchie rechnet mit Bestimmtheit auf diese [122] immer stärker in Erscheinung tretenden Einflüsse, und die Jünger in aller Welt müssen in gleicher Weise lernen, mit diesen Einflüssen zu rechnen. Das Bewusstsein universaler Verbundenheit, subjektiver Integration und einer erwiesenen und erlebten Einheit wird das krönende Geschenk der vor uns liegenden Epoche sein.

Im kommenden Weltstaat wird der Einzelbürger freudig, wohlbedacht und in vollem Bewusstsein seiner Handlungsweise - seine Persönlichkeit dem Wohle des Ganzen unterordnen. Die ständige Entwicklung und Zunahme neuer Gruppen und Bruderschaften, Orden und Parteien, die sich für ein bestimmtes Ideal oder Ziel einsetzen, ist ein weiteres Anzeichen für das Wirken der neu einströmenden Kräfte. Das Interessante daran ist aber, dass sie alle mehr eine erfasste Idee als den festgelegten und vorgeschriebenen Plan eines einzelnen Führers aufzeigen. Der Menschentypus des Fische-Zeitalters ist ein Idealist in irgend einer Richtung menschlichen Strebens. Die Menschen des Wassermann-Zeitalters werden die neuen Ideale und die aufkommenden Ideen aufnehmen und sie in gemeinsamer Gruppenarbeit gestalten und verwirklichen. Nach diesem Konzept wird auch die zukünftige Erziehung arbeiten. Der Idealismus des Menschen im Fische-Zeitalter und sein Lebensausdruck auf der physischen Ebene waren grundverschieden. Oft lag eine breite Kluft dazwischen, und nur selten waren sie zu einer Einheit verschmolzen. Der Wassermann-Mensch wird hohe Ideale verwirklichen können, da der Kontaktweg, der die Seele und das Gehirn über das Denkvermögen verbindet, immer mehr durch rechtes Verstehen gefestigt werden wird; dabei wird das Denkvermögen immer mehr in seiner doppelten Wirkungsweise benützt werden: als der Eindringer in die Welt der Ideen, und als der Erleuchter des Lebens auf der physischen Ebene. Das wird schliesslich eine Synthese menschlichen Strebens und eine Manifestierung wahrer Werte und der geistigen Wirklichkeiten herbeiführen, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Auch das ist das Ziel zukünftiger Erziehung.

Wie wird die so erlangte Synthese aussehen? Erlaubt mir einige Umstände kurz aufzuzählen:

1. Die Verschmelzung der verschiedenen geistigen Aspirationen, die heute in einer Vielzahl von Weltreligionen zum Ausdruck [123] kommen, zur einen neuen Weltreligion. Diese Religion wird die Form eines bewusst als Gruppe geeinten Hinstrebens zur Welt der geistigen Werte annehmen und dadurch in Wechselwirkung Massnahmen derjenigen auslösen, die Bürger jener Welt sind: der planetarischen Hierarchie und der mit ihr verbundenen Gruppen.

2. Die Verschmelzung grosser Menschenmengen zu verschiedenen

idealistischen Gruppen. Diese werden sich in allen Bereichen menschlichen Denkens bilden und werden sich dann zu immer grösseren Gruppeneinheiten zusammenschliessen. Ich möchte euch darauf aufmerksam machen, dass bei einem Vergleich der verschiedenen, über die ganze Welt und die einzelnen Länder zerstreuten Erziehungsgruppen sich bestimmte grundlegende und analoge Tendenzen zeigen würden, wie z.B. dass sie grosse Verschiedenheiten aufweisen, dass sie auf der grundsätzlichen Idee beruhen, das Los der Menschen zu verbessern, und dass sie in den Zielen übereinstimmen. Ihre vielen Verzweigungen und Hilfsgruppen bilden ein ineinandergreifendes, sich über die ganze Welt erstreckendes Netz, was auf zwei Faktoren hinweist:

a. die ständig wachsende Fähigkeit des Durchschnittsmenschen, in Idealbegriffen zu denken, die sich auf grosse Ideen gründen, und die von einem grossen Intuitiven an die Öffentlichkeit gebracht worden sind;

b. die durch diese Ideen bewirkte allmähliche Hebung des bewusst geistigen Strebens des Menschen auf eine höhere Stufe; er erkennt den Idealismus seiner Mitmenschen an und schult sich demzufolge im Geiste allumfassender Verbundenheit.

Diese wachsende Hinneigung zum Idealismus und zur Miteinbeziehung ist im Grunde genommen ein Hinneigen zur Liebe-Weisheit. Die Tatsache, dass die Menschen heute diese Ideale in falscher Weise anwenden, dass sie das geistig Erschaute herabmindern, das wahre Bild des erstrebten Zieles verzerren und die ursprünglich erfasste Schönheit nun zur Befriedigung selbstsüchtiger Begierden in den Staub ziehen, sollte nicht die Erkenntnis trüben, dass der Geist des Idealismus in der Welt im Wachsen begriffen ist und nicht - wie in früheren Zeiten - auf einige wenige fortgeschrittene Gruppen oder einen oder zwei grosse Erleuchtete beschränkt ist. Wenn man heute [124] Diskussionen von Durchschnittsmenschen hört, dann handelt es sich zumeist um politische, soziale, erzieherische und religiös-philosophische Themen, die auf idealistischen Gedanken basieren. Vom Gesichtspunkt derer, die für die Entwicklung des Menschen verantwortlich sind, ist während der letzten zwei Jahrhunderte ein grosser Schritt vorwärts gemacht worden. Was einst im Mittelalter Gesprächsstoff der Hochintellektuellen und Philosophen war, das diskutiert man heute lebhaft in Gaststätten, Eisenbahnwagen und an anderen Orten, wo Leute zusammenkommen, um zu debattieren und zu plaudern. Man vergisst das leicht, und ich möchte euch deshalb bitten, über diese Auswirkung nachzudenken und euch zu fragen, was wohl das Endergebnis dieser weitverbreiteten Fähigkeit des Menschengeistes sein wird, im Sinn des grösseren Ganzen, und nicht nur vom Standpunkt des Eigeninteresses aus zu denken, und die Formen der idealistischen Philosophie auf die praktische Seite des Lebens anzuwenden. Der Mensch verwirklicht ja diese beiden Dinge schon heute!

Worauf weist das hin? Es bedeutet, dass sich im Menschenbewusstsein die Tendenz bemerkbar macht, dass das Individuum mit dem Ganzen verschmilzt, ohne dabei das Individualgefühl einzubüssen. Ob sich nun der Mensch einer politischen Partei anschliesst oder ein Werk der Wohltätigkeit unterstützt, ob er ein Mitglied der vielen Gruppen wird, die sich mit irgendeiner esoterischen Philosophie befassen, oder Anhänger eines der vorherrschenden Ismen oder Kulte wird, - überall verspürt er eine Erweiterung des Bewusstseins und die Bereitwilligkeit, seine persönlichen Interessen mit denen einer Gruppe gleichzusetzen, die als grundsätzliches Ziel die Verwirklichung eines Ideals hat. Man glaubt, dass sich dadurch die Bedingungen des menschlichen Lebens bessern werden, und dass so mancher Notstand behoben werden kann.

Diese Entwicklung geht heute in jedem Volk und in allen Teilen der Welt vor sich, und wenn man die Erziehungs- und Religionsgruppen in der Welt (um nur einige aus der grossen Zahl der möglichen Kategorien zu nennen) zählen würde, so liesse sich schon die ungeheure Anzahl solcher Körperschaften und Vereinigungen erkennen. Das würde zwar die Verschiedenheit des Denkens aufzeigen, zugleich aber auch meine Behauptung bestätigen, dass die Menschen überall nach Synthese, Zusammenschluss, Verschmelzung und [125] Zusammenarbeit streben, um bestimmte, gemeinsam erschaute Ziele zu erreichen. Es handelt sich hier um ein ganz neues Gebiet menschlicher Wesensäusserung und Arbeitsfreude. Das erklärt die oft falsche Anwendung der neueren Wahrheiten, die Verzerrung der erfühlten Werte und die Verdrehung der Wahrheit um persönlicher Ziele willen. Wenn sich der Mensch aber in dieser Richtung weiter tastet und wenn ihn die mannigfachen Ideen und verschiedenen Ideologien vor eine Wahl stellen und ihm eine neue Lebensnorm und neue Verhältniswerte zeigen, dann wird er allmählich lernen, klarer zu denken, die verschiedenen Aspekte der Wahrheit als Ausdrucksformen einer grundlegenden subjektiven Wirklichkeit zu erkennen und - ohne ein Tüttelchen der Wahrheit aufzugeben, die ihm oder seiner Gruppe zur Befreiung gedient hat - auch seines Bruders Wahrheit in seine eigene miteinzuschliessen.

Sobald sich diese Geisteshaltung im praktischen Erziehungswesen entfaltet hat, werden wir feststellen, dass Völker und Einzelmenschen Ideen entwickeln, die der Volks- und Individual-Psychologie zu entsprechen scheinen; dabei erkennen sie aber die Wirklichkeit, Kraft und Nützlichkeit der Ansichten anderer Einzelmenschen und Völker an. Wenn, zum Beispiel, die in der Lehre von den Sieben Strahlen enthaltenen Ideen allgemein anerkannt sein werden, dann wird man ein Wachsen des psychologischen Verstehens beobachten können, und die Völker und Weltreligionen werden sich in gegenseitigem Verstehen begegnen.