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3. Buch - Die erreichte Vereinigung und ihre Resultate - Teil 4

Erstens das Wissen, das ein gewöhnlicher Mensch besitzen kann, [316] und das vielleicht am besten mit dem Wort theoretisch bezeichnet werden kann. Es lässt den Menschen gewisse Hypothesen. Möglichkeiten und Erklärungen erkennen. Es gibt ihm Klarheit über Wege, Mittel und Methoden und befähigt ihn, den ersten Schritt zu tun, um Gewissheit zu erlangen und Erfolg zu haben. Das gilt auch für das Wissen, das Patanjali meint. Wenn der Aspirant nach diesem Wissen handelt und sich den Erfordernissen der beabsichtigten Erforschung oder Entwicklung anpasst, wird er des Lichts im Kopf gewahr.

Zweitens das unterscheidende Wissen, das als nächstes vom Aspiranten angewendet wird. Nachdem er das Licht gesehen und den Kontakt hergestellt hat, wird es benutzt; dadurch werden die Gegensatzpaare offenkundig, die Dualität wird erkannt, und so ergibt sich das Problem, eine Entscheidung zu treffen. Das Licht Gottes erhellt beide Seiten des schmalen Pfads, den der Aspirant betreten will; und zuerst ist dieser «edle mittlere» Pfad nicht so klar sichtbar wie das, was zu beiden Seiten des Weges liegt. Wenn zu diesem unterscheidenden Wissen noch Leidenschaftslosigkeit oder Losgelöstsein hinzukommt, werden die Hindernisse beseitigt; der Schleier, der das Licht verhüllt, wird immer dünner, bis schliesslich der Kontakt mit dem dritten oder höchsten Licht erreicht wird.

Drittens das «Licht der Intuition»; das ist einer der Ausdrücke, die für diese Art erleuchteten Wissens verwendet werden können. Es erscheint, weil der Aspirant den Pfad gegangen ist und die Gegensatzpaare überwunden hat; es ist der Vorläufer der völligen Erleuchtung und des vollen Tageslichtes. Ganganatha Iha erwähnt in seinem kurzen Kommentar alle drei Arten. Er sagt:

«Intelligenz ist [317] der Befreier - der Vorläufer der unterscheidenden Erkenntnis, gleich der Morgendämmerung vor dem Sonnenaufgang. Wenn der Yogi intuitive Einsicht entwickelt hat, kann er ein Wissen über alles erlangen».

Diese Blitze der Intuition sind zuerst nur ein kurzes Aufflammen von Erleuchtungen, die in das Denkbewusstsein einbrechen und fast augenblicklich wieder verschwinden. Aber sie kehren immer häufiger wieder, wenn die Meditation regelmässig geübt wird, und sie dauern immer länger, wenn die Beständigkeit des Denkens erreicht wurde. Allmählich erstrahlt das Licht in einem ununterbrochenen Strom, bis der Aspirant im vollen Licht des Tages wandelt. Wenn die Intuition zu wirken beginnt, muss der Übende lernen, sie in der Weise zu nutzen, dass er das Licht, das in ihm ist, auf all das richtet, was «verborgen, feinstofflich und entfernt» ist. Auf diese Weise erweitert er seinen Gesichtskreis, löst seine Probleme und erhöht seine Leistungsfähigkeit. Was er durch dieses geistige Licht sieht und erhascht, muss dann durch das Medium des Gehirns registriert, verstanden und so verarbeitet werden, dass es auf der physischen Ebene zur Anwendung kommen kann. Hier muss das vernunftgemässe Denken seine Rolle spielen, indem es interpretiert, formuliert und dem Gehirn das übermittelt, was der wahre geistige Mensch auf seiner Ebene erkennt, sieht und versteht. Auf diese Weise erlangt der inkarnierte Sohn Gottes, der Mensch auf der physischen Ebene, bei vollem Wachbewusstsein dieses Wissen, von dem er nun Gebrauch machen kann.

Ein anderer, ebenso richtiger wie notwendiger Gesichtspunkt wird von Charles Johnston (auf Seite 123 seines Buches) erwähnt. Er sagt:

«Diese wundervolle Intuition ist die Kraft der Fähigkeit, die über und [318] hinter dem sogenannten rationalen Denken liegt. Der Verstand formuliert eine Frage und legt sie der Intuition vor. die darauf eine wahrheitsgemässe Antwort gibt; diese wird oft vom vernunftgemässen Denken sofort verdreht, enthält aber immer noch einen Kern der Wahrheit. Wenn das rationale Denken Fragen und Probleme an die Intuition heranträgt, um eine Lösung zu erhalten, dann werden gerade dadurch wissenschaftliche Tatsachen gefunden und plötzliche Entdeckungen gemacht; es ist ein Aufblitzen des schöpferischen Geistes. Aber diese höhere Kraft braucht sich nicht dem sogenannten rationalen Denken unterzuordnen; sie kann unmittelbar wirken, als volle Erleuchtung, als «innere Schau und göttliche Fähigkeit».

34. Durch konzentriertes Meditieren über das Herzzentrum lernt man das Denk-Bewusstsein verstehen.

Die Menschen unterscheiden sich vom Tierreich durch ihre Intelligenz, durch das rationale, folgernde Denken. Darum werden in der zeitlosen Weisheit, der Geheimlehre der Welt, die Menschen häufig als «Söhne des Denkens» bezeichnet. Dieses Denken ist es, das ihnen das Gefühl der Individualität, der abgesonderten Wesenheit gibt. Dieses Denken ist es, was sie zu Egos macht.

Es wird uns gesagt, dass im Mittelpunkt des Gehirns, in der Zirbeldrüse, der Sitz der Seele ist, ein Vorposten des Lebens Gottes, ein Funke des reinen geistigen Feuers. Das ist der tiefste Punkt, den das reine geistige Leben direkt von der Monade her, von unserem Vater im Himmel, berührt und erreicht. Es ist der Endpunkt des Sutratma, des Silberfadens, der die verschiedenen Hüllen verbindet, und der von der Monade (auf der ihr eigenen Ebene) über [319] den Seelenkörper (in den höheren Schichten der Mentalebene) in den physischen Körper hinabreicht. Dieses Leben Gottes ist dreifach, es umfasst die Energien des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes; es ist daher verantwortlich für das volle Zusammenwirken aller Teile der menschlichen Natur auf allen Ebenen und für alle Zustände des Bewusstseins. Eine Strähne dieses dreifachen Fadens oder Weges, die erste, ist die Spenderin des Lebens, des Geistes, der Energie. Eine weitere, die zweite, ist zuständig für den Bewusstseins- oder Intelligenzaspekt, für die Fähigkeit des Geistes, auf Kontakt zu reagieren und Resonanz zu entwickeln. Die dritte befasst sich mit dem Leben der Materie, dem Körper-Aspekt.

Der erste Aspekt reicht über die Monade zur Zirbeldrüse - dem Punkt, wo der Geist im Menschen wohnt. Der zweite oder Bewusstseinsaspekt stellt über das Ego einen Berührungspunkt mit dem Herzzentrum her, während der dritte Aspekt (der dritte Teil des Fadens) sich mit dem Zentrum an der Basis der Wirbelsäule verbindet, das die wichtigste Triebfeder für die Aktivitäten der Person oder des Körpers ist.

Durch Konzentration auf das Licht im Kopf wird ein Wissen um die geistigen Welten und jene reingeistigen Wesen erlangt, die darin wirken und leben, denn dort scheint das Licht des Atma oder Geistes. In gleicher Weise wird durch konzentrierte Meditation über das Herzzentrum ein Wissen über den zweiten Aspekt gewonnen, über das bewusste intelligente Prinzip, das den Menschen zum Gottessohn macht.

Durch die Entwicklung des Verstandes und durch den Gebrauch des Kopfzentrums [320] wird der Wille wirksam gemacht; er ist das Hauptmerkmal des Geistes, denn er manifestiert Zielbewusstheit und beherrschende Macht. Durch die Entfaltung und Nutzung des Herzzentrums wird der Aspekt der Liebe-Weisheit wirksam und manifestiert sich als Liebe zu Gott im Leben und Wirken des Menschen. Denn das Denken Gottes ist Liebe, und die Gottesliebe ist Intelligenz; und diese beiden Aspekte einer einzigen grossen Qualität werden zur Wirksamkeit gebracht, um seinen Willen und sein Vorhaben durchzuführen. Christus war dafür ein hervorragendes Beispiel für das Abendland, so wie Krishna es für Indien war; und das muss sich auch in jedem Menschen widerspiegeln und manifestieren.

35. Zur Erfahrung (der Gegensatzpaare) kommt es deswegen, weil die Seele nicht unterscheiden kann zwischen dem persönlichen Selbst und dem Purusha (oder Geist). Die objektiven Formen sind dafür da, damit der geistige Mensch sie benutzen und dadurch Erfahrungen sammeln kann. Durch Meditation darüber kommt man zur intuitiven Wahrnehmung des geistigen Wesens.

Hier haben wir wieder eine ganz freie Übersetzung des Originaltextes, die jedoch die Bedeutung richtig wiedergibt.

In den vorhergehenden Lehrsprüchen haben wir gesehen, dass der schmale Pfad, der zwischen den Gegensatzpaaren gegangen werden muss (durch Übung im Erkennen der Unterschiede und durch Leidenschaftslosigkeit), der Weg des Gleichgewichtes, der Ausgeglichenheit, der edle Mittelweg ist. Dieser Lehrspruch ist gleichsam ein Kommentar zu diesem Stadium im Erleben der Seele und weist auf folgende Lektionen hin:

Erstens: Wir sehen [321] deswegen Gegensatzpaare und entscheiden uns so häufig für eine Tätigkeit oder Geisteshaltung, die in uns Freude oder Schmerz hervorruft, aus dem Grunde, weil wir nicht unterscheiden können zwischen der niederen Natur und der höheren, zwischen dem persönlichen Selbst (das als eine physische, eine emotionale und eine mentale Einheit wirkt) und dem göttlichen Geist, der in einem jeden von uns zu finden ist. Wir identifizieren uns mit dem Form-Aspekt und nicht mit dem Geist. Wir betrachten uns äonenlang als das Nicht-Selbst und vergessen unsere Kindschaft, unsere Einheit mit dem Vater, und die Tatsache, dass wir in Wirklichkeit das Selbst sind, das in uns wohnt.

Zweitens: Der Zweck der Form ist einfach der, dem Selbst die Möglichkeit zu geben, mit Welten in Berührung zu kommen, die ihm sonst verschlossen wären, in allen Teilen des Reiches des Vaters volle Bewusstheit zu entwickeln und sich so als vollbewusster Gottessohn zu erweisen. Durch die Form werden Erfahrungen gewonnen, wird Bewusstsein geweckt, werden Fähigkeiten entwickelt und Kräfte entfaltet.

Drittens: Wenn wir diese Tatsache verstandesmässig begriffen, und wenn wir innerlich darüber meditiert haben, erkennen wir unsere Wesensgleichheit mit der geistigen Natur und die Wesensmerkmale, die uns von der Form unterscheiden. Der Aspirant weiss dann, dass er in Wahrheit nicht die Form, sondern deren Bewohner, nicht das materielle, sondern das geistige Selbst ist, dass nicht die differenzierten Aspekte sein Wesen sind, sondern dass er allein der Eine ist; und so kommt der grosse Befreiungsprozess voran. Man wird, was man ist, und man erreicht es durch Meditation über die intelligente Seele, den mittleren Aspekt, das Christus-Prinzip, das den Vater (Geist) mit der Mutter (Materie) verbindet.

So ist wiederum [322] die grosse Dreiheit zu erkennen:

1. Der Vater oder Geist, derjenige, der in Erscheinung tritt, der erschafft, der innewohnt.

2. Der Sohn, der enthüllt, der meditiert und den höchsten Aspekt mit dem niederen verbindet.

3. Der Heilige Geist, der die Mutter überschattet, die intelligente, materielle Substanz, welche die Formen liefert, durch welche Erfahrungen gewonnen und Entwicklung vorangebracht wird.

Das, was Erfahrung sammelt, sich inkarniert, durch die Form Göttlichkeit zum Ausdruck bringt, ist die Seele, das Selbst, der geistige bewusste Mensch, der Christus im Innern. Wenn er durch diese Erfahrungen zur Reife gekommen ist, offenbart er den Vater oder Geist, und erfüllt so die Worte Christi, der (als Antwort auf die Bitte des Philippus: «Herr, zeige uns den Vater») sagte: «Wer mich siehet, siehet den Vater». (Johannes XIV.)

36. Als Folge dieser Erfahrung und der Meditation entwickeln sich die Fähigkeiten des höheren Hörens, Fühlens, Sehens, Schmeckens und Riechens, die intuitives Wissen hervorrufen.

Durch Meditation wird der Aspirant sich der Gegenstücke der fünf Sinne, die in den subtileren Bereichen bestehen, bewusst; dadurch, dass er diese inneren Sinne erweckt und bewusst benutzt, wird er fähig, sich auf den inneren Ebenen ebenso frei zu betätigen wie auf der physischen. Er kann dann in jenen Bereichen einsichtsvoll dienen und am grossen Entwicklungsplan mitarbeiten.

Man könnte die Sinne als jene Organe bezeichnen, womit der Mensch seine [323] Umwelt wahrnimmt. Auch das Tier hat diese fünf Sinne, aber es fehlt die ergänzende Beziehung zur Denkfähigkeit. Sie äussern sich als Gruppenfähigkeit, ähnlich einem Rasseninstinkt im Menschenreich.

Jeder dieser fünf Sinne hat eine bestimmte Verbindung mit einer der sieben Manifestationsebenen und hat auch eine Entsprechung auf allen Ebenen.

Ebene                                               Sinn

1. Physische                                    Gehör

2. Astral                                            Tastsinn oder Gefühl

3. Mental                                          Gesichtssinn

4. Buddhische                                  Geschmackssinn

5. Atmische                                       Geruchssinn

Eine weitere Übersicht, die dem Buch «Eine Abhandlung über kosmisches Feuer» entnommen ist, könnte helfen, die fünf verschiedenen Aspekte der fünf Sinne auf den fünf Ebenen klarzumachen. Weitere Informationen findet der Leser auf den Seiten 186-202 dieses (englischen) Buches.

Mikrokosmische Sinnesentwicklung

Ebene                                   Sinn                                                       Unterebene

Physische                            1. Gehör                        fünfte             gasförmige

                                              2. Tastsinn, Gefühl       vierte             erste ätherische

                                              3. Gesichtssinn             dritte              super-ätherische

                                              4. Geschmackssinn      zweite             unter-atomische

                                              5. Geruchssinn              erste               atomische

Astrale                                  1. Hellhören                  fünfte

                                               2. Psychometrie           vierte

                                               3. Hellsehen                  dritte

                                               4. Imagination               zweite

                                               5. Emotionaler [324]
                                                   Idealismus                    erste

Mental                                  1. Höheres Hellhören                           siebte                formhaft

                                              2. Planetarische Psychometrie            sechste              formhaft

                                              3. Höheres Hellsehen                            fünfte                formhaft

                                              4. Unterscheidungsvermögen              vierte                formhaft

                                              5. Geistige Urteilsfähigkeit                    dritte                 formlos

                                              Resonanz auf Gruppenschwingung     zweite              formlos

                                              Geistige Telepathie                                  erste                formlos

Buddhische                         1. Umfassendes Verstehen                    siebte

                                              2. Heilen                                                    sechste

                                              3. Göttliche Schau                                    fünfte

                                               4. Intuition                                                vierte

                                               5. Idealismus                                            dritte

Atmische                              1. Gottseligkeit                                          siebte

                                               2. Tätiges Dienen                                      sechste

                                               3. Unmittelbare Erkenntnis                     fünfte

                                               4. Vollkommenheit                                    vierte

                                               5. Allwissenheit                                          dritte

In der folgenden Aufzählung beziehen sich die Nummern eins, zwei, drei, vier und fünf unter jedem Sinn auf die diesbezüglichen Ebenen.

a. Der erste Sinn       -     Gehör.

1. Physisches Hören.

2. Hellhören.

3. Höheres Hellhören.

4. Das Erfassen (von vier Lauten).

5. Gottseligkeit.

b. Der zweite Sinn       -      Tastsinn oder Gefühl.

1. Physischer Tastsinn.

2. Psychometrie.

3. Planetarische Psychometrie.

4. Heilen.

5. Tätiges [325] Dienen.

c. Der dritte Sinn       -       Gesichtssinn.

1. Physisches Sehen.

2. Hellsehen.

3. Höheres Hellsehen.

4. Göttliche Schau.

5. Unmittelbares Erkennen.

d. Der vierte Sinn       -       Geschmackssinn.

1. Physisches Schmecken.

2. Imagination.

3. Genaues Unterscheidungsvermögen.

4. Intuition.

5. Vollkommenheit.

e. Der fünfte Sinn       -      Geruchssinn.

1. Physisches Riechen.

2. Emotionaler Idealismus.

3. Geistige Urteilskraft.

4. Idealismus.

5. Allwissen.

37. Diese Fähigkeiten sind Hindernisse für die höchste geistige Erkenntnis, aber als magische Kräfte können sie in den objektiven Welten gute Dienste leisten.

In diesem Lehrbuch für geistige Entwicklung taucht immer wieder eine Tatsache auf, nämlich die, dass die höheren und niederen psychischen Kräfte Hindernisse sind für den höchsten geistigen Zustand, und dass sie von dem Menschen, der ohne Bindung an die drei Welten wirken kann, abgelehnt werden müssen. Diese Anweisung ist für den Aspiranten schwer zu begreifen. Er neigt zu der Annahme, dass eine Tendenz zum Hellsehen oder Hellhören Fortschritt andeutet und ein Zeichen dafür ist, dass seine Meditationsübungen Erfolg haben. Genau das Gegenteil könnte der Fall sein [326] und wird es auch unvermeidlich sein, wenn sich der Aspirant durch die Anziehungskraft solcher psychischen Fähigkeiten faszinieren oder fesseln liesse. Eine alte Hindu-Schrift sagt darüber folgendes:

«Einer, dessen Denksubstanz sich erhebt, hat eine hohe Meinung von diesen Fähigkeiten, so wie ein Mensch, der in Armut geboren ist, ein kleines Vermögen für einen grossen Reichtum hält. Aber ein Yogi, dessen Denken konzentriert ist, muss diese Fähigkeiten meiden, auch wenn sie ihm naheliegen. Wie könnte ein Mensch, der sich nach dem Endziel des Lebens. dem völligen Aufhören der dreifachen Qual, sehnt, eine Zuneigung für Fähigkeiten empfinden, die dem Erreichen dieses Ziels entgegenstehen».

Dvidedi sagt:

«Die bisher beschriebenen okkulten Fähigkeiten und auch diejenigen, die noch erwähnt werden, ... sind nur Hindernisse, weil sie verschiedenartige Gefühle erregen und dadurch das Denken ablenken. Aber sie sind insofern ganz nützlich, als sie grosse Kräfte oder Gaben sind, um Gutes zu tun, wenn der Samadhi-Zustand unterbrochen ist».

Es ist gut, wenn der Aspirant über diese Fähigkeit unterrichtet ist, wenn er weiss, wie er sie beherrschen und nicht von ihnen beherrscht werden kann, wenn er weiss, wie er sie im Dienst an seinen Mitmenschen und der Hierarchie anwenden kann. Aber sie müssen als Werkzeuge betrachtet und dem Formaspekt des Lebens zugeordnet werden. Man muss sich darüber klar sein, dass sie Qualitäten oder Fähigkeiten der Körperhüllen, des Form-Aspekts, sind, andernfalls erlangen sie eine zu grosse Bedeutung und Beachtung, und sie behindern dadurch die Entfaltung der Seele.

38. Wer die [327] Ursachen der Bindung entkräftet und dadurch die Befreiung erlangt hat, und wer die Methode kennt, wie man die Denksubstanz (das Chitta) übertragen (zurückziehen oder eintreten lassen) kann, der kann mit seinem Chitta in einen anderen Körper eingehen.

Die ganze Lehre vom Raja Yoga gründet sich darauf, dass man das Wesen, den Zweck und die Funktion des Denkvermögens richtig versteht. Das Grundgesetz dieser Wissenschaft kann in die Worte «Dem Denken folgt Energie» zusammengefasst werden; die Reihenfolge des Denkvorgangs ist folgende:

Der Denker auf seiner eigenen Ebene formuliert einen Gedanken, der irgendeine Absicht oder ein Verlangen ausdrückt. Das Denkvermögen gerät daraufhin in Schwingung und bringt gleichzeitig eine entsprechende Rückwirkung im kamischen Körper (im Wunsch- oder Emotionalkörper) hervor. Der Energiekörper, die ätherische Hülle, wird ebenfalls sofort in Schwingung versetzt, worauf das Gehirn reagiert und dem Nervensystem im ganzen Körper Energie zuführt, so dass sich der Impuls des Denkers als Aktivität auf der physischen Ebene auswirkt.

Zwischen dem Denkvermögen und dem Nervensystem besteht ein enger Zusammenhang, so dass sich eine interessante Dreiheit ergibt:

1. Das Denkvermögen,

2. das Gehirn,

3. das Nervensystem.

Der Schüler des Raja Yoga muss diese Dreiheit Am Anfangsstadium seines Bemühens sorgfältig beachten. Später wird eine zweite [328] Dreiheit seine Aufmerksamkeit wecken, nämlich

1. der Denker,

2. das Denkvermögen,

3. das Gehirn; aber das wird erst dann der Fall sein, wenn sein Bemühen Erfolge aufweisen kann.

Wenn der Denker die Methode kennt, wie die Nerven mit Energieströmen aufzuladen sind, kann er (in Inkarnation) seinen Körper mit Lebenskraft erfüllen und aktiv machen; in ähnlicher Weise kann er Trance, Samadhi oder den Tod bewirken. Das gleiche Grundwissen befähigt den Adepten, einen toten Körper zum Leben zu erwecken, wie Christus es in Palästina tat, oder den Körper eines Jüngers in Besitz zu nehmen, um einen bestimmten Dienst zu leisten, so wie Christus den Körper des Jüngers Jesus benutzte. Dieses Wissen und dessen Anwendung - so wird uns gesagt - unterliegt dem grossen Gesetz des Karma, dem Gesetz von Ursache und Wirkung; nicht einmal Christus kann dieses Gesetz umstossen, es sei denn, dass die Ursache der Bindung hinreichend «geschwächt» ist.

39. Die Beherrschung des aufwärts strömenden Lebensäthers (des Udana) macht den Menschen frei vom Wasser, vom dornigen Weg und vom Schlamm, und er erlangt dadurch die Kraft des Aufsteigens.

Der ganze Körper wird von der Gesamtheit an Nervenkraft durchdrungen, die der Hindu Prana nennt. Diese Kraft wird - über das Gehirn - vom Denken gesteuert; sie ist die Lebenskraft, welche die Sinnesorgane funktionsfähig macht und die nach aussen gerichtete Aktivität des Menschen bewirkt; sie strömt über grosse Verteiler-Zentren, die Plexus oder Lotos genannt werden, in alle Teile des Nervensystems. Die der exakten Medizin bekannten Nervenganglien [329] sind die Reflektionen oder Schatten dieser mehr ätherischen Geflechte. Allgemein könnte man sagen, dass die Gesamtsumme an Prana im menschlichen Körper den Lebens- oder Ätherkörper bildet. Dieser Ätherkörper besteht völlig aus Energieströmen und ist das Substrat lebender Substanz, das der dichten physischen Form zugrundeliegt.

Diese Energie wird auch «Lebensäther» genannt. Prana ist in seiner Manifestation fünffältig, und so entspricht es den fünf Bewusstseinszuständen, dem fünften Prinzip und den fünf Modifikationen des Denkprinzips. Im Sonnensystem manifestiert sich das Prana abgestuft in fünf grossen Energiezuständen oder Bewusstseinssphären, die wir Ebenen nennen; es sind dies:

1. die atmische oder geistige Ebene,

2. die buddhische oder Intuitions-Ebene,

3. die Mentalebene,

4. die Emotional-, Astral- oder kamische Ebene,

5. die physische Ebene.

Die fünf Differenzierungen des Prana im menschlichen Körper sind:

1. Prana erstreckt sich von der Nase bis zum Herzen und hat eine besondere Beziehung zum Mund und den Sprachorganen, zum Herzen und zur Lunge.

2. Samana erstreckt sich vom Herzen bis zum Sonnengeflecht; es hat mit Speise und Trank, also mit der Ernährung des Körpers zu tun, und es hat eine besondere Beziehung zum Magen.

3. Apana erstreckt sich vom Sonnengeflecht bis zu den Fusssohlen; es beeinflusst die Ausscheidungs- und Geburtsorgane und hat [330] daher besondere Beziehung zu den Geschlechts- und Ausscheidungsorganen.

4. Udana ist zwischen der Nase und dem Scheitel des Kopfes wirksam; es hat eine besondere Beziehung zum Gehirn, zu der Nase und den Augen; und wenn es richtig beherrscht wird, bewirkt es die Koordinierung der Lebensäther (Vitallüfte) und deren richtige Lenkung.

5. Vyana ist die Bezeichnung für die Gesamtheit pranischer Energie, wenn sie gleichmässig im ganzen Körper verteilt ist. Ihr dienen als Werkzeuge die Tausende von Nadis oder Nerven, die im Körper vorhanden sind, und sie hat eine besonders enge Verbindung mit den Blutwegen, den Venen und Arterien.

In diesem Lehrspruch wird uns gesagt, dass durch Meisterung des vierten Lebensäthers ganz bestimmte Wirkungen erreicht werden können, und es ist interessant zu sehen, welche Wirkungen das sind. Diese Beherrschung wird nur dann möglich, wenn das System des Raja Yoga verstanden und gemeistert ist, denn es setzt die Fähigkeit voraus, im Kopf zu wirken und die ganze niedere Natur von einem bestimmten Punkt im Gehirn aus zu beherrschen. Wenn ein Mensch dort polarisiert ist, dann wird die ganze Nervenkraft oder Energie im Scheitel des Kopfes aktiv. Durch die richtige Beherrschung dieser Energie wird die richtige Lenkung der Lebensströme möglich, und der Mensch erreicht die Befreiung; dadurch wird die Kontaktlosigkeit in den drei Welten erlangt. Diese Ausdrucksweise ist notwendigerweise symbolisch, und ihr Sinngehalt darf nicht dadurch verloren gehen, dass ihre wirkliche Bedeutung ins Materielle herabgezogen wird. Levitation, die Fähigkeit auf dem Wasser zu gehen, und das Vermögen, der Anziehungskraft der Erde Widerstand zu leisten, ist ihre niedrigste und am wenigsten wichtige Bedeutung.

1. Freisein [331] vom Wasser ist ein symbolischer Ausdruck dafür, dass die Astralnatur überwunden ist, und dass die grossen Wasser der Illusion die befreite Seele nicht mehr gefangen halten können. Die Energie des Sonnengeflechts dominiert nicht mehr.

2. Freisein vom dornigen Weg bezieht sich auf den Weg des physischen Lebens; niemand hat schöner darauf hingewiesen als Christus in seinem Gleichnis vom Sämann, wo etliches vom Samen mitten unter die Dornen fiel. Dafür wird folgende Erklärung gegeben: Die Dornen sind die Sorgen und Mühsale des weltlichen Daseins, die das geistige Leben ersticken und den wahren geistigen Menschen so lange Zeit verhüllen können. Der dornige Weg muss zum nördlichen Pfad hinführen, und dieser wiederum zum Pfad der Einweihung. In einem alten Buch, das sich in den Archiven der Meister befindet, sind die Worte zu finden:

«Der Wahrheitssucher möge sich vor dem Ertrinken retten und das Ufer des Flusses erklimmen. Er richte sich nach dem Polarstern, und wenn er auf festem Grund steht, wende er sein Antlitz dem Licht zu. Dann möge er sich vom Stern führen lassen».

3. Freisein vom Schlamm bezieht sich auf die gemischte Natur von Kama-Manas, nämlich auf Verlangen und niederes Denkvermögen, welche die Ursachen für das einzigartige Problem der Menschheit sind. Der Ausdruck weist auch symbolisch auf die grosse Illusion hin, die den Pilger so lange umgarnt. Wenn der Aspirant im Lichte wandeln kann, wenn er das Licht (die Shekina) im Allerheiligsten seines Inneren gefunden hat, dann ist die Illusion zerstreut. Es ist wertvoll für den Leser, die Übereinstimmung zwischen den drei Teilen des Tempels Salomonis und denen des «Tempels des Heiligen Geistes», des menschlichen Körpers festzustellen.

Der Vorhof entspricht [332] jenen Energien und zugehörigen Organen, die sich unterhalb des Zwerchfells befinden. Das Heilige sind die Zentren und Organe im oberen Teil des Körpers von der Kehle bis zum Zwerchfell. Das Allerheiligste ist der Kopf, wo der Thron Gottes ist, der Gnadenstuhl und die überschattende Herrlichkeit.

Wenn ein Mensch diese drei Aspekte des Freiseins gewonnen hat, wenn er nicht mehr beherrscht wird vom Wasser, vom Schlamm oder dem Leben der physischen Ebene, dann erlangt er die «Kraft des Aufsteigens» und die Fähigkeit, sich in den Himmel zu erheben. Der Christus oder geistige Mensch kann auf dem Berg der Himmelfahrt stehen, da er ja die vier Krisen (oder Kontrollgrade) von der Geburt bis zur Kreuzigung durchgemacht hat. So wird «Udana», die aufwärts strömende Lebenskraft, der beherrschende Faktor, und die abwärts strömende Lebenskraft dominiert nicht mehr.

40. Durch Beherrschung des Samana wird der Funke zur Flamme.

Das ist einer der schönsten Lehrsprüche des Buches, und die Übersetzung von Charles Johnston soll hier ebenfalls angeführt werden: «Durch Beherrschung der bindenden Lebenskraft entsteht Strahlung». Eine andere Deutung könnte lauten: «Durch Beherrschung des Samana tritt das Aum (das Wort der Herrlichkeit) in Erscheinung». Aus dem Herzen kommen die bestimmenden Lebensströme, und die Lebensenergie, Samana genannt, kontrolliert das Herz und den Lebensatem durch die Lunge. Wenn der Körper gereinigt ist, wenn seine Energien richtig gelenkt werden, und wenn ein Rhythmus hergestellt ist, dann wird ein strahlendes Leben sichtbar. Das [333] ist wörtlich zu nehmen und nicht nur sinnbildlich, denn wenn die Lebensströme von der Seele auf dem Throne durch die Nerven und Blutwege geleitet werden, dann werden nur die reinsten Atome in den Körper eingebaut; und die Folge davon ist die, dass der ganze Mensch in Licht erstrahlt. Dann bricht nicht nur aus dem Kopf Licht hervor, so dass der Hellsehende einen Heiligenschein oder Kreis von leuchtenden Farben sehen kann, sondern der ganze Körper wird durchstrahlt von den vibrierenden Zentren elektrischer Kraft, die im ganzen Körper verteilt ist.

41. Durch konzentrierte Meditation über die Beziehung zwischen Akasha und Ton wird ein Organ für geistiges Hören entwickelt.

Um diesen Lehrspruch richtig zu verstehen, müssen gewisse Beziehungen erkannt werden - Beziehungen zwischen der Materie, den Sinnen und dem Menschen, der erlebt.

Der Christ glaubt, dass «alle Dinge durch das Wort Gottes erschaffen wurden». Der orientalische Gläubige vertritt die Ansicht, dass der Ton der erzeugende Faktor im Schöpfungsprozess war; und beide lehren, dass dieses Wort oder dieser Ton sich auf die zweite Person der göttlichen Dreifaltigkeit bezieht.

Nachdem der Atem des Vaters die anfängliche Bewegung oder Schwingung hervorgerufen hatte, versetzte dieser Ton (oder Laut die Materie des Sonnensystems in eine besondere Aktivität.

Zuerst war also der Atem (pneuma oder Geist), der auf die Urmaterie einwirkte und ein Pulsieren, eine Schwingung, einen Rhythmus in Gang brachte. Dann veranlasste das Wort oder der Ton die [334] pulsierende, schwingende Substanz, Form oder Gestalt anzunehmen, und so die Inkarnation der zweiten Person der kosmischen Dreifaltigkeit, des Sohnes Gottes, des Makrokosmos zustande zu bringen.

Dieser Vorgang bewirkte die Bildung der sieben Manifestations-Ebenen oder Sphären, in denen sieben Bewusstseinszustände möglich sind. Sie alle sind gekennzeichnet durch bestimmte Qualitäten, sie unterscheiden sich voneinander durch spezifische Schwingungsfrequenzen, und sie sind unter bestimmten Namen bekannt.

Die folgende Übersicht könnte sich als nützlich erweisen, wenn der Leser folgendes beachtet: Die erste Dreiheit besteht aus den Ebenen der göttlichen Schöpfung, die niedere Dreiheit ist das Spiegelbild dieser Schöpfung und besteht aus den drei Ebenen unserer normalen Erscheinungswelt. Diese beiden Dreiheiten Gottes und des Menschen sind durch die mittlere Ebene des Eins-Seins oder Vereint-Seins verbunden, auf der Gott und Mensch eins-werden. In der Christlichen Terminologie ist das die Christus-Ebene, in der östlichen Terminologie die buddhische Ebene.