Momentan kann der Vormarsch einer gewissen Polarisierung in allen menschlichen Ausdrucksgebieten beobachtet werden; oder zumindest könnte dieser Eindruck entstehen. Viele scheinen sich von – bis zum Äußersten getriebenen – Debatten angezogen zu fühlen, in denen gemäßigten Stimmen und der Bereitschaft zu Kompromissen wenig Raum gelassen wird. Bedeutet dies nun, dass wir uns auf Zeiten offener Konflikte zubewegen? Oder gibt es einen Weg, wie wir uns auf unsere gemeinsame Menschlichkeit besinnen können, um diese zum Schlüsselfaktor bei der Gestaltung öffentlicher Reden, Unterhaltungen und Gesprächen zu erheben? Kann der gute Wille die Brücke bauen, die entgegengesetzte Seiten vereinen kann? Es könnte ein Schlüssel für die Zukunft des Lebens auf unserem Planeten sein, diesen Fragen nachzugehen und praktikable Antworten darauf zu finden.

In dieser Ausgabe denken wir darüber nach, wie sich Polarisierungen im Bereich von Politik, Geschlechterfragen, rassischer und kultureller Identität ausdrückt und darstellt. Und wir suchen nach positiven Zeichen einer Entwicklung, die uns eine Vision eröffnet, in der sich die Gegensätze vereinen. Es ist besonders schwierig, diese Vision zu erkennen, wenn jene Stimmen, die Positionen an den Extremen vertreten, sich durch lautes Geschrei Gehör zu verschaffen suchen. Menschen guten Willens müssen nach einem Punkt innerer Stille streben, von welchem aus sie die vorüberziehende Szene überblicken können und müssen ihr Vertrauen in das unbesiegbare Wesen des Guten setzen. Wie Alice Bailey anmerkte, ist „das Herz der Menschheit gesund“, und die Dringlichkeit der Zeiten ruft nach kreativen Wegen, um diese Gutherzigkeit in uns selbst und in anderen hervorzurufen. Feuriges Mitgefühl mit allen, die leiden, und der Wille, gute Arbeit in der Welt da draußen zu leisten, sind das Kennzeichen derjenigen, die in diesen schwierigen Zeiten dienen. Wir hoffen, dass die Ideen, die in dieser Ausgabe enthalten sind, all jene stärken und unterstützen können, die in der Lage sind, auf eine Welt hinzuarbeiten, in der der gute Wille die Grundlage aller Beziehungen bildet.

Polarisierung und Gegensätze – Die Trennung überbrücken

Eines der signifikanten Merkmale der vergangenen etwa hundertfünfzig Jahre  und insbesondere der letzten Jahrzehnte ist das Gefühl der Polarisierung, das in so vielfältiger Art und Weise in der menschlichen Familie zum Ausdruck kommt.

Dies kann vor allem in der Politik festgestellt werden, wo die Konflikte zwischen unterschiedlichen Ideen und Ideologien nicht nur wahrgenommen, sondern geradezu willkommen geheißen werden. Die unterschiedlichen Protagonisten sind nicht bestrebt, die Differenzen, die sie trennen zu überbrücken – sie wollen, vor allem anderen, gewinnen! Im Laufe des letzten Jahrhunderts konnte die Menschheit reichlich Beweise für die Wirksamkeit der verschiedenen politischen Ideologien sammeln. In ihrem Bemühen sich zu beweisen, haben sie praktisch alle in gewissem Maße zum menschlichen Fortschritt beigetragen; dennoch muss angemerkt werden, dass sie auch viel menschliches Leid verursacht haben. So sehen wir uns also einer Situation gegenüber, in der die verschiedenen Heilmittel, die gegen soziale und wirtschaftliche Missstände angewandt wurden, seien sie nun linksideologisch, an der politischen Mitte orientiert oder rechtsideologisch, demokratisch, diktatorisch oder theokratisch ausgerichtet, allesamt letzten Endes für unzulänglich befunden wurden. Einerseits tendieren einfallsreiche Initiativen dazu, in einem Meer von Bürokratie und Dogma ertränkt zu werden. Und andrerseits hat die Idee des ‘Laissez faire’ eines ‘freien Marktes’ eine Welt erschaffen, in der jene, die schon in Reichtum und Wohlstand leben, noch mehr Gewinn erwirtschaften konnten, während jene, die zu den Unprivilegierten gehören, dazu verurteilt sind, immer tiefer in lähmende Armut zu versinken. Auf lange Sicht gesehen kann niemand in einer Welt gegenseitig sich bekämpfender Ideen gewinnen. Viele leiden, und ferner kann dadurch eine enorme Verarmung von Natur und Umwelt festgestellt werden. Darüber hinaus herrscht die weitverbreitete Annahme vor, dass eine bestimmte auserwählte Ideologie oder Theokratie das Allheilmittel für alle menschlichen Probleme wäre, und dass diese Denkweisen allen, oftmals durch die Macht des Schwertes, zum Wohle der Welt, auferlegt werden müsse.

Menschen guten Willens auf der ganzen Welt können mit Klarheit erkennen, dass die vielen verschiedenen Ideologien dazu neigen, das Ziel zu verfehlen und manchmal sogar utopische Träume in ein schreckliches Gegenteil verkehren. Mit gleicher Klarheit sehen sie auch die dringende Notwendigkeit für
eine Vision eines kooperativen Geistes in der Welt der Politik.

Ist es möglich, dass der gemeinsame gute Wille tatsächlich nicht nur einen Weg in eine bessere Zukunft aufzeigt, sondern, und vielleicht noch viel wichtiger, dies möglicherweise der einzig gangbare Weg ist, der eine bessere Zukunft überhaupt möglich macht?

Diese Idee veranlasst uns dazu, nachzufragen, was denn tatsächlich die Ursachen des Scheiterns sind, diesen Idealen zu entsprechen, die von verschiedenen Ideologien aufgezeigt werden. Vielleicht können wir, indem wir dieser Frage nachgehen, ein Modell des Fortschritts entdecken, das für alle funktioniert. Sicherlich ist hierbei ein wesentliches Element das Motiv. Das können wir mit Sicherheit sagen: das Motiv ist alles! Wo das Motiv selbstlos ist, dem Gemeinwohl zugutekommt und man bestrebt ist, die Gesellschaft in einen besseren geistigen und materiellen Zustand zu erheben, werden die Menschen darin, ganz gleich, wie mangelhaft und unzureichend das politische System auch immer sein mag, einen Weg finden, damit dies einigermaßen gut funktioniert. Und umgekehrt, wie gut und hervorragend konzipiert auch immer ein politisches System sein mag, wenn die Leute, die in einem solchen System Verantwortung übernommen haben, sich darin nur mit der eigennützigen Absicht betätigen, Reichtum und Macht für persönlichen Zwecke anzuhäufen, ist ein Scheitern vorherbestimmt. In extremen Fällen können solche Szenarien letztendlich zu einem Zusammenbruch und in die Anarchie und Brutalität eines außer Kontrolle geratenen Staates führen.

Die meisten Menschen würden wahrscheinlich annehmen, dass es die Polarisation von links- und rechtsgerichteten Ideologien ist, die einer Überbrückung bedarf. In Wirklichkeit aber gibt es eine viel größere Kluft, die überbrückt werden muss: nämlich die große Diskrepanz, die zwischen der Welt liegt, mit der wir aktuell konfrontiert sind, und der zukünftigen Welt, die darauf abzielt, das Beste und Edelste in der Menschheit hervorzubringen.

Wir können versuchen, dies anhand dreier einfacher Ideale herauszuarbeiten: rechte menschliche Beziehungen, Freiheit und Verantwortungsbewusstsein. Für Menschen mit geistiger Ausrichtung stellen diese eine menschliche Selbstverständlichkeit und die Verkörperung des göttlichen Plans für die Menschheit und die Welt dar. So lassen Sie uns zunächst einmal einen Blick darauf werfen, was wir unter diesem Plan verstehen, denn dann können wir herauszufinden suchen, welche Schritte unternommen werden müssen, um auf dessen Erfüllung hinzuarbeiten.

Wir können uns den Plan als allumfassende Energie der Liebe und Güte vorstellen, die matrixartig unseren ganzen Planeten mit einer Kraft umhüllt, die es allen Lebenseinheiten ermöglicht, sich zu immer umfassenderen Bewusstseinszuständen oder einem umfassenderen Gewahrsein zu entwickeln. Hierfür muss die Menschheit sich unermüdlich anstrengen, einen immer tieferen Einblick von der Seele zu erlangen und die wachsende Fähigkeit zeigen, ihre Werte und Qualitäten in den praktischen Lebensalltag einfließen zu lassen und zu verankern. Es lohnt sich, uns ins Gedächtnis zu rufen, was diese sind. Und selbstverständlich wurden sie über die Jahrhunderte auf die verschiedenste Weise ausgelegt und zusammengefasst, um den vielen verschiedenen Kulturen in der Welt und den unterschiedlichen Zuständen der Entfaltung des menschlichen Bewusstseins zu entsprechen. Für die Welt des 21. Jahrhunderts jedoch, können wir sie folgendermaßen aufzählen: Liebe, Verantwortungsbewusstsein, Identifikation mit dem Ganzen, Liebe zur Wahrheit, selbstloses Teilen, Heilung der Gemeinschaft, Freiheit, Mäßigkeit in Bezug auf materiellen Besitz, Freude und sogar Genialität.

Schon auf den ersten Blick können wir erkennen, woran es in unseren derzeitigen Situationen nationaler Politik, internationaler Beziehungen und wirtschaftlichen Strukturen mangelt. Es besteht die Tendenz, die Wenigen auf Kosten der Vielen zu bevorzugen. In der Regel werden nationale Eigeninteressen in den Vordergrund, bzw. über die Interessen der Menschheit als Ganzes gestellt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (2018) wird dieser Eigenschaft unglücklicherweise noch dadurch zusätzlich Antrieb verliehen, dass Länder überall auf der Welt sich nur auf sich selbst beziehen und internationale Beziehungen abbrechen: Breite Bevölkerungsschichten in vielen Teilen der Welt unterstützen und befürworten wieder einen trennenden nationalistischen Geist. Dies zeigt sich auch in einer wachsenden Tendenz, den Geist des Internationalismus abzulehnen, der als kraftvolles Ideal in den Jahrzehnten existierte, die dem zweiten Weltkrieg folgten, trotz und ungeachtet all der ungelösten Konflikte und dem beharrlichen Verfolgen persönlicher Zielsetzungen und Herangehensweisen. Dies ist eine besorgniserregende Entwicklung, die nicht gerade dazu beiträgt, Vertrauen in die Zukunft zu erwecken.

Einer der Gründe, warum der Internationalismus von so vielen abgelehnt wird, kann darin gesehen werden, dass das menschliche Denken ihn mit der Globalisierung von Kapital und Business assoziiert, einer verzerrten Darstellung von Globalisierung, die ihre Aktivitäten auf Steuervermeidung, strukturelle Arbeitsplatzunsicherheit und ökologische Verantwortungslosigkeit ausrichtet.  Das Wichtigste an dem Ganzen überhaupt jedoch ist, dass jene, die dieses verzerrte Bild verkörpern, sich politisch niemandem gegenüber verantwortlich zeigen müssen. Die Menschen haben daher das Gefühl, dass sie in den Spielen der Oligarchen und Mega-Reichen nur noch zu verwertbaren Schachfiguren werden, die jederzeit ‘geopfert’ werden können.

Und trotzdem ist dies nur die eine Seite der Medaille. Es gibt ebenso unzählige Millionen von Menschen in jedem Land, die erkennen, dass eine gesunde Kooperation auf der Grundlage der Erkenntnis der Einheit der Menschheit die besten Voraussetzungen bietet, den Weg in eine konstruktive Zukunft zu beschreiten. Sie wissen, dass die Rückkehr zu einer individuellen Verpflichtung dem Ideal des Internationalismus gegenüber nicht nur die Einheit der Menschheit reflektiert, sondern unabdingbar für ihre Verwirklichung ist. Diese Menschen sind sich ebenso darüber im Klaren, dass Einheit keinesfalls Uniformität bedeutet. Unterschiedlichkeit und Vielfalt ist der Grundton in der Natur. Vielleicht können diese Gedanken als Leitmotiv auf der Suche nach einem Weg des zukünftigen Fortschritts dienen.

Selbstverständlich ist der Newsletter des Weltumfassenden Guten Willens weder dafür zuständig, ein politisches Manifest zu erstellen, noch sollte er versuchen, dies zu tun. Dies ist die Arbeit der Experten auf politischem Gebiet, die sich über alle persönlichen Ambitionen und über das Verlangen nach Macht erhoben haben und deren Herzen offen sein sollten für die menschlichen Bedürfnisse und Belange überall auf der Welt. Dennoch können wir die Prinzipien und Richtlinien umreißen, die den verschiedenen experimentellen Herangehensweisen zugrunde zu legen sind.

Teilhabe an internationalem Handeln
Zuerst einmal brauchen wir einen neuen, auf der Grundlage der Teilhabe und Verantwortung aufgebauten Internationalismus. In der gleichen Weise, wie die Menschen ihre Energie, ihre Ideen und Visionen auf ihre lokale Gemeinschaft ausrichten und in größerem Maßstab ihrer eigenen Nation zukommen lassen, muss das in noch größerem Umfang geschehen. Die Europäische Union kann vielleicht als der jüngste Versuch der Menschheit in dieser Hinsicht angesehen werden. Sie kann als Experiment in Entwicklung betrachtet werden und niemand kann voraussagen, wie ihre Zukunft sich entfalten wird. Viele, deren Fähigkeit zur Identifikation bis jetzt noch kaum über die Grenze des eigenen Landes hinausreicht, hoffen auf ihr Scheitern. Zahlreicher jedoch sind jene, die entschlossen sind, aus ihr eine Erfolgsgeschichte zu machen. Trotz all der bestehenden Schwierigkeiten, liefert sie der Menschheit einen funktionierenden Prototyp, der zeigt, wie einige Nationen, die im Grunde sehr auf ihre nationale Unabhängigkeit bedacht waren, einwilligten, ein gewisses Maß an Souveränität zum Wohle des Ganzen abzugeben. Zu sagen, dass dies nicht einfach gewesen ist, wäre wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Doch es funktioniert. Objektiv betrachtet sind die Entwicklung der Wissenschaften, der Kunst und des wirtschaftlichen Lebens aller EU-Länder eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten sieben Jahrzehnte. 

Angesichts der Schwierigkeiten und großen Herausforderungen, denen sich die EU aktuell gegenübersieht, stellt sich die Frage, welche Hoffnungen es für noch größere Länderbündnisse gibt? Vielleicht gehen wir hier von falschen Vorstellungen aus, denn politische und wirtschaftliche Vereinigungen werden durch Faktoren, wie etwa geographische Verhältnisse, kulturelle Identität, religiöser Hintergrund etc. beeinträchtigt. Auf der größeren globalen Ebene ist eine Art von Zusammenschluss derzeit eindeutig unrealistisch. Vielleicht beruht ein gangbarer Weg, sich einem globalen Weltbündnis zu nähern, darin, die Grundlage der Einheit von Werten zu betonen, die die breite Vielfalt menschlicher Erfahrungen, Traditionen und idealistischer Ziele vielmehr fördert als einschränkt. Außerdem wird sich dadurch auch zeigen, dass dieser Reichtum an Vielfalt nicht mit Ausschließlichkeit und Trennung einhergeht, sondern vielmehr das ins rechte Licht rückt, was jeder an Wohlergehen und Fülle in der Welt und somit am größeren Ganzen beiträgt.

Die Goldene Regel
Zum Glück für die Menschheit erscheinen diese Werte in jeder Kultur und Religion in einer auffallend ähnlichen Form. Sie werden als „Goldene Regel“ bezeichnet: „Verhalte dich gegenüber andern in der Weise, wie du dir wünschst, dass man sich dir gegenüber verhält“ oder wie es eine Volksweisheit kurz und prägnant ausdrückt: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem Andern zu“. Dies wird nur möglich werden, wenn wir in unseren Herzen und unserem Denken erkennen, dass ‘der Andere’, wo immer er sich auf der Welt befindet, unser Nachbar ist. Dieses Prinzip muss einer neuen Wissenschaft der Beziehungen zugrunde gelegt werden, die sich über die ganze Stufenleiter individueller Familienbande und persönlicher Freundschaften bis hinauf zu Verbindungen und Beziehungen globalen Ausmaßes erstreckt. Dieses Prinzip verbindet auf schlichte und schöne Art und Weise beides, sowohl Freiheit als auch Verantwortlichkeit. Es anerkennt die wesentliche Integrität und den Wert jedes Einzelnen und jedweder Gemeinschaft in der Welt und öffnet die Tür zu einer Erkenntnis der Tatsache, dass alle zum Wohle des Ganzen beitragen können und dass jeder ein Bestandteil in diesem größeren Ganzen ist und hieraus Sicherheit und Fürsorge schöpfen kann. Es ist eine wundervolle Aufgabe, darüber nachzudenken, was dies bedeuten könnte, würde dieses Prinzip auch nur schon im Ansatz nationale und internationale Beziehungen bestimmen.

Die Vereinten Nationen

Und wiederum zum Glück für die Menschheit wurde entlang dieser Linien schon viel nützliche Arbeit getan, wurden Experimente durchgeführt und praktische Erfahrung gesammelt, durch die verschiedene internationale Körperschaften für Zusammenarbeit und im Speziellen die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen ins Leben gerufen wurden.  Da sie menschliche Institutionen sind, sind sie folglich zwangsläufig nicht fehlerfrei, wie dies ihre Kritiker mit Freude nur allzu gerne immer wieder hervorheben. Unvollkommenheiten und Schwachstellen jedoch können korrigiert und bessere Strukturen können entwickelt werden, wenn die Vision gegenseitiger menschlicher Abhängigkeit in unserem Denken klarere Konturen gewinnt. Gemeinsam betrachtet jedoch, weisen die Vereinten Nationen sicherlich auf eine bessere Zukunft für alle hin.

Aber wird die Menschheit jene Weisheit und Entschlossenheit aufzeigen, um einen Pfad entlang dieser Route zu verfolgen? Dies ist die wichtigste Frage unserer Zeit. Hier ist es, wo die Kultivierung eines praktischen guten Willens sich als so wichtig erweist. Guter Wille oder innewohnende Güte und Freundlichkeit liegen ausnahmslos im Herzen einer jeden einzelnen Person begründet, obwohl auch gesagt werden muss, dass bei manchen wohl auch ein bisschen tiefer gegraben werden muss, um diese Qualitäten freizulegen und wieder aufzufinden! Wenn die Vision menschlicher Einheit und die Vorteile einer kooperativen Weltordnung jedoch verständlich und konsequent formuliert werden, können diese Qualitäten in der großen Mehrheit der Menschen so lebendig werden, dass sie im Alltag praktische Anwendung finden. Das ist eine Aufgabe, die zum Teil in den Verantwortungsbereich der traditionellen als auch der sozialen Medien fällt. Damit haben wir eine Möglichkeit, wie jene Gegensätze und Polarisierungen überbrückt werden könnten, die den Ausdruck der besseren Seite der menschlichen Natur trüben und ihren Fortschritt entlang des göttlich festgelegten Pfades der Freiheit, Liebe und Verantwortlichkeit behindern.

Die Menschheit als Ganzes ist die tragende Säule für den Himmel auf Erden

Was bedeutet die Aussage, dass jemand ein Mann oder eine Frau ist? Diese Frage mag lächerlich erscheinen. Sicherlich weiß jeder, zumindest für sich selbst, was er ist, da die biologischen Unterschiede (meist) offensichtlich sind. Doch seit über 2000 Jahren weiß man darum – zunächst unter dem Namen Hermaphroditismus, seit dem 20. Jahrhundert unter dem Namen Intersex –, dass ein kleiner Teil der Menschen Merkmale beider Geschlechter in einem Körper aufweisen kann; und in vielen traditionellen Gesellschaften gibt es Namen für Menschen, die als zu einem dritten Geschlecht gehörig angesehen werden können. Diese Fakten sollten uns innehalten lassen, bevor wir behaupten, dass männlich und weiblich feste und eindeutige Kategorien sind. Hierbei ist auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass Unterschiede im hormonellen Aufbau – sowohl vor als auch nach der Pubertät – dazu führen, dass Personen eines Geschlechts einige für das andere Geschlecht typische Merkmale aufweisen. Man denke nur an die reine hohe Sopranstimme eines Jungen.

So viel zu den physischen Faktoren. Doch was ist mit den psychischen und sozialen Faktoren? Ist es möglich, dass das Geschlecht sich im Kopf oder in der Kultur widerspiegelt? Es ist allgemein bekannt, dass verschiedene Kulturen unterschiedliche Erwartungen erschaffen und hierbei bestimmte Rollen festlegen, die Männer und Frauen in der jeweiligen Gesellschaft zu spielen haben. Ein großer Teil davon kann von der Religion ausgehen, die in der jeweiligen Kultur vorherrscht. Andererseits hat eine muslimische Frau in Saudi-Arabien ein anderes Spektrum an Freiheiten als eine muslimische Frau in Indonesien, so dass Religion nicht den alleinigen Erklärungsfaktor ausmacht. ausmacht.

Und was ist mit den Gedanken und Gefühlen jedes/jeder Einzelnen? In früheren Jahrhunderten war die Geburt in einen männlichen oder weiblichen Körper etwas, das nicht verändert werden konnte, egal als was die Person sich von der ‘inneren Identität’ her fühlte. Aber seit dem zwanzigsten Jahrhundert ist dies nicht mehr der Fall, und die medizinischen Verfahren zur Geschlechtsumwandlung sind immer ausgefeilter geworden. Sich diesen physischen Verfahren zu unterwerfen, ist dennoch ein großer Schritt, ganz zu schweigen von den mentalen und emotionalen Nötigungen, die durch die Ablehnung anderer entstehen können. Diejenigen, die diesen schwierigen Weg wählen, müssen also sicherlich ein sehr starkes Motiv dafür haben. Aus ihrer Sicht muss ein wesentlicher Aspekt ihrer Identität mit dem physischen Geschlecht verbunden sein, das nicht dem ihres ursprünglichen Körpers entspricht.

Wenn wir in der Lage sind, unseren Identitätssinn selbstbestimmt über Körper, Gefühle und Geist hinaus in die Seele zu verlagern, können wir beginnen zu erkennen, dass die 'Gegensätze' des Geschlechts ein synthetisches Ganzes bilden, die Grundlage, um die grenzenlose Energie des Geistes durch Dienst in die Welt zu leiten.

Die Leser mögen sich an dieser Stelle fragen, was diese Überlegungen über Geschlecht und biologische Körpermerkmale mit dem Thema Polarisierung zu tun haben. Die Antwort liegt in dem kulturhistorischen Moment, der in der Entstehung von #MeToo und Time's Up verkörpert ist. Diese neuen Ausdrucksformen des notwendigen feministischen Aktivismus konzentrieren sich auf die strukturellen Probleme des sexuellen Missbrauchs, der Belästigung und der Ungleichheit am Arbeitsplatz und anderswo, die seit unzähligen Jahrhunderten in den meisten Teilen der Welt Teil der Erfahrung der Frauen und Quelle tiefen Leids waren. Sie hinterfragen sowohl kollektives Verhalten und Strukturen, die als patriarchalisch bezeichnet werden können, als auch das Handeln und die Sichtweisen einzelner Männer unter dem Oberbegriff „toxische Maskulinität“. Dabei mögen einige argumentieren, dass diese neuen Ausdrucksformen unser Gefühl der Polarisierung innerhalb der Gesellschaft verstärken, indem sie die Unterschiede zwischen Frauen und Männern hervorheben und Missstände und Missverständnisse zwischen den Geschlechtern hervorheben.

Aber das ist sicherlich eine Fehlinterpretation, wenn man den wachsenden Einfluss der Frauen in unserer Gesellschaft durch eine verzerrende Linse betrachtet, bei der die gesamte menschliche Interaktion auf eine Perspektive reduziert wird, in der es nur Gewinner und Verlierer, Opfer und Täter gibt. Es gilt, auf das alte Bild des „Kampfes der Geschlechter“ zurückzukommen und dies zu überdenken, wenn ein vertieftes Verständnis der auftretenden Spannungen in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern uns einen differenzierteren und hoffnungsvolleren Blick ermöglichen soll. Ein gewisses Maß an Polarisierung ist notwendig, damit ein neues Gleichgewicht entsteht, und das scheint aktuell der Fall zu sein.

Nehmen wir zum Beispiel den beginnenden Dialog über die gewünschte beidseitige Zustimmung bei sexuellen Beziehungen. Dies ist eine Fortsetzung der allgemein verstandenen Botschaft von „Nein bedeutet Nein“. Man erwartet von den Männern, dass sie beginnen sollen, subtilere, zum Teil nonverbale Signale zu bemerken und zu respektieren, die Frauen aussenden können, um dadurch sichtbar zu machen, dass sie eine intimere Beziehung nicht weiterverfolgen wollen. Themen wie diese, die das männliche Verhältnis zur Macht und die nonverbale Kommunikation innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen behandeln, berühren einige der subtileren Bewusstseinsstrukturen, die soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten festschreiben. Daher sollte die Suche nach Lösungen Männer dahingehend sensibilisieren, diese nonverbalen Signale zu erkennen und zu respektieren und dann angemessene Zurückhaltung zu üben. Das wird dann nicht nur die individuellen Beziehungen zwischen Frauen und Männern verbessern, sondern auch dazu beitragen, strukturelle Veränderungen am Arbeitsplatz und im täglichen Leben herbeizuführen.

Die Notwendigkeit einer klaren Zustimmung bei allen Beteiligten, welche intim miteinander verkehren wollen, wäre vielleicht nicht so schnell aufgetaucht, wenn es nicht zur #MeToo-Bewegung gekommen wäre (die sich weitgehend auf eindeutigere Fälle von sexuellem Missbrauch konzentriert, welche zuvor unter den Teppich gekehrt wurden). Andererseits hat hierzu auch die Tatsache beigetragen, dass Frauen, denen es nach einigen auf die USA ausgerichteten Untersuchungen jetzt in einer Reihe von Wirtschafts- und Bildungsmaßnahmen besser geht als Männern, sich – von diesen einflussreichen Positionen aus – weniger tolerant gegenüber alten patriarchalischen Verhaltensmustern zeigen. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen befinden sich in einem dramatischen Wandel, der beide Geschlechter betrifft. Die Schriftstellerin und Rundfunksprecherin Hanna Rosin stellt in ihrem Buch Das Ende der Männer fest, dass dies zumindest in bestimmten sozioökonomischen Schichten zu einem Anstieg der allein erziehenden Mutterschaft führt, weil Frauen einfach entscheiden, dass sie Männer nicht mehr brauchen, um für sie zu sorgen. Dies hängt auch mit dem Rückgang der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe und dem Wachstum der Dienstleistungswirtschaft zusammen, die die Pflege- und Beziehungsfähigkeiten, in denen Frauen traditionell besonders gut abschneiden, relativ begünstigt. Vereinfacht ausgedrückt, erodiert die traditionelle Rolle eines Mannes als Haupternährer/ Versorger, was langfristig zu einer gesunden Transformation der männlichen Identität führen sollte. Bei genauerer Betrachtung lässt sich feststellen, dass diese Rolle des Versorgers in einer kapitalistischen Wirtschaft funktioniert hat, da sie einen Teilersatz für die biologische Rolle eines Mannes als Beschützer repräsentiert hat. Die psychologische Bedeutung einer Erosion der Versorgerrolle ist daher von größerer Bedeutung, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Männer stehen vor einer existentiellen Krise ihrer Identität, denn wenn sie nicht mehr benötigt werden, um zu versorgen oder zu schützen, in welche Rolle können sie dann jetzt treten? Dies kann die Entstehung von Gruppen erklären, die sich auf die Neudefinition von Männlichkeit konzentrieren, wie Rebel Wisdom 1, Promundo 2 und Next Gen Men 3. Es ist daher relevant darauf hinzuweisen, dass sich die Rollen von Frauen und Männern verändern, was ihnen erlaubt, sich gegenseitig dabei zu helfen, herauszufinden, was eine erweiterete Sichtweise von sowohl Weiblichkeit als auch Männlichkeit heute impliziert.

Natürlich werden die biologischen, hormonellen Unterschiede nicht verschwinden (obwohl die Verschmutzung durch künstliche Chemikalien wie BPA, die die Wirkung von Östrogenen nachahmen, im Verdacht steht, diese Unterschiede zu beeinflussen). Aber grundlegende Selbstverständlichkeiten – psychologischer und sozialer Art – geraten zunehmend in Erschütterung. Die Jahrhunderte der Traumata, die Frauen erlitten haben, schreien nach Heilung und Transformation. Doch während die Verfestigung der männlichen Rolle als Hauptversorger ein ungesundes, ja bedrückendes Produkt des „Patriarchats“ war, ist seine Auflösung, auch wenn sie allmählich und teilweise erfolgt, für viele Männer auf weniger dramatische Weise auch traumatisch. Inmitten dieser Entwicklung steht daher die Vielfalt von Männern und Frauen vor der Herausforderung, sich diesen Veränderungen zu stellen. In Wirklichkeit ist der Weg zu einem gesunden, ausgewogenen Geschlechterverhältnis zwangsläufig mit Schwierigkeiten verbunden. Frauen, mit ihrem tieferen Verständnis von Emotionen und Beziehungen, die in der Vergangenheit am meisten gelitten haben, sind vielleicht am besten in der Lage, diese Traumata zu heilen.

Die Frage ist also, können wir als Männer und Frauen Wege finden, um die positiven Eigenschaften, die normalerweise mit jedem Geschlecht verbunden sind, zu behalten, ohne in die Falle zu tappen, stereotype Rollen und Strukturen zu wiederholen? Nehmen wir zum Beispiel den Gedanken der Aggression: Können wir Wege finden, diese Energie positiv in der Gesellschaft (in ihren weiblichen und männlichen Aspekten) zu kanalisieren und uns eine neue Vorstellung davon bilden: als kühne geistige Stärke, die nach einer dynamischen, positiven Veränderung sucht? Wir stehen derzeit vor einer Reihe von globalen Krisen, die von einer solchen geistigen Stärke profitieren würden, die von Frauen und Männern zum Ausdruck gebracht wird. Der Klimawandel drängt eindeutig nicht nur zu allmählichen Veränderungen, sondern er fordert auch mutige, ja sogar riskante Maßnahmen. 

Das derzeitige Wirtschaftssystem funktioniert offensichtlich nicht für die Mehrheit, und das Herumbasteln an der Oberfläche reicht nicht aus, um eine tiefreichende Gerechtigkeit und Gleichheit herzustellen. Und die Vorstellung einer nährenden und fürsorglichen Energie, die oft in stereotypischer Sichtweise als passiv erachtet wird, ist in der Tat unerlässlich: In Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung und Erneuerung unserer Beziehung zu anderen Naturreichen führen und die uns neue Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Zusammenlebens entwerfen lassen. Wenn es den Anschein hat, dass diese Worte lediglich die Weisheit des Tao wiederholen, sprich, dass Pole sich ergänzen müssen, um Harmonie zu erzeugen, dann ist das nicht bedeutungslos. Es gibt einen Grund, warum diese Weisheit als ‘zeitlos’ bezeichnet wird! Wenn Polarisation als zwei Punkte unverrückbarer Opposition wahrgenommen wird, gibt es keinen Weg voran. Aber wenn sie als fließender Tanz zwischen den Polen erkannt wird, setzt das ganz natürlich, Bewegung und Evolution in Gang.

Es hat natürlich keinen Sinn, so zu tun, als ob Fortschritte in diesem Bereich leicht zu erzielen wären. So ist beispielsweise die Frage der Menschenrechte in Bezug auf Geschlecht und Sexualität so umstritten, dass sich die Vereinten Nationen noch nicht auf eine formelle Erklärung einigen konnten (Vorschläge hierzu wurden in den Jahren 2008 und 2011 gemacht). Doch es gibt Anzeichen von Hoffnung. Ein Dokument, das als Ausgangspunkt für eine künftige Erklärung dienen könnte, wurde von einer internationalen Versammlung von Menschenrechtsgruppen erstellt, die im November 2006 in Yogyakarta, Indonesien, zusammenkam. Die 2017 aktualisierten Yogyakarta-Grundsätze 4 zielen darauf ab, die Grundsätze des internationalen Menschenrechtgesetzes anzuwenden, um die Verletzung der Menschenrechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und intersexuellen Menschen zu bekämpfen; mit anderen Worten, all jener, die nicht genau in die traditionellen Stereotypen von Geschlecht und Sexualität passen.

Versuchen wir letztlich nicht alle – Frauen, Männer und sämtliche Geschlechtsidentitäten dazwischen oder darüber hinaus – als das gesehen zu werden, was wir wirklich sind und was wir zu dem größeren Ganzen beitragen können? Suchen wir nicht den freien Ausdruck unseres geistigen Kerns, der Seele, durch unsere physischen, emotionalen und mentalen Träger, ganz gleich welchen Geschlechts wir sind? Wenn wir in der Lage sind, unseren Identitätssinn selbstbestimmt über Körper, Gefühle und Geist hinaus in die Seele zu verlagern, können wir beginnen zu erkennen, dass die ‘Gegensätze’ des Geschlechts ein synthetisches Ganzes bilden, die Grundlage, um die grenzenlose Energie des Geistes durch Dienst in die Welt zu leiten. Dann können wir ‘männlich’ und ‘weiblich’ einfach als eine bequeme Abkürzung für eine bestimmte Zusammensetzung von Qualitäten verstehen, die nach Belieben frei genutzt werden können. Wenn dieser Zustand des Seins die allgemeine Regel ist, werden wir in der Lage sein, Maos Spruch, „Die Frauen tragen die Hälfte des Himmels“ auf den Gedanken und die zustande gekommene Realität auszudehnen, dass „die Menschheit als Ganzes die tragende Säule für den Himmel auf Erden ist“

1. www.rebelwisdom.co.uk

2. https://promundoglobal.org

3. https://nextgenmen.ca

4. http://yogyakartaprinciples.org

Eine Gemeinschaft erbauen: Überbrückung der Kluft kultureller Identitäten

Für viele Menschen, die mit gutem Willen und Verstand begabt sind, stellt die Gegenwart eine beunruhigende Zeit dar. Für jene, welche die grundlegende Einheit des Lebens anerkennen, kann es zutiefst verstörend sein, mit Problemen von Spaltungen und Gegensätzen konfrontiert zu werden, die sich in den Bereichen Religion, ethnischer Zugehörigkeit und Kultur zeigen. Wenn diese Einheit abgelehnt zu werden scheint – von Gruppierungen aus Mehrheits- und Minderheitengemeinschaften, die oft mit sehr harten Worten ihre eigene kulturelle und religiöse Agenda aktiv vorantreiben wollen – ist es eine besondere Herausforderung, einen Mittelweg zu finden, der Trennlinien überbrückt und gleichzeitig universellen Werten treu bleibt. Wenn drängende soziale Fragen (in Bezug auf Bildung, Gesundheitsfürsorge, Polizeiwesen, Arbeitslosigkeit usw.) immer wieder nur durch die Linse derer betrachtet und reflektiert werden, die sich mit konkurrierenden ethnischen oder religiösen Standpunkten identifizieren, wird es schwer, Vertrauen, guten Willen oder einfach Respekt im zwischenmenschlichen Miteinander zu etablieren.  Das Auftreten von ständiger Polarisierung in einer Nation entfaltet eine ähnliche Wirkung wie eine verstopfte Arterie: sie unterbricht die Zirkulation des gesamten Lebensstroms, der für das reibungslose Funktionieren eines gesunden Systems erforderlich ist

Die Menschen bewegen sich in größerer Anzahl als je zuvor über die Grenzen und um den Globus, und es ist unwahrscheinlich, diese Bewegung stoppen zu können. Der UN-Flüchtlingspakt, der nach ausführlichen Diskussionen und Verhandlungen in Kürze von den Teilnehmerländern verabschiedet werden soll, erkennt dies an und versucht, ein Konzept zu entwickeln, welches Regierungen als Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit und Koordination heranziehen können.

Gerade jetzt leben wir in einer außerordentlich herausfordernden Zeit. Kulturen stoßen und reiben sich, oft in nächster Nachbarschaft, gegeneinander auf, in einer Zeit des rapiden Wandels und politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit. Einzelpersonen und Gesellschaften stehen unter erheblichem Stress. In den meisten westlichen Ländern wird es für einfache Arbeiter/innen immer schwieriger, sichere, stabile und erfüllende Arbeitsplätze zu finden. Lebensweisen werden durch sich schnell ändernde soziale Sitten erschüttert (z. B. in Bezug auf Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung); es kommt verbreitet zu Verwendung respektlosen Sprachgebrauchs in sozialen Medien und in gesellschaftspolitischen Diskussionen; ebenso zu einem Verlust von Vertrauen in religiöse Einrichtungen, die zuvor den großen Menschenmassen geholfen hatten, mit Veränderungen zurechtzukommen. In einer Zeit, in der der ständige Wunsch nach größeren, besseren und schillernderen ‘Dingen’ durch konkurrenz- und wachstumsorientierte Wirtschaftssysteme angeregt wird, stagnieren die Löhne oder haben sich sogar für die meisten Menschen insgesamt verringert, während eine Elitegruppe offenbar alle finanziellen Vorteile eines wachsenden Marktes ausnutzt. Die Lebensqualität in grundlegenden Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Wohnen stellt sichtlich bei einer großen Mehrheit eine Abwärtsspirale dar. Es ist somit nicht verwunderlich, dass vielen Menschen die Zukunft düster erscheint.

In solch einer Situation intensiviert sich unvermeidlich der Konflikt zwischen den Kulturen innerhalb vieler Nationen (und sogar auch innerhalb von Städten und Orten). Dies spiegelt den jetzt stattfindenden Übergang von einem Zeitalter der Abspaltung in ein Zeitalter der Synthese wider. Ein Übergang geht mit Chaos einher, ist somit eine komplexe und beunruhigende Angelegenheit, die Schmerz und Verlust beinhaltet. Dieses Leid sollte und kann durch eine wachsende Vision zukünftiger Möglichkeiten ausgeglichen werden. Bisher wurde diese Vision jedoch zu stark politisiert und reduziert sich oft nur auf stark vereinfachte und ‘bissige Sprüche’. Es ist daher unerlässlich, dass diese Vision der Zusammenarbeit, die jetzt verwirklicht werden könnte, mit Klarheit und geistigem Feuer verkündet wird, damit sie in das Vorstellungsvermögen der breiten Öffentlichkeit Eingang findet.

Das weit verbreitete, aber nicht universell wahrgenommene Gefühl einer allumfassenden Zugehörigkeit, durch das wir uns mit dem EINEN Leben und der EINEN Menschheit identifizieren können, beinhaltet die Anerkennung der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen; und auch die Anerkennung der reichen Vielfalt an Kulturen, Glaubensrichtungen und Lebensweisen – jede mit ihren eigenen Qualitäten und Herausforderungen. Dieses Gefühl der Einheit enthält in sich auch die Erkenntnis, dass eine Weltgemeinschaft im Entstehen begriffen ist, was teilweise die Große Wende hin zu einem Zeitalter wechselseitiger Beziehungen und Interdependenz andeutet. Vor dem Brexit und dem jüngsten Aufstieg des populären Nationalismus stellten eine multikulturelle Lebensweise und eine pluralistische Gesinnung für viele die Werte einer neuen Ära dar, auf die sich die Menschheit zubewegt. Aber gerade jetzt gibt es eine destruktive Atmosphäre im öffentlichen Leben, die diese Offenheit für Vielfalt in Frage stellt und zynisch behauptet, dass es sich hierbei um eine von der Kulturelite verbreitete Ideologie handeln würde; und dass diese nichts weiter als eine politische oder kulturelle Korrektheit darstelle, die die eigentliche Realität des Sonderseins und der Getrenntheit, die der menschlichen Natur angeblich innewohnt, verschleiert.

Wir leben in einem Zeitalter zunehmender gegenseitiger Abhängigkeit. Während viele Gemeinschaften auf der ganzen Welt nach wie vor kulturell und religiös relativ homogen sind, werden andere zunehmend vielfältiger und gemischter.

Die Vision des guten Willens und der Zusammenarbeit innerhalb unterschiedlicher Standpunkte und Strömungen, die sich den vielseitigen Herausforderungen eines Zeitalters wachsender wechselseitiger Abhängigkeiten zu stellen hat, wird nun wie nie zuvor in Frage gestellt. Längerfristig gesehen ist das sicherlich eine gute Sache. Diejenigen, die versuchen, die Quelle der Probleme der ethnischen und religiösen Uneinigkeit anzusprechen, müssen ihr Verständnis und ihre Praxis des richtigen Handelns vertiefen; sie müssen jeden Teilnehmenden bei einem  regionalen Streit oder in einer nationalen Auseinandersetzung zutiefst ‘wahrnehmen’ (d. h. seine Individualität und Gruppenidentität würdigen und die Ursache seines Ärgers, seiner Schmerzen und seiner Ängste ernst nehmen und zu versuchen, diese zu verstehen); sie müssen über vereinfachte Parolen hinauszugehen bereit sein und Fähigkeiten entwickeln, kulturelle Abgrenzung auf eine Weise zu überbrücken, die die Angst unter allen beteiligten Gemeinschaften anspricht und behandelt. Das Erkennen von Konflikten und Gegensätzen ist der erste Schritt in jeder aufrichtigen Untersuchung, die zu einer Bewältigung vorhandener Konflikte führen soll. Gegensätze können so überbrückt werden, und lassen das Gemeinsame aufleuchten: universelle Werte, das Gute, Schöne und Wahre. Unter der Oberfläche der diversen lauten und manchmal gewalttätigen Parolen, die seitens all derer hinausgeschrien werden, die sich über kulturelle Abspaltung definieren, geht in Wirklichkeit Tieferes vor sich: hier ist tatsächlich sehr viel Seelensuche im Gange. Und dies drückt sich in den starken Bemühungen aus, die Angst vor dem Andersartigen zu verstehen und den ererbten Schmerz zu begreifen, der in die meisten Probleme von ethnischen und religiösen Konflikten eingebettet ist. Diese Vision des guten Willens und der Zusammenarbeit fordert uns heraus, die Natur der kulturellen Identität zu überdenken, denn ihre Rolle ist es, zur Entwicklung einer starken, selbstbewussten nationalen Identität beizutragen, die dann Teil eines starken Sinnes für eine gemeinsame menschliche Identität sein kann. Mit diesem Verständnis lässt sich die multikulturelle Vision neu bewerten. Dies geschieht weltweit auf lokaler, nationaler und globaler Ebene, genauso wie das aktuell durch Initiativen in den Bereichen von Recht, Bildung, öffentlichem Anliegen und sämtlichen Berufen vorangetrieben wird. Hier wären zahlreiche Beispiele zu nennen, einschließlich des Projekts für Bürgerrechte und Wiedergutmachung 1 an der Northeastern University in Boston, welche sich inzwischen zu einer Ressourcen-Site für Initiativen in den USA entwickelt hat, die sich darum bemühen, dialogorientierte Möglichkeiten für die Aussöhnung zwischen ethnischen Gruppierungen zu fördern. Auch ist diesbezüglich das UNESCO-Projekt 2 zu erwähnen, welches im Rahmen von Pilotprogrammen in Österreich, Simbabwe, Thailand und Costa Rica entwickelt wird. Diese Pilotprogramme schulen Lehrende darin, interkulturelle dialogische Kompetenzen bei ihren Studierenden zu fördern.

Für jene, die sich von einer stark polarisierten Auseinandersetzung zwischen kulturellen Gruppierungen nicht länger mehr angezogen fühlen, besteht eine Möglichkeit des Voranschreitens darin, sich verantwortlich dafür zu sehen,  eine Atmosphäre der Kooperation zu schaffen, um damit auf die kollektiven Herausforderungen zu reagieren, denen sich Menschen aller ethnischen und religiösen Gruppen gegenübersehen. Dies bedeutet nicht, dass die Leser dieses Newsletters zu irgendeiner Form von politischem oder gesellschaftlichem ‘Aktionismus’ aufgerufen werden sollen. Einige engagieren sich bereits auf ihre eigene Art und Weise. Und für andere, die ebenfalls „die Verantwortung für die Schaffung neuer Möglichkeiten übernehmen“ wollen, kann es darauf ankommen, genau hinzuschauen, was in der Welt interkultureller Beziehungen vor sich geht; oder sie können darüber nachdenken, welches Potenzial einer Zusammenarbeit sie in ihrem eigenen Umfeld freisetzen wollen oder auch in anderen Tätigkeitsfeldern (Religion, Gesundheit, Recht usw.), an denen sie interessiert sind. Ein mögliches Ziel dieses lebendigen Überdenkens wäre es, Bereiche zu erkennen, in denen die Zusammenarbeit bereits floriert, diese in ihrem manchmal fehlerhaften menschlichen Ausdruck zu sehen und zu ergründen (im Bemühen, tief verwurzelte Verblendungen  und Illusionen zu durchdringen, die Zeit brauchen, um sich aufzulösen).

In früheren Generationen führten die Anstrengungen von Gewerkschaften, Frauenrechtlerinnen und Bürgerrechtsbewegungen zu kraftvollen Strömungen, die sich organisieren und mobilmachen konnten. Und das bewirkte einen erheblichen Fortschritt in der Lebensqualität der Menschen. Der Philosoph Kwame Anthony Appiah schlägt vor, dass die heutige Identitätspolitik kreativ „umgeformt“ werden sollte, um „produktiver“ und weniger oppositionell zu sein; und um betroffene Menschen aus unterschiedlichen Bewegungen zusammenführen, damit sie mit Möglichkeiten experimentieren können, die sie Ungleichheiten überwinden lassen; um dafür zu sorgen, dass „niemand zurückgelassen wird“, wie das durch die Vereinten Nationen angestrebt wird; und sich um bessere Schulen, besseren Zugang zu Gesundheitsfürsorge und erhöhte Sicherheit in Nachbarschaften, wo Gewalt herrscht, zu bemühen. Bewegungen wie die Klimaschutzgruppe 350.org haben das Potenzial, Menschen mit gutem Willen aus Mehrheits- und Minderheitengemeinschaften zu vereinen. Und diese Anstrengungen sind wichtig, um den ‘Normalbürgern’ zu helfen, sich für den Aufbau einer besseren Welt zum Wohle aller einzusetzen.

Während eine Atmosphäre des guten Willens übermäßige Parteinahme vermeidet und sich enthält, alles mit einem fortlaufend bemängelnden und kritisierenden Blick zu betrachten, bringt das natürlich mit sich, dass auch der Willen der Bevölkerung angeregt wird, eine bessere Welt zu erschaffen. Es erweckt in uns auch den Glauben an die Möglichkeit, dass bessere Schulen oder eine bessere Gesundheitsfürsorge oder erfüllende Arbeit für Menschen gleichsam aus Mehrheits- und Minderheitengemeinschaften erfolgreich realisiert werden können. Diese Atmosphäre des guten Willens kann auch bewirken, dass im nächsten Jahrzehnt bedeutende Fortschritte erzielt werden können, wenn genug Menschen dies wirklich wollen. Diejenigen, die diesen Willen zum Wohle aller teilen, müssen in der Lage sein, zu debattieren, zu diskutieren und zu verhandeln, welche Wege für ein gemeinsames Vorwärtskommen einzuschlagen sind. Und das muss auf eine Weise geschehen, die ein gemeinsames Ziel anerkennt und Unterschiede respektiert.

Zu erwähnen ist vielleicht noch ein wichtiges und positives Element, das sehr dabei hilft, die Unterschiede im Bereich der kulturellen Identität zu überbrücken: Es gibt mehr Initiativen als jemals zuvor in der Geschichte, die die Gesellschaft transformieren, indem sie Räume für Seelensuche, Dialog und Aktion in diesem Bereich schaffen. Sie gelangen bedauerlicher Weise einfach nicht in die Schlagzeilen. Eine Online-Suche wird jedoch unzählige etablierte und einflussreiche Initiativen zur Konfliktlösung zwischen ethnischen Gruppierungen auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene aufzeigen. Dazu gehören die Strategien zur Transformierung von Konflikten (Conflict Transformation Strategies) 3 und Ressourcen zur Heilung bei ethnischen Konflikten (Racial Healing Resources) 4  mit einem ganzen Instrumentarium bewährter Praktiken für Schulen und Gemeinden, um gegnerische Gruppen in einen Dialog einzubinden,  der über Konflikt hinausgeht und Verständnis weckt, was dann häufig zu gemeinsamen Aktionen führt. Die NGO Search for Common Ground (Nach Gemeinsamkeit suchen) 5 hat auf der ganzen Welt zahlreiche Programme entwickelt, die beispielsweise folgende Praktiken einsetzt:  Aktives Zuhören, um sicherzustellen, dass andere sich als gehört und anerkannt fühlen. Danach streben, die zugrundeliegenden Interessen anderer zu verstehen, und zwar über deren eigene bekundete Positionen hinaus; Möglichst Vermutungen zu vermeiden, und Annahmen, wenn sie vorhanden sind, zu untersuchen. Auf internationaler Ebene verfügt die Allianz der Zivilisationen der Vereinten Nationen 6 über etablierte Programme, die auf interkulturellen Dialog, Verständnis und Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Im Jahr 2017 richtete das Commonwealth-Sekretariat eine Abteilung 7 ein, um nationale Strategien gegen gewalttätigen Extremismus in den 53 Mitgliedsstaaten des Commonwealth zu unterstützen. Dies wirft ein weiteres Licht auf die Vielzahl von Initiativen, die tiefgreifende Ansätze zur Überbrückung der Kluft zwischen den Kulturen fördern, damit eine Zusammenarbeit für das Wohl der Menschheit möglich ist.

1. http://rjp.umn.edu/projects/race-relations-and-restorative-dialogue-resource-site-nationwide-efforts-promoting-dialogue

2. https://en.unesco.org/news/building-intercultural-skills-austria

3. https://racialequitytools.org/act/strategies/conflict-transformation

4. http://racialequitytools.org/act/strategies#ACT18

5. https://www.sfcg.org/what-exactly-is-the-conflict-around-race/

6. https://www.unaoc.org

7. http://thecommonwealth.org/countering-violent-extremism

MANTRA DER VEREINIGUNG

Im Wesen eins sind alle Menschensöhne, und ich bin eins mit ihnen.
Ich möchte Allen Liebe schenken, nicht hassen.

Ich möchte dienen, nicht schuldigen Dienst verlangen.
Ich möchte heilen, nicht schädigen oder verletzen.

 

Erlittenes Leid mög` als verdienten Lohn
uns Licht und Liebe bringen.

Die Seele soll beherrschen
die äußere Form, das Leben und das Wirken,

Und bring` ans Licht der Liebe Kraft,
die allem Zeitgeschehen zugrunde liegt.

 

Mög` innere Schau und Einsicht kommen
Und unverhüllt die Zukunft sein.

Lasst innere Einheit uns bekunden
Und ganz vergessen, was uns trennt.

Lasst allenthalben Liebe walten!
O, dass doch alle Menschen lieben würden!

(Gedruckte Exemplare sind auf Anfrage erhältlich)

Image Credits:

Top banner Kim Paulin, https://www.flickr.com/photos/axlape/1463432010/in/album-72157602209067430/ (CC BY-NC-SA 2.0 licence)
In "People Hold Up Half the Sky" Polarities: Yin and Yang ©Millicent Hodson
In "Building Community: Bridging the Divides in Cultural Identity"  Marco Verch, https://www.flickr.com/photos/30478819@N08/21464593154/in/album-72157659643913076/ (CC BY 2.0 licence); and Shutterstock, ValeStock, www.shutterstock.com
In "The Mantram of Unification" Shutterstock, Hibiki Nakata, www.shutterstock.com

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