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Die Wirksamkeit des Auges

Wir wollen jetzt eine [211] der einfachsten Regeln zur Magie betrachten, die gleichzeitig auch eine der praktischsten ist, und von welcher der ganze Erfolg allen magischen Wirkens abhängt.

Ich möchte den forschenden Aspiranten darauf hinweisen, dass der Schlüssel zu der in dieser Regel geschilderten Situation in dem Wort Kontemplation liegt, das schon in der vorhergehenden Regel zu finden ist. Deshalb wollen wir dieses Wort mit Sorgfalt studieren und eine genaue Definition dafür suchen.

Zur kontemplativen Betrachtung gehört eine stetige, zielstrebige, auf einen bestimmten Gegenstand gerichtete geistige Schau. Man könnte sagen, dass die Seele oder der Sonnenengel in drei Richtungen blickt:

1. Nach dem überirdischen Licht, jener zentralen Wesenheit oder Energie, welche in Sich die Absicht und den Plan verborgen hält, dem alles zustrebt. Ich weiss nicht, wie man das klarer ausdrücken könnte. Was jene richtunggebende Kraft und was das Geheimnis des Seins selbst sein mag, wird erst bei den späteren Einweihungen offenbart und erst dann endgültig begriffen, wenn sich der Kausalkörper selbst, das Karana Sharira, auflöst und die letzten Begrenzungen schwinden. Mit der Vision des Sonnenengels in dieser Richtung brauchen wir uns nicht zu befassen.

2. Über das Reich, in dem der Sonnenengel als Höchster herrscht, auf die Welt der Seelen oder der egoischen Impulse, des hierarchischen Wirkens und des reinen Denkens. Das ist das Reich Gottes, die Welt himmlischen Seins. Es ist der Zustand, dessen die Jünger immer mehr innewerden, in dem die Eingeweihten wirken und von dem aus die Meister verschiedener Grade die Evolution unseres Planeten leiten. Diese beiden Richtungen, nach [212] denen die Seele ausschaut, bilden die Welt ihrer geistigen Erfahrung und das Ziel ihres Strebens. Vergesst nicht, dass auch der geistige Mensch, der Sonnenengel, ein Ziel hat, dem er zustrebt, und dass dieses zu dem vorherrschenden Impuls wird, sobald die Unterwerfung des Instrumentes in den drei Welten vollbracht ist. So wie erst das voll intelligente Menschenwesen beginnen kann, bewusst als Seele zu wirken und mit dem Seelenreich in Berührung zu kommen, ebenso kann erst die vollaktive, herrschende Seele, in der das buddhische Prinzip potentiell regiert, daran gehen, mit dem Zustand des reinen Seins, in dem die Monade oder der Geist ewig ruht, in Kontakt zu treten.

Die Entwicklung des Verstandes zeigt bei einem Menschen an, dass er tauglich ist, den Pfad zurück zum vollen Seelenbewusstsein zu beschreiten. Die Entwicklung des Buddhi oder Liebe-Weisheit-Aspektes beim Sonnenengel beweist dessen Tauglichkeit zu weiterem Fortschritt im Bewusstseinsbereich des reinen Seinszustandes.

3. Die dritte Richtung, in der die Seele blickt und wobei sie die Fähigkeit kontemplativer Schau übt, ist die auf ihr Spiegelbild in den drei Welten. Das Ziel des langen Ringens zwischen dem höheren und dem niederen Menschen war es, den niederen empfänglich und feinfühlig bewusst zu machen für die Kräfte, die von der Seele ausgehen, wenn die Seele ihr dreifaches Instrument «kontempliert».

Es besteht eine interessante Beziehung zwischen diesen drei «Richtungen der Kontemplation» und der Erweckung der drei Hauptzentren. Das kann hier lediglich angedeutet werden, weil das Thema zu schwer verständlich ist. Es sind ja so viele Faktoren bei dieser Erweckung massgebend, und jeder Aspirant muss dafür die Reihenfolge und Methode selbst bestimmen.

Das Zentrum zwischen den Augenbrauen, für gewöhnlich das dritte Auge genannt, hat eine einzigartige, besondere Funktion.

Wie ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe, dürfen die Studierenden die Zirbeldrüse nicht mit dem dritten Auge verwechseln. Sie haben wohl eine Beziehung zueinander, sind aber nicht dasselbe.

In der «Geheimlehre» werden sie scheinbar [213] als dasselbe angesehen, und wer nur gelegentlich in diesem Buche liest, kann sie leicht verwechseln; aber sie sind in keiner Weise identisch. H. P. B. wusste das, aber die scheinbare Verwechslung wurde zugelassen, bis über die Äthernatur der Formen mehr bekannt sein würde. Das dritte Auge manifestiert sich als Folge der durch Vibrationen verursachten Wechselwirkung zwischen den Kräften der Seele, die durch die Zirbeldrüse wirken, und den Kräften der Persönlichkeit, die durch die Hypophyse wirken. Diese positiven und negativen Kräfte wirken aufeinander ein und bringen, wenn sie stark genug geworden sind, das Licht im Kopf hervor. So wie das physische Auge als Rückwirkung auf das Sonnenlicht entstand, ebenso entsteht als Reaktion auf das Licht der Geistessonne das geistige Auge. In dem Mass, in dem sich der Aspirant entwickelt, wird er des Lichts gewahr. Ich meine hier das Licht in allen Formen, das hinter allen Hüllen und Äusserungen des göttlichen Lebens verborgen ist, und nicht bloss das Licht im Aspiranten selbst. In dem Mass, in dem seine Wahrnehmung dieses Lichts zunimmt, entwickelt sich auch das Instrument der geistigen Schau, und der Mechanismus, mit dem er die Dinge im geistigen Licht sehen kann, entsteht in seinem Ätherkörper.

Das ist das Auge Shivas, denn es wird dann im magischen Wirken voll nutzbar gemacht, wenn der monadische Aspekt, der Willensaspekt, die Herrschaft hat.

Mit Hilfe des dritten Auges vollbringt die Seele dreierlei:

1. Es ist das Auge der geistigen Schau. Mit ihm sieht der geistige Mensch hinter die Formen aller Aspekte der göttlichen Wesensäusserung. Er nimmt das Licht der Welt wahr und hat Kontakt mit der Seele in allen Formen. So wie das physische Auge Formen registriert, ebenso erkennt das geistige Auge die Erleuchtung in jenen Formen, und diese «Erleuchtung» weist auf einen spezifischen Seinszustand hin. Sie eröffnet die Welt der Strahlung.

2. Es ist der Faktor, der das magische Wirken beherrscht. Alle Arbeit in der weissen Magie wird mit einer ganz deutlich aufbauenden Absicht ausgeführt und durch die Anwendung des einsichtsvollen Willens ermöglicht. Mit anderen Worten: die Seele kennt [214] den Plan, und wenn die innere Übereinstimmung in Ordnung und die Einstellung richtig ist, dann kann der Willensaspekt des göttlichen Menschen wirksam werden und in den drei Welten Ergebnisse erzielen. Das dabei benutzte Organ ist das dritte Auge. Die Entsprechung hierzu findet man in der oftmals bemerkten Macht des menschlichen Auges, insofern es andere Menschen und Tiere durch einen Blick beherrscht und durch unverwandtes Anstarren magnetisch wirken kann. Durch das konzentriert blickende menschliche Auge strömt Kraft. Und Kraft strömt durch das konzentriert blickende dritte Auge.

3. Es hat einen zerstörenden Aspekt. Die Energie, die durch das dritte Auge strömt, kann eine auflösende und zerstörende Wirkung ausüben. Es kann durch konzentrierte Aufmerksamkeit und wenn es durch den einsichtsvollen Willen geleitet wird, physische Materie austreiben. Es ist die Wirkkraft der Seele beim Läuterungswerk.

Hier sollte beachtet werden, dass in jedem der feineren Körper in den drei Welten ein entsprechender Brennpunkt liegt; das Zentrum zwischen den Augenbrauen ist nur das physische Gegenstück (denn der ätherische Stoff gehört zur physischen Natur) innerer Entsprechungen.

Durch diesen Brennpunkt betrachtet oder kontempliert die Seele die Mentalebene einschliesslich des mentalen Werkzeuges. In ähnlicher Weise wird die Seele auf der Emotionalebene in einen Zustand des Gewahrseins oder Erschauens ihrer emotionellen Hülle und der Welt astraler Erscheinungen gebracht, und für den Ätherkörper besteht die physische Entsprechung.

Eben von dieser dritten Wirksamkeit der Seele ist hier die Rede: von der zerstörenden Arbeit des Loswerdens alter Formen, des Abschüttelns unerwünschter Körpermaterie und des Niederreissens von Hindernissen und Begrenzungen, die der wahren Seelentätigkeit im Wege stehen.

Diese drei Tätigkeiten der Seele mit Hilfe des dritten Auges sind die Entsprechungen zu den drei Aspekten, und Studierende würden feststellen, dass es interessant ist, diese Dinge auszuarbeiten.

Das Erschauen des Lichts in allen Formen, mit Hilfe des dritten Auges, das infolge des Lichts im Kopf, des geistigen Lichts, entsteht, ist nur die Entsprechung zum physischen Sehen, das uns die Formen im Licht der physischen Sonne offenbart. Dies entspricht [215] der Persönlichkeit.

Das Herrschen durch magnetische Energie und durch die Anziehungskraft im geistigen Auge ist der bestimmende Faktor im magischen Wirken; dieser Aspekt ist die Entsprechung zur Seele. In einem höchst geheimnisvollen Sinn ist die Seele das Auge der Monade, so dass letztere, die ja reines Sein ist, befähigt wird zu wirken, zu wissen, zu sehen und Kontakt zu nehmen.

Der Zerstörungsaspekt ist die Entsprechung zur Monade oder zum Willensaspekt; letzten Endes ist es die Monade, welche die endgültige Abstraktion zuwegebringt, alle Formen zerstört, sich von allem Erschaffenen zurückzieht und den Zyklus schöpferischen Wirkens beendigt.

Verleiht man diesen Gedanken praktischen Ausdruck in bezug auf die Regel, die wir gerade besprechen, so kann man feststellen, dass alle diese drei Tätigkeiten darin behandelt werden. Das dritte Auge öffnet sich infolge bewusster Entwicklung, richtiger innerer Harmonisierung und des Einströmens seelischer Lebensfülle. Dann macht sich seine magnetisch beherrschende Kraft dadurch bemerkbar, dass es die Lebenspartikel der niederen Körper steuert und überwacht, die vier niederen Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft) austreibt und die Lunarherren zur Abdankung zwingt. Die Persönlichkeit, die bis dahin der Herr und Meister war, kann nicht mehr länger bestimmen, und die Seele kommt in den drei Welten zur vollen Herrschaft.

Das Erdelement, also die Gesamtheit der vielen Lebewesen, die den physischen Körper bilden, wird beherrscht, und es fühlt das Auge des Meisters (des einen Meisters im Kopf) auf sich gerichtet.

Die groben Elemente, welche diesen Körper ausmachen, werden «ausgetrieben» und dafür bessere und angemessenere Atome oder Lebenskerne eingebaut.

Das Element des Astral- oder Wasserkörpers wird einem ähnlichen Vorgang unterworfen und dazu kommt noch eine festigende Wirkung, welche der Ruhelosigkeit und dem wogenden Ungestüm (den bisherigen Hauptmerkmalen dieses Körpers) ein Ende macht. Durch die beherrschende magnetische Kraft des geistigen Auges baut [216] die Seele den Astralleib neu auf und hält ihn mit ihrer konzentrierten Aufmerksamkeit ruhig und in festem Zusammenhang.

Im Mentalkörper vollzieht sich ebenfalls ein entsprechender Vorgang. Alle Formen verschwinden vor dem klaren Licht, in welchem der geistige Mensch wirkt; der Alte Kommentar drückt es so aus:

«Einen Blick wirft die Seele auf die Formen des Denkens. Ein Lichtstrahl bricht hervor und Dunkelheit schwindet; Zerrbilder und üble Formen vergehen, und alle die kleinen Feuer sterben dahin; die kleineren Lichter sind nicht mehr zu sehen. Durch Licht erweckt das Auge die nötigen Daseinsarten zum Leben. Dies wird dem Jünger Wissen bringen; der Unwissende findet keinen Sinn darin, denn ein Sinn fehlt.»

Das Luftelement ist symbolisch jene Energie-Kernsubstanz, die durch die Formen des Ätherkörpers wirkt; sie wirkt durch den Atem und wird durch die Wissenschaft des Pranayama gehandhabt. Diese Elementarform ist das komplizierte ätherische Gefüge, das aus den Nadis und Zentren besteht, und alle fortgeschrittenen Schüler wissen genau, wie diese durch die konzentrierter Aufmerksamkeit der in der Kontemplation verweilenden Seele beherrscht werden; diese letztere wirkt durch das Kopfzentrum, ist in der Region des dritten Auges konzentriert und wird durch einen Willensakt zu rechter und spezifischer Tätigkeit angetrieben. In dem obigen Satz habe ich die Formel für alles magische Wirken auf der physischen Ebene zusammengefasst. Eben durch den Ätherkörper und durch die Kraft, die durch das eine oder andere Zentrum geleitet wird, vollbringt die Seele das magische Werk.

Indem man sein Vorhaben intensiv im Kopf konzentriert und die Aufmerksamkeit durch das dritte Auge auf jenes Zentrum richtet, das benutzt werden soll, findet die Kraft ihren richtigen Ausgang. Ihr wird durch den energieerfüllten, gelenkten, intelligenten Willen Macht verliehen. Studiert diese Punkte, denn in ihnen werdet ihr den Schlüssel zu dem magischen Werk des Neuaufbaues eures eigenen Lebens finden, zu dem magischen Werk des Neuaufbaues der Menschheit, den bestimmte Adepten durchführen, und zu der magischen Arbeit an der Evolution des göttlichen Planes, solche Arbeit ist die Triebkraft der okkulten Hierarchie.