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DRITTES KAPITEL - Der nächste Schritt in der mentalen Entwicklung der Menschheit - Teil 1

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DRITTES KAPITEL
Der nächste Schritt in der mentalen Entwicklung der Menschheit

Die jetzige Übergangsperiode

Drei Schritte [69] muss das Erziehungswesen der Welt jetzt unternehmen, und ein gewisser Erfolg ist in dieser Hinsicht bereits zu verzeichnen. Vergesst aber nicht, dass unter dem inneren Drang der Entwicklung solche Schritte oft ohne ein Verstehen der wahren Ziele, ohne rechtes Begreifen des sichtbar werdenden Sinnes und Zwecks unternommen werden. Sie werden einfach unternommen, da die Not der Zeit sie klar als die nächsten Schritte erkennen lässt, da das alte System den gewünschten Zweck verfehlt hat, da die Ergebnisse offensichtlich unerwünscht sind, da ein weitblickender Mensch eine neue Methode ausgearbeitet hat und es versteht, seinen Willen in seiner Umgebung durchzusetzen, um das neue Ideal aufzuzeigen. Diese unmittelbar zu treffenden Massnahmen sind folgende:

Erstens: die Entwicklung von besser geeigneten Mitteln zum Verstehen und Erforschen des Menschen. Dies wird auf dreierlei Arten möglich gemacht werden:

1. durch die stärkere Entwicklung der Wissenschaft der Psychologie. Dies ist die Wissenschaft des Wesentlichen im Menschen und wird als solche jetzt immer mehr als nützlich und der richtigen Entwicklung der menschlichen Einheit [70] angemessen angesehen. All die verschiedenartigen Psychologie-Schulen (so zahlreich und in sich abgeschlossen) werden schliesslich ihren besonderen Beitrag zur Wahrheit leisten, und aus dieser Synthese wird die wirkliche Wissenschaft der Seele hervorgehen;

2. durch die Verbreitung und Entwicklung der Wissenschaft der Sieben Strahlen. Diese Wissenschaft wird die rassischen und individuellen Menschentypen ins rechte Licht stellen; sie wird das Wesen der individuellen und rassischen Probleme klar formulieren; sie wird die Kräfte und Energien aufzeigen, die im Individuum und im Menschengeschlecht nach Ausdruck ringen; und wenn die zwei Hauptstrahlen und die drei Nebenstrahlen (die in jedem Menschen zusammentreffen) erkannt sind und vom Erzieher in ihrer Beziehung zum Einzelmenschen in Betracht gezogen werden, dann wird das zur richtigen Individual- und Gruppenschulung führen und es dem Erzieher ermöglichen, auf die passenden Berufe hinzuweisen;

3. durch die Annahme der von den Esoterikern vertretenen Lehre der Wesenskonstitution des Menschen; diese berücksichtigt das Verhältnis der Seele zum Körper, das Wesen dieser Körper, ihre Eigenschaften und Zwecke sowie die wechselseitige Beziehung zwischen der Seele und ihrem dreifachen Ausdrucksinstrument in den drei Welten menschlichen Strebens.

Um dies zu verwirklichen, muss man sich das Beste, was der Osten zu bieten hat, und das Wissen des Westens zunutze machen. Die Schulung des physischen Körpers, die Kontrolle des Gefühlskörpers und die Entwicklung des rechten mentalen Erfassens müssen stufenweise erfolgen, und zwar unter Berücksichtigung des Zeitfaktors und auch der Zeitspanne, innerhalb welcher eine geplante Koordinierung aller Aspekte des Menschen sorgfältig entwickelt werden sollte.

Zweitens: die Anerkennung der Tatsachen der esoterischen Astrologie.

Sobald dies der Fall ist, besteht die Möglichkeit, das Kind von seinem ersten Atemzug an zu schulen. Der genaue Zeitpunkt der Geburt oder des ersten Atemzuges, der oft vom ersten Schrei [71] begleitet ist, wird genau aufgezeichnet werden. Man wird eine Charakterskizze entwerfen, um sie dann mit der sich entwickelnden Persönlichkeit wie auch mit der «Strahlentabelle» zu vergleichen; und man wird das Horoskop und die Strahlentabelle alle sieben Jahre einer sorgfältigen Analyse unterziehen. Dieses Verfahren wird dem Erzieher anzeigen, welche Schritte zu unternehmen sind, um die Entfaltung des Kindes weise zu beschleunigen. Die gewöhnliche moderne Astrologie mit ihren Voraussagen, ihrem Herausstellen unwichtiger Punkte und physischer Belange der verkörperten Seele wird allmählich durch das Erkennen von Beziehungen, von Lebenszielen, der grundlegenden Charakteranlagen und der Absicht der Seele ersetzt werden, und vieles wird dann dem weisen Freund und Führer der Jugend (denn jeder Erzieher sollte bestrebt sein, das zu sein) klar werden und somit möglich sein.

Drittens: die Anerkennung des Gesetzes der Wiedergeburt als ein naturbestimmter Vorganges.

Dies wird ein entscheidender Faktor im menschlichen Leben werden und ein helles Licht auf das Erziehungswesen werfen. Es wird sich als interessant und wertvoll erweisen, den grundsätzlichen Tendenzen nachzuspüren und sie mit der Menschheitsentwicklung und geschichtlichen Episoden in Beziehung zu bringen; auch wenn das Zurückkommen auf frühere Leben uninteressant ist, so wird doch das Erkennen der aus der Vergangenheit übernommenen Charaktereigenschaften wirklich einen Zweck haben. Junge Menschen werden dann nach ihrem wahrscheinlichen Standort auf der Leiter der Entwicklung beurteilt und eingeteilt werden in:

a. Lemurier, hauptsächlich für das Physische empfänglich;

b. Atlantier, vom Gefühlsleben beherrscht;

c. Arier, mit mentalen Bestrebungen und Neigungen;

d. die neue Rasse mit Gruppenbewusstsein und dazugehörigen Eigenschaften und mit idealistischem Weitblick.

Der Zeitfaktor wird (vom Standpunkt des gegenwärtig Erreichten und des möglichen Zieles im jetzigen Erdenleben) sorgfältig in Betracht [72] gezogen werden; auf diese Weise wird es keinen Leerlauf geben. Der Knabe oder das Mädchen wird verständnisvolle Hilfe und analytische Beratung finden, nicht aber auf Unwissenheit und zersetzende Kritik stossen; die Kinder werden beschützt und nicht bestraft werden; sie werden angeregt, nicht zurückgehalten werden; sie werden okkult erkannt sein und somit kein Problem darstellen.

Es wird euch ohne weiteres klar sein, dass einige Jahrzehnte dahingehen müssen, bevor ein solcher Zustand möglich und alltäglich wird, doch habe ich «Jahrzehnte» und nicht «Jahrhundert» gesagt. Anfangs werden Experimente in dieser Richtung nur in kleinen Schulen mit besonders ausgewählten Zöglingen oder in kleinen Hochschulen mit einem erlesenen und geschulten Lehrkörper, der zu vorsichtigen Versuchen bereit ist, gemacht werden können. Nur durch die lebendige Bestätigung der Vorteile der oben erwähnten Methoden (für die genaue Beobachtung und Schulung der Kinder) wird es möglich sein, die staatlichen Erziehungsbehörden davon zu überzeugen, dass durch ein solches Angehen der schwierigen Aufgabe, Menschen zum Leben vorzubereiten, das Problem in einem neueren und klareren Licht erscheint. Dennoch ist es wichtig, dass solche Schulen und Hochschulen möglichst viele Fächer des gewöhnlich verlangten Lehrgangs beibehalten, um ihre Leistungsfähigkeit im Wettkampf mit anderen anerkannten Lehrsystemen beweisen zu können.

Wenn ein rechtes Verstehen der Sieben-Strahlen-Typen, der Wesenskonstitution des Menschen und der Astrologie, im Verein mit der richtigen Anwendung einer synthetischen Psychologie von irgendeinem Nutzen ist, so muss sich dies in der Hervorbringung eines richtig koordinierten, weise entwickelten, hochintelligenten und mental ausgerichteten Menschen erweisen.

Die meisten bisherigen Versuche, dem modernen Kind eine Erziehungsform des neuen Zeitalters beizubringen, sind auf zweierlei Schwierigkeiten gestossen:

Erstens konnte zwischen der jetzigen Erziehungsform und dem gewünschten Ideal kein Kompromiss gefunden werden; es kam keine wissenschaftliche Überbrückung zustande; und es wurde bisher noch kein Versuch gemacht, das Beste der heutigen Methoden (die wahrscheinlich dem zeitgenössischen Kind gut angepasst [73] sind) und einige der besser geeigneten, der neuen Schau gemässen Methoden, besonders diejenigen, die den jetzt gebräuchlichen leicht angepasst werden können, zueinander in Wechselbeziehung zu bringen. Nur so wird man Schritt für Schritt vorgehen können, bis die neue Erziehung eine vollendete Tatsache ist und die alten Methoden mit den neuen zu einem zweckvollen Ganzen verflochten sind. Der visionäre Idealist hat bisher das Feld behauptet und so den Fortschritt verlangsamt.

Zweitens kann die neue Methode nur mit sorgfältig ausgewählten Kindern erfolgreich ausprobiert werden. Diese Zöglinge müssen von frühester Kindheit an beobachtet werden, ihre Eltern müssen von Anfang an bereit sein, an der Schaffung der günstigsten Bedingungen und der rechten Geistesatmosphäre mitzuarbeiten, und die Lebenspfade dieser Kinder müssen (als ob es sich um Krankheitsgeschichten handelte) gemäss den in diesen Belehrungen angegebenen Richtlinien studiert werden.

Visionäre, mystische Hoffnungen und Träume sind insofern nützlich, als sie ein mögliches Ziel andeuten; sie sind aber von wenig Nutzen zur Feststellung von Arbeitsmethoden. Einem Kind, das in seinem Grundbewusstsein atlantisch oder früharisch ist, die Erziehungsweise des neuen Zeitalters aufzudrängen ist ein vergebliches Bemühen und wird ihm wirklich wenig helfen. Aus diesem Grunde muss die Anlage des Kindes von der Geburt an einer sorgfältigen Untersuchung unterzogen werden. Anhand der so erhaltenen, möglichst vollständigen Unterlagen wird dann der Erzieher den Bedürfnissen der drei hauptsächlichen Typen von Kindern gerecht zu werden suchen: der atlantische, grundlegend gefühlsmässige, sinnliche Typus; der früharische oder gefühlsmässig-mentale Typus; der spät-arische, der Typus des neuen Zeitalters, der vorherrschend mental und zugleich idealistisch, rasch auffassend, hochbegabt, koordiniert und eine Persönlichkeit sein wird.

Die Frage taucht nun auf: Wie kann man solche Methoden anwenden, ohne dass das ganze Verfahren zu sehr wie ein Laboratoriumsexperiment wirkt, bei dem das Kind als Versuchsgegenstand angesehen wird, indem man es gewissen Beeindruckungen aussetzt und ihm dabei den Spielraum freier Wesensäusserung raubt, also die Möglichkeit nimmt, ein Individuum zu sein (was doch stets wünschenswert und nötig ist), und wobei das ganze Verfahren als eine Verletzung der Würde erscheint, die doch das angestammte Erbe [74] eines jeden Menschen ist? Solche Erziehungsfragen und -ziele hören sich wichtig, fein und imposant an, aber was bedeuten sie wirklich?

Ich habe vorgeschlagen, die Lehrbücher vom Gesichtspunkt menschlicher Beziehungen aus umzuschreiben und den heutigen nationalistischen und separatistischen Geist auszumerzen. Auch wies ich auf gewisse Grundideen hin, die man sich sofort einprägen sollte: den einzigartigen Wert des Einzelmenschen, die Schönheit des Menschentums, das Verhältnis des einzelnen zum Ganzen und seine Verpflichtung, sich freiwillig und in aufbauender Weise der Allgemeinheit anzupassen; ich habe das nahe Bevorstehen einer geistigen Renaissance angedeutet. Zu all diesem möchte ich nun hinzufügen, dass eines unserer ersten Erziehungsziele sein muss, den Geist der Konkurrenz auszuschalten und ihn durch bewusste Zusammenarbeit zu ersetzen. Hier erhebt sich sofort die Frage: Wie kann man das erreichen und zugleich eine hohe individuelle Vollendung erzielen? Ist nicht Konkurrenz der hauptsächliche Ansporn allen Strebens? Das ist wohl bisher so gewesen, doch braucht es nicht immer so zu sein!

Heutzutage ist das Durchschnittskind während der ersten fünf oder sechs Jahre seines Lebens das Opfer der Unwissenheit oder der Selbstsucht seiner Eltern oder ihres mangelnden Interesses. Man ermahnt es oft, still zu sein und aus dem Weg zu gehen, weil seine Eltern mit ihren eigenen Angelegenheiten viel zu beschäftigt sind, um ihm die nötige Zeit zu schenken, beschäftigt mit unwichtigen Dingen im Vergleich mit der bedeutenden und wichtigen Aufgabe, ihrem Kind einen richtigen Start auf seinem Lebenspfad in dieser Verkörperung zu geben. Es wird sich selber oder der Gnade einer ungebildeten Kindermagd überlassen und das gerade zu einer Zeit, wenn der kleine unheilbringende Wüterich zu einem gesitteten kleinen Bürger umgeformt werden soll. Manchmal wird das Kind gestreichelt, öfter aber gescholten. Es wird hierher und dorthin geschleppt, so wie es seinen Eltern gerade in den Sinn kommt oder wie es ihren Neigungen entspricht; und dann wird es mit einem Gefühl der Erleichterung ihrerseits zur Schule geschickt, so dass es jetzt beschäftigt und den Eltern nicht mehr im Weg ist. In der Schule ist es zumeist unter der Aufsicht einer jungen, unwissenden, wenn auch gutmeinenden Person, deren Aufgabe es ist, ihm die Anfangsgründe der Zivilisation beizubringen: eine oberflächliche Einstellung und [75] gewisse Manieren, die seine Beziehungen zur Welt der Erwachsenen beherrschen sollen, die Kunst zu lesen, zu schreiben und zu rechnen, einige (wirklich oberflächliche) Kenntnisse in Geschichte und Geographie sowie höfliche Formen im Sprechen und Schreiben.

Dann aber ist das Unglück bereits geschehen, und die Form des späteren erzieherischen Werdegangs (vom elften Jahre an) ist nur von geringer Bedeutung. Eine bestimmte Richtung wurde gegeben, eine Einstellung (meist defensiv und daher hemmend) wurde bestimmt, und es wurde eine Form des Verhaltens erzwungen oder aufoktroyiert, die oberflächlich ist und sich nicht auf die Wirklichkeit rechter Beziehungen gründet. Der wahre Mensch, der in jedem Kind vorhanden ist - expansiv, vertrauensvoll und voller guter Absichten, wie es die meisten Kinder in frühester Jugend sind - ist somit ins Innere zurückgetrieben worden und ist nicht mehr zu sehen; er hat sich hinter einer von Sitte und Drill verhärteten Aussenschale versteckt. Dazu kommen dann noch unzählige Missverständnisse und Fehler, die von liebevollen und oberflächlichen Eltern in bester Absicht begangen wurden - eine lange Reihe kleiner Katastrophen im Umgang mit andern. Es ist somit klar, dass die meisten Kinder schon von vornherein ihr Leben in fehlerhafter Weise beginnen und gleich zu Anfang ihrer Erdenlaufbahn behindert und beschwert werden. Der den Kindern in den frühen Bildungsjahren zugefügte Schaden ist oft später nicht wiedergutzumachen und er ist die Ursache für viel Schmerz und Leiden im späteren Leben. Was kann man aber dagegen tun? Worin sollten, ausser den mehr technischen Hinweisen, die ich in vorhergehenden Teilen dieser Anleitungen erwähnt habe, die Bemühungen der Eltern und Erzieher bestehen?

Erstens und allem voran sollte man bestrebt sein, eine Umwelt zu schaffen, in der gewisse Eigenschaften erblühen und wachsen können.

1. Eine liebevolle Umgebung, die Furcht ausschliesst, in der das Kind keinen Grund zur Schüchternheit, Scheu oder Vorsicht hat, wo es von allen höfliche Behandlung erfährt und wo man auch von ihm erwartet, dass es andere Leute gleichfalls höflich behandelt. Das ist heute in Schulen und Familien in [76] der Tat selten zu finden! Diese liebevolle Atmosphäre ist keine gefühlsselige, sentimentale Form der Liebe, sie basiert vielmehr auf der Erkenntnis der Werdemöglichkeiten des Kindes als Persönlichkeit, auf echtem Verantwortungsbewusstsein, auf Freisein von Vorurteilen, besonders rassischer Art und - in allererster Linie - auf mitfühlender Zärtlichkeit. Diese verständnisvolle Zartheit gründet sich auf die Erkenntnis der Schwierigkeiten des Lebens, auf das Erfühlen der normalerweise liebevollen Reaktion des Kindes sowie auf das Wissen, dass Liebe immer das Beste im Kind wie auch im Menschen hervorbringt.

2. Eine Umgebung, in der Geduld herrscht und wo das Kind in natürlicher und normaler Weise zu einem Sucher nach dem Licht des Wissens werden kann; wo es genau weiss, dass sein Wissensdurst immer sofort befriedigt wird und dass es auf alle Fragen eine sorgfältige Antwort erhält; und wo nie das Gefühl von Hast oder Eile aufkommt. Die natürliche Entwicklung der meisten Kinder wird durch die Hast und Eile der Leute, von denen sie abhängig sind, geschädigt. Man hat keine Zeit, sie zu belehren und ihre vielen unwichtig scheinenden, aber doch so nötigen Fragen zu beantworten; der Zeitfaktor wird somit zu einer Gefahr für die rechte Entwicklung und führt schliesslich zu einem Leben voller Ausflüchte und falscher Perspektiven. Ihr Wertmassstab wird durch das Beobachten der Leute, mit denen sie leben, entstellt, und vieles davon kommt ihnen durch die ihnen gezeigte Ungeduld zum Bewusstsein. Die Ungeduld derer, von denen sie in so betrübender Weise abhängig sind, sät in ihnen den Samen der Gereiztheit, und ungezählte Leben sind durch Gereiztheit oder Erbitterung ruiniert worden.

3. Eine Umgebung geordneter Arbeitseinteilung, wo das Kind die Anfangsgründe der Verantwortlichkeit lernen kann. Die Kinder, die jetzt zur Verkörperung kommen und die aus der neuartigen Erziehung Nutzen ziehen können, stehen gerade auf der Schwelle des Seelenbewusstseins. Das erste Anzeichen einer solchen Verbundenheit mit der Seele ist ein [77] sich schnell entfaltendes Verantwortungsgefühl. Das sollte man sorgfältig beachten, denn die Übernahme kleiner Pflichten und die Mitverantwortung (die stets irgendwie eine Gruppenerziehung bedeutet) sind für die Charakterbildung des Kindes und seinen künftigen Beruf von wesentlicher Bedeutung.

4. Eine verständnisvolle Umgebung, in der sich das Kind immer dessen sicher ist, dass die Beweggründe seines Handelns richtig erkannt werden, und dass die älteren Leute, mit denen es zusammen ist, immer die Natur seines Antriebs verstehen werden, auch wenn sie nicht immer mit seinem Tun und Treiben einverstanden sind. Viele Dinge, die das Durchschnittskind tut, sind an und für sich weder ungezogen noch bösartig oder mit Absicht böse. Die Beweggründe sind oft unterdrückter Wissensdurst, das Verlangen des Kindes, eine erlittene Ungerechtigkeit zurückzuzahlen (verursacht durch mangelndes Verständnis für seine Beweggründe von seiten der Erwachsenen), seine Unfähigkeit, Zeit in richtiger Weise zu nutzen (schlummert doch der richtunggebende Wille oft gänzlich in diesem Alter, um erst in Wirkung zu treten, wenn das Denkvermögen zu funktionieren beginnt) sowie der Drang, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken - ein unerlässlicher Drang in der Entwicklung des Selbstbewusstseins, aber einer, der Verständnis und sorgfältigste Lenkung braucht.

Die älteren Leute nähren im Kind ein frühes und ganz unnützes Schuldgefühl, ein Gefühl der Sünde und Missetat. Grosse Bedeutung wird kleinen und geringfügigen Dingen zugemessen, die nicht wirklich schlecht, aber den Eltern oder den Lehrern lästig sind, so dass das richtige Gefühl für das schlechte (nämlich die Erkenntnis, dass es nicht gelang, die rechten Beziehungen zur Gruppe aufrechtzuerhalten) überdeckt und nicht als das erkannt wird, was es wirklich ist. Die vielen kleinen und geringfügigen Sünden, deren die Kinder durch Worte, wie «nein», «nicht doch!», «unartig» ständig angeklagt werden, und die zumeist auf das Unvermögen der Eltern, das Kind zu verstehen und zu beschäftigen, zurückzuführen sind, sind nicht schwerwiegend. Wenn diese [78] Aspekte des kindlichen Lebens richtig gehandhabt werden, dann werden die wirklich schlechten Dinge, wie die Verletzung der Rechte anderer, das egoistische Verlangen, die Gruppe und deren Zustände und Bedürfnisse zu missbrauchen sowie die Schädigung oder die Verletzung anderer um persönlicher Vorteile willen, in der richtigen Perspektive und zur rechten Zeit ans Licht kommen. Dann wird die Stimme des Gewissens (das Flüstern der Seele) nicht unterdrückt und das Kind nicht asozial werden. Es wird nur dann asozial, wenn es kein Verständnis findet oder wenn die Umstände zuviel von ihm fordern.

Nachdem ihr diese vier Arten «Lebensluft», welche als die wichtigsten Vorbedingungen im neuen Erziehungswesen anzusehen sind, überdacht habt, werdet ihr vielleicht fragen: «Inwieweit werden denn hier ererbte Instinkte, der Entwicklungsstufe angepasste normale Neigungen und durch Strahlenkräfte und astrologische Einflüsse bedingte Charaktereigenschaften in Betracht gezogen?»

Ich habe diese hier nicht eigens hervorgehoben, obgleich ich sie natürlich als bestimmende und beachtenswerte Faktoren anerkenne, denn ich habe mich ja hier mit den vielen unnötigen und aufgenötigten Schwierigkeiten befasst, die dem Kind weder angeboren sind noch seinen wahren Charakter wiedergeben, sondern das Resultat seiner Umgebung sind; denn der häusliche Kreis und das bestehende Erziehungswesen haben versäumt, dem Kind behilflich zu sein, die richtige Einstellung zum Leben und zu seiner Zeit zu finden. Bei einer weisen Behandlung von frühester Kindheit an, wenn das Kind als die wichtigste Sorge seiner Eltern und Erzieher angesehen wird (ist es doch die Zukunft im Keim), und wenn ihm gleichzeitig durch richtige Einordnung in die kleine Welt, von der es ein Teil ist, auch ein Gefühl für das richtige Grössenverhältnis beigebracht wird, dann werden wir die hauptsächlich vorhandenen Schwierigkeiten, die grundlegenden Charaktereigenschaften und -neigungen und die Lücken in seiner Wesensausrüstung klar hervortreten sehen. Sie werden dann nicht bis in die Jugendzeit verborgen bleiben wegen kleinen Sünden und Ausflüchten und durch unbedeutende embryonale Komplexe, die dem Kind durch andere aufgebürdet worden sind, und die bei seiner neuen Verkörperung nicht zur angeborenen Ausrüstung gehört [79] haben. Dann können diese hauptsächlichen Schwierigkeiten in aufgeklärter Weise behandelt werden und die Weisheit des Erziehers kann den unerwünschten Grundeinstellungen entgegenwirken, wenn das Kind dabei verständnisvoll mitarbeitet. Es wird verstehen, weil es verstanden wird und folglich furchtlos ist.

Wir wollen nun einen erweiterten Plan für die zukünftige Erziehung der Kinder in der Welt formulieren. Wir haben gesehen, dass es uns trotz des allgemein verbreiteten Erziehungswesens und der in jedem Land vorhandenen Studienzentren bisher nicht gelungen ist, unseren jungen Leuten die Art von Erziehung zu bieten, die es ihnen möglich machen würde, als schöpferische Vollmenschen zu leben. Die erzieherische Entwicklung in der Welt ging drei Hauptwege; sie begann im Osten und hat heute im Westen ihren Höhepunkt erreicht. Natürlich spreche ich hier nur in Hinsicht auf die letzten zwei- oder dreitausend Jahre. In Asien wurden seit vielen Jahrhunderten bestimmte, sorgfältig ausgewählte Individuen intensiv geschult, die breiten Massen aber wurden vollkommen vernachlässigt. Asien - und Asien allein - hat jene überragenden Gestalten hervorgebracht, die auch heute noch Gegenstand universeller Verehrung sind: Laotse, Konfuzius, Buddha, Krishna und Christus. Sie haben Millionen tief beeindruckt und tun es noch heute.

In Europa stand die Erziehung und Ausbildung einiger weniger privilegierter Gruppen im Vordergrund; diese erhielten eine sorgfältig geplante kulturelle Ausbildung, doch den breiten Massen wurden nur die Grundzüge der Belehrung beigebracht. Das ergab periodisch solch wichtige Epochen kultureller Ausdrucksform, wie das Elisabethanische Zeitalter, die Renaissance, die Dichter und Denker der Viktorianischen Ära in England und der Dichter und Komponisten in Deutschland wie auch jene Künstlergruppen, die als die Italienische, Holländische und Spanische Schule fortleben.

Schliesslich wurde in den Ländern der Neuen Welt - den Vereinigten Staaten von Amerika, Australien und Kanada - die Erziehung der breiten Massen eingeführt, was dann auch von fast allen anderen Ländern der zivilisierten Welt nachgeahmt wurde. Das [80] allgemeine Kulturniveau sank dadurch bedeutend herab, doch stieg das Niveau der Kenntnisse und Befähigungen bei der breiten Masse beträchtlich. Es erhebt sich nun die Frage: Was wird die nächste Entwicklungsstufe im Bereich der Erziehung sein?

Wir wollen aber einen wichtigen Gesichtspunkt nicht vergessen. Was Erziehung in einer unerwünschten Richtung bewirken kann, hat sich klar im Hitler-Deutschland gezeigt: im Zertrümmern des Idealismus, im Einschärfen falscher menschlicher Beziehungen und Einstellungen und in der Verherrlichung all dessen, was im höchsten Grade egoistisch, brutal und aggressiv ist. Deutschland hat bewiesen, dass eine Erziehung, die in richtiger Weise organisiert und überwacht, systematisch geplant und einer Ideologie angepasst wird, eine mächtige Wirkung haben kann, besonders wenn das Kind früh genug diesem Prozess unterworfen und lange genug vor gegensätzlichen Erziehungsmethoden geschützt wird. Wir müssen aber beachten, dass sich eine so starke Einflussnahme auf zweierlei Weise auswirken kann: Was in der falschen Richtung zuwege gebracht wurde, kann ebenso erfolgreich auf dem richtigen Weg erreicht werden.

Wir müssen auch klar erkennen, dass wir zwei Dinge tun müssen: Erstens müssen wir das Schwergewicht auf die Ausbildung bis zum 16. Lebensjahr (und je jünger die Kinder, um so besser) legen, und zweitens müssen wir mit dem anfangen, was wir haben, auch wenn wir natürlich die Grenzen des heutigen Systems voll erkennen. Wir müssen die guten und wünschenswerten Aspekte stärken und neue Denkweisen und Methoden entwickeln, die das Kind für ein volles Leben tauglich und wirklich zum Menschen machen - zu einem schöpferischen, aufbauenden Glied der menschlichen Gesellschaft. Das Beste aus der Vergangenheit sollte erhalten bleiben, doch sollte es nur als Grundlage für ein besseres System und ein weiseres Hinstreben zum Ziel des Weltbürgertums dienen.

Es mag hier von Nutzen sein, eine Definition dessen zu geben, was Erziehung sein kann, wenn sie sich durch wahre geistige Schau leiten lässt und für die empfundenen Bedürfnisse der Welt und die Zeiterfordernisse aufgeschlossen ist.

Erziehung ist die in intelligenter Weise erteilte Ausbildung, die es der Jugend der Welt möglich machen soll, ihrer Umgebung mit Intelligenz und gesundem Menschenverstand zu begegnen und [81] sich den bestehenden Verhältnissen anzupassen. Das ist heute von besonderer Wichtigkeit - ein Wegweiser in einer zerfallenen Welt.

Erziehung ist ein Werdegang, der das Kind mit den Kenntnissen ausrüstet, die es ihm möglich machen sollen, im späteren Leben ein guter Bürger und ein weiser Vater oder eine weise Mutter zu sein. Sie sollte seine angeborenen Neigungen, seine rassischen und völkischen Eigenheiten in Betracht ziehen und diesen dann möglichst das Wissen hinzufügen, das es in der gegebenen Umwelt zu schöpferischer Arbeit befähigt, so dass es sich als nützlicher Bürger erweisen kann. Die allgemeine Tendenz seiner Erziehung wird mehr als bisher psychologischer Art sein, und die so gewonnenen Kenntnisse werden den besonderen Umständen seiner Wesensgestaltung angepasst werden. Alle Kinder haben gewisse Begabungen und man sollte sie belehren, wie sie diese Fähigkeiten benutzen sollen; die ganze Menschheit sollte daran teilhaben, unabhängig von Rasse oder Volkszugehörigkeit. Erzieher werden deshalb in Zukunft das Folgende mehr betonen:

1. die Ausbildung der gedanklichen Kontrolle über die emotionelle Natur;

2. geistige Schau oder die Fähigkeit über das, was ist, hinauszuschauen und den Blick auf das zu richten, was sein könnte;

3. ererbtes Wissen von Tatsachen, auf das man die Weisheit der Zukunft aufbauen kann;

4. das Vermögen, mit ursächlichen Beziehungen weise umzugehen, und Verantwortung zu erkennen und auf sich zu nehmen;

5. die Fähigkeit, das Denkvermögen in zweierlei Weisen zu benutzen:

a. als «gesunden Menschenverstand» («common sense» in der alten Bedeutung), der die von den fünf Sinnen übermittelten Informationen analysiert und zusammenfügt;

b. als Scheinwerfer, der in die Welt der Ideen und abstrakten Wahrheiten eindringt.

Kenntnisse kommen aus zwei Richtungen. Sie stammen sowohl aus der intelligenten Benutzung der fünf Sinne als auch aus dem Bestreben, Ideen aufzugreifen und zu verstehen. Beide werden durch Wissensgier und Forschung verstärkt.

Die Erziehung [82] sollte von dreierlei Art sein und alle drei Arten sind nötig, um die Menschheit auf eine erforderliche Entwicklungsstufe zu bringen.

Erstens ist sie ein Verfahren, um sich - vergangene und gegenwärtige - Tatsachen anzueignen und dann zu lernen, aus der Masse dieser allmählich erworbenen Kenntnisse das abzuleiten und herauszunehmen, was in einer gegebenen Situation von praktischem Nutzen sein kann. Dieses Verfahren bedingt die Grundlagen unseres jetzigen Erziehungssystems.

Zweitens ist sie ein Verfahren, Weisheit als einen Ausfluss des Wissens zu erwerben und verständnisvoll den Sinn zu erfassen, der hinter den äusseren gegebenen Tatsachen verborgen liegt. Sie schafft die Fähigkeit, Wissen in einer solchen Weise anzuwenden, dass vernünftiges Leben und ein verständnisvoller Gesichtspunkt wie auch ein intelligentes Wesen und Benehmen die natürlichen Folgen sind. Dies schliesst auch die Schulung für besondere Berufe und Arbeiten ein, und zwar aufgrund angeborener Neigungen, Talente oder genialer Begabung.

Drittens ist sie ein Vorgang, durch den Einheit oder ein Sinn für Synthese kultiviert wird. Man wird die jungen Leute in Zukunft lehren, an sich nur in bezug auf die Gruppe zu denken - in Beziehung zur Familie und zur Nation, in die sie das Schicksal gestellt hat. Man wird sie aber auch lehren, in Beziehung zur ganzen Welt zu denken - an ihr Volk in Beziehung zu anderen Völkern. Das ist auch Schulung zum Bürgertum, zur Elternschaft und zu rechtem Weltverstehen; sie ist grundlegend psychologischer Art und sollte ein Verständnis für die Menschheit vermitteln. Wenn diese Art Schulung geboten wird, werden wir Männer und Frauen grossziehen, die zivilisiert und kultiviert sind, die auch die Fähigkeiten besitzen werden, (im Lauf der Lebensentfaltung) in die Welt der Bedeutung einzudringen, die hinter der äusseren Phänomenalwelt liegt, und die beginnen werden, menschliche Ereignisse vom Standpunkt geistiger und universeller Werte aus zu betrachten.

Fortschreitende Erziehung sollte die Jugend lehren, von Ursachen auf deren Wirkung zu schliessen, die Ursache oder den Grund zu erkennen, warum gewisse Handlungen unausbleiblich gewisse Resultate hervorbringen müssen und weshalb (mit einer gewissen emotionellen und mentalen Ausrüstung sowie aufgrund einer psychologischen Beurteilung) gewisse Lebensrichtungen [83] festgestellt werden können, und weshalb gewisse Berufe und Lebenslaufbahnen den rechten Rahmen für die Entwicklung und ein nützliches Feld der Erfahrung bieten. Diesbezügliche Versuche sind bereits von einigen höheren Bildungsanstalten und Schulen unternommen worden in dem Bestreben, die psychologischen Eignungen eines Knaben oder Mädchens für gewisse Berufe zu ermitteln, doch sind alle diese Versuche noch sehr stümperhaft. Falls man aber in mehr wissenschaftlicher Weise an diese Frage herangehen würde, so böten sich hier neue Möglichkeiten zur Schulung in den Wissenschaften; Geschichte, Biographie und Gelehrsamkeit erhielten eine neue Bedeutung und einen tieferen Sinn, und das blosse Eintrichtern von Tatsachen und die primitive Gedächtnisschulung, die für die bisherigen Methoden so charakteristisch sind, würden vermieden werden.

Die neue Erziehung wird beim Kind sorgfältig in Betracht ziehen: seine ererbten Eigenschaften, seine gesellschaftliche Stellung und nationale Eigenart, seine Umgebung und seine mentale und emotionelle Ausstattung; man wird auch trachten, dem Kind die ganze Welt des Strebens zu eröffnen, indem man ihm verständlich macht, dass scheinbare Hindernisse beim Fortschritt nur ein Ansporn zu erneuter Anstrengung sind; solcherart wird man bestrebt sein, es aus den begrenzten Umständen «herauszuführen» (die wahre Bedeutung des Wortes «Erziehung») und es darin zu schulen, im Sinn und vom Standpunkt aufbauenden Weltbürgertums zu denken. Wachstum und immer grösser werdendes Wachstum werden betont werden.

Der Erzieher der Zukunft wird an das Jugendproblem vom Gesichtswinkel des instinktiven Reagierens der Kinder, ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit und ihren intuitiven Werdemöglichkeiten aus herantreten. In frühester Kindheit und in den untersten Schulklassen wird die Entwicklung des richtigen instinktiven Reagierens überwacht und kultiviert werden; in den oberen Klassen - was den höheren oder Sekundärschulen entspricht - wird die intellektuelle Entfaltung und die Gedankenkontrolle betont werden, während auf den Hochschulen und Universitäten die Entfaltung der Intuition, die Wichtigkeit von Idealen und Ideen, und die Entwicklung des abstrakten Denkens und Erfassens gefördert werden wird; für diese letzte Phase wird die vorhergehende intellektuelle Schulung eine sehr gute Grundlage sein. Diese drei Faktoren - Instinkt, Intellekt und Intuition - bilden die Leitmotive für die drei Lehrstufen, die jeder junge Mensch durchlaufen [84] wird und die heute schon von vielen Tausenden absolviert werden.

In Zukunft wird die Erziehung in viel grösserem Ausmass von der Psychologie Gebrauch machen als bisher. Eine dahin zielende Tendenz ist bereits ganz deutlich zu erkennen. Die physische, ätherische, emotionelle und mentale Natur des Knaben oder Mädchens wird sorgsam untersucht werden, und seine zusammenhanglosen Lebensziele werden in die richtigen Bahnen gelenkt werden; der junge Mensch wird gelehrt werden, sich als jemand zu erkennen, der handelt, fühlt und denkt. Auf diese Weise wird die Verantwortung des zentralen «Ich's» oder des Bewohners des Körpers ins rechte Licht gerückt werden. Dies wird die jetzt herrschende Einstellung der Jugend zur Umwelt grundsätzlich ändern und vom frühesten Kindesalter an das Anerkennen der zu erfüllenden Pflichten und der zu übernehmenden Verantwortung fördern; daraus wird auch die Erkenntnis erwachsen, dass Erziehung im Grunde nichts anderes als eine Vorbereitung für diese nützliche und interessante Zukunft ist.

Daher wird es immer klarer, dass die kommende Erziehung in einem neuen und erweiterten Sinn als die Wissenschaft der rechten menschlichen Beziehungen und der sozialen Ordnung (oder Struktur) definiert werden kann. Dies gibt jedem Unterricht einen relativ neuen Sinn und Inhalt, besagt aber trotzdem, dass bisher Gebotenes nicht ausgeschlossen zu werden braucht; es wird eine bessere Motivierung erkennbar, und eine nationalistische, eigennützige Darstellung des Lehrstoffes wird vermieden. Wenn z.B. Geschichte auf der Grundlage der sie beeinflussenden Ideale, die dem Fortschritt der Menschheit dienten, dargestellt wird, und nicht auf der Grundlage von Angriffskriegen und internationalen oder nationalen Raubzügen, dann wird sich die Erziehung naturgemäss mit der rechten Erkenntnis und Benutzung von Ideen, mit deren Umwandlung in brauchbare Ideale und ihrer Anwendung als Wille zum Guten, Wille zum Wahren und Wille zum Schönen befassen. Auf diese Weise wird dann die so notwendige Hinderung in den Zielen der Menschheit, ein Abbiegen von unserem jetzigen Kurs der Konkurrenz und des Materialismus auf jene erstrebenswerte Bahn erfolgen, auf der in vollkommener Weise die goldene Regel Ausdruck findet; so werden rechte Beziehungen zwischen den Einzelmenschen, Gruppen, Parteien und Völkern in der ganzen internationalen Welt geschaffen werden.

Immer mehr sollte die Erziehung sich mit den Ganzheiten des [85] Lebens neben den Einzelheiten des täglichen individuellen Daseins befassen. Das Kind als Einzelmensch wird entwickelt und ausgerüstet, geschult und richtunggebend beeinflusst werden, um ihm dann seine Verantwortung gegenüber dem Ganzen und das Wertvolle seiner Mitwirkung klarzumachen - das, was er der Gruppe bieten kann und muss.

Es sollte kaum nötig sein zu sagen, dass die Erziehung sich notwendigerweise mit der Entwicklung der Urteilskraft des Kindes, und nicht in erster Linie - wie es heute zumeist geschieht - mit der Gedächtnisschulung und dem gedankenlosen Einprägen von Tatsachen und Jahreszahlen und von unzusammenhängenden und schlecht verdauten Einzelheiten befassen sollte. Die Geschichte des Wachstums der menschlichen Wahrnehmungskräfte unter verschiedenen nationalen und rassischen Bedingungen ist von grösstem Interesse. Die hervorragenden Persönlichkeiten der Geschichte und der Literatur, der Kunst und der Religion sind selbstverständlich zu studieren, und zwar vom Standpunkt ihres Strebens und ihres guten oder schlechten Einflusses auf die Zeitspanne ihres Wirkens; die Qualität und Zielsetzung ihrer Führung sind dabei in Betracht zu ziehen. Auf diese Weise wird das Kind eine grosse Menge von Geschichtskenntnissen, schöpferischer Tätigkeit, Idealismus und Philosophie nicht nur mit grösster Leichtigkeit, sondern auch mit einer Dauerwirkung auf seinen Charakter in sich aufnehmen können.

Die Aufmerksamkeit des Zöglings wird auf die stetigen menschlichen Bemühungen und die dadurch erzeugten Wirkungen auf eine Zivilisation mit uralten Traditionen, auf gute und böse Ereignisse und auf den Zusammenhang der wechselnden Kulturaspekte der Zivilisation gelenkt werden, und die trockenen Tatsachen, Jahreszahlen und Namen werden in Vergessenheit geraten. Alle Zweige menschlichen Wissens können auf diese Weise lebendig werden und eine neue Höhe aufbauender Nützlichkeit erreichen. Es ist schon eine ausgesprochene Neigung in dieser Richtung vorhanden, und das ist gut und richtig. Man wird immer mehr erkennen, dass die Vergangenheit der Menschheit die Grundlage der heutigen Ereignisse und die Gegenwart der entscheidende Faktor für die Zukunft ist; auf diese Weise werden grosse und notwendige Veränderungen in der Menschheitspsychologie zustandekommen.

Man sollte in der neuen Ära auch der schöpferischen Befähigung des Menschen mehr Aufmerksamkeit schenken; das Kind wird zu eigenem Streben und Mühen, das seinem Temperament und seinen [86] Fähigkeiten entspricht, angespornt, und dadurch angeregt werden, nach bestem Vermögen zur Schönheit in der Welt beizutragen und rechte Gedanken dem Gesamtinhalt menschlichen Denkens hinzuzufügen; es wird zur Forschung ermutigt werden, und die Welt der Wissenschaft wird sich ihm erschliessen. Und hinter all diesen Impulsen werden die Beweggründe des guten Willens und der rechten menschlichen Beziehung stehen.

Schliesslich sollte die Erziehung aber auch die Hypothese von der lebenden Seele im Menschen darlegen und sie als den inneren Faktor aufzeigen, der das Gute, Wahre und Schöne hervorbringt. Schöpferische Wesensäusserung und menschenfreundliches Bemühen werden dadurch ihre logische Grundlage erhalten. Dies wird nicht, wie es heute der Fall ist, durch eine theologische und doktrinäre Darstellung geschehen, sondern dadurch, dass man ein zur Forschung anregendes Problem stellt und sich bemüht, die Frage zu beantworten: Was ist der Mensch - was ist der tiefinnerste Sinn und Zweck seines Daseins im Rahmen der Gesamtevolution? Man wird den belebenden Einfluss und die verkündete Absicht hinter dem fortwährenden Erscheinen von geistigen, kulturellen und künstlerischen Weltführern in allen Zeitaltern studieren und ihr Leben vom historischen wie auch vom psychologischen Gesichtspunkt aus erforschen. Dieses Studium wird der Jugend der Welt das ganze Problem der Führerschaft und der Beweggründe vor Augen führen. Erziehung wird daher in der Form menschlichen Interesses, menschlicher Errungenschaften und menschlicher Möglichkeiten gegeben werden. Dies wird in einer solchen Weise geschehen, dass der Gedankeninhalt des Schülers nicht nur durch geschichtliche Tatsachen und literarische Werke bereichert wird; auch seine Phantasie wird beflügelt und sein Ehrgeiz und sein Streben in die rechte Bahn gelenkt werden; die Welt ehemaliger menschlicher Bemühungen wird ihm in einer wahren Perspektive dargestellt werden, und die Zukunft wird für ihn ein Mahnruf sein, sein individuelles Streben und Mühen und seine persönliche Mitwirkung einzusetzen.

Was ich oben niedergeschrieben habe, verurteilt in keiner Weise die bisherigen Methoden, insoweit nicht die heutige Welt selber eine laute Anklage derselben darstellt; all dieses ist auch keine unpraktische Vorausschau oder ein auf Wunschgedanken basierendes mystisches Hoffen. Es bezieht sich auf eine Geisteshaltung dem Leben und der Zukunft gegenüber, die heute schon viele [87] tausend Leute haben, darunter sehr, sehr viele Erzieher in aller Herren Länder. Die nach den alten Methoden gemachten Fehler und Irrtümer sind ohne weiteres klar; deshalb brauchen wir keine Zeit damit zu verlieren, sie herauszustellen und Beispiele aufzuzählen. Wir müssen aber die vorhandene Gelegenheit ergreifen und einsehen, dass die notwendige Änderung der Ziele und die Umstellung der Methoden viel Zeit in Anspruch nehmen werden. Wir müssen unsere Lehrer ganz anders schulen und viel Zeit darauf verwenden, nach neuen und besseren Wegen zu suchen, neue Lehrbücher auszuarbeiten und jene Männer und Frauen zu finden, die sich für das Zukunftsbild begeistern können und für die neue Zivilisation arbeiten wollen. Ich habe versucht, nur die Prinzipien hervorzuheben und ich tue dies in der Erkenntnis, dass viele davon keineswegs neu sind, dass sie aber einer neuen Betonung bedürfen. Ich bin bestrebt gewesen, aufzuzeigen, dass gerade jetzt eine günstige Gelegenheit da ist, denn alles muss wieder aufgebaut werden, nachdem so vieles in der Welt zerstört worden ist. Der Krieg hat uns gezeigt, dass unser Lehrwesen nicht richtig gewesen ist. Daher sollte ein besseres Erziehungswesen ausgearbeitet und die Möglichkeiten menschlichen Lebens in einer solchen Weise dargestellt werden, dass die Schranken fallen und die Vorurteile verschwinden können, und dass dem sich entwickelnden Kind eine Schulung geboten wird, die es dem Heranwachsenden später ermöglicht, mit anderen Menschen harmonisch und voll guten Willens zu leben. Das kann geschehen, wenn Geduld und Verständnis entwickelt werden und wenn die Erzieher erkennen, dass dort, «wo visionäres Erschauen fehlt, die Menschen zugrunde gehen.»

Ein internationales Erziehungssystem, das auf einer gemeinsamen Tagung von weitsichtigen Lehrern und pädagogischen Autoritäten eines jeden Landes auszuarbeiten wäre, ist heute ein überaus dringendes Erfordernis und würde für die Erhaltung des Weltfriedens ein grosser Aktivposten sein. Dahingehende Massnahmen sind bereits im Gange: Heute schon treffen sich Gruppen von Erziehern und diskutieren die Schaffung eines besseren Systems, das die Gewähr dafür bietet, dass den Kindern in allen Ländern der Welt (angefangen von den Millionen Kindern, die heute nach Bildung verlangen) die Wahrheit ohne Voreingenommenheit oder Vorurteil gelehrt wird. Die Weltdemokratie wird sich verwirklichen, wenn die Menschen tatsächlich als gleichwertig [88] angesehen werden; wenn Knaben und Mädchen gelehrt werden, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Mensch ein Asiate, ein Amerikaner, ein Europäer, ein Brite, ein Jude oder ein Heide ist, sondern nur darauf, dass jeder eine bestimmte geschichtliche Vergangenheit verkörpert, die es ihm ermöglicht, zum Wohle des Ganzen etwas beizutragen, und dass das wichtigste Erfordernis guter Wille ist und ein stetes Bemühen, rechte menschliche Beziehungen zu pflegen und zu fördern. Eine einige Welt wird zur Tatsache werden, wenn den Kindern in aller Welt gelehrt wird, dass die Religionszugehörigkeit meistens vom zufälligen Geburtsort abhängt. Wenn ein Mensch in Italien geboren ist, wird er wahrscheinlich römisch-katholisch sein; wenn er als Jude geboren ist, wird er dem mosaischen Glauben folgen; wenn er in Asien zur Welt kam, wird er wahrscheinlich ein Mohammedaner oder Buddhist sein oder einer Hindusekte angehören; und wenn er in anderen Ländern geboren ist, dürfte er wohl im protestantischen Glauben grossgezogen worden sein usw. - Der Schüler wird verstehen lernen, dass religiöse Verschiedenheiten hauptsächlich die Folge menschlicher Streitigkeiten über rein menschliche Auslegungen der Wahrheit sind. Auf diese Weise werden unsere Uneinigkeiten und Verschiedenheiten allmählich aus dem Weg geschafft werden, und die Idee der einen Menschheit wird an ihre Stelle treten.

In Zukunft muss die Auswahl und Schulung der Lehrer viel gründlicher und sorgfältiger geschehen. Ihre intellektuelle Ausbildung und ihr Fachwissen werden sicherlich von Wichtigkeit sein, aber für noch wichtiger wird man das Erfordernis halten, dass sie vorurteilsfrei sind und alle Menschen als Glieder einer grossen Familie ansehen. Der Erzieher der Zukunft wird noch viel mehr als heute ein geschulter Psychologe sein müssen. Neben dem Fachunterricht wird er seine Hauptaufgabe darin sehen, in den Schülern seiner Klasse ein echtes Verantwortungsgefühl wachzurufen; ganz gleich, welches Fach er lehren mag - Geschichte, Erdkunde, Mathematik, Sprachen, die verschiedenen Zweige der Wissenschaft oder der Philosophie -, er wird alles auf die WISSENSCHAFT RECHTER MENSCHLICHER BEZIEHUNGEN abstimmen und bestrebt sein, den sozialen Organismus in einer wahrheitsgemässen Perspektive zu zeigen.

Wenn die jungen Leute der Zukunft - bei Anwendung der vorgeschlagenen Prinzipien - zivilisiert, kultiviert und für das Weltbürgertum aufgeschlossen sind, dann wird die Welt voller Menschen sein, die aufgeweckt und schöpferisch sind, die einen richtigen [89] Sinn für Werte haben und das Weltgeschehen mit einer vernünftigen und konstruktiven Geisteshaltung verfolgen. Es wird noch manches Jahr vergehen, bis es dazu kommt, doch ist es keinesfalls unmöglich, wie es ja die Geschichte der Menschheit bewiesen hat.

Der gesunde Menschenverstand sagt uns indes, dass eine solche Integrierung nicht für jeden Schüler möglich ist, der am Unterricht unserer Lehrer teilnimmt. Alle können aber ganz unabhängig von ihren ursprünglichen Fähigkeiten in der WISSENSCHAFT RECHTER MENSCHLICHER BEZIEHUNGEN geschult und somit für das erstrebte Ziel des kommenden Erziehungswesens interessiert werden. Anzeichen dafür sind schon da und dort zu bemerken, doch wird dieser Punkt bei der Ausbildung von Lehrern oder bei der Beeinflussung der Eltern nicht genügend betont. Viel, sogar sehr viel, ist bereits von aufgeklärten Kreisen in aller Herren Länder geleistet worden; sie studierten die Erfordernisse für das Bürgerrecht, sie erforschten die rechten Sozialbeziehungen (die kommunalen, nationalen und internationalen) und beeinflussten viele Organisationen, die bestrebt sind, in den breiten Menschenmassen ein Gefühl der Verantwortung für menschliches Glück und Wohlergehen grosszuziehen. Die wirkliche Arbeit in dieser Richtung sollte indes in frühester Kindheit begonnen werden, damit das Bewusstsein des Kindes (das ja so leicht beeinflusst werden kann) gleich von vornherein eine uneigennützige Einstellung seinem Nächsten gegenüber annehmen kann. Wenn die Eltern den guten Willen dazu haben, kann diese Arbeit in sehr einfacher Weise begonnen werden; später geht man dann Schritt für Schritt weiter, wenn die Eltern und Lehrer in ihrem eigenen Leben das verwirklichen, was sie lehren. Schliesslich wird unter diesen Bedingungen eine Zeit kommen, wenn in der späteren Jugendzeit eine nötige und im voraus geplante Krise im Leben des jungen Menschen herbeigeführt wird; er wird dann in schicksalsbedingter Weise jene Beständigkeit erlangen, die es ihm ermöglicht, seine Aufgabe rechter Beziehungen durch berufliches Dienen zu erfüllen.

Jetzt muss zuerst eine Überbrückungsarbeit geleistet werden, es muss eine Brücke zwischen dem heute Bestehenden und den Möglichkeiten der Zukunft geschlagen werden. Falls es uns gelingt, in den nächsten 150 Jahren nach dieser Methode die vielen Spaltungen oder Entzweiungen in der menschlichen Familie zu überbrücken und den Rassenhass und die separatistische Einstellung der Völker und Gruppen aus der Welt zu schaffen, dann werden [90] wir eine Welt verwirklicht haben, in der Krieg eine Unmöglichkeit sein wird; die Menschheit wird erkennen, dass sie eine grosse Familie ist und nicht eine kämpfende Masse von Völkern und Gruppen, die miteinander in ständigem Konkurrenzkampf liegen, um von anderen möglichst viele Vorteile zu ergattern, und die dadurch ständig Vorurteile und Hass grossziehen. Wir haben ja gesehen, dass gerade das die Geschichte der Vergangenheit war! Der Mensch begann seine Entwicklung als ein abgesondertes Tier; zuerst nur von den Instinkten der Selbsterhaltung und des Nahrungs- und Geschlechtstriebes angetrieben, ging er dann durch die Stadien der Sippschaft, des Stammes und Volkes und ist jetzt an einem Punkt angelangt, wo er ein noch höheres Ideal begreift: das Ideal der internationalen Einheit oder der reibungslosen Zusammenarbeit der einen Menschheit. Dieser ständig wachsende Idealismus erringt immer mehr seinen ihm zukommenden Platz im menschlichen Bewusstsein trotz aller feindlich-separatistischen Tendenzen. Darauf ist zum grossen Teil das jetzt herrschende Durcheinander und das Zustandekommen der Vereinten Nationen zurückzuführen. Er hat die einander widerstreitenden Ideologien hervorgebracht, die in der Welt zum Ausdruck kommen wollen; er hat das dramatische Hervortreten der sogenannten «nationalen Erlöser», der Weltpropheten und Weltarbeiter, der Idealisten, Opportunisten, Diktatoren, Forscher und Menschenfreunde herbeigeführt. Diese einander widersprechenden und bekämpfenden Ideologien sind eine gesunde Erscheinung, ob wir nun mit ihnen einverstanden sind oder nicht. Sie erwachsen aus dem menschlichen Verlangen - einem dringenden und rechten Verlangen - nach besseren Zuständen, nach mehr Licht und Verständnis, nach besserer Zusammenarbeit, nach Sicherheit, Friede und Überfluss anstelle von Schreckensherrschaft, Furcht und Hunger.

Es fällt dem modernen Menschen schwer, sich ein Zeitalter vorzustellen, in dem das menschliche Denken frei von rassischem, nationalem und separatistisch-religiösem Bewusstsein sein wird. Dem vorgeschichtlichen Menschen fiel es ebenso schwer, sich ein Zeitalter vorzustellen, in dem das Nationalbewusstsein vorherrschen würde; und es ist gut, wenn wir uns das vor Augen halten. Die Zeit, in der es der Menschheit möglich sein wird, universell zu denken, liegt noch in ferner Zukunft; aber die Tatsache, dass wir darüber reden, es wünschen und planen können, ist sicherlich eine Gewähr dafür, dass es nicht unmöglich ist. Die Menschheit ist in ihrer Entwicklung immer von Stufe zu Stufe vorangeschritten, von einem ruhmvollen Höhepunkt zum anderen. Wir sind heute auf dem Weg zu einer viel besseren Zivilisation als die Welt sich [91] jemals geschaut hat; dieser Weg führt zu Lebensbedingungen, die eine viel glücklichere Menschheit verbürgen, die das Ende nationaler Streitigkeiten und der Klassenunterschiede (aufgrund von Geburt oder Reichtum) herbeiführen und ein volleres und reicheres Leben für alle gewährleisten werden.

Es ist natürlich klar, dass noch viele Jahrzehnte vergehen müssen, bevor eine solche Sachlage zur Tatsache wird; aber es wird sich nur um Jahrzehnte und nicht um Jahrhunderte handeln, wenn die Menschheit die Lehren aus dem Krieg ziehen kann und wenn die reaktionären und konservativen Kreise in jeder Nation daran gehindert werden können, die Zivilisation auf das alte, schlechte Geleise zurückzuleiten. Ein Anfang kann sofort gemacht werden. Einfachheit sollte unsere Losung sein, denn gerade die Einfachheit wird unserer alten materialistischen Lebensweise den Todesstoss versetzen. Zusammenwirkender guter Wille ist sicherlich die erste Idee, die den breiten Massen vor Augen gehalten und in unseren Schulen gelehrt werden sollte, um dadurch eine neue und bessere Zivilisation zu gewährleisten. Liebendes Verstehen, in intelligenter Weise zur Anwendung gebracht, sollte das Kennzeichen der kultivierten und weiseren Gruppen sein; und sie sollten auch bestrebt sein, die Welt der inneren Bedeutung mit der Welt des äusseren Bemühens in Beziehung zu bringen - zum Nutzen der breiten Massen. Weltbürgertum als Ausdruck des guten Willens und gegenseitigen Verstehens sollte überall das Ziel der aufgeklärten Menschen und das Kennzeichen des geistigen Menschen sein. Diese drei verbürgen die rechten Beziehungen zwischen Erziehung, Religion und Politik.

Alle derzeit geleistete Arbeit ist zweifellos eine Übergangsarbeit und daher äusserst schwierig; sie bedeutet ein Brückenschlagen vom Alten zum Neuen. Die damit verknüpften Schwierigkeiten wären fast unüberwindlich ohne die Tatsache, dass in den nächsten zwei Generationen solche Egos oder Seelen zur Verkörperung gelangen werden, die mit dem Problem bestens vertraut sind. Gestützt auf diese Tatsache sollten diejenigen unter euch, die sich um das heutige Erziehungswesen sorgen und sich von der Grösse des aufgezeigten Zukunftsbildes und der Aufgabe bedrückt fühlen, das Erwünschte auch nur annähernd zu verwirklichen, Vertrauen haben und zuversichtlich sein. Klares Denken, viel Liebe und ein Gefühl für einen echten Vergleich (beachtet diesen Ausdruck) werden viel dazu beitragen, um die erforderliche Grundlage zu schaffen und die Tore der Zukunft weit [92] offenzuhalten. In der Zwischenzeit findet eine ausbalancierende Entwicklung statt, und der moderne Erzieher sollte ihr die nötige Aufmerksamkeit schenken.

Vielleicht kann ich hier die Natur dieses Entwicklungsganges andeuten. Ich habe in diesem Buch und auch schon anderswo gesagt, dass sich die Seele im Körper an zwei Stellen verankert:

1. Ein Energiefaden, den wir den Lebens- oder Geistesaspekt nennen, ist im Herzen verankert. Bekanntlich benutzt er den Blutkreislauf als Verteiler; vermittels des Blutstromes trägt die Lebensenergie erneuernde Kraft und koordinierende Energie zu allen physischen Organen und hält den Körper «heil und ganz» zusammen.

2. Ein Energiefaden, den wir den Bewusstseinsaspekt oder die Erkenntnisfähigkeit der Seele nennen, ist im Kopfzentrum verankert. Er kontrolliert den Reaktionsmechanismus, den wir das Gehirn nennen; durch dieses leitet er jede Tätigkeit und veranlasst Bewusstwerdung im ganzen Körper vermittels des Nervensystems.

Diese zwei Energiefaktoren, die vom Menschen als Leben und Wissen, oder als Lebensenergie und Intelligenz erkannt werden, sind die beiden Pole im Dasein des Kindes. Die vor ihm liegende Aufgabe besteht darin, den mittleren oder ausgleichenden Aspekt bewusst zu entwickeln, nämlich Liebe oder Gruppenbeziehung, damit das Wissen dem Gruppenbedürfnis und -interesse untergeordnet und die Lebensenergie bewusst und absichtlich in die Gruppe als Ganzes gelenkt werde. Dadurch wird ein richtiges Gleichgewicht geschaffen in der Erkenntnis, dass der Weg des Dienens eine wissenschaftliche Methode zur Erzielung dieses Gleichgewichts ist. In der jetzigen Übergangsperiode sollten die Erzieher daher drei Dinge im Auge behalten:

1. Das Wissen, [93] der Bewusstseinsaspekt oder der Sinn des Gewahrseins im Kind ist so umzulenken, dass es von frühester Kindheit an begreift, dass alles ihm Gelehrte oder von ihm Gelernte mehr zum Wohle anderer als zum eigenen Nutzen zu verwenden ist. Es wird deshalb in zweckbewusster Vorausschau geschult werden. Weltgeschichts-Kenntnisse werden ihm vom Gesichtspunkt der menschlichen Bewusstseinsentfaltung und nicht, wie es heute geschieht, einfach als Tatsachen materieller oder auf Angriff eingestellter Errungenschaften beigebracht werden. Wenn das Kind zwischen Vergangenheit und Gegenwart eine wechselseitige Beziehung sehen lernt, dann wird sich auch seine Fähigkeit entwickeln, die verschiedenen Aspekte seines Lebens auf verschiedenen Ebenen systematisch zu verknüpfen, zu vereinigen und zu überbrücken.

2. Das Kind ist zu belehren, dass das Leben, das durch seine Adern strömt, nur ein ganz kleiner Teil des grossen Gesamtlebens ist, das durch alle Formen, durch alle Reiche der Natur, durch alle Planeten und durch das Sonnensystem flutet. Das Kind wird lernen, dass es dieses eine Leben mit allem, was da ist, teilt, und dass deshalb eine wahre «Blutsbrüderschaft» mit allem Lebendigen besteht. Daher kann ihm rechte Beziehung gleich von Anbeginn seines Lebens gelehrt werden, und das kleine Kind wird dies schneller erfassen können als der nach den Methoden und Denkweisen des alten Zeitalters geschulte Durchschnittserwachsene. Wenn diese beiden Erkenntnisse - Verantwortung und rechte Beziehung - dem Kind von frühester Jugend an beigebracht werden, dann wird das dritte Ziel der neuen Erziehung schon viel leichter erreicht werden.

3. Die Bewusstseinsvereinheitlichung des Lebenstriebes und der Drang nach Wissen wird schliesslich zu einer geplanten Tätigkeit führen. Diese geplante Tätigkeit wird rechtes Dienen sein, dessen Ausübung dem Kind gelehrt wird, und das wiederum wird ihm zu dreifachem Nutzen gereichen:

a. Diese Einstellung wird von frühester Kindheit an richtunggebend sein, wird das Kind schliesslich auf seinen Beruf und seine Berufung hinweisen und ihm somit bei der Wahl seiner Lebenslaufbahn helfen.

b. Sie wird [94] aus dem Kind das Beste herausholen und es in seiner Umgebung zu einem magnetisch strahlenden Mittelpunkt machen. Sie wird es ihm ermöglichen, jene Menschen zu sich heranzuziehen, die ihm helfen können oder denen es helfen kann, und auch jene, die ihm dienen können und denen es bestens dienen kann.

c. Sie wird das Kind daher unweigerlich schöpferisch gestalten und es ihm ermöglichen, jenen Energiefaden zu spinnen, der im Verein mit dem Lebensfaden und dem Bewusstseinsfaden Kopf, Herz und Kehle zu einer einheitlichen Wirksamkeit verbinden wird.

Das Zusammentreffen der drei oben erwähnten Erfordernisse wird der erste (das ganze Menschengeschlecht betreffende) Schritt sein zum Aufbau der Antahkarana oder der Brücke zwischen:

1. den verschiedenen Aspekten der Formnatur;

2. der Persönlichkeit und der Seele;

3. dem Menschen und seinen Mitmenschen;

4. dem Menschen als einem Glied der Menschheit und seiner Umwelt.

Ihr könnt daraus ersehen, dass die Erziehung sich grundlegend mit Beziehungen und wechselseitigen Beziehungen, mit der Überbrückung oder dem heilenden Schliessen von Spaltungen, also mit der Wiederherstellung der Einheit oder Synthese beschäftigen sollte. Die Begründung der Wissenschaft rechter Beziehungen ist der nächstliegende Schritt in der mentalen Entwicklung des Menschengeschlechtes. Das ist die Hauptaufgabe der neuen Erziehung.