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ERSTES KAPITEL - Die Ziele der neuen Erziehung - Teil 1

ERSTES KAPITEL

Die Ziele der neuen Erziehung 

Die sich im Text befindenden Zahlen (  ) weisen auf die Seitenzahlen der englischen Originalversion hin.

Einführende Feststellungen

[1]

Man könnte sagen, dass dieses Buch drei verschiedene Gesichtspunkte oder Aspekte eines Hauptthemas darlegt und von kommenden Erziehungsmethoden und Ideen handelt. Der Zweck dieses Buches ist, die Kulturentfaltung des Menschengeschlechtes zu beleuchten und die nächsten Schritte zu erwägen, die zur weiteren mentalen Entwicklung der Menschheit führen. Wahre Lehren müssen mit der Vergangenheit übereinstimmen und zugleich dem Streben der Gegenwart Raum geben; auch müssen sie Licht auf den Weg jener Sucher werfen, denen es gelungen ist oder gelingt, die angedeuteten Ziele zu erreichen. Die Richtung der zukünftigen Geistesentwicklung muss aufgezeigt werden. Das ist das Erfordernis der Gegenwart.

Das Wort «geistig» bezieht sich hier nicht auf sogenannte «religiöse» Dinge. Alle Tätigkeiten, die den Menschen zu irgendeiner Entfaltung bringen, mag diese nun physischer, gefühlsmässiger, verstandesmässiger, intuitiver oder sozialer Art sein, sind, falls sie seinem jetzigen Zustand einen Schritt voraus sind, ihrem Wesen nach geistig und deuten auf das Dasein des inneren göttlichen Lebens hin. Der Geist des Menschen ist unsterblich; er ist ewig lebendig, er schreitet auf dem Pfad der Entwicklung von Stufe zu Stufe, von Zustand zu Zustand aufwärts und entfaltet dabei ständig und folgerichtig die göttlichen Eigenschaften und Aspekte.

Die drei [2] Punkte unseres Hauptthemas sind:

1. die Erziehungsmethode der Zukunft;

2. die Wissenschaft der Antahkarana. Diese behandelt den Modus der Überbrückung der im Bewusstsein des Menschen bestehenden Kluft zwischen der Welt der gewöhnlichen menschlichen Erfahrung der dreifachen Welt der physischen, gefühlsmässigen und gedanklichen Funktionen und den höheren Ebenen der sogenannten geistigen Entfaltung, d.h. der Welt der Ideen, der intuitiven Erfassung, der geistigen Einsicht und des inneren Begreifens;

3. die Methoden zum Aufbau der Antahkarana. Diese führen zur Überwindung der physischen und psychologischen Beschränkungen, die den Menschen am freien Ausdruck seiner innewohnenden Göttlichkeit hindern. Hier können wir nur das Fundament für diesen dritten Punkt legen, da dieser Gegenstand eine vorgeschrittene Erfahrung und Übung in der Meditation voraussetzt, die erst allmählich erlangt werden müssen. Ich habe die Meditation in meinen anderen Büchern behandelt.

Es könnte jemand hier fragen, ob es denn überhaupt einen Sinn hat, kostbare Zeit mit der Betrachtung von Dingen zu verschwenden, die noch in der Zukunft liegen. Ich möchte diese Frage beantworten, indem ich euch an den Spruch erinnere: «Wie der Mensch denkt, so ist er.» Dies ist eine den Studenten des Okkultismus wohlbekannte Binsenwahrheit. Was aber für den einzelnen gilt, das gilt auch für die Gruppe, und wie eine Gruppe denkt, so handelt sie schliesslich auch. Wenn die Gruppen-Gedankenwellen in die menschliche Gedankenwelt eindringen, so beeinflussen sie die Menschen, und dadurch wird es leichter möglich, neuartige Lebenswege und Entwicklungsrichtungen einzuführen. Hier versuche ich nur, euch einige knappe und allgemeine Ideen zu geben, die dazu dienen sollen, euch meine Gedankengänge und Absichten klarzumachen. Um dies zu erreichen, dürfte es für mich vielleicht am leichtesten sein, wenn ich gewisse grundsätzliche Feststellungen formuliere, die von Interesse sind und zur Aufklärung dienen können.

I. Bis in die Gegenwart beschäftigte sich die Erziehung mit der Kunst, aus der Geschichte der Vergangenheit, aus den bisherigen [3] Errungenschaften auf allen Gebieten menschlichen Denkens und aus dem bisher erworbenen menschlichen Wissen eine Synthese zu schaffen. Eine solche Erziehung befasste sich mit der Prägung oder der Art von Wissenschaft, wie sie sich in der Vergangenheit entwickelt hatte. Dieses Wissen ist hauptsächlich rückblickend, nicht vorausschauend. Ich möchte aber gleich bemerken, dass ich hier verallgemeinere und dass es im einzelnen viele und bemerkenswerte Ausnahmen von dieser Einstellung gibt.

II. Die Erziehung hat sich hauptsächlich mit der Ausbildung des niederen Denkvermögens (des Verstandes) befasst. Die Begabung des Kindes wurde zumeist daran gemessen, wie es gegenüber dem angehäuften Schulwissen, den in regelmässiger Folge vermittelten und wohlverdauten, kollationierten und gesammelten Einzelheiten reagierte, alles mit dem Endzweck, das Kind mit Kenntnissen so auszustatten, dass es mit dem Wissen anderer Leute erfolgreich konkurrieren kann.

III. Bis heute ist Erziehung hauptsächlich Gedächtnisschulung gewesen; dennoch dämmert jetzt allmählich die Erkenntnis herauf, dass diese Einstellung geändert werden müsse. Natürlich muss sich das Kind die von der Menschheit für wahr gehaltenen, in der Vergangenheit geprüften und als angemessen befundenen Tatsachen zu eigen machen. Jedes Zeitalter hat aber einen verschiedenen Massstab der Angemessenheit. Das Fische-Zeitalter unterstrich die Einzelbemühungen, die der Erreichung des empfundenen Ideals dienten. Als Resultat haben wir eine Weltgeschichte der Methoden, nach denen Stämme durch Angriff, Krieg und Eroberung zu Völkern wurden. Das war das Kriterium des rassischen Erfolges.

Die Erdkunde war auf einer ähnlichen Idee der Expansion begründet: Dem Kind wurde gelehrt, wie die Menschen, getrieben durch wirtschaftliche und andere Notwendigkeiten, Land eroberten und sich Länder zu eigen machten. Auch dies wurde - und zu Recht - als rassischer Erfolg angesehen. Die verschiedenen Zweige der Wissenschaft werden auch als Eroberungen neuer Gebiete angesehen, und hier spricht man wieder von rassischem Erfolg. Die Eroberungen der Wissenschaften, die Eroberungen der Völker und die Eroberungen von neuen Gebieten sind alle bezeichnend für die Methoden des Fische-Zeitalters mit seinem Idealismus, seinem Militarismus und mit seinem Trennungsgeist in allen Bereichen des Lebens: in der Religion, in der Politik, in der Wirtschaft. Nun aber treten wir in das Zeitalter der Synthese, des allesumfassenden Verbundenseins und des gegenseitigen Verständnisses ein, und die neue [4] Erziehung des Wassermann-Zeitalters muss ganz gelinde beginnen, die menschliche Aura zu durchdringen.

IV. Erziehung ist mehr als eine Gedächtnisschulung und mehr als das Bestreben, das Kind oder den Schüler mit der Vergangenheit und ihren Errungenschaften bekanntzumachen. Diese Faktoren haben natürlich ihre Bedeutung, und die Vergangenheit muss verstanden und studiert werden, da sie ja die Grundlage ist, aus der das Neue erwächst, erblüht und zur Frucht reift. Erziehung ist weit mehr als die Erforschung eines Gegenstandes und die daraus erwachsenden Schlussfolgerungen, die zu Hypothesen führen, die ihrerseits wiederum zu weiterer Forschung und neuen Schlussfolgerungen anspornen. Erziehung ist weit mehr als das ehrliche Streben, Kinder oder auch Erwachsene zu guten Bürgern, intelligenten Eltern oder von der staatlichen Wohlfahrt unabhängigen Menschen zu machen. Erziehung ist weit mehr als die Züchtung von Menschen, die wirtschaftlich betrachtet auf der Aktivseite und nicht auf der Passivseite zu buchen sind. Die Erziehung hat ganz andere Ziele, als das Leben angenehm zu gestalten und es Leuten zu ermöglichen, einen Grad von Kultur zu erlangen, der es ihnen erlaubt, mit Interesse an den Ereignissen der drei Welten menschlichen Strebens teilzunehmen. Sie ist all das, sollte aber noch viel mehr sein.

V. Vom Standpunkt menschlicher Entwicklung aus hat die Erziehung drei Hauptziele:

Erstens, wie schon viele begriffen haben, muss sie aus dem Menschen einen intelligenten Bürger, einen weisen Vater (oder eine weise Mutter) und eine selbstbeherrschte Persönlichkeit machen; sie muss es dem Menschen ermöglichen, seinen Teil zur Arbeitsleistung in der Welt beizutragen, und ihn befähigen, friedlich, hilfreich und in Harmonie mit seinen Nachbarn zu leben.

Zweitens muss sie es ihm möglich machen, die Kluft zwischen den verschiedenen Aspekten seiner eigenen mentalen Natur zu überbrücken; und gerade das betone ich nachdrücklich in den Instruktionen, die ich euch jetzt geben will.

Die esoterische Philosophie lehrt uns, wie euch wohlbekannt ist, dass sich auf der Mentalebene drei Aspekte des Denkvermögens befinden, oder des denkenden Wesens, das wir den Menschen nennen; diese drei Aspekte machen den wichtigsten Teil seiner Natur aus:

1. sein [5] niederes, konkretes Denkvermögen, das untersuchende und urteilende Prinzip. Mit diesem Aspekt des Menschen pflegten sich unsere Erziehungsmethoden bisher abzugeben;

2. jener Sohn des Denk-Aspektes, den wir das Ego oder die Seele nennen. Dies ist das Intelligenzprinzip und wird in der esoterischen Literatur mit vielen verschiedenen Namen bezeichnet, wie Sonnenengel, Agnishvattas, das Christus-Prinzip usw. Mit diesem Prinzip pflegten sich die bisherigen Religionen abzugeben;

3. das höhere, abstrakte Denkvermögen, der Hüter der Ideen, das Prinzip, das dem niederen Denkvermögen Erleuchtung übermittelt, sobald das niedere Denkvermögen mit der Seele in Verbindung steht («en rapport» ist). Mit dieser Welt der Ideen pflegte sich die Philosophie abzugeben.

Wir können diese drei Aspekte wie folgt benennen:

das aufnahmefähige Denkvermögen - dasjenige, mit dem sich die Psychologen befassen;

das individualisierte Denkvermögen - der Sohn des Denk-Prinzips;

das erleuchtete Denkvermögen - der höhere Denker.

Drittens muss die Kluft zwischen dem niederen Denkvermögen und der Seele überbrückt werden. Merkwürdigerweise hat die Menschheit diese Notwendigkeit schon immer erkannt; man sprach deshalb von «dem Erreichen der Einheit», der «Einswerdung» oder «dem Erringen des Einklangs». Alle diese Äusserungen sind Versuche, diese intuitiv erkannte Wahrheit auszudrücken.

VI. Die Erziehung im neuen Zeitalter sollte sich auch mit der Überbrückung dieser Kluft zwischen den drei Aspekten des Denkvermögens beschäftigen: zwischen der Seele und dem niederen Denkvermögen, um auf diese Weise das Eins-Sein zwischen der Seele und der Persönlichkeit zu erreichen; ferner zwischen dem niederen Denkvermögen, der Seele und dem höheren Denkvermögen. Das Menschengeschlecht ist nun dazu bereit, und zum ersten Male in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit kann das Werk der Überbrückung in relativ grossem Massstabe vor sich gehen. Ich brauche mich hierüber nicht weiter auszulassen, da es die technischen Einzelheiten der uralten Weisheit betrifft, die ich so eingehend in meinen anderen Büchern behandelt habe.

VII. Die Erziehung [6] ist daher die Wissenschaft der Antahkarana. Diese Wissenschaft und dieser Begriff sind die esoterische Art und Weise, um die Wahrheit der Notwendigkeit dieser Überbrückung auszudrücken. Die Antahkarana ist die Brücke, die der Mensch - durch Meditation, durch Verstehen und durch das magisch-schöpferische Werk der Seele - zwischen den drei Aspekten des Denkvermögens baut. Aus diesem Grunde sind die ersten und wichtigsten Ziele der kommenden Erziehung die folgenden:

1. den Einklang zwischen dem Denkvermögen und dem Gehirn durch ein richtiges Verstehen der inneren Konstitution des Menschen - besonders des ätherischen Körpers und der Kraftzentren - herzustellen;

2. eine Brücke zwischen dem Gehirn, dem Denkvermögen und der Seele zu schlagen oder zu erbauen, um auf diese Weise eine integrierte Persönlichkeit hervorzubringen, die eine sich stetig entwickelnde Ausdrucksform der innewohnenden Seele ist;

3. eine Brücke zwischen dem niederen Denkvermögen, der Seele und dem höheren Denkvermögen zu schlagen, so dass die Erleuchtung der Persönlichkeit möglich werden kann.

VIII. Die wahre Erziehung ist demnach die Wissenschaft der Verknüpfung der den ganzen Menschen formenden Teile, seiner Verbindung sowohl mit der unmittelbaren Umwelt als auch mit dem grösseren Ganzen, in dem er seine Rolle spielen muss. Jeder Aspekt kann einfach als ein Ausdruck des nächsthöheren angesehen werden. In diesem Satz habe ich eine grundlegende Wahrheit ausgesprochen, die nicht nur das erstrebte Ziel verkörpert, sondern auch das Problem aller Erzieher aufzeigt. Dieses Problem besteht darin, das Zentrum oder den Brennpunkt der Aufmerksamkeit eines Menschen richtig abzuschätzen und herauszufinden, wo sich das Bewusstsein hauptsächlich konzentriert. Dann muss er in einer solchen Weise geschult werden, dass eine Verschiebung des Brennpunkts in einen höheren Träger möglich wird. Steht [7] der Astral- oder Gefühlskörper im Mittelpunkt des Persönlichkeitslebens, dann wird es das Ziel der auf den Zögling angewandten Erziehungsmethode sein, sein Denkvermögen zum vorherrschenden Faktor zu machen; und der Astralkörper wird dann zu einem Instrument, das von der Umwelt beeindruckt wird und für sie empfänglich ist, sich aber der Herrschaft des Denkvermögens unterwirft. Falls aber das Denkvermögen der Schwerpunkt der Persönlichkeit ist, dann muss das Wirken der Seele zu vollerem Ausdruck gebracht werden; und in dieser Weise geht dann die Arbeit weiter, von Stufe zu Stufe aufwärts schreitend, bis die Spitze der Leiter erreicht worden ist.

Man könnte hier bemerken, dass die ganze erklärende Abhandlung über das Denkvermögen und die Notwendigkeit des «Brückenbaues» nur die praktische Bestätigung der Wahrheit des okkulten Aphorismus ist: «Bevor ein Mensch den Pfad betreten kann, muss selber er zum Pfad werden.» Die Antahkarana ist symbolisch dieser Pfad. Das ist eines der Paradoxa der esoterischen Wissenschaft. Schritt um Schritt und Stufe um Stufe bauen wir den Pfad, ebenso, wie die Spinne ihren Faden spinnt. Es ist «der Rückweg», den wir aus uns selbst heraus entwickeln; es ist auch der Weg, den wir finden und wandern.

Antworten auf einige Fragen

Ich will jetzt versuchen, einige Erziehungsfragen zu beantworten, die mir von einem Studenten gestellt worden sind. Ich kann aber nur das Ideal andeuten, und dabei laufe ich Gefahr, so visionär zu erscheinen, dass eine Annäherung an dieses Ideal unter unserem heutigen System als eine Unmöglichkeit angesehen werden könnte.

In Beantwortung der ersten Frage möchte ich sagen, dass die Hauptaufgabe aller Erzieher eine doppelte ist:

1. Das Gehirn ist so zu schulen, dass es in intelligenter Weise auf die über den Sinnenapparat hereinkommenden Eindrücke reagiert und so die nötigen Kenntnisse über die äussere gegenständliche Welt übermittelt.

2. Das Denkvermögen ist so zu schulen, dass es die folgenden drei Pflichten erfüllen kann:

a. in intelligenter Weise mit Kenntnissen umzugehen, die ihm vom Gehirn übermittelt werden;

b. Gedankenformen [8] zu erschaffen, und zwar als Reaktion auf Antriebe, die von der physischen Ebene kommen; auf gefühlsmässige Impulse, die von der Gefühls-Wunschnatur ausgehen; auf die Welt der Gedanken, in der sich die Umwelt des Menschen befindet;

c. es auf das subjektive, geistige Selbst hinzulenken, so dass das Selbst aus einem Zustand der Potentialität zur wirkenden Herrschaft hervortreten kann.

In dieser Formulierung der Funktionen des Apparates, mit dem alle Erzieher zu tun haben (Denkvermögen und Gehirn), habe ich die Antwort auf die zweite Frage angedeutet, die lautete:

«Gibt es bestimmte Arten von Tätigkeiten, die sich im Lauf der Entwicklung ändern und auf den Phasen der Wachstumsentfaltung des Individuums basieren, die auf die beste vielseitige Entwicklung hinwirken?»

Ich bin nicht ganz derselben Meinung wie Steiner und andere Lehrer der okkulten Wissenschaften hinsichtlich der Perioden. Obgleich ein Zyklus von sieben Jahren gewiss oft am Platze ist, so wird diese Einteilung doch oft übertrieben. Es sollten auch Entwicklungszyklen von zehn Jahren in Betracht gezogen werden: sieben Jahre des Lernens und drei Jahre der Nutzanwendung.

In den ersten zehn Lebensjahren lehrt man das Kind, die durch die fünf Sinne dem Gehirn übermittelten Kenntnisse in intelligenter Weise anzuwenden. Das Beobachten, das schnelle Reagieren und physische Koordinieren als Ergebnis zielbewusster Absicht müssen unterstrichen werden. Dem Kind muss gelehrt werden zu sehen und zu hören, Kontakte zu gewinnen und seine Urteilskraft zu benutzen; auch müssen seine Finger lernen auf schöpferische Impulse zu reagieren, um das Gesehene und Gehörte wiederzugeben und zu reproduzieren. So legt man die Grundsteine für Kunst und Kunstfertigkeiten, für Zeichnen und Musik.

Im zweiten Jahrzehnt seines Lebens wird besonders das Denkvermögen des Kindes geschult und zur Vorherrschaft gebracht.

Man lehrt dem Kind, seine Gefühls- und Wunschtriebe unter die Herrschaft seiner Vernunft zu bringen und das Rechte vom Unrechten, das Erwünschte vom Unerwünschten, und das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Dies kann durch den Geschichtsunterricht [9] erfolgen und durch die intellektuelle Schulung, die das Kind nach den Gesetzen seines Heimatlandes zwangsläufig erhält. Auf diese Weise wird ein Gefühl für Werte und richtige Massstäbe erweckt. Dem Kind wird der Unterschied zwischen Gedächtnisschulung und Denken beigebracht; zwischen Tatsachen-Material, das von Denkern erforscht und festgestellt und in Büchern übersichtlich geordnet wurde, und dessen Anwendung auf die Ergebnisse des objektiven täglichen Lebens; dazu noch (und dies ist ein Gedanke von grösster Wichtigkeit) deren subjektive Ursache und deren Beziehung zur Welt der Realität, von der die Welt der Erscheinungen nur ein Symbol ist.

Wenn der junge Mensch das siebzehnte Jahr erreicht hat, wird das Studium der Psychologie zu den anderen Fächern hinzukommen und die Natur der Seele in ihrer Beziehung zur Weltseele erforscht werden. Zum Lehrplan wird auch eine geeignete Form der Meditation gehören. Es soll hier aber hervorgehoben werden, dass die Meditation nicht mit Religion verknüpft zu sein braucht. Meditation ist die Methode, um objektiven Neigungen und nach aussen gerichteten Regungen des Denkvermögens entgegenzuarbeiten, so dass letzteres beginnt, subjektiv zu werden, sich zu konzentrieren und sich der Intuition zu öffnen. Dies kann durch tiefes Nachdenken über irgendein beliebiges Thema - Mathematik, Biologie usw. - gelehrt werden.

Die neue Erziehung sollte bestrebt sein, den Zögling des erzieherischen Experiments zum bewussten Besitzer seiner Ausstattung zu machen; sie sollte es ihm möglich machen, mit klarem Blick dem Leben gegenüberzutreten, vor sich die offenen Türen in die Welt der objektiven Erscheinungen und Beziehungen; sie sollte ihm die Gewissheit geben, dass eine Tür in die Welt der Wirklichkeit führt, deren Schwelle er stets überschreiten kann, um dort seine Beziehungen zu anderen Seelen anzuknüpfen und richtig auszugestalten.

Die zweite Frage - betreffend die Art der Erfahrungsschulung, die dem Kind helfen würde, seine Entwicklung abzurunden und die dem staatlich verbindlichen Lehrplan hinzuzufügen wäre - ist fast unmöglich zu beantworten, wegen der grossen Verschiedenheit der einzelnen Menschen und der praktischen Unmöglichkeit, Lehrer zu finden, die ihre Arbeit als Seelen und Denker ausführen. Jedes Kind sollte in [10] dreierlei Hinsicht studiert werden. Erstens muss die natürliche Richtung seiner Antriebe festgestellt werden: Zeigen diese eine Tendenz nach physischer Wesensäusserung, nach Handarbeit mit ihren zahlreichen Möglichkeiten vom mechanischen Fabrikarbeiter bis zum geschulten Elektrotechniker? Liegt im jungen Menschen ein schlummerndes Talent für eine oder die andere der schönen Künste oder Kunstfertigkeiten, hat er ein Farben- und Formgefühl oder Liebe zu Musik und Rhythmus? Hat er einen so ausgesprochenen Intellekt, dass er fraglos in Analytik, Deduktion, Mathematik oder Logik geschult werden sollte? Vielleicht werden dann im Lauf der Zeit unsere jungen Leute in zwei Gruppen eingeteilt werden: in Mystiker, zu denen Leute mit religiöser, künstlerischer und mehr zum Unpraktischen neigender Begabung gehören würden, und in Okkultisten, welche die intellektuellen, wissenschaftlichen und mentalen Typen umfassen würden. Wenn der junge Mensch sein siebzehntes Lebensjahr erreicht hat, sollte er aufgrund der erhaltenen Schulung über seine Eigenart und Begabung Klarheit gewonnen haben und imstande sein die Richtung zu erkennen, der sein Lebensantrieb wahrscheinlich folgen wird. In den ersten 14 Lebensjahren sollte ihm Gelegenheit geboten werden, auf verschiedensten Gebieten zu experimentieren. Die reine Berufsausbildung sollte erst in den letzten Jahren der Schulung betont werden.

Die Zeit wird kommen, wenn man alle Kinder von folgenden Gesichtspunkten aus untersuchen wird:

1. astrologisch, um die Lebens-Tendenz und das besondere Problem der Seele festzustellen;

2. psychologisch, um das Beste aus der modernen Psychologie mit dem Wissen über die Sieben-Strahlen-Typen (das die östliche Psychologie prägt - siehe Seiten 40-44) zu ergänzen;

3. ärztlich, mit besonderem Augenmerk auf die inneren Sekretionsdrüsen, dazu die Untersuchung der Augen, Zähne und sonstigen körperlichen Defekte nach modernen Methoden. Die Natur des Reaktionsapparats wird genau studiert und entwickelt werden;

4. beruflich, um sie im späteren Leben dort unterzubringen, wo ihre Gaben und Talente ihren vollsten Ausdruck finden [11] können und wo es ihnen möglich sein wird, ihre Gruppenverpflichtungen zu erfüllen;

5. geistig. Darunter verstehe ich das Erforschen des augenscheinlichen Alters der in Frage kommenden Seele; das Feststellen ihres ungefähren Standorts auf der Entwicklungsleiter; das Abwägen ihrer mystischen und introspektiven Neigungen oder ihrer augenscheinlichen Mängel. Die Koordinierung zwischen:

a. dem Gehirn und dem Reaktionsapparat in der äusseren Erscheinungswelt;

b. dem Gehirn und den Wunschantrieben wie auch den Gefühlsreaktionen;

c. dem Gehirn und Denkvermögen, und der Welt der Gedanken;

d) dem Gehirn, dem Denkvermögen und der Seele wird genau untersucht werden, um alle Begabungen des Kindes - die latenten wie auch die schon entwickelten - in funktionelle Tätigkeit zu bringen und sie zu einem Ganzen zu vereinigen.

Die dritte Frage lautet: «In welcher Weise entfaltet sich der menschliche Intellekt? Wie manifestiert sich das höhere Denkvermögen, wenn überhaupt, in den Jahren des Wachstums?»

Es ist nicht möglich, in der kurzen Zeitspanne, die uns zur Verfügung steht, die Entwicklungsgeschichte der mentalen Entfaltung zu behandeln. Das Studium des Wachstums des Menschengeschlechtes wird vieles zutage bringen, ist doch jedes Kind eine kurze Wiederholung der Gesamtheit. So würde zum Beispiel das Studium des Wachsens der Gottesidee im menschlichen Bewusstsein die Phänomene der Gedankenentwicklung gewinnbringend illustrieren. Die Stufenfolge des Wachstums, wie es sich im Werdegang eines Menschen zeigt, könnte - wenn auch recht unvollständig und kurz - wie folgt skizziert werden:

1. die Reaktion auf einen Eindruck: Die Sinne des Kindes erwachen; es beginnt zu hören und zu sehen;

2. die Reaktion auf den Trieb, zu besitzen und zu erlangen: Das Kind beginnt, sich Dinge anzueignen; sein Selbstbewusstsein erwacht und es greift nach Dingen für das persönliche Ich;

3. die Reaktion [12] auf den die animalische und Wunsch-Natur beherrschenden Instinkt und auf menschliche Bestrebungen;

4. die Reaktion auf die Gruppe: Das Kind wird sich seiner Umgebung bewusst und begreift, dass es als Teil einem Ganzen angehört;

5. die Reaktion auf Wissen: Sie beginnt mit dem Beibringen informativer Tatsachen, welche Tatsachen dann dem Gedächtnis eingeprägt werden; auf diese Weise wird das Interesse, werden die Wechselbeziehungen, die Synthese und die praktischen Anwendungen auf die Erfordernisse des Lebens entwickelt;

6. die Reaktion auf das angeborene Bedürfnis zu forschen: Sie führt zum Experimentieren auf der physischen Ebene, zur Innenschau auf der Gefühls- oder Astralebene, und zu intelligentem Studium und zur Liebe zum Lesen oder Zuhören; auf diese Weise wird das Denkvermögen in Tätigkeit versetzt;

7. die Reaktion auf wirtschaftliche und geschlechtliche Probleme oder auf das Gesetz der Selbsterhaltung: Sie zwingt den jungen Menschen, seine Talente und sein Wissen zu benutzen und so seinen Platz als ein Faktor im Gruppenleben einzunehmen, ferner zum Gedeihen der Gruppe durch irgendeine aktive Tätigkeit beizutragen und am Fortbestand des Menschengeschlechts mitzuwirken;

8. die Reaktion auf rein intellektuelle Wahrnehmung: Sie führt zu einem bewusst freien Gebrauch des Denkvermögens, zu individuellem Denken, zur Schaffung von Gedankenformen und schliesslich zu einem ständigen Hinwenden des Denkvermögens auf einen immer grösseren Erkenntnis- und Wahrnehmungsbereich. Dieses Wachsen und Ausweiten des Bewusstseins bringt schliesslich einen neuen Faktor in das Feld der Erfahrung;

9. die Reaktion auf den Denker oder die Seele: Durch das Gewahrwerden dieser Reaktion tritt der Mensch in sein rechtmässiges Königreich ein. Das Obere und das Untere werden zur Einheit. Die objektive und die subjektive Welt fliessen zusammen. Die Seele und ihr Instrument arbeiten im Einklang.

Auf diese Vollendung sollte alle Erziehung hinarbeiten. Mit Ausnahme seltener und hochentwickelter Seelen manifestiert sich [13] das höhere Denkvermögen in Kindern meistens nicht, nicht mehr als es beim frühen, noch kindlichen Menschengeschlecht der Fall war. Diese höhere Denkfähigkeit kann sich nur dann bemerkbar machen, wenn die Seele, das Denkvermögen und das Gehirn ausgerichtet und gleichgeschaltet sind. Ein Aufblitzen der Einsicht und der Vision bei jungen Menschen ist zumeist die Reaktion ihres sehr sensitiven Aufnahme-Apparats auf Gruppenideen und vorherrschende Gedanken der Epoche oder einer Person in der Umgebung.

Ich möchte nun kurz die Einstellung des Lehrers, insbesondere zur Schulung erwachsener Aspiranten, behandeln.

Der rechte Lehrer muss sich in Wahrheit und Aufrichtigkeit mit allen Suchenden abgeben. Seine Zeit (insofern er der Zeitrechnung des physischen Plans unterworfen ist) ist zu kostbar, als dass er sie mit gesellschaftlichen Höflichkeiten vergeuden würde; er wird auch nicht mit kritischen Bemerkungen zurückhalten, falls es einem guten Zweck dient. Er muss sich ganz auf die Aufrichtigkeit der Schüler verlassen können. Kritik und das Aufzeigen von Fehlern und Versehen erweist sich jedoch nicht immer hilfreich; sie könnten die Verantwortung erschweren, Feindschaft, Unglauben oder Niedergeschlagenheit hervorrufen - drei äusserst unerwünschte Folgen angewandter Kritik.

Durch Erweckungen der Interessen der Lernenden, durch Schaffung einer subjektiven Synthese in der von ihm gelehrten Gruppe und durch das Anfachen der Flamme geistigen Strebens kann die Gruppe zur richtigen Abschätzung ihrer gemeinsamen Fähigkeiten und Notwendigkeiten kommen, so dass sich die leider oft zur Gewohnheit gewordene bekrittelnde Einstellung des Lehrers erübrigt.

Die dafür Befähigten schulen sich für den Lehrberuf, indem sie lehren. Es gibt keine bessere Methode, vorausgesetzt, dass eine tiefe - persönliche und zugleich unpersönliche - Liebe zu den Schülern vorhanden ist. Vor allem möchte ich in euch den Gruppengeist wachrufen, weil er der erste Ausdruck wahrer Liebe ist. Ich möchte hier nur zwei Punkte hervorheben:

Erstens sollte man beim Unterrichten von Kindern unter 14 Jahren stets im Auge behalten, dass ihr Wesen gefühlsbetont ist. Sie [14] müssen fühlen können, Schönheit, Stärke und Weisheit richtig erfühlen können. In diesem jugendlichen Alter darf man von ihnen nicht erwarten, dass sie die Dinge vernunftgemäss durchdenken, selbst wenn sie die Fähigkeit dazu an den Tag legen. Nach erreichtem vierzehnten Lebensjahr sollte in der heranwachsenden Jugend eine mentale Empfänglichkeit für Wahrheit erweckt werden, was für die Lösung aufkommender Probleme wichtig ist. Auch wenn diese Empfänglichkeit nicht vorhanden zu sein scheint, sollte man sich dennoch bemühen, sie hervorzurufen.

Zweitens sollte der Versuch gemacht werden, die ungefähre Entwicklungsstufe des Kindes festzustellen, und zwar durch ein Studium seiner Herkunft, seiner physischen Ausstattung, seines Reaktionsapparates samt seinen mannigfachen Reaktionen, und seiner Hauptinteressen. Diese eingehende Untersuchung schafft eine subjektive Verbindung mit dem Kind, und dadurch werden viel bessere Resultate erzielt, als wenn man monatelang auf den Schüler einredet, um ihm eine Idee klarzumachen.

Theorie, Methoden und Ziele

Alles, was ich hier zu sagen habe, gehört noch zu den einleitenden Bemerkungen. Das sollte im Auge behalten werden. Es liegt mir aber sehr daran, für unsere spätere Besprechung über den Aufbau der Antahkarana eine gesunde Grundlage zu schaffen, so dass wir intelligent, aber nicht kritisch arbeiten können. Es ist von grösster Wichtigkeit, unsere Arbeit auf dem aufzubauen, was heute schon vorhanden ist. Die Natur macht keine Sprünge, und das ist selbst dann der Fall, wenn (vom Standpunkt der akademischen Wissenschaft aus) zwischen Tatsachen und bekannten Arten eine offensichtliche Lücke besteht. In den Übergangsperioden sind einige Überbrückungsformen verschwunden, und somit scheint die Natur einen Sprung gemacht zu haben. In Wirklichkeit jedoch ist das nicht der Fall. Wir haben noch lange nicht alles entdeckt, was in der Welt der Erscheinungen der Entdeckung harrt. Gerade jetzt gehen wir durch eine grosse naturgemässe Übergangsperiode hindurch. Wir schaffen die Grundlage für einen neuen, besonderen Menschen-Typus, für eine höher entwickelte Gattung innerhalb des Menschengeschlechts; deshalb haben wir so viele Probleme, und das erklärt auch zum Grossteil unser jetziges Unvermögen, den Anforderungen der menschlichen Rasse [15] zu entsprechen und den Bedürfnissen der menschlichen Entwicklung gerecht zu werden.

In unserer heutigen Welt haben wir eine allgemeine Erziehungstheorie, und gewisse grundlegende Methoden kommen überall zur Anwendung. In den einzelnen Ländern werden die Methoden in verschiedener Weise angewandt und die Systeme weichen stark voneinander ab. Überall aber werden dieselben Grundlagen gelehrt: Man bringt der Jugend das Lesen und Schreiben und das Rechnen mit einfachen Zahlen bei. Diese drei, Lesen, Schreiben und Rechnen, sind in merkwürdiger Weise für die Entfaltung des Menschengeschlechtes symbolisch.

Das Lesen betrifft das Einkleiden von Ideen in eine Form und bezieht sich auf den ersten Schritt im Schöpfungsprozess, wobei die Gottheit - von einer Idee (dem Träger göttlicher Absicht und Planung) beherrscht und angetrieben - diese Idee in die gewünschte Substanz verwandelte und sie in die nötige äussere Erscheinungsform kleidete. Das Schreiben wiederum symbolisiert die Methode, nach der dieser Vorgang fortgesetzt wird, doch ist er natürlich viel persönlicher in seiner Auswirkung. Das Lesen betrifft hauptsächlich das Verstehen einer bereits gestalteten Idee, während beim Schreiben das Individuum merkwürdigerweise Ideen auf sich bezieht, denn die beim Schreiben benutzten Worte zeigen an, inwieweit er diese universalen Ideen begriffen hat. Auch das Rechnen (und das Vermögen, zu addieren, zu subtrahieren und zu multiplizieren) hat eine Beziehung zum schöpferischen Prozess und betrifft das Hervorbringen jener Formen auf der physischen Ebene, die in angemessener Weise die Idee in Erscheinung treten lassen.

Geistiges Erschauen (Vision) könnte man als etwas ansehen, was die höheren Bereiche der Mentalebene betrifft, wo die Idee erahnt und erschaut wird. Das Schreiben hat eine deutliche Beziehung zu den konkreten Bereichen der Mentalebene und zur menschlichen Fähigkeit, die erschauten Ideen durchzubringen und sie in der dem Schreiber eigenen Form auszudrücken. Die Rechenkunst hat eine klare Beziehung zu den späteren Phasen des schöpferischen Prozesses und zum Sichtbarwerden der Idee auf der physischen [16] Ebene in einer angemessenen Erscheinungsform. Nach dem Erschauen der Gedankenform muss die Idee so viel Energie an sich ziehen als nötig ist, um sie effektiv zu machen oder sie (esoterisch gesprochen) «in Erscheinung zu bringen». Das Symbol hierfür ist die rechnerische Ausdrucksform.

Von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen liest der Mensch sein Schicksal im Himmel und schreibt es dann in der lebendigen Schrift seines Erdenlebens nieder; er kleidet dann - bewusst oder unbewusst - die Idee seiner Seele in die geeignete Form; auf diese Weise addiert, subtrahiert und multipliziert sich jedes Leben so lange, bis die Summe der Seelenerfahrung vollständig ist. Somit drücken sich die drei grundlegenden Ideen symbolisch in der Elementarerziehung aus, obgleich ihr wahrer Sinn der Wirklichkeit entfremdet und ihre Bedeutung ganz verlorengegangen ist. Doch all das, was wir erreicht haben und was langsam und deutlich aus den Erziehungsmethoden in der ganzen Welt hervorgeht, baut sich auf diesem nicht erkannten Gerüst auf. Die grundlegende Notwendigkeit im heutigen weltweiten Erziehungswesen besteht darin, die Entfaltung der menschlichen Mentalität mit der Welt der Bedeutung, und nicht mit der Welt objektiver (äusserer) Erscheinungsformen in Beziehung zu bringen. Solange das Ziel der Erziehung nicht darin besteht, den Blick auf diese innere Welt der Wirklichkeit zu richten, wird die jetzige falsche Betonung weiterbestehen. Solange wir bei unseren erzieherischen Bestrebungen nicht darangehen, die Kluft zwischen den drei niederen Aspekten des Menschen und der Seele zu überbrücken (und diese Überbrückung muss auf den mentalen Bewusstseinsebenen erfolgen), so lange werden wir nur geringe Fortschritte in der rechten Richtung machen; und was immer in der Zwischenzeit geschieht, wird den modernen Bedürfnissen nicht gerecht werden. Solange man das höhere Denkvermögen nicht als Tatsache anerkennt und solange man sich auch darüber nicht klar ist, welchen Platz das niedere Denkvermögen als Diener des höheren auszufüllen hat, so lange wird die Überentwicklung der konkreten, materialistischen Fähigkeiten - mit der Tendenz des Auswendiglernens, der Tatsachenbeziehung und dem Hervorbringen dessen, was die niederen Wünsche erfüllt - weiterbestehen, aber es wird keine Menschheit geben, die wirklich zu denken vermag. Vorerst spiegelt das Denkvermögen die niedere Wunschnatur wider und bemüht sich noch nicht, das Höhere zu erkennen.

Nach [17] Einführung der rechten Schulungsmethoden wird das Denkvermögen zu einem Reflektor oder Vermittler der Seele entwickelt werden und für die Welt wahrer Werte so empfänglich sein, dass die niedere - emotionelle, mentale und physisch-ätherische - Natur einfach zum automatischen Diener der Seele werden wird. Die Seele wird sich dann auf Erden durch das Denkvermögen auswirken und betätigen, wobei das niedere Denkvermögen ihr gehorsames Werkzeug sein wird. Zugleich aber wird das Denkvermögen alle aus der Sinnenwelt und vom Gefühlskörper kommenden Mitteilungen wahrnehmen und reflektieren, und es wird auch die Ideen und Gedankenströmungen der Umwelt aufzeichnen. Heutzutage ist es leider nur zu wahr, dass das geschulte Denkvermögen als die höchste Ausdrucksmöglichkeit betrachtet wird, deren die Menschheit fähig ist; nur im Denkvermögen sieht man die Individualität. Aber die Möglichkeit, dass es noch ein Etwas geben könnte, dem es möglich ist, das Denkvermögen so zu benutzen, wie das letztere das physische Hirn benutzt, wird ganz übersehen.

Bei unseren gemeinsamen Studien wollen wir versuchen, die Beziehung der Welt der inneren Bedeutung zur Welt der Ausdrucksformen zu begreifen; wir werden uns bemühen, die Art und Weise zu studieren, wie man in diese Welt der Qualität (die sich durch die Welt der Bedeutung ausdrückt) eindringen kann, und wie sich diese Welt durch das abgerundete Bewusstsein des intelligenten Menschen verstehen lässt.

Gewisse Worte werden bei unserer gemeinsamen Arbeit immer wieder vorkommen: Worte wie Bedeutung, Qualität (Eigenschaft), Wert, sie alle werden in ihrer lebendigen geistigen Bedeutsamkeit offenbar, wenn der Mensch die Tatsache der höheren Wirklichkeit begreifen lernt und die Kluft zwischen seinem höheren und niederen Bewusstsein überbrückt. Auch werden die Bedeutung der schöpferischen Tätigkeit und das rechte Verstehen dessen, was wir ein Genie nennen, klargemacht werden; und auf diese Weise wird man schöpferische Arbeit nicht länger als eine einzigartige und vereinzelt vorkommende Manifestation ansehen, wie es jetzt der Fall ist, sondern sie wird Gegenstand geschulter Beobachtung werden und somit ihren normalen Platz in der menschlichen Entfaltung einnehmen. Man könnte hier hinzufügen, dass schöpferische Tätigkeit in der Kunst möglich wird, wenn der erste Aspekt [18] der Überbrückungsenergie des Menschen seine Wirkung ausüben, und die Seele (durch ihren dritten oder niedrigsten Aspekt) zu arbeiten beginnen kann. Schöpferische Arbeit kann geleistet werden, wenn zwei der «Blumenblätter des Wissens» des egoischen Lotos entfaltet sind. Durch Wissen und schöpferische Energie kann der Mensch auf der physischen Ebene etwas zustandebringen, was der schöpferischen Kraft der Seele Ausdruck verleiht. Wenn sich auch noch zwei der «Blumenblätter der Liebe» entfaltet haben, dann tritt das Genie in Erscheinung. Das ist eine kleine technische Information für jene Schüler, welche die Wissenschaft der uralten Weisheit studieren; für Leute, die weder Symbologie, noch die Tatsache des höheren Egos oder der Seele anerkennen, ist sie wertlos. Es könnte von Nutzen sein, wenn ich hier den von mir gebrauchten Ausdruck «höheres Ego» klarstelle. Wenn ihr «Eine Abhandlung über die Sieben Strahlen», Band I und II (Esoterische Psychologie) gelesen habt, dann wisst ihr, dass die Seele ein Aspekt der göttlichen Energie in Zeit und Raum ist. Es ist uns gesagt worden, dass der Sonnenlogos zu seinem Gebrauch und in Erfüllung seines Wunsches ein gewisses Mass von Raumsubstanz umgrenzt und mit seinem Leben und Bewusstsein durchdrungen hat. Er hat dieses mit guten Absichten und im Einklang mit seinem selbsterkannten Plan und Vorhaben getan. Auf diese Weise unterwarf er sich der Selbst-Umgrenzung. Die menschliche Monade wandte das gleiche Verfahren an und umgrenzte sich in ähnlicher Weise - in Zeit und Raum. Auf der physischen Ebene und im physischen Körper beherrscht dieses phänomenale und vergängliche Wesen seine Erscheinungsform durch die beiden Aspekte: Leben und Bewusstsein. Das Lebensprinzip - das Strömen göttlicher Energie durch alle Formen - hat zeitweilig seinen Sitz im Herzen, während das Bewusstseinsprinzip, die Seele aller Dinge, seinen Sitz (zeitweilig, soweit die Formnatur eines Einzelmenschen in Frage kommt) im Gehirn hat. Ihr wisst auch, dass das Lebensprinzip den Mechanismus durch den Blutkreislauf beherrscht («Blut ist der Saft des Lebens») und das Herz als sein Zentralorgan [19] benutzt, während das Bewusstseinsprinzip seinen Ausdruck im weitverzweigten Nervensystem findet.

Die Erziehung sollte daher darauf ausgehen, den Mechanismus so zu schulen, dass er auf das Leben der Seele reagiert. Das höhere Selbst oder die Seele ist das Gesamt-Bewusstsein der Monade, wiederum in Zeit und Raum. Das niedere Selbst oder die Ich-Seele ist für unsere Zwecke soviel von diesem Bewusstsein, wie ein Mensch in einem Erdenleben benutzen und ausdrücken kann. Diese Tätigkeit hängt ab von der Art und Beschaffenheit der körperlichen Natur, dem Mechanismus, den die Seele durch ihre Tätigkeit in früheren Leben hervorgebracht hat, und von der Auswirkung der Reaktion auf die Bedingungen der Umwelt. Steigerung des Seelenbewusstseins, Verstärkung des Bewusstseinsstromes und Entwicklung einer inneren Fortdauer des Bewusstseins, plus dem Hervorbringen von Seeleneigenschaften und -aspekten auf der physischen Ebene durch ihren dreifachen Mechanismus - das ist der Endzweck jeder Erziehung. Wie ihr ja wisst, sind diese Aspekte:

1. Der Wille oder die Absicht. Dieser Aspekt sollte durch die Erziehung bis zu dem Punkte entwickelt werden, an dem das manifestierte Leben durch bewusste Geistesabsicht beherrscht wird und der Lebensverlauf richtig auf die Wirklichkeit eingestellt ist. Die rechte Richtunggebung des Willens sollte einer der hauptsächlichsten Sorgen aller wahren Erzieher sein. Der Wille zum Guten, der Wille zum Schönen und der Wille zum Dienen müssen ausgebildet werden.

2. Liebe-Weisheit. Dieser Aspekt ist wesentlich für die Entfaltung des Bewusstseins des Ganzen. Wir bezeichnen es als Gruppenbewusstsein. Dessen erste Entwicklungsstufe ist Eigen- oder Selbstbewusstsein, nämlich die Erkenntnis der Seele, dass (in den drei Welten menschlicher Entwicklung) der Mensch drei in einem und einer in dreien ist. Er kann daher auf die zusammengeschlossenen Gruppen von Lebenspartikeln reagieren, aus denen seine eigene kleine Erscheinungsform besteht; [20] Selbstbewusstsein ist daher eine Etappe auf dem Weg zum Gruppenbewusstsein; es ist das Bewusstsein des Jetzt.

Durch Erziehung muss das Selbstbewusstsein so lange entfaltet werden, bis der Mensch erkennt, dass sein Bewusstsein ein zugehöriger Bestandteil eines grösseren Ganzen ist. Er passt sich dann den Interessen, Tätigkeiten und Zielen der Gruppe an. Schliesslich macht er diese Interessen zu den seinen, und so wird er gruppenbewusst. Das ist Liebe. Sie führt zur Weisheit, die Liebe in manifestierter Tätigkeit ist. Eigeninteresse wird zum Gruppeninteresse. Das sollte das grösste Bestreben aller wahren Erziehung sein. Eigenliebe (Selbstbewusstsein), Liebe zu nahestehenden Menschen (Gruppenbewusstsein) wird schliesslich zur Liebe zum Ganzen (Gottesbewusstsein). Das sind die Stufen.

3. Tätige Intelligenz. Dieser Aspekt betrifft die Entfaltung der schöpferischen Natur des bewussten Geistesmenschen. Das geschieht durch den rechten Gebrauch des Denkvermögens mit seiner Fähigkeit, Ideen innerlich zu erschauen, auf Einwirkungen zu reagieren, zu interpretieren, zu analysieren und Formen für die Offenbarung zu bauen. Auf diese Weise wirkt die Seele des Menschen schöpferisch. Dieser schöpferische Vorgang kann, die einzelnen Stufen betreffend, wie folgt beschrieben werden:

a. Die Seele erschafft den physischen Körper, die sichtbare Erscheinung, die äussere Form.

b. Die Seele erschafft in Übereinstimmung mit ihren Wünschen in Zeit und Raum. Auf diese Weise tritt die sekundäre Welt der phänomenalen Dinge in Erscheinung; unsere moderne Zivilisation ist das - durch Form begrenzte - Resultat dieser schöpferischen Tätigkeit der Wunschnatur der Seele. Denkt darüber nach!

c. Die Seele erschafft durch das direkte Mitwirken des niederen Denkvermögens; daher das Inerscheinungtreten der Welt der Symbole, die unsere engverknüpften Leben durch Bücher, Sprache und die schaffenden Künste mit Interessen, Begriffen, Ideen und Schönheit erfüllen. Sie sind [21] das Resultat der Gedankenarbeit der Denker des Menschengeschlechtes.

Die rechte Richtunggebung dieser bereits entwickelten Tendenz ist das Ziel jeder wahren Erziehung. Das Wesen der Ideen, die Art und Weise, wie man sie innerlich erschaut sowie die Gesetze, die alles Schaffen, jede schöpferische Arbeit leiten sollten - das sind ihre Zielrichtungen. Somit kommen wir zur Welt der Attribute, welche die Tätigkeit der drei Aspekte ergänzen, in der selben Weise wie die drei Hauptstrahlen durch das Werk der vier Nebenstrahlen gefördert und unterstützt werden. Diese vier attributiven Entfaltungen im Menschen, hervorgerufen durch die Tätigkeit der manifestierten Seele, sind:

4. Das durch Konflikt hervorgerufene Attribut der Harmonie. Es macht frei und führt schliesslich zur Schöpfungskraft. Es ist eines der Attribute, mit dem sich die Erziehung vom Gesichtspunkt der Intuition aus befassen sollte und das die

Erzieher als Einzel- und Gruppenziele im Auge behalten sollten. Es ist das in allen Formen latente Attribut, der innere Drang und die innere Unzufriedenheit, die den Menschen zum Kampf, zum Fortschritt und zur Entwicklung treibt, um schliesslich die Einswerdung und Vereinigung mit seiner Seele zu erringen. Es ist der niedrigste Aspekt der höheren geistigen oder monadischen Dreiheit, die sich in der Seele widerspiegelt. Es ist das Bewusstsein von Harmonie und Schönheit, das die Menschenseele auf dem Weg der Entwicklung vorwärts- und aufwärtstreibt, bis zur schliesslichen Rückkehr zur ausstrahlenden Quelle.

Die Erziehung muss sich daher diese Unzufriedenheit zunutze machen; sie sollte den Zöglingen erklärt werden, damit diese sich selbst recht verstehen und intelligent arbeiten können.

5. Das Attribut des konkreten Wissens. Es befähigt den Menschen, seine Begriffe zu konkretisieren und auf diese Weise Gedankenformen zu bauen; dabei materialisiert er seine Visionen und Träume und bringt seine Ideen ins Dasein. Er tut dies durch die Tätigkeit des Verstandes, des niederen konkreten Denkvermögens.

Die [22] wahre Erziehungsarbeit soll den niederen Menschen darin schulen, richtig unterscheiden zu lernen und für innere Schau empfänglich zu sein, so dass er getreu der Zielsetzung der Seele weiterbauen und auf Erden das bewerkstelligen kann, was sein Beitrag zum Ganzen werden soll. Hier muss die moderne Erziehungsarbeit einsetzen. Der Mensch kann noch nicht in der Welt der Ideen und Vorbilder intelligent arbeiten; er kann noch nicht die wahren Geisteswerte erfühlen. Das ist das Ziel des Jüngers, wenngleich die breiten Massen noch nicht auf diesen Ebenen mitwirken können. Zuerst muss man das Kind im richtigen Gebrauch der Unterscheidungsgabe schulen, in der Fähigkeit des Auswählens und der direkten Zielsetzung. Der junge Mensch muss zu einem besseren Verstehen des tieferen Lebenszweckes geführt werden und man muss ihn anleiten, mit Weisheit schöpferisch tätig zu sein, d.h. im letzten Grunde die «Denksubstanz» (das Chitta des Patanjali) recht zu benutzen. So - und nur so - kann der Mensch von der Herrschaft seiner niederen Natur befreit werden.

6. Das Attribut der Hingabe soll nun in unserer Betrachtung folgen. Hingabe erwächst aus der Unzufriedenheit und ist deren Frucht sowie die angewandte Fähigkeit der freien Wahl. Je nachdem, wie tief die Unzufriedenheit im Menschen verwurzelt ist und inwieweit er imstande ist, klar zu sehen, schreitet er von einer zeitweiligen Befriedigung zur anderen, wobei er jedesmal seine Hingabe an ein Verlangen, an eine Person, an ein Ideal, an eine Vision bekundet, bis er sich schliesslich dem menschlich höchstmöglichen Ideal hingibt und mit ihm eins wird. Das ist zuerst die Seele; und dann die Allseele oder Gott.

Die Erzieher haben somit die Gelegenheit, den angeborenen, in jedem Kind vorhandenen Idealismus in kluger Weise zu nützen, und die interessante Aufgabe, die Jugend der Welt von einem erreichten Ziel zum anderen zu führen. Doch müssen sie dieses in Zukunft vom Standpunkt der Endzielsetzung der Seele aus tun [23] und nicht, wie in der Vergangenheit, vom Gesichtswinkel einer genormten Nationalerziehung aus. Das ist ein wichtiger Punkt, denn so wird die Aufmerksamkeit vom Unwichtigen auf das Wichtige hingelenkt.

7. Das Attribut der Ordnung und das Auferlegen eines festen Rhythmus durch Entwicklung der angeborenen Fähigkeit, im Rahmen eines zielbewussten Vorhabens und eines Rituals zu wirken. Dieses besondere Attribut der Gottheit ist heute in einem Aspekt hochentwickelt, so dass wir derzeit eine weitgehende Standardisierung der Menschheit haben; und in vielen Ländern beherrscht ein ritualistischer Rhythmus unumschränkt das öffentliche Leben. Man kann dies in hoher Vollendung bei unseren öffentlichen Schulen beobachten - aber es ist keine wünschenswerte Vollendung. Das geschieht teilweise aus der Erkenntnis, dass der einzelne oder das Individuum nur ein Teil eines grösseren Ganzen ist (eine sehr notwendige Erkenntnis) und somit ein Teil der evolutionären Entfaltung des Menschengeschlechtes. Da wir aber jede neue Wahrheit meistens falsch anzuwenden pflegen, so bedeutet es heute nichts anderes als das Untertauchen des einzelnen in der Gruppe; dabei lässt man ihm wenig Gelegenheit zur freien Betätigung des individuellen Willens, der Intelligenz, der Zielsetzung und zur Wesensäusserung der Seele. Die Erzieher werden mit diesem angeborenen Attributsprinzip und diesem Instinkt zum geordneten Rhythmus arbeiten müssen; dabei sollten sie ihn aber mehr schöpferisch-konstruktiv ausgestalten und auf diese Weise ein Feld zur Entfaltung der Seelenkräfte vorbereiten.

Ich bin so weit abgeschweift, um einige grundlegende Ideen, die für die Erziehung richtunggebend sein sollten, gebührend herauszustellen. Diese Gedanken in Verbindung mit den bereits erwähnten stellen eine Zielsetzung für die Erzieher der Welt dar, die der Erwägung wert sind. Ich habe schon früher das Ziel angegeben. Jetzt verknüpfe ich das Ziel mit den Möglichkeiten, da ich hier [24] auf das geistige Rüstzeug (Aspekte und Attribute) eingegangen bin, das auf einer bestimmten Entwicklungsstufe in jedem Menschen anzutreffen ist. Mit diesen verborgenen Eigenschaften und Instinkten werden die künftigen Erziehungssysteme arbeiten müssen. Sie sollten nicht, wie es heute geschieht, mit dem Gehirnapparat und dem niedrigsten Aspekt des Denkvermögens arbeiten; sie sollten sich auch nicht so eifrig bemühen, dem Gehirn und Denkvermögen die sogenannten Tatsachen einzuprägen, die sich auf die Entwicklung und die Forschungsergebnisse der physischen Ebene beziehen.

Die obigen Bemerkungen wollen dartun und beweisen, dass der wahre Erzieher in einer Welt der Energien mit Energien arbeiten sollte; dass diese Energien durch bestimmte göttliche Attribute gefärbt und qualifiziert sind, und dass also jeder Mensch als ein Aggregat von Energien angesehen werden kann, beherrscht von einer besonderen Energie-Art, die dazu dient, ihn als etwas von seinen Mitmenschen Unterschiedliches erscheinen zu lassen und die Besonderheiten unter den Menschen hervorzubringen. Wenn es wahr ist, dass es sieben grosse Kategorien von Energien gibt, die allen Formen eine bestimmte Qualität verleihen, und dass diese wiederum in 49 Arten qualifizierter Energie unterteilt sind, dann lässt sich klar erkennen, wie kompliziert das Problem ist. Wenn es wahr ist, dass alle diese verschiedenen Energien ständig auf Energie-Substanz (Geist-Materie) einwirken und dadurch «die unzähligen Formen, welche die Form Gottes ausmachen» (Bhagavad Gita, XI) hervorbringen, und dass jedes Kind die mikrokosmische Verkörperung (auf einer bestimmten Entwicklungsstufe) des Makrokosmos ist, dann wird uns die Grösse des Problems klar; und das Ausmass des von uns verlangten Dienstes wird das Äusserste an Kräften und Talenten hervorrufen, die ein Mensch in irgendeinem Moment in Zeit und Raum zum Ausdruck bringen kann.

Euch wird wohl aufgefallen sein, dass die Worte «in Zeit und Raum» immer wieder in dieser Unterweisung vorkommen. Weshalb wohl? Weil wir uns immer wieder vor Augen halten müssen, dass wir in einer Welt der Illusion leben; diese Illusion ist zeitlich begrenzt und vergänglich und wird eines Tages verschwinden, zusammen mit der Illusion der Erscheinungsform, der Illusion evolutionärer Entfaltung, der Illusion des Getrenntseins und der Illusion der verschiedenartigen Identität - jene [25] Illusion, die uns «ich bin» sagen lässt. Der Erzieher der Zukunft wird seinen Dienst am Kind mit der Erkenntnis dieser zeitweiligen und vergänglichen irrigen Auffassung der Seele beginnen und wird sich hauptsächlich mit dem Aspekt des Denkprinzips befassen und nicht damit, dem Kind möglichst viel systematisches, die phänomenale Existenz betreffendes Wissen einzutrichtern. Wie kann ich euch diese veränderte Einstellung am einfachsten erläutern? Vielleicht durch folgenden Hinweis: Heutzutage verwenden Eltern und Erzieher eines Kindes viel Zeit damit, die Fragen des erwachenden Kindesbewusstseins zu beantworten oder ihnen auszuweichen; in Zukunft wird dieser Zustand umgekehrt sein. Die Eltern werden stets dem Verlangen der erwachenden Intelligenz des Kindes entgegenkommen, indem sie es fragen: Warum? - Warum fragst du das? - Warum ist das so? Auf diese Weise wälzen sie die Verantwortung für die Beantwortung der Frage stets auf das Kind ab, träufeln dabei aber die Lösung der Frage geschickt in das Denkvermögen des Kindes ein.

Mit der Anwendung dieser Methode wird man im fünften Lebensjahr des Kindes beginnen; die forschende Intelligenz (die ja das Kind selbst ist) wird vom Lehrer immer zur Innenforschung gezwungen, so dass das äussere Verlangen nach einer Antwort, die auswendig gelernt werden kann und die sich auf die Autorität einer älteren Person stützt, umgangen wird. Wenn euch das unmöglich erscheint, vergesst nicht, dass Kinder, die sich nach 1935 bis 1942, einer Periode stärkerer Stimulierung, verkörpern werden oder schon verkörpert haben, normalerweise und ganz natürlich auf dieses Hervorrufen des Denkprinzips reagieren werden.

Eine der Hauptaufgaben der Erzieher, die das Denkvermögen der jungen Menschenkinder schulen, wird die sein, im Leben des Kindes so früh wie möglich festzustellen, welche der sieben bestimmenden Energien in jedem Falle vorherrscht. Die später anzuwendende Methode wird sich dann auf diese wichtige Anfangserkenntnis aufbauen; daraus ergibt sich wieder die ständig zunehmende Verantwortung [26] der Erzieher. Man wird frühzeitig den Grundton und die Wesensart des Kindes feststellen und die gesamte Schulung des jungen Menschen auf dieser grundlegenden Erkenntnis aufbauen und planen. Das ist derzeit noch nicht möglich, doch wird es bald soweit sein, dass man die Wesensart und Qualität eines jeden individuellen Ätherkörpers wissenschaftlich feststellen können wird. Diese Entwicklung wird nicht so lange auf sich warten lassen wie man vielleicht geneigt ist anzunehmen.

Ich habe nicht die Absicht, hier Einzelheiten dieses Werdeganges zu behandeln oder die Methoden zu entwickeln, nach denen die Menschenkinder geschult werden können. Wir wollen uns vielmehr mit der universellen und sofortigen Notwendigkeit befassen, die Kluft zwischen den verschiedenen Aspekten des niedrigen Ich's zu überbrücken, so dass eine einheitliche Persönlichkeit in Erscheinung tritt; ferner wollen wir die Überbrückung der Kluft zwischen der Seele und der geistigen Dreiheit behandeln, wodurch ein freies Spiel des Bewusstseins und eine volle Identifizierung mit dem EINEN LEBEN zustande kommen kann, so dass das Gefühl der Absonderung verlorengeht und der Teil im Ganzen aufgeht; der Mensch verliert zwar nicht seine Identität, aber er identifiziert sich nicht mehr mit seinem (kleinen) Ich.

An dieser Stelle sollte ein interessanter Gesichtspunkt beachtet werden. Er ist der Schlüssel zur künftigen Entwicklung des Menschengeschlechtes. Die moderne Wissenschaft der Psychologie, die sich in den letzten 30 Jahren so bemerkenswert entwickelt hat, bereitet darauf vor. Die Studierenden sollten lernen, zwischen dem Sutratma und der Antahkarana, also zwischen dem Lebensfaden und dem Bewusstseinsfaden, zu unterscheiden. Der eine Faden ist das Fundament der Unsterblichkeit, und der andere ist die Grundlage der Fortdauer. Darin liegt ein feiner Unterschied für den Forscher. Der eine Faden (das Sutratma) belebt und verknüpft alle Formen zu einem zusammenarbeitenden Ganzen und verkörpert in sich den Willen und die Absicht der nach Ausdruck suchenden Wesenheit, sei es nun ein Mensch, ein Gott oder ein Kristall. Der andere Faden (die Antahkarana) verkörpert die Reaktion des Bewusstseins in der Form auf einen ständig grösser werdenden Kontaktbereich in dem es umgebenden Ganzen.

Das Sutratma ist der direkte Lebensstrom, ununterbrochen und unveränderlich; man kann es symbolisch als einen direkten Strom lebendiger Energie betrachten, der vom Zentrum zur Peripherie fliesst, von der Quelle [27] zur äusseren Ausdrucks- oder Erscheinungsform. Es ist das Leben. Es erzeugt den individuellen Werdegang und die Entwicklungsentfaltung aller Formen. Deshalb ist es der Pfad des Lebens, der von der Monade über die Seele zur Persönlichkeit führt. Es ist die «Fadenseele», die eine Einheit und unteilbar ist. Es ist der Stromleiter der Lebensenergie und findet seine unterste Verankerung im Mittelpunkt des menschlichen Herzens beziehungsweise bei allen anderen Formen göttlicher Wesensäusserung in irgendeinem Zentralpunkt. Es gibt und verbleibt nichts anderes als das Leben!

Der Bewusstseinsfaden (die Antahkarana) ist das Resultat der Vereinigung von Leben und Stoff oder der grundlegenden Energien, welche die erste Differenzierung in Zeit und Raum darstellen; das erschafft ein anderes, das als eine dritte göttliche Manifestation hervortritt, nachdem die Vereinigung der grundlegenden Zweiheiten stattgefunden hat. Es ist der Faden, der als Folge des Erscheinens von Leben in Formen auf der physischen Ebene gesponnen wird. Symbolisch könnte man wieder sagen, dass das Sutratma von oben herab wirkt und das Herabsteigen des Lebens in die äussere Manifestation ist. Die Antahkarana dagegen wird als Folge dieser primären Schöpfung gesponnen, entwickelt und geschaffen und wirkt von unten nach oben, von aussen nach innen, von der Welt der äusseren Erscheinungsformen in die Welt der subjektiven Wirklichkeiten und Sinngebung.