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3. Das Tierreich - Teil 3

Daher lautet die erste These, zu der die Öffentlichkeit erzogen werden muss, folgendermassen: Alle Seelen erscheinen wiederholt auf Erden und zwar nach dem Gesetz der Wiedergeburt. Daher ist jede Inkarnation nicht nur eine Wiederholung von Lebenserfahrungen, sondern auch eine Wiederaufnahme alter Verpflichtungen, die Wiederherstellung alter Beziehungen, eine günstige Gelegenheit, um alte Schulden abzutragen, eine Chance für Wiedergutmachung und Fortschritt, ein Erwecken tief schlummernder Qualitäten, das Wiedererkennen alter Freunde und Feinde, die Lösung für empörende Ungerechtigkeiten und die Erklärung für all das, was dem Menschen sein Gepräge gibt und ihn zu dem macht, was er ist. So ist das Gesetz, und es ist nun hohe Zeit, dass es überall und allgemein anerkannt wird; und wenn es von denkenden Menschen verstanden wird, dann wird dies viel zur Lösung des Sexual- und Eheproblems beitragen.

Wieso wird das viel helfen? Wenn das Gesetz als leitendes, dem Verstande einleuchtendes Prinzip angenommen wird, dann werden alle Menschen mit grösserem Bedacht den Lebenspfad wandeln und mit grösserer Vorsicht ihre Verpflichtungen gegenüber der Familie und Gruppe erfüllen. Man wird sich völlig klar werden, dass «was immer ein Mensch säet, das wird er auch ernten» und er wird es hier und jetzt ernten und nicht in irgend einem mystischen und mythischen Himmel oder einer Hölle; er wird seine Berichtigungsmassnahmen im täglichen Leben hier auf Erden zu treffen haben, das für [301] ihn ein hinreichender Himmel und eine noch angemessenere Hölle ist. Diese Doktrin der Wiedergeburt, ihre wissenschaftliche Anerkennung und Bestätigung verbreitet sich rasch und wird in den nächsten zehn Jahren viel Beachtung finden.

Die zweite grundlegende Forderung wurde von Christus ausgesprochen, als er uns sagte: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.» Dieser Forderung haben wir bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Wir haben uns selbst geliebt und waren bestrebt, diejenigen ins Herz zu schliessen, die wir gerne sehen. Doch allen Menschen Liebe zu schenken, weil unser Nächster wie wir selbst eine Seele ist, mit einem zu innerst vollkommenen Wesen und mit einer Bestimmung, die keine Begrenzung hat, - das hat man stets als einen wunderschönen Traum angesehen, der erst in einer so fernen Zukunft und in einem so erdenfernen Himmel verwirklicht werden wird, dass man heute darüber nicht nachzudenken braucht. 2000 Jahre sind vergangen, seit das grösste lebende Beispiel göttlicher Liebe über diese Erde wandelte und uns gebot, einander zu lieben. Und doch sind wir noch immer dabei, uns zu bekämpfen, zu hassen und unsere Kräfte für eigensüchtige Zwecke zu missbrauchen und mit unseren Körpern und unseren Passionen irdische Vergnügen zu suchen; sind doch unsere Lebensneigungen, was die Masse der Menschen angeht, in der Hauptsache auf Eigennutz eingestellt. Wer hat je darüber nachgedacht, wie die Welt heute aussehen würde, wenn der Mensch auf Christus gehört und sich bemüht hätte, sein Gebot zu erfüllen? Wir würden viele Krankheiten ausgerottet haben (denn die Krankheiten, die durch den Missbrauch der Sexualfunktionen auftreten, machen einen grossen Prozentsatz unserer Körperkrankheiten aus und verwüsten unsere moderne Zivilisation), wir würden Kriege unmöglich gemacht haben, wir würden die Kriminalität auf ein Minimum herabgedrückt haben, und unser modernes Leben wäre ein leuchtendes Beispiel dafür, wie die Göttlichkeit sich im Menschen manifestiert. Doch das ist noch nicht der Fall und deshalb haben wir in der Welt die heutigen Zustände.

Aber das neue Gesetz wird und muss verkündet werden; es kann in die Worte zusammengefasst werden: der Mensch soll sein Leben so einrichten, dass das Schuldbewusstsein daraus verschwindet. Dann kann aus seinen Gedanken, Handlungen und Worten kein Übel für die Gruppe erwachsen. Das bedeutet nicht bloss Enthaltung von Unrecht, Verletzung, Schädigung, kurz von allem Bösen, sondern eine positive Geisteshaltung und mühevolle Aktivität. Wenn die [302] vorher zitierten Worte Christi überallhin verbreitet und praktisch verwirklicht würden, könnte Ordnung aus dem Chaos erwachsen; die Liebe zur Gruppe würde die Selbstsucht verdrängen, religiöse Eintracht würde an die Stelle fanatischer Intoleranz treten und ein geordnetes Triebleben würde die Zügellosigkeit beseitigen.

Die beiden Gesetze, die ich bekanntgab, und die beiden Forderungen, die ich aufstellte, klingen gewiss alltäglich. Aber Gemeinplätze enthalten allgemein gültige und anerkannte Wahrheiten, und jede Wahrheit ist eine wissenschaftliche Aussage. Wenn diese beiden Erkenntnisse (das Gesetz der Wiedergeburt und das Gesetz der Liebe) das Leben beeinflussen und umgestalten würden, dann wäre das die Rettung für die Menschheit und unsere Zivilisation würde neu erstehen. Sie sind vermutlich zu einfach, um Interesse und Würdigung zu finden. Die Macht jedoch, die dahinter steht, ist die Macht der Gottheit selber. Die Anerkennung dieser beiden Gesetze ist nur eine Frage der Zeit, da die Evolution diese Anerkennung zu einer späteren Zeit erzwingen wird. Es liegt an den Jüngern und Denkern des gegenwärtigen Zeitalters, dass diese Gesetze eine baldige Anerkennung finden.

Das dritte Grundgesetz, das unsere modernen Probleme (einschliesslich der sexuellen Frage) lösen kann, ist eine natürliche Folgerung der beiden anderen. Es ist das Gesetz des Gruppenlebens. Unsere Gruppenbeziehungen müssen richtig verstanden und anerkannt werden. Der Mensch muss nicht nur mit liebendem Herzen seine Familien- und nationalen Verpflichtungen erfüllen, sondern er muss sein Denken auf die ganze Menschheit ausdehnen und so das Gesetz der Bruderschaft zum Ausdruck bringen. Brüderlichkeit ist eine Gruppenqualität. Die jungen Menschen, die sich jetzt inkarnieren, kommen in dieses Leben mit einem weitaus tieferen Verständnis für die Gruppe und mit einem höher entwickelten Gruppenbewusstsein, als es heute der Fall ist. Sie werden ihre Probleme, einschliesslich des Sexualproblems, lösen, indem sie sich, wenn schwierige Situationen auftreten, die Frage vorlegen: Wird meine Handlungsweise dem Wohl der Gruppe dienlich sein? Wird die Gemeinschaft verletzt werden oder darunter leiden, wenn ich dieses oder jenes tue? Wird mein Tun der Gruppe nützen und ihr Fortschritt bringen, wird es die Gruppe enger zusammenschliessen und zur Einheit beitragen? Alle Handlungsweisen, welche diesen Gruppenanforderungen nicht entsprechen, werden dann von selbst aufgegeben werden. Wenn es darum geht, Probleme zu entscheiden, wird der einzelne und seine engere Gruppe langsam lernen, das persönliche [303] Wohlergehen und die persönliche Freude der grossen Gruppe und ihren Erfordernissen und Bedürfnissen unterzuordnen. Man kann daraus ersehen, auf welche Weise auch die Sexualfrage gelöst werden wird. Ein Verstehen des Gesetzes der Wiedergeburt, guter Wille gegenüber allen Menschen, der sich in der Enthaltung von Schädigung bekundet und die Sehnsucht nach gutem Willen für die ganze Welt, - das werden die entscheidenden Faktoren sein, die sich allmählich im Bewusstsein der Menschheit festsetzen werden, und unsere Zivilisation wird sich mit der Zeit diesen neuen Umständen anpassen.

Die letzte Forderung, die ich betonen möchte, besagt, dass die Einhaltung dieser drei Gesetze mit Naturnotwendigkeit ein aufrichtiges Verlangen nach sich ziehen wird, die jeweiligen Landesgesetze, unter denen ein Mensch ins Leben trat, zu befolgen. Ich weiss genau, dass die von Menschen erdachten Gesetze unzulänglich sind, man braucht das kaum zu betonen. Sie mögen den Bedürfnissen nur unzureichend entsprechen und zeitgebunden sein. Sie mögen eine nur begrenzte Wirkung haben und sich als verbesserungsbedürftig erweisen, doch schützen sie bis zu einem gewissen Grad die kleinen und schwachen Leute und werden daher als bindend für jene betrachtet, die sich bemühen, der Menschheit zu helfen. Diese Gesetze werden geändert werden und zwar in dem Mass, wie sich die drei grossen Gesetze durchsetzen. Bis dahin (und das wird eine Weile dauern) wirken sie als Bremse für Zügellosigkeit und Egoismus. Sie mögen auch Härten mit sich bringen, das kann niemand in Abrede stellen. Doch sind die Nachteile, die sie mit sich bringen, nicht so schlimm und nachhaltig wie eine Zeit der Gesetzlosigkeit, die folgen würde, wenn man die Gesetze aufheben wollte. Daher lebt ein Diener der Menschheit nach den Gesetzen seines Landes, und arbeitet gleichzeitig an der Ausmerzung von Ungerechtigkeiten, die vielleicht noch bestehen sowie an der Verbesserung der Gesetzgebung für die Menschen seines Landes.

In der Anerkennung dieser vier Gesetze (der Wiedergeburt, der Liebe, der Gruppe und des jeweiligen Landes) liegt die Errettung der Menschheit.

4. Die Sexualfrage im Leben des Jüngers.

Ich möchte [304] noch etwas über das Thema der Sexualität im Leben des Jüngers sagen. In den Köpfen von Aspiranten herrscht viel Verwirrung über diese Sache. Hat doch die Betonung des Zölibats fast den Charakter einer religiösen Doktrin angenommen. Man hört oft Menschen, die es an sich gut meinen, denen aber die Logik fehlt, sagen, dass ein Jünger nicht heiraten könne und dass er in spirituellen Dingen nichts erreicht, wenn er nicht Junggeselle und enthaltsam bleibt. Diese Theorie hat ihre Wurzel in zwei Tatsachen:

Erstens gab es im Osten seit jeher eine falsche Einstellung der Frau gegenüber. Zweitens kam im Westen seit den Tagen Christi die Tendenz auf, ein klösterliches- und Ordensleben als spirituelles Leben zu betrachten. Diese beiden Einstellungen enthalten zwei falsche Auffassungen, welche die Ursache so vieler Missverständnisse und Übel sind. Ein Mann ist nicht wertvoller als eine Frau, und eine Frau ist nicht besser als ein Mann. Trotzdem halten viele Tausende die Frau für eine Verkörperung der Sünde und eine Quelle der Versuchung. Gott aber hat seit der Erschaffung des Menschen bestimmt, dass sich Mann und Frau in ihren gegenseitigen Bedürfnissen beistehen und ergänzen sollen. Gott hat nicht angeordnet, dass die Männer wie eine Herde zusammen leben sollen, abgesondert von Frauen oder die Frauen getrennt von den Männern; diese beiden grossen Isolierungen haben zu viel sexuellem Missbrauch und vielem Leid geführt.

Die Annahme, dass jemand, der ein Jünger sein will, ein eheloses Leben führen und sich aller natürlichen Funktionen enthalten müsse, ist weder korrekt noch erwünscht. Das kann leicht bewiesen werden, wenn man zwei Punkte anerkennt:

Erstens, wenn die Gottheit eine unleugbare Tatsache und allmächtig, allgegenwärtig und allwissend ist und wenn der Mensch ein Wesen göttlichen Ursprungs ist, dann kann es keinen Zustand geben, in dem die Göttlichkeit nicht die erste Stelle einnähme. Es kann demnach keinen Bereich menschlicher Tätigkeit geben, in dem nicht ein Mensch im Sinne Gottes handeln könnte und in welchem (305) nicht alle Funktionen durch das Licht der reinen Vernunft und der göttlichen Intelligenz erhellt werden könnten. Ich gehe hier nicht auf das abwegige Scheinargument ein, dass alles, was klar denkende Menschen im Prinzip als falsch betrachten, als richtig zu stempeln sei, weil dem Menschen Göttlichkeit eingeboren ist. Das ist nur eine billige Entschuldigung für falsches Tun. Ich spreche von Sexualbeziehungen rechter Art, die mit dem spirituellen Gesetz und den Landesgesetzen in Einklang stehen.

Zweitens ist ein Menschenleben nicht vollständig, sondern eingeschränkt, gehemmt und abnorm, wenn nicht alle Funktionen seiner Natur - der tierischen, menschlichen und göttlichen - (und alle drei Naturen sind hier in einem Körper) ausgeübt werden. Dass nicht jeder heutzutage heiraten kann, ist wahr, doch diese Tatsache kann nicht den wichtigeren Faktor in Abrede stellen, dass Gott den Menschen zur Ehe schuf. Dass nicht ein jeder heute in einer Position ist, in der er ein normales und vollwertiges Leben führen kann, ist gleichfalls eine Folge unserer derzeitigen abnormen wirtschaftlichen Verhältnisse; doch das ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Zustand naturwidrig ist. Ebenso ist es falsch, unnatürlich und unerwünscht, eine erzwungene Ehelosigkeit als Anzeichen einer tiefen Vergeistigung und als notwendiges Erfordernis für jegliche esoterische und spirituelle Praxis anzusehen. Für einen Jünger und Eingeweihten gibt es keine bessere Schulungsstätte als das Familienleben mit seinen zwingenden Verpflichtungen und vielerlei Umstellungen und Anpassungen, mit der Beanspruchung von Opfern und Dienstleistungen und den vielerlei Möglichkeiten, alle Register der menschlichen Natur spielen zu lassen. Kein grösserer Dienst kann der Menschheit geleistet werden, als den ins Leben tretenden Seelen physische Körper anzubieten und ihnen Pflege- und Erziehungsmöglichkeiten im Rahmen des häuslichen Herdes zur Verfügung zu stellen. Die Ehesituation und das ganze Problem des Familienlebens samt der Aufziehung von Kindern ist verfälscht und unrichtig verstanden worden; es wird lange dauern, bis Ehe und Kindersegen zum richtigen Sakrament werden, und es wird eine noch längere Zeit erfordern, bis die Schmerzen und Leiden, die unsere Fehler und [306] Missbräuche der sexuellen Beziehungen nach sich zogen, verschwunden sind und bis die gegenwärtige falsche Gedankenrichtung durch die Schönheit und Heiligung der Ehe als Wegbereitung für inkarnierende Seelen ersetzt werden wird.

Der Jünger und Aspirant auf dem Schulungspfad und der Eingeweihte auf seinem «erhellten Wege» haben keine bessere Schulungsgrundlage als die ehelichen Beziehungen, wenn sie richtig genutzt und verstanden werden. Das Familienleben stellt die Forderung, die tierische Natur in Rhythmus und Zucht zu halten, die Gefühls- und Instinktnatur auf den Opferaltar emporzuheben und Entsagung zu üben; all das sind wirkungsvolle Mittel zur Läuterung und Höherentwicklung. Das Zölibat besteht darin, der höheren Natur den Vorrang vor der niederen zu geben; der geistig eingestellte Mensch soll von seiner Persönlichkeit und den Lockungen des Fleisches nicht beherrscht werden. Eine erzwungene Ehelosigkeit und Einschränkung seiner Körperfunktionen hat manchen Jünger dahin gebracht, seine gottgegebenen Funktionen und Fähigkeiten zu entwürdigen und zu missbrauchen; und selbst da, wo es diese betrüblichen Zustände nicht gab und das Leben der Betreffenden gesund, geweiht und ohne Tadel verlief, wurden viele in unverdientes Leid, in seelische Trübsal und harte Disziplin verwickelt, bis die aufrührerischen Gedanken und Neigungen gemeistert wurden.

Es ist natürlich richtig, dass manchmal ein Mensch in ein bestimmtes Leben beordert wird, in dem er sich dem Problem der Ehelosigkeit gegenübergestellt sieht und gezwungen ist, sich aller körperlichen Beziehungen zu enthalten und ein vollkommen keusches Leben zu führen, um sich selbst den Beweis zu erbringen, dass er seine tierische und Instinktnatur bezwingen kann. Aber diese Situation ist gewöhnlich das Resultat von Masslosigkeit und Zügellosigkeit in einem früheren Leben; das machte harte Massnahmen und aussergewöhnliche Bedingungen notwendig, um Fehler vergangener Zeiten auszugleichen und zu berichtigen und um der niederen Natur Zeit zu geben, sich wieder umzustellen. Ich wiederhole aber, dass das kein Anzeichen einer spirituellen Entwicklung, sondern das genaue Gegenteil ist. Man beachte bitte, dass ich hier den besonderen Fall des selbst auferlegten Zölibats im Auge habe und nicht an die weltweiten Zustände denke, die aus wirtschaftlichen und anderen [307] Gründen Männer und Frauen zwingen, einem natürlichen und uneingeschränkten Leben zu entsagen.

Das sexuelle Problem muss seine letzte Lösung im Heim und unter normalen Bedingungen finden; es liegt an den fortgeschrittenen Menschen in der Welt und an den Jüngern aller Grade, das Problem auf diese Weise zu lösen.