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I. Der zunehmende Einfluss der Seele - Teil 1

Ehe ich unser [3] Thema aufnehme, dessen Fortsetzung ich am Schluss des ersten Bandes kurz angedeutet habe, möchte ich etwas über die Symbolik sagen, die wir heranziehen, wenn wir darüber sprechen, wie das Ego und die Persönlichkeit gesteuert und geleitet werden. Alles, was ich in diesem Zusammenhang darlegen werde, ist nur ein Versuch, etwas zu definieren und begreiflich zu machen, was in Wirklichkeit unbegreiflich und so undefinierbar und schwer verständlich ist, dass, wenn wir Worte wie «Energie» oder «Kraft» benützen, solche Begriffe doch keine richtige Vorstellung geben. Wir müssen uns daher bei der Lektüre und beim Studium dieser Abhandlung über Psychologie stets vor Augen halten, dass wir uns einer symbolischen Sprache bedienen. Das kann nicht anders sein, denn wir befassen uns damit, wie in Zeit und Raum Gottnatur zum Ausdruck gebracht wird. Solange sich der Mensch seiner Göttlichkeit noch nicht vollumfänglich bewusst ist und er sie noch nicht überzeugend dartun kann, steht uns nur die Bilder- und Gleichnissprache mit ihrer symbolisch verhüllten Absicht zur Verfügung. Mystische Erkenntniskraft und die Weisheit Erleuchteter müssen mithelfen, die Symbolsprache verständlich zu machen. Man sagt oft so leichthin, - ohne richtig zu verstehen, was die herangezogenen Worte wirklich besagen - dass es sich um Kraftströme und Energien handle. Diese strömen in zyklischer Folge, wirken auf andere Energien und Kräfte ein, vermischen sich und bringen aus Materie und Grundsubstanzen jene Formen hervor, welche die äussere Erscheinung darstellen. Diese Formen entfalten und manifestieren die Qualität der grossen, allesumfassenden Lebensträger und die Wesensart jenes grossen Lebens-Zentrums, in [4] dem der ganze Planet «lebt, sich bewegt und sein Dasein hat».

Das Bewusstsein des Menschen steigert und erweitert sich in jedem neuen Leben, mit jedem neuen Dasein. Er sieht und erkennt, dass seine Inkarnationszeiten ein Kräftespiel all dieser vielen Energien sind, deren Wille es ist, sich schöpferisch zu betätigen und sichtbar in Erscheinung zu treten. Wenn man sich mit diesen Energien und Kraftströmen befasst, kann man deren Erscheinung, Qualität und Zweck unmöglich anders als in symbolischer Form schildern. Man muss sich daher die folgenden Punkte vor Augen halten:

1. Das Persönlichkeitsbewusstsein ist das Bewusstsein des dritten Aspekts der Göttlichkeit, des schöpferischen Aspekts. Dieser schafft durch das Medium von Materie und Substanz Formen, durch welche die Qualität zum Ausdruck kommen und so in der körperlichen Welt das Wesen der Göttlichkeit sichtbar werden kann.

2. Das Bewusstsein des Ego ist das Bewusstsein des zweiten Aspekts der Göttlichkeit, des Seelenaspekts. Die Seele bekundet sich als Qualität und bestimmt die innere «Färbung» der äusseren Erscheinung. Letztere ist begreiflicherweise verschieden, je nachdem wie die Seele in der jeweiligen Form ihr materielles Gefäss zu meistern versteht und imstande ist, mitgegebene Qualität durch ein äusseres Formgebilde zu dokumentieren.

3. Das Bewusstsein der Monade ist das des ersten Aspekts der Göttlichkeit. Es verkörpert die zielbewusste Absicht des göttlichen Lebens und bedient sich der Seele als Mittel, um die essentielle Absicht Gottes zutage treten zu lassen. Eben das bestimmt die Qualität. Die Seele verkörpert die Absicht und den Willen Gottes, indem sie sich durch sieben Aspekte manifestiert. Die Monade dient demselben Ziel, jedoch ist es hier das harmonische Endziel, wie es in Gottes Denken lebt. Das ist eine Wortfolge, die dem Durchschnittsdenker praktisch gar nichts besagt.

Wenn der Mensch hier auf Erden diese drei Ausdrucksmittel der [5] Einen Grossen Lebensquelle erkennt, beginnt er sich auf den sichtbar werdenden Plan der Gottheit bewusst einzustellen, und so erweist sich der ganze Schöpfungsprozess als die Verwirklichung der Absicht Gottes.

Wenn der Mensch den dritten Aspekt bewusst erfasst hat, erlangt er zuerst Kenntnisse über Materie, Substanz und schöpferische Tätigkeit in der Aussenwelt. Sodann erkennt er nach und nach die zugrundeliegenden Qualitäten, die durch die Form offenbar werden sollen und er identifiziert sich mit dem Ego, der Seele oder dem Sonnenengel, den er als sein wahres Selbst, den wahrhaft spirituellen Menschen erkennt. Später lernt er den Zweck verstehen, der sich durch das Medium der Qualitäten auswirkt, welche die Form als Ausdrucksmittel benützen. Die obigen Ausführungen sind nur eine Zusammenfassung des früher Gesagten; der Themenbereich verlangt jedoch eine völlige gedankliche Klärung. Bei eingehender Betrachtung und weiterem Studium wird uns klar werden, dass dieser stufenweise Erkenntnisweg ursächlich mit der Manifestierung durch das Mittel von Formen zusammenhängt, und dass dahinter die Qualitäten und Absichten aus Gottes Gedankenwelt wirken. Wer die «Abhandlung über Kosmisches Feuer», die als spezielles Thema den Schöpfungsprozess und das Erscheinen von Formen behandelt, studiert hat, wird diesen Hinweis gewiss verstehen. Es dreht sich demnach alles um die Frage, wie jenes grosse Leben, das wir in Ermangelung eines besseren Wortes «Gott» nennen, seinem Wesen in der äusseren Welt sichtbaren Ausdruck verleiht. Was unser Universum angeht, so müssen wir uns darüber klar sein (so weit dies ein Mensch höchsten Bewusstseinsgrades bis jetzt zu fassen vermag), dass es sich auf den sieben Unterebenen der kosmisch-physischen Ebene befindet und dass daher die höchste Energieart, die für uns Geist in reinster Potenz bedeutet, nur jene Kraft ist, wie sie sich auf der ersten Unterebene der kosmisch-physischen Ebene manifestiert. Wir befassen uns also - vom Standpunkt des Bewusstseins aus gesehen - mit einer Art von Gehirnreaktion und einem Eingehen auf kosmische Absichten, - einer Gehirnreaktion (wenn [6] man es symbolisch so ausdrücken darf) von Gott selbst.

Was den Menschen als Mikrokosmos anbetrifft, so ist der Zweck der Entwicklung des vierten Naturreiches der, ihn zu befähigen, in Zeit und Raum als Seele zu wirken und sich auf die Absicht der Seele und den Plan des Schöpfers einzustellen, den die sieben planetarischen Logoi, die «Sieben Geister vor seinem Thron» kennen und enthüllen. Wir können hier nur ein grosses Mysterium andeuten. Was die grössten Gottessöhne in unserem Planetenkreis davon erfassen mögen, ist nur eine Teilerkenntnis der Absicht und des Planes des Sonnen-Logos, soweit nämlich ein einzelner Planeten-Logos es begreifen, fassen und zum Ausdruck bringen kann. Denn auch ein Planeten-Logos ist an dem Platz seines Wirkens und für die Dauer seiner Amtszeit - gemäss seiner besonderen Entwicklungsstufe - gewissen Bedingungen und Begrenzungen unterworfen. Nur ein Siebtel des sich entwickelnden Gesamtplanes wirkt sich durch den Logos unseres Planeten aus. Weil aber dieses grosse Wesen nicht zu den sieben geheiligten Lebensträgern zählt und sich deshalb nicht durch einen der sieben geheiligten Planeten auswirken kann, stellt der Plan, wie er sich auf diesem unserem Planeten entfaltet, nur die eine Seite einer doppelten Zweckerfüllung dar. Erst wenn ein anderer, nicht-geheiligter Planet seine Vollendung erreicht hat, kann der ganze Plan, wie er für die Erde festgelegt ist, verwirklicht werden. Das mag nicht leicht zu verstehen. sein. Nur Eingeweihte, so sagt man, sind imstande, einen Bruchteil der Behauptung zu erfassen, dass «Die Zwei eins werden und gemeinsam Göttlichkeit zum Ausdruck bringen sollen».

Für die heutige Menschheit ist es wichtig und notwendig, sich bewusst und immer stärker auf das Evolutionsgeschehen einzustellen und den Plan der Entwicklung Stück um Stück zu erfassen. Das wird den Menschen instand setzen

a. bewusst und mit vollen Verstandeskräften tätig zu sein;

b. die Beziehung von Form und Qualität zum Urkern des Lebens zu erfassen;

c. jene innere Umwandlung zu vollziehen, die das Erscheinen des (7) fünften Naturreiches, des Reiches der Seelen, bewirken wird.

All dies muss durch bewusstes Erfassen oder innere Resonanz bewerkstelligt werden. Die sich ständig verfeinernden Bewusstseinsträger oder Resonanzapparate bilden das Gerüst hierfür und geistiges Verstehen und richtige Auslegung tun das übrige.

Fragen von grösserem Umfang, z.B. wie Gottes Bewusstsein sich in den drei untermenschlichen Reichen am Werk zeigt, wollen wir in unser Thema nicht hineinziehen. Wir werden uns lediglich mit drei Gesichtspunkten beschäftigen:

1. Mit dem ausgesprochen menschlichen Bewusstsein, das mit der Individuation (Übergang aus dem Tierreich ins Menschenreich) seinen Anfang nimmt und seinen Höhepunkt in der Vollaktion der Persönlichkeit findet.

2. Mit dem Bewusstsein des Ego - dem Bewusstsein des Sonnenengels. Die Vorbereitung zur Einweihung und Jüngerschaft ist die Anfangsstufe, der vollendete Meister das Endstadium.

3. Mit der Erkenntnis des Bewusstseins der Monade. Dieser Satz ist für uns völlig nichtssagend, denn er bezieht sich auf das Bewusstsein des Logos unseres Planeten. Erst bei der dritten Einweihung beginnt diese Erkenntnis zu dämmern. Dann beherrscht das monadische Bewusstsein die Seele und betätigt sich durch die Persönlichkeit.

Der Mensch, als Durchschnittsgeschöpf, besteht aus einer Unsumme separatistischer Tendenzen, aus unbeherrschten Kräften und ungeeinten Energien. Langsam und stufenweise beginnen diese sich im Gefüge der uneinigen Persönlichkeit zu ordnen, einander zu nähern und ineinander aufzugehen.

Der Mensch, gesehen als Sonnenengel, besteht aus geeinten, harmonisch verbundenen Energien und Kräften, die von dem «Streben nach Harmonie» gesteuert sind. Letzteres ist die Wirkung des Liebesprinzips und die höchste Qualität der Gottnatur.

Der Mensch, gesehen als lebende Monade, personifiziert die verhüllte [8] Wirklichkeit. Er stellt das dar, was der «Engel der göttlichen Gegenwart» als sein Geheimnis in sich trägt. Er vereint in sich Gottes Absichten und Ziele, wie sie durch enthüllte göttliche Qualitäten symbolisch aufgezeigt und durch Formen manifestiert werden. Hier tritt erneut die uralte Dreiheit: Erscheinung, Qualität, Leben vor uns, die wir bildlich so betrachten können:

1. Der Mensch der Engel, die göttliche Gegenwart.

2. Die Wurzel, die Lotosblume, der Duft.

3. Der Busch, das Feuer, die Flamme.

Die Evolution - ein Teil des göttlichen Entschlusses, durch Erscheinungsformen Göttlichkeit zum Ausdruck zu bringen - hat notwendigerweise die Aufgabe, zu enthüllen; und dieses Offenbarwerden, das sich beim Menschen als seelische Entfaltung auswirkt, umfasst drei Stufen:

1. Individuation: (Menschwerdung), Persönlichkeit.

2. Initiation: (Einweihung), Ego.

3. Identifikation: (Einswerdung), Monade.

1. Die drei Stadien, in denen der Einfluss der Seele zunimmt

Wir müssen die folgenden Feststellungen gut im Gedächtnis behalten. Was wir «Persönlichkeit» nennen, ist eine Kombination von drei Kräften, die den vierten Aspekt der Persönlichkeit - den physischen Körper - beeindrucken und absolut beherrschen. Die drei Energiearten der Persönlichkeit sind der Ätherkörper (der Träger der Lebensenergie), der Astralkörper (der Träger des Empfindungsvermögens und der Gefühlskräfte) und der Mentalkörper (der Träger der Denk- und Willenskraft); letzterer soll der beherrschende, schöpferische Aspekt werden. Auf diese Tatsache, die der Wahrheit entspricht, hat die Christliche Wissenschaft («Christian-Science») besonderes Gewicht gelegt. Die genannten Kraftgruppen machen den niederen Menschen aus. Der Sonnenengel besteht aus zwei vereinten Energien, nämlich aus der Energie der Liebe und der des Willens oder der zielbewussten Absicht; und das sind die beiden Qualitäten des Lebensfadens. Wenn diese beiden die dritte Energie - die des Denkvermögens - beherrschen, dann bringen sie den vollkommenen Menschen hervor. Diese Qualitäten geben die Erklärung für die [9] Probleme des Menschseins; sie geben die Richtung und das Ziel an, das dem Menschen bevorsteht; sie sind die Ursache und Erklärung für die Macht der Illusion und sie weisen auf den Weg seelischer Entfaltung hin, der den Menschen (aus der Dreiheit und Differenzierung) über die Zweiheit zur Einheit führt.

Diese Wahrheiten haben praktische Bedeutung, und daher wird heute von Esoterikern so viel Gewicht darauf gelegt, dass man den Plan Gottes erfassen müsse; aus dem gleichen Grunde arbeiten Psychologen und Seelenforscher daran, den Menschen besser zu verstehen, und hieraus erklärt sich auch die Aufstellung verschiedener Grundstrukturen der menschlichen Natur, wonach der Mensch gewissermassen in seine Bestandteile zerlegt wird. Die Erkenntnis bricht sich immer mehr Bahn, dass gerade die Qualität des Menschen seinen äusseren Standort auf dem Entwicklungsweg bestimmt. Die krass-materialistische Richtung der modernen Psychologie ist der irrtümlichen Ansicht, dass des Menschen Seelenqualität von seinem Körpersystem abhänge. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall.

Jünger haben das Problem zu lösen, die Zweiheit «Liebe und Willen» durch ihre Persönlichkeit zu bekunden. Diese Behauptung ist wahr und zeigt dem Jünger sein Ziel. Ein Eingeweihter verfolgt das Ziel, den Willen Gottes durch hochentwickelte Liebe und weise Intelligenz zu erfüllen. Diese einleitenden Bemerkungen bilden die Grundlage für die Definition der drei Stadien des zunehmenden egoischen Einflusses.

Was ist nun Individuation vom Standpunkt seelischer Entwicklung eines Menschen? Individuation oder Menschwerdung ist die Zusammenziehung oder Zentralisierung des untersten Seelenaspekts, nämlich der schöpferischen Intelligenz, damit sie sich durch die Formnatur zum Ausdruck bringen kann. Am Ende der Entwicklung wird dieser Aspekt als erster Aspekt der Göttlichkeit voll zur Auswirkung kommen. Menschwerdung heisst, dass die spezifische Qualität des Sonnenengels dadurch in Erscheinung tritt, dass er sich [10] Körperhüllen aneignet, die also seine Erscheinungsform ausmachen. Menschwerdung ist das erste, zwangsweise Hereinbringen einer nutzbar gemachten, gelenkten Energie in das dreifache Kraftaggregat, das wir des Menschen Formnatur nennen. So erscheint der Einzelmensch auf der Lebensbühne und tritt seinen Weg an, auf dem er seine Natur zu harmonischer Zusammenarbeit und zu voller Wesensäusserung bringen soll. Die ihrer selbst bewusste Wesenheit kommt in physische Inkarnation. Der Schauspieler tritt auf und macht sich bereit, seine Rolle zu studieren; es ist sein erstes Auftreten, und er bereitet sich für den Tag vor, an dem er seine Persönlichkeit in voller Entwicklung aufzeigen kann. Die Seele schlüpft auf der untersten Ebene in einen dichten Formkörper. Das niedere, persönliche Selbst beginnt nun jenen Abschnitt seiner Laufbahn, der durch Selbstsucht gekennzeichnet ist; das Endresultat wird aber äusserste Selbstlosigkeit sein. Dann beginnt der Mensch - dieses separatistische Wesen - sich für den Gruppengedanken reif zu machen. Ein Gott wandelt nun auf Erden, verborgen in eines Körpers Hülle, verdeckt durch die Wunschnatur und verschleiert durch unbeständiges Denkvermögen. Eine Zeitlang ist er eine Beute täuschender Sinneseindrücke und hat eine Mentalität, die zuerst nur Hindernisse schafft und ihn einengt, ihm dann aber freies, erlösendes Denken bringt.

In der Geheimlehre und in der Abhandlung über Kosmisches Feuer ist viel über das Thema der Individuation geschrieben worden. Man kann diesen Prozess am einfachsten dahingehend definieren, dass man sagt: Es ist ein Vorgang, durch den Lebensformen des vierten Naturreiches

1. sich ihrer Individualität dadurch bewusst werden, dass sie mittels ihrer Sinnesorgane Erfahrungen sammeln;

2. ihre Individualität dadurch geltend machen, dass sie scharfsinnig denken und urteilen;

3. schliesslich ihre Individualität aufgeben und in der Gruppe aufgehen.

Die Massen sind heute dabei, sich ihrer selbst bewusst zu werden und ein Verständnis und Gefühl für eine intakte und vervollständigte Persönlichkeit oder für Ganzheit zu bekommen. Das wird ein erhöhtes Gefühl des eigenen Wertes nach sich ziehen - eine erste Geste der Göttlichkeit. An sich ist dies nicht zu beanstanden, wenn auch dadurch unmittelbare Verwicklungen im Weltbewusstsein und in den Lebensverhältnissen entstehen. Deshalb bedürfen die Jünger in allen Nationen unmittelbarer Führung; sie müssen in richtiger Aspiration geschult [11] und sodann für Einweihungen vorbereitet werden. Es sollte heute Aufgabe intelligenter Eltern und weiser Jugenderzieher sein, jene verständnisvollen Menschen in das Arbeitsfeld der Welt zu schicken, die bereit sind, bei allen Gegenwartsproblemen für jedermanns Recht auf eigene Entscheidung einzutreten. Die Neigung der Massen, Nachrichten ohne Kritik hinzunehmen und die ihnen auferlegten Einschränkungen prompt auf sich zu nehmen, ohne die Hintergründe richtig zu begreifen - woraus sich die blinde Gefolgschaft für ihre Führer erklärt - kann nur dann ein Ende nehmen, wenn man in verständnisvoller Weise in jedem Menschen das Gefühl des eigenen Wertes nährt und ihn darin bestärkt, seine eigenen Ideen geltend zu machen. Eine der fundamentalen Ideen, die das Verhalten eines jeden Menschen bestimmt, ist das Verlangen nach Frieden und Harmonie. Beide sind vonnöten, damit der Mensch sein Schicksal gestalten und erfüllen kann. Daran glaubt die ganze Menschheit fest und unerschütterlich. Sobald die ersten Anzeichen von Selbstgefühl unter den Massen sichtbar werden, muss diese Entwicklung in die Bahn des Friedens und der Harmonie gelenkt werden, denn dies ist der Weg des geringsten Widerstandes. Die Folge davon wird dann die Ausmerzung der Kriege und die Schaffung jener Friedensfaktoren sein, die eine systematische und bedachtsam geförderte Entwicklung ermöglichen werden. Auf Grund einer solchen Entwicklung traten Diktatoren auf und kamen zu Wissen und Macht. Ihr Erscheinen ist ein Beispiel für die Wirksamkeit göttlicher Wesenszüge oder Merkmale, wenn ihnen als Auswirkung des Evolutionsprozesses ein gewisser Spielraum eingeräumt wird. Ein Diktator bringt manche latente Kräfte und göttliche Werdemöglichkeiten zum Ausdruck; aber er wird eines Tages ein Anachronismus sein. Wenn nämlich sehr viele Menschen das Stadium individuellen Selbstbewusstseins und eigener Machtfülle erreicht haben und ihre Kräfte und Anlagen zur vollen Geltung bringen können, bleibt im Denken dieser vielen Menschen kein Raum mehr für eine Diktatur. Heute personifiziert ein Diktator das Ziel des niederen Selbstes, der Persönlichkeit.

Ehe jedoch die Hauptmasse der Menschen [12] ohne Schaden Selbstsicherheit und ein Gefühl des eigenen Wertes erlangen kann, müssen vorerst in grösserer Anzahl jene Persönlichkeiten auftreten, die dieses Stadium bereits hinter sich gelassen haben; zu diesen müssen sich dann noch solche Fortgeschrittene gesellen, die Wissen besitzen, lehren und als lebendiges Beispiel dienen können. Dann können die vielen Angehörigen der denkenden Klasse bewusst und nach eigener Einsicht sich mit den Zielen der Gruppe identifizieren und ihre Einzelexistenz in organisierter Gruppentätigkeit und harmonischer Zusammenarbeit aufgehen lassen. Das ist die Hauptaufgabe der Neuen Gruppe der Weltdiener, eine Aufgabe, die auch für alle Weltjünger heute erstrebenswert sein sollte. Diese Schulungsarbeit vom Einzelnen zum Gruppendienst muss in dreifacher Weise durchgeführt werden:

1. Der einzelne soll durch grösseres Verstehen, durch Dienstleistung und Opferfreudigkeit, persönliche Erfahrungen sammeln, und er soll sich eine innere Übereinstimmung mit der Gruppe auferlegen. Dieser Weg kann sich sehr wohl als nutzbringendes, selbstgewähltes Experiment auswirken.

2. Die Massen sollen in den Prinzipien der Gruppentätigkeit unterrichtet werden, und die öffentliche Meinung soll durch diese klaren Gedanken genährt und gestärkt werden.

3. Möglichst viele Mitglieder der Neuen Gruppe der Weltdiener sollen für die grosse Bewusstseinssteigerung, Einweihung genannt, vorbereitet werden.

Was verstehen wir nun unter «Einweihung»? Es gibt zwei Definitionen. Erstens ist sie (und das ist der wesentlichste Punkt) eine Erweiterung des menschlichen Bewusstseins, wodurch der Eintritt in eine neue und weiter-dimensionierte Welt ermöglicht wird. Ein Eingeweihter kann alles das in seinen Bewusstseinsbereich einbeziehen, was er bisher ausschloss, und was er normalerweise im Denken und Handeln beiseite setzte. Zweitens ist eine Einweihung ein Einströmen von Energien, die für die Seele, und nur für die Seele charakteristisch sind: Kraftströme verstehender Liebe und geistigen Willens. Es sind dies jene Triebkräfte, von denen alle befreiten Seelen angetrieben werden und erfüllt sind. Die beiden Phasen des Hereinströmens dieser Energien und des Durchdrungenseins von ihnen sollten ein gleichzeitiger und einheitlicher Vorgang sein, was von allergrösster Bedeutung ist. Wenn sie nacheinander oder in ständigem Wechsel erfolgen, so weist dies auf einen Zustand ungleicher und unausgeglichener Entfaltung des Kandidaten hin. Oft besteht [13] ein Fortschritt nur in der Theorie. Die Tatsachen des Einweihungsprozesses sind lediglich gedanklich erfasst, aber es fehlt an der erforderlichen praktischen Erprobung im tätigen Leben und an der psychologischen Einbeziehung der äusseren Lebensvorgänge. Darin liegt eine grosse Gefahr, und es ist die Ursache grosser Zeitverluste und Schwierigkeiten. Die geistige Fassungskraft eines Menschen ist oft viel stärker entwickelt als seine Kraft, das Wissen in die Tat umzusetzen. Daher sehen wir so viele deutliche Misserfolge und schwierige Situationen, die das ganze Thema der Einweihung in Verruf gebracht haben. Viele Menschen werden als Eingeweihte angesehen, die lediglich danach streben, eingeweiht zu werden. Sie sind jedoch noch keine wirklich «Eingeweihten». Es sind jene gutmeinenden Menschen, deren gedankliches Verstehen grösser ist als die Kraft ihrer Persönlichkeit, ihr Wissen in die Praxis umzusetzen. Sie kommen mit Kräften in Berührung, die sie noch nicht handhaben und lenken können. Sie haben sich wohl ein gut' Teil innerer Kontakte, die man haben muss, erarbeitet, aber sie haben ihre niedere Natur noch nicht in die richtige Form gezwungen. Sie sind daher ausserstande, das zum Ausdruck zu bringen, was sie in ihrem Inneren verstehen und bis zu einem gewissen Grad erkennen. Es sind jene Jünger, die zu viel und zu früh reden und alles auf ihr Ich beziehen. Sie zeigen der Welt ein Ideal auf, dem sie auch tatsächlich zustreben, aber sie können es noch nicht wahr machen, da ihre geistige Ausrüstung unzulänglich ist. Sie stellen ihre Überzeugungen als fertige Tatsachen hin und verursachen dadurch in den Reihen der Kleinen viel Straucheln. Doch dessenungeachtet arbeiten sie auf das Ziel hin. Sie sind in gedanklicher Hinsicht mit dem Ideal und dem Plan vertraut. Sie wissen um Kräfte und Energien, die den meisten Menschen völlig unbekannt sind. Ihr einziger Fehler ist, dass sie sich in der Zeit irren; sie behaupten - vorzeitig - etwas von sich, was sie erst später sein werden.

Wenn alles für eine Einweihung reif ist, dann beginnen zwei [14] grosse Energiegruppen zu verschmelzen und sich zu vereinen: die der dreifältigen integrierten Persönlichkeit und die der Seele oder des Sonnenengels. Die Energie der Seele bekommt die Vorherrschaft und leitet und überwacht nun die niederen Kraftarten. Dem Strahl der Seele entsprechend wird auch der menschliche Körper sein, in dem sich diese Seelenkontrolle bemerkbar macht. Dieser Punkt wird später ausführlich behandelt werden und zwar in dem Abschnitt über die Strahlen, die ja die verschiedenen Körper - den mentalen, emotionalen und physischen Körper beherrschen. Nur sehr wenig mag sich die Herrschaft des Sonnenengels bemerkbar machen, wenn die erste Einweihung vollzogen ist; daran sollte man denken. Diese Einweihung besagt nur, dass die Keimzelle für ein Seelenleben belebt wurde und der innere spirituelle Körper - die Hülle des inneren spirituellen Menschen - in Funktion kam. Bei der dritten Einweihung wird diese «Hülle» den Menschen befähigen, als «vollerwachsener Mensch in Christo» dazustehen und der Monade die Möglichkeit geben, zu voller Wesensäusserung zu kommen; dieser Vorgang findet statt, sobald der Eingeweihte sich in bewusster Übereinstimmung mit dem Einen Leben weiss. Zwischen der ersten und zweiten Einweihung kann, wie mehrfach erwähnt wurde, ein langer Zeitraum liegen. Viele Verbesserungen müssen während der mannigfachen Stadien eines Jüngers erkämpft und erarbeitet werden. Darüber wollen wir später mehr sagen, wenn wir die sieben Gesetze egoischer Entfaltung besprechen.

Wenn Individuation ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die verschiedenen Elemente der Persönlichkeit harmonisch verbunden. Die Persönlichkeit bekundet sich dann als eine Einheit von drei Aspekten. Dieser Zustand ermöglicht:

1. Den ungehinderten Gebrauch der Verstandeskräfte. Der Mensch kann nun allem volle Beachtung schenken, was er für sich selbst und seine Zwecke braucht. Das bedeutet persönlichen Erfolg und Wohlstand.

2. Die Beherrschung des Gefühlslebens, wobei aber der volle Gebrauch des Empfindungsapparates ungeschmälert bestehen bleibt. Der Mensch kann Situationen erfühlen, Reaktionen empfinden und mit den Gefühlsregungen anderer Menschen in Kontakt kommen.

3. Die Fähigkeit, mit der Ideenwelt in Berührung zu kommen und Ideen (15) ungeschmälert ins Bewusstsein zu bringen. Selbst wenn der Betreffende später solche Ideen egoistischen Zwecken dienstbar macht und sie dementsprechend auslegt, kann er doch mit allem in Berührung bleiben, was durch spirituellen Kontakt erfasst werden kann. Der ungehinderte Gebrauch der Verstandeskräfte setzt voraus, dass die Empfänglichkeit für intuitiv aufgenommene Eindrücke zunimmt.

4. Talentierte Leistungen, starke Begabungen und geniale Züge. Die ganze Persönlichkeit setzt alles daran, diese Gaben voll zum Ausdruck zu bringen. Oft ist aussergewöhnliche Vielseitigkeit und die Befähigung vorhanden, bedeutsame Aufgaben auffallend gut zu erledigen.

5. Einen physischen Menschen, der häufig in seinem Körper ein Instrument besitzt, das wunderbar feinfühlend ist und innere, emotionale und mentale Kräfte reflektiert. Ein solcher Mensch besitzt eine grosse magnetische Anziehungskraft. Oft ist seine Gesundheit vielen Ansprüchen gewachsen, obwohl er niemals körperlich robust ist. Durch seine persönlichen äusseren Vorzüge übt er grossen Zauber aus.

Wenn wir weltbekannte Persönlichkeiten, die auf den verschiedensten Gebieten tätig sind, studieren, dabei aber die höheren Gruppenideen und das ständige geistige Bestreben, der Menschheit zu dienen, völlig ausser acht lassen, dann finden wir, dass die Entfaltung zur Individualität bereits eine gewisse Höhe erreicht hat und dass dieser Teil des göttlichen Planes ein Erfolg ist. Man sollte durchaus beachten, dass das Auftreten überragender Männer und Frauen - am rechten Platz und zur rechten Zeit - ebenso als ein Gotteserfolg zu werten ist, wie das Erscheinen der Grossen Gottessöhne. Im ersten Fall beruht der Erfolg auf dem dritten Aspekt der Göttlichkeit, der die Seele in sich trägt und verbirgt, und im anderen Fall auf den beiden Aspekten (dem zweiten und dritten), die den Lebensaspekt der Monade in sich tragen und verborgen halten. Wenn man das klar erfasst hat, werden unsere Wertbegriffe über Errungenschaften in der Welt eine Korrektur erfahren. Wir werden dann dem Prozess des Lebens wirklichkeitsnäher gegenüberstehen, ohne die übliche Verblendung, die sowohl unseren Blick, als auch den grosser [16] Persönlichkeiten trübt. Ein ungewöhnlicher Erfolg eines Einzelmenschen ist schon an sich ein Beweis von Seelenaktivität, denn jedes Individuum ist eine lebendige Seele, welche die niederen Körperhüllen zur Tätigkeit anspornt und im Lauf der Entwicklung

1. in jeder neuen Inkarnation eine Hülle nach der anderen aufbaut, die immer mehr der eigenen Ausdrucksverleihung angepasst werden;

2. jenes Empfindungsvermögen in den Hüllen hervorbringt - zuerst nacheinander in jeder Hülle und später in allen gleichzeitig - wodurch es den Hüllen möglich wird, auf einen ständig zunehmenden Bereich göttlichen Einflusses zu reagieren;

3. die drei Hüllen zu einer Einheit zusammenschweisst. Diese integrierten Körper betätigen sich dann während drei, manchmal sieben (gelegentlich elf) Inkarnationen als Träger einer vorherrschenden Persönlichkeit, die mit Hilfe ihres Ehrgeizes in irgend einem Fach grosse Erfolge hat;

4. dem niederen Selbst eine neue Richtung gibt und des Menschen Wünsche, und seine Befriedigung über persönliche Leistungen schliesslich auf den rechten Platz verweist;

5. den seiner selbst bewussten Menschen zur Erkenntnis und Verwirklichung jener neuen Ziele und Betätigungen anspornt, die ihn auf den Weg eines Jüngers und schliesslich zur Einweihung bringen;

6. an die Stelle persönlichen Ehrgeizes vergangener Tage, der notgedrungen von Eigen-Interessen geleitet war, die Belange der Gruppe und das Ziel zu setzen, der Welt hilfreiche Dienste zu leisten.

Das sind durchaus praktische Fragen, nicht wahr?

Wenn die volle Zahl der Einweihungen (soweit sie die Menschheit betreffen) erreicht wurde, steht ein befreiter Meister der Weisheit vor uns, der nicht mehr den Unzulänglichkeiten und Begrenzungen eines Alltagsmenschen unterworfen ist. Er hat die Früchte des Menschwerdungsprozesses eingesammelt und handelt immer mehr in der Art eines Sonnenengels, da sein Schwerpunkt hauptsächlich im inneren spirituellen Körper liegt. Daher kann sich sein Bewusstsein von der Allgegenwart Gottes ständig vertiefen. Alle Jünger sollten diese Tatsache sorgsam überdenken und darüber [17] meditieren. Wenn sich die drei Strahlen, welche über die niedere Dreiheit herrschen, vereinen und verschmelzen, tritt die essentielle Persönlichkeit zu Tage. Wenn die vereinten Strahlen ihrerseits den Strahl des physischen Körpers zu beherrschen beginnen, dann kommt der niedere Mensch in eine Periode langer Konflikte. Allmählich und in steigendem Mass wird der Strahl der Seele, «der Strahl des anhaltenden magnetischen Griffes», wie es in okkulter Sprache heisst, aktiver; das Gehirn des Menschen, dessen Persönlichkeit entfaltet ist, empfindet zunehmend eine immer stärkere Vibration. Diese Erfahrung umfasst im Verlauf vieler Inkarnationen viele Grade und Stadien. Der Strahl der Persönlichkeit und der Strahl der Seele scheinen zuerst zusammenzuprallen. Bald ist ein dauernder Kampf im Gang, den der Jünger als Zuschauer und dramatischer Teilnehmer erlebt. Arjuna tritt in die Arena des Kampfplatzes. Mitten zwischen zwei Kraftgruppen steht er, als bewusster, winziger Funke eines fühlenden Erkennens und Aufleuchtens. Die Energie der beiden Strahlen sind um ihn herum, dringen in ihn ein, strömen durch ihn hindurch und bekämpfen einander. Während der Kampf ohne Unterlass weitertobt, nimmt er allmählich einen regeren Anteil und gibt die frühere Haltung eines neutralen und uninteressierten Zuschauers auf. Sobald er klar erfasst, worum es geht, und er sich mit dem ganzen Gewicht seines Einflusses, seiner Wünsche und Gedanken restlos auf die Seite der Seele schlägt, kann er die erste Einweihung empfangen. Wenn sich der Strahl der Seele durch ihn wie in einem Brennpunkt sammelt, und wenn alle seine Zentren von diesem Seelenstrahl beherrscht werden, dann empfängt er die dritte Einweihung und wird zu einem verklärten Eingeweihten. Der Strahl der Persönlichkeit «verlöscht» dann im okkulten Sinn, er wird von dem Strahl der Seele absorbiert. Alle Kräfte und Merkmale der niederen Strahlen ordnen sich nun dem Strahl der Seele unter und erhalten von diesem ihre Prägung. Der Jünger wird zu einem «Gottesmann», - einem Menschen, dessen Kräfte von der alles beherrschenden Schwingung des Seelenstrahls gesteuert werden und dessen innerer Reaktionsmechanismus im Einklang mit diesem [18] Strahl vibriert; dieser wiederum erhält durch den Strahl der Monade eine neue Orientierung und Leitung. Dieser Prozess wiederholt sich immer wieder in der gleichen Weise:

1. Die vielen Strahlen, welche den niederen, eigenwilligen Menschen ausmachen, werden in die drei Strahlen der Persönlichkeit verschmolzen.

2. Diese drei Strahlen der Persönlichkeit vereinigen sich ihrerseits wieder und bilden ein synthetisches Ausdrucksmittel des herrschenden, sich geltend machenden Menschen, des persönlichen Selbstes.

3. Dann werden die drei Persönlichkeitsstrahlen zu einem einzigen Strahl vereint und dem Doppelstrahl der Seele untergeordnet. So werden also, wieder drei Strahlen zusammengefasst und miteinander verbunden.

4. Die beiden Seelenstrahlen beherrschen nun die Persönlichkeit und diese drei: (der Doppelstrahl der Seele und der vereinte Strahl der Persönlichkeit) werden wieder eine Einheit, wenn sie den Schwingungsgrad des höchsten Seelenstrahles - des Gruppenstrahls der Seele - erreicht haben, der stets als der wahre Strahl des Ego betrachtet wird.

5. Zur gegebenen Zeit (bei der dritten Einweihung) beginnt dann der Seelenstrahl sich mit dem Strahl der Monade, dem Lebensstrahl, zu vereinen. Der Eingeweihte höheren Grades ist daher ein Ausdruck zweier, nicht dreier Kraftgruppen.

6. Im Lauf der Zeit wird jedoch diese verwirklichte Zweiheit von jenem mysteriösen, unbeschreiblichen Prozess abgelöst, den man Identifikation, das bewusste Erkennen der Wesensgleichheit, oder «Einswerden» nennt; es ist das Endstadium der Seelenentfaltung. Es ist zwecklos, darüber mehr zu sagen, denn es könnte nur von denen verstanden werden, die sich für die vierte Einweihung vorbereiten. Diese Abhandlung ist aber für Jünger und für Eingeweihte des ersten Grades geschrieben.

Wenn wir diese aufeinanderfolgenden Stadien vorbeiziehen lassen, können wir uns ein flüchtiges Bild davon machen, wer wir heute sind und was wir einmal sein können. Das immer deutlicher werdende Vorhaben unserer Seele, dieses «Engels beharrlicher, unsterblicher Liebe», sollte einen jeden von uns immer stärker berühren und leiten; es sollte unser festes Ziel sein, und dafür sollten wir keine persönlichen Mühen und Opfer scheuen. Danach sollten wir wahrhaft und aufrichtig streben.

Wir haben damit die drei grossen Wegstrecken angedeutet, die [19] den Fortschritt der Seele kennzeichnen. Durch die Individualisierung erhält die Seele Eigenbewusstsein und wird sich der drei Welten bewusst, in denen sie Erfahrungen zu sammeln hat. Der Spieler im Drama des Lebens beherrscht seine Rolle. Durch die Einweihung erkennt die Seele zu innerst das Wesen der Göttlichkeit. Dieses Stadium der Evolution ist gekennzeichnet durch vollbewusste Mitarbeit mit der Gruppe, Aufgeben persönlicher Belange und Aufgehen des einzelnen im Ganzen. Schliesslich kommt es zu dem geheimnisvollen Geschehen, bei dem die Seele durch Einswerden so sehr in die höchste Wirklichkeit und Harmonie versinkt, dass selbst das Gruppenbewusstsein schwindet, das nur dann noch einmal vorsätzlich zurückgerufen werden kann, wenn besondere Dienstleistungen es erfordern. Nichts anderes lebt dann im Bewusstsein als die Gottheit; es gibt keine Absonderung mehr, keine kleineren Synthesen, keine Spaltungen und keine Differenzierungen. Während dieser Vorgänge wirken drei Energieströme auf die Bewusstseinssphäre des erwachenden Menschen ein:

a. Die Energie der Materie selbst. Sie beeinflusst das Bewusstsein des inneren, spirituellen Menschen, wenn er die materielle Form als Mittel der Wesensäusserung benützt.

b. Die Energie, die der Seele oder dem Sonnenengel eigen ist. Diese Energie strömt durch die menschlichen Körperhüllen und entwickelt als Rückwirkung Energie in der Hülle des Sonnenengels.

c. Die Energie des Lebens an sich - eine bedeutungslose Redewendung. Nur Eingeweihte dritten Grades können dies erfassen. Selbst die Entdeckungen der modernen Wissenschaft geben keine rechte Vorstellung, was Leben in Wirklichkeit ist. Leben (oder essentielle Energie) umfasst mehr als die Tätigkeit der Atome oder als jenes dynamische Prinzip, das unaufhörliche Existenz [20] bewirkt, sich fortpflanzt, Bewegung und Wachstum erzeugt und jenes sonderbare Etwas hervorruft, das wir «Lebendig-Sein» nennen. Es mag möglich sein, den untersten oder dritten Lebensaspekt in sogenannten wissenschaftlichen Experimentallaboratorien «hervorzubringen». Doch niemand kann die anderen, viel wichtigeren Aspekte - bewusste Empfindungsfähigkeit und die intelligente, in jedem Keim vorhandene Gestaltungskraft zur Verwirklichung der Anlagen - erzeugen oder aufs neue hervorbringen. Nur ein Eingeweihter dritten Grades kann verstehen, warum das unmöglich ist. Mehr kann darüber nicht gesagt werden.

Um mehr Licht auf die Frage der dreifachen Bewusstseinserweiterung zu werfen, die wir Menschwerdung, Einweihung und Einswerden nennen, (alle diese entscheidenden Wendepunkte sind Aspekte eines einzigen grossen Planes oder Entfaltungsprozesses) sollten wir uns vor Augen halten, dass diese drei Worte auf unserer gegenwärtigen Entwicklungsstufe, unter Berücksichtigung der überlieferten Lehren und Denkgewohnheiten und auf Grund unserer derzeitigen Kenntnisse und Fachausdrücke, uns heute etwas besagen oder bedeuten. Später, wenn wir mehr wissen und wenn die Menschheit weiter fortgeschritten ist, werden uns diese Dinge in einem völlig neuen Licht erscheinen. Im Erkennen tieferer Zusammenhänge und mit der inneren Schaukraft jener Erleuchteten, deren Bewusstsein höher, weiter und allumfassender als das des Menschen ist, mögen diese drei Worte eine ganz andere Bedeutung haben. Eine Definition ist einfach ein Ausdruck dessen, was ein menschliches Gehirn unmittelbar verstehen kann. Doch später, bei grösserem Wissen und umfassenderem Verständnis für «Ganzheitsfragen», mag sich eine Definition als unvollständig oder selbst falsch erweisen, wie es oft bei sogenannten Tatsachen der Fall ist. Daher haben alle Definitionen und schliesslich auch alle Tatsachen nur einen zeitbedingten Wert; jegliche Auslegung ist nur für eine gewisse Zeit brauchbar. Was heute als der Weisheit letzter Schluss angesehen wird, mag später nur als Teil weit grösserer Grundwahrheiten erkannt werden. Wenn eine grössere Wahrheit sich auftut, wird eine vordem für wichtig gehaltene Teilerkenntnis sich in ihrer Bedeutung und Auslegung als ganz verschieden von der früheren Annahme herausstellen. Jeder, der diese Abhandlung über die Sieben [21] Strahlen liest, muss dessen eingedenk sein. Ein Eingeweihter, der über die drei vorher erwähnten Worte nachdenkt, hat eine ganz andere Vorstellung darüber als ein Jünger oder ein solcher Leser, der über diese Themen noch nie nachgedacht oder sich darin vertieft hat; unser Wortschatz ist einem solchen Leser gänzlich neu und fremd und besagt ihm wenig; und das wenige wird meistens ganz unrichtig aufgefasst.

Wenn es zur Individuation kommt, wird Gottes Lebensfülle, die sich bisher auf Wachstums-, Anregungs- und Entwicklungsprozesse in den drei niederen Naturreichen erstreckte, durch einen «Zyklus von Krisen» in das vierte Naturreich, das des Menschen verpflanzt. Der Lebensimpuls wird dem Einfluss der Seelenenergie eines der sieben Strahlaspekte ausgesetzt. Die Qualität des Formaspekts, verkörpert in der Persönlichkeit und bezeichnet als «Strahl der Persönlichkeit», wird der Qualität des egoischen Strahls unterworfen. Diese beiden grossen Kraftströme wirken aufeinander in ständigem Wechselspiel ein. Sie rufen so lange Um- und Abänderungen hervor, bis der Strahl der Persönlichkeit immer schwächer wird und der Seelenstrahl immer stärker in den Vordergrund rückt. Schliesslich ist es der Seelenstrahl und nicht mehr der Formstrahl, der die Wesensäusserung bestimmt. Der Persönlichkeits- oder Formstrahl wird dann einfach zum Mittel, durch das die Qualität der Seele sich bemerkbar machen und zur vollen Geltung kommen kann. Wir finden diesen Gedanken auch in dem uralten okkulten Satz: «das schwächere Feuer muss vom stärkeren Licht gelöscht werden». Als Gleichnis für diesen Vorgang könnte die Sonnenkraft dienen, die sichtlich ein kleines Feuer zum Verlöschen bringen kann, wenn sie ihre sengende Hitze voll einwirken lässt.

Wir haben früher darauf hingewiesen, dass wir mit gutem Nutzen die Worte: Leben, Qualität, Erscheinung, an Stelle von: Geist, Seele, Körper setzen können, da sie dieselbe Wahrheit zum Ausdruck bringen. Die Qualität der Materie, eingepflanzt in einer menschlichen Form, die der Seele oder dem Sonnenengel als Wohnstätte dient, [22] bestimmt normalerweise die Erscheinung. Später ändert sich die der Erscheinung innewohnende Qualität, und die Qualität der Göttlichen Natur (die durch die Seele zum Ausdruck kommt) löscht die Qualität der Formen aus. Während des Stadiums, in dem die Qualität der Materie den Haupteinfluss ausübt, macht sich die Strahlung der Materie in einer dreifachen Weise bemerkbar. Diese drei Qualitätsgrade erscheinen, - im Hinblick auf den ganzen Evolutionsprozess und soweit es die Persönlichkeit des Menschen betrifft - in einer charakteristischen Reihenfolge und drücken dem Aspekt der Materie ihren Stempel auf:

1. Die Qualität der physischen Substanz. Während dieses Entwicklungsstadiums reagiert der Mensch fast ausschliesslich physisch; er steht völlig unter dem Strahl seines physischen Körpers. Die lemurische Epoche des Menschen, die Periode ausgesprochener Kindheit, entspricht diesem Stadium.

2. Die Qualität des Astralkörpers. Diese Qualität beherrscht den Menschen während einer langen Zeitspanne, und sie beeinflusst noch heute, in stärkerem oder geringerem Grad, die Mehrzahl der Menschen. Dieses Stadium entspricht der atlantischen Periode, der Stufe des heranwachsenden Menschen. Der Strahl des Astralkörpers ist sehr stark.

3. Die Qualität des Mentalkörpers. Diese beginnt im Menschen der arischen Rasse - unserer gegenwärtigen Ära - an Stärke zuzunehmen. Es ist das Stadium der Reife des Individuums. Der Strahl des Denkvermögens hat eine nahe Beziehung zum Sonnenengel; es besteht eine besonders enge Verbundenheit zwischen dem Engel der göttlichen Gegenwart und dem mit Denkkraft ausgestatteten Menschen. Es ist diese tiefverwurzelte, häufig nicht erkannte Wechselwirkung und diese kultivierte Verbundenheit, die das spirituelle Einswerden der Seele mit ihrem Instrument - dem Menschen in den drei Welten - zuwege bringt.

Diese drei Strahleinflüsse stellen im Leben des Aspiranten eine Wiederholung des dreifachen Prozesses dar, den man «die Entfaltung des Bewusstseins der Lemurier, Atlantier und Arier» nennen könnte. Während der Bewährungszeit muss der Strahl des physischen [23] Körpers den Kraftströmen untergeordnet werden, die von jenen Seelenstrahlen ausgehen, die aus der äusseren Reihe der Blütenblätter der Seelen-Lotosblume herkommen. (Vergleiche hierzu: Eine Abhandlung über Kosmisches Feuer). Gemeint sind die Blumenblätter des Wissens. Auf dem Pfad zur Jüngerschaft wird der Astralkörper durch den Seelenstrahl, der von der zweiten Reihe der Blütenblätter - denjenigen der Liebe - ausströmt, unterjocht. Während der Zeit bis zur dritten Einweihung wird der Strahl des Mentalkörpers von der Kraft der Blütenblätter der dritten Reihe, welche die Macht des Opfers darstellen, völlig überwältigt. So werden die drei Aspekte der Persönlichkeit durch die Energie, die von den neun Blütenblättern der Seelen-Lotosblume ausströmt, unterworfen. Nach der dritten Einweihung beginnt die ganze aus den drei Aspekten bestehende Persönlichkeit sich auf die Energie des reinen elektrischen Feuers («Leben» genannt) einzustellen, die durch «die geschlossene Knospe im Herzen der Seelen-Lotosblume» strömt.

Die obige symbolische Beschreibung hat den Wert, ein abgerundetes Bild über des Menschen Entfaltung und seine höheren Wechselbeziehungen zu vermitteln. Die Gefahr solcher Darstellung liegt darin, dass der menschliche Intellekt die Neigung hat, alles in Abschnitte zu zerlegen und Trennungslinien zu ziehen. Der geschilderte Prozess mag irrigerweise als eine Reihe aufeinanderfolgender Stadien angesehen werden, während in Wirklichkeit vieles parallel verläuft, mit Überschneidungen, Vermischungen und Wechselbeziehungen von Aspekten, Strahlen und Vorgängen innerhalb des zeitlichen Kreislaufes.

Das ist ein Überblick über die Entfaltung des menschlichen Bewusstseins, - ein «Programm» für die Menschheit. Der Schwerpunkt des evolutionären Prozesses liegt letzten Endes auf der Entwicklung bewussten, intelligenten Erkennens inmitten der Lebensfülle, welche die verschiedenen Formen durchpulst. Der genaue Grad des Bewusstseins hängt vom Alter der Seele ab. Doch vom Standpunkt der Zeit, wie sie in der Vorstellung des Menschen existiert, hat die Seele [24] kein «Alter», sie ist zeitlos und ewig. Die Seele sieht lediglich das kaleidoskopartige Bild der Sinne und das periodisch wiederkehrende Drama der Existenz in einem irdischen Körper an sich vorüberziehen. Während dieses ganzen Geschehens in Zeit und Raum bleibt die Seele stets in der Rolle eines Zuschauers und Beobachters, der Eindrücke aufnimmt, überdenkt und deutet. In den frühen Stadien, wenn das «lemurische Bewusstsein» den Menschen kennzeichnet, ist jener Bruchteil des Seelenaspekts, der im Inneren des Menschen wirkt und ihm so viel echt menschliches Bewusstsein gibt, als ihm gegeben werden kann, noch träge, embryonal und unorganisiert. Das Denkvermögen in unserem Sinne fehlt noch, der Mensch identifiziert sich völlig mit seiner physischen Form und deren Funktionen. Es ist jene Periode, in welcher der Mensch auf Leid, Freude, Schmerz, auf den Trieb nach Wunschbefriedigung und auf einen phlegmatischen unterbewussten Drang nach Verbesserung seiner Lage mit tamasischer Trägheit reagiert. Eine Inkarnation folgt der anderen und langsam nimmt die Fähigkeit bewusster Identifizierung zu, und das Verlangen nach einem grösseren Bereich für alle Arten von Befriedigung steigert sich. Die Seele, die im Körper wohnt und diesen belebt, verbirgt sich immer tiefer und wird zum «Gefangenen in der Formstruktur». Sämtliche Lebenskräfte sind im physischen Körper konzentriert und was an Wünschen zutage tritt, trägt physischen Charakter. Doch treten andererseits auch verfeinerte Wünsche auf, wie sie der Astralkörper erweckt. Die Seele, die sich bisher mit dem Körper identisch fühlte, verpflanzt nun dieses Identitäts-Gefühl allmählich aus der physischen in die astrale Form. Doch ist zu dieser Zeit noch nichts wahrnehmbar, was man eine Persönlichkeit nennen könnte. Es ist lediglich ein lebender, funktionsfähiger physischer Körper vorhanden, mit all seinen Bedürfnissen und Neigungen, Wünschen und Naturtrieben. Dazu gesellt sich nun sehr langsam, aber unentwegt, eine Verlagerung des Bewusstseins vem physischen in den Astralkörper.

Wenn sich dieser Übergang im Lauf der Zeit erfolgreich vollzogen hat, dann fühlt sich das Bewusstsein nicht mehr mit dem physischen Körper identisch, sondern verankert sich im astralen Gefühlskörper. Die Seele, die durch den sich langsam entwickelnden Menschen wirkt, konzentriert [25] jetzt ihre Aufmerksamkeit auf die Wunschsphäre; sie identifiziert sich nun mit einem anderen Reaktionsapparat, dem Wunsch- oder Astralkörper. Des Menschen Bewusstsein ist damit zum «atlantischen Bewusstsein» geworden. Seine Wünsche sind nicht mehr so unbestimmt und primitiv; bisher bezogen sie sich auf fundamentale Triebe und Bedürfnisse. An erster Stelle stand der Trieb der Selbsterhaltung; dann kam der Fortpflanzungstrieb, um das Leben weiterzugeben und die Sippe zu erhalten; und als nächstes kam die Befriedigung der Nahrungswünsche. Das ist die Bewusstseinsstufe eines Kindes und ungeschulten Wilden. Allmählich und stetig entwickelt sich eine innere Erkenntnis, was die Wunschwelt als solche ist, und infolgedessen wird auf die rein physische Befriedigung weniger Gewicht gelegt. Das Bewusstsein beginnt langsam auf den Ansporn des Denkvermögens und auf die Kraft, zu unterscheiden und einem Wunsch unter vielen den Vorzug zu geben, zu reagieren; die Fähigkeit, die Zeit einigermassen nützlich zu verwenden, macht sich bemerkbar. Vergnügungen mehr subtiler Art beginnen Anklang zu finden; Wünsche werden weniger derb und weniger körperbetont; ein Anflug für Schönheitsempfindung taucht auf und ein Sinn für ästhetische Werte macht sich langsam bemerkbar. Des Menschen Bewusstsein wird immer mehr astral-mental (oder kama-manasisch), und seine täglichen Gewohnheiten, seine Lebensart und seine Charaktereigenschaften werden grosszügiger, reifer und fortschrittlicher. Obwohl er die meiste Zeit noch immer von unvernünftigen Wünschen geplagt wird, so ist doch das Spielfeld seiner Gelüste und Sinnesbefriedigungen weniger tierisch, sondern unverkennbar mehr emotional. Er bemerkt und beobachtet Stimmungen und Empfindungen; eine schwache Sehnsucht nach Frieden und der Impuls, dieses nebelhafte Etwas - «Glücksgefühl» genannt - zu erleben, beginnt sich zu regen. Das entspricht dem Stadium des Jünglingsalters und jenem Bewusstseinszustand, den wir «atlantisch» nennen. Es kennzeichnet in unseren Tagen die Stufe und den Zustand der Massen. Die Hauptmasse der Menschen ist immer noch atlantisch; sie lässt sich in ihren Reaktionen und in ihrer Lebenseinstellung noch immer ausschliesslich von Gefühlen leiten. Die meisten Menschen werden vorwiegend von selbstsüchtigen Wünschen und vom Triebleben beherrscht. Unsere Erdenmenschheit ist noch in dem Stadium der Atlantier, während [26] die Intelligenzkreise der Welt, die Jünger und Aspiranten dabei sind, dieses Stadium rasch hinter sich zu bringen; sie hatten nämlich den Menschwerdungsprozess auf der Mondkette erlebt, und sie waren später die Atlantier der geschichtlichen Zeit.

Diese Tatsachen und Bewusstseinsstufen sollten sich alle geistigen Arbeiter der heutigen Welt ständig vor Augen halten, um die Probleme der Massen verstehen zu können und fähig zu werden, Menschen richtig zu leiten und zu lehren. Sie sollten erkennen, dass es, allgemein gesprochen) nur sehr wenig richtiges Denken gibt, das man heranziehen könnte, wenn man sich mit den tiefstehenden Massen befasst; sie sollten einsehen, dass sie ihre Augen mehr auf das richten müssen, was wirklich wünschenswert ist, als auf das, was der Verstand diktiert. Daher sollten alle Lehrer und Erzieher sich bemühen, die Wunsch-Energie der ungebildeten und hin und her schwankenden Massen in die rechte Bahn zu lenken.

Die mehr fortgeschrittenen Menschen der heutigen Zeit zeigen, dass ihr Denkvermögen wirksam tätig ist; dies ist besonders in unserer westlichen Zivilisation der Fall. Die Energie des Strahls des Denkkörpers beginnt einzuströmen und langsam sich geltend zu machen. Dadurch kommt der Wunschkörper unter Kontrolle; infolgedessen kann die physische Form mehr zum Instrument gedanklicher Impulse werden. Das Gehirnbewusstsein beginnt sich zu organisieren, und der Schwerpunkt der Energien verschiebt sich allmählich von den niederen in die höheren Zentren. Die Menschheit beginnt, das «arische Bewusstsein» zu entwickeln und die Stufe der Reife zu erreichen. Unter den weiter Fortgeschrittenen beobachten wir, dass eine Integration der Persönlichkeit und eine endgültige Kontrolle des Persönlichkeitsstrahls zustande gekommen ist; dieser Strahl hält die drei Körper mit festem Griff zusammen und schweisst sie in eine Arbeitseinheit. Später wird dann die Persönlichkeit zum Werkzeug der Seele, des inneren Regenten.

Das oben Gesagte ist eine einfache und bündige Darstellung einer [27] langen und schwierigen Evolutionsentfaltung; ich habe lediglich die grösseren Umrisse gegeben und die unendlich vielen Einzelheiten unberücksichtigt gelassen. Der Prozess beginnt mit der Menschwerdung und geht weiter durch die beiden letzten Stadien der Einweihung und des Einswerdens. Diese drei Etappen kennzeichnen den Fortschritt des Seelenbewusstseins, angefangen von der Identifizierung mit der Form, bis zum Identitäts-Bewusstsein mit dem Selbst. Diese drei Worte - Individuation, Initiation und Identifizierung - umfassen den ganzen Lebenslauf des Menschen, angefangen von seinem Auftreten im Menschenreich bis zur Zeit der dritten Einweihung, wenn er aus dem vierten Naturreich ins fünfte, das Reich Gottes, eintritt. Dann hat er erfahren, dass das Bewusstsein etwas Absolutes ist und keine Begrenzung kennt, und dass es sich innerhalb einer Form oder ausserhalb ihrer betätigen kann, so, wie es die Seele gebietet oder wie dem Plan am besten gedient wird. Die Seele ist dann in keiner Weise mehr von der Form abhängig. So, wie der Mensch im normalen, dreidimensionalen Dasein sich auswirken kann, genau so kann er sich nach der dritten Einweihung aktiv und bewusst in vier Dimensionen betätigen, um schliesslich durch die letzten Einweihungen für eine Aktivität in fünf Dimensionen reif zu werden.

Beim Studium der verschiedenen Grade von Bewusstseinserweiterung muss man sich die wichtige Tatsache vor Augen halten, dass während der ganzen Zeit eine ständige, stufenweise Entwicklung stattfindet. Das Leben der Seele geht in diesem grossen Daseins-Kreislauf, den wir menschliche Inkarnation nennen, in der Welt der Erscheinungen durch alle Stadien mit derselben Zielsetzung, Intensität, Gleichmässigkeit des Aufstiegs und Anpassungskraft der jeweiligen Form an Umstände und Umgebung, wie es Gottes Leben tut, das seit undenklichen Zeiten durch die verschiedenen Naturreiche strömt. Der Faden der Bewusstseinsentfaltung zieht sich überall klar hindurch. Formen werden gebildet, benützt und wieder aufgegeben. In den verschiedenen Lebenszyklen werden die Formen durch bestimmte Entwicklungsphasen geschickt, die für das ständig sich erweiternde Bewusstsein jeweils notwendig sind. In anderen, späteren Zyklen zeigen sich dann die deutlichen und spezifischen Wirkungen des höher entwickelten Bewusstseins. Einzelne Inkarnationen sind besonders produktiv im Erschaffen von «Ursachen» (ein paradoxer Ausdruck mit einem tiefen Sinn), und andere [28] wieder tilgen die Auswirkungen dieser früheren Ursachen. Auf diesen Punkt wird oft nicht hingewiesen. In noch späteren Lebenszyklen kommen diese beiden Aspekte - Bewusstsein und Form - in engere Wechselbeziehung, wodurch ein gänzlich verschiedener Lebens-Typ geschaffen wird. Eine Entsprechung zu diesen Zyklen lässt sich auch im Leben und Bewusstsein unseres planetarischen Logos erkennen, da ja auch diese grosse Lebenseinheit bestrebt ist, sich durch das Medium von vier Naturreichen zu manifestieren.

All dieses betriebsame Geschehen, diese ganze gelenkte Entfaltung, die Verwirklichung einer Absicht und die Entwicklung seelischen Lebens, das gesamte Geschehen in den Naturreichen, alle Phasen der Lebensgestaltung in der menschlichen Familie, dazu die tausendfältigen Ereignisse, das Auftreten besonderer Eigenarten und Neigungen, das Erscheinen von Körperformen mit einzigartiger Prägung, mit ganz besonderen Eigenschaften und beispiellosem Unternehmungsgeist, die Prozesse der Zusammenfassung und Verschmelzung von Strahlenenergien, die Triebe, Instinkte und Aspirationen, das Sichtbarwerden von Liebe- und Hassgefühlen (als Auswirkung des grossen Gesetzes der Anziehung und Abstossung), das Zustandekommen von Zivilisationen, Wissenschaften und Künsten mit all ihren Wundern und Schönheiten, - alles das ist nur der Ausdruck des Existenzwillens gewisser Grosser Wesen oder höherer Lebensträger. Das ist eine Tatsache von allergrösster Bedeutung. Der Bewusstseinsgrad dieser Wesen ist so viel höher als der des Menschen, dass nur Eingeweihte von hohem Rang einen Einblick in ihre wahren Pläne gewinnen können. Was wir heute davon erkennen können, ist nur die Auswirkung ihrer Energien, in den Prozessen der Formbildung und der Bewusstseinsentwicklung. Die Weltjünger, die bestrebt sind, an der Durchführung dieses Planes mitzuarbeiten, ahnen nur jenen Abschnitt des Plans, der das menschliche Bewusstsein betrifft. Wir waren noch nicht imstande, auch nur einen Schimmer von dem ungeheuren Gesamtplan für andere Evolutionen als die menschliche, nämlich für Evolutionen in den übermenschlichen und untermenschlichen Reichen zu erhaschen. Niemand kann den Aufbau und das Gefüge des göttlichen Ideals begreifen, die seiner gesamten Schöpfung zugrunde liegen; nicht einmal Gottes Ideal für diesen kleinen Planeten ist erfassbar für uns. Was wir wirklich [29] wissen, ist lediglich die Tatsache, dass ein Schöpfungsplan existiert, dass dieser Plan sehr gut ist, dass wir in diesen Plan eingebunden sind, und dass wir uns diesem Plan zu unterwerfen haben.

Darin liegt ein Schlüssel zu dem schwierigen Problem des freien Willens. Man könnte sagen, dass es - hinsichtlich des Tuns und Treibens im Menschenreich - für einen intelligenten Menschen innerhalb der Grenzen einer klugen Einstellung zum Leben einen freien Willen gibt. Falls keine Denkfähigkeit vorhanden ist, und wenn die Kraft zu unterscheiden, zu analysieren und zu wählen fehlt, dann gibt es keinen freien Willen. Innerhalb der ungleich grösseren Auswirkungen des Schöpfungsplanes, der die ganze planetarische Entwicklung umfasst, gibt es für den Menschen, diese winzige Zelle, keinen freien Willen. Er ist zum Beispiel dem «Wirken und Walten Gottes» unterworfen, und dieser höheren Gewalt gegenüber ist er völlig hilflos. Er hat weder eine Wahl noch kann er sich einem Beschluss Gottes entziehen. Hierin liegt ein Hinweis auf die Auswirkung von Karma im Menschenreich; Karma und weitsichtige Verantwortlichkeit sind unauflösbar miteinander verflochten und verwoben.

Indem wir unsere Besprechung der drei Stufen: Menschwerdung, Einweihung und Einswerden beschliessen, - Stufen, die den Fortschritt der Seele von der Identifizierung mit der Form bis zum Aufgeben des eigenen Sonderseins und Aufgehens in Gott, dem Absoluten, kennzeichnen, - wollen wir nun unsere Gedanken auf jenen fernen Zeitpunkt einstellen, wenn das spirituelle Bewusstsein sich von jeder Art von Gewahrsein und Differenzierung in Zeit und Raum sowie vom letzten Gefühl einer Eigenexistenz freigemacht hat und sich in jenen erhabenen Zustand verliert, in dem das, was wir Ichgefühl nennen, verschwindet. Wir werden uns später mit den Stadien befassen, in denen die Seele - angetrieben durch ihre besonderen Strahlqualitäten - zwecks weiterer Erfahrungen sich jene Formen aneignet, welche die vielen Arten göttlichen Bewusstseins zum Ausdruck bringen und auf diese Bewusstseinsarten reagieren können.