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Erstes Kapitel - Einführende Bemerkungen über Einweihung - Teil 2

Einweihung [25] kann als ein grosses Experiment angesehen werden. Vor Zeiten, als dieser Prozess der Entfaltung eingerichtet wurde, damit auf der Erde gewisse innere Vorgänge (damals nur wenigen bekannt) ermöglicht werden konnten, wurde für die Lehre der «Kleinen» das innere Leben in symbolischer Form dargestellt. Später konnte dies offen geschehen und für uns auf der Erde durch den Sohn Gottes, Christus, ausgedrückt werden. Einweihung ist ein lebendiger Vorgang, und durch ihn können alle hindurchgehen, die sich entsprechend schulen und freiwillig bereit sind; genau geprüft und unterstützt durch die Gruppe von Eingeweihten und Wissenden, welche die Führer der Menschheit sind und uns unter vielen Namen in verschiedenen Teilen der Welt und in verschiedenen Zeitaltern bekannt. Im Westen werden sie Christus und seine Kirche, die Älteren Brüder der Menschheit genannt. Einweihung ist demnach eine Tatsache und nicht eine schöne und leicht zu erlangende Vision, wie so viele okkulte und esoterische Bücher dies glauben machen. Einweihung ist kein Vorgang, dem sich ein Mensch unterzieht, wenn er sich gewissen Organisationen anschliesst, und der nur durch Verbindung mit diesen Gruppen erfahren werden kann. Er hat nichts zu tun mit Gesellschaften, esoterischen Schulen und Organisationen. Alles, was diese tun können, ist, den Anwärter gewisse wohlbekannte und grundlegende «Regeln für den Pfad» zu lehren, dann ihm zu überlassen, ob er sie je nach Eifer und Entwicklung versteht oder nicht; und dann durch das Tor zu schreiten, wie es seine Ausrüstung und sein Schicksal erlauben. Die Lehrer der Menschheit und Christus, der «Meister aller Meister und Lehrer der Engel und Menschen», sind nicht mehr interessiert an diesen Organisationen als an irgendeiner Bewegung in der heutigen Welt, die sich bemüht, den Menschen Erleuchtung und Wahrheit zu bringen. Die Eingeweihten der Welt sind in jeder Nation, in jeder Kirche, in jeder Gruppe zu finden, wo Menschen Guten Willens arbeiten und wo Weltdienst geleistet wird. Die modernen, sogenannten esoterischen Gruppen sind nicht die Hüter der Lehre von der Einweihung, noch ist es ihr Vorrecht, die Menschen auf diese Entfaltung vorzubereiten. Die Besten unter ihnen können die Menschen nur für jenes Stadium im Entwicklungsvorgang vorbereiten, das als «Jüngerschaft» bezeichnet wird. Der Grund, warum dies bedauerlicherweise so ist und warum [26] Einweihung so weit von der Mitgliedschaft der meisten dieser Gruppen ist, die behaupten, Einblick in die Initiationsvorgänge zu besitzen, beruht darauf, dass sie nicht die nötige Betonung auf jene geistige Erleuchtung gelegt haben, die allein den Weg zu der Pforte erhellt, die zu dem «Geheimen Platz des Allerhöchsten» führt. Sie haben die Hauptbetonung auf persönliche Ergebenheit gegenüber den Meistern der Weisheit und ihren eigenen Organisationsleitern gelegt, haben vor allem das Befolgen autoritärer Lehren und Lebensregeln, jedoch nicht an erster Stelle den Gehorsam gegenüber der noch schwachen Stimme der Seele betont. Der Weg zum Ort der Einweihung und zu dem Zentrum, wo Christus gefunden werden kann, ist der Weg der Seele, der einsame Weg der Selbstentfaltung, Selbstentäusserung, Selbsterziehung. Es ist der Weg zu geistiger Erleuchtung und intuitiver Wahrnehmung.

Einweihung ist die Offenbarung von Liebe, dem zweiten grossen Aspekt der Göttlichkeit, der sich in Weisheit ausdrückt. Diesen Ausdruck finden wir in ganzer Fülle in dem Leben Christi. Er offenbarte uns die Natur wesentlicher Liebe und gebot uns zu lieben. Im Neuen Testament ist uns dieses sich entfaltende Leben lebendiger göttlicher Liebe in drei Wegen gezeigt worden, jeder fortschreitend in seiner Erklärung der Erfahrung, und jeder gibt uns die Aufeinanderfolge der Offenbarung Christi im menschlichen Herzen. Zuerst der Satz: «Christus in euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit» (Kolosser I/27), die Stufe, die der neuen Geburt, der Geburt zu Bethlehem vorausgeht und unmittelbar folgt, jenes Stadium, auf das die Masse der Menschheit langsam, aber beständig hinarbeitet. Sie bildet das unmittelbare Ziel für viele Aspiranten in der heutigen Welt. Zweitens ist da das Stadium des voll erwachsenen Menschen in Christus, das eine erweiterte Erfahrung des göttlichen Lebens und eine tiefere Entfaltung des Christusbewusstseins im menschlichen Wesen anzeigt. Darauf sind jetzt die Weltjünger orientiert. Dann ist da die Stufe des Erreichens, auf die sich Paulus mit folgenden Worten bezieht: «... bis dass wir alle kommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mensch werden, der da sei im Mass der [27] Mannesreife Christi» (Eph. IV/13).

Einweihung ist deshalb eine abgestufte und verwirklichte Folge von Bewusstseinserweiterungen, ein ständig wachsendes Gewahrwerden von Göttlichkeit und allen ihren Folgerungen. Viele sogenannte Eingeweihte in heutiger Zeit glauben von sich, diesen Zustand erreicht zu haben, weil ihnen einige okkulte Führer oder psychische Seher versichert haben, dass dies so sei; jedoch innerlich wissen sie nichts von diesem Prozess, wobei sie (wie die Freimaurer lehren) in ihrer Suche nach dem Licht durch das geheimnisvolle Tor zwischen den zwei grossen Säulen hindurchgehen. Sie haben keine bewusste Erinnerung von diesem Selbsteinweihungsvorgang, der im vollen Wachbewusstsein erfolgen muss, gleichzeitig durchgeführt durch die innewohnende göttliche Seele und das Denken und Gehirn des Menschen im physischen Leben. Diese Bewusstseinserweiterungen enthüllen dem Menschen allmählich die Beschaffenheit seiner höheren und niederen Natur. Es ist diese Erfahrung, welche Paulus als einen der ersten Eingeweihten kennzeichnet, der diese Stufe unter dem Christentum erreichte. Hören wir, was er über diese Offenbarung seiner Dualität im Römerbrief (VII/1825) sagt:

«Ich weiss, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen, das finde ich nicht.

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. O, ich elender Mensch, wer wird mich befreien von dem Leibe dieses Todes?

Ich danke Gott durch Jesum Christum, unsren Herrn!»

Nur durch die Offenbarung Christi innerhalb jedes menschlichen Wesens kann diese Einswerdung erfolgen. Nur durch die Neue Geburt, die Feuer- und Geistestaufe und die Verklärung der Natur kann die Befreiung gefunden und die Vereinigung mit Gott erreicht werden. Nur durch das Opfer der Menschheit, die das [28] Wesen der Kreuzigung ist, kann sich die Auferstehung vollziehen. Was für das Individuum gilt, wird zuletzt für die ganze menschliche Familie wahr werden. Der Plan für die Menschheit betrifft die bewusste Entfaltung des Einzelmenschen. Gleichwie das Menschengeschlecht wächst an Weisheit und Wissen, und wie die Zivilisationen kommen und gehen, jede ihre notwendige Aufgabe bringt und ihren Höhepunkt erreicht, so nähern sich die Menschen als Gruppe dem Tor, das zum Leben führt. Alle modernen Entdeckungen, alle psychologischen Studien und Wissenschaften, alle Gruppentätigkeit und wissenschaftlichen Errungenschaften, natürlich auch jedes wirklich okkulte Wissen sind geistiger Natur und bedeuten Hilfen zu jener Bewusstseinserweiterung, die aus der Menschheit den Grossen Eingeweihten machen wird. Sobald die Menschen in einer grossen Synthese die Notwendigkeit des entschiedeneren Eintritts in die Welt der wahren Bedeutung und ihrer Werte begreifen, werden die Mysterien allgemein anerkannt werden. Die neuen Werte werden sichtbar werden, neue Techniken und Methoden der Lebensführung werden sich als ein Ergebnis dieser Wahrnehmung entwickeln. Es gibt Zeichen, dass dies bereits geschieht, dass die Zerstörung um uns herum und das Niederreissen der alten politischen, religiösen und sozialen Einrichtungen nur Vorbereitungen sind für diesen Vorgang. Wir sind auf dem Weg zu «dem, was innen ist», und viele Stimmen verkünden dies heute. Wir sind auf dem Pfad des Überganges (Können wir das den Pfad der Jüngerschaft nennen?), der uns in eine neue Dimension führen wird, in die innere Welt von wahrer Wirklichkeit und rechter Energie. Es ist eine Welt, in der nur der geistige Körper funktionieren und nur das Auge des Geistes sehen kann. Sie wird nicht von denen wahrgenommen werden, deren innere Wahrnehmung unerwacht ist und deren Intuition schläft. Wenn der geistige Körper beginnt organisiert zu werden, zu wachsen, und wenn das Auge der Weisheit sich langsam öffnet und sich übt, wahr zu sehen, dann werden die Anzeichen kommen, dass der in jedem Sohn Gottes verborgene Christus beginnt, seinen Einfluss geltend zu machen und den Menschen in die Welt des geistigen Seins, der wahren Bedeutung und der wesentlichen Werte zu führen. Diese Welt ist das Reich Gottes, die Welt der Seelen, und wenn sie offenbar wird, ist es dieser Ausdruck göttlichen Lebens, den wir das fünfte [29] Naturreich nennen können. Noch kann es nicht allgemein wahrgenommen werden; diese Welt wird offenbart durch den Vorgang der Einweihung.

Ehe Einweihung gewährt werden kann, muss die Bedeutung der obigen Ideen erfasst sein, gewisse grosse Entwicklungen sind notwendigerweise vorausgesetzt. Diese Erfordernisse kann man jetzt in dem Leben jedes Jüngers sich auswirken sehen, und für jene, welche Augen haben zu sehen, sind sie sichtbar am Werk, um Veränderungen in der Menschheit hervorzubringen.

Geistiges Streben ist das grundlegende Erfordernis sowohl für den Einzelnen wie für die ganze Menschheit. Sie strebt heute zu grossen Höhen, und dieses Streben ist verantwortlich für die grossen nationalen Bewegungen, die man in so vielen Ländern sieht. Gleichzeitig bemühen sich einzelne Jünger erneut um Erleuchtung, angespornt durch ihr Sehnen, der Weltnot zu begegnen. Geistige Selbstsucht, die für den Aspiranten der Vergangenheit so charakteristisch war, muss überwunden und verwandelt werden in Menschenliebe und in ein Teilhaben an der «Gemeinschaft von Christi Leiden» (Philister III/10). Das Selbst muss man beim Dienen aus den Augen verlieren. Dienst wird rasch zum Leitmotiv dieser Zeit und zu einem der Antriebe im menschlichen Streben. Schicksalsschläge und das Erdulden von schmerzlichen Erfahrungen sind immer das Los des einzelnen Jüngers. Es ist einleuchtend, dass der Weltjünger, die Menschheit selbst, einer solchen Prüfung für würdig befunden wird. Das allgemeine Auftreten von Schwierigkeiten in jedem Bereich menschlichen Lebens zeigt an, dass die Menschheit als Ganzes, keine Gruppe ausgenommen, im Begriff ist, für Einweihung vorbereitet zu werden. Dem heutigen Geschehen liegen Zweck und Absicht zugrunde. Die Wehen zur Geburt des Christus in der Menschheit haben begonnen, und Christus wird geboren werden «im Haus des Brotes» (dies ist der Sinn des Wortes «Bethlehem»). Die Folgen der gegenwärtigen Not und das Leiden in der Welt sind zu offensichtlich, um einer weiteren Erklärung zu bedürfen. Allen Weltangelegenheiten unserer Zeit liegt ein Zweck zugrunde, und Belohnung wartet am Ende des Weges. Eines Tages, vielleicht früher, als viele denken mögen, werden sich für den leidenden Weltjünger die Pforten der Einweihung weit öffnen, wie sie sich in der Vergangenheit für den Einzelnen immer geöffnet haben, und die Menschheit wird in ein neues Reich eintreten und [30] vor jener geheimnisvollen Gegenwart stehen, deren Licht und Weisheit durch die Person Christi in der Welt in Erscheinung trat, und deren Stimme in jeder der fünf Krisen, durch die Christus hindurchging, gehört wurde. Dann wird die Menschheit in die Welt der Ursachen und des Wissens eintreten. Wir werden in der inneren Welt der Wirklichkeit wohnen, und die äussere Erscheinung des physischen Lebens wird nur als Symbol der inneren Zustände und Geschehnisse erkannt werden. Dann werden wir zu arbeiten und zu leben beginnen als in die Mysterien Eingeweihte, und unser Leben wird aus dem Reich der Wirklichkeit gelenkt, wo Christus und seine Jünger (die unsichtbare Kirche) durch alle Zeiten die menschlichen Geschehnisse führen und beherrschen.

Das Ziel, das sie im Auge haben und auf das sie hinarbeiten, ist zusammengefasst für uns in einem Kommentar einer alten tibetanischen Handschrift.

«Alle Schönheit, alle Güte, alles, was der Ausrottung der Sorge und Unwissenheit auf Erden dient, muss der Einen Grossen Vollendung gewidmet sein. Denn wenn die Herren des Mitleids die Erde geistig zivilisiert und aus ihr einen Himmel gemacht haben werden, dann wird den Pilgern der endlose Pfad geoffenbart sein, der bis zum Herzen des Universums führt. Der Mensch, dann nicht länger Mensch, wird über der Natur stehen und unpersönlich, jedoch bewusst, im Eins-Sein mit allen Erleuchteten helfen, das Gesetz der Höheren Evolution zu erfüllen, von welcher Nirvana nur der Anfang ist». (Tibetanischer Yoga und Geheime Lehren, engl., von W. Y. Evans-Wentz, S. 12)

Dies ist unser Ziel, dies ist unser herrliches Endziel! Wie können wir dieser Vollendung entgegenschreiten? Welches ist der erste Schritt, den wir machen müssen? Ein unbekannter Dichter sagt:

«Wenn du unter dem äusseren Schein
die Ursachen sehen kannst,
die alle diese Wirkungen hervorbrachten

Wenn du fühlen kannst im warmen Strom des Sonnenlichts
die Liebe Gottes, welche die Erde umkreist,
dann wisse dich selbst eingeweiht in die Mysterien,
denen weise Menschen stets den grössten Wert zumassen».