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Drittes Kapitel - Die zweite Einweihung….. Die Taufe im Jordan - Teil 1

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Drittes Kapitel

Die zweite Einweihung..... Die Taufe im Jordan

Leitgedanke:

«Die Zeit ist günstig, um das christliche Leben ernsthaft und praktisch zu verwirklichen. ... In einer Zeit der Katastrophen findet ein Prozess asketischer Läuterung statt; ohne einen solchen kann es kein geistiges Leben geben, weder für die Gesellschaft noch für den Einzelnen. ...» (Freiheit des Geistes, engl., von Nicholas Berdyaev, S. 46)

Drittes Kapitel

​​​​​​​Die zweite Einweihung..... Die Taufe im Jordan

1.
«Wo immer [87] etwas wahrgenommen und empfunden wird, da besteht die Erfahrung der Seele, und wo immer Denken und Fühlen nicht mehr unterscheidbar sind, da ist die Seele. Seele bedeutet Einssein, Einheit, Vereinigung zwischen innerem Wünschen und äusserer Wirklichkeit. Wenn sich der Mensch auf das Wahrnehmen des Universums zubewegt, auf die Austauschbarkeit zwischen dem, was er als Wunsch aus dem Inneren empfindet, und dem, was er als die äussere Führung wahrnimmt, und wenn beides sich ausweitet, geht die Seele ihrer Grösse entgegen». (Kursiv von mir, A. A. B).

(Psychologie und prometheischer Wille, engl., von W. H. Sheldon, S. 130)

Die erste Einweihung hat stattgefunden. Christus ist in Bethlehem geboren worden. Die Seele ist zum äusseren Ausdruck gekommen, und nun schreitet diese Seele, Christus, (als der historische Vertreter alles dessen, was eine Seele sein kann), der individuelle Eingeweihte der Grösse zu. Die Mission des Erlösers beginnt endgültig zu dieser Zeit, aber um deretwillen, welche nachfolgen werden, muss er den Ton der Reinigung erklingen lassen und übereinstimmen mit den rituellen Erfordernissen und der allgemeinen Denkrichtung seiner Zeit. Der Eingeweihte, der die erste Stufe genommen hat, muss die Betonung auf die Läuterung der niederen Natur legen, die, das ist wesentlich, der zweiten Einweihung vorangehen sollte. Die Taufe des Johannes war das Symbol dieser Reinigung. Christus unterwarf sich der Taufe, indem er die Einwände des Johannes beiseiteschob mit seinem: «Lass es jetzt also sein! Es gebührt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen!» (Matth. III/15) Christus hat die Reife erreicht. Die Überlieferung sagt, dass er [88] dreissig Jahre alt war, als er getauft wurde und seine kurze, ungewöhnliche öffentliche Laufbahn begann. Wie weit dies historisch ist, wer kann es sagen? Es ist nicht von wirklicher Bedeutung. Christus war, ist und wird immer sein. Symbolisch gesprochen, war es notwendig, dass er dreissig Jahre zählte, denn in dieser Ziffer liegt Bedeutung in bezug auf die Menschheit. Dreissig bedeutet die Vollendung der drei Persönlichkeits-Aspekte: physischer Körper, Gefühlsnatur und Denken. Diese drei bilden die Formseite des Menschen und umhüllen oder verbergen die Seele. Sie sind in Wirklichkeit sein Kontakt-Mechanismus mit der äusseren Welt, die Ausrüstung, durch die sein Bewusstsein sich entfaltet und erwacht. In ihrer Gesamtheit bilden sie seinen «Reaktionsapparat», wie es die Psychologen nennen. Wir wissen, dass der Mensch sowohl ein physisches Tier wie ein fühlendes, empfindendes Wesen und eine denkende Wesenheit ist. Wenn diese drei Teile der niederen Natur des Menschen glatt funktionieren und zusammen eine Einheit für den Gebrauch des inneren Menschen bilden, ist das Resultat eine integrierte Persönlichkeit oder ein leistungsfähiges niederes Selbst. Dies bezeugt die Zahl Dreissig. Zehn ist die Zahl der Vollkommenheit, und Dreissig bestätigt die Vollkommenheit in allen drei Teilen der Ausrüstung der Seele.

Es ist interessant, sich zu vergegenwärtigen, dass durch diese drei Aspekte (oder Widerspiegelungen des göttlichen Wesens) der Mensch in Beziehung gebracht wird mit dem bestehenden Universum und deshalb mit Gott, der immanent ist in der Natur. Der physische Körper befähigt uns, die fühlbare, sichtbare Welt zu berühren. Die Gefühls- und Empfindungsnatur befähigt uns zu sagen: «Ich erhebe mein Herz zum Herrn». Die meisten Menschen leben in ihrer Herznatur und im Gefühlskörper, und durch das Herz finden wir den Weg zum Herzen Gottes. Nur durch Liebe kann Liebe offenbart werden. Wenn durch rechten Gebrauch und Verstehen das Denken endgültig ausgerichtet und in rechter Weise orientiert ist, wird es in Verbindung gebracht mit dem Denken Gottes, dem Universalen Denken, dem ZWECK, dem PLAN und dem WILLEN GOTTES. Durch das erleuchtete Denken des Menschen wird das Denken der Gottheit offenbart. So wird der Mensch gesehen als «zum Ebenbild Gottes geschaffen».

Bei der zweiten Einweihung [89] stand Christus in Reinheit und Reife all dieser Aspekte vor Gott, dem Einweihenden. Sein Mechanismus war angepasst und bereit für die Aufgabe und dadurch imstande, Zeugnis abzulegen von dieser Reinigung und Spannung in der Haltung, die ihn fähig machen würde, seine Mission bis zu einem befriedigenden Abschluss durchzuführen. Dies hatte er vor Gott und den Menschen durch die Läuterung zu erweisen, welche die Taufe geben konnte, und durch die darauf folgenden Versuchungen in der Wüste. Bereit für sein Werk besass er, was Dr. Sheldon «die drei Hauptbestandteile eines grossen Geistes» nennt, nämlich Enthusiasmus, intuitive Einsicht und geordnete tatsächliche Befähigung, und ferner wird ausgeführt, dass die beiden ersten «die vitaleren zwei sind, denn sie können nicht erworben werden, wenn ein Mensch ohne sie herangewachsen ist» (Psychologie und prometheischer Wille, engl., von W. H. Sheldon, S. 135).

Christus war auf diese Weise ausgerüstet.

Es mag von Wert sein, wenn wir hier kurz den Zweck untersuchen, für den er so ausgerüstet war. Wir sahen im letzten Kapitel, dass unser Planet, den wir die Erde nennen, von vielen modernen Wissenschaftlern von Rang als möglicherweise einzigartig in Beschaffenheit und Zweck angesehen wird. Sie bietet augenscheinlich Lebensbedingungen, die auf keinem anderen Planten gefunden werden. Dies mag stimmen oder nicht, und nur die Entfaltung des menschlichen Bewusstseins kann diese Theorie der Einzigartigkeit bestätigen oder verneinen. Wenn wir heutzutage auf unser planetarisches Leben in allen Reichen blicken, so ist die Schau entmutigend. Überall finden wir Tod und Krankheit und im Tier- und Menschenreich nicht nur diese, sondern auch Gewalttätigkeit vieler Art. In der menschlichen Familie ist der Anblick besonders betrüblich, so wenig haben wir das zu verstehen gelernt, wofür Christus eintrat, und so wenig haben wir aus dem Reinigungsprozess des modernen Lebens Nutzen gezogen. Der Wille zur Besserung ist auf vielen Gebieten bemerkbar, wo Einzelwesen betroffen sind, aber in der Menschheit als Ganzem ist der Impuls noch schwach. Er kann jedoch geweckt werden, und wir sollten erwachen zu den uns umgebenden Verantwortlichkeiten, wenn wir erneut die Botschaft der Liebe studieren, die Christus uns brachte. Es ist [90] sicher wahr, dass Christus zu uns kam mit einer umfassenderen und tieferen Botschaft als irgendeiner der früheren Botschafter aus dem Zentrum, aber das beeinträchtigt in keiner Weise Stellung und Werk jener, die ihm vorangingen. Er kam zu einer kritischen Zeit und in einer Periode der Weltkrise, und verkörperte in sich ein kosmisches Prinzip das Prinzip der Liebe, welche die hervorragende Eigenschaft Gottes ist. Andere Aspekte, Eigenschaften und Absichten der göttlichen Natur waren durch frühere Inkarnationen Gottes offenbart worden und erschienen, als die Menschheit den Punkt in ihrer Entwicklung erreicht hatte, wo eine richtige Reaktion möglich war. Zarathustra, um einen solchen Botschafter zu nennen, hatte die Aufmerksamkeit der Menschheit auf die Tatsache der zwei Grundprinzipien in der Welt gelenkt, die des Guten und des Bösen, dadurch wurde die grundlegende Dualität des Daseins betont. Moses offenbarte das Gesetz. Er rief die Menschen auf, Gott als das Prinzip der Gerechtigkeit zu erkennen, obwohl es für jene von uns, die nach der Offenbarung Christi leben, eine lieblose Gerechtigkeit zu sein scheint. Buddha verkörperte in sich das Prinzip der göttlichen Weisheit, und in klarer Einsicht in die Welt der Ursachen sah er das sterbliche Dasein, wie es war, und zeigte den Weg heraus. Aber das Prinzip der Liebe, das grundlegende Prinzip des Universums, war nicht offenbart worden, ehe Christus kam. Gott ist die Liebe, und als die Zeit erfüllt war, musste diese hervorragende Eigenschaft der göttlichen Natur offenbart werden und in solcher Weise, dass der Mensch sie zu begreifen vermochte. Hierfür verkörperte Christus in sich das grösste der kosmischen Prinzipien. Dieses Gesetz der Liebe kann im Universum als das Gesetz der ANZIEHUNG in Tätigkeit gesehen werden, mit allem, was dieser Ausdruck umfasst: Zusammenhalt, Ganzheit, Stellung, Lenkungund der rhythmische Lauf unseres Sonnensystems. Es kann auch in der Neigung Gottes zur Menschheit gesehen werden, wie sie uns durch Christus offenbart wurde. Dieses einzigartige Wirken Christi als Hüter und Offenbarer eines kosmischen Prinzips oder einer Energie steht hinter allem, was er tat, es war die Grundlage und das Resultat seiner erreichten Vollkommenheit. Es war Ansporn und Antrieb zu seinem Leben des Dienens, und es ist das Prinzip, auf dem das Reich Gottes gegründet ist.

Dass das [91] Heidentum keinen Zweck und kein Ziel kennt, ist heute für viele von uns eine Feststellung, die keine Untersuchung braucht. Alles, was sich in der Vergangenheit ereignete, hatte das zum Ziel, was sich ereignete, als Christus erschien. Es bereitete die Menschheit auf die günstige Gelegenheit vor, die sich dann darbot, und bildete die Grundlage, auf der die Gegenwart beruht. In ähnlicher Weise wird die bevorstehende Offenbarung des kommenden Jahrhunderts die Grundlage bilden, auf der die Zukunft ruhen wird; und für diesen Zweck ist alles, was sich jetzt ereignet, von höchster Bedeutung.

Christus hat nicht nur die Kluft zwischen dem Osten und dem Westen überbrückt, indem er in sich alles zusammenfasste, was der Osten an Werten beizutragen hatte, sondern ergab unserer westlichen Zivilisation (zu jener Zeit noch ungeboren) jene grossen Ideale und jenes Beispiel von Opfer und Dienen, das heute (zweitausend Jahre, nachdem er unter den Menschen wandelte) zum Leitgedanken für die besten Denker dieses Zeitalters wird. Die Geschichte der Ideen, wie sie kommen und das menschliche Bewusstsein beeindrucken und so den Ablauf der menschlichen Angelegenheiten verändern, ist der Kern der Geschichte. Indessen, seltsam genug, Ideen bilden das eine nicht voraussagbare Element der Zukunft. Irgendeine Individualität mit hervorragender Persönlichkeit tritt hervor aus der Masse der Menschen und denkt irgendeine grosse und dynamische Idee, die auf Wahrheit beruht, so durch, dass sie ins Sein tritt. Er formuliert sie in solche Begriffe, dass seine Mitmenschen sie erfassen und schliesslich danach leben können. Neue Richtungen, neue Antriebe und neue Impulse tauchen dann auf, und so entsteht Geschichte. Es kann wahrhaftig gesagt werden, dass es ohne Ideen keine Geschichte gäbe. Bei der Kundgebung einer kosmischen Idee und in der Fähigkeit, jene Idee zu einem Ideal von dynamischer Kraft zu gestalten, stand Christus allein. Durch sein Leben gab er uns eine Idee, die mit der Zeit das Ideal des Dienens wurde, so dass heute die Aufmerksamkeit vieler Regierender und Denker in der ganzen Welt auf das Wohlbefinden von Nationen und Menschen gerichtet ist. Dass die angewandte Technik und die benutzten Methoden, um das empfundene und erschaute Ideal zur Ausführung zu bringen, häufig falsch und unerwünscht sind, sie grausame und trennende Ergebnisse hervorbringen, ändert aber in keiner Weise die Tatsache, dass hinter all diesen idealistischen Experimenten der Menschheit dieses grosse Ideal [92] steht, göttlich inspiriert und für uns zusammengefasst durch Christus in seinem Leben und Lehren.

Christus gab die grösste aller Ideen dass Gott Liebe ist und dass Liebe sich in menschlicher Form offenbaren kann und, so manifestiert, eine Möglichkeit für alle Menschen bilden könnte. Sein Leben war die Darstellung einer solchen Vollkommenheit, wie sie die Welt niemals vorher gesehen hatte.

Die Seele, die der verborgene Christus in allem ist, vermittelt zwischen dem Geist (dem Vater) und dem menschlichen Wesen. Christus betonte das, indem er die Aufmerksamkeit auf die wesentliche Göttlichkeit des Menschen lenkte, von Gott als «unserem Vater» sprach, wie er auch der Vater Christi war. Er kam, um uns das Licht zu zeigen, das er (verborgen und verhüllt) in allem sah, und er schärfte uns ein, dass wir dieses Licht leuchten lassen sollten (Matth. V/16). Er rief uns auf und befahl uns, jene Vollkommenheit zu zeigen, von der er die Verkörperung war. Er bewies uns, dass es möglich ist, und er forderte uns auf, sie zum Ausdruck zu bringen. In dieser Einzigartigkeit der Offenbarung stand Christus allein; denn er war der Grösste, der Höchste und der Wahrste, der jemals erschienen ist, aber nicht darf ich es behaupten? weil er der Grösste war, der jemals erscheinen könnte. Man darf Gott nicht so begrenzen. Unter der evolutionären Offenbarung der Natur des Göttlichen scheint es, dass in Christus der höchste Punkt der Vergangenheit erreicht war und die Zukunft anzeigte. Ist es nicht möglich, dass es Aspekte und Eigenschaften der göttlichen Natur geben könnte, von denen wir bis jetzt nicht die geringste Vorstellung haben können? Ist es nicht wahrscheinlich, dass unser Empfindungsapparat noch ungeeignet ist, die Fülle Gottes zu erfassen? Könnte nicht unser Wahrnehmungsvermögen weitere entwicklungsmässige Entfaltung erfordern, ehe noch andere göttliche und geistige Merkmale für uns und in uns sicher offenbart werden können? Es mag künftige Offenbarung solch' erstaunlicher Wunder und solcher Schönheit geben, dass wir jetzt nicht die geringste Idee von ihrem möglichen Umriss entwickeln können. Sonst wäre Gott begrenzt und statisch und unfähig, mehr zu tun, als er bereits getan hat. Wie dürfen wir sagen, dass es für uns möglich sei, die Grenzen der göttlichen Natur wahrzunehmen? Wie kann der menschliche Intellekt so anmassend sein zu glauben, dass er eben durch Christus die letzten Ziele des [93] göttlichen Willens erkennen könnte? Die Geschichte der Entfaltung des menschlichen Bewusstseins beweist, dass Wahrheit fortschreitend gegeben wurde, und dass die leuchtende Schar der Weltlehrer eine ständig erweiterte Darstellung des Göttlichen gab; mit der Zeit wurde ihre Zahl immer grösser. Christus hat uns die höchste und die am meisten umfassende Offenbarung gegeben, auf die das menschliche Bewusstsein bis zur gegenwärtigen Zeit zu reagieren vermag. Aber wie können wir zu sagen wagen, dass Gott nichts weiter möglich ist, wenn wir bereit sind, es zu empfangen?

Dafür bereiten wir uns beständig vor. Sogar Christus selbst sagte zu seinen Jüngern: «Wer an mich glaubt, der wird die Werke tun, die ich tue, und er wird grössere als diese tun» (Joh. XIV/12). Entweder drücken diese Worte eine Wahrheit aus, oder der ganze Aufbau unseres Glaubens fällt zusammen. Es harrt noch mehr der Offenbarung, oder die vergangene Geschichte verliert ihren Sinn, alte Glaubensbekenntnisse büssen ihre Bedeutung ein, und wir haben einen unüberschreitbaren Punkt erreicht, den zu überschreiten Gott selbst unfähig scheint. Das können wir nicht annehmen.

Der kosmische Christus, der mystische Christus, der historische Christus und der individuelle Christus bestehen in alle Ewigkeit, und deshalb kann die Offenbarung fortschreitend sein. Wenn wir glauben können, dass Gott in allen Formen eingeschlossen ist und in dem, was die Formen offenbaren, so werden wir sicher, ebenso, wie unsere Ausrüstung sich entwickelt und unser Kontakt-Mechanismus sich verbessert, imstande sein, mehr von dem Göttlichen zu sehen als jetzt, und zu späterer Zeit einer grösseren Offenbarung für wert gehalten werden. Nur unsere Begrenzungen als menschliche Wesen hindern uns, alles zu sehen, was es zu sehen gibt.

Die neue Geburt brachte uns zu dem Punkt, wo wir einer neuen Welt des Lichts und des Seins gewahr wurden. Durch den Vorgang jener Einweihung wurden wir Bürger des Reichs Gottes, das Christus als eine Tatsache im Bewusstsein der Menschen aufzurichten kam. Wir gehen durch die neue Geburt in eine Welt, die von einer höheren Reihe von Gesetzen beherrscht wird, den geistigen Gesetzen, und neue Ziele tun sich vor uns auf, neue Aspekte unserer eigenen verborgenen geistigen Natur tauchen auf, und wir beginnen in uns die Umrisse eines neuen Seins zu entdecken mit ganz anderen Wünschen, ganz anderen Verlangen, Idealen und [94] Methoden des Weltdienstes.

Wir sprechen viel von der Einswerdung, die Christus in sich und für den Menschen vollzog. Wir erkennen die Einheit, die er mit dem Vater fühlte, und dass er uns zu einer ähnlichen göttlichen Einheit aufgerufen hat. Aber ist es nicht möglich, dass er eine viel weitere Synthese errichtete als jene des Individuums mit Gott die Synthese des Reichs Gottes?

Was bedeuten diese Worte? Wir haben vom Himmelreich in Begriffen des Getrenntseins gesprochen. Wir sind entweder in diesem Reich oder ausserhalb. Es wird uns gesagt, dass wir aus dem Menschenreich (das durch die Welt, das Fleisch und den Teufel beherrscht wird) heraus- und in ein anderes Reich eintreten sollen, das als völlig verschieden geschildert wird. Jedoch, ist dies so? Alle Aspekte der drei untermenschlichen Reiche (Tier-, Pflanzen- und Mineralreich) werden im Menschen gefunden, und ihre Synthese, zuzüglich einem anderen Faktor, dem göttlichen Intellekt, nennen wir das Menschenreich. Der Mensch vereint in sich die sogenannten niederen Manifestationen des Göttlichen. In den untermenschlichen Naturreichen finden wir drei Haupttypen von Bewusstsein: das Mineralreich mit seiner subjektiven Unterscheidungskraft, seiner Fähigkeit zu wachsen und seiner schliesslichen Radioaktivität, das Pflanzenreich mit seiner Sensitivität oder Empfindungsfähigkeit und seinem sich entwickelnden Reaktionsapparat auf Sonnenlicht, auf Wärme, Kälte und andere klimatische Umweltbedingungen, das Tierreich mit seiner sehr erweiterten Wahrnehmungsfähigkeit, seiner Befähigung zu freier Bewegung und zu weiteren Kontakten vermöge seiner Instinktnatur. Das Menschenreich vereinigt in sich alle diese Arten von Wahrnehmungsfähigkeit Bewusstsein, Gefühl, Instinkt - dazu jener geheimnisvollen menschlichen Fähigkeit, die wir das Denken nennen, und wir fassen alle diese ererbten Eigenschaften zusammen mit dem Wort «Selbstbewusstsein».

In der Erfahrung des intelligenten menschlichen Wesens kommt jedoch eine langsam dämmernde Erkenntnis, dass es ausserhalb von ihm etwas grösseres und von höherem Wert gibt. Er ist empfänglich für feinere und zartere Kontakte und für Eindrücke, die er geistig, gedanklich, mystisch nennt. Eine andere Art von Bewusstsein beginnt in ihm zu keimen, und bei der Geburt in Bethlehem wird dieses Gewahrwerden offensichtlich und erkennbar. So, wie [95] das menschliche Wesen all das in sich verbindet, was gewesen ist, zuzüglich seiner eigenen besonderen Beschaffenheit und Eigenschaften, so können in ihm auch Eigenschaften aufzutauchen und sich zu zeigen beginnen, die nicht menschlich sind.

Angehörige des Gottesreichs werden dann die Erbschaft von vier Reichen verkörpern, wie der Mensch die Erbschaft von dreien verkörpert. Diese höhere Zugehörigkeit schliesst den Ausdruck des Christusbewusstseins ein, welche das Bewusstsein der Gruppe ist, der Beziehung des Teils zum Ganzen (etwas, das Christus ständig betonte), und des Menschlichen zum Göttlichen. Das Ergebnis dieser Verwirklichung muss sicherlich nach dem Plan der Evolution das Erscheinen eines weiteren Naturreichs sein. Das ist die grosse Aufgabe des Christus. Durch die Kraft seiner verwirklichten Göttlichkeit brachte er den Menschen hervor, der in sich das Beste von allem zusammenfasste, was gewesen ist, und auch offenbarte, was sein könnte. Er brachte das Höhere und das Niedere zu einer funktionierenden Einheit und schuf daraus «einen neuen Menschen». Er gründete das Reich Gottes auf Erden und stellte eine Zusammenfassung aller Naturreiche her, wodurch das Erscheinen eines fünften Reichs bewirkt wurde. Wir möchten die von ihm hervorgebrachten Einswerdungen wie folgt zusammenfassen:

1. Er vereinigte in sich zur Vollkommenheit die physischen, emotionellen und mentalen Aspekte des Menschen und stellte dadurch den vollkommenen Menschen anschaulich dar.

2. Er vereinigte in sich Seele und Körper, den höheren und den niederen Aspekt, und brachte dadurch eine göttliche Inkarnation hervor.

3. Er vereinigte in sich das Beste von allen Naturreichen, dem mineralischen, pflanzlichen und tierischen, die in ihrer Synthese den Menschen mit dem tätigen Intellekt bedeuten.

4. Dann verband er diese Synthese mit einem höheren spirituellen Faktor und brachte ein neues Naturreich zum Entstehen, das fünfte.

Nachdem er in sich zum Segen der Menschheit eine Vereinigung oder Einswerdung nach der anderen vollzogen hat, erscheint Christus vor Johannes dem Täufer und geht durch die zweite Einweihung, jene der Reinigung in den Wassern des Jordans. Durch [96] die Taufe und durch die folgenden Versuchungen zeigte er seine Reife, fasste seine Mission ins Auge und erwies vor der Welt seine Reinheit und seine Kraft.

Die dritte Einweihung, die Verklärung, bezeugte die Tatsache der von Christus zwischen Seele und Körper vollzogenen Vereinigung. Die Integration war vollständig, und die darauf folgende Erleuchtung wurde seinen Jüngern sichtbar gemacht. Er erschien vor ihnen als Menschensohn und als Gottessohn, und nachdem er ihnen bewiesen hatte, wer er war, stand er Aug' in Auge mit dem Tod, der vor ihm lag, und mit dem zu leistenden Dienst. In der vierten Einweihung demonstrierte er diese Integration nicht nur als der Gottmensch, sondern als der Eine, der in seinem Bewusstsein die ganze Welt der Menschen umfasst. Er vereinigte sich selbst mit der Menschheit und offenbarte die Wirksamkeit jener göttlichen Energie, die ihn befähigte, in Wahrheit zu sagen: «Und ich, wenn ich erhöht sein werde von der Erde, so will ich sie alle an mich ziehen» (Joh. XII/32). Er ward zwischen Erde und Himmel emporgehoben, und für zweitausend Jahre sind diese seine Worte ohne Echo geblieben.

2.
Dann kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen lasse. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: «Ich bedarf wohl, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?»

Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: «Lass es jetzt also sein! Es gebührt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen». Da liess er's ihm zu.

Und Jesus, als er getauft war, stieg alsbald herauf aus dem Wasser, und siehe, da tat sich der Himmel über ihm auf. Und er sah den Geist Gottes gleich einer Taube herabfahren und über ihn kommen.

Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: «Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe». (Matth. III/1317)

In solchen einfachen Worten wird uns die Geschichte dieser Einweihung erzählt. Der Leitgedanke ist Läuterung, und sie beschloss eine Periode der Vorbereitung, eine Zeit ruhigen Dienens, und leitete einen Zyklus emsiger Tätigkeit ein. Die Reinigung der [97] niederen Natur ist ein Erfordernis, das die christliche Kirche immer betont hat, wie es auch der Hinduglaube tat. Christus hielt dieses Ideal seinen Jüngern und allen Menschen vor, wenn er sagte: «Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen» (Matth. V/8).

In einer alten Abhandlung über Meditation, den Yoga-Sutras des Patanjali, ruft der Lehrer aus: «Durch Läuterung kommt auch ein ruhiger Geist ... und die Fähigkeit, das Selbst zu schauen» (II, 41). Läuterung hat viele Arten und Grade. Da ist physische Reinheit und moralische Reinheit, da ist auch jene magnetische Reinheit, die den Menschen zu einem Kanal für geistige Kraft macht. Da ist psychische Reinheit, die selten zu finden ist, und mentale Reinheit. Das Wort «purity» = Reinheit kommt von dem Sanskritwort «pur») das Freiheit von Vermischung bedeutet, von Begrenzung und vom Gefangensein des Geistes in den Ketten der Materie. Es gibt keine Zielerreichung ohne Läuterung. Es gibt keine Möglichkeit für unser Schauen und Manifestieren von Göttlichkeit ohne Hindurchgehen durch die reinigenden Wasser. In der Welt geht heute ein grosses Reinemachen vor sich. Eine «asketische Reinigung» und eine erzwungene Abstinenz von vielem, was bis jetzt begehrenswert erschien, geschieht in der Welt, und keiner von uns kann dem entrinnen. Das ist verursacht durch das Zusammenbrechen des Wirtschaftssystems und der vielen anderen Systeme, die sich in der modernen Welt als ungeeignet erwiesen haben. Läuterung wird uns aufgezwungen, und die Folge muss ein Sinn für wahrere Werte sein. Eine Reinigung von falschen Idealen, eine Läuterung der Menschheit von unredlichen Massstäben und unerwünschten Zielen wird machtvoll in dieser Zeit angewendet. Vielleicht bedeutet dies, dass heutzutage viele Menschen zum Jordan hinuntergehen, um in die reinigenden Wasser einzutreten. Möge die selbst-auferlegte asketische Reinigung und die Erkenntnis ihres Wertes durch die Pioniere der menschlichen Familie insofern erfolgreich sein, dass sie zur Pforte der Einweihung führt!

Eine interessante Analogie zu dem, was heute in der Menschheit [98] geschieht, ergibt sich vom astrologischen Standpunkt aus. Wir treten ein in das Zeichen des Wasserträgers, des Aquarius. Dieses Zeichen steht symbolisch für Gruppenreinheit und Gruppenbeziehungen, für die Allgemeingültigkeit der Erfahrung und für die über alle ausgegossenen Wasser. Als wir vor etwa 200 Jahren in dieses Zeichen einzutreten begannen, wurde das Wasser zum ersten Mal von allgemeinem Interesse und kam zu allgemeiner Anwendung für das Gesundheitswesen und für die Bewässerung. Die Beherrschung des Wassers und seine Nutzbarmachung als Transportmittel in weltweitem Ausmass wurde möglich. Der Gebrauch des Wassers in unseren Wohnungen ist jetzt so allgemein, dass wir uns kaum vorstellen können, wie die Welt vorher gewesen ist.

Christus trat in dieser grossen Einweihung in den Strom ein, und die Wasser flossen über ihn. In Indien wird diese Einweihung das «Eintreten in den Strom» genannt. Wer sich ihr unterzieht, wird so angesehen, als habe er physische und psychische Reinheit bewiesen. Wenn wir diese Einweihung betrachten, müssen wir daran denken, dass sich die Erzählung auf zwei Arten von Taufe bezieht.

Johannes antwortete, indem er zu allen sagte: «Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht würdig bin, die Riemen seiner Schuhe zu lösen, der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen» (Lukas III/16).

Es gibt also zwei Arten von Taufe:

1. jene von Johannes dem Täufer, die Taufe mit Wasser,

2. die Taufe Jesu Christi, diejenige mit dem Heiligen Geist und mit Feuer.

In diesen zwei Symbolen ist viel von der Geschichte der menschlichen Entwicklung zusammengefasst, und das gemeinsame Wirken von Johannes dem Täufer und Jesus erzeugte eine Synthese, die das unmittelbare Ziel unseres menschlichen Bestrebens anzeigt. Der Symbolismus entspricht genau der alten Mysterienlehre. Ein eingehendes Studium dieser symbolischen Darstellung einer Grundwahrheit würde in allen Ländern für die Sucher sehr nützlich sein, und ein Verstehen der Bedeutung der verwendeten Symbole würde viel Licht auf die Wirklichkeit werfen.

In der Evolution der Menschheit wird die empfindende und fühlende Natur zuerst entwickelt, und immer ist Wasser das Symbol [99] dieser Natur gewesen. Die flüssige Natur der Gefühle, der ständige Wechsel zwischen Freude und Schmerz, die Stürme, die sich in der Welt des Fühlens erheben, und der Friede, die Ruhe, die sich auf einen Menschen herabsenken können, machen das Wasser zum angemessensten Symbol dieser subtilen inneren Welt der niederen Natur, in der die meisten von uns leben und worin unser Bewusstsein vorherrschend konzentriert ist. Der durchschnittliche Mensch, Mann oder Frau, ist vorherrschend eine Mischung der physischen und emotionellen Natur. Für alle früheren Rassen ist dies charakteristisch, und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass im alten Atlantis die Zivilisation gänzlich im Empfinden und Begehren konzentriert war, in den Gefühlen, und bei den fortgeschrittensten Typen im Leben des Herzens. Johannes der Täufer gab deshalb die Wassertaufe, welche die Reinigung der emotionellen Natur bezeugt, die immer eine Vorstufe für die Läuterung durch Feuer sein muss.

Die Jordantaufe ist symbolisch für die Reinigung des menschlichen Bewusstseins, so, wie Christus und seine Taufe für uns das Göttliche im Menschen symbolisierte und die Läuterung, die der Tätigkeit jenes göttlichen Geistes in der niederen Natur folgt. Das Gewissen mit seinem Ruf nach Anerkennung der höheren Werte, der tieferen Wahrheiten, und der Geburt ins Leben führt zum Jordan, und so ging Christus dorthin, um alle «Gerechtigkeit zu erfüllen». Diese Erfahrung geht immer der Taufe in Christus und durch Christus voraus.

Die Taufe des Johannes war ein Schritt auf dem Weg ins Zentrum und von allgemeinerer Anwendung als die Taufe Jesu, denn wenige sind jetzt bereit für die zweite Einweihung. Sie ist Vorbereitung für die endgültige Taufe, denn die Läuterung der emotionellen Natur muss der Läuterung der Gedankennatur rechtzeitig vorausgehen, geradeso, wie in der Evolution der Menschheit (und gleicherweise eines Kindes) der empfindende, fühlende Mensch sich zuerst entwickelt, dann kommt das Denken in Tätigkeit. Die Taufe, die Christus seinen Nachfolgern gibt, betrifft die Reinigung des Denkens durch Feuer. Feuer ist im allgemeinen religiösen Symbolismus immer das Sinnbild der Gedankennatur. Diese Taufe durch Feuer ist die Taufe des Heiligen Geistes.

Also ging Jesus [100] von Nazareth und Galiläa weg, um die nächste Stufe zu nehmen, die in seiner Erfahrung angezeigt war. Als Ergebnis der Lebenserfahrung und innerer Weihe war er bereit für die nächste Einweihung. Diese erfolgte im Fluss Jordan. Jordan bedeutet «das, was herabsteigt», aber auch nach einigen Kommentatoren «das, was trennt», so, wie ein Fluss das Land teilt und trennt. In der esoterischen Symbolik bedeutet das Wort «river» (Fluss) häufig Diskrimination, d. i. Unterscheidung. Wir haben gesehen, dass Wasser die emotionelle Natur versinnbildlicht und dass die Reinigung im Jordan durch die Taufe die vollständige Befreiung von allem Fühlen, allen Wünschen und von dem Leben des Verlangens bezeichnet, das der bestimmende Faktor für die meisten Menschen ist. Die erste Einweihung versinnbildlicht die Zueignung des physischen Körpers und des Lebens auf der physischen Ebene an die Seele. Die zweite Einweihung steht für die tatsächliche Kontrolle und Weihe der Wunschnatur, der Natur des Verlangens mit ihren gefühlsmässigen Reaktionen und ihrem machtvollen Wunschleben, an das Göttliche.

Nun tritt ein neuer Faktor ein, die unterscheidende Fähigkeit des Denkens. Vermittels dieser kann der Jünger das mentale Leben unter Kontrolle bringen und es dem Leben des Reiches Gottes weihen, was in der dritten Einweihung vollendet wird. Durch die richtige Anwendung des Denkens ist der Jünger imstande, die rechte Wahl zu treffen und die endlosen Paare der Gegensätze (mit Weisheit) im Gleichgewicht zu halten.

Wir gehen einigermassen unbewusst durch die Einweihung der Geburt. Die volle Bedeutung dessen, dem wir uns unterzogen haben, zeigt sich uns nicht. Wir sind «Kinder in Christo», und wie Kinder leben wir und unterwerfen uns der Disziplin, indem wir allmählich zur Reife wachsen. Aber es kommt eine Zeit im Leben jedes Eingeweihten, wo eine Wahl getroffen werden muss, und Christus stand dieser gegenüber. Ein klarer, sauberer innerer Bruch mit der Vergangenheit muss erfolgen, ehe wir eine Zukunft bewusst unternommenen Dienens ins Auge fassen können und wissen, dass von dieser Zeit an nichts wie früher sein wird.

Diese Einweihung bezeichnete eine ungeheuere Veränderung im Leben Jesu von Nazareth. Bis zu dieser Zeit war er dreissig Jahre hindurch einfach der Zimmermann in der kleinen Stadt [101] und der Sohn seiner Eltern. Er war eine Persönlichkeit und wirkte viel Gutes in einem kleinen Kreis. Aber nach der Reinigung im Jordan, nachdem er alle Gerechtigkeit erfüllt hatte» (Matth. III/15), wurde er der Christus, ging durch sein Land, diente der Menschheit und sprach jene Worte, die für Jahrhunderte unsere westliche Zivilisation geformt haben. Für jeden von uns muss die gleiche grosse Ausdehnung kommen, und dies geschieht, wenn wir fähig sein werden, die zweite Einweihung zu nehmen. Unser Wunschleben wird dann vor die wesentliche Wahl gestellt, die richtig zu handhaben uns nur das Denken befähigen kann.

In Cruden's Concordance wird gesagt, dass der Name Johannes «Was Gott gab» bedeutet, und in den drei Namen, die zusammen in dieser Episode erscheinen: Johannes, Jesus und Christus, ist die ganze symbolische Geschichte des geweihten Aspiranten zusammengefasst. Johannes symbolisiert den im Menschen tief verborgenen göttlichen Aspekt, der den Menschen zur erforderlichen Reinheit antreibt. Jesus versinnbildlicht in diesem Fall den geweihten verpflichteten Jünger oder Eingeweihten, der zu dem Vorgang bereit ist, durch den seine Reinigung besiegelt wird. Christus, der göttliche, immanente Sohn Gottes, der jetzt fähig ist, sich durch Jesus zu offenbaren, denn Jesus hat sich der Taufe durch Johannes unterzogen. Die Unterwerfung und vollständige Reinigung fand ihren Lohn.

Bei dieser Einweihung geschah es, dass Gott selbst seinen Sohn als den Einen bezeichnete, an dem er «sein Wohlgefallen» hätte. Jede Einweihung ist einfach eine Erkenntnis. In manchen mystischen und esoterischen Schulen geht die falsche Idee um, dass Einweihung eine geheimnisvolle Zeremonie einschliesse, bei der mittels des Initiators und des Einweihungsstabes die Umstände im Aspiranten entscheidend gewandelt werden, so dass er hinterher für immer verändert und verschieden ist. Eine Einweihung findet statt, wenn der Mensch durch seine eigene Anstrengung ein Initiat wird. Nachdem er «das Himmelreich mit Gewalt genommen» (Matth. XI/12) und «seine eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern erwirkt» (Philister II/12) hat, wird sein geistiger Zustand von Gleichgesinnten unmittelbar erkannt, und er wird zur Einweihung zugelassen.

Bei der [102] Einweihung ereignen sich zwei Dinge: Der Initiat entdeckt seine Mit-Initiaten, jene, denen er sich zugesellen kann, und er findet auch die Aufgabe, zu der er berufen ist. Er wird seiner Göttlichkeit in einem neuen und wirklichen Sinn gewahr, nicht nur als einer tiefen geistigen Hoffnung, einer hypothetisch angenommenen Möglichkeit und eines Herzenswunsches. Er weiss selbst, dass er ein Sohn Gottes ist, deshalb wird ihm Erkenntnis zuteil. Dies war eindrucksvoll der Fall bei Jesus Christus. Seine Aufgabe mit ihren schrecklichen Verwicklungen tauchte vor seinen Augen auf, und dies mag sicherlich der Grund gewesen sein, weshalb es ihn in die Wüste trieb. Der Drang nach Einsamkeit, das Suchen nach jener Stille, wo Nachdenken und Entschlusskraft einander kräftigen können, war die natürliche Folge dieser Erkenntnis. Er sah, was er zu tun hatte zu dienen, zu leiden und das Reich Gottes zu gründen. Die Bewusstseinserweiterung war unmittelbar und tief. Dr. Schweitzer sagt in diesem Zusammenhang:

«Von Jesu früherer Entwicklung wissen wir nichts. Alles liegt im Dunkel. Nur eines ist sicher: Bei seiner Taufe war das Geheimnis seines Daseins vor ihm enthüllt worden, nämlich dass er der eine war, den Gott zum Messias bestimmt hatte. Mit dieser Offenbarung war er vollendet und unterzog sich keiner ferneren Entwicklung mehr. Denn nun ist er sicher, dass er für das Reich Gottes als der unerkannte verborgene Messias arbeiten und zusammen mit seinen Freunden sich bewähren und reinigen müsse, bis die Messiaszeit, in der er seine glorreiche Hoheit offenbaren würde, mit ihrem am Ende stehenden Leiden da sein wird». (Das Mysterium des Reiches Gottes, von Albert Schweitzer, S. 354).

Für den Menschen Jesus war das vielleicht eine erschütternde Offenbarung. Trübe Vorgefühle von dem zu betretenden Pfad mögen zu Zeiten sein Denken beschäftigt haben, aber die vollen Folgerungen und das Bild des vor ihm liegenden Weges konnten in ihrer ganzen Schwere erst dann in seinem Bewusstsein erwachen, als er sich der zweiten Einweihung unterzogen hatte und seine Läuterung vollkommen war. Er fasste dann das Leben des Dienstes ins Auge und die Schwierigkeiten, die den Pfad jedes bewussten Gottessohnes begleiten. Derselbe Schriftsteller sagt:

«In Jesu messianischem [103] Bewusstsein gewann der Gedanke des Leidens, auf ihn selbst angewendet, eine geheimnisvolle Bedeutung. Die Messiasschaft, deren er in der Taufe bewusst wurde, war nicht ein Besitz noch ein Gegenstand der Erwartung, aber in seiner eschatologischen Vorstellung war es eine Selbstverständlichkeit, dass er durch die Prüfung des Leidens das werden musste, was Gott ihm zu sein bestimmt hatte. Sein Messiasbewusstsein war niemals ohne den Gedanken der Passion. Leiden ist der Weg zur Offenbarung der Messiasschaft». (a. a. O., S. 223)

Christi ganzes Leben war eine lange «via dolorosa», doch es war immer erleuchtet durch das Licht seiner Seele und das Erkennen des Vaters. Obwohl, wie im Neuen Testament berichtet wird, sein Leben in bestimmte Perioden und Zyklen geteilt war, und obwohl die Einzelheiten dessen, was er zu tun hatte, ihm nur nach und nach offenbart wurden, war sein Leben ein grosses Opfer, eine grosse Erfahrung und hatte einen bestimmten Zweck. Diese Bestimmtheit des Ziels und diese Widmung des ganzen Menschen für ein Ideal sind Bedingungen, die den Status der Einweihung anzeigen. Alle Lebensereignisse beziehen sich auf das Vorwärtstragen der Lebensaufgabe. Das Leben bekommt wirkliche Bedeutung. Dies ist eine Lektion, die wir alle, Uneingeweihte und Aspiranten, nun lernen können. Wir können zu sagen beginnen: «Das Leben, wenn ich darauf zurückschaue, ist für mich nicht eine Reihenfolge von Erfahrungen, sondern nur eine grosse Erfahrung, hier und dort erleuchtet durch Augenblicke der Offenbarung». (Das Suchen eines Pilgers nach dem Absoluten, engl., von Lord Conway of Allington, S. 8)

Diese Erleuchtung wächst beständiger, wenn die Zeit fortschreitet. Der alte Hindulehrer Patanjali lehrte, dass die Erleuchtung siebenfältig sei und durch aufeinanderfolgende Stufen fortschreite. (Die Yoga-Sutras des Patanjali, engl., II, 27) Es ist, als ob er sich in Gedanken mit den sieben Erleuchtungen befasste, die zu allen Söhnen Gottes kommen, die sich im Erwachen zu ihren göttlichen Gelegenheiten befinden: die Erleuchtung, die uns zuteil wird, wenn wir uns entscheiden, den Probepfad zu betreten, und uns für die Einweihung vorbereiten. Dann ist das Licht ausgegossen über die ferne Vision, und wir fangen einen flüchtigen Schimmer unseres Ziels ein. Gleich darauf wird das Licht über uns selbst ausgegossen, wir erhalten eine Vision dessen, was wir sind und was wir sein können, und betreten den Pfad der Jüngerschaft, oder in der Ausdrucksweise der Bibel wir beginnen die lange Reise nach [104] Bethlehem. Dann folgen die fünf Einweihungen, die wir studieren. Jede von ihnen bezeichnet ein Zunehmen des Lichts, das auf unseren Weg scheint, und entwickelt jenes innere Strahlen, das alle Gotteskinder befähigt, mit Christus zu sagen: «Ich bin das Licht der Welt» (Joh. VIII/12) und seinem Befehl zu gehorchen, in dem er uns sagt: «Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen damit sie sehen mögen!» (Matth. V/16). Dieses Licht in seinen sieben Stufen offenbart Gott: Gott in der Natur, Gott in Christus, Gott im Menschen. Es ist die Ursache der mystischen Vision, über die soviel geschrieben und gelehrt worden ist und von der die Leben der Heiligen beider Hemisphären immer gezeugt haben.

Man ist verwundert über den ersten Menschen, der den ersten schwachen Schimmer (mit seinem trüben inneren Licht) der vor ihm liegenden unendlichen Möglichkeiten empfing. Er erhaschte einen Schimmer von Gott, und von dieser Minute an wurde das Licht Gottes immer stärker. Es gibt eine alte Legende (und wer kann sagen, dass sie sich nicht auf eine Tatsache gründet?), wonach Jesus von Nazareth der Allererste aus unserer Menschheit war, der in einer dunklen und ganz fernen Vergangenheit diesen Schimmer erhaschte, und dass er, durch die Festigkeit seiner geradlinigen Anstrengung, der Erste unserer Menschheit war, der in das wahre Licht Gottes selbst emporstieg. Vielleicht berührte Paulus diese Wahrheit, wenn er von Christus sprach als dem «Ältesten in einer gewaltigen Familie von Brüdern» (Römer VIII/29). Ob nun diese Legende wahr ist oder nicht, Christus trat ein in das Licht, denn er war Licht, und die Geschichte des Menschen ist eine allmählich zunehmende Erleuchtung gewesen, bis heute das Strahlen überall zu finden ist.

In diesem innewohnenden göttlichen Licht, latent und doch von Gott ausgehend, sah Christus die Vision, und diese Vision offenbarte ihm seine Sohnschaft, seine Messiasschaft und den Weg seines Leidens. Diese Vision ist die Erbschaft und Offenbarung jedes einzelnen Jüngers. Diese mystische Offenbarung kann empfangen werden, und, einmal empfangen, bleibt sie eine Tatsache, oft unerklärlich, aber doch eine bestimmte, klare und unentrinnbare Wirklichkeit. Sie gibt dem Eingeweihten das Vertrauen und die [105] Kraft zum Vorwärtsgehen. Sie ist wirksam in unserer Erfahrung und die Wurzel all unserer zukünftigen Beschaffenheit und unseres Dienens; sie ist unangreifbar. Auf dieser Grundlage bewegen wir uns mutig aus dem Bekannten ins Unbekannte. Sie ist schliesslich unbeschreiblich, denn sie betont unsere Göttlichkeit, ist gegründet auf göttlicher Eigenschaft und strömt von Gott aus. Sie ist ein kurzer Blick in das Reich Gottes und eine Offenbarung des Wegs, der begangen werden muss, um dorthin zu gelangen. Sie ist eine Ausweitung, die es uns ermöglicht, uns vorzustellen, dass das Reich Gottes ein Zustand der Seele ist, «vom Geist kommend und in den Körper zurückgestrahlt». (Die Religion der Liebe, engl., von Grossfürst Alexander von Russland)

Der erste Schritt in dieses Reich geschieht durch die neue Geburt. Der zweite Schritt geschieht durch die Taufe der Reinigung. Es ist ein Vorgang des Wachsens in die Eigenarten des Reichs und die allmähliche Erlangung jener Reife, die den Bürger dieses Reichs kennzeichnet. Christus zeugte hierfür durch die Taufe, als er die Reife erlangte. Er gab uns ein Beispiel, und durch sein triumphierendes Bestehen der drei Versuchungen bewies er die benötigte Reinheit.

Das Kind in Christus, das kleine Kind, der voll erwachsene Mensch, der vollkommene Mensch! Durch die Bethlehem-Erfahrung wird das Kind geboren. Das kleine Kind wächst zur Reife und offenbart sie in seiner Reinheit und Kraft bei der Taufe. Er erweist sich bei der Verklärung als der voll erwachsene Mensch, und er steht am Kreuz als der vollkommene Sohn Gottes. Eine Einweihung ist jener Augenblick, in dem ein Mensch in seinem ganzen Wesen fühlt und weiss, dass Leben Wirklichkeit und Wirklichkeit Leben ist. Für einen kurzen Augenblick wird sein Bewusstsein allumfassend, er sieht nicht nur die Vision und hört das Wort der Erkenntnis, sondern er weiss, dass die Vision von ihm selbst stammt und dass das Wort er selbst ist, der Fleisch wurde.

Das ist der wesentliche Faktor. Eine Einweihung ist ein Lichtstrahl der Erleuchtung, auf den Fluss des Daseins geworfen, und sie hat die Natur einer ganzen Erfahrung. Darin ist nichts Unbestimmtes, und der Eingeweihte ist niemals wieder ganz derselbe in seinem Bewusstsein.

Im Jordanfluss [106] strömte das Licht des Himmels auf Christus, und sein Vater sprach jene Worte, die durch die Zeitalter hindurch ertönten und Antwort bei allen Aspiranten des Reichs hervorgerufen haben. Der Geist Gottes kam als eine Taube herab auf ihn. Die Taube ist immer ein Symbol des Friedens. Aus zwei Gründen war sie bei dieser Einweihung das gewählte Zeichen. Wasser ist, wie wir gesehen haben, das Symbol der emotionellen Natur, die, wenn sie durch Einweihung gereinigt ist, ein friedvoller, klarer Teich wird, fähig, die göttliche Natur in ihrer Reinheit widerzuspiegeln. So kam in Form einer Taube der Friede Gottes auf Jesus herab.

Zweitens, die wesentlichen Dualitäten des Daseins sind für uns in der Bibel sinnbildlich dargestellt. Das Alte Testament steht für den natürlichen niederen Menschen, den Jungfrau-Maria-Aspekt, der in sich die Verheissung des Messias trägt, dessen, der kommen soll. Das Neue Testament steht für den geistigen Menschen, für den fleischgewordenen Gott und für die Geburt dessen, was die materielle Natur so lange trug und verhüllte. Das Alte Testament beginnt mit der Erscheinung des Raben zur Zeit der Erschaffung der alten Welt, soweit wir beginnen, es zu wissen. Das Neue Testament beginnt mit der Erscheinung der Taube, eines das Symbol der tobenden Wasser, das andere das Symbol der Wasser des Friedens. Durch Christus und die Entfaltung des Christuslebens in jedem menschlichen Wesen wird «der Friede» kommen, «welcher alle Vernunft übersteigt» (Philister IV/7).

Als Christus da in den Wassern des Jordan stand, sah er die Welt als Mensch. Als er auf dem Berg der Verklärung stand, sah er die Welt als Gott. Doch in dieser Einweihung stand er auf einer Ebene mit seinen Brüdern und verkörperte Reinheit und Frieden. Lasst uns daran denken, dass «vom Gesichtspunkt anderer nur jener Mensch schöpferisch ist, der sie über das, was sie bereits wissen, hinausführen kann; doch dies kann er nicht tun, bis er ihnen in ihrem Wissen gleich geworden ist». (Die Entdeckung der Wahrheit, von Hermann Keyserling, S. 216)

Dies ist ein Punkt, den man im Gedächtnis behalten sollte. Christus [107] war gereinigt. Aber vor ihm lagen die Versuchungen. Er hatte in seinem Bewusstsein (von neuem oder durch das Wiederauftauchen einer alten Vergangenheit von Prüfungen und Erprobungen) uns gleich zu werden in allen Punkten, von Sünde, von Schwäche und menschlicher Fehlerhaftigkeit, von menschlichem Erfolg und Zielstreben. Christus hatte sowohl seine moralische Grösse als auch seine Göttlichkeit zu erweisen und seine Vollkommenheit als ein Mensch, der Reife erlangt. Er hatte durch die Prüfungen zu gehen, denen sich jeder, der Bürger des Reichs werden möchte, unterwerfen muss, wenn er aufgerufen ist, seine Tauglichkeit für die Vorrechte dieses Reichs zu beweisen. Von diesem Reich ist die Kirche das äussere und sichtbare Symbol, und obwohl fehlerhaft und schwach in der Auslegung seiner wesentlichen Lehren, versinnbildlicht sie die Form des Reichs Gottes. Aber dies ist nicht das Reich der Theologen. Es kann nicht betreten werden durch die Annahme eines gewissen formellen Glaubens. Jene haben es betreten, die durch die neue Geburt geschritten und hinabgestiegen sind zum Jordan.

Die Bürgerschaft dieses Reichs ward erprobt in der Person Christi, und so ging er hinunter in die Wüste, um dort vom Teufel versucht zu werden.

3.
In dieser uns vertrauten Episode im Leben Jesu Christi ist uns vielleicht die erste wirkliche Einsicht in die Vorgänge seines innersten Denkens gegeben worden. Die folgenden Worte eröffnen die Geschichte, und sie sind bedeutungsvoll:

«Und siehe, eine Stimme vom Himmel sagte: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Dann ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden». (Matth. III/17, IV/1)

Diese Erzählung von der Versuchung in der Wüste ist höchst umstritten. Viele Fragen sind vorgebracht worden, und von dem ernsthaften Gläubigen, der sich bemüht, gesunden Menschenverstand, die Göttlichkeit Christi und den Teufel in Einklang zu bringen, ist manche Seelenqual erlitten worden. War es möglich, dass [108] Christus in Wirklichkeit versucht werden konnte, und wenn, konnte er in Sünde gefallen sein? Begegnete er diesen Versuchungen als der allmächtige Sohn Gottes, oder begegnete er ihnen als ein Mensch und deshalb als Objekt der Versuchung? Was ist mit dem Teufel gemeint? Und wie war die Beziehung Christi zum Bösen? Wäre uns diese Wüstengeschichte niemals erzählt worden, wie würde unsere Haltung Christus gegenüber gewesen sein? Was geschah wirklich im Bewusstsein Christi, während er in der Wüste weilte? Zu welchem Zweck ist es uns erlaubt, diese Erfahrung mit ihm zu teilen?

Viele solcher Fragen tauchen im Denken des intelligenten Menschen auf, und viele Kommentare wurden geschrieben, um die besonderen Standpunkte eines jeden Schriftstellers zu beweisen. Es ist nicht der Zweck dieses Buches, den schwierigen Gegenstand des «Bösen» zu behandeln, noch die Zeiten zu bestimmen, in denen Christus als Mensch, und jene, in denen er als Sohn Gottes wirkte. Manche glauben, dass er gleichzeitig beides war, «wahrer Gott vom wahren Gott» (Athanasianisches Glaubensbekenntnis), und doch zu gleicher Zeit im Wesen ausgesprochen menschlich. Die Menschen machen diese Feststellungen, doch sie sind geneigt, die Folgerungen zu vergessen. Sie behaupten entschieden ihren Standpunkt und unterlassen es, ihre Haltung zu einem logischen Schluss zu bringen. Die Folgerung ist, dass uns erlaubt wird, von der Versuchung zu wissen, damit uns als menschlichen Wesen eine notwendige Lektion gelehrt wird. Lasst uns deshalb die Geschichte vom Blickwinkel der Menschlichkeit Christi studieren und niemals vergessen, dass er Gehorsam gegenüber dem göttlichen Geist, der Seele im Menschen, gelernt hatte, und dass er seinen Manifestationskörper beherrschte.

«Er wurde in allen Punkten versucht, wie wir auch, nur ohne Sünde». (Hebräer IV/15) Er kam in einem menschlichen Körper und unterlag menschlichen Bedingungen, wie wir auch, erlitt Schmerzen und Qualen, erfühlte Erbitterung und war durch Körper, Umgebung und Zeit bedingt, wie wir alle es sind. Aber weil er gelernt hatte, sich zu bemeistern, und weil das Rad des Lebens sein Werk an ihm getan hatte, konnte er dieser Erfahrung gegenüberstehen, dem Übel Aug' in Auge begegnen und triumphieren. Er lehrte uns dabei, wie der Versuchung zu begegnen sei, [109] was zu erwarten ist, wenn Jünger sich auf Einweihung vorbereiten, und die Methode, durch die Übel in Gutes verwandelt werden kann. Er begegnete der Versuchung mit keiner grossartigen neuen Technik oder Offenbarung. Er griff einfach auf das zurück, was er wusste und was ihm gelehrt und gesagt worden war. Er begegnete der Versuchung jedesmal mit: «Es steht geschrieben. ...» (Matth. IV/4, 7, 10) und gebrauchte keine neuen Kräfte, um den Teufel zu bekämpfen. Er nutzte einfach das Wissen, das er besass. Er verwendete keine göttlichen Kräfte, um den Bösen zu überwältigen. Er benutzte einfach das, was wir alle besitzen: erworbenes Wissen und die uralten Regeln. Er siegte, weil er gelehrt worden war, sich zu überwinden. Er war der Meister der Umstände zu jener Zeit, weil er gelernt hatte, sich zu bemeistern.