Navigieren durch die Kaptitel von diesem Buch

Drittes Kapitel - ​​​​​​​Die zweite Einweihung….. Die Taufe im Jordan - Teil 2

Solch eine Herrschaft der Seele mag in der Tat jenseits unseres gegenwärtigen Erreichens liegen, aber der Befehl Christi gilt für alle Zeit: «Seid deshalb vollkommen. ...» (Matth. V/48) Eines Tages werden auch wir den Versuchungen in der Wüste gegenüberstehen und auch hindurchkommen wie er, unbefleckt und unbesiegt. Solche Erfahrung ist unvermeidlich für alle, man kann ihr schliesslich nicht entrinnen. Christus entkam ihr nicht, und wir werden es auch nicht. «Gerade in der Möglichkeit, versucht zu werden», sagt Dr. Selbie, «zeigt sich die Grösse der menschlichen Natur. Ohne sie würden wir bloss unmoralische Kreaturen sein. ... Gerade durch die Fähigkeit, zwischen den Zielen und den Tätigkeiten, die zu ihnen führen, auszuwählen, erhebt sich die Möglichkeit der Sünde». (Psychologie der Religionen, engl., von Dr. Selbie, S. 228) Dies erfordert mehr als oberflächliche Betrachtung. In der Wüstenerzählung steht die Menschheit selbst auf dem Spiel. Die ganze Welt materieller Dinge, der Wünsche und des ehrgeizigen Strebens ward hingestellt vor Christus, und weil er darauf in seiner Art reagierte, und weil keiner dieser Aspekte des Lebens ihn reizen konnte, können auch wir frei stehen, unseres eigenen endlichen Sieges gewiss. Christus erreichte als Mensch den Sieg. Wir können dasselbe tun.

Für diesen Triumph der Seele über die Materie und des Wirklichen über das Unwirkliche gab Christus Zeugnis (110) in der Wüstenerfahrung, und alle, die seinen Fussspuren folgen, bewegen sich auf das gleiche Ziel zu. Sein Triumph wird der unsere sein, wenn wir dem Problem in demselben Geist wie er begegnen, indem wir das Licht der Seele darauf lenken und uns auf frühere Erfahrung stützen.

In der Einweihung der Taufe wurde Christi Reinheit und Freisein vom Bösen vor den Menschen dargestellt. Nun haben sie sich einer anderen Prüfung zu unterziehen. Von der Menge und von der Erfahrung ging er in die Einsamkeit, und vierzig Tage und Nächte war er allein mit sich, stand zwischen Gott und dem Bösen. Wodurch konnte diese böse Kraft ihn erreichen? Durch die Vermittlung seiner eigenen menschlichen Natur, durch das Mittel der Einsamkeit, des Hungers und seiner eigenen Visionen. Christus war auf sich zurückgeworfen, und dort in dem Schweigen der Wüste, allein mit seinen Gedanken und Wünschen, ward er in all den Teilen seiner Natur versucht, die verwundbar sein könnten. «Wie er ist, so sind wir in dieser Welt» (Joh. IV/17), verwundbar in allen Punkten. Die Schwierigkeit liegt bei den meisten von uns darin, dass wir bei jeder törichten Gelegenheit zu fallen geneigt sind. Der Schwerpunkt der Situation, soweit als Christus betroffen war, bestand darin, dass diese drei Versuchungen Prüfungen höchsten Grades darstellten, in denen die drei Aspekte der niederen Natur einbezogen waren. Es waren synthetische Versuchungen. In ihnen war kein kleinliches, törichtes, spielerisches Versuchen, sondern die Zusammenfassung der Kräfte des dreifachen niederen Menschen physisch, emotionell und mental in eine höchste Anstrengung, um den Sohn Gottes zu erproben. Das Böse ist so beschaffen, und wir alle werden eines Tages vor dieser Prüfung stehen, diesem dreifachen Übel, diesem Teufel, so, wie Christus ihm gegenüberstand. Dreimal ward er versucht, und dreimal widerstand er, und erst, nachdem diese Neigung, auf die Form und auf materiellen Nutzen zu reagieren, endgültig beiseitegesetzt war, konnte Christus zu seinem Weltdienst und zum Berg der Verklärung weitergehen. Einer der feinsten Denker auf dem Gebiet christlicher Auslegung heute sagt, dass «alle jene, die für das Reich bestimmt sind, für die auf Erden begangene Schuld durch standhaftes Widerstehen gegenüber der sich zu einem letzten Angriff sammelnden Weltmacht Vergebung erlangen müssen. Denn infolge [111] dieser Schuld waren sie noch anfällig für die Kraft der Gottlosigkeit. Ihre Schuld bildet ein Gegengewicht gegen das Kommen des Reichs». (Das Mysterium des Reichs Gottes, von Albert Schweitzer, S. 253)

Christus fasste diesen letzten Angriff ins Auge und erhob sich siegreich darüber, so verbürgte er uns unseren letzten Sieg.

Der Teufel näherte sich Jesus, als die vierzig Tage einsamer Einkehr vorüber waren. Es wird nicht berichtet, was Christus in diesen vierzig Tagen tat. Kein Bericht ist uns von seinen Gedanken und Entscheidungen gegeben, von seiner inneren Vorstellung und Hingabe zu jener Zeit. Allein fasste er die Zukunft ins Auge, und am Ende widerstand er den Prüfungen, die ihn von der Gewalt seiner menschlichen Natur erlösten.

Wenn wir das Leben Jesu studieren, tritt diese Einsamkeit immer klarer hervor. Die grossen Seelen sind immer einsame Seelen. Sie betreten ohne Begleitung die schwierigsten Abschnitte des langen Weges der Rückkehr. Christus war immer einsam. Sein Geist trieb ihn immer wieder in die Abgeschiedenheit. «Die grossen religiösen Vorstellungen in der Phantasie der zivilisierten Menschheit sind Szenen der Einsamkeit: Der an den Felsen gekettete Prometheus, der in der Wüste brütende Mohammed, die Meditationen des Buddha, der einsame Mann am Kreuz. Es gehört zur Tiefe des religiösen Geistes, sich sogar von Gott verlassen zu fühlen». (Religion im Werden, engl., von A. N. Whitehead, S. 9)

Das Leben Christi wechselte ab zwischen der Menge, die er liebte, und der Stille einsamer Orte. Zuerst ist er in dem täglichen Leben der Familienerfahrung zu finden, wo die Vertrautheit der Persönlichkeiten die Seele so traurig einkerkern kann. Von hier ging er in die einsame Wüste und war allein. Er kehrte zurück, und sein öffentliches Leben begann, bis auf dessen Offenkundigkeit mit ihrem Lärm und Geschrei die tiefe innere Stille des Kreuzes folgte, wo er, verlassen von allen, durch die tiefe dunkle Nacht der Seele ging, aufs äusserste allein. Jedoch in diesen Augenblicken völligen Schweigens, wenn die Seele auf sich zurückgezogen und niemand zur Hilfe da ist, keine helfende Hand und keine stärkende Stimme, kommen die Offenbarungen, und jene klare Einsicht wird entwickelt, die einen Erlöser befähigt, hervorzutreten und der Welt zu helfen.

Christus wurde [112] vom Teufel versucht. Ist es nötig, in einem Buch wie diesem eine Darstellung des Teufels zu geben? Ist es nicht augenscheinlich, dass es heute in der Welt zwei vorherrschende Begriffe gibt, beide treten als Faktoren im Bewusstsein der Jugend auf und bestimmen ihren späteren Glauben, der Teufel und der Heilige Nikolaus oder der Weihnachtsmann? Diese Namen verkörpern entgegengesetzte Ideen. Jede von ihnen symbolisiert eines der zwei Hauptprobleme, mit denen der Mensch in seinem täglichen Leben zu tun hat. Sie werden von orientalischen Philosophen die «Paare der Gegensätze» genannt, und sicher ist es die Art, in welcher der Mensch diese zwei Aspekte des Lebens handhabt, und seine subjektive Haltung zu ihnen, die entscheidet, ob sein Leben auf das Gute oder das Böse eingeht. Der Teufel ist das Symbol dessen, was nicht menschlich göttlich ist, denn es wird Böses vom Menschen getan, das, wenn es ein Tier tut, nicht so angesehen wird. Ein Mensch oder ein Fuchs mögen z.B. einen Hühnerstall überfallen. In dem einen Fall ist ein moralisches Gesetz übertreten worden, im anderen wurde einem natürlichen Instinkt gefolgt. Ein Tier mag in Wut oder in der Verteidigung seines Weibchens ein anderes Tier töten, aber wenn ein Mensch das Gleiche tut, wird er ein Mörder genannt und entsprechend bestraft.

Der Weihnachtsmann ist die Verkörperung dessen, was selbstlos ist. Er ist das Symbol des Gebens und des Christusgeistes; er ist deshalb für den Menschen wie eine Erinnerung an Gott. Der Teufel mit Hörnern und Schwanz aber, diese andere Erdichtung der Einbildung, ist eine Erinnerung an alles, was nicht Gott und nicht göttlich ist.

«Die Mythen der Völker geben dazu den Schlüssel. Man muss ihnen eine dem Wirklichen entsprechende, ernsthafte, aber nicht poetisch gegenstandslose, also spielerische Deutung geben. Mag das Gewand, von dem der Kern umhüllt ist, auch noch so märchenhaft, phantastisch, widerspruchsvoll und zusammengeflickt sein: die Mythen der Völker erzählen von einer unsichtbaren Wirklichkeit: Überall im Verborgenen der Natur sind geheimnisvolle Gestalten Gestalten, nicht Kräfte am Werk. Alles ist beseelt, belebt. Die Welt ist voll von Geistern, Seelen. Die Mythen erzählen davon. Wer hat sie erfunden? Niemand. Denn Erfindungen sind Willkür, Unwirklichkeit. Diese Geschichten aber gelten allen, die [113] sie erzählen oder hören, als fraglose Wahrheit. Der Primitive hat ein Lebensgefühl, das ihn so empfinden lässt: das «Magische». Was bei unserem entwickelten individuellen Seelenleben etwa das «Unbewusste» heisst, worin das Kollektivleben der Ahnenreihe mitschwingt, ist dort Normalzustand des Seelenlebens: ein «natursomnambuler» Zustand mit erfühlenden, telepathischen, tiefenseherischen Begabungen; ein unmittelbares künstlerisches Erfassen des Ganzen in seinen Teilen, des Wesenhaften im Vielen». (Das Religiöse in der Menschheit, engl., von Otto Karrer, S. 121, 122)

Davon geben die Symbole vom Teufel und vom Weihnachtsmann Zeugnis, Verkörperungen von primären Dualitäten in der Welt der Bedeutung. Das ganze menschliche Dasein schwingt zwischen diesen Gegensatzpaaren, bis endlich das Gleichgewicht erreicht ist; von da an bewegt er sich zu dem hin, was göttlich ist. Es wäre für uns alle nützlich, wenn wir zu Zeiten länger und tiefer über diese beiden Gegensätze des Menschenlebens nachdächten: Gut und Böse, Licht und Dunkel, Leben und Form, Geist und Materie, das Selbst und das Nichtselbst, das Wirkliche und das Unwirkliche, Wahrheit und Falschheit, Recht und Unrecht, Freude und Leid, Drängen und Hindernis, Seele und Persönlichkeit, Christus und der Teufel. In diesen beiden letzteren ist das Problem der drei Versuchungen zusammengefasst. Diese Dualitäten sind auch definiert worden als Endlichkeit und Unendlichkeit, welches je die Charakteristiken des Menschen und Gottes bilden. Was unsere endliche Natur betont, gehört der Menschheit an, das Umfassende ist Gottes. Wir werden in unserem Studium dieser drei Versuchungen finden, wie klar die Unterschiede zwischen den Dualitäten hervortreten. Christus konnte in den Versuchungen nicht sich selbst widerstehen, und indem er sich mit Vollkommenheit identifiziert, gibt er uns eine Darstellung eines menschlichen Wesens «in der Welt und doch nicht von der Welt» (Joh. XVII/16), versucht vom Teufel, jedoch frei von einer falschen Reaktion auf die Einflüsterungen des Teufels. So war er eine freie Seele, eine göttliche Seele, nicht gefesselt durch das Begehren und seine Prüfungen, unbefleckt durch das Fleisch und seine Versuchungen, befreit von den Sünden mentaler Vorgänge. Solches ist der Wille Gottes für [114] jeden und alle von uns, und der oben angeführte Schriftsteller sagt: «Da kann keine Freiheit sein, ... ausser der göttliche Wille ist wahrhaft eins mit dem endlichen Wesen in einer einzigen Persönlichkeit». (Wert und Schicksal des Individuums, engl., von B. Bosanquet, S. 245)

Solch eine Persönlichkeit war Christus. Gott ist der Gegensatz des Bösen, und die Haltung Christi gegenüber dem Teufel war die des unnachgiebigen Gegensatzes. Hier zeigte er deutlich die Folgen und tat, was alle Seelen tun können. Hierin liegt, wie ich früher schon ausführte, seine Einzigartigkeit und seine Besonderheit sie besteht in der grundlegenden Tatsache, dass er jene Methoden des Dienens, des Triumphs und Opfers anwendete, die für jeden von uns verfügbar sind. Viele sind in der Vergangenheit für andere gestorben; manche haben dem Bösen mit unnachgiebigem Widerstand ins Auge gesehen, viele haben ihr Leben dem Dienst geweiht, aber niemand ist es mit der Vollendung und Vollkommenheit Christi gelungen.

Seine Grösse dies kann nicht oft genug gesagt werden liegt in seiner Allgemeingültigkeit. Dr. Bosanquet behandelt die Frage der Persönlichkeit wie folgt:

«Was ich hervorheben möchte, ist eigentlich, dass unsere wahre Persönlichkeit in unserem wirklich Besten liegt, und indem wir seine Entwicklung und Befriedigung wünschen, wünschen wir das Wachstum unserer wahren Individualität wenn auch eine Verminderung unserer formalen Ausschliesslichkeit. ... Es könnte erwidert werden, dass wahre Individualität Weitblick und Bildung sowohl persönliche Eigenart wie Weite erhöhen. Zweifellos aber vermindern diese die Ausschliesslichkeit. Die grossen Weltmenschen sind nicht einfach von ihren irdischen Eltern geboren. Ganze Zeitalter und Länder sind in ihnen konzentriert. ... Wenn wir eine hoch entwickelte Vollkommenheit möchten, wünschen wir etwas zu sein, das nicht länger durch die Umstände des irdischen Lebens bestimmt werden kann». (Bosanquet, a. a. O., S. 245)

Wenn wir diese Worte in Zusammenhang mit den Versuchungen Christi lesen, erhebt sich vor uns das Wunder dessen, was er tat, und ermutigt uns alle, die wir seine jüngeren Brüder und gleicherweise Söhne Gottes sind.

Also als ganzer Mensch und doch ganz göttlich, trat Christus ein in den Endkampf mit dem Teufel. Als ein menschliches Wesen, [115] in dem der göttliche Geist sich voll ausdrückte, stand er dem Bösen in seiner eigenen Menschlichkeit (wenn von Gott abgesehen wird) gegenüber und ging siegreich hervor. Wir wollen nicht versuchen, diese zwei Gott und Mensch zu trennen, wenn wir an Christus denken. Einige Denker betonen sein Menschsein und ignorieren seine Göttlichkeit. Darin irren sie sicherlich. Andere betonen seine Göttlichkeit und sehen alle jene als gotteslästerlich und unrichtig an, die ihn anderen menschlichen Wesen gleichstellten. Doch wenn wir Christus als die Blüte der menschlichen Rasse betrachten, weil der göttliche Geist voll herrschte und mittels der menschlichen Form sich kundtat, so verkleinern wir in keiner Weise ihn und seine Leistungen. Die kommenden Menschen schreiten auf dem Pfad der Evolution fort, je mehr sie sich ihrer Göttlichkeit und der Vaterschaft Gottes bewusst werden. Zugleich, je tiefer sie Christus würdigen, umso überzeugter sind sie von seiner vollkommenen Göttlichkeit und seiner Mission, und umso demütiger versuchen sie, seinen Fussspuren zu folgen, indem sie wissen, dass er der Meister aller Meister ist, wahrer Gott vom wahren Gott, und der Lehrer der Engel und der Menschen.

Diese vollkommene Göttlichkeit soll nun versucht und erprobt werden. Er hat vor Gott, vor dem Teufel und vor der Menschheit die Art seiner Vollendung darzustellen und, wie die Kräfte der niederen Natur durch die Kräfte der Seele überwunden werden können. Diese Versuchungen können von allen Aspiranten und Jüngern sehr leicht verstanden werden, weil sie universale Prüfungen darstellen, die auf die menschliche Natur angewendet werden, an der wir alle teilhaben und mit der wir alle in irgendeiner Form und in irgendeinem Mass ringen. Es ist gleich, ob wir das tun durch die Eingebungen des Gewissens, durch die Herrschaft der höheren Natur oder durch das klare Licht des Göttlichen. Dies haben alle Jünger stets erkannt.

Wir wollen diese drei Versuchungen in der Reihenfolge betrachten, wie sie Matthäus gibt und die von der des Lukas abweicht. Markus erwähnt einfach, dass Christus vom Teufel versucht wurde, während Johannes sie überhaupt nicht nennt. Diese [116] drei Versuchungen prüfen alle drei Aspekte der niederen menschlichen Natur: die physische, die emotionelle oder Wunschnatur und das Denken oder die mentale Natur. Wir lesen:

«Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: «Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden». Und er antwortete und sprach: «Es steht geschrieben, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt». (Matth. IV/2, 3, 4)

Im Zusammenhang mit allen diesen Versuchungen gibt es zwei interessante Tatsachen. Jede beginnt mit «Wenn» auf den Lippen des Teufels, und jeder begegnet Christus mit den Worten: «Es steht geschrieben». Diese zwei Redewendungen verbinden alle drei Episoden und geben den Schlüssel zu dem gesamten Vorgang. Die letzte Versuchung ist der Zweifel. Vor der Prüfung haben wir schliesslich alle zu stehen, und diejenige, die in Christi Leben den Höhepunkt bildete, bis er sie am Kreuz überwand, ist die Prüfung unserer Göttlichkeit. Sind wir göttlich? Wie müssen unsere göttlichen Kräfte sich ausdrücken? Was können wir tun oder nicht tun, weil wir Gottes Söhne sind? Dass die Einzelheiten jeder Schwierigkeit, Prüfung und Erprobung verschieden sein können, ist relativ unwesentlich. Dass die Prüfungen zunächst in einem oder dem anderen Aspekt unserer niederen Natur konzentriert sein mögen, ist ebenfalls unwichtig. Es ist das allgemeine lebenslange Drängen zur Göttlichkeit, das erprobt wird. Bei dem nur wenig entwickelten Menschen bietet sich das Problem der Göttlichkeit im ganzen nicht. Er kann nur von dem Detail, von dem Problem im unmittelbaren Vordergrund seines Lebens in Anspruch genommen sein. Das handhabt er oder nicht, je nachdem, wie der Fall liegen mag, durch das Licht des Gewissens. Für den Jünger hat das Detail weniger Bedeutung, und die allgemeine Wahrheit seiner Sohnschaft beginnt langsam, ihn zu beschäftigen. Unter dem Blickwinkel jener Theorie behandelt er dann seine Lebensumstände. Für einen vollkommenen Sohn Gottes, wie Christus, oder für den Menschen, der sich der Vollkommenheit nähert, muss das Problem als ganzes behandelt werden, und das Lebensproblem muss vom Blickpunkt der Göttlichkeit selbst betrachtet werden. Das war der Fall bei Christus, und ist der verborgene tiefere Sinn in des Teufels dreifachem «Wenn».

Ob richtig [117] oder nicht, mir scheint, dass wir uns geirrt haben, wenn wir alle Wahrheit vom Gesichtspunkt des Mittelmässigen aus darstellen. Das haben wir getan. Wahrheit kann auf viele Arten dargestellt werden. Für jene, die einfach physisch-emotionelle Wesen mit deshalb kleiner Sicht sind, ist der Schutz der Theologie erforderlich, trotz ihrer Unvollkommenheit, Dogmatik und unhaltbaren Behauptungen. Diese brauchen sie, und die Verantwortung jener, die Dogmen für die «Kleinen» der Menschheit austeilen, ist gross. Wahrheit muss auch in einer umfassenderen Form und mit einer allgemeineren Bedeutung gegeben werden für jene, die bewusst als Seelen zu leben beginnen, und denen zugetraut werden kann, dass sie die Bedeutung hinter dem Symbol, den Sinn hinter der äusseren Erscheinung der Theologie sehen. Für die vollkommenen Söhne Gottes muss Wahrheit etwas jenseits unserer Träume, von so tiefer Bedeutung und von solchem Umfang sein, dass es nutzlos für uns ist, darüber zu grübeln, denn es ist etwas zum Erfahren, nicht zum Träumen, etwas zum Eintreten, nicht zum Einbilden.

Christi Antwort sollte jedesmal in dieser dreifachen Art gesehen werden. «Es steht geschrieben», sagt er, und die Gedankenlosen und Kleindenkenden betrachten das als ein Bestätigen der wörtlichen Inspiration der Bibel. Doch sicher hat er sich nicht nur auf die alten Aussprüche der jüdischen Schriften bezogen, so schön sie sind. Die Möglichkeiten des Irrtums sind zu gross, um die rückhaltlose Annahme jedes Wortes in irgendeiner Schrift der Welt zu rechtfertigen. Wenn die Übersetzungsvorgänge erforscht werden, wird das offenkundig sichtbar. Christus meinte etwas viel Tieferes als «Die Bibel sagt». Er meinte, dass das Zeichen Gottes über ihm war, dass er das WORT war, und dass das WORT Ausdruck der Wahrheit war. Es ist das WORT der Seele (das Einströmen von Göttlichkeit), das unsere Haltung in der Versuchung bestimmt und unsere Reaktion auf das Problem, das der Teufel vorlegt. Wenn dieses Wort schwach ist, tief verborgen in der verhüllenden Form, werden nur verzerrte Töne hervorkommen, und das WORT wird nicht mächtig genug sein, dem Teufel zu widerstehen. Das WORT ist in das Fleisch geschrieben, wenn es auch entstellt und beinahe unsichtbar sein mag durch die Tätigkeit der niederen Natur; über das Denken tönt das WORT [118] weiter, es bringt Erleuchtung und Einsicht, so verzerrt jetzt die Vision auch sein mag und das Licht kaum zu sehen. Aber das WORT IST DA. Eines Tages kann jeder von uns mit Befugnis sagen: «Es steht geschrieben» und jenes WORT ausgedrückt sehen in jedem Teil unserer menschlichen Natur, als Einzelwesen, und etwas später in der Menschheit selbst. Dies ist das «verlorene Wort» der Freimaurer-Tradition.

Die orientalische Philosophie bezieht sich häufig auf vier Lebenssphären oder vier Probleme, denen alle Jünger und Aspiranten gegenüberstehen müssen, und die in ihrer Gesamtheit die Welt bilden, in der wir leben. Es sind: die Welt der Maya, die Welt der Verblendung und die Welt der Illusion. Da ist auch jener geheimnisvolle «Hüter der Schwelle», auf den sich Bulwer Lytton in «Zanoni» bezieht. Diesen vier begegnete Christus und besiegte sie in der Wüstenerfahrung.

Maya bezieht sich auf die Welt der physischen Kräfte, in der wir leben, und auf sie bezog sich die erste Versuchung. Die moderne Wissenschaft hat uns gesagt, dass alles Sichtbare und Unsichtbare Energie ist, und dass jede Form einfach ein Aggregat von Energie-Einheiten in beständiger, unaufhörlicher Bewegung ist, denen wir uns anpassen müssen und in denen wir «leben, uns bewegen und unser Dasein haben» (Apostelgeschichte XVII/28). Das ist die äussere Form der Gottheit, und wir sind ein Teil davon. Maya ist in ihrer Art vital, wir wissen wenig von ihrer Wirkung auf die physische Ebene (mit all dem, was dieser Begriff umfasst) und auf das menschliche Wesen.

«Verblendung» bezieht sich auf die Welt des emotionellen Daseins und der Wünsche, in der alle Formen verweilen. Es ist diese Verblendung, die alle unsere Leben beeinflusst und falsche Werte, verkehrte Wünsche, unnötige sogenannte Notwendigkeiten, unsere Aufregungen, Ängste und Sorgen hervorbringt. Doch Verblendung ist uralt, und sie hat uns in solch engem Griff, dass es scheint, als könnten wir wenig dagegen tun. Die Wünsche der Menschen haben durch die Jahrhunderte eine Situation geschaffen, von der wir uns erschreckt wegwenden. Zügelloses Verlangen und Wünschen mit ihrer verblendenden Wirkung auf den Einzelmenschen versorgen die Nervenkliniken mit Material. Das Wunschleben der [119] Menschheit ist falsch orientiert und das menschliche Wünschen nach aussen, auf die materielle Ebene gerichtet gewesen und hat so die Welt der Verblendung hervorgebracht, in der wir alle uns gewohnheitsmässig abmühen. Es ist bei weitem der mächtigste unserer Irrtümer und falschen Orientierungen. Aber wenn einmal das klare Licht der Seele hineingeworfen wird, dann wird dieser Krankheitsstoff von Kräften allmählich verschwinden. Daran mitzuarbeiten ist die Hauptaufgabe aller Aspiranten für die Mysterien.

«Illusion» ist mehr mental in ihren Einflüssen. Sie betrifft die Ideen, nach denen wir leben, und das Gedankenleben, das mehr oder weniger (obwohl meist weniger) unsere täglichen Unternehmungen beherrscht. Wenn wir die Betrachtung dieser drei Versuchungen aufnehmen, so werden wir sehen, wie in der ersten Christus der Maya gegenübergestellt war, mit physischen Kräften von solcher Stärke, dass der Teufel sie sich zunutzemachen konnte in dem Bemühen, ihn zu verwirren. Wir werden sehen, wie Christus in der zweiten durch Verblendung versucht wurde - sein vitales geistiges Leben sollte zu einer falschen Auffassung und zu einem emotionellen Gebrauch seiner göttlichen Kräfte herabgezogen werden. Die Sünde des Denkens, der Stolz, wurde vom Teufel in der dritten Versuchung zur Tätigkeit aufgerufen sowie die Illusion zeitlicher Macht, um zu rechten Zwecken benutzt zu werden wie wir sicher sein können , vor ihm hingestellt. Damit wurde die mögliche innere Schwäche in den drei Aspekten von Christi Natur erprobt, und durch sie wurde die ungeheuere Summe von Welt-Maya, Weltverblendung und Illusion über ihn ausgegossen. So wurde er dem Hüter der Schwelle gegenübergestellt, was nur ein anderer Name ist für das persönliche niedere Selbst, wenn es als ein einheitliches Ganzes betrachtet wird, wie es nur bei fortgeschrittenen Menschen, Jüngern und Initiaten der Fall ist. In diesen drei Worten: Maya, Verblendung, Illusion haben wir Synonyme für das Fleisch, die Welt und den Teufel, welche die dreifache Prüfung bilden, der jeder Sohn Gottes an der Grenze der Befreiung gegenübersteht.

«Wenn du der Sohn Gottes bist, so befiehl, dass diese Steine Brot werden!» Lasst uns unsere göttlichen Kräfte für persönliche, physische Zwecke gebrauchen! Lasst uns die materielle, physische Natur an die erste Stelle setzen! Lasst uns unseren Hunger oder was immer stillen und das tun, weil wir göttlich sind! Lasst uns unsere göttlichen [120] Kräfte gebrauchen, um für uns vollkommene Gesundheit zu erlangen, lang gewünschten finanziellen Wohlstand, Beliebtheit für unsere Persönlichkeit, nach der wir uns sehnen, und diejenige physische Umgebung und jene Bedingungen, die wir uns wünschen! Wir sind Söhne Gottes, und alle diese Dinge stehen uns zu. Befiehl, dass diese Steine Brot werden zur Befriedigung unserer vermeintlichen Bedürfnisse! Solcher Art wären die dann verwendeten, scheinbar einleuchtenden Argumente, die heute von vielen Lehrern und Schulen des Denkens angewendet werden. Es sind besonders die Versuchungen der Aspiranten in der heutigen Welt. Auf dieser Theorie gedeihen viele Lehrer und Gruppen und, merkwürdig genug, sie tun es ganz aufrichtig und völlig überzeugt von der Richtigkeit ihrer Einstellung. Die Versuchungen, die zu den fortgeschrittenen Seelen kommen, sind am subtilsten. Der Gebrauch der göttlichen Kräfte zur Erfüllung und Befriedigung rein persönlicher, physischer Bedürfnisse kann in einer solchen Art dargestellt werden, dass es gänzlich richtig erscheinen mag. Jedoch wir leben nicht vom Brot allein, sondern vermittels des geistigen Lebens, das (von Gott kommend) sich in den niederen Menschen ergiesst und sein Leben ist. Dies ist für das Verstehen zuerst wesentlich. Auf jenes Leben der Seele und auf jenen inneren Kontakt sollte der Nachdruck gelegt werden. Die Heilung des physischen Körpers, wenn er erkrankt ist, wäre für den Menschen erfreulich, aber als Seele zu leben ist von grösserer Wichtigkeit. Die Betonung einer Göttlichkeit, die sich gänzlich durch die Deckung eines physischen Bedürfnisses ausdrücken muss, in geldlicher Weise, beschränkt ganz gewiss die Göttlichkeit auf eines ihrer Attribute. Wenn wir als Seelen leben, wenn unser inneres Leben auf Gott hin orientiert ist, nicht deswegen, was wir erhalten können, sondern, weil wir den entfalteten Sinn für Göttliches haben, dann werden sich die Kräfte göttlichen Lebens durch uns ergiessen und das hervorbringen, was nötig ist. Dies wird nicht notwendigerweise völliges Freisein von Krankheit mit sich bringen oder geldlichen Überfluss erzeugen, doch es wird eine Milderung der niederen Natur bedeuten, eine Neigung zu Selbstvergessenheit und Selbstlosigkeit, die andere an die erste Stelle setzt, eine Weisheit, die besorgt ist, andere zu belehren und ihnen zu helfen, ein Freisein von Hass und Argwohn, was das Leben heiterer macht für jene, mit denen wir verbunden sind, und eine Freundlichkeit und ein Einbeziehen, das keine Zeit lässt für das abgesonderte Selbst. Dass diese Art innerer Beschaffenheit einen gesunden Körper und das [121] Freisein von physischen Krankheiten zur Folge haben kann, ist durchaus möglich, doch muss es nicht so sein. In einem besonderen Leben und zu besonderer Zeit hat Krankheit ihren Nutzen und kann ein zutiefst wünschenswerter Segen sein. Armut und geldliche Knappheit können einen verlorenen Sinn für Werte wiederherstellen und das Herz mit Mitleid bereichern. Geld und vollkommene Gesundheit können für viele ein Unglück bedeuten. Aber der Gebrauch göttlicher Kräfte für selbstsüchtige Zwecke und die Bezeugung der göttlichen Natur für eine individuelle Heilung scheinen ein Herabwürdigen der Wirklichkeit zu sein und bilden die Versuchung, der Christus so triumphierend begegnete. Wir leben durch das Leben Gottes. Lasst dieses Leben «immer reichlicher» in uns einströmen, und wir werden, wie Christus, zu lebendigen Zentren ausstrahlender Energie für den Weltdienst. Wahrscheinlich wird bessere physische Gesundheit die Folge sein, weil wir dann nicht so vorwiegend mit uns selbst beschäftigt sein werden. Das Freisein von Selbst-Zentriertheit ist eines der ersten Gesetze für gute Gesundheit.

Die Frage des Heilens, die zur Zeit die Aufmerksamkeit vieler Tausender auf sich lenkt, ist zu umfassend, um hier betrachtet zu werden, und weit komplizierter, als die durchschnittlichen Heiler oder heilenden Gruppen sich vorstellen. Zwei Dinge nur möchte ich klarmachen.

Eines ist, dass die Behauptung, jede Krankheit sei das Ergebnis falschen Denkens, keine zu voreilige Annahme rechtfertigt. Es gibt viel Krankheit in den anderen Naturreichen. Tiere, Pflanzen, Mineralien leiden an Krankheit wie die menschlichen Wesen, und diese Reiche gehen dem Erscheinen des Menschengeschlechts auf Erden voraus. Zweitens die Behauptung, dass man göttlich und deshalb zu guter Gesundheit berechtigt sei, mag letzten Endes wahr sein, wenn das Göttliche wirklich zum Ausdruck gebracht ist, aber es wird nicht durch die Behauptung ausgedrückt, sondern durch bewussten, intelligenten, organisierten Seelenkontakt. Dies ergibt ein Leben, wie Christus es lebte, mit keinem Gedanken an sich selbst, sondern nur besorgt und interessiert für andere.

Christus begegnete der Versuchung, seine göttlichen Kräfte für selbstsüchtige Zwecke anzuwenden, durch die ruhige, ständige Wiederholung seiner Göttlichkeit, einer Göttlichkeit, die auf der Universalität des WORTES gegründet war. Es ist vielleicht angezeigt, uns hier daran zu erinnern, dass er am Kreuz durch die Worte verhöhnt wurde: «Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen!» (Matth. XXVII/42). Maya oder die Verblendung [122] der physischen Natur konnte ihn nicht halten, davon war er frei.

Heute steht der Welt-Aspirant, die Menschheit, vor dieser Versuchung. Ihr Problem ist wirtschaftlich. Es befasst sich grundsätzlich und deutlich mit Brot, gerade wie, symbolisch gesprochen, Christi Problem das der Nahrung war. Die Welt steht vor einer materiellen Meinungsverschiedenheit. Dass es hierbei kein Ausweichen gibt, ist wahr, und dass die Menschen ernährt werden müssen, ist ebenfalls wahr. Auf welcher Grundlage soll dieses Problem gelöst werden? Kann jemand als zu idealistisch, als ein unpraktischer Mystiker und Visionär angesehen werden, wenn er, wie Christus es tat, auf die Grundlagen des Lebens zurückgreift und die Haltung einnimmt, dass, wenn der Mensch als geistiges Wesen wiederausgerichtet und neu-orientiert ist, sich sein Problem automatisch von selbst regeln wird? Sicher wird man ihn so ansehen. Wenn jemand, wie viele heutzutage, fühlt, dass die Lösung des Problems in einer Umwertung des Lebens, in einer Umerziehung zu den zugrundeliegenden Prinzipien des Lebens besteht, ist er dann völlig irrig und als ein Narr zu betrachten? Viele werden einen so ansehen. Aber die Lösung der Probleme des Menschen allein in Begriffen seiner physischen Bedürfnisse wird nur dazu führen, ihn noch tiefer in einen materiellen Sumpf zu tauchen. Dass man seinem Begehren gänzlich vom Gesichtspunkt von Brot und Butter begegnet, mag sehr notwendig sein. Es ist es auch. Aber es sollte von etwas begleitet werden, was dem Bedürfnis des ganzen Menschen entgegenkommt, nicht einfach dem seines Körpers und seiner Wünsche. Es gibt Dinge, die für den Menschen wesentlich, von höherer Bedeutung und grösserem Wert sind als jene, welche die Form betreffen, selbst wenn er sich das nicht vorstellen kann. Christus verwendete wenig Zeit, um die Zehntausend zu speisen. Er verwendete mehr Zeit, sie die Gesetze des Reiches Gottes zu lehren. Den Menschen kann zugetraut werden, dass sie ergreifen, was sie brauchen. Sie tun das jetzt in jeder Weise. Aber die Dinge, auf die es wahrhaft ankommt, müssen gleichzeitig betont und gelehrt werden, oder das Ende wird unheilvoll sein. Wenn wir das menschliche Haus von Missbrauch gereinigt haben, wie die Revolutionen in jedem Land den Anspruch erheben zu tun, wenn aber jenes Haus [123] im Ergebnis nicht schön ist und wenn seine Bewohner keine Gedanken haben, die auf dem wesentlichen Göttlichsein beruhen, so wird der letzte Zustand schlimmer sein als der erste. Sieben Teufel mögen eintreten in das Haus, wie es im Gleichnis Christi heisst (Matth. XII/45). Wenn nicht Gott das Haus bewohnt, nachdem es gereinigt wurde, und wenn unsere Umwertungen und nationalen Ausrichtungen nicht zu jener Ruhe und jenem Frieden des Denkens führen, worin die Seele des Menschen zur Blüte kommen kann, dann gehen wir noch grösserem Unheil entgegen. «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt».

«Dann nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt, setzte ihn auf die Zinne des Tempels und sagte: Bist du Gottes Sohn, so stürze dich herab; denn es steht geschrieben, er wird seinen Engeln befehlen und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuss nicht an einen Stein stossest. Da sprach Jesus zu ihm: Es steht auch geschrieben, du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen». (Matth. IV/5, 6, 7)

Es ist wesentlich für das rechte Verständnis dieser Versuchung, uns unserer früheren Unterscheidung zu erinnern, dass solche Stellen in der Bibel vom Blickwinkel der innewohnenden Seele wiedergegeben sind. Christus begegnet dem Teufel auf dem Grund seiner göttlichen Natur. Wenn du Gottes Sohn bist, so ziehe Vorteil aus der Vaterschaft Gottes und stürze dich hinab. Diese Versuchung ist verschieden von der ersten, obwohl sie dieselbe Art von Erprobung darzustellen scheint. Der Schlüssel hierzu ist in der Antwort Christi zu finden, wo er auf seiner Göttlichkeit besteht. Dies tat er in der vorherigen Versuchung nicht. Der Teufel führt in dieser Versuchung zu seinem Zweck die Bibel an. Er bringt Christus auch an den Heiligen Ort, den Kampfplatz, und dort äussert er Zweifel. Die Verblendung des Zweifels senkt sich auf Christus herab. Hungrig, einsam und müde des Konfliktes, wird er versucht, die eigentlichen Wurzeln seines Wesens in Frage zu stellen. Ich zweifle nicht an der Tatsache, dass Christus von Zweifel befallen wurde. Die ersten Spuren jener Verblendung, die am Kreuz wie eine grosse Dunkelheit auf ihn herabsank, befielen ihn nun. War er der Sohn Gottes? Hatte er doch eine Mission? War [124] seine Haltung Selbsttäuschung? War das alles der Mühe wert? Er wurde dort angegriffen, wo er am stärksten war, und darin liegt die Macht dieser Versuchung.

In der alten Schrift Indiens, der Bhagavad Gita, steht der Jünger Arjuna demselben Problem gegenüber. Er ist in eine grosse Schlacht zwischen zwei Stämmen derselben Familie verwickelt in Wirklichkeit zwischen dem höheren und dem niederen Selbst , und er fragt auch, was er tun soll. Soll er vorwärtsgehen in die Schlacht und in die Prüfung und so als Seele triumphieren? Soll er seine Göttlichkeit behaupten und das Niedere, Ungöttliche besiegen? In einem Kommentar zu Bhagavad Gita heisst es:

«Dies alles hat eine geistige Bedeutung, und die Situation Arjunas ist gut gewählt, um grosse geistige Wahrheiten darzustellen. Er versinnbildlicht das persönliche Selbst, das beginnt, bewusst in das Höhere Selbst hineinzuwachsen, berührt und entflammt von dem geistigen Licht jenes Höheren Selbstes, jedoch voll Bestürzung und Schrecken vor der Verwirklichung dessen, was Gehorsam dem Höheren Selbst gegenüber bedeuten muss. Der Streit der Brüder ist nun innerhalb einer einzigen Natur, des Lebens eines einzigen Menschen zusammengezogen. Ein Krieg muss innerhalb seiner selbst geführt werden, ein Krieg, so lang und schwierig für das Leben der Seele. Nur hoher Mut, verbunden mit Vertrauen und Streben, macht den Kampf möglich, und sogar dann wird noch Widerwille und Schrecken vorhanden sein». (Die Bhagavad Gita, Kommentar von Charles Johnston, engl., S. 26)

Ein Grösserer als Arjuna (der als Symbol des Jüngers auf seinem Weg zur Vollkommenheit erscheint) stand einem ähnlichen Problem mit Mut, Vertrauen und Streben gegenüber, aber die Frage war die gleiche: Ist das Leben der Seele eine Wirklichkeit? Bin ich göttlich? Christus stand ohne Schrecken vor diesem Problem und siegte durch die Anwendung einer Behauptung von solcher Kraft (denn sie stellte eine Wahrheit dar), dass der Teufel ihn zeitweilig nicht erreichen konnte. Er sagte praktisch: «Ich bin der Sohn Gottes, du sollst mich nicht versuchen». Er bestand auf seiner Göttlichkeit und besiegte den Zweifel.

Es ist interessant, sich zu vergegenwärtigen, dass die Menschheit heute in der Verblendung des Zweifels steht. Zweifel herrscht überall. Er ist eine Gefühlssache. Der klare, kühle, analysierende und zusammenfügende Verstand zweifelt nicht in diesem Sinn, [125] er fragt und wartet. Aber gerade am Heiligen Ort, mit vollem Wissen von dem, was geschrieben steht, und häufig nach dem Sieg, senkt sich der Zweifel auf den Jünger herab. Vielleicht ist letzten Endes dieses Gefühl von Göttlichkeit, das bis jetzt den Jünger aufrecht erhalten hat, selbst nur Verblendung und keine Wirklichkeit? Dass da Erfahrungen göttlicher, übersinnlicher Natur gewesen sind, kann der Jünger nicht bezweifeln. Da waren Augenblicke, in denen «ein Gefühl vom Eintreten des Göttlichen bestand, so verschieden von anderen Erfahrungen und so ursprünglich und unerklärlich wie Sex oder wie das Empfinden von Schönheit wie Hunger oder Durst». (Das Göttliche im Menschen, engl., von J. W. Graham, S. 88) Denn es ist keine Frage, dass «im Herzen jeder Religion und aller Religionen eine einzigartige Erfahrung steht, die nicht durch Entwicklung aus anderer Erfahrung erklärt werden kann». (a. a. O). Doch vielleicht ist dies auch einfach eine Erscheinung und nicht wirklich, etwas Vorübergehendes mit keiner unsterblichen Grundlage, etwas, das als ein Teil der Welt-Verblendung erfahren wird, aber nicht andauert und nicht andauern kann? Vielleicht ist Gott nur ein Name für alles, was ist, und für die individuelle bewusste Seele gibt es kein bestimmtes Fortdauern, keine wesentliche Göttlichkeit und nichts Wirkliches, nur ein vorübergehendes Aufblitzen eines Gewahrwerdens? Lasst uns diesen Sinn von Göttlichkeit der Prüfung unterziehen und sehen, ob mit dem Wechsel von physischer Zerstörung etwas fortdauert, was Geist und unsterblich ist!

Wenn man die Art studiert, in der Christus dieser Versuchung begegnet, ist man geneigt zu glauben, dass er (nachdem er seinen Glauben an seine eigene Göttlichkeit bestätigt hat) die Versuchung einfach ignorierte. Seine Methode war so kurz und bündig und blieb unentwickelt in bezug auf die Einzelheiten. Der Weg aus dieser besonderen Versuchung heraus ist zweifach: sie zu erkennen als das, was sie ist, unwirklich, einfach eine Verblendung, ohne wahres, dauerndes Leben, eben eine Täuschung, die uns befällt; und dann, sich zu stützen auf die Erfahrung Gottes. Wenn wir für eine kurze Minute in der Gegenwart Gottes gestanden und sie erfahren haben, ist das wirklich. Wenn die Gegenwart Gottes im menschlichen Herzen zu irgendeiner Zeit für einen Augenblick Wirklichkeit gewesen ist, dann lasst uns auf dieser erkannten und gefühlten Erfahrung bestehen, indem wir es zurückweisen, uns mit [126] den Einzelheiten der Verblendung des Zweifels, des Gefühls der Niedergeschlagenheit oder der Blindheit zu befassen, in der wir uns zeitweilig befinden mögen.

Aber der Zweifel in der Welt heute wird nur dann gelöst werden, wenn die Menschen auf die Probleme der Menschheit, Gottes und der Seele nicht nur das klare, kühle Licht des Intellekts, erleuchtet durch Intuition, sondern auch die Macht früherer Erfahrung zur Anwendung bringen. Wenn der Sinn für Gott in der Welt durch ungezählte Zeitalter bestanden hat, und wenn das Zeugnis der Mystiker und Heiligen, der Seher und Erlöser aller Zeiten historisch und nachweisbar ist, wie es tatsächlich ist, dann bildet dieses Zeugnis in seiner Fülle und Universalität eine Tatsache, so wissenschaftlich wie irgendeine andere. Dies sind Tage, in denen eine wissenschaftliche Tatsache bestrickenden Reiz zu haben scheint. Zyklen von Mystizismus, von Philosophie, von wissenschaftlicher Erklärung, Zyklen von reinem Materialismus das ist der zyklische Weg, den wir gehen, und so ist unsere Geschichte. Doch durch all dieses läuft beständig der Faden von Gottes PLAN Durch all dieses schreitet die Seele des Menschen ständig von einer Bewusstseinsentfaltung zur anderen, und unsere Vorstellung von Göttlichkeit gewinnt beständig an Reichtum und Wirklichkeit. Dies ist die Tatsache, auf der die Menschheit stehen kann, die göttliche Seele im Menschen. Dies ist die Tatsache, auf die sich Christus stellte, als der Teufel ihn ein zweites Mal versuchte.

«Wieder nahm ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sagte Jesus: Hebe dich hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben, du sollst Gott deinen Herrn anbeten und ihm allein dienen!» (Matth. IV/8, 9, 10)

Christus war in seiner physischen Natur versucht worden und hatte gesiegt. Er war in seiner emotionellen und Wunsch-Natur geprüft worden, und wir haben gesehen, dass weder die Kräfte der physischen Natur, noch der Zauber, den die emotionelle, die Gefühlsnatur, unvermeidlich mit sich bringen, ihn veranlassen konnten, im geringsten von dem Pfad des geistigen Lebens und Ausdrucks abzuweichen. All sein Verlangen war auf Gott gerichtet, [127] jede Tätigkeit seiner Natur war richtig eingestellt und von göttlichem Ausdruck. Dieser Triumph musste ihm bekannt sein, und diese Vorstellung trug den Samen der letzten Versuchung in sich. Er hatte über Materialismus und Zweifel gesiegt. Er wusste, dass die Formseite des Lebens ihn nicht anziehen konnte, und er hatte sich zur vollen Erkenntnis seiner Göttlichkeit durchgekämpft. Deshalb hatte er die Extreme seiner Natur besiegt, ihre höchsten und niedrigsten Aspekte. Er brachte nun die Eigenschaft der Göttlichkeit zum Ausdruck. Die göttliche Wirklichkeit, die er fühlte und auf die er sich verliess, war stark, um die Maya zu durchdringen und die Verblendung zu zerstreuen. Ein reines Verlangen war geblieben, das Verlangen nach Gott. Er war in zwei Aspekten seiner Natur versucht worden, der materiellen und der göttlichen, und als Gottmensch überwand er den Bösen. Ursprünglich lagen beide Versuchungen im Bereich des Wünschens. Es geht um persönliche Wunschlosigkeit.

So wurde bei Christus das Wünschen zu Macht umgewandelt, obwohl der erreichte Sieg zu Entwicklungen geführt hatte, welche die Möglichkeit von Gefahr in sich trugen. Im Bereich der Macht wurde Christus das nächste Mal versucht. Ein Charakter, der einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht und eine Einheit geschaffen hat zwischen der Kraftquelle, der Seele, und dem Instrument der Kraft, dem niederen Selbst, bringt das hervor, was wir eine Persönlichkeit nennen. Diese Persönlichkeit kann für ihren Besitzer eine entschiedene Gefahrenquelle bilden. Das Gefühl der Macht, das Wissen um das erreichte Ziel, die Vorstellung von Leistungsfähigkeit und die empfundene Befähigung, andere beherrschen zu können, weil man sich selbst beherrscht, tragen den Keim der Versuchung in sich, und eben hier suchte der Teufel als nächstes, Christus zu verführen. Manche Leute sind erstaunt, wenn ihnen erklärt wird, dass ein guter Charakter selbst eine Quelle von Schwierigkeiten sein kann. Es sind Schwierigkeiten einer besonderen Art, indem die von einer hochentwickelten Person mit hervorragendem Charakter und gut abgerundeter Persönlichkeit getanen Dinge und gesprochenen Worte viel Schaden anrichten können, selbst wenn das Motiv richtig ist oder zu sein scheint. Solche Personen handhaben viel mehr Macht als der Durchschnitt.

Was ist nun ein guter Charakter, und wie wird er geschaffen? [128] Zuerst natürlich wird er auf dem Rad des Lebens und durch die Galiläa-Erfahrung geschaffen, dann durch bewusste Anstrengung und selbstauferlegte Disziplin, schliesslich durch die Verschmelzung der verschiedenen Aspekte der niederen Natur in ein harmonisches Ganzes, eine Einheit für zielbewussten Gebrauch.

Bei Christus wurden in der dritten Versuchung seine «bewussten Werte oder Absichten» versucht. Seine Lauterkeit sollte, wenn möglich, unterhöhlt und die Einheit, für die er stand, gewaltsam zerstört werden. Wenn dies getan werden konnte und wenn die Höhe, auf der er sich befand, ins Wanken kam, dann war seine Mission von Anfang an zum Misserfolg verurteilt. Wenn er sich täuschen liesse durch die Illusion von Macht, wenn persönlicher Ehrgeiz in seinem Bewusstsein entwickelt werden könnte, dann wäre die Gründung des Reichs Gottes ins Unbestimmte verzögert worden. Diese Versuchung war ein Angriff auf die wirkliche Wurzel der Persönlichkeit. Das Denken, der integrierende Faktor, mit seiner Fähigkeit, klar zu sehen, eine bestimmte Absicht zu formulieren und auszuwählen, stand unter Probe. Solche Versuchungen kommen nicht zu den Wenig-Entwickelten, und wegen der Stärke des ihnen innewohnenden Charakters sind sie von der heftigsten Art und am schwierigsten zu handhaben. Der Ruf des Teufels richtete sich an Christi Ehrgeiz. Ehrgeiz ist in besonderem Sinn das Problem des entwickelten Aspiranten und Jüngers, persönlicher Ehrgeiz, Streben nach Beliebtheit, weltlicher Ehrgeiz, intellektueller Ehrgeiz und Beherrschung der Macht über andere. Die Feinheit dieser Versuchung besteht in der Tatsache, dass sie sich an rechte Beweggründe wendet. Es würde so ist die Folgerung gut sein für die Welt menschlicher Angelegenheiten, wenn alles Christus gehörte. Indem er die Macht des Teufels, die materielle Macht in der Welt, als die vorherrschende einfach anerkannt hätte, könnte diese Kontrolle über die Reiche der Welt an Christus gegeben werden. Dies ward ihm angeboten als Belohnung für die einfache Anerkennung, allein und ungesehen auf der Spitze eines hohen Berges, der Macht, welche die dreifache Welt des äusseren Lebens repräsentiert oder symbolisiert. Wenn Christus kurz niederfallen und jene grosse Macht anbeten würde, so würden die Reiche der Welt und ihre Pracht ihm gehören. Wir wissen genug von ihm, um uns vorzustellen, dass in dieser Gebärde kein selbstsüchtiges Motiv gewesen wäre, wenn er hätte bewogen werden können, sie auszuführen. [129] Was stand zwischen ihm und der Annahme dieser Gelegenheit? Seine Antwort zeigt es klar, aber sie erfordert Verstehen. Was ihn hinderte, war sein Wissen, dass Gott ein und alles war. Der Teufel zeigte ihm ein Bild der Verschiedenartigkeit, von vielen Reichen, Teilung, Vielfältigkeit, Vielheit, getrennten Einheiten. Christus kam, um alle Reiche, alle Rassen, alle Menschen zu einen, zusammenzubringen, zu vereinigen, so dass das Wort des Paulus in der Tat wahr würde: «Dies ist ein Körper und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen». (Ephes. IV/4, 5, 6)

Wäre Christus den Verlockungen des Teufels unterlegen, hätte er, durch scheinbar richtiges Motiv und Liebe zur Menschheit, die dargebotene Gabe angenommen, so würden diese Worte niemals erfüllt worden sein, wie sie sicher zu irgend einem Zeitpunkt sich erfüllen werden, vielleicht nicht so fern, wie die chaotische Gegenwart uns denken lässt. Christus bewahrte seine Werte treu und seine Absicht unverändert. Die Illusion der Macht konnte ihn nicht berühren. Das, was wirklich war, beherrschte sein Denken so, dass das Unwirkliche und das Augenblickliche sein Bewusstsein nicht zu täuschen vermochte. Er sah das Ganze. Er sah die Vision einer Welt, in der es keine Dualität geben konnte, sondern nur Einheit, und von seiner Bemühung, diese künftige Welt ins Dasein zu bringen, konnte er nicht abgelenkt werden.

Wo diese Vision besteht, können geringere Werte und kleinere Erfolge das glühende Herz nicht zurückhalten. Wo das Ganze als eine Möglichkeit erfasst worden ist, kommt der Teil in seinen richtigen Platz. Wo die Absicht Gottes deutlich offenbart vor dem Denken des Sehers steht, verschwinden die geringeren Zwecke oder Motive und die kleinen Wünsche und Verlangen des persönlichen Selbstes und für dieses. Am Ende des Evolutionspfades liegen die Vollendung, das Reich Gottes, nicht die Reiche der Welt. Sie sind Teile eines zukünftigen Ganzen und werden später in eine geistige Synthese zusammengeschweisst werden. Doch jenes Reich wird nicht durch persönlichen Ehrgeiz, durch persönliche Anstrengung und persönliche Wünsche ins Dasein gerufen, wie wir im letzten [130] Kapitel sehen werden, wenn wir die Resultate der Einweihung zusammenfassen. Es kommt durch das Untertauchen des Teils im Ganzen und des Individuums in der Gruppe. Doch das wird freiwillig und intelligent vollbracht, nicht mit Verlust persönlichen Ansehens, der Nützlichkeit oder des Empfindens der Identität. Es wird nicht erzwungen oder verlangt von der Gruppe, dem Staat oder Reich, wie es heute so häufig der Fall ist. Dr. van der Leeuw (Dramatische Geschichte des christlichen Glaubens, engl., S. 19) sagt: «Wenn wir in das Reich eintreten würden, müsste diese Haltung sich wandeln in jene von Christus, dessen Liebe ausstrahlend und immer gebend ist für die umgebende Welt, ob sie es verdient oder nicht, dessen Leben konzentriert ist im Göttlichen, das allen gemeinsam ist. In ihm ist kein Rest einer getrennten Persönlichkeit, die für ihre eigene Existenz oder Erhöhung kämpft. Der Becher seines Lebens ist geleert von allem Persönlichen und wird gefüllt mit dem Wein göttlichen Lebens, an dem alle teilhaben. Wir möchten durch fortgesetzte, wenn auch möglicherweise unbewusste Anstrengung das Zentrum abgesonderten Lebens, das wir unsere Persönlichkeit nennen, beibehalten; wenn wir Christus folgen würden, haben wir diesen mühseligen Kampf um individuelle Behauptung aufzugeben, in dem Wunsch, eher das Leben des Ganzen als das eines Teils zu sein. So allein können wir in das Reich eintreten, wo keine Absonderung erfolgen kann».

Christi Versuchung bestand in der verlangten Anerkennung der Dualität. Jedoch für ihn gab es nur ein Reich und einen Weg in das Reich und einen Gott, der zwar langsam, aber sicher dieses Reich ins Dasein bringt. Seine Mission war, die Methode zu offenbaren, wodurch Einheit zustandegebracht werden könnte, jene einschliessende Liebe und jene Mittel zur Vereinigung zu verkünden, denen alle, die sein Leben erforschen und auf seinen Geist reagieren, würden folgen können. Er konnte daher nicht in den Irrtum der Verschiedenheit fallen. Er konnte sich nicht mit der Vielfältigkeit identifizieren, wenn er in seinem Bewusstsein als Gott den grösseren Zusammenhang umfasste. Pope fühlte das in seiner berühmten «Abhandlung über den Menschen» (engl). und drückte es in den bekannten Worten aus:

«Gott liebt vom Ganzen zu den Teilen,

Aber des Menschen Seele

Muss [131] von den Teilen zum Ganzen sich erheben.

Selbstliebe dient nur dazu, den tugendhaften Geist zu wecken.

So, wie der kleine Kieselstein aufrührt den stillen See

Das Zentrum ist bewegt, ein Kreis bildet sich,

Ein anderer und noch ein andrer greift um sich

So will den Freund, die Eltern, Nachbarn er zuerst umfassen,

Hierauf sein Land und dann die ganze Menschenwelt.

Weiter und immer weiter greift um sich der Geist,

Nimmt alle Kreatur von jeder Art wohl in sich auf.

Die Erde lächelt ringsumher in grenzenlos schenkender Fülle,

Und der Himmel erblickt sein Bild in seinem Herzen».

Dann verliess ihn der Teufel. Er konnte nichts mehr tun, und Christus «zog nach Galiläa» (Matth. IV/12), kehrte wieder in den Kreis täglichen Lebens zurück. Der Galiläa-Erfahrung kann kein im Fleisch inkarnierter Gottessohn entgehen. Christus tat dann dreierlei: erstens, als er hörte, dass Johannes der Täufer ins Gefängnis geworfen worden war, übernahm er die von ihm beiseitegelegte Aufgabe, er setzte das Predigen von Busse fort. Dann wählte er mit Sorgfalt jene aus, die mit ihm wirken sollten und die er zu unterrichten hatte, die Mission des Reichs voranzubringen, und dann begann er jenen erweiterten Dienst, der immer für die Welt das Zeichen ist, dass ein Mensch einschliessender geworden und durch eine weitere Einweihung gegangen ist. Auch wenn die Welt zu der Zeit jenes Zeichen nicht erkennen mag, so ist es doch niemals wieder genau die gleiche Welt, wie sie war, ehe die Einweihung genommen und der Dienst geleistet wurde. Das Auftauchen eines Eingeweihten auf dem Gebiet der Welt verändert es.

Christus zog durch das Land, tat Gutes, «in den Synagogen lehrend, das Evangelium vom Reich predigend und alle Arten von Krankheiten unter dem Volk heilend» (Matth. IV/1724). Er hatte vor Gott, den Menschen und sich selbst seine Vollkommenheit bewiesen. Er ging aus der Wüsten-Erfahrung hervor, erprobt, geprüft und seine Göttlichkeit völlig gerechtfertigt. Er wusste, dass er Gott war. Er hatte sich selbst sein Gottmenschentum bewiesen. Und doch wie es bei allen befreiten Gottessöhnen ist konnte er nicht ruhen, bis er uns den Weg gezeigt hatte. Er hatte die [132] starke Energie der Liebe Gottes weiterzugeben.

Vollkommen, dienend und in voller Kenntnis seiner Aufgabe tritt Christus nun in die Periode aktiven Wirkens ein, die der nächsten Einweihung, der Verklärung, vorausgehen muss.