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Zweites Kapitel - Die erste Einweihung….. Die Geburt zu Bethlehem - Teil 2

Jede Einweihung führt schliesslich zu erweitertem Dienst. Praktisches geistiges Leben muss den Augenblicken auf dem Berggipfel folgen. Das Selbst und das, was es erreicht hat, muss im Dienst an anderen vergessen werden. Dem kann man nicht entrinnen. Auf jeden Gipfel des Erreichten folgt ein Zyklus von Prüfungen. Jede neue Offenbarung, die begriffen und verwendet wurde, muss den Notwendigkeiten eines folgerichtigen, anstrengenden Lebens des Dienstes angepasst werden; und eine Einweihung ruft immer erneute Prüfungen und verstärkte Kraft zum Dienen hervor.

4.
«Und als sie dort waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und [55] legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge!» (Lukas II/6, 7)

Mit diesen einfachen Worten beginnt die bedeutungsvolle Geschichte, eine Geschichte von so weitreichenden Folgen, dass wir erst heute beginnen, ihre Auswirkungen zu erfassen. Erst jetzt, zweitausend Jahre nach dem Ereignis, hat die Lektion des Lebens Christi in den Vorstellungen der Menschen Gestalt angenommen. Erst heute bringt die einzigartige Lektion, die zu lehren er kam, die notwendigen Veränderungen im menschlichen Verständnis hervor. Erst jetzt erkennen wir, dass der historische Beweis seiner Ankunft auf Erden die Geschichte selbst ist, und dass sich in der Welt zwei grosse Ströme aktiver Bemühung zeigen: der Strom des allgemeinen, sich absondernden und entfaltenden Bewusstseins des Menschen, und jener der ständigen Anwendung der Botschaft Christi auf die laufenden Geschehnisse, sie beeinflussend, ändernd und weit mehr, als wir annehmen, den Weg bestimmend, den wir gehen sollten. Christus kam, als die Zeit erfüllt war, als die Menschheit reif wurde; er zeigte durch seine Person und sein Leben, was ein Mensch sein könnte, und was er war.

Der Gottessohn ist auch der Menschensohn! Diese Tatsache ist vielleicht durch die auf seine Göttlichkeit gelegte Betonung vergessen worden. Diese Göttlichkeit ist da, nichts kann daran rühren oder sie verbergen. Sie ist Ausstrahlung und reines weisses Licht. Doch das Menschentum ist gleichermassen vorhanden, ein Garant für unsere günstige Gelegenheit, unsere Möglichkeiten und eine Bestätigung für unseren Glauben. Wir sind in Liebe und Bewunderung vor dieser Göttlichkeit niedergefallen, die uns mit magnetischer Kraft aus den Worten des geliebten Apostels entgegenatmet, da er Christus als den Sohn Gottes bezeichnet, der göttlich spricht. Doch sein Menschentum wird bei Lukas und Matthäus betont, gleichwie von Markus sein Leben als Grosser Dienender betont wird. Wir haben über die Göttlichkeit von Christus gestritten. Hätte es kein anderes Evangelium als das des Johannes gegeben, [56] so wäre uns nur seine Göttlichkeit bekannt geworden. Christus als Mensch, was er als Mensch tat und war, wird von diesem Evangelisten nicht betrachtet.

Jeder moderne Schriftsteller, der für eine Biographie von Christus verantwortlich wäre, würde die schärfste Kritik der Theologen und Orthodoxen hervorrufen, hätte er diese wichtigen Punkte ausgelassen. Aber offensichtlich waren sie nach Meinung des Apostels nicht von überragender Bedeutung. Der Geist Christi war lebenswichtig und notwendig. Die anderen drei Apostel lieferten die Umgebung und die Einzelheiten und bemühten sich offensichtlich, diese in Übereinstimmung zu bringen mit der Lehre der Vergangenheit sowie mit Umgebung und Leben früherer Weltlehrer und Erlöser, denn es besteht eine merkwürdige Übereinstimmung der Ereignisse und Vorkommnisse.

Wir haben über Einzelheiten in Verbindung mit der aussergewöhnlichen Erscheinung Christi gestritten und die Betonung übersehen, die in drei der Einweihungen auf seine Worte und deren Bedeutung gelegt ist. Wir sind von den physischen Geschehnissen seines Lebens ausgegangen und haben darum gekämpft, die authentische Geschichtlichkeit jener physischen Ereignisse zu beweisen, und doch spricht Gott immer: «Ihn sollt ihr hören!»

Ein anderer Punkt, der oft vergessen wird, ist, dass, durch sein Herabkommen auf die Erde und das Annehmen menschlicher Gestalt, Gott seinen Glauben an die Göttlichkeit im Menschen bezeugte. Gott hatte genügend Vertrauen in die Menschen und in ihre Reaktion auf die Weltbedingungen, so dass er seinen Sohn gab, um der Menschheit die Möglichkeit zu zeigen und so die Welt zu retten. Dieses war der Ausdruck seines Glaubens, und sein Verhalten war durch diesen Glauben bestimmt. In Ehrfurcht möchte ich sagen, dass des Menschen Göttlichkeit einen Ausdruck des Göttlichen gewährleistete. So handelte Gott. Dean Inge sagt sehr treffend, wenn er über die Werke Plotins schreibt, dass «die Lebensführung auf einem Akt des Glaubens beruht, der mit einem Experiment beginnt und mit einer Erfahrung endet». Diese Worte treffen auf Gott und den Menschen zu. Gott hatte solches Vertrauen in des Menschen eingeborene Geistigkeit und was ist Geistigkeit anderes als der Ausdruck von Göttlichkeit in der Form? dass er ein grosses Experiment wagte, das [57] zur christlichen Erfahrung geführt hat. Glaube an Christus! Glaube an die Menschheit, Glaube an die Ansprechbarkeit des Menschen für das Experiment! Glaube, dass die gegebene Vision zur Erfahrung umgewandelt oder entwickelt wird! Solcherart war der Glaube Gottes an die Menschheit. Der christliche Glaube hat trotz Dogmen und Doktrinen und trotz Verzerrungen durch die akademische Theologie und der Auslegung einiger unintelligenter Kirchenleute Gott und den Menschen zusammengebracht, vereinigt in Christus, und so die Wahrheit dargestellt, dass jedes menschliche Wesen auch das Vertrauen haben kann, das Experiment zu wagen und sich der Erfahrung zu unterziehen. Diese vitale, dramatische und geheimnisvoll geschilderte, jedoch lebendige Wahrheit wird, wenn durch das Denken begriffen und mit dem Herzen verstanden, jeden Aspiranten der christlichen Mysterien befähigen, durch das Tor der Neuen Geburt in das Licht zu treten und von da ab in zunehmendem Mass in jenem Licht zu wandeln, denn «der Pfad der Gerechten ist ein scheinend Licht, das strahlt mehr und mehr bis in den vollkommenen Tag!» (Sprüche IV/18). Diese Wahrheit ist noch eine lebendige Wahrheit, sie bereichert und beeinflusst unseren ganzen Glauben.

In diesem Zusammenhang (der die Grundlage unseres Glaubens an Gottes Liebe bildet) gab es, wie wir gesehen haben, viele Worte, die aus dem Zentrum hinausgesendet wurden. Viele Gottessöhne haben durch die Zeitalter hindurch der Menschheit eine sich ständig erweiternde Vision von «Höhepunkten der Möglichkeit» gegeben, indem sie den Menschen Gottes Plan in jedem Alter und Temperament angepassten Begriffen darstellten. Die Einheitlichkeit ihrer Lebensgeschichte, die wiederholte Erscheinung der jungfräulichen Mutter (deren Name häufig eine Variation des Namens Maria ist), die Ähnlichkeit in Einzelheiten der Geburtsgeschichte, all das zeigt uns das beständige Wieder-Vorführen einer Wahrheit, so dass durch ihre dramatische Qualität und ihre Wiederholung Gott gewisse grosse Wahrheiten in die Herzen der Menschen einprägt, Wahrheiten, die zu ihrer Erlösung wesentlich sind.

Eine dieser Wahrheiten ist: Gottes Liebe ist ewig, seine Liebe zu seinem Volk unerschütterlich und unveränderlich. Wann immer die Zeit reif ist und die Not des Volkes es rechtfertigt, erscheint er, um die Seelen der Menschen zu retten. Krishna im alten Indien [58] verkündete diese Weisheit in den erhabenen Worten:

«Jedesmal, wenn die Rechtmässigkeit im Schwinden ist und Unrechtmässigkeit überhand nimmt, lasse ich mein Selbst hervorströmen (verkörpere ich mich).

Um die Guten zu beschützen, das Böse zu vernichten und die Rechtmässigkeit zu festigen, entstehe ich von Zeitalter zu Zeitalter.

Wer also meine Geburt wahrnimmt und in Wahrheit göttlich wirkt, der geht in mich ein, Arjuna». (Bhagavad Gita, Buch IV, 7, 8, S. Radhakrishnan).

Wieder und wieder sind solche Lehrer hervorgetreten, sie manifestierten soviel von der göttlichen Natur, wie die menschliche Entwicklung es rechtfertigte. Nachdem sie jene Worte gesprochen hatten, welche die Kultur und Zivilisation der Völker bestimmten, setzten sie ihren Weg fort, die Saat zum Keimen und Fruchttragen hinterlassend. Als die Zeit erfüllt war, kam Christus; und wenn Evolution überhaupt etwas bedeutet und die Menschheit als ein Ganzes sich entwickelt und ihr Bewusstsein sich erweitert hat, dann muss die Botschaft, die er brachte, und das Leben, das er lebte, unvermeidlich das Beste der Vergangenheit zusammenfassen, es vervollständigen und erfüllen und eine zukünftige geistige Kultur verkünden, die alles in der Vergangenheit Gegebene weit übertreffen wird. Die Mehrzahl dieser grossen Gottessöhne war, seltsam genug, in einer Höhle geboren und meistens von einer jungfräulichen Mutter.

«Im Hinblick auf die Jungfräuliche Geburt ist es bezeichnend, dass in den Episteln, welche die ältesten christlichen Dokumente darstellen, hierauf nicht bezug genommen ist; im Gegenteil spricht Paulus (in Römer I/3) von Jesus als «entsprungen aus dem Samen Davids, nach dem Fleisch», das heisst, von dem Samen Josephs, Davids Nachkommen. Das früheste Evangelium, das des Markus, etwa zwischen 70-100 nach Chr., erwähnt dies nicht, noch das des Johannes, nicht früher als 100 n. Chr. Das Buch der Offenbarung, zwischen 69-93, schweigt zu diesem Punkt, obwohl, wenn die Jungfrauengeburt ein wichtiger Glaubenssatz gewesen wäre, sie zweifellos in dem mystischen Symbolismus dieser Schriften erschiene. (Das Heidentum in unserem Christentum, engl., von Arthur Weigall, S. 42).

Isis war oft auf [59] dem Halbmond stehend dargestellt, das Haupt von 12 Sternen umgeben. In fast jeder römisch-katholischen Kirche Europas sind Bilder und Statuen Marias zu sehen, «der Königin des Himmels», auf der Mondsichel stehend, das Haupt von 12 Sternen umgeben.

«Wahrscheinlich wird es mehr als ein Zufall sein, dass so viele von den jungfräulichen Müttern und Göttinnen des Altertums den gleichen Namen haben. Die Mutter von Bacchus war Myrrha, die von Hermes/Merkur Myrrha oder Maya; die Mutter des siamesischen Erlösers Sommona Cadom wurde Maya Maria genannt, d.h. die «Grosse Maria». Die Mutter von Adonis war Myrrha, die von Buddha war Maya. Alle diese Namen sind, ob Myrrha oder Maya, dasselbe wie Maria, der Name der Mutter des christlichen Erlösers. Der Monat Mai war diesen Göttinnen geweiht, ebenso, wie heute der Jungfrau Maria. Sie wurde auch Myrrha genannt ...». (Biblische Mythen, engl., von T. W. Doane, S. 312).

In der symbolischen Sprache der Esoterik wird eine Höhle als der Ort der Einweihung betrachtet. Dies ist immer so gewesen, und es könnte eine sehr interessante Studie über den Einweihungsvorgang und die Neue Geburt angestellt werden, wenn die vielen Hinweise in den alten Schriften zu den Ereignissen, die in Höhlen stattfanden, gesammelt und genau untersucht würden. Der Stall, in dem Jesus geboren wurde, war mit aller Wahrscheinlichkeit eine Höhle; denn viele Ställe waren in jenen Tagen Erdhöhlen. Dies wird von der Frühkirche anerkannt, und es wird gesagt, dass «wohlbekannt ist, dass, während im Evangelium behauptet wird, Jesus sei im Stall einer Herberge geboren, frühe christliche Autoren, wie Justin, der Märtyrer, und Origenes ausdrücklich vermerken, er sei in einer Höhle geboren» (J. M. Robertson: Heidnischer Christ, engl., S. 338). Beim Studium dieser fünf Einweihungen in den Evangelien finden wir, dass zwei in Höhlen, zwei auf einem Berggipfel und eine in der Ebene zwischen den Tiefen und den Höhen stattfanden. Die erste und die letzte Einweihung (die Geburt in das Leben und die Auferstehung in «ein Leben der Fülle», Joh. X/10) fanden in einer [60] Höhle statt. Die Verklärung und die Kreuzigung ereigneten sich auf einem Berggipfel oder Hügel, während die zweite Einweihung, nach der Christus sein öffentliches Amt begann, sich an einem Fluss vollzog, in den Ebenen am Jordan, vielleicht symbolisch für die Mission Christi, unten zwischen den Menschen zu leben und zu wirken. Die freimaurerische Redensart von dem «Treffen auf der Ebene» gewinnt hier eine zusätzliche Bedeutung. Nach jeder Bergerfahrung kam Christus wieder herunter in die Ebene des täglichen Lebens und manifestierte dort die Wirkungen und Ergebnisse dieses hohen Ereignisses.

Mithras wurde, wie viele andere, in einer Höhle geboren. Christus war in einer Höhle geboren und trat, wie alle anderen, in ein Leben des Dienstes und des Opfers ein, um so seine Fähigkeit für die Aufgabe des Welterlösers zu beweisen. Sie alle brachten der Menschheit Licht und Offenbarung, und sie wurden in den meisten Fällen dem Hass derer geopfert, die ihre Botschaft nicht verstanden oder ihre Methoden ablehnten. Sie alle «fuhren hinab in die Hölle und standen am dritten Tag wieder auf». Zwanzig bis dreissig dieser Sagen finden sich verstreut durch die Jahrhunderte in der menschlichen Geschichte; ihre Erzählungen und Missionen sind immer identisch.

«Die Jesus-Erzählung, so werden wir jetzt sehen, hat eine grössere Übereinstimmung mit den Erzählungen von früheren Sonnengöttern und mit der tatsächlichen Bahn der Sonne durch die Himmel; so viele in der Tat, dass sie nicht nur dem Zufall oder der gotteslästerlichen Tücke des Teufels zugeschrieben werden können. Wir wollen einige davon aufzählen: 1. Die Geburt von einer jungfräulichen Mutter, 2. die Geburt in einem Stall (Höhle, unterirdische Kammer), 3. am 25. Dezember, nach der Wintersonnenwende, 4. der Stern im Osten (Sirius), 5. die Ankunft der Weisen, der drei Könige. Da ist 6. das drohende Blutbad der Unschuldigen und die folgende Flucht in ein fremdes Land (erzählt auch von Krishna und anderen Sonnengöttern). Da sind 7. die Kirchenfeste wie Lichtmess am 2. Februar mit Kerzenprozessionen, die das wachsende Licht symbolisieren, 8. die Fastenzeit oder die Ankunft des Frühlings. 9. Ostern, normalerweise am 25. März, womit das Überschreiten des Äquators durch die Sonne gefeiert wird, und gleichzeitig das Aufbrechen des Lichts am Heiligen Grab zu Jerusalem. 11. Die Kreuzigung und der Tod des Gotteslammes am [61] Karfreitag, drei Tage vor Ostern, 12. das Festnageln an einen Baum, 13. das leere Grab, 14. die frohe Auferstehung (wie bei Osiris, Attis u.a.). Da sind 15. die zwölf Jünger (die Zeichen des Tierkreises) und 16. der Verrat durch einen von den Zwölfen. Dann 17. der Mittsommer, Johannistag, korrespondierend mit dem Christfest. 18. die Himmelfahrt der Jungfrau am 15. 8. und 19. die Geburt der Jungfrau am 8. September, entsprechend der Bewegung der Sonne durch das Zeichen Jungfrau. Da ist 20. der Konflikt Christi und seiner Jünger mit den herbstlichen Sternbildern Schlange und Skorpion, und schliesslich 21. die eigenartige Tatsache, dass die Kirche genau den Tag der Wintersonnenwende (wenn man ganz natürlich auch die Wiedergeburt der Sonne bezweifeln mag) dem heiligen Thomas zugeeignet hat, der an der Wahrheit der Auferstehung zweifelte». (Edward Carpenter: Heidnische und christliche Glaubensbekenntnisse, engl., S. 50)

Jeder, der die vergleichenden Religionswissenschaften studiert, kann die Wahrheit dieser Feststellungen nachprüfen. Am Ende wird er staunend vor der Beharrlichkeit von Gottes Liebe stehen und der Bereitschaft zum Selbstopfer, die alle diese Gottessöhne zum Ausdruck bringen.

Es ist deshalb klug und an der Zeit, sich zu erinnern, dass «diese Ereignisse im Leben der verschiedenen Sonnengötter wieder dargestellt sind; das Altertum ist voll von Beispielen dafür. Isis von Ägypten, gleich Maria von Bethlehem, war unsere Unbefleckte Frau, der Stern des Meeres, Königin des Himmels, Mutter Gottes. Wir sehen sie in Bildern, stehend auf einer Mondsichel, sternengekrönt. Sie nährt ihr Kind Horus, und das Kreuz erscheint auf dem Rücken des Sessels, auf dem er auf den Knien seiner Mutter sitzt. Die Jungfrau des Tierkreises ist auf alten Bildern dargestellt als eine Frau, die ihr Kind säugt, ein Vorbild aller zukünftigen Madonnen mit ihren göttlichen Kindern, das Urbild des Symbols. Devaki ist ebenfalls mit dem göttlichen Krishna in ihren Armen abgebildet, wie Melitta oder Istar von Babylon, auch mit der Krone der umgebenden Sterne und ihrem Kind Tammuz auf den Knien. Merkur und Äskulap, Bacchus und Herkules, Perseus und die Dioskuren, Mithras und Zarathustra waren alle von göttlicher und menschlicher Geburt. (Annie Besant: Esoterisches Christentum, engl., S. 158)

Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass die Kathedrale von Notre Dame in Paris [62] auf der alten Stätte eines früheren Isistempels errichtet wurde, und dass die frühe Kirche sehr oft eine sogenannte heidnische Gelegenheit benutzt hat, um einen christlichen Brauch oder einen Tag geweihter Erinnerung festzusetzen. So entstand auch die Festlegung des Weihnachtstages am 25. Dezember. Die obengenannte Autorin sagt uns (a. a. O., S. 160):

«Zu der Festlegung des 25. Dezember als Geburtstag Jesu sagt Williamson folgendes: «Alle Christen wissen, dass jetzt der 25. Dezember das anerkannte Fest der Geburt Jesu ist, aber wenige sind sich bewusst, dass dies nicht immer so war. Es wird gesagt, dass 136 verschiedene Daten bei den verschiedenen christlichen Sekten festgelegt worden sind; nach Lightfoot am 15. September, andere geben Februar oder August an. Epiphanius erwähnt zwei Sekten, die im Juni, bzw. Juli feiern. Die Sache wurde endlich durch Papst Julius 337 geregelt, und St. Chrysostomus schreibt 390: Auf diesen Tag (25. 12). wurde kürzlich in Rom die Geburt Christi festgelegt, damit die Christen ihre Feiern ungestört abhalten können, während die Heiden mit ihren Zeremonien (die Brumalien zu Ehren des Bacchus) beschäftigt waren».

Die Wahl dieses besonderen Datums ist kosmisch in ihren Folgerungen. Die Weisen früherer Zeiten dessen können wir sicher sein haben nicht ohne Absicht diese wichtige Entscheidung getroffen. Annie Besant meint:

«Er ist immer zur Wintersonnenwende geboren, nach dem kürzesten Tag im Jahr, um Mitternacht vom 24. Dezember, wenn das Zeichen der Jungfrau über dem Horizont aufsteigt. Er ist immer von einer Jungfrau geboren, und sie bleibt eine Jungfrau, nachdem sie das Sonnenkind geboren hat, gleichwie die himmlische Jungfrau unverändert und unbefleckt bleibt, wenn die Sonne von ihr in den Himmel fortschreitet. Schwach wie ein Kind ist er, geboren wenn die Tage am kürzesten und die Nächte am längsten sind. ...» (a. a. O., S. 157).

Es ist auch interessant sich zu erinnern, dass «der ehrwürdige Bede» Anfang des 8. Jahrhunderts schrieb, dass «das alte Volk der [63] englischen Nation», womit er die heidnischen Angelsachsen meint, bevor sie sich in Britannien um 500 n. Chr. ansiedelten, «das Jahr am 25. Dezember begannen, an welchem Tag wir jetzt den Geburtstag unseres Herrn feiern»; und er schreibt, dass die Nacht vom 24./25. Dezember, die uns jetzt so heilig ist, in ihrer Sprache Modranecht, d. i. «Mutternacht» genannt wurde, aufgrund der Zeremonien, die in dieser die ganze Nacht dauernden Vigil vollzogen wurden. Er erwähnt nicht, welche Zeremonien es waren, doch es ist klar, dass sie in Beziehung zur Geburt des Sonnengottes standen. Als im 6. u. 7. Jahrhundert die Angelsachsen zum Christentum bekehrt wurden, bestand das Fest der Geburt am 25. Dezember schon lange in Rom als eine feierliche Handlung, doch in England gab ihm seine Identifizierung mit dem fröhlichen altheidnischen Julfest, ein Wort, das offenbar eine «Lustbarkeit» bedeutet einen fröhlichen Charakter, den es im Süden nicht besass. Dieser Charakter ist geblieben und steht im merklichen Gegensatz zu seiner Natur bei den lateinischen Völkern, wo der nördliche Brauch des Feierns und Geschenkegebens bis in unsere Zeit unbekannt geblieben ist. (Arthur Weigall: «Das Heidentum in unserer Christenheit», engl., S. 236, 237.

Zur Zeit der Geburt Christi war der Stern Sirius, der Stern im Osten, auf der Meridianlinie; Orion, von orientalischen Astronomen «Die drei Könige» genannt, war in der Nähe; deshalb stieg das Sternbild Virgo, die Jungfrau, im Osten auf, und die Linien der Ekliptik, des Himmelsäquators und des Horizonts treffen sich alle in diesem Sternbild. Es ist interessant, dass der hellste und grösste Stern in der Jungfrau «Spica» genannt wird; er ist in der «Kornähre» zu finden, dem Zeichen der Fruchtbarkeit, welche die Jungfrau hält. Bethlehem bedeutet das «Haus des Brotes»; es besteht offensichtlich eine Verbindung zwischen diesen zwei Worten. Dieses Sternbild ist auch aus drei Sternen, in Gestalt eines Kelches, gebildet. Dies ist der wahre Heilige Gral, der das Blut des Lebens enthält, der Verwahrungsort des Geweihten und Heiligen, der das Göttliche verbirgt. Dies sind astronomische Tatsachen. Die Auslegung der Symbolik, die von altersher mit diesen Sternbildern verknüpft wurde, ist so alt wie Religion selbst. Woher die Zeichen kamen und wie die mit ihnen in Verbindung gebrachten Bedeutungen [64] und Symbole entstanden sind, ist im Dunkel der Zeiten verloren. Sie haben in den Gedanken und Schriften der Menschen seit Tausenden von Jahren existiert und sind heute unsere gemeinsame Erbschaft. Der alte Tierkreis von Denderah (er datiert mehrere tausend Jahre vor dem Christentum) ist genug Beweis dafür. In der Reise der Sonne durch den Tierkreis erreicht der «Himmlische Mensch» schliesslich die Fische; dieses Zeichen liegt dem Zeichen «Jungfrau» genau gegenüber. Es ist das Zeichen aller Welterlöser. Wir haben bereits gesehen, dass das Zeitalter des Christentums das Fischezeitalter ist; Christus kam in das Heilige Land, als die Sonne in dieses Zeichen übertrat. Was in Virgo begann (die Geburt des Christkindes) und sein Dasein hatte, vollendet sich in den Fischen, wenn dieses Christkind, nachdem es zur Reife gelangt ist, als der Welterlöser hervortritt.

Eine andere astronomische Tatsache ist in dieser Beziehung von Interesse. Eng verbunden mit der Konstellation Jungfrau und im gleichen Abschnitt des Himmels sind drei andere Sternbilder zu finden, und in diesen dreien ist für uns die Geschichte vom Kind, das geboren wird, leiden, sterben und wiederkommen soll, symbolisch dargestellt. Da ist die Gruppe von Sternen, welche «das Haar der Berenice» genannt wird, die Frau mit dem Kind. Dann Centaurus, der Centaur, und Bootes, dessen Name in der hebräischen Sprache «der Kommende» bedeutet. Zuerst das von der Frau geborene Kind, diese eine Jungfrau; dann der Centaur, in den alten Mythologien immer das Symbol der Menschheit; denn der Mensch ist Tier und Gott und deshalb ein menschliches Wesen. Dann erscheint er, der kommen soll, über ihnen allen, überschattet sie und weist auf die Erfüllung dessen hin, das durch Geburt und menschliche Inkarnation eintreten wird. Wahrlich, das Bilderbuch des Himmels enthält die Ewige Wahrheit für jene, die Augen haben zu sehen, und die eine gutentwickelte Intuition zur Auslegung besitzen. Prophetentum ist nicht auf die Bibel beschränkt, sondern war immer den Menschen am Himmel vor Augen gehalten worden.

So, wie «die Himmel die Herrlichkeit Gottes künden, zeigt das Firmament sein Werk» (Psalm XIX, 1), haben wir [65] die Prophezeiung jenes Weltereignisses, das stattfand, als Christus zu Bethlehem, im «Haus des Brotes» geboren wurde und Virgo am Horizont aufstieg, während der Stern im Osten aufstrahlte.

Dann kam Christus zu seinem eigenem Fleisch und Blut, weil die Welt der Menschen ihn anzog und die Liebe des Vaters ihn dazu drängte. Er kam, um dem Leben Zweck und Erfüllung zu geben und uns den Weg zu zeigen: er kam, uns ein Beispiel zu geben, so dass wir angespornt würden durch die Hoffnung, «die nicht zu Schanden werden lässt» (Römer V/5), zu «jagen nach dem vorgesteckten Ziel unserer hohen Berufung» (Philister III/14).

Es soll hier bemerkt werden, dass die der Geburt vorangehende Reise auch ein Teil der Lebensgeschichte anderer von Gott gesandter Lehrer ist. Wir lesen zum Beispiel:

«Unter den 32 Merkmalen, welche die Mutter des erwarteten Messias (Buddha) aufweisen sollte, war das fünfte Zeichen wie folgt angegeben: dass sie zur Zeit der Geburt ihres Kindes auf einer Reise sein würde ..., damit erfüllt würde, was die Propheten sagen, die Jungfrau Maya habe im zehnten Monat nach ihrer himmlischen Empfängnis auf einer Reise zu ihrem Vater unter einem Baum den Messias geboren. Ein Bericht sagt, als Buddha geboren wurde, sei sie in einer Herberge abgestiegen».

Die Mutter des Laotse, des jungfraugeborenen chinesischen Weisen, war unterwegs, als ihr Kind geboren wurde. Sie hielt unter einem Baum an, um zu rasten, und hier, gleich der Jungfrau Maya, gebar sie ihren Sohn». (T. W. Doane: Bibelmythen, engl., S. 5).

Es wird im Evangelium erzählt, dass die Jungfrau Maria mit ihrem Ehemann Joseph von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem zog, während sie in ihrem Leib das Christkind trug. Durch das Studium der Bedeutung der Namen, denen wir in der Bibel und in Überlieferungen begegnen, können wir oft viel Licht auf die Tatsache selbst werfen und manches von ihrem verborgenen Sinn enthüllen. Beim Studium der biblischen Geschichte habe ich nur die Bibel selbst und Crudens Konkordanz benutzt. Die Auslegung der Namen ist aus Crudens Konkordanz entnommen. Darin finden [66] wir, dass Nazareth «Das Geweihte» bedeutet oder das, was «bereit gesetzt ist». Galiläa heisst «das Drehen des Rades». Dieses Rad des Lebens und des Todes, das sich ununterbrochen dreht, trägt uns alle mit sich und hält uns auf dem «Rad des Daseins», wie die Buddhisten es nennen, bis wir die Lektion des Lebens gelernt haben und ein «Gefäss geworden sind, geheiligt und geeignet für des Meisters Gebrauch». (II. Tim. II/21).

Die lange Reise des Daseins liegt hinter Christus, und erwandert mit seiner Mutter den letzten Teil des Weges. Geweiht seit Äonen für dieses Werk der Welterlösung, hat er sich zuerst dem gewöhnlichen Vorgang von Geburt und Kindheit zu unterziehen. Christus kam von Nazareth, der Stätte der Widmung, und ging nach Bethlehem, dem Hause des Brotes, wo er in einer besonderen Weise das «Brot des Lebens» werden sollte (Joh. VI/33, 35, 41, 58) für eine hungernde Welt. Er war bereitgestellt oder erstellte sich selbst bereit (wie alle erwachenden Söhne Gottes) für das Werk der Erlösung. Er kam, die Hungrigen zu sättigen; und in diesem Zusammenhang werfen zwei Verse des Propheten Jesaja (XXVIII/28) Licht auf seine Aufgabe und ihre Vorbereitung: «Das Getreide ist gemahlen», und Christus selbst sagt uns «Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber stirbt, da bringt es viele Früchte» (Joh. XII/24). Das war das Schicksal, das ihn erwartete, als er in Bethlehem geboren wurde. Dann betrat er die Laufbahn, die ihn am Ende «zermahlte» und zum Tode führte.

Nach der Auslegung der Konkordanz bedeutet der Name Maria «die Auserwählte des Herrn». Bei diesen Worten erinnert man sich an das Bild von Murillo: die Jungfrau auf dem Halbmond stehend und in die Wolken des Himmels fahrend die Himmelfahrt der Jungfrau in die Herrlichkeit. Es gibt noch einen interessanten Punkt in Verbindung mit dem Sternbild Virgo, den wir erwähnen möchten. In der Symbolik der alten Weisheit steht Maria, die Jungfrau, für die jungfräuliche Materie, für [67] die Substanz, die in sich das Christkind, das Christusbewusstsein, nährt und verbirgt. Es bedeutet, dass Gott sich durch Form und Materie offenbart. Das ist die Geschichte der göttlichen Inkarnation. Die Materie, überschattet vom Heiligen Geist, der Dritten Person der Dreieinigkeit, bringt den zweiten Aspekt der Trinität in der Person Christi zur Geburt kosmisch, mythisch und individuell.

Verbunden mit dem Märchenbuch des Himmels gibt es ausser der Konstellation Virgo drei Sternbilder, die durch Frauen symbolisiert sind. Da ist Cassiopeia, die Frau auf dem Thron; sie versinnbildlicht den Zustand im menschlichen Leben, in dem Materie und Form vorherrschen und triumphieren, wenn das innere Leben so tief verborgen ist, das es keine Merkmale zeigt und nur die materielle Natur herrscht und regiert. Dann folgt das spätere Stadium in der Geschichte der Menschheit und auch des Einzelnen, da das «Haar der Berenice» symbolisch zum Vorschein kommt, wenn die Frau, die das Christkind trägt, gesehen wird. Hier beginnt die Materie ihre wahre Funktion zu zeigen, die darin besteht, den Christus in jeder Form zur Welt zu bringen. Wenn die Umdrehung des grossen Lebensrads einen gewissen Punkt erreicht hat, kann Maria von Nazareth in Galiläa aufbrechen, nach Bethlehem wandern und dort den Erlöser zur Welt bringen. Schliesslich ist da Andromeda, die Frau in Ketten, oder die Materie, die der Seele unterworfen ist. Nun herrscht die Seele oder Christus. Zuerst ist die Materie vorherrschend, auf ihrem Thron triumphierend, dann ist sie Hüter der verborgenen Göttlichkeit, Schönheit und Wirklichkeit, bereit, diese zur Geburt zu bringen. Zuletzt ist die Materie der Diener dessen, der geboren worden ist, Christus. Nichts wird jedoch vollbracht, ehe die Wanderung von Nazareth, der Stätte der Weihe, und Galiläa, der Stätte des täglichen Lebens, unternommen worden ist; und dieses trifft zu, ob man vom kosmischen Christus spricht, der verborgen ist in der Form eines Sonnensystems, dem mythischen Christus, der seit jeher in der Menschheit verborgen ist, dem historischen Christus, verborgen in der Gestalt Jesu, oder dem individuellen Christus, der in jedem Menschen versteckt ist. Immer ist der Gang der gleiche: Wanderung, [68] neue Geburt, Erfahrung des Lebens, der zu leistende Dienst, der erlittene Tod und dann die Auferstehung zu einem erweitertem Dienst.

Der Name Joseph bedeutet: «der, welcher hinzufügen soll». Er war ein Erbauer, ein Zimmermann, ein Arbeiter im Bauhandwerk, einer, der Stein zu Stein und Balken zu Balken fügt. Er ist das Symbol des schöpferisch bildenden Aspektes Gottes des Vaters. In diesen drei Menschen Joseph, das Kind Jesus und Maria finden wir die göttliche Trinität versinnbildlicht und dargestellt: Gott, den Vater, Gott, den Sohn, und Gott, den Heiligen Geist, oder die durch die Gottheit belebte Materie, die für uns in der Jungfrau Maria verkörpert ist.

Heute sind die Massen auf einer Reise. Heute fesselt die Lehre vom Pfad und vom Weg zu Gott die Aufmerksamkeit der Weltaspiranten. Wir sind auf dem Pfad der Rückkehr, zum Bethlehem des Einzelwesens und der Menschheit. Wir sind im Begriff, die Höhle zu betreten, in der die Neue Geburt stattfinden kann, und damit ist eine Stufe der lebenslangen Reise nahezu vollendet. Dieser Symbolismus ist vielleicht wahrer, als wir denken. Das heutige Weltproblem ist Brot, und unsere Sorgen, Verwirrung, unsere Kriege und Streitigkeiten beruhen auf dem wirtschaftlichen Problem, die Völker zu ernähren. Die ganze Welt ist heute beschäftigt mit dem Bethlehem-Gedanken: mit Brot! In dieser feinen Beziehung liegt für uns gewiss die Sicherheit, dass er, wie er einst zum Haus des Brotes kam, sein Wort wieder erfüllen, sich vollenden und zurückkehren wird. Die Höhle, ein Ort der Dunkelheit und der Unbequemlichkeit, war für Maria die Stätte der Schmerzen und der Erschöpfung. Dieses Höhlen- oder Stallkapitel des Neuen Testamentes enthält wahrscheinlich ebensoviel sinnbildliche Darstellung wie irgendein anderes der Bibel. Die lange, mühevolle Wanderung endete in einer dunklen Höhle. Die lange, mühevolle Wanderung der Menschheit hat uns heute zu einer ebenso harten und wenig einladenden Stätte gebracht. Das Leben des einzelnen Jüngers, bevor er die Einweihung nimmt und durch die Erfahrung der Neuen Geburt geht, ist immer erfüllt von den grössten Schwierigkeiten und Härten. Aber in der Dunkelheit und durch Schwierigkeiten ist Christus zu finden; das Christusleben kann erblühen, und wir können von Angesicht zu Angesicht vor ihm als dem Einweihenden stehen. Der blinde Dichter George Mac Donald erfühlte dies, als er die [69] schönen Worte schrieb, die so vielen Trost gebracht haben:

«Weich nimmer der Dunkelheit, was sie auch bringen mag!

Des Leides dunkle Wolken

Sie sind Geheimnisse des Betens und der Vorsehung.

Halt aus, und du wirst finden

der Liebe heilig Sakrament.

Geheimnisvolle Offenbarung, süsses Licht

Erwarten den, der durch die Dunkelheit sich ringt.

Im tiefsten Herzen solcher dichten Finsternis

Doch wartet Christus und verklärt

Ruft er die Seelen zu sich».

In dieser Höhle der Einweihung sind alle vier Naturreiche für uns unverkennbar dargestellt. Im felsigen Bau der Höhle erscheint das Mineralreich, Futter und Heu vertreten das Pflanzenreich, während Ochse und Esel das Tierreich versinnbildlichen, doch sie vertreten mehr als dieses. Der Ochse (bzw. der Stier), stand für jene Form der Anbetung, die zu der Zeit, in der Christus kam, für die Erde schon vorüber sein sollte. Doch es gab noch viele, die den Stier verehrten; er war das Objekt des Kultes vorwiegend zu der Zeit, als die Sonne durch das Zeichen des Taurus, des Stieres ging, was damals in den Mysterien des Mithras und in Ägypten bewahrt wurde. Das Zeichen, das der christlichen Ära unmittelbar voranging, war der Widder, der Bock oder das Lamm, und dies ist für uns dargestellt in den Schafhürden, die den Stall in Bethlehem umgaben.

Es ist interessant, dass Esel für immer mit der Geschichte von Maria und ihrem Kind verbunden sind; zwei Esel werden im Evangelium erwähnt: einer kommt von Norden und trägt Maria nach Bethlehem, ein anderer trägt sie hinunter nach Ägypten. Es sind Symbole der zwei Sternbilder, genannt der Nördliche und der Südliche Esel, die sich in der Nachbarschaft der Konstellation Jungfrau befinden.

In Maria und Joseph ist das Menschenreich vertreten, mit der menschlichen Einheit und der Dualität, die so wesentlich für das Dasein sind. In dem neugeborenen Kind bringt [70] sich die Göttlichkeit selbst zum Ausdruck. So ist in dieser kleinen Höhle der Kosmos dargestellt.

Als Christus in Bethlehem geboren wurde, ertönte ein dreifaches Wort (Lukas II/14): «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und guter Wille den Menschen!» Ein dreifaches Wort wurde uns gegeben. In der Nacht von den Engeln den Hirten gesungen, die ihre Herden auf den Feldern hüteten, die den Stall, bzw. die Höhle, umgaben, wo das Christkind lag. Ein einzigartiges kosmisches Ereignis war geschehen und die Heerscharen des Himmels priesen es.

Die Frage nach der Einzigartigkeit der Erde hat denkende Menschen oft beunruhigt: Kann ein so winziges Atom, wie es die Erde im Weltraum ist, in der Tat für Gott von solchem Interesse sein, dass er erlaubte, dieses grosse Experiment hier zu versuchen? Ist das Geheimnis des Menschen und die Bedeutung unseres Zwecks von solcher Wichtigkeit, dass es nirgendwo sonst etwas Vergleichbares gibt?

Kann wirklich auf diesem «Ball von Staub» etwas von solch vitaler Wichtigkeit geschehen, dass es die Engel veranlasst zu singen: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und guter Wille den Menschen»? Wir denken gern, dass es so sein könnte. Wir fürchten den Augenblick, da unsere Nichtigkeit erscheint, wenn wir den Blick auf die Sterne des Himmels richten und uns vorstellen, dass es tausend Millionen von Universen gibt und zehntausende Millionen von Sternbildern! Wir sind so ein winziges Teilchen in der grossen Unermesslichkeit.

Vielleicht sind wir von grösserer Bedeutung, als wir es vermuten. Vielleicht berührt das, was uns im Bereich des Bewusstseins geschieht, tatsächlich den kosmischen Plan. Wir wissen, dass es nicht sehr wichtig ist, was dem Körper geschieht. Wichtig aber ist das, was in dem und durch den Körper geschieht. Vielleicht ist das, was in jenem und durch jenen Körper geschieht, den wir einen Planten nennen, gleichfalls von Gott bewohnt, ein lebenswichtiges Moment in seinen Plänen. Das würde dem Leben Sinn geben; und nur, wenn wir diesen Sinn begreifen und anerkennen, können wir die Worte verstehen, die zur Geburt Christi gesprochen wurden. Lasst uns die Botschaft der Engel umschreiben: sie kam von einer Gruppe von Wesen und wurde zu einer Gruppe von Wesen gesprochen. Sie ist deshalb eine Weltbotschaft, eine Botschaft, die noch auf [71] Antwort wartet. Wenn das Bewusstsein, das auch das von Christus ist, in allen Menschen erweckt sein wird, dann werden wir Frieden haben auf Erden und guten Willen unter den Menschen. Wenn dieses stattgefunden hat, dann wird Gott verherrlicht sein. Der Ausdruck unserer Göttlichkeit wird den zügellosen Hass auf der Erde beendigen, die trennenden Mauern niederbrechen, die den Menschen vom Menschen, die Gruppe von der Gruppe, die Nation von der Nation, die Religion von der Religion trennen. Wo guter Wille ist, da muss Friede sein, da muss organisierte Tätigkeit und eine Erkenntnis des Plans Gottes herrschen; denn dieser Plan ist Synthese, Verschmelzung, Einheit und Einswerdung. Dann wird Christus alles in allem sein, und Gott der Vater ist verherrlicht. Durch eine lebendige Vereinigung mit Gott durch Christus muss dies ermöglicht werden, durch den historischen Christus, der Gott offenbarte, und durch den individuellen Christus, verborgen in jedem menschlichen Herzen, der geboren werden muss. Keine der Episteln des Neuen Testamentes macht dieses so klar wie der Brief an die Epheser, denn dort wird die Möglichkeit in Begriffen gegeben, die keine falsche Auslegung zulassen. Diese Epistel ist
«... durchdrungen von der Idee einer lebendigen Vereinigung mit Christus, innewohnend in ihm. Dies ist in vielen Gleichnissen ausgedrückt. Wir wurzeln in ihm, wie der Baum in der Erde, der dadurch fest und fruchtbar wird. Wir sind gegründet in ihm, wie das starke Fundament des Tempels in den lebendigen Felsen gebettet ist. Wir leben in ihm, wie die Glieder am Körper. ... Das Innewohnen ist wechselseitig. Er ist in uns und wir sind in ihm. Er ist in uns als die Quelle unseres Seins, wir sind in ihm, gefüllt mit seiner Fülle. Er ist uns alles gebend, wir sind in ihm alles empfangend. Er ist in uns wie das Sonnenlicht in einem dunklen Zimmer; wir sind in ihm, gleichwie ein kalter, grüner Klotz durch und durch in der umformenden Hitze erglüht, wenn er in den flammenden Schmelzofen geworfen wurde. Er ist in uns wie der Saft in den Adern des Baumes, wir sind in ihm wie die Zweige». (A. Mac Laren: Predigten, engl., 3. Ser., S. 71, 72).

Heute ist diese Verwirklichung dringend. Christus in Gott, Gott in Christus. Christus in dir und Christus in mir. Dies wird die [72] eine Religion ins Dasein rufen, welche die der Liebe, des Friedens auf Erden, des universellen guten Willens, des göttlichen Verstehens und der tiefen Erkenntnis Gottes sein wird. Dann kann sein Stempel und sein Leben überall und in allem gesehen werden. Die göttliche «Signatur», wie Böhme es nennt, wird überall zu erkennen sein. Schon heute erregt das Leben Gottes das Denken der Menschen und veranlasst sie, sich in Richtung der Geburtsstätte zu bewegen. Von dort aus werden sie in eine neue Welt eintreten, wo höhere Ideale, tiefere Kontakte und reicheres Verstehen die Menschheit kennzeichnen werden.

Wir lesen, dass als Christus kam die vorbereiteten Seher sagten (Matth. II/2): «Wir haben seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten». Das war das Zeichen, das den wenigen gegeben wurde, die bereit waren und die notwendige Reise nach Bethlehem unternommen hatten. Ein anderes Zeichen aber wurde von vielen gesehen, das der Engel des Herrn den Hirten gab, die in der Nacht auf den Feldern wachten: «Und dies soll euch zum Zeichen sein: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend». (Lukas II/12) Dort wurde ein Zeichen jenen zwei oder drei Wachenden gegeben, die bereit waren, alles zu opfern, die den aufleuchtenden Stern der Einweihung bemerkten und zur Stätte der Einweihung eilten. Die grössere Zahl interessierter und wacher Menschen bedurfte eines konkreteren, verständlicheren Zeichens: sie wurden ausgeschickt, das Kind mit seiner Mutter zu sehen. Ihr Verhalten drückt sich in den Worten aus: «Lasset uns gehen nach Bethlehem und sehen, was dort geschehen ist». (Lukas II/15) Doch die Drei, die verstanden hatten, kamen anzubeten und zu opfern.

Als sie den Stern aufstrahlen sahen, machten sich die drei Könige mit Geschenken auf den Weg nach Bethlehem. Sie sind Symbole für jene Jünger in der heutigen Welt, die bereit sind, sich für die erste Einweihung vorzubereiten, ihr Wissen in Weisheit zu verwandeln und alles, was sie besitzen, dem innewohnenden Christus anzubieten.

Die von ihnen dargebrachten [73] Gaben lehren uns jene Art von Zucht, der man sich unterziehen muss, um sie Christus zur Zeit der Neuen Geburt anzubieten, Gaben, welche für die Zielerreichung symbolisch sind. Sie boten dem Jesuskinde drei Geschenke an: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Wir wollen kurz die besondere Bedeutung dieser Gaben für den einzelnen Anwärter auf Einweihung betrachten. Es wird uns von den Esoterikern gesagt, dass der Mensch eine dreifältige Person in seiner menschlichen Natur ist, und diese Wahrheit wird durch die Forschung und Untersuchungen der Psychologen bestätigt. Er ist ein physisch lebendiger Körper, er ist eine Summe von emotionellen Reaktionen, und er ist auch das geheimnisvolle Etwas, das wir Denken nennen. Diese drei Teile des Menschen das Physische, das Emotionale und das Mentale müssen als Opfer, in Verehrung, als freiwillige Gabe dem «Christus in uns» dargebracht werden, ehe dieser Christus sich durch den Jünger und Eingeweihten äussern kann, wie er es zu tun wünscht. Gold ist ein Symbol der materiellen Natur, die dem Dienst Gottes und der Menschen geweiht werden muss. Weihrauch symbolisiert die Gefühlsnatur mit ihrem Streben, Wünschen und Sehnen; dieses Streben muss als Weihrauch aufsteigen zu den Füssen Gottes. Weihrauch ist auch ein Symbol der Läuterung, jenes Brennens, das alle Schlacken entfernt und nur die reine Essenz der Lobpreisung Gottes zurücklässt. Myrrhe oder Bitterkeit bezieht sich auf das Denken. Durch das Denken leiden wir als menschliche Wesen, und je mehr die Menschheit fortschreitet und das Denken sich entwickelt, desto grösser scheint die Fähigkeit des Leidens zu sein. Aber wenn Leiden im rechten Licht gesehen und der Göttlichkeit geweiht wird, kann es als ein Instrument benutzt werden, um Gott näher zu kommen. Dann können wir Gott diese seltene und wunderbare Gabe des Denkens anbieten, das durch den Schmerz weise geworden ist, und ein Herz, das durch überwundene Not und Schwierigkeiten gütig wurde.

Wenn wir die Bedeutung dieser drei Gaben untersuchen, die von den alten Jüngern dem Kind Jesus dargebracht wurden, und wenn wir ihre Bedeutung erkennen und wie diese auf unsere individuelle Situation anwendbar ist, so wird gleichfalls offenbar, dass die Menschheit heute als Ganzes am Ende einer langen Wanderung vor dem Kind Jesus steht im Haus des Brotes; sie [74] kann nun wenn es ihr Wille ist die Gaben des materiellen Lebens, der Läuterung im Feuer der Widerwärtigkeiten und des Leidens anbieten, dem sie sich hat unterwerfen müssen. Die Menschheit kann sich auf den Weg machen von Galiläa über Nazareth. Gold, das heute das wirkliche Lebensblut der Menschen zu sein scheint, muss Christus geweiht werden. Weihrauch, die Träume, Visionen und das Streben der Massen, so wirklich und tief, dass überall Nationen darum kämpfen, diesen Träumen Ausdruck zu geben, auch diese müssen Christus gewidmet und dargeboten werden, damit er alles in allem sei. Schmerzen, Leiden, alle Qualen der Menschheit, niemals so akut wie heute, sollten gewiss zu Christi Füssen niedergelegt werden. Wir haben viel gelernt. Lasst die Bedeutung alles dessen in unser Herz und Denken dringen, und möge die Ursache des Schmerzes uns dazu bringen, sie Christus als unsere grösste Gabe zu schenken. Schmerz ist immer die Begleiterscheinung der Geburt; Leiden finden sich in jeder Geburtsstätte. Der Gedanke daran weckt die tiefste und konstruktivste Art von Optimismus im Denken jener, die über Weltleiden und -qual nachdenken. Sollten sie nicht die Geburtswehen anzeigen, welche der Offenbarung Christi vorausgehen? Wenn dies erkannt ist, können wir mit Paulus sagen:

«Um Seinetwillen habe ich die Trennung von allem erlitten, und ich schätze es als ein Nichts, wenn ich nur Christus gewinne. Ich bin in ihm erfunden, dass ich meine Gerechtigkeit nicht aus mir selber und aus dem Gesetz habe, sondern jene Gerechtigkeit, welche aus dem Glauben an Christus aufsteht, jene Gerechtigkeit, die von Gott und durch den Glauben kommt. ... Ich sage nicht, dass ich dieses Wissen schon erreicht oder diese Vollkommenheit bereits erlangt habe; ich jage ihm aber nach, dass ich's auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin. ... Ich vergesse, was hinter mir ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Kleinod, welches uns vorhält die himmlische Berufung in Gott und Christus Jesus. Deshalb lasst uns alle, die reif im Glauben sind, diese Gedanken pflegen. Und wenn in mancher Hinsicht etliche anders denken, dann lasset Gott es ihnen offenbaren. Doch welchen Punkt immer wir erreicht haben, lasset uns eines Sinnes sein und beharren in der gleichen Richtung! (Philister III/8, 9, 12, 16) (Weymouth-Übersetzung, engl).

5.
Der Bericht über [75] die Kindheit Jesu, wie er uns im Evangelium gegeben ist, erzählt nur wenig. Nur auf eine Episode wird bezug genommen, jene, da Jesus im Alter von zwölf Jahren von seiner Mutter in den Tempel mitgenommen wurde, hier zum erstenmal Zeichen seiner Berufung gab und damit bezeugte, dass ihm eine Mission bestimmt war. Seine Eltern hatten bisher allen Erfordernissen der jüdischen Riten entsprochen; sie hatten sich auch in Ägypten aufgehalten. Von seiner Zeit dort wird uns nichts gesagt. Alles, was wir wissen, ist ausgesprochen in den Worten:

«Sie kehrten nach Galiläa zurück in ihre Stadt Nazareth. Und das Kind wuchs heran und wurde stark im Geiste, erfüllt mit Weisheit, und die Gnade Gottes war über ihm». (Lukas II/39, 40)

Die Leser würden gut tun sich zu erinnern, dass die Zahl zwölf von Esoterikern aller Glaubensbekenntnisse als die Zahl der Vollendung angesehen wird. Sie erscheint immer wieder in den verschiedenen Heiligen Schriften der Welt. Die folgenden Erläuterungen sind in dieser Hinsicht von Interesse, indem sie die Bedeutung dieser Zahl und ihre Beziehung zur Einweihung aufzeigen.

«Die Vollendung des Alters von zwölf Jahren bedeutet einen vollen Abschnitt der Entwicklung, als die Christseele sich einer Einweihung unterzog. Diese fand im innersten Denken statt, dem Tempel, und sie entspricht einem Erwachen der logischen und intuitiven Kräfte der Seele. Dies sind die Vater-Mutter-Prinzipien, angezeigt durch die Gegenwart der Eltern. (G. A. Gaskell: Wörterbuch der heiligen Sprache aller heiligen Schriften und Mythen, engl., S. 773).

Und wieder:

«Die Zahl (der zwölf Jünger) ist typisch für viele Angaben im Alten Testament: die zwölf Söhne Jakobs, die zwölf Fürsten der Kinder Israels, die zwölf fliessenden Quellen in Helim, die zwölf Steine in Aarons Brusttafel, zwölf Laibe der Schaubrote, die zwölf [76] Späher, die Moses aussandte, die zwölf Steine, aus denen der Altar gemacht war, die zwölf aus dem Jordan genommenen Steine, die zwölf Ochsen, welche die eherne See austrinken. Auch im Neuen Testament die zwölf Sterne in der Brautkrone, die zwölf Fundamente von Jerusalem, die Johannes sah, und ihre zwölf Tore!» (Hrabanus Maurus A. D. 857).

Alle diese Wiederholungen der Zwölf haben vielleicht ihren Ursprung in den zwölf Zeichen des Tierkreises, diesem imaginären Gürtel des Himmels, durch den die Sonne im Lauf eines Jahres und auch innerhalb eines grösseren Zyklus von 25'000 Jahren hindurchzugehen scheint.

Als er die vorbereitende Arbeit vollendet hatte, unterzog sich Christus in seinem zwölften Jahr einer intuitiven Erfahrung, indem er von Nazareth, dem Ort der Weihung, zum Tempel ging, wo ihn diese Intuition zu einer neuen Erkenntnis seines Werkes führte. Es gibt kein Zeichen, dass er Einzelheiten von seiner Mission wusste. Er gab seiner Mutter keine Erklärungen. Er begann die Arbeit zu tun, die ihm die nächste Pflicht war, und jene zu lehren, die er im Tempel fand, wobei er sie durch sein Verständnis und seine Antworten in Erstaunen setzte. Seine verwirrte und bekümmerte Mutter lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich und den Vater, doch erhielt nur die mit Überzeugung gegebene ruhige Antwort, die ihr ganzes Leben änderte: «Wisst ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?» (Lukas II/49) Diese sich im Lauf der Jahre in seinem Bewusstsein entwickelnde Berufung wurde breiter und weiter in ihrer allumfassenden Liebe, als es die durchschnittliche orthodoxe Kirche zuzugeben gewillt scheint.