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Fünftes Kapitel - Die vierte Einweihung….. Die Kreuzigung - Teil 3

Christus war durch alle Episoden höchster Angleichung hindurchgegangen. Die Verklärungs-Erfahrung war gerade vorüber. Lasst uns diese Tatsache nicht vergessen! In dieser Erfahrung war ihm Gott nahe gewesen, und der verklärte Christus schien in seiner Einweihung Gott und Mensch zu verbinden. Er hatte gerade das Wort gesprochen, das die Beziehung zwischen der Körpernatur, dem Marien-Aspekt, und der Persönlichkeit, in der Person des Johannes, bestätigte, dem Symbol einer Persönlichkeit, die es zu einer sehr hohen Stufe von Vollkommenheit und Erkenntnis gebracht hatte. Nun rang er drei lange Stunden in der Dunkelheit mit dem Problem der Beziehung von Gott und Seele. Geist und Seele müssen zu einer grossen Einheit verschmolzen und verbunden werden, ebenso, wie er bereits Körper und Seele verschmolzen und diese Vollendung in der Verklärung bezeugt hatte. Plötzlich entdeckte [220] er, dass alles in der Vergangenheit Erreichte, alles, was er getan hatte, nur das Vorspiel war zu einem weiteren Sühneopfer, dem er sich als Mensch zu unterziehen hatte. Da am Kreuz, in voller Öffentlichkeit, musste er allem entsagen, an was er sich bisher gehalten hatte, seine Seele, und für einen kurzen Augenblick erkennen, dass in dieser Entsagung alles auf dem Spiel stand. Selbst das Bewusstsein, dass er der Sohn Gottes war, die im Fleisch inkarnierte Seele (für die er gekämpft und sich geopfert hatte) sollte vergehen und er, aller Kontakte beraubt, zurückgelassen werden. Nichts war da, was dieses Gefühl der Leere füllen konnte. Er schien verlassen, nicht nur von den Menschen, sondern auch von Gott. Worauf er sich gestützt hatte, die Göttlichkeit, der er sicher gewesen war, wurde als ein blosses Gefühl empfunden. Auch dieses Gefühl musste er übersteigen. Alles musste losgelassen werden.

Es war diese Erfahrung, die Christus den Weg zum Herzen Gottes selbst bahnte. Nur wenn die Seele allein zu stehen gelernt hat, ihrer Göttlichkeit sicher, und diese Göttlichkeit doch äusserlich nicht erkennbar ist, kann das wahre Zentrum geistigen Lebens als dauerhaft und ewig erkannt werden. Mit dieser Erfahrung machte sich Christus für die Auferstehungs-Einweihung bereit und bewies so sich selbst und uns, dass Gott existiert und dass die Unsterblichkeit des Göttlichen eine feststehende und unwandelbare Tatsache ist. Diese Erfahrung der Einsamkeit, des Beraubtseins von allem Schutz und alles dessen, was bisher als wesentlich für das Sein angesehen wurde, ist das Merkmal des erreichten Ziels. Jünger neigen dazu, das zu vergessen, und man möchte für einen Augenblick gern wissen indem man den Worten Christi lauscht, die seine Qual verbergen, ob er nicht wieder «versucht war in allen Punkten, wie wir es sind», und ob er in diesem Moment nicht herabstieg in die tiefsten Tiefen des Tales und dieses äusserste Verlassensein fühlte, das die Belohnung ist für jene, die das Kreuz von Golgatha besteigen.

Obwohl jeder Sohn Gottes sich auf den verschiedenen Stufen seines Weges zur Einweihung für diese letzte Einsamkeit durch [221] Phasen äusserster Entsagung vorbereitet, muss er doch, wenn die letzte Krise kommt, Momente solcher Einsamkeit durchstehen, wie er sie sich vorher nicht vorstellen konnte. Er folgt den Fussspuren seines Meisters, wird von den Menschen gekreuzigt und sowohl von seinen Mitmenschen als auch von der tröstenden Gegenwart des göttlichen Selbsts verlassen, auf das fest zu bauen er gelernt hatte. Jedoch da Christus auf solche Weise in die äusserste Dunkelheit eintrat mit dem Gefühl, von allem verlassen zu sein, was bisher vom menschlichen und vom göttlichen Gesichtspunkt so viel für ihn bedeutet hatte, befähigte er uns dadurch, den Wert der Erfahrung zu ermessen. Er hat uns gezeigt, dass nur durch diese Stätte äusserster Dunkelheit, welche die Mystiker mit Recht «die dunkle Nacht der Seele» nannten, wir in Wahrheit in die gesegnete Gemeinschaft des Reichs eintreten können. Viele Bücher sind über diese Erfahrung geschrieben worden, aber sie ist selten viel seltener, als uns die Literatur der Mystiker glauben machen wollte. Sie wird häufiger werden, wenn immer mehr Menschen durch die Tore des Leidens und des Todes in das Reich eingehen werden. Christus hing zwischen Himmel und Erde, und obwohl eine Menge Volkes ihn umgab, und obgleich zu seinen Füssen jene standen, die er liebte, war er gänzlich allein. Es ist die Einsamkeit inmitten von Menschen, das Gefühl äusserster Verlassenheit, während doch jene da sind, die uns zu verstehen und zu helfen suchen, was die Dunkelheit ausmacht. Das Licht der Verklärung ist plötzlich erloschen; durch die Intensität jenes Lichts erscheint die Nacht noch dunkler. Doch in der Dunkelheit erleben wir Gott.

Vier WORTE der KRAFT sind nun durch Christus geäussert worden. Er hatte das Wort für die Ebene des täglichen Lebens gesprochen, das Wort des Vergebens, mit dem er das Prinzip zeigte, nach welchem Gott wirkt in Beziehung zu dem von Menschen begangenen Bösen. Wo Unwissenheit ist, nicht Herausforderung oder schlechte Absicht, da ist Vergebung sicher, denn Sünde besteht darin, eine bestimmte Handlung trotz der warnenden Stimme des Gewissens zu begehen. Er hat das WORT gesprochen, das dem sterbenden Dieb Frieden brachte, und er hat ihm nicht nur Vergebung, sondern auch Frieden und Glück zugesichert. Er hat ferner das WORT gesprochen, das die zwei Aspekte zusammenführte, die [222] symbolisch gekreuzigt waren die Materie und die Seele die Materie der Form und die vollkommen gewordene niedere Natur. Dies sind die drei WORTE, die sich auf die physische, emotionelle und mentale Ebene beziehen, auf denen der Mensch gewöhnlich lebt. Das Opfer der gesamten niederen Natur war nun vollendet, und es folgten für drei Stunden Schweigen und Dunkelheit. Dann wurde das erstaunliche WORT geäussert, das anzeigte, dass Christus die Stufe des letzten Opfers erreicht hatte, und dass sogar das Bewusstsein des Göttlichen, das Bewusstsein der Seele selbst mit ihrer Kraft und Macht, mit ihrem Licht und ihrem Verstehen auch auf den Altar gelegt werden musste. Er hatte sich der Erfahrung äusserster Entsagung zu unterziehen, einer Entsagung dessen, was sein ganzes Sein gewesen war. Dies brachte ihn zu dem Aufschrei des Auflehnens und der Frage: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»

Dann folgen drei WORTE von insgesamt verschiedener Art. In den Worten: «Mich dürstet» drückte er die bewegende Kraft jedes Erlösers aus. Dies wurde von den Zuschauern missverstanden, die diese Worte natürlich physisch auslegten. Doch sicher hatten sie eine tiefere Bedeutung und mussten sich beziehen auf jenen göttlichen Durst, der das Bewusstsein jedes Gottessohnes erfüllt, der Göttlichkeit erreicht hat und seine Bereitwilligkeit anzeigt, sich der Aufgabe eines Erlösers zu unterziehen. Es ist charakteristisch für alle, welche dieses Ziel erreicht haben, dass sie mit ihrer erlangten Befreiung und Freiheit nicht zufrieden sein können, sondern dass sie sich sogleich der Welt der Menschen zuwenden, bei der Menschheit verweilen und für ihre Erlösung wirken, bis alle Söhne Gottes den Weg zurück in des Vaters Haus gefunden haben. Dieser Durst nach den Seelen der Menschen drängte Christus, die Tür zum Reich zu öffnen und offen zu halten, so dass es seine Hand und seine Hilfe ist, die uns über die Schwelle heben. Dies ist die Erlösung, und an ihr nehmen wir alle teil, aber nicht von dem selbstsüchtigen Gesichtspunkt unserer individuellen Errettung aus gesehen, sondern vom Bewusstsein, dass wir so erlöst sind, wie wir andere erlösen, so geborgen sind, wie wir andere erretten, und dass so, wie wir anderen helfen, es zu erreichen, wir selbst als [223] Bürger in das Reich zugelassen werden. Doch dies ist der Weg der Kreuzigung. Nur wenn wir die fünf WORTE der KRAFT äussern können, verstehen wir wirklich die Bedeutung von Gott und seiner Liebe. Der Weg des Erlösers wird dann unser Weg. Gottes Leben und Absicht werden offenbar.

Diesen Durst teilen wir mit dem Erlöser, und die Weltnot (von der unsere eigene, wenn auch nur relativ nebensächlich, ein Teil ist) vereinigt uns mit ihm. Er ruft uns zur «Gefolgschaft seiner Leiden», ein Ruf, den wir hören, wie er ihn hört. Dieser Aspekt des Kreuzes und seine Lehre ist in den folgenden Worten zusammengefasst, die unsere sorgfältige Betrachtung verdienen und unsere darauf folgende Widmung zum Dienst des Kreuzes, der Dienst an der Menschheit ist.

«Wenn ich mich abwandte von dem weltbewegenden Anblick des für uns gekreuzigten Christus, um auf verworrenste und traurige Widersprüche des Lebens zu sehen, begegneten mir im Umgang mit meinen Mitmenschen nur die kalten Plattheiten, die so leicht von den Lippen jener kommen, deren Herzen niemals wirkliche Not und deren Leben nie einen vernichtenden Schlag erfahren haben. Es wurde mir nicht gesagt, dass alle Dinge zum Besten geordnet seien, noch versichert, dass diese überwältigenden Ungleichheiten des Lebens nur scheinbare seien. Aber ich wurde getroffen von den Augen dessen, der mit Kummer wirklich vertraut war, durch einen Blick feierlichen Erkennens, so, wie er zwischen Freunden gewechselt wird, die gemeinsam ein seltsames und geheimes Leid erduldet haben und dadurch in einem Bündnis vereinigt sind, das nie zerbrochen werden kann». (Colloquia Crucis, engl., von Dora Greenwell, S. 14 ff).

Dann brach plötzlich aus dem Christusbewusstsein das Wunder der Vollendung hervor. Das Werk war gelungen, so dass er in voller Erkenntnis der Bedeutung feststellen konnte: «Es ist vollbracht». Er hatte getan, wozu er im Fleisch geboren wurde. Das Tor in das Reich stand offen. Die Grenze zwischen der Welt und dem Reich war klar bestimmt. Er hatte uns ein Beispiel von Dienen gegeben, das keine Parallele in der Geschichte hatte. Er hatte uns den Weg gezeigt, den wir gehen sollen. Er hatte uns die Natur der Vollkommenheit vorgeführt. Es blieb nun nichts mehr zu tun [224] übrig, und so hören wir den triumphierenden Ausruf: «Es ist vollbracht».

Nur noch ein WORT der KRAFT kam aus der Dunkelheit, die den sterbenden Christus einhüllte. Der Augenblick seines Todes wurde durch die Worte eingeleitet: «Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist». Sein letztes Wort beginnt wie sein erstes mit dem Anruf «Vater». Denn immer sind wir die Kinder Gottes und «wenn Kinder, dann Erben, Erben von Gott und Miterben Christi, so wir mit ihm leiden, dass wir auch zusammen zur Herrlichkeit eingehen». (Römer VIII/7) Miterben der Herrlichkeit, aber auch Miterben in dem Leiden, das wir auf uns nehmen müssen, wenn die Welt gerettet sein und die Menschheit als ganzes eingehen soll in das Reich. Das Reich besteht. Durch das Werk Christi und durch seine lebendige Gegenwart in jedem von uns ist es da, subjektiv bis jetzt, aber in Erwartung unmittelbaren, greifbaren Ausdrucks. ...

«Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid in einerlei Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller, der da ist über allen und durch alle und in euch allen». (Epheser IV/4, 5, 6)

In Worten, die später von Christus benutzt werden, sagt der Psalmist: «In deine Hände befehle ich meinen Geist, denn du hast mich erlöst». (Psalm XXXI/5) Die Folgerung ist klar. Es ist der Geist des Lebens in Christus und in uns, der uns zu Söhnen Gottes macht, und es ist diese Sohnschaft (mit ihrem Gehalt an Göttlichkeit), die uns die Bürgschaft gibt für unsere schliessliche Vollendung und unseren Eintritt in das Reich des Geistes. Das gegebene Zeichen ist ausgedrückt in den Worten: «Und siehe, der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke von oben bis unten». (Matth. XXVII/51) Der Zugang zu Gott war frei, und die inneren geistigen Kräfte konnten ohne Hindernis zur Offenbarwerdung hinausgehen. Dies war eine Handlung Gottes, eine erstaunliche Anerkennung dessen, was der Sohn getan hatte, durch den Vater. [225] Geist und Materie waren nun eins. Alle trennenden Schranken waren beseitigt. Mensch und Gott konnten sich begegnen und vertrauten Umgang halten.

In einer alten indischen Schrift lesen wir folgende, vor Tausenden von Jahren gesprochenen Worte, die in höchst bezeichnender Weise auf diese Tat Christi anwendbar sind und ihn nicht nur mit uns und mit allen vergangenen Gläubigen vor seiner Ankunft verbinden, sondern mit dem Kosmischen Christus, der hier so unmissverständlich spricht:

«Brahma, der Selbststrahlende, meditierte. Er betrachtete. ... Komm, lass mich opfern mich selbst in lebenden Dingen und alle lebenden Dinge in mir selbst. ... Er erwarb dadurch Grösse, Glanz, Herrlichkeit und Herrschaft».

Zum Schluss dieses Kapitels über die Kreuzigung wollen wir darüber nachdenken, was der Zweck des Christusopfers wirklich war. Warum starb er? Warum, wird uns am klarsten im Johannes-Evangelium gesagt, und doch ist sehr wenig Betonung auf diese Feststellung gelegt worden. Erst heute beginnen wir die Bedeutung dessen, was er tat, zu verstehen. Erst heute beginnt das Wunder seines Opfers im Denken jener zu dämmern, deren Intuition erwacht ist. Er kam in erster Linie, um zweierlei zu tun, beides wurde bereits erwähnt: vor allem, um auf Erden das Reich Gottes zu verwirklichen, zweitens, um uns zu zeigen, was die Liebe Gottes bedeutet, und wie sie sich im Dienen und im ewigen Opfer des Göttlichen am Kreuze der Materie ausdrückt. Christus war ein Symbol und auch ein Beispiel. Er offenbarte uns Gottes Denken und zeigte uns das Vorbild, nach dem wir unser Leben gestalten sollten.

Das Reich Gottes und der Dienst! Das sind die Leitworte die heute die aufmunternde Kraft in sich haben, nach der die Gläubigen in der Welt verlangen. Christus teilte als ein menschliches Wesen mit uns den Pfad der Welterfahrung. Er bestieg das Kreuz und zeigte uns durch sein Opfer und Beispiel, was wir zu tun hatten. Er teilte mit uns den Weg des Lebens, weil er nichts anderes tun konnte, da er ein Mensch war. Aber er warf auf diese [226] Lebenserfahrung das strahlende Licht der Göttlichkeit selbst und forderte uns auch auf «Lasset euer Licht scheinen!» (Matth. V/16). Er nannte sich Mensch und sagte uns, dass wir die Kinder Gottes seien. Er war damals bei uns, und er ist jetzt bei uns, denn er ist jederzeit in uns, obwohl wir ihn sehr oft nicht erkennen und uns ihm nicht nähern.

Die herausragende Lektion, der wir gegenübergestellt sind, ist die Tatsache, dass ... «die menschliche Natur, wie wir sie kennen, weder Glück ohne Leiden, noch Vollkommenheit ohne das Opfer ihrer selbst erlangen kann». (Täuschung und Wahrheit, engl., von M. B. D'Arcy, S. 179) Für uns stellt das Reich eine Vision dar aber für Christus war es eine Wirklichkeit. Der Dienst am Reich ist unsere Aufgabe, aber auch unsere Methode des Freiwerdens von der Knechtschaft menschlicher Erfahrung. Wir müssen dies begreifen, wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir Befreiung nur im Dienst am Reich finden. Wir sind zu lange von den Dogmen der Vergangenheit festgehalten worden, deshalb ist heute eine natürliche Auflehnung gegen die Idee der individuellen Erlösung durch das Blutopfer Christi entstanden. Diese ist die äussere und augenfälligere Lehre, aber es ist die innere Bedeutung, die uns wirklich angeht, und das können wir nur erfühlen, wenn wir selbst von Angesicht zu Angesicht mit dem zusammenkommen, was in uns wohnt. Wenn die äusseren Formen ihre Kraft verlieren, dann geschieht es häufig, dass die wahre Bedeutung zum Vorschein kommt. Dies haben wir jeder für sich zu beweisen. Häufig hindert uns die Furcht daran, wahrhaftig zu sein und den Tatsachen ins Auge zu sehen. Es ist wesentlich, dass wir heute dem Problem der Beziehung Christi zu der modernen Welt gegenüberstehen und es wagen, die Wahrheit ohne irgendwelche theologischen Vorurteile zu sehen. Unsere persönliche Erfahrung des Christus wird in diesem Vorgang nicht leiden. Keine moderne Ansicht und keine Theologie kann Christus von der Seele wegnehmen, die ihn einmal erlebt hat. Das liegt ausser dem Bereich des Möglichen. Aber es kann gut sein, dass wir die gewöhnliche orthodoxe theologische Auslegung auf falscher Fährte finden. Es ist durchaus möglich, dass Christus weit einschliessender ist, als man uns glauben machte, und dass das Herz des Vaters viel gütiger ist, als jene, die es darzustellen suchten. Wir [227] haben einen Gott der Liebe gepredigt und haben eine Lehre des Hasses verbreitet. Wir haben gelehrt, dass Christus starb, um die Welt zu erretten, und haben uns bemüht zu zeigen, dass nur Gläubige erlöst werden können, obwohl Millionen leben und sterben, ohne jemals von Christus zu hören. Wir leben in einer Welt des Chaos und streben danach, ein Reich Gottes ausserhalb des laufenden täglichen Lebens und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu errichten, und gleichzeitig setzen wir einen entfernten Himmel voraus, den wir eines Tages erlangen möchten. Aber Christus gründete ein Reich auf Erden, worin alle Kinder Gottes die gleiche Gelegenheit haben, sich selbst als Söhne des Vaters zu erweisen. Dies anzunehmen, finden viele Christen unmöglich, und einige der besten Denker unserer Generation haben solche Ideen zurückgewiesen.

Individuelle Erlösung ist gewiss selbstsüchtig in ihren Interessen und in ihrem Ursprung. Wir müssen dienen, um erlöst zu werden, und nur dann können wir intelligent dienen, wenn wir an das Göttliche in allen Menschen glauben und auch an Christi unvergleichlichen Dienst an der Menschheit. Das Reich ist ein Reich von Dienern, denn jede erlöste Seele muss ohne Kompromiss eintreten in die Reihen jener, die unaufhörlich ihren Mitmenschen dienen. Dr. Schweitzer, dessen Vision vom Reich Gottes so aussergewöhnlich und so wirklich ist, drückt diese Wahrheit und die sich daraus entwickelnde Erkenntnis in folgenden Worten aus:

«Die aufsteigenden Stufen des Dienens entsprechen den absteigenden Stufen des Herrschens.

1. Welcher will gross werden unter euch, der soll euer Diener sein, (Markus X/43)

2. Welcher unter euch will der Vornehmste werden, der soll aller Knecht sein. (Markus X/44)

3. Denn auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben zur Erlösung gebe für viele. (Markus X/45)

Der Höhepunkt ist ein doppelter. Der Dienst der Jünger umfasste nur ihren Kreis. Der Dienst von Jesus erstreckte sich auf eine unbegrenzte Zahl, nämlich auf all jene, die aus seinem Leiden und Sterben Nutzen ziehen sollten. Im Fall der Jünger war es bloss eine Frage der selbstlosen Unterwerfung, im Fall von Jesus [228] bedeutete es das bittere Erleiden des Todes. Aber beides zählt als Dienst, insofern sie Anspruch erwerben auf eine führende Stellung im Reich». (Das Mysterium des Reichs Gottes, von Albert Schweitzer, S. 75)

Liebe ist der Beginn und Liebe das Ende, und in Liebe dienen und wirken wir. Die lange Reise endet damit, im Glanz der Entsagung von persönlichen Wünschen und in der Widmung für den lebendigen Dienst.