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Zehntes Kapitel - Die Notwendigkeit der Vorsicht bei der Meditation

Zehntes Kapitel

Die Notwendigkeit der Vorsicht bei der Meditation

«Ein reines Leben, ein gesundes und offenes Denken, ein lauteres Herz, ein lebhafter Intellekt, unverhüllte geistige Wahrnehmung, Brüderlichkeit den Mitjüngern gegenüber, die Bereitwilligkeit, Rat und Belehrung zu geben und entgegenzunehmen ... bereitwilliger Gehorsam den Geboten der Wahrheit gegenüber, ... mutiges Ertragen persönlicher Ungerechtigkeiten, unerschrockenes Verkünden von Prinzipien, tapferes Eintreten für jene, die zu Unrecht angegriffen werden, und ein ständig wachsames Auge für das Ideal menschlichen Fortschrittes und menschlicher Vervollkommnung, wie es uns in der Geheimwissenschaft geschildert wird das sind die goldenen Treppen, auf deren Stufen der Lernende bis zum Tempel Göttlicher Weisheit emporsteigen kann».

H. P. Blavatsky

(237)

Die im vorigen Kapitel gegebene Meditationsvorlage stellt für den Anfänger eine gute Konzentrationsübung dar und wird ihn wenn er Beharrlichkeit besitzt schliesslich zur wahren Meditationspraxis führen. Eine nur eine Minute dauernde Konzentration ist schwierig, ist aber auf dem Wege zur Meditation die ja einen Akt verlängerter Konzentration darstellt ein wichtiger Schritt. Die Vorlage wird helfen, die Bedingungen für eine wirksame Aufmerksamkeit zu schaffen. Viele solcher Vorlagen stehen zur Verfügung und können von jenen, welche die Regeln kennen und gute Psychologen sind, für die Bedürfnisse der verschiedenen Menschentypen entworfen werden. Einige dieser Vorlagen werden am Schlusse dieses Buches bekanntgegeben, doch ist es selbstverständlich, dass in einem Buche dieser Art die fortgeschritteneren Übungen und die intensivere Arbeit keinen Platz finden können. Diese Anwendungsarten können nur dann weise fortgesetzt werden, wenn die Vorstadien bereits gemeistert wurden.

Es sollte beachtet werden, dass ein jeder ohne Abirren der Aufmerksamkeit verfolgte Gedankengang, der von der äusseren Form nach «innen» zum Energie- oder Lebensaspekt dieser Form führt und es dem Denker ermöglicht, sich mit diesem Aspekt zu identifizieren, einem gleichen Zweck dient wie ein technischer Umriss. Jedes Hauptwort z.B. kann, (238) wenn es als Benennung eines Dinges, einer Form also, richtig verstanden wird, in der Meditation als Saatgedanke verwendet werden. Die Form wird dabei hinsichtlich ihrer Eigenschaft und ihres Zweckes studiert, und all dies kann mit der Zeit auf eine Idee zurückgeführt werden; alle wahren Ideen kommen aus dem Reich der Seele. Wenn also der Denker die rechte Einstellung hat und nach der im Kapitel V skizzierten Anleitung vorgeht, wird er sich aus der phänomenalen Welt in die Göttliche Realität versetzt finden. In dem Masse, als in der Konzentration Übung erlangt wird, kann die Betrachtung der äusseren Form, ihrer Qualität und Aspekte beiseite gelassen werden; wenn die Konzentration durch Ausdauer und Übung automatisch und augenblicklich geworden ist, kann der Student mit dem ZWECK-Aspekt oder der zugrundeliegenden Idee, durch welche die äussere Form in Erscheinung gebracht wurde, beginnen. Dieser Grundgedanke wurde von Plutarch mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht:

«Eine Idee ist ein unkörperliches Wesen, das an sich keinen Bestand hat, das aber formloser Materie Aussehen und Gestalt gibt und auf diese Weise zur Manifestationsursache wird».

(De Placit. Philos).

Das sind bedeutungsvolle Worte, die für den Studierenden dieser alten Meditationstechnik viel Belehrung enthalten.
 

Vom Standpunkt des Denkens aus kann man daher als Ziel der Meditation die Erlangung des Zutrittes zur Welt der Ideen ansehen; vom Standpunkt der Seele aus ist es die Einswerdung der individuellen Seele mit dem Weltschöpfer aller Ideen. Durch Beherrschung des Denkvermögens erhalten wir Kenntnis von den (239) Ideen, die unserer Welt-Evolution zugrunde liegen, und davon, welche Erscheinungsformen diese Ideen in der Materie annehmen. Durch Meditation kommen wir mit einem Teil des Planes in Berührung. Wir sehen die Schablonen des Grossen Architekten des Universums und es wird uns Gelegenheit gegeben, an ihrem Sichtbarwerden in der äusseren Existenz teilzunehmen, und zwar durch unseren Kontakt mit den in der Meditation erhaschten Ideen und durch deren richtige Interpretation.

Es dürfte also verständlich sein, dass der Aspirant unbedingt ein gut geschultes und ausgerüstetes Denkvermögen besitzen muss, wenn er das Geschaute fehlerfrei auffassen und deuten soll; es leuchtet ein, dass er imstande sein sollte, die Gedanken, mit denen er die nebelhaften Ideen zu umkleiden versucht, klar zu formulieren und diese wiederum dem wartenden Gehirn durch klares Denken einzuprägen. Es kann schon sein, dass «Gott» in vielen Fällen seine Pläne mit Hilfe menschlicher Wesen ausführt; er bedarf jedoch dazu intelligenter Vollzugsorgane. Er braucht Männer und Frauen, die nicht dümmer sind als die von den Menschheitsführern zur Mitarbeit herangezogenen Helfer. Gott einfach zu lieben genügt nicht ganz. Es ist wohl ein Schritt in der rechten Richtung, doch führt eine nicht durch klare Vernunft ausgeglichene Ergebenheit leicht zu unvernünftigen Handlungen und unbedachten Anstrengungen. Gott hält nach denen Ausschau, die geschulte, hochentwickelte Denkvermögen und ausgezeichnete Gehirne (als sensitive Aufnahme-Apparate höherer Eindrücke) besitzen, damit das Werk in der richtigen Weise vorangebracht werden kann. Man könnte vielleicht sagen, dass die Heiligen und Mystiker uns das Wesen des Göttlichen Lebens, und die Qualität der Ideen, die Seine Aktivitäten (240) in der phänomenalen Welt bestimmen, offenbart haben; die Wissenden der Welt und die Intellektuellen der Menschenrasse aber müssen ihrerseits der Welt die Synthese des Planes und die Göttliche Absicht offenbaren. So werden wir den goldenen Faden finden, der uns aus dem Irrgarten unserer gegenwärtigen chaotischen Weltsituation in das Licht der Wahrheit und des Verstehens führen wird.

Man darf nicht vergessen dass wir in einer Welt der Energien und der Kräfte leben. Die Macht der öffentlichen Meinung, die meistens emotionell ist und oft durch irgendwelche grundlegende Ideen, die von guten, schlechten oder indifferenten Denkern formuliert wurden, in Gang gesetzt wird, ist wohlbekannt und ist eine Energieform, die gewichtige Resultate hervorbringt. Die verheerende Wirkung unbeherrschter Gefühlsausbrüche z.B. ist ebenfalls gut bekannt und ist abermals der sichtbare Beweis einer Kraft. Der ständig gebrauchte Ausdruck: «Die Naturkräfte» beweist uns, dass der Mensch seitdem er überhaupt zu denken begann gewusst hat, dass alles Energie ist. Die Wissenschaftler sagen, dass alles eine Erscheinungsform von Energie ist. Es gibt nichts anderes als nur Energie, die durch uns strömt, die in uns arbeitet und in der wir versunken sind. Alle Formen sind aus Atomen erbaut, sagt man, und Atome sind Energieeinheiten. Der Mensch ist also selber Energie, aus Energieeinheiten gebildet, lebt in einer ähnlich beschaffenen Welt und arbeitet die ganze Zeit mit Energie.

Das jede Meditation bestimmende grundlegende Gesetz ist das von Weisen Indiens vor vielen Jahrhunderten formulierte Gesetz: «Dem Gedanken folgt Energie». Energie strömt aus dem Reich der Ideen (dem Reich seelischer Erkenntnis) herab. Die «öffentliche Meinung» des (241) Seelenreiches sickert nach und nach in die grobmaterielle Gedankenwelt der Menschen, und darauf können alle fortschrittlichen Bewegungen der gegenwärtigen Zeit, alle Organisationen für die allgemeine Wohlfahrt und die Besserstellung von Gruppen, alle religiösen Vorstellungen und alles äussere Wissen über die Ursachen der sichtbaren Welt zurückgeführt werden. Diese Ideen nehmen zuerst einmal eine gedankliche Form an und werden von irgendeinem Denker aufgenommen, der darüber nachsinnt oder sie einer anderen Denkergruppe weitergibt, so dass das «Durchdenken» Fortschritte macht. Dann beginnt das Verlangen sich einzuschalten, es kommt zu einer emotionellen Reaktion auf die von den Ideen hervorgerufenen Gedanken, und der Bau der Form geht allmählich vor sich. So geht das Werk weiter, die Energien der Seele, des Denkvermögens und der Wunschnatur verbinden sich folgerichtig mit der Energie der Materie, und so entsteht eine ganz bestimmte Form. Jede Form, sei es die einer Nähmaschine, einer sozialen Ordnung oder eines Sonnensystems, kann als die Materialisation der Gedanken irgendeines Denkers oder einer Denkergruppe angenommen werden. Es ist eine Art schöpferischer Arbeit; die gleichen Gesetze des Inerscheinungtretens haben den ganzen Verlauf bestimmt, und das ganze schöpferische Werk ist mit Energie irgendeiner Art verdichtet worden. Der Student der Meditation darf daher nicht vergessen, dass er stets mit Energien arbeitet und dass diese verschiedenen Energien einen ganz bestimmten Einfluss auf die Energien ausüben, aus denen er selber besteht (wenn ein solcher Ausdruck statthaft ist).

Es ist daher klar, dass der, der meditieren lernt, sich bemühen muss, zweierlei Dinge zu tun:

Erstens: Er muss lernen, das, was er (242) gesehen und erfahren hat, in sein Denkvermögen «herunterzubringen», richtig zu interpretieren und es nachher dem aufmerksamen und beeindruckbaren Gehirn fehlerfrei und genau zu übermitteln. Auf diese Weise wird der Mensch der Dinge des Reiches Gottes im physisch-wachen Bewusstsein gewahr.

Zweitens: Er muss das Wesen der Energien, mit denen er in Berührung kommt, verstehen lernen und sich in ihrer richtigen Anwendung ausbilden.

Hier ein praktisches, allgemein anerkanntes Beispiel dafür. Uns erfasst Zorn oder Ärger. Instinktiv beginnen wir zu schreien. Warum? Weil uns emotionelle Energie in ihrer Gewalt hat. Wenn wir aber die Energie des gesprochenen Wortes beherrschen lernen, beginnen wir diese besondere Art emotioneller Energie zu meistern.

In diesen beiden Ideen: rechte Interpretation und rechte Übertragung sowie richtige Anwendung von Energie ist die ganze Bedeutung der Meditation zusammengefasst. Das zeigt das Problem der Studierenden auf und erklärt auch, warum alle weisen Lehrer der Meditationstechnik ihre Schüler zu sorgfältigem und langsamem Vorgehen anhalten.

Es ist wesentlich, dass wir uns darüber klar sind, dass Meditation sehr gefährlich werden und den Menschen in ernste Schwierigkeiten bringen kann; sie kann zerstörend und zerrüttend wirken; sie kann mehr Schaden als Nutzen bringen und für den Menschen verhängnisvoll werden, wenn er ohne richtiges Verstehen dessen, was er tut und wohin es ihn führt, den Weg des Wissenden betritt. Sie kann aber andererseits tatsächlich zum «Werk der Erlösung» werden und den Menschen aus all seinen Schwierigkeiten herausführen; sie kann aufbauend und befreiend sein und dem Menschen durch richtige und (243) gesunde Methoden den Weg weisen, der aus Dunkelheit zum Licht, vom Tod zur Unsterblichkeit und vom Unwirklichen zum Wirklichen führt.

Eine etwas nähere Betrachtung dieser beiden Punkte mag hier von Nutzen sein.

Wir haben eingesehen, dass der Aspirant sehr darauf achten muss, dass es ihm gelingt, die Phänomene der spirituellen Welt, mit denen er in Kontakt kam, genau und richtig in sein physisches Gehirnbewusstsein durchzubringen. Wahrscheinlich aber wird es lange Zeit dauern, bevor er in diese Welt überhaupt eindringen kann. Daher hat er zu lernen, zwischen diesen Wahrnehmungsgebieten, die sich ihm mit zunehmender Empfänglichkeit eröffnen, einen Unterschied zu machen und Art und Wesen des Gehörten und Gesehenen zu erkennen. Wir wollen einige der Phänomene des niederen Denkvermögens, die von Studierenden dauernd missverstanden werden, kurz betrachten.

Die Studierenden erleben z.B. eine verzückte Begegnung mit Christus oder einer anderen Grossen Seele, die ihnen in der Meditation erschien, ihnen zulächelte und ihnen verhiess: «Sei guten Mutes; du machst gute Fortschritte, du bist ein erwählter Mitarbeiter und dir wird Wahrheit enthüllt werden», - oder so etwas ähnliches Albernes. Das Ereignis durchschauert sie; sie vermerken es in ihrem Tagebuch und schreiben mir voll Freude, dass dieses Vorkommnis ein ganz bedeutungsvolles Ereignis in ihrem Leben war. Dies könnte es sein, wenn sie davon den richtigen Gebrauch machen und die darin enthaltene Lektion lernen. Was ist aber wirklich geschehen? Hat der Student wirklich Christus gesehen? Hier müssen wir uns an die Binsenwahrheit erinnern, (244) dass «Gedanken Dinge sind» und dass alle Gedanken eine Form annehmen. Zwei Faktoren haben dieses Geschehen bewirkt vorausgesetzt, dass es sich tatsächlich ereignet hat und nicht nur die Folge einer lebhaften und übersteigerten Einbildungskraft war. Die Macht der schöpferischen Vorstellung beginnt gerade erst sich fühlbar zu machen und es ist daher ganz leicht möglich, gerade das zu sehen, was wir wünschen, auch wenn es in Wirklichkeit gar nicht da ist. Das Verlangen des Aspiranten nach geistigem Fortschritt und seine darauf gerichtete rastlose Anstrengung hat ihn mit Gewalt zum Wach- oder Bewusstwerden auf der psychischen Ebene, der Ebene eitler Vorstellungen, der Begierden und ihrer illusorischen Erfüllung gebracht. In diesem Bereich kommt er nun mit einer Gedankenform von Christus oder einem anderen Grossen verehrten Lehrer in Berührung. Die Welt der Illusion ist voll solcher Gedankenformen, die durch liebende Gedanken von Menschen aller Zeiten geschaffen wurden; der durch seine eigene psychische Natur (die Linie des geringsten Widerstandes für die Meisten) wirkende Mensch kommt mit solch einer Gedankenform in Berührung, hält sie irrtümlich für die wirkliche, und bildet sich ein, dass sie all das zu ihm sagt, was er zu hören wünscht. Er braucht Ermutigung; er sucht wie so viele die Rechtfertigung seiner Bemühungen in Phänomenen; er besänftigt das Gehirn und gleitet sachte in einen psychischen, negativen Zustand. In diesem Zustand beginnt seine Vorstellungskraft zu arbeiten, er sieht, was er zu sehen wünscht, und hört die herrlichen Worte der Anerkennung, nach denen er sich sehnt. Es kommt ihm nicht in den Sinn, daran zu denken, dass die grossen geistigen Führer der Menschheit mit Gruppenaktivitäten und der Schulung fortgeschrittener Denker und Menschheitsführer, durch die sie arbeiten können, viel zu sehr beschäftigt sind, als dass sie für Menschen im geistigen Kindheitsstadium Zeit hätten. Die Belehrung dieser kann mit vollem Erfolg weniger hoch entwickelten Wesen überlassen werden. Die Aspiranten denken auch nicht daran, dass der Meister falls sie so fortgeschritten und hochentwickelt wären, (245) um das Privileg eines solchen Kontaktes verdient zu haben seine Zeit nicht damit verschwenden würde, ihnen «auf die Schulter zu klopfen» und ihnen hochtönende, aber leere Gemeinplätze zu verkünden. Er würde diesen Augenblick höchstens dazu benützen, um auf irgendeine zu überwindende Schwäche, oder ein zu unternehmendes konstruktives Werk hinzuweisen.

Ein andermal kommt zum Studenten während der Meditation irgendeine «Kraft» - ein oft gebrauchtes Wort - oder eine Wesenheit und skizziert ihm eine grosse Aufgabe, für die er ausersehen sei, oder eine Weltbotschaft, die er weiterzugeben und auf welche die ganze Welt zu hören habe, oder eine grosse Erfindung, die er eines Tages der wartenden Menschheit vorlegen solle, wenn er weiterhin gut bleibe. Erfreut hascht er nach dem Mantel des Propheten, und mit unerschütterlichem Glauben an seine Eignung und Fähigkeit, Tausende zu beeinflussen, - auch wenn er nicht einmal seine jetzige Umwelt zu beeinflussen vermag - bereitet er sich zur Ausführung seiner göttlichen Mission vor. Innerhalb eines Jahres meldeten sich nicht weniger als drei «Weltlehrer», die in irgendeiner Schule Meditation studiert hatten bei der Gruppe, der ich angehöre. Das taten sie aber nicht deshalb, um ihre Meditation zu vervollkommnen, sondern weil sie angeblich fühlten, dass wir froh wären, sie zu haben, damit sie in dieser Gruppe einigen von vielen Hunderten, für die sie das Erlösungsinstrument zu sein hätten, «Nahrung geben» könnten. Ich musste diese Ehre ablehnen, worauf sie verschwanden und nichts mehr von sich hören liessen. Die Welt wartet bis heute noch auf sie. Über ihre Redlichkeit herrscht natürlich absolut (246) kein Zweifel. Sie glaubten, was sie sagten. Es besteht aber auch kein Zweifel darüber, dass sie einer Halluzination unterlegen waren. Am Anfang der Meditationspraxis kommt ein jeder von uns in die Gefahr, genau in dieser Weise getäuscht zu werden, falls das unterscheidende Denkvermögen nicht auf der Hut ist, oder wenn wir geheimes Verlangen nach geistiger Berühmtheit haben oder unter einem Minderwertigkeitskomplex leiden, der erst überwunden werden muss. Eine weitere Ursache für die Täuschung liegt in der Tatsache, dass diese Menschen vielleicht wirklich einen Kontakt mit der Seele gehabt hatten. Sie erlebten ein Aufblitzen ihrer Allwissenheit und verloren gerade durch das Wunder der erschauten Vision und erhaschten Erkenntnis den Boden unter den Füssen. Sie überschätzen aber ihre Fähigkeiten; das Instrument der Seele ist gänzlich ausserstande, den Erfordernissen nachzukommen; im Leben dieser Menschen gibt es Aspekte, auf die das Licht noch nicht leuchten kann; geheime Fehler, die sie wohl kennen, aber nicht ausmerzen können; das Verlangen nach Ruhm und Macht, Ehrgeiz. Sie sind noch nicht die Seele in wirksamer Tätigkeit. Sie hatten bloss die Vision einer solchen Möglichkeit. Daher fallen und versagen sie infolge ihres Unvermögens, die Persönlichkeit so zu sehen, wie sie ist.

Trotz der Wahrheit des oben Gesagten wollen wir uns aber dennoch stets daran erinnern, dass es das Privileg des wahren Wissenden IST, in engster Übereinstimmung mit den Grossen Führern der Menschheit zu arbeiten, dass aber nicht die Arbeitsmethode den Aspiranten irregeführt hat. Erst wenn wir angefangen haben, bewusst als Seelen zu wirken, erst wenn wir in selbstlosem Dienst völlig aufgehen einem selbst auferlegten Dienst, weil die Seele gruppenbewusst ist und Dienen in ihrer Natur liegt erst dann werden wir einen solchen Kontakt (247) erreichen. Christus ist der Sohn Gottes in vollster wirksamer Tätigkeit, der «Älteste in einer grossen Familie von Brüdern». Sein Bewusstsein ist von universaler Reichweite, und durch ihn strömt die Liebe Gottes, und die Absichten Gottes reifen der Ernte entgegen. Er ist der Meister aller Meister, und der Lehrer der Engel wie auch der Menschen. Wenn er und seine Getreuen einen Aspiranten finden, der sich eifrig mit Selbstdisziplinierung befasst und in seinen Bemühungen ehrlich und gewissenhaft ist, dann prüfen sie, ob das Licht in ihm das Stadium des «Aufstrahlens» erreicht hat. Wenn sie jemand finden, der seinen Mitmenschen so sehnlichst dienen möchte, dass er nach keinerlei phänomenalen Kontakten für sich selbst sucht und gar kein Interesse daran hat, «auf die Schulter geklopft» zu werden, um auf solche Weise seinen Stolz und seine Selbstzufriedenheit gestärkt zu erhalten, dann mögen sie ihm vielleicht die Arbeit, die er in seinem eigenen Einflussbereich zur Förderung des Göttlichen Planes leisten kann, kundtun. Er wird aber dort anfangen müssen, wo er gerade steht; er wird seine Eignung vor allem in seinem Heim oder im Büro zu beweisen haben; er wird sich erst in den kleinen Dingen bewähren müssen, bevor er ungefährdet mit grossen Aufgaben betraut werden kann. Die lächerliche Arroganz mancher Schreiber, mit der sie ihre psychischen Kontakte aufgezeichnet haben, ist fast unglaublich. Jedenfalls haben sie keinen Sinn für Humor.

Der Meditations-Schüler sollte niemals vergessen, dass alle Erkenntnisse und Belehrungen dem Denkvermögen und Gehirn von seiner eigenen Seele übermittelt werden; die Seele ist (248) es, die seinen Weg erleuchtet; denn die Lehrer und Meister der Menschheit wirken durch Seelen. Darauf kann nicht oft genug hingewiesen werden. Daher sollte die erste und vornehmste Pflicht jedes Aspiranten in der vollendeten Durchführung der Meditation, des Dienstes und der Selbst-Disziplin, nicht aber in der Fühlungnahme mit irgendeiner grossen Seele bestehen. Dies ist zwar weniger interessant, bewahrt ihn aber vor Illusion. Wenn er so handelt, werden sich die höheren Resultate von selbst einstellen. Sollte sich eine Erscheinung einstellen und solch eine Wesenheit nichtssagende Bemerkungen machen, dann wird er die gleiche Urteilsfähigkeit anwenden, wie wenn im Beruf oder im gewöhnlichen Leben jemand zu ihm käme und sagte: «Ein grosses Werk liegt in ihrer Hand, sie arbeiten gut. Wir sehen und wissen ... « etc. etc. Er würde wahrscheinlich darüber lachen und seine momentane Tätigkeit oder Verpflichtung fortsetzen.

Eine weitere Auswirkung der Meditation, und zwar eine zur Zeit stark überhandnehmende, besteht in einer Flut sogenannter inspirierter Schriften, die jetzt überall erscheinen und sehr anmassend sind. Menschen befassen sich eifrig mit automatischem, inspiriertem und prophetischem Schreiben und legen der Öffentlichkeit die Resultate ihrer Arbeiten vor. Diese Schriften sind durch gewisse einheitliche Züge gekennzeichnet und können auf mehrfache Weise erklärt werden. Sie stammen aus verschiedenen inneren Quellen und sind einander erstaunlich ähnlich; sie bekunden einen liebenswürdigen aspirationellen Geist, bringen aber keine neuen Dinge, sondern wiederholen oft Gesagtes; sie sind voller Feststellungen und Phrasen, die auf die mystischen Schriften oder die christliche Lehre zurückgehen; sie enthalten vielleicht auch Voraussagen über die Zukunft (meist schrecklicher und furchtbarer, und nur selten wenn überhaupt angenehmer Art); dem Schreiber bringen sie Trost und Freude, und lassen ihn fühlen, dass er eine grosse, wundervolle Seele ist; glücklicherweise sind sie meist harmloser Natur. (249) Ihre Zahl ist Legion, und sie wirken ausserordentlich ermüdend, wenn man sich einmal durch einige dieser Manuskripte durchgearbeitet hat. Manche sind sogar ausgesprochen unheilvoll. Sie prophezeien unmittelbar bevorstehende grosse Katastrophen und erregen Furcht in der Welt. Angenommen sogar, dass diese Voraussagen wahr wären, ist man doch zu fragen versucht, ob durch Angstverbreitung in der Öffentlichkeit etwas gewonnen wird und ob es nicht aufbauender wäre, in den Menschen die Erkenntnis ihrer unsterblichen Bestimmung einzupflanzen, als ihnen zu erzählen, dass sie in einer Flutwelle untergehen oder durch eine Katastrophe umkommen werden, die gerade die betreffende Gegend heimsuchen wird. Was für Schreiben sind das nun eigentlich gute und harmlose oder schädliche und zersetzende welche die öffentliche Ordnung untergraben? Sie können grob in zwei Klassen eingeteilt werden. Erstens sind es die Schriften jener sensitiven Seelen, die sich wiederum auf den psychischen Ebenen entweder auf die Unmenge von Aspirationen, Sehnsüchten und Ideen der Mystiker aller Zeiten, oder aber in gleicher Weise auf jahrtausendelange Befürchtungen eingestellt haben, auf rassische und ererbte Ängste oder auf Befürchtungen, die durch die heute herrschenden Zustände in der ganzen Welt verursacht werden. Diese Empfindungen verspüren sie, schreiben sie nieder und verbreiten die Aufzeichnungen im Freundeskreise. Darunter fallen auch die Schriften jener, die in einer mehr mentalen Art empfänglich sind und sich telepathisch mit der mentalen Welt in Verbindung setzen können; sie reagieren leicht auf das Denkvermögen irgendeines machtvollen Denkers oder auf die massenhaften Grundideen der religiösen Welt; (250) sie registrieren auf den mentalen Ebenen die Furcht, den Hass und die Absonderungsbestrebungen der Massen. Ob nun das, was sie aufnehmen, gut oder schlecht, ob es was selten der Fall ist glücklicher oder unglücklicher Art ist, ob es Schwingungen der Furcht und Vorahnung sind, so ist dies alles doch psychisches Zeug und keinesfalls ein Anzeichen für die offenbarende Qualität der Seele. Die Prophezeiungen in den Büchern Daniels waren die Ursache für die Bildung einer Gedankenform der Furcht und des Schreckens, was zu vielen Schriften psychischer Natur geführt hat, so dass die Selbst-Isolierung organisierter Religion viele dazu gebracht hat, sich von der übrigen Menschheit abzusondern und sich als die Auserwählten des Herrn zu betrachten, mit dem Zeichen Christi an der Stirn; sie vertreten den Standpunkt, dass sie selbst gesichert seien und die übrige Menschheit zugrunde gehen müsse, falls diese nicht dazu gebracht werden kann, die Wahrheit und die Zukunft im exklusiven Sinne der Gesalbten und Auserwählten zu interpretieren.

Zweitens können diese Schriften einen Prozess der Selbstentfaltung andeuten und auf eine Methode hinweisen, wodurch der nach innen gekehrte Mystiker sich nach aussen integriert. Der Schreiber mag vielleicht auch den Reichtum seines unterbewussten Wissens angezapft haben, das er durch Lektüre, Nachdenken und Kontaktnahmen angesammelt hat. Sein Denkvermögen hat vieles aufgenommen und aufgestapelt, von dessen Vorhandensein er seit vielen Jahren nichts mehr weiss. Er beginnt dann zu meditieren, und da erschliesst er plötzlich die Tiefen seiner eigenen Natur, dringt zu den Quellen seines eigenen Unterbewusstseins vor und kommt zu Kenntnissen, die unter die Schwelle seines gewöhnlichen Bewusstseins gesunken waren. Dann beginnt er fleissig zu schreiben. Warum er aber diese Gedanken als Ausstrahlungen von (251) Christus oder einem anderen grossen Lehrer ansieht, ist ein Rätsel. Wahrscheinlich nährt diese Ansicht, sich als Instrument zu fühlen, durch das Christus sich mitteilen kann - auch wieder ganz unbewusst seinen Stolz. Ich beziehe mich hier aber nicht auf die massenhaften automatischen Schriften, die heute so populär sind, denn ich nehme an, dass der Meditations-Student mit dieser gefährlichen Betätigung nichts zu tun haben will. Kein wahrer Aspirant wird in dem Bestreben, sich selbst zu meistern, die Zügel aus der Hand geben und sich der Kontrolle einer inkarnierten oder exkarnierten Wesenheit unterwerfen; ebenso wird er sich auch weigern, seine Hand irgendeiner Kraft blindlings zu leihen. Die Gefahren einer solchen Betätigung werden immer mehr erkannt, denn sie haben so manche Menschen in die psychopathischen Anstalten gebracht, oder ihre Befreiung von Besessenheit oder «fixen Ideen» notwendig gemacht, so dass ich mich darüber nicht zu verbreitern brauche.

Wie aber - könnte man folgerichtig fragen - kann man zwischen echten inspirierten Schriften des wahren Wissenden und dieser vielen Literatur, die das Publikumsdenken zur Zeit überflutet, unterscheiden? Erstens möchte ich dazu sagen, dass wahres inspiriertes Schreiben gänzlich ohne Selbstbezogenheit ist; ein Ton der Liebe wird darin anklingen, und es wird von Hass und rassischen Begrenzungen frei sein; es wird eine ganz klare Erkenntnis vermitteln und durch seinen Appell an die Intuition ein Kennzeichen der Autorität aufweisen; es wird das Gesetz der Entsprechungen bestätigen und zum Weltbild passen; vor allem aber wird es den Stempel Göttlicher Weisheit tragen und die Menschheit ein kleines Stück weiterführen. Bezüglich der technischen Einzelheiten kann gesagt werden, dass Schreiber einer solchen Art von Belehrung ein richtiges Verständnis (252) der von ihnen angewandten Methode besitzen. Sie beherrschen bereits die Technik des Vorganges, sind imstande, sich vor Illusion und der Einmischung von Persönlichkeiten zu schützen und kennen die Arbeitsweise des Apparates, den sie benützen. Wenn nun solche Menschen von entkörperten Wesenheiten und grossen Meistern Lehren erhalten, dann sind sie sich über die Art des Empfanges und über den Übermittler dieser Lehre vollkommen im klaren.

Wahre Menschheitsdiener und alle jene, die durch Meditation mit der Welt der Seelen in Kontakt gekommen sind, haben für Gemeinplätze keine Zeit; sie überlassen diese ruhig den Nachschwätzern, denn sie sind zu sehr mit konstruktivem Dienen beschäftigt, als dass sie sich darum kümmern würden, Hüllen aufzunehmen, die nur Schleier für den Stolz sind; sie sind auch an der guten Meinung irgendeiner in- oder exkarnierten Person gar nicht interessiert, sondern legen nur auf die Zustimmung ihrer eigenen Seele Wert, und ihr lebhaftes Interesse gilt der Pionierarbeit in der Welt. Niemals werden sie zur Verstärkung des Hasses oder der Trennungsbestrebungen beitragen, oder Furcht nähren. Unzählige Menschen in der Welt sind dazu ohnehin allzu bereit. Sie dagegen werden die Flamme der Liebe entfachen, wo immer sie sich befinden; sie werden Brüderlichkeit im allumfassenden Sinne lehren, nicht aber ein System vertreten, das nur für einige Menschen Brüderlichkeit lehrt und die anderen davon ausschliesst. Sie werden alle Menschen als Söhne Gottes anerkennen und sich nicht auf das Podest der Rechtlichkeit und des Wissens stellen, um. von dort aus die Wahrheit, so wie sie sie sehen, zu verkünden, alle jene der Vernichtung auszuliefern, welche die Wahrheit anders sehen, oder nicht so handeln, wie sie ihrer Meinung nach handeln sollten, und sie dann aus der Gemeinschaft auszuschliessen. Sie werden keine Rasse für besser halten (253) als eine andere, obgleich sie wahrscheinlich den Evolutionsplan und die Bestimmung, die jede Rasse zu erfüllen hat, erkennen. Kurz, sie werden sich mit der Charakterbildung der Menschen beschäftigen und ihre Zeit nicht mit dem Bekritteln von Persönlichkeiten verschwenden, oder sich mit Wirkungen und Resultaten befassen. Sie arbeiten in der Welt der Ursachen und verkünden Prinzipien. Die Welt ist voll von Menschen, die nur nörgeln und den vorhandenen Hass schüren, die nur die Spaltung zwischen Rassen und Gruppen, zwischen Reich und Arm erweitern. Der wahre Studierende der Meditation wird stets bedenken, dass er - wenn er mit seiner Seele in Verbindung tritt und mit der Wirklichkeit eins wird - in einen Zustand der Gruppenbewusstheit kommt, der alle Schranken niederreisst und keinen Sohn Gottes aus diesem Erkenntnisbereich ausschliesst.

Es kann auch auf andere Formen der Illusion hingewiesen werden, da die erste Welt, mit welche der, Aspirant gewöhnlich in Berührung kommt, die psychische Welt zu sein scheint, und das ist eben die Welt der Illusion. Aber auch diese Welt ist von Nutzen, und der Eintritt in sie ist eine sehr wertvolle Erfahrung, vorausgesetzt, dass man sich auch dort von der Liebe leiten lässt und nichts auf sich selber bezieht, und dass alle erlebten Kontakte dem Urteil des unterscheidenden Denkvermögens und dem gesunden Menschenverstand unterworfen werden. So vielen Aspiranten mangelt der Sinn für Humor, und sie nehmen sich viel zu ernst. Manchmal scheinen sie - wenn sie ein neues phänomenales Gebiet betreten ihren normalen Verstand zurück zu lassen. Es ist nützlich, das Gesehene und Gehörte schriftlich festzuhalten, dann aber so lange nicht daran zu denken, bis wir angefangen haben, uns im Reiche der Seele zu betätigen; dann aber werden wir an einer Erinnerung an das frühere Erlebnis nicht (254) mehr interessiert sein. Wir müssen auch anzügliche Bemerkungen und Stolz vermeiden, denn diese haben im Leben der Seele, die von Prinzipien und Liebe zu allen Wesen beherrscht wird, keinen Platz. Wenn alle diese Seelenqualitäten entwickelt worden sind, besteht für den Studierenden der Meditation keine Gefahr mehr, in eine Sackgasse zu kommen oder zurückzubleiben; eines Tages wird er unweigerlich in jene Welt eintreten, von der gesagt ist: «Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben»; der Zeitpunkt dafür hängt von seiner Ausdauer und Geduld ab.

Die zweite Art Schwierigkeit, die wir erwägen sollten, ist jene, die im Zusammenhang mit Energie erklärt werden kann.

Studierende klagen häufig über Über-Stimulierung und derart verstärkten Energiezufluss, dass sie sich ausserstande fühlen, damit fertig zu werden. Sie berichten uns, dass sie - wenn sie zu meditieren versuchen - eine Neigung zum Weinen oder zu übertriebener Rastlosigkeit verspüren; sie haben Zeiten intensiver Aktivität, wo sie nervös herumlaufen, dienen, sprechen, schreiben und arbeiten, so dass es schliesslich zu einer heftigen Reaktion und manchmal zu einem Nervenzusammenbruch kommt. Andere wieder beklagen sich über Kopfschmerzen, besonders unmittelbar nach der Meditation, oder über lästige Vibrationen in der Stirn oder der Kehle. Sie können auch nicht mehr so gut schlafen wie bisher; sie sind tatsächlich überstimuliert. Das Nervensystem wird vermittels der den Nerven zugrundeliegenden zarten, sehr feinen «Nadis», die wir früher erwähnt haben, angegriffen. (255) Das sind Unannehmlichkeiten, mit denen der Neuling der Meditationswissenschaft zu tun hat, und sie müssen sorgfältige Beachtung finden. Bei richtigem Verhalten verschwinden sie bald, wenn sie aber ignoriert werden, können sie zu ernsten Komplikationen führen. Der ernste und interessierte Aspirant ist in diesem Stadium selbst Gegenstand der Behinderung, denn er trachtet so eifrig nach der Beherrschung der Meditationstechnik, dass er die gegebenen Regeln missachtet und sich trotz aller Ermahnungen und Warnungen des Lehrers selbst antreibt. Anstatt bei der vorgeschriebenen Zeit von 15 Minuten zu bleiben, möchte er das Tempo der Entwicklung beschleunigen und 30 Minuten lang meditieren; anstatt sich an die Vorlage zu halten, nach der die Meditation ungefähr 15 Minuten lang dauert, versucht er die Konzentration solange als möglich und auf der höchsten Stufe zu halten und vergisst aber dabei, dass er auf dieser Trainingsstufe zuerst die Konzentration und nicht die Meditation erlernen muss. So leidet er, bekommt einen nervösen Zusammenbruch oder leidet eine Zeitlang an Schlaflosigkeit; die Schuld wird aber seinem Lehrer zugeschoben und die Wissenschaft als gefährlich angesehen. Und doch ist der Studierende während dieser ganzen Zeit selber daran schuld.

Wenn einige dieser Anfangsschwierigkeiten auftreten, sollte die Meditationsarbeit zeitweilig eingestellt oder wenigstens verlangsamt werden. Wenn der Zustand nicht ernst genug ist, um die vollständige Einstellung zu rechtfertigen, sollten aber dennoch genaue Beobachtungen angestellt werden, wohin die einströmende Energie im menschlichen Körper zu fliessen scheint. Denn Energie wird in der Meditation auf jeden Fall erschlossen, und sie wird ihren Weg zu dem einen oder anderen Teil des Körpermechanismus finden.

Bei MENTAL veranlagten oder bei solchen Menschen, denen die Konzentration des Bewusstseins im Kopfe bereits mit einiger Leichtigkeit gelingt, sind es die Gehirnzellen, die überstimuliert (256) werden, was zu Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, einem Gefühl der Völle oder zu störender Vibration zwischen den Augen oder direkt am Scheitel führt. Manchmal tritt auch das Empfinden eines blendenden Lichtes auf, eines plötzlich aufzuckenden Blitzes oder elektrischen Lichtes, das bei geschlossenen Augen, im Dunkeln ebenso wie in der Helle wahrgenommen wird.

Wenn dies der Fall ist, sollte die Meditationszeit von fünfzehn Minuten auf fünf herabgesetzt, oder die Meditation nur jeden zweiten Tag durchgeführt werden, bis sich die Gehirnzellen dem neuen Rhythmus und der gesteigerten Stimulation angepasst haben. Wenn man sein Urteilsvermögen weise benutzt und die Ratschläge des Lehrers entsprechend befolgt, braucht man nichts zu befürchten. Sollte aber der Studierende in dieser Zeit beginnen, seine Meditation verstärkt zu betreiben oder die Zeitspanne zu verlängern, dann kann er sich ziemliche Unannehmlichkeiten zuziehen. Hier muss wieder der gesunde Menschenverstand einsetzen; bei einer täglichen, aber kürzeren Meditation sollte es bald möglich sein, die Arbeit wieder auf den normalen Stand zu bringen. Wir haben Studenten gehabt, die in der geschilderten Weise gelitten hatten, die aber jetzt täglich eine halbe oder ganze Stunde meditieren können, weil sie die vorgeschlagenen Anleitungen befolgten und ihren gesunden Menschenverstand benutzten.

EMOTIONELLE Typen empfinden Unannehmlichkeiten zuerst in der Gegend des Solar-Plexus. Der Student merkt, dass er leicht reizbar und aufgeregt wird; oft ist ihm (und besonders Frauen) nach Weinen zumute. Manchmal besteht auch Neigung zu Erbrechen, denn zwischen der emotionellen (257) Natur und dem Magen besteht eine enge Beziehung; erwiesenermassen stellt sich bei plötzlichem Erschrecken, grosser Angst und starker Gemütswallung häufig Erbrechen ein. Hier gelten die gleichen Regeln wie für die vorher genannten Fälle: Gesunder Menschenverstand und eine sorgfältige, aber weniger oft ausgeführte Meditation.

Es soll noch eine weitere Folge von Überstimulierung erwähnt werden. Die betreffenden Menschen stellen fest, dass sie überempfindlich werden. Die Sinne arbeiten ununterbrochen, und alle ihre Reaktionen sind schärfer. Sie «nehmen» die physischen oder psychischen Zustände derer, mit denen sie zusammenleben, «an»; sie stellen fest, dass sie für die Gedanken und Launen anderer Leute «weit offen» sind. Das Heilmittel dagegen besteht nicht in der Verkürzung der Meditationszeiten - diese sollten nach Vorschrift fortgesetzt werden - sondern darin, am Leben, an der Gedankenwelt, an irgendeiner Sache, die zur Entfaltung der gedanklichen Leistungsfähigkeit beiträgt, ein grösseres mentales Interesse zu haben, um dadurch die Fähigkeit zu erlangen, im Kopfe und nicht im emotionellen Bereich zu leben. Konzentrierte, auf das Leben und seine Probleme gerichtete Aufmerksamkeit und eine ausgesprochen mentale Beschäftigung werden hier Besserung bringen. Eben aus diesem Grunde sorgen weise Lehrer der Meditation für einen gleichzeitig laufenden Lese- und Studienkurs, um dadurch die Ausgeglichenheit ihrer Studenten zu gewährleisten. Stets ist eine abgerundete Entwicklung notwendig, und geistiges Wachstum sollte von einem geschulten Denkvermögen begleitet sein.

Es gibt noch eine dritte Kategorie unerwünschter Folgen, die nicht übergangen werden sollte. Viele Meditationsstudenten klagen auch über eine ausserordentliche Reizsteigerung (258) ihres sexuellen Lebens, die ihnen viel Unannehmlichkeiten bereitet. Solche Fälle wurden uns bekannt. Bei näherer Untersuchung stellt sich meistens heraus, dass diese Studenten eine sehr starke animalische Natur besitzen und ein aktives, ungeregeltes Sexualleben geführt haben, oder sich in Gedanken viel mit dem Geschlechtsleben befassen, auch wenn das physische Leben beherrscht geführt wird. Oft kann ein starker mentaler Sexual-Komplex festgestellt werden; Menschen, die es für unrichtig finden würden, ein normales oder perverses Geschlechtsleben zu führen, befassen sich in Gedanken mit geschlechtlichen Dingen oder sprechen darüber jederzeit, und lassen sie also eine ungebührliche Rolle in ihrem Gedankenleben spielen.

Bei manchen höchst ehrenwerten Menschen hat sich die Überzeugung festgesetzt, dass geistiges Leben stets mit Ehelosigkeit verbunden sein müsse. Wäre es nicht aber vielleicht möglich, dass das wahre Zölibat, das die alten Regeln im Sinne haben, sich auf die Einstellung oder den Standpunkt der Seele (des geistigen Menschen) zur Welt, zum Fleisch und zum Bösen - wie es die christlichen Schriften ausdrücken - bezieht? Könnte sich nicht das wahre Zölibat auf die Enthaltung von allem Bösen beziehen? Für den einen mag dies die Enthaltung von allen sexuellen Beziehungen sein, um sich selber die Beherrschung seiner animalischen Natur zu beweisen; in anderen Fällen könnte es z.B. die Enthaltung von allem Geschwätz und müssigem Gerede bedeuten. Der Ehestand ist nichts Sündhaftes, und wahrscheinlich ist er für viele, die sich sonst in Gedanken mit dem Geschlechtsleben ungebührlich befassen würden, der rechte Ausweg. Es braucht wohl kaum hinzugefügt werden, dass der wahre Student der Meditation in seinem Leben «freie» oder unrechtmässige sexuelle Beziehungen nicht dulden sollte. (259) Der Aspirant des geistigen Lebens unterwirft sich nicht nur den Gesetzen des Geistigen Reiches, sondern passt sich auch den gesetzlich anerkannten Sitten seines Standes und Zeitalters an. Er regelt sein physisches Alltagsleben so, dass auch der Durchschnittsmensch die Sittlichkeit, Rechtschaffenheit und Korrektheit des äusseren Bildes und Auftretens anerkennt. Ein Heim, das auf einem wahren und glücklichen Verhältnis zwischen Mann und Frau, auf gegenseitigem Vertrauen, Zusammenarbeit und Verständnis beruht, und in dem die Prinzipien geistigen Lebens betont werden, ist eine der schönsten Dienstleistungen für die heutige Welt. Beziehungen, die auf physischen Reizen und der Befriedigung der Geschlechtstriebe beruhen, und deren Hauptzweck die Herabwürdigung der physischen Natur zu tierischem Verlangen ist, sind böse und verwerflich. Wenn das Ziel unserer Bestrebungen darin besteht, den in der Form wohnenden Gott überzeugend zu bekunden, dann ist eigentlich keine Bewusstseinsebene göttlicher als andere, dann kann Göttlichkeit in allen menschlichen Beziehungen zum Ausdruck kommen. Wenn verheiratete Menschen nicht Erleuchtung erlangen und das Ziel nicht erreichen können, dann stimmt da etwas nicht, und die Göttlichkeit kann sich zumindest auf einer der Ausdrucksebenen nicht offenbaren; mit anderen Worten, die vielleicht frevelhaft klingen, die uns aber die Wertlosigkeit dieser Schlussfolgerungen erkennen lassen - heisst dies: Gott hat in einem Teile seines Reiches eine Niederlage erlitten.

Es war notwendig, sich mit diesem Punkte eingehender zu befassen, weil so viele Menschen, besonders Männer, meinen, dass wenn sie zu meditieren beginnen, die animalische Natur Beachtung erfordert. Sie entdecken in sich unkontrollierte Wünsche und den Körper betreffende (260) Auswirkungen, die ihnen akute Schwierigkeiten und Entmutigungen bereiten. Es kann jemand hohe Aspiration und einen starken inneren Drang zum geistigen Leben, und dennoch schwache Seiten in seinem Wesen haben, die noch nicht beherrscht sind. Die während der Meditation einfliessende Energie strömt durch den menschlichen Mechanismus und stimuliert den ganzen Sexualapparat. Immer wird der schwache Punkt entdeckt und stimuliert. Das Heilmittel für diese Situation kann in folgende Worte zusammengefasst werden: Kontrolle des Gedankenlebens und dessen Umwandlung. Intensive mentale Beschäftigung und ein starkes Interesse sollten in anderen Richtungen als in der des geringsten Widerstandes - Sexualität - gepflegt werden. Man sollte stets bestrebt sein, die angezapfte Energie im Kopfe festzuhalten und sie in irgendeiner schöpferischen Betätigung auswirken zu lassen. Die östliche Lehre sagt uns, dass die gewöhnlich auf die Funktion des Sexuallebens gerichtete Energie emporgehoben und in den Kopf und die Kehle - besonders in letztere - geleitet werden muss, da die Kehle, wie es heisst, das Zentrum für schöpferische Arbeit ist. In westlichen Begriffen ausgedrückt bedeutet dies, dass wir lernen sollen, die im Zeugungsprozess oder in Sexualgedanken verwendete Energie in schöpferische Abhandlungen, künstlerische Bestrebungen oder Gruppentätigkeit irgend welcher Art umzuwandeln. Die Neigung der modernen Zeit, den scharfen, zielbewussten Denker und rein mentalen Typ zu schaffen, der die Heirat vermeidet und - wie dies oft geschieht - ein ausgesprochen enthaltsames Leben führt, könnte ein Beweis für die Richtigkeit des östlichen Standpunktes sein. Diese Einstellung ist denen, welche die absinkenden Geburtenziffern studieren ein Anlass zu grosser Besorgnis. (261) Transmutation (Umwandlung) bedeutet ganz gewiss nicht die Abtötung einer Aktivität oder das Einstellen einer Funktion auf einer Bewusstseinsebene zugunsten einer höheren Ebene. Sie bedeutet vielmehr die richtige Verwendung der verschiedenen Energieaspekte, die nach dem Empfinden des wahren Selbstes wo immer zur Förderung der Evolutionsziele und für die Mithilfe am Plan eingesetzt werden sollen. Das von der Seele erleuchtete Denkvermögen sollte der beherrschende Faktor sein, und wenn wir logisch denken, rechtschaffen leben und alle Gedanken und Energien auf die «Himmlischen Stufen» erheben, werden wir unsere Probleme durch Entwicklung eines geistigen Richtmasses, das in der jetzigen Zeit und besonders unter Aspiranten und esoterischen Studenten sehr notwendig ist, lösen können.

Vor Abschluss dieses Kapitels könnte es auch angebracht sein, auf die Gefahren hinzuweisen, denen viele Schüler ausgesetzt sind, wenn sie der Aufforderung mancher Lehrer, «Entwicklung zu machen», Folge leisten. Diesen wird dann gelehrt, über ein Energiezentrum, gewöhnlich den Solar plexus, manchmal auch über das Herz, sonderbarerweise aber niemals über den Kopf zu meditieren. Meditation über ein Zentrum basiert nun aber auf dem Gesetz, dass Energie dem Gedanken folgt und bewirkt daher die direkte Stimulierung dieses Zentrums; es zeigen sich infolgedessen die charakteristischen Merkmale, die von diesen verschiedenen Brennpunkten im menschlichen Körper hervorgerufen werden. Da die meisten Menschen hauptsächlich mit den unterhalb des Zwerchfells angehäuften Energien (den Sexual- und Gefühlsenergien) arbeiten, ist deren Stimulierung sehr gefährlich. Warum also sollen wir uns diesen Gefahren aussetzen? Warum sollen wir uns nicht durch die Erfahrungen anderer warnen lassen? Warum sollten wir nicht lernen, als (262) geistige Menschen zu wirken, und zwar von dem Punkt aus, der von den orientalischen Schriftstellern seltsamerweise als «der Thron zwischen den Augenbrauen» beschrieben wurde und von diesem hohen Standort die Aspekte der niederen Natur zu beherrschen und das tägliche Leben im Sinne Gottes zu führen?