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Kapitel II - Das Problem der Kinder der Welt - Teil 1

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Kapitel II

Das Problem der Kinder der Welt

Dieses Problem ist zweifellos das brennendste, mit dem die Menschheit heute konfrontiert ist. Die Zukunft der Menschenrasse liegt in den Händen der Jugend, überall. Sie sind die Eltern der kommenden Generationen und die Konstrukteure, welche die neue Zivilisation zur Durchführung bringen müssen. Was wir mit ihnen und für sie tun, wird schwerwiegende Folgen haben. Unsere Verantwortung ist gross und unsere Gelegenheit einmalig.

Dieses Kapitel behandelt die Kinder und Jugendlichen unter sechzehn Jahren. Diese beiden Altersgruppen sind das hoffnungsvollste Element in einer Welt, die vor unseren Augen in Trümmer gegangen ist. Sie sind die Garantie, dass unsere Welt wieder aufgebaut werden kann, und falls wir aus der Geschichte und ihren schrecklichen Folgen während unserer Lebenszeit etwas gelernt haben, muss sie nach anderen Richtlinien wieder aufgebaut werden, mit anderen Voraussetzungen und Beweggründen, mit klar umrissenen Zielen und sorgfältig durchdachten Idealen.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass visionäre, mystische Hoffnungen und Träume, Wunschdenken und sorgfältigst ausgearbeitete Pläne auf dem Papier nur insofern von Nutzen sind, als sie auf Anteilnahme, Sinn für Verantwortung und mögliche Ziele hinweisen; dass sie aber für irgend ein konkretes Übergangsunternehmen nur von geringer Bedeutung sind, falls für die unmittelbaren Probleme und unmittelbar bestehenden Durchführungsmöglichkeiten kein Verständnis vorhanden ist und keine Bereitwilligkeit besteht, jene Kompromisse einzugehen, die den Grundstein für eine künftig erfolgreiche Arbeit legen sollen. Diese Arbeit ist vor allem Erziehungsarbeit. Bis jetzt wurden nur minimale Anstrengungen gemacht, um zwischen den Erfordernissen der Zukunft und den heute bestehenden Erziehungsformen eine Brücke zu schlagen. Es ist augenscheinlich, dass diese dabei versagt haben, die Menschheit für ein erfolgreiches, kooperatives Leben und die neueren Aspekte mentaler Schulung auszurüsten; es ist keine wissenschaftliche Überbrückung geschehen, und es wurden nur wenige Versuche unternommen, um die besten gegenwärtigen Methoden (denn nicht alle sind schlecht) mit den zukünftigen Entwicklungsmethoden für die Weltjugend in eine Wechselbeziehung zu bringen, damit sie mit einer neuen Zivilisation fertigwerden kann, die unvermeidlich auf uns zukommt. Einzig visionäre Idealisten haben bisher gegen bestehende Unterrichtsmethoden das Feld behaupten können; aber ihr Mangel an praktischer Veranlagung und Kompromissbereitschaft haben den Prozess verlangsamt, und die Menschheit hat den Preis dafür bezahlt. Es ist jetzt so weit, dass praktische Mystiker und mental hoch entwickelte, mit geistiger Vision Begabte diesen Platz einnehmen können, und infolgedessen Erziehungsmethoden entwickeln werden, die es der Jugend jeder Nation ermöglichen, sich erfolgreich in das Weltbild zu integrieren.

Wir beginnen mit der Erkenntnis, dass unsere Erziehungssysteme unzulänglich waren; sie waren nicht geeignet, die Kinder zu richtigem Leben zu erziehen; sie haben ihnen nicht jene Methoden des Denkens und Handelns eingeprägt, die zu den richtigen mitmenschlichen Beziehungen führen - nämlich zu so solchen Beziehungen, die für Glück, Erfolg und volle Erfahrung auf irgendeinem beliebigen Gebiet menschlicher Unternehmungen so wesentlich sind.

Die besten Köpfe und klarsten Denker des pädagogischen Bereichs sind stets bereit, diese Ideen zu bekräftigen. Die progressiven Bewegungen im Erziehungswesen haben zwar dazu beigetragen, alte Missbräuche zu beseitigen und neue Methoden einzuführen, sind aber eine so kleine Minderheit, dass sie relativ wirkungslos bleiben. Man sollte sich darüber klar sein, dass der Weltkrieg vielleicht nie zustandegekommen wäre, wenn die Jugend während der vergangenen Jahrhunderte eine andere Erziehung erfahren hätte.

Für den totalen Krieg, in den wir alle hineingezogen wurden, sind viele unterschiedliche Gründe angeführt worden. Das hat die Frage aufgeworfen, ob nicht das Versagen unserer Erziehungssysteme oder die Ungeeignetheit der Kirchen die wirklichen Ursachen waren, die hinter den anderen Gründen zu suchen sind. Aber - der Krieg hat stattgefunden. Unsere alte Zivilisation ist hinweggefegt. Da gibt es jetzt die einen, welche diese alte Zivilisation zurückhaben und die alte Struktur wiederhergestellt sehen möchten. Sie sehnen sich nach einer friedlichen Rückkehr zur Situation vor dem Krieg. Ihnen darf nicht erlaubt werden, wieder nach den alten Richtlinien aufzubauen oder die alten Pläne zu benützen, obwohl auf den alten Fundamenten gebaut werden muss. Es ist die Aufgabe der Erzieher, das zu verhindern.

Wir müssen gewillt sein zu erkennen, dass Länder, in denen die alten Erziehungsmethoden friedlich weiterbestehen, nicht nur eine Gefahr für sich selbst bedeuten, sondern durch Beibehaltung der mangelhaften alten Methoden auch diejenigen Länder bedrohen, die in der glücklichen Lage sind, ihre Erziehungsmethoden ändern zu können und damit bessere Wege zur Vorbereitung ihrer Jugend auf ein ganzheitliches Leben einzuführen. Erziehung ist eine tief geistige Angelegenheit. Sie bezieht sich auf den ganzen Menschen, also einschliesslich seines göttlichen Geistes.

Erziehung, die in den Händen irgendeiner Kirche liegt, würde Unheil bedeuten. Es würde Sektierertum nähren und die konservativen, reaktionären Einstellungen fördern, die zum Beispiel von der katholischen Kirche und den Fundamentalisten in den protestantischen Kirchen so stark betont werden. Das würde Frömmler erzeugen, zwischen den Menschen Schranken aufrichten und am Ende bloss alle jene, die erst im reifen Mannesalter selbständig denken lernen, unvermeidlich und mit Macht jeglicher Religion entfremden. Dies ist keine Anklage gegen die Religion. Es ist eine Anklage gegen die früheren kirchlichen Methoden und alten Theologien, die es nicht zuwege brachten, Christus so darzustellen, wie Er eigentlich ist, die für Reichtum, Ansehen und politische Macht gearbeitet und mit allen verfügbaren Mitteln danach gestrebt haben, ihre Mitgliederzahlen zu vergrössern und den freien Geist im Menschen einzukerkern. Heute gibt es weise und gute Kirchenmänner, die das erkennen und für eine zeitgemässe Annäherung an Gott arbeiten, aber es sind verhältnismässig nur wenige. Nichtsdestoweniger kämpfen sie gegen theologische Kristallisation und akademische Axiome. Sie werden unvermeidlich Erfolg dabei haben und so den religiösen Geist bewahren.

Nun wollen wir zu erfassen suchen, was das Ziel der neuen pädagogischen Bewegung sein sollte und welches die Wegmarken auf dem Wege zum Ziel sind. Wir wollen versuchen, einen Plan auf weite Sicht zu entwerfen, der von den jetzt angewandten Methoden keine Behinderung erfahren wird, der die Vergangenheit vermittels all dessen mit der Zukunft verbindet, was (als Erbteil der Vergangenheit) wahr, schön und gut ist, der aber gewisse grundlegende Ziele hervorheben wird, die bisher weitgehend ignoriert worden sind. Diese neueren Verfahren und Methoden müssen nach und nach entwickelt werden, und sie werden den Integrationsprozess des ganzen Menschen beschleunigen.

Es gibt für die zukünftige Welt keine Hoffnung, es sei denn in einer Menschheit, welche die Tatsache des Göttlichen akzeptiert, (sogar unter Ablehnung der Theologie), welche die Gegenwart des lebendigen Christus anerkennt, indem sie menschliche Auslegungen Seines Wesens und Seiner Botschaft zurückweist und das Hauptgewicht auf die Autorität der menschlichen Seele legt.

Die Zukunft, die vor uns liegt, ist voll Verheissung. Und diese Zuversicht wollen wir auf die Menschheit selber gründen. Wir wollen die selbsterwiesene Tatsache anerkennen, dass jedem Menschen eine besondere Eigenschaft innewohnt, ein eingeborenes, charakteristisches Merkmal, das man als «mystische Wahrnehmung» bezeichnen könnte. Dieses charakteristische Merkmal deutet auf ein unvergängliches, jedoch oft nicht erkanntes Gottesbewusstsein hin. Damit verbindet sich die stetige Möglichkeit, nicht nur die Seele zu erschauen und mit ihr in Verbindung zu kommen, sondern auch das Wesen des Weltalls (mit zunehmender Fähigkeit) zu erkennen. Dieser Sinn ermöglicht es dem Philosophen, die Welt der inneren Bedeutung wahrzunehmen und - mit Hilfe jener Wahrnehmung - mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen. Es ist vor allem die Kraft, zu lieben und sich dem zuzuwenden, was anders ist als das Selbst. Dieser Sinn verleiht die Fähigkeit, Ideen zu erfassen. Die Geschichte der Menschheit ist im Grunde die Geschichte des Wachstums von Ideen, die in zunehmendem Masse erkannt werden und des Menschen Entschlossenheit, danach zu leben. Mit dieser Kraft kommt die Fähigkeit, das Unbekannte zu erfühlen, an das Unbeweisbare zu glauben und das Suchen, Forschen und Verlangen nach der Enthüllung dessen, was verborgen und unentdeckt ist, und das - Jahrhundert um Jahrhundert - dank diesem wissbegierigen Forschergeist auch enthüllt wird. Es ist die Kraft, das Schöne, das Wahre und das Gute zu erkennen und vermittels der kreativen Künste deren Existenz zu beweisen. Es ist diese innewohnende geistige Fähigkeit, die alle grossen Söhne Gottes hervorgebracht hat, alle wahrhaft geistigen Menschen, alle Künstler, Wissenschaftler, Menschenfreunde und Philosophen und alle jene, die ihre Mitmenschen aufopfernd lieben.

Das sind die Grundlagen von Optimismus und Mut für alle wahren Erzieher, und hierin liegt der wahre Ansporn für ihre Bemühungen.

Das gegenwärtige Jugendproblem

Die Welt, wie sie die über Vierzigjährigen gekannt haben, ist zusammengestürzt und verschwindet rasch. Die alten Werte verblassen und das, was wir «Zivilisation» nennen (die Zivilisation, die wir als so wunderbar empfanden) ist praktisch zu Ende. Einige von uns sind dankbar, dass es so ist, andere betrachten es als ein Unglück. Aber wir alle sind darüber betroffen, dass die Mittel, durch welche die Auflösung dieser Zivilisation geschehen ist, der Menschheit so viel Qualen und Leid gebracht haben.

«Zivilisation» könnte definiert werden als die Reaktion der Menschheit auf Ziel und Aktivitäten einer bestimmten Weltperiode und deren Denkweise. In jedem Zeitalter wirkt sich eine bestimmte Idee aus, die dann sowohl als rassische wie auch nationale Idealismen zum Ausdruck kommt. Die durch Jahrhunderte gehende grundlegende Tendenz dieser Idee hat unsere moderne Welt hervorgebracht, und diese war materialistisch. Das Ziel war physische Bequemlichkeit. Wissenschaft und Kunst wurden zu der Aufgabe erniedrigt, dem Menschen eine bequeme und möglichst schöne Umgebung zu schaffen. Alle Produkte der Natur wurden dem einen Zweck untergeordnet, der Menschheit Dinge verfügbar zu machen. Das Ziel der Erziehung war es ganz allgemein, ein Kind für den Konkurrenzkampf mit seinen Mitbürgern um die eigene Existenz auszurüsten, um Besitz anzusammeln und so bequem und erfolgreich wie möglich zu leben.

Diese Erziehung richtete sich in erster Linie auf Wettbewerb aus, war nationalistisch und daher separatistisch. Sie hat das Kind dazu erzogen, die materiellen Werte als das Wichtigste anzusehen, zu glauben, seine eigene Nation sei die Allerbedeutendste und alle anderen nur zweitrangig. Sie hat Überheblichkeit genährt und den Glauben begünstigt, die eigene Gruppe und eigene Nation seien anderen Menschen und Völkern unendlich überlegen. Das Kind wurde also zu einem einseitigen Menschen gemacht, dessen Weltmassstäbe falsch angepasst sein müssen und dessen Lebenseinstellung sich durch Parteilichkeit und Vorurteil kennzeichnet. Es wurden dem Schüler die Anfangsgründe der Künste beigebracht, um ihn zu befähigen, später mit ausreichendem Nutzeffekt in einer konkurrierenden Gesellschaft und in seiner speziellen, durch Neigung und Beruf bestimmten Umwelt wirken zu können. Lesen, Schreiben und elementares Rechnen werden als Mindesterfordernisse betrachtet, dazu kommen noch einige Kenntnisse in Geschichte und Geographie, und er erfährt einiges über die Weltliteratur. Die allgemeine Wissensstufe der zivilisierten Welt ist relativ hoch, aber die übermittelten Informationen sind voreingenommen und von religiösen und nationalen Vorurteilen beeinflusst, die dem Kind von frühester Jugend an eingeflösst werden, ihm aber nicht angeboren sind. Einer Weltbürgerschaft wird kein Wert beigemessen, des Kindes Verantwortlichkeit dem Nächsten gegenüber wird systematisch übersehen. Sein Gedächtnis wird durch Übermittlung unzusammenhängender Fakten entwickelt, von denen die meisten keine Beziehung zum täglichen Leben haben.

Unsere jetzige Zivilisation wird als eine ausgeprägt materialistische in die Geschichte eingehen. Es hat bisher schon viele materialistische Zivilisationen in unserer Geschichte gegeben, aber keine war so weit verbreitet wie die gegenwärtige oder hat so ungezählte Millionen Menschen umfasst. Man sagt uns immer, die Ursache des letzten Krieges sei eine wirtschaftliche gewesen. Das ist sicher richtig, aber der Grund dafür ist, dass wir so viele Bequemlichkeiten und «Dinge» gefordert haben, um «einigermassen gut» leben zu können. Wir «brauchen» viel mehr, als unsere Vorfahren benötigten. Wir bevorzugen ein bequemes, relativ leichtes Leben; der Pioniergeist, auf dessen Hintergrund alle Nationen entstanden sind, verlor sich in den meisten Fällen in einer verweichlichten Zivilisation. Das trifft besonders auf die westliche Hemisphäre zu. Unser zivilisierter Lebensstandard ist vom Standpunkt des Besitzes viel zu hoch und vom Gesichtspunkt geistiger Werte aus oder im Sinne eines intelligenten Wertvergleichs viel zu niedrig. Unsere moderne Zivilisation wird die Feuerprobe ihrer Werte nicht bestehen. Heute wird eine Nation als zivilisiert betrachtet, wenn sie Wert auf mentale Entwicklung legt, wenn sie Prämien für Analysen und Kritik aussetzt und wenn all ihre Ressourcen in die Befriedigung physischer Wünsche gelenkt werden, in die Produktion von materiellen Dingen, die materielle Zwecke erfüllen, um sie in der Welt konkurrenzfähig zu machen und dadurch zu befähigen, Reichtümer anzuhäufen, Besitz zu erwerben, einen hohen materiellen Lebensstandard zu erreichen und die Produkte der Erde aufzukaufen, weitgehend zum Vorteil gewisser Gruppen ehrgeiziger und wohlhabender Menschen.

Das ist eine drastische Verallgemeinerung, die in ihren Hauptfolgerungen grundsätzlich richtig ist, aber nicht zutrifft, soweit sie einzelne betrifft. Für diese traurige und schauderhafte Situation (die sich die Menschheit ausschliesslich selber geschaffen hat) müssen wir mit Kriegen bezahlen. Weder die Kirchen noch unsere Erziehungssysteme waren in ihrer Darlegung der Wahrheit vernünftig genug, diese materialistische Tendenz zu verhindern. Die Tragödie besteht darin, dass die Kinder der Welt den Preis für unsere Übeltaten bezahlt haben und weiter bezahlen. Der Krieg hat seine Wurzeln in der Habgier. Das Motiv der Nationen war ohne Ausnahme materieller Ehrgeiz, all unser Planen war auf die Organisierung des nationalen Lebens gerichtet, so dass materieller Besitz, Überlegenheit im Konkurrenzkampf und individuelle und nationale selbstsüchtige Interessen alles kontrollierten. Hierzu haben alle Nationen auf ihre eigene Weise und in verschiedenem Grade beigetragen. Keine Nation hat saubere Hände, und daher der Krieg. Die Menschheit ist mit der Gewohnheit der Selbstsucht und einer angeborenen Liebe zu materiellen Besitztümern behaftet. Das hat unsere moderne Zivilisation hervorgebracht, und aus diesem Grunde wird sie jetzt verändert.

Der kulturelle Faktor jeder Zivilisation ist Erhaltung und Berücksichtigung des Besten, was die Vergangenheit gebracht hat sowie Bewertung und Studium von Kunst, Literatur und Musik, und des schöpferischen Lebens aller Nationen - des vergangenen und des gegenwärtigen. Es geht um den verfeinernden Einfluss, den diese Faktoren auf eine Nation und auf jene Einzelnen in einer Nation ausüben, die (meist in finanzieller Hinsicht) so gestellt sind, dass sie davon profitieren und sie würdigen können. Das so gewonnene Wissen und Verständnis befähigt den kultivierten Menschen, die Welt der Bedeutung (wie sie ihm von der Vergangenheit überliefert wurde) mit der Welt der Erscheinungen, in der er lebt, in Beziehung zu bringen und sie als eine Welt zu betrachten, die doch vor allem zu seinem eigenen Vorteil existiert. Wenn er aber der Würdigung unseres planetarischen und rassischen Erbes, des schöpferischen ebenso wie des historischen, das Verständnis für geistige und moralische Werte hinzufügt, dann nähern wir uns dem, was ein wahrhaft geistiger Mensch sein sollte. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der Erde gibt es nur selten und nur wenige solche Menschen. Aber diese verbürgen der übrigen Menschheit eine echte Möglichkeit.

Werden die kultivierten Menschen ihre grosse Gelegenheit erkennen? Werden unsere zivilisierten Bürger die Chance wahrnehmen, neu aufzubauen - aber diesmal keine materielle Zivilisation, sondern eine Welt der Schönheit und richtigen menschlichen Beziehungen, eine Welt, in der die Kinder tatsächlich zum Ebenbild des Einen Vaters heranwachsen können und in welcher der Mensch zur Einfachheit der geistigen Werte der Schönheit, der Wahrheit und Güte zurückkehren kann?

Sogar jetzt gibt es noch Menschen, die angesichts des notwendigen weltweiten Wiederaufbaus und der nahezu unmöglichen Aufgabe, die Kinder und die Jugend der Welt zu retten, damit beschäftigt sind, Gelder zu sammeln, um steinerne Kirchen wieder aufzubauen und alte Gebäude zu restaurieren. Auf diese Weise nehmen sie Geld in Anspruch, das dringend zur Heilung verkrüppelter Körper, seelischer Wunden und zur Erzeugung warmer Liebe und mitfühlenden Verständnisses für jene benötigt wird, die nicht mehr an die Existenz solcher Eigenschaften glauben.

Das unmittelbare Bedürfnis der Kinder

Die Grösse der vor uns stehenden Probleme könnte uns wohl verwirren, so dass wir nicht wissen, wie wir die vielen in uns aufsteigenden Fragen beantworten sollen. Wie können wir die Grundlage schaffen für ein grossangelegtes Programm des Wiederaufbaus, der Erziehung und Entwicklung in bezug auf die Weltjugend, um damit eine neue und bessere Welt zu gewährleisten? Wie sollen die grundlegenden Pläne beschaffen sein, damit sie so vielen verschiedenen Rassen und Nationalitäten gerecht werden? Wie sollen wir angesichts des begreiflichen Hasses und der tief verwurzelten Vorurteile einen vernünftigen Anfang machen?

Die ethischen und moralischen Werte sind bei den Kindern, und besonders bei den heranwachsenden Jugendlichen entartet und deshalb muss zunächst der Sinn für geistige Werte geweckt werden. Es gibt jedoch unmittelbare Beweise dafür, dass dieses geistige Erwachen bereits Europa berührt hat und dass vielleicht von diesem unglücklichen Kontinent jene neue geistige Wende ausgehen könnte, welche die ganze Welt besseren Dingen zuführen und die Gewissheit bringen wird, dass unsere materialistische Zivilisation zu Ende ist, um nie wiederzukehren. Eine geistige Wiedergeburt ist unvermeidlich und nirgends notwendiger als in jenen Ländern, die den schlimmsten Aspekten des Krieges entrinnen konnten. Nach dieser Wiedergeburt müssen wir trachten und sie vorbereiten helfen.

Das nächste und sofort zu lösende Problem ist zweifellos die psychologische Rehabilitation. Es ist jedoch die Frage, ob die Kinder Europas, Chinas und Japans sich je wieder ganz von den Wirkungen des Krieges erholen werden. Die frühen, formenden Jahre ihres Lebens verbrachten sie während des Krieges, und da Kinder sich gut erinnern können, ist es nicht anders möglich, als dass Spuren von dem zurückbleiben werden, was sie gesehen, gehört und erlitten haben. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, vor allem in Grossbritannien und bestimmten Teilen Frankreichs. Nur die Zeit wird das Ausmass des entstandenen Schadens erweisen. Vieles davon kann durch weises Handeln der Eltern, der Ärzte, durch Krankenfürsorge und Erziehung ausgeglichen und sogar ausgelöscht werden. Es ist traurig, berichten zu müssen, dass auf dieser so nötigen Linie der Hilfsmassnahmen von den Psychologen und Neurologen so wenig vorausschauende Planung unternommen wurde; und doch ist die Arbeit dieser Spezialisten eine ebenso dringende Notwendigkeit und Forderung, wie die nach Kleidung und Ernährung.

Es ist gut, wenn wir bei all unseren Planungen und guten Absichten immer daran denken, dass die verschiedenen Nationen, die in den Weltkrieg einbezogen waren und die Besatzung in ihrer ganzen Wucht zu spüren bekamen, auch ihre eigenen Pläne haben. Sie kennen ihre Bedürfnisse und sind entschlossen, so gut wie möglich für ihr eigenes Volk zu sorgen, ihre eigenen Kinder zu retten und ihre eigenen spezifischen Kulturen und ihre Länder wieder aufzubauen. Es müsste die Aufgabe der Grossmächte (mit ihren umfangreichen Ressourcen) und die der Philanthropen und Menschenfreunde der ganzen Welt sein, mit diesen Völkern zusammenzuarbeiten. Aber es kann nicht ihre Aufgabe sein, ihnen aufzudrängen, was sie aus ihrer günstigeren Position für sie für gut und richtig halten. Diese Länder brauchen verständnisvolle Kooperation; sie benötigen landwirtschaftliche Geräte, sofortige Belieferung mit Nahrungsmitteln und Kleidung, und vor allem alle Voraussetzungen, um ihre Bildungsinstitute wieder in Gang zu setzen, ihre Schulen zu organisieren und sie mit dem Nötigsten auszustatten. Was sie am allerwenigsten brauchen ist eine Horde wohlmeinender Leute, die ihre pädagogischen und medizinischen Institutionen übernehmen oder ihnen eine demokratische, kommunistische oder sonstige Ideologie aufdrängen. Natürlich müssen die Prinzipien des Nazismus und Faschismus hinausgefegt werden, aber die Nationen müssen frei sein, ihr eigenes Schicksal zu gestalten. Jede von ihnen hat ihre eigene Tradition, ihre eigene Kultur und Geschichte. Sie sind gezwungen, neu aufzubauen, aber was sie bauen wollen, muss ihre eigene Angelegenheit bleiben, denn es muss für sie selbst charakteristisch und ein Ausdruck ihres eigenen inneren Lebens sein. Gewiss ist es die Aufgabe der reicheren und freien Nationen, sie dabei zu unterstützen, so zu bauen, dass die neue Welt entstehen kann. Jede Nation muss das Problem des Wiederaufbaus auf ihre eigene Weise anpacken.

Das heisst aber nicht Uneinigkeit, sondern eine bereicherte, farbigere Welt. Es darf nicht zu Separation oder zum Aufrichten von Schranken und sich Zurückziehen hinter Mauern des Vorurteils und rassischer Vorbehalte führen. Es gibt zwei hauptsächlich verbindende Beziehungen, die gepflegt werden müssten, weil sie zu besserem Verständnis in der Welt der Menschen führen. Diese sind Religion und Erziehung. In diesem Kapitel behandeln wir den Faktor Erziehung, der in der Vergangenheit bei der Förderung einer Welteinheit so sehr versagt hat (wie es der Krieg bewies), der aber in der Zukunft zu einem weisen Kontrollinstrument werden kann.

Wir können heute beobachten, wie sich allmählich aber stetig internationale Gruppen zusammenschliessen, mit dem Ziel, die Weltsicherheit aufrechtzuerhalten, den Arbeiter zu schützen, sich um die Weltwirtschaftsprobleme zu kümmern und die Integrität und Souveränität der Nationen zu bewahren, indem jede sich bei der Aufgabe der Sicherung richtiger menschlicher Beziehungen auf dem Planeten zu ihrem eigenen Beitrag verpflichtet. Ob wir nun mit den Einzelheiten oder den spezifisch vorgeschlagenen Verpflichtungen einverstanden sind oder nicht, so sind doch die Bildung internationaler Beratungsgremien und vor allem die Vereinten Nationen hoffnungsvolle Anzeichen des Voranschreitens der Menschheit in eine Welt, in der rechte menschliche Beziehungen für den Weltfrieden als wesentlich erachtet, wo der gute Wille anerkannt und wo Vorkehrungen für die Herbeiführung solcher Verhältnisse getroffen werden, die Krieg und Aggression verhindern können.

Auf dem Gebiet der Erziehung sind derartige gemeinsame Aktionen ebenfalls äusserst wichtig. Es ist sicher, dass eine grundlegende Einheit der Ziele die pädagogischen Systeme aller Nationen bestimmen müsste, selbst wenn Einheitlichkeit der Methoden und Techniken vielleicht nicht möglich ist. Verschiedenheit der Sprache, des sozialen und kulturellen Hintergrunds werden und sollen immer bestehen bleiben; sie bilden seit Jahrhunderten das schöne bunte Gewebe des menschlichen Lebens. Aber vieles, was sich bisher den rechten menschlichen Beziehungen entgegengestellt hat, muss und soll ausgemerzt werden.

Sollen wir zum Beispiel im Geschichtsunterricht wieder zu der alten üblen Gewohnheit zurückkehren, dass jede Nation sich oft zum Nachteil anderer Nationen selbst verherrlicht, wobei Tatsachen systematisch entstellt und die zahlreichen Kriege der Jahrhunderte als die Höhepunkte der Geschichte gepriesen werden? Sollen wir weiterhin eine Geschichte der Aggression, des Aufkommens einer materiellen, selbstsüchtigen Zivilisation lehren, die den nationalistischen und daher separatistischen Geist genährt, Rassenhass gefördert und Nationalstolz aufgestachelt hat? Das erste Geschichtsdatum, an das sich das englische Durchschnittskind gewöhnlich erinnert, ist «Wilhelm der Eroberer, 1066». Beim amerikanischen Kind ist es die Landung der Pilgerväter und allmähliche Beschlagnahme des den rechtmässigen Einwohnern gehörenden Landes und vielleicht noch die «Boston Tea Party». Fast alle Helden der Geschichte sind Krieger - Alexander der Grosse, Julius Cäsar, der Hunnenkönig Attila, Richard Löwenherz, Napoleon, George Washington und viele andere. Geographie ist weitgehend Geschichte in anderer Form, aber in ähnlicher Art dargestellt, eine Geschichte der Entdeckungen, Erforschung und Besitznahme, der oft die schlechte und grausame Behandlung der Einwohner der entdeckten Länder folgte. Habgier, Ehrgeiz, Grausamkeit und Hochmut bilden den Grundton unseres Geschichts- und Geographie-Unterrichts.

Die Kriege, Aggressionen und Diebstähle, die jede grosse Nation ausnahmslos gekennzeichnet haben, sind Tatsachen und können nicht weggeleugnet werden. Gewiss ist es aber möglich, die Lehren des Bösen, das diese Tatsachen hervorriefen (und das im Krieg 1914/1945 einen Höhepunkt erreichte) deutlich zu machen, die alten Ursachen der heutigen Vorurteile und Abneigungen aufzuzeigen und deren Zwecklosigkeit hervorzuheben. Es müsste doch gelingen, unsere Geschichtstheorie auf die grossen und guten Ideen aufzubauen, welche die Nationen geformt und zu dem gemacht haben, was sie sind, und die Kreativität herauszustellen, die sie alle ausgezeichnet hat. Können wir nicht auf wirksamere Weise die grossen kulturellen Epochen darstellen, welche - plötzlich in irgendeiner Nation auftauchend - die ganze Welt bereicherten und der Menschheit ihre Literatur, ihre Kunst und ihre Vision schenkten?

Der vergangene Krieg hat grosse Völkerbewegungen verursacht. Armeen sind durch alle Teile der Welt marschiert und haben überall gekämpft; verfolgte Völker sind aus einem Land ins andere geflohen; Hilfspersonal der Wohlfahrtsorganisationen ging von einem Land zum anderen, um den Soldaten zu helfen, Kranke zu retten, Hungrige zu ernähren und überall die Verhältnisse zu studieren. Die Welt ist heute sehr klein geworden, und die Menschen entdecken (manchmal zum ersten Mal im Leben), dass die Menschheit eine Einheit ist und dass alle Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe oder des Landes, in dem sie leben, einander gleichen. Wir vermischen uns heute alle. Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten besteht aus Menschen jedes bekannten Landes, und über fünfzig verschiedene Rassen oder Nationen bilden das heutige Russland. Grossbritannien ist eine Gemeinschaft von Nationen, verbunden in einer Gruppe unabhängiger Staaten. Indien besteht aus einer Vielheit von Völkern, Religionen und Sprachen, daher auch seine vielen Probleme. Die Welt selber ist ein grosser Schmelztiegel, aus dem die Eine Menschheit hervorkommt. Deshalb ist in der Darstellung von Geschichte und Geographie eine drastische Änderung der Methoden nötig. Die Wissenschaft war immer universell. Grosse Kunst und Literatur haben schon immer der ganzen Welt gehört. Auf diesen Tatsachen muss die Erziehung aller Kinder der Welt aufgebaut werden, - auf unseren Gleichartigkeiten, unseren schöpferischen Errungenschaften, unseren geistigen Idealen und unseren Berührungspunkten. Solange das nicht geschieht, werden die Wunden der Nationen nie heilen und die seit Jahrhunderten bestehenden Grenzen nie beseitigt werden.

Die Erzieher, welche die gegenwärtigen Möglichkeiten der Welt vor sich sehen, sollten dafür sorgen, dass für die kommende Zivilisation eine gesunde Grundlage geschaffen wird; sie müssen das ihre tun, damit es eine allgemeingültige, gemeinschaftliche, weltumfassende Zivilisation wird, die in ihrer Darstellung wahr und in ihren Bestrebungen konstruktiv ist. Die Schritte, die von den Erziehern der verschiedenen Länder unternommen werden, werden unvermeidlich bestimmen, welcher Art die kommende Zivilisation sein wird. Sie müssen sich auf eine Erneuerung aller Gebiete der Kunst und auf ein neues und freies Wirken des kreativen Geistes im Menschen vorbereiten. Ausserdem müssen sie vor allem jene grossen Augenblicke in der menschlichen Geschichte besonders deutlich hervorheben, in denen das Göttliche im Menschen aufleuchtete, neue Denkrichtungen wies, neue Arten menschlicher Planungen zeitigte und dadurch den menschlichen Angelegenheiten für alle Zeiten eine neue Wendung gab. Diese Augenblicke brachten (1215) die Magna Charta hervor; sie erweckten mit Hilfe der französischen Revolution die Begriffe der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu neuem Leben, sie erzeugten die amerikanische «Bill of Rights» und gaben uns in unserer Zeit die Atlantik-Charta und die Vier Freiheiten. Dies sind die grossen Konzepte, die das neue Zeitalter mit seiner neu erstehenden Zivilisation und künftigen Kultur bestimmen müssen. Wenn unseren Kindern die Bedeutung dieser fünf grossen Deklarationen gelehrt und gleichzeitig die Nutzlosigkeit von Hass und Kriegsführung deutlich gemacht werden wird, besteht Hoffnung auf eine bessere und glücklichere und auf eine sicherere Welt.

Zwei Hauptideen sollten den Kindern jedes Landes sofort eingeprägt werden, und das sind: Der Wert des Einzelnen und die Tatsache der einen Menschheit. Die Kriegsjugend hat aus eigener Anschauung gelernt, dass menschliches Leben nur geringen Wert besitzt; die faschistischen Länder haben gelehrt, dass das Individuum gänzlich wertlos ist, ausser insoweit, als es die Pläne irgend eines Diktators durchführen hilft. In anderen Ländern werden einige Menschen und einige Gruppen - wegen ihres ererbten Ranges oder ihrer finanziellen Vormachtstellung - als wichtig und der Rest der Nation als unwichtig erachtet. In wieder anderen Ländern betrachtet sich der Einzelne selbst als von so grosser Wichtigkeit und sein Recht, zu tun, was ihm beliebt, von so grosser Bedeutung, dass seine Beziehung zum Ganzen völlig verloren geht. Und dennoch ist der Wert des Einzelnen und die Existenz jenes Ganzen, das wir Menschheit nennen, sehr eng miteinander verbunden. Das muss betont werden. Werden diese beiden Grundsätze richtig verstanden, führen sie zu einer verstärkten Kultivierung des Individuums und dann zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit als wichtiger Bestandteil der Menschheit als Ganzem.

Wir haben die physische und psychologische Rehabilitation der Kinder und der Jugend der Welt kurz gestreift. Wir haben angeregt, dass die Schulbücher neu geschrieben werden sollen und zwar im Sinne rechter menschlicher Beziehungen und nicht aus einem nationalistischen und separativen Standpunkt. Wir haben auch auf bestimmte grundlegende Ideen hingewiesen, welche sofort einbezogen werden sollten: der einzigartige Wert des Individuums, die Schönheit der Menschheit, die Beziehung des Einzelmenschen zum Ganzen und seine Verantwortung, die darin besteht, sich freiwillig und in konstruktiver Weise in den allgemeinen Plan einzufügen. Wir versuchten zu zeigen, dass die Nutzlosigkeit von Krieg, Habgier und Aggression betont werden muss, und dass wir, wenn die Sicherheit wiederhergestellt ist, auf ein grosses Erwachen der schöpferischen Fähigkeit im Menschen gefasst sein müssen. Und wir haben den nahe bevorstehenden Anbruch einer geistigen Renaissance erwähnt.

Eines unserer nächstliegenden Erziehungsziele muss die Ausmerzung des Konkurrenzgeistes sein, der durch kooperatives Bewusstsein ersetzt werden muss. Hier erhebt sich sofort die Frage: Wie kann man das bewerkstelligen und gleichzeitig einen hohen Grad des individuell Erreichbaren herbeiführen? Ist nicht Wettbewerb ein Hauptansporn für jedes Unternehmen? Dies war bis jetzt der Fall; aber es muss nicht so bleiben. Die Entwicklung einer Atmosphäre, die den Verantwortlichkeitssinn des Kindes fördert und es von den durch Furcht erzeugten Hemmungen befreit, wird es ihm möglich machen, sogar noch bessere Resultate zu erzielen. Vom Standpunkt des Erziehers wird das die richtige Atmosphäre für das Kind schaffen, und in dieser Atmosphäre werden bestimmte Eigenschaften gedeihen und bestimmte Kennzeichen von Verantwortungsgefühl und gutem Willen werden sich zeigen. Was ist das Wesen dieser Atmosphäre?

1. Eine Atmosphäre der Liebe, aus der die Furcht ausgeschlossen ist und das Kind erkennt, dass es keinen Grund gibt, ängstlich zu sein. Es ist eine Atmosphäre, in der es höflich behandelt wird, und wo man von ihm erwartet, dass es anderen gegenüber ebenso höflich ist. Eine solche Atmosphäre ist übrigens in Schulen und Elternhäusern recht selten anzutreffen. Sie entspringt der Liebe, aber nicht einer gefühlsbetonten oder sentimentalen Liebe, sondern gründet sich auf der Erkenntnis des Potentials des Kindes als Individuum, auf Freiheit von Vorurteilen und Rassenfeindschaft, und auf echter, mitfühlender Zärtlichkeit. Diese mitfühlende Einstellung wurzelt in der Erkenntnis der Schwierigkeiten des täglichen Lebens, in sensitiver Reaktion auf die normale Zärtlichkeit eines Kindes und in der Überzeugung, dass Liebe immer das Beste in jedem hervorruft.

2. Eine Atmosphäre der Geduld. In einer solchen Atmosphäre kann das Kind die Anfangsgründe der Verantwortlichkeit lernen. Die Kinder, die während dieser Periode geboren wurden und jetzt überall anzutreffen sind, besitzen eine hochgradige Intelligenz; ohne es zu wissen, sind sie geistig lebendig, und die ersten Anzeichen dieser Lebendigkeit zeigen sich als Verantwortungsgefühl: Sie wissen, dass sie ihres Bruders Hüter sind. Das geduldige Einprägen dieser Eigenschaft, das Bestreben, sie kleine Pflichten übernehmen und Verantwortung tragen zu lassen, werden viel Geduld vom Erzieher fordern, ist aber von entscheidender Bedeutung für die Charakterbildung des Kindes in Richtung zum Guten und für seine künftige Brauchbarkeit in der Welt.

3. Eine verständnisvolle Atmoshpäre. So wenige Lehrer oder Eltern erklären einem Kinde die Gründe für das, was es tun soll und was von ihm gefordert wird. Eine solche Erklärung wird aber unweigerlich eine Reaktion hervorrufen, denn ein Kind denkt mehr, als man annimmt, und dieses Vorgehen wird ihm die Wichtigkeit von Motivationen einprägen. Vieles, was ein durchschnittliches Kind macht, ist an sich nicht falsch; es geschieht als Folge seiner vereitelten Fragelust, oder aus dem Impuls, irgend eine Ungerechtigkeit heimzuzahlen, die durch die Unfähigkeit der Erwachsenen bedingt ist, den Beweggrund des Kindes zu verstehen, und wegen der Unfähigkeit des Kindes, die Zeit richtig und nützlich anzuwenden und wegen seines Drangs, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das sind einfach die ersten Gebärden eines werdenden Individuums. Ältere Menschen sind geneigt, dem Kind ein verfrühtes und unnötiges Gefühl des Unrechttuns beizubringen; sie reiten auf unbedeutenden Nichtigkeiten herum, nur weil sie lästig sind, die aber übersehen werden sollten. Ein richtiges Gefühl für falsches Handeln, das aus dem Versagen entsteht, rechte Gruppenbeziehungen aufrecht zu erhalten, kann sich nicht entwickeln, solange ein Kind nicht mit Verständnis behandelt wird. Dann werden die wirklich falschen Dinge wie Übergriffe in die Rechte anderer, Durchsetzen der individuellen Wünsche auf Kosten der Gruppe und zu persönlichem Gewinn in der rechten Perspektive und zur rechten Zeit hervortreten. Die Erzieher werden sich daran erinnern müssen, dass Tausende von Kindern ständig zugesehen haben, wie ältere Leute böse Taten verübten; das hat ihre Anschauungsweise verzerrt, ihnen einen falschen Massstab übermittelt und die rechtmässige Autorität der Älteren untergraben. Ein Kind neigt dazu, asozial zu werden, wenn es nicht verstanden wird, oder wenn die Verhältnisse es überfordern.

Eine angemessene Atmosphäre, die Übermittlung einiger richtiger Prinzipien und viel liebevolles Verständnis sind vor allem die Erfordernisse für die schwierige Übergangsperiode, in der wir stehen. Eine organisierte Lebensweise wird viel dazu beitragen, aber die Kinder, mit denen wir es zu tun haben, haben wenig Disziplin kennengelernt.

Die Aufgabe des reinen Überlebens war die Hauptbeschäftigung ihrer Eltern und auch der Kinder. Es wird zunächst für sie schwer sein, korrekt auf einen aufgezwungenen Lebensrhythmus anzusprechen. Disziplin wird notwendig sein, aber es muss die Disziplin der Liebe sein, die dem Kind sorgfältig und eingehend erklärt wird, damit es die Gründe versteht, die hinter dieser geheimnisvollen neuen Ordnung des Weitermachens liegen. Die Müdigkeit, Trägheit und Interesselosigkeit, die auf Krieg und Unterernährung zurückzuführen sind, sind zunächst definitive Schwierigkeiten. Erzieher und Lehrer werden sich eine Disziplin der Geduld, des Verständnisses und der Liebe auferlegen müssen, die nicht leicht sein wird, denn sie wird begleitet sein von dem tiefen Bewusstsein der zu überwindenden Schwierigkeiten und der zu lösenden Probleme.

Männer und Frauen in jedem Land, welche die Vision besitzen, müssen gefunden und mobilisiert werden, und sie sind vorhanden. Sie müssen die benötigte Ausrüstung besitzen und die Unterstützung derer, denen sie vertrauen können. Zuerst darf nicht zu viel verlangt werden, denn das unmittelbare Bedürfnis besteht nicht in der Mitteilung von Tatsachen, sondern in der Zerstreuung der Furcht, der Demonstration, dass die Liebe in der Welt existiert und in der Übermittlung eines Gefühls der Sicherheit. Dann und nur dann wird es möglich sein, jene definitiveren Prozesse in Gang zu bringen, welche den langfristigen Plan, den einige von uns vor Augen haben, zu einer Möglichkeit machen.

Der Plan auf weite Sicht

Jetzt wollen wir einen umfassenderen Plan für die zukünftige Erziehung der Kinder der Welt aufstellen. Wir haben gesagt, dass wir trotz der universellen Entwicklung der Erziehung und der vielen pädagogischen Zentren in jedem Lande bis jetzt noch nicht imstande waren, unseren jungen Leuten die Art von Erziehung zu bieten, die ihnen ein erfülltes, konstruktives Leben ermöglichen soll. In Begriffen der letzten zwei- oder dreitausend Jahre entwickelte sich die Erziehung weltweit progressiv auf drei Hauptlinien; sie begann im Osten und findet heute im Westen ihren Höhepunkt. In Asien finden wir durch die Jahrhunderte eine intensive Erziehung gewisser sorgfältig ausgewählter Einzelner, und gleichzeitig wurden die Massen vernachlässigt. Asien und nur Asien allein hat jene hervorragenden Gestalten hervorgebracht, die sogar heute noch Gegenstand universeller Verehrung sind - Laotse, Konfuzius, Buddha, Sri Krishna und Christus. Sie haben Millionen ihren Stempel aufgedrückt und tun es noch immer.

In Europa wurde die erzieherische Aufmerksamkeit auf einige privilegierte Gruppen konzentriert. Sie erhielten eine sorgfältig geplante kulturelle Erziehung, aber den Massen wurden nur die notwendigsten Grundlagen des Lernens beigebracht. Hieraus entstanden - in bestimmten Zeitabständen - wichtige Kulturepochen, wie die Elisabethanische Ära, die Renaissance, die Dichter und Schriftsteller der Viktorianischen Zeit und die Dichter und Musiker Deutschlands, wie auch die grosse Anzahl von Künstlern, deren Namen in der italienischen Schule und in den niederländischen und spanischen Gruppen fortbestehen.

Schliesslich wurde in den jüngeren Ländern der Welt, wie den Vereinigten Staaten, Australien und Kanada die Massenerziehung eingeführt und in der ganzen zivilisierten Welt weitgehend nachvollzogen. Das allgemeine kulturelle Niveau wurde viel niedriger und das Niveau der Masseninformation und Qualifikation stieg beträchtlich an. Hier erhebt sich nun die Frage: Welches wird die nächste evolutionäre Entwicklung auf dem Gebiet der Erziehung sein? Was wird nach diesem vollständigen weltweiten Zusammenbruch und dem erkannten Versagen der Erziehungssysteme geschehen, um eine Wiederholung zu verhüten?

Einen wichtigen Punkt sollten wir im Auge behalten. Was Erziehung in einer unerwünschten Richtung vollbringen kann, wurde in Deutschland nachdrücklich demonstriert in seinem verderblichen Idealismus, durch das Einprägen falscher menschlicher Beziehungen und Haltungen sowie durch die Verherrlichung all dessen, was äusserst selbstsüchtig, brutal und aggressiv ist. Der Nazismus hat bewiesen, dass sich richtig organisierte und überwachte Erziehungsmethoden, wenn sie systematisch vorbereitet und in eine Ideologie gesteuert werden, machtvoll auswirken, besonders wenn das Kind jung genug erfasst und genügend lange vor andersartigen Belehrungen abgeschirmt wird. Seit damals hat Russland das gleiche System angewandt. Vergessen wir also nicht, dass sich diese bewiesene Durchschlagskraft in zweierlei Richtungen auswirken kann, und dass das, was nach falschen Gesichtspunkten zur Entfaltung gebracht wurde, ebenso erfolgreich in der guten Richtung erreicht werden kann.

Wir sollten erkennen, dass wir zweierlei tun müssen. Erstens unsere erzieherische Aufmerksamkeit besonders auf jene richten, die unter sechzehn sind - je jünger, desto besser. Und zweitens müssen wir mit dem beginnen, was vorhanden ist, auch wenn wir die Begrenztheit der jetzigen Systeme erkennen. Wir müssen dabei jene Aspekte stärken, die gut und erwünscht sind, und die anderen ausmerzen, die sich als untauglich erwiesen haben, den Menschen zu befähigen, sich seiner Umgebung anzupassen. Wir müssen die neue Einstellung und die neuen Methoden entwickeln, die das Kind für ein erfülltes Leben tauglich machen, so dass es wahrhaft «menschlich» werden kann - ein schöpferisches, konstruktives Mitglied der menschlichen Familie. Das, was in der Vergangenheit das Beste war, muss bewahrt werden, aber das sollte nur als Fundament für ein besseres System und eine weisere Annäherung an das Ziel der Weltbürgerschaft betrachtet werden.

Hier könnte es wertvoll sein, zu erklären, was Erziehung sein kann, wenn sie durch eine gültige Vision bestimmt und für die erspürte Weltnot und die Anforderungen der Zeit empfänglich wird.

Erziehung ist verständnisvoll übermittelte Schulung, die weltweit die Jugend zu intelligentem, vernünftigem Kontakt mit ihrer Umwelt und zur Anpassung an die bestehenden Verhältnisse befähigen soll. Das ist von grösster Wichtigkeit und einer der Wegweiser in der heutigen Welt.

Erziehung ist ein Vorgang, bei dem das Kind mit der Information ausgerüstet wird, die es instand setzt, als guter Bürger zu handeln und später die Funktion eines Elternteils mit Weisheit zu erfüllen. Sie sollte die dem Kinde innewohnenden Tendenzen und seine rassisch und national bedingten Eigenschaften in Betracht ziehen und dazu dann jenes Wissen vermitteln, welches das Kind dazu bringt, in seiner speziellen Umgebung konstruktiv zu wirken und sich als nützlicher Bürger zu bewähren. Die generelle Erziehungstendenz wird psychologischer sein als in der Vergangenheit, und die so gewonnene Information wird seiner speziellen Situation angepasst sein. Alle Kinder besitzen bestimmte Vorzüge und sollten gelehrt werden, sie zu benützen. Diese Vorzüge teilen sie mit der ganzen Menschheit, ungeachtet der Rasse oder der Nationalität. Daher werden die Erzieher in Zukunft das Hauptgewicht auf folgende Punkte lege

1. Eine sich entwickelnde mentale Beherrschung der Gefühlsnatur.

2. Die Vision, oder die Fähigkeit, über das Vorhandene hinaus das künftig Mögliche zu sehen.

3. Ererbtes Faktenwissen, dem die Weisheit der Zukunft hinzugefügt werden kann.

4. Die Fähigkeit, Beziehungen zur Umwelt weise zu handhaben und die eigene Verantwortung zu erkennen und zu übernehmen.

5. Die Kraft, das Denkvermögen auf zwei Arten zu gebrauchen: a) als «gesunden Menschenverstand» (in der alten Bedeutung des Wortes), der die durch die fünf Sinne übermittelten Informationen analysiert und zur Synthese vereint,

b) als Scheinwerfer, der in die Welt der Ideen und der abstrakten Wahrheit vordringt.

Wissen kommt aus zwei Richtungen. Es ist das Ergebnis des intelligenten Gebrauchs der fünf Sinne, und es wird auch durch den Versuch entfaltet, Ideen aufzugreifen und zu verstehen. Beides wird durch Wissbegierde und Nachforschungen in Gang gesetzt.

Erziehung sollte dreifacher Art sein, und alle drei sind nötig, um die Menschheit zu einem notwendigen Entwicklungspunkt zu bringen.

Erziehung ist zunächst ein Vorgang des Aneignens von Fakten aus Vergangenheit und Gegenwart - und dann zu lernen, dieser Menge allmählich angehäufter Kenntnisse das zu entnehmen und zu bewahren, was in einer gegebenen Situation von praktischem Wert sein kann. Dieser Vorgang umfasst die Grundlagen unseres heutigen Erziehungssystems.

Zweitens ist Erziehung ein Lernprozess, um als Ergebnis von Wissen und verständnisvollem Erfassen des Sinnes, der sich hinter den übermittelten äusseren Fakten verbirgt, zu Weisheit zu gelangen. Es ist die Fähigkeit, Wissen so anzuwenden, dass gesunde Lebensanschauung und intelligente Verhaltenstechnik die natürlichen Folgen sind. Dies umfasst auch die Ausbildung in spezialisierten Tätigkeiten, die sich auf angeborene Neigungen, Talente oder Genialität gründen.

Drittens, schliesslich ist Erziehung ein Prozess, durch welchen Einheit und ein Sinn für Synthese kultiviert wird. In Zukunft werden die jungen Leute gelehrt werden, sich nur im Zusammenhang mit der Gruppe, mit der Familieneinheit und der Nation zu sehen, in die ihr Schicksal sie hineingestellt hat. Man wird sie auch lehren, in Begriffen von Weltbeziehungen zu denken und ihre eigene Nation in deren Beziehungen zu anderen Nationen zu beurteilen. Dazu gehört Erziehung zu Bürgersinn, zu Elternschaft und zur Weltverständigung; sie ist grundlegend psychologischer Art und sollte Verständnis für die Menschheit als solche übermitteln. Durch diese Art von Erziehung werden wir Männer und Frauen entwickeln, die sowohl zivilisiert als auch kultiviert sind und dazu die Fähigkeit besitzen, im Laufe ihres Lebens in jene Welt der Bedeutung weiterzugehen, die hinter der Welt der äusseren Erscheinungen liegt. Dann werden sie anfangen, menschliche Ereignisse in Begriffen tieferer, geistiger und universeller Werte zu beurteilen.

Erziehung sollte der Vorgang sein, durch den die Jugend gelehrt wird, von der Ursache her auf die Wirkung zu schliessen, den Grund zu erkennen, warum bestimmte Taten unvermeidlich bestimmte Resultate zeitigen müssen und warum - bei einer gegebenen emotionalen und mentalen Ausrüstung plus ermittelter psychologischer Bewertung - genaue Lebenstendenzen determiniert werden und bestimmte Berufe und Karrieren den richtigen Entwicklungsrahmen und ein nützliches, ergebnisreiches Erfahrungsfeld bieten können.

Einige Versuche in dieser Richtung sind von gewissen Schulen unternommen worden mit der Absicht, die psychologischen Fähigkeiten eines Jungen oder Mädchens für einen Beruf festzustellen; aber diese Bestrebungen sind noch nicht ausgereift. Wenn sie in wissenschaftlicher Form durchgeführt werden, öffnen sie die Türe für wissenschaftliche Schulung; sie geben der Geschichte, der Biographie und dem Studium Bedeutung und inneren Sinn, und vermeiden dadurch blosse Übermittlung von Fakten und den primitiven Vorgang des Gedächtnistrainings, welche die vergangenen Methoden kennzeichneten.

Die neue Erziehung wird Vererbung, soziale Stellung, nationale Prägung und Umwelt des Kindes sowie seine individuelle mentale und emotionale Ausrüstung gebührend berücksichtigen. Sie wird ihm die gesamte Welt des für ihn Erreichbaren eröffnen und ihm erklären, dass scheinbare Hindernisse seines Fortschritts nur ein Ansporn für erneutes Bemühen sind. So wird man bestrebt sein, das Kind aus jedem begrenzenden Zustand herauszuziehen (in der wahren Bedeutung des Wortes «Erziehung»), und es lehren, in Begriffen konstruktiven Weltbürgertums zu denken. Auf Wachstum und immer weiteres Wachstum wird dabei das Hauptgewicht gelegt werden.

Der Erzieher der Zukunft wird sich dem Jugendproblem vom Standpunkt der instinktiven Reaktion der Kinder, von ihrer intellektuellen Fähigkeit und ihrer Intuitionsmöglichkeit aus nähern. In der Kindheit und während der ersten Schuljahre wird die Entwicklung richtiger instinktiver Reaktionen überwacht und ausgebildet werden; in den höheren Klassen, die den Oberschulen entsprechen, werden die intellektuelle Entfaltung und die Beherrschung des Denkvorganges betont werden, während an den Hochschulen und Universitäten die Entwicklung der Intuition, die Wichtigkeit von Ideen und Idealen und die Entfaltung des abstrakten Denk- und Wahrnehmungsvermögens gefördert werden wird; diese letzte Stufe wird sich in vernünftiger Weise auf das vorhergehende gesunde intellektuelle Fundament stützen. Diese drei Faktoren - Instinkt, Intellekt und Intuition - bestimmen die Leitgedanken für die drei Schulinstitutionen, die jeder junge Mensch durchmachen wird und durch die schon heute viele Tausende hindurchgehen.

In den modernen Schulen (Elementarschulen, Mittel- und Oberschulen, Hochschulen und Universitäten) kann ein unvollkommenes, aber symbolisches Bild des dreifachen Zieles der kommenden Erziehung gesehen werden, nämlich Zivilisation. Kultur und Weltbürgertum oder Einheit.

Die Elementarschulen könnten als die Hüter der Zivilisation angesehen werden. Sie müssen damit beginnen, das Kind über das Wesen der Welt zu belehren, in der es seine Rolle spielen soll, indem sie ihm seinen Platz in der Gruppe zeigen und es auf ein intelligentes Leben und richtige soziale Beziehungen vorbereiten. Lesen, Schreiben und Rechnen, die Anfangsgründe der Geschichte (mit Betonung der Weltgeschichte), Geographie und Dichtung werden gelehrt und gewisse wichtige Grundfakten des Lebens übermittelt, und es wird deutlich gemacht werden müssen, dass Selbstbeherrschung notwendig ist.

Die Mittelschulen und höheren Lehranstalten sollten sich als die Bewahrer der Kultur betrachten, die umfassenderen Werte der Geschichte und Literatur betonen und einiges Verständnis für Kunst übermitteln. Sie müssten mit der Vorbereitung des jungen Menschen auf den zukünftigen Beruf oder die Lebensweise beginnen, von der anzunehmen ist, dass sie einmal sein Leben bestimmen wird. Staatsbürgerkunde wird in breiteren Begriffen gelehrt und gültige Wertmassstäbe und Idealismus werden bewusst und ausdrücklich kultiviert werden. Die praktische Anwendung von Idealen wird deutlich hervorgehoben werden.

Unsere Hochschulen und Universitäten sollten eine Erweiterung dessen bieten, was bisher übermittelt wurde. Sie müssen das errichtete Gebäude verschönern und vervollkommnen und sich unmittelbar mit der Welt der Bedeutung befassen. Internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, politischer und religiöser Art müssen betrachtet und der eigene Bezug des jungen Menschen zur Welt als Ganzes muss hervorgehoben werden. Dies bedeutet keineswegs eine Vernachlässigung individueller oder nationaler Probleme oder Unternehmungen, sondern soll sie dem Ganzen als integrale und wirksame Teile einfügen und dadurch die separative Einstellung vermeiden, die den Zusammenbruch unserer modernen Welt herbeigeführt hat.

Später (wenn echte Religion wieder hergestellt ist) könnte es sich erweisen, dass diese Schulung eine grundlegend geistige ist, geistig im Sinne von Verstehen, Hilfsbereitschaft, Brüderlichkeit, rechten menschlichen Beziehungen und einem Glauben an die Wirklichkeit jener Welt, die hinter der sichtbaren liegt. Die Ausrüstung eines Menschen für Bürgerschaft im Reiche Gottes besteht nicht in einer religiösen Tätigkeit, die ausschliesslich von den Kirchen und vermittels theologischer Lehren behandelt wird, obschon es vieles gäbe, was diese tun könnten. Es ist mit Sicherheit die Aufgabe der höheren Erziehung, allem, was getan worden ist, Ziel und Bedeutung zu verleihen.

Wenn wir das Curriculum betrachten, das für die Jugend der gegenwärtigen Generation geplant werden soll, bietet sich folgende Einteilung an:

Grundschule           Zivilisation                     Alter 4-12

Oberschule             Kultur                            Alter 12-18

Hochschule             Weltbürgertum              Alter 18-25

In Zukunft wird die Pädagogik einen viel umfassenderen Gebrauch von der Psychologie machen müssen als bisher. Ein Trend in diese Richtung ist schon deutlich erkennbar. Das Wesen des Jungen oder Mädchens - in physischer, vitaler, emotionaler und mentaler Hinsicht - wird sorgfältig untersucht, und seine noch unklaren Lebensziele werden in richtige Bahnen gelenkt. Das Kind wird dazu erzogen, sich selbst als den zu sehen, der handelt, fühlt und denkt. Auf diese Weise wird die Verantwortlichkeit des zentralen «Ich» oder des Bewohners des Körpers deutlich. Das wird die gesamte heutige Einstellung der Weltjugend gegenüber ihrer Umgebung ändern und sie von Anfang an zu der Erkenntnis führen, dass sie eine Rolle zu spielen und Verantwortung zu übernehmen hat. Erziehung wird dann als eine Vorbereitungsmethode auf eine interessante und als nützlich erkannte Zukunft betrachtet werden.

Es wird daher immer klarer, dass die künftige Erziehung in einem neuen und erweiterten Sinne als die Wissenschaft von den rechten menschlichen Beziehungen und der sozialen Organisation definiert werden könnte. Dies gibt jedem darauf ausgerichteten Curriculum eine relativ neue Zielsetzung und zeigt doch, dass nichts, was bisher darin enthalten war, jetzt ausgeschlossen werden müsste; es wird lediglich eine bessere Motivation erkennbar, und jede nationalistische, selbstsüchtige Darstellung wird vermieden. Wird zum Beispiel Geschichte auf der Grundlage der Ideen gelehrt, welche die Menschheit beeinflusst und vorwärtsgebracht haben und nicht auf der Grundlage von Angriffskriegen und internationalen oder nationalen Diebstählen, dann wird sich die Erziehung mit der richtigen Erkenntnis und Anwendung von Ideen befassen, mit deren Umwandlung in wirkende Ideale und deren Auswirkung als Wille zum Guten, Wille zur Wahrheit und Wille zur Schönheit. Auf diese Weise kommt eine sehr notwendige Änderung der Menschheitsziele zustande, weg von unseren gegenwärtig auf Wettbewerb und materialistischen Zielen beruhenden Bestrebungen, hin zu solchen, die ein besserer Ausdruck der Goldenen Regel sein und zwischen Individuen, Gruppen, Parteien und Nationen, und in der ganzen internationalen Welt rechte Beziehungen schaffen werden.

Immer stärker sollte sich Erziehung mit der Gesamtheit des Lebens ebenso befassen wie mit den Einzelheiten des täglichen individuellen Lebens. Das Kind wird als Individuum entwickelt und ausgerüstet, geschult und motiviert, und dann über seine Verantwortlichkeit dem Ganzen gegenüber sowie über den Wert seines Beitrages, den es zum Wohl der Gruppe leisten kann und muss, belehrt.

Es ist vielleicht ein Gemeinplatz zu sagen, dass sich Erziehung notwendigerweise mit der Entwicklung der Verstandeskräfte des Kindes beschäftigen sollte und nicht in erster Linie - wie das heute gewöhnlich der Fall ist - mit Gedächtnisschulung und papageienhaftem Speichern von Fakten, Daten und unzusammenhängenden, schlecht verdauten Einzelinformationen. Die Geschichte des Wachstums der menschlichen Aufnahmefähigkeit bei unterschiedlichen nationalen und rassischen Bedingungen ist von grösstem Interesse. Die herausragenden Gestalten der Geschichte, Literatur, Kunst und Religion werden dann sicher vom Standpunkt ihrer Wirkung und ihres guten oder schlechten Einflusses auf ihre Zeit sowie auf Qualität und Ziel ihrer Führerschaft aufmerksam studiert werden. So wird das Kind eine grosse Menge historischer Information, Idealismus und Philosophie nicht nur mit grösster Leichtigkeit, sondern auch mit bleibender Wirkung auf seinen Charakter aufnehmen können.

Die Kontinuität des Bemühens, die Auswirkungen alter Tradition auf die Zivilisation, auf gute und schlechte Ereignisse und die Wechselwirkung der verschiedenen kulturellen Aspekte der Zivilisation, werden der Aufmerksamkeit des Kindes nahegebracht werden und die trockenen Informationen, Daten und Namen werden wegfallen. Auf diese Weise könnten alle Zweige des menschlichen Wissens wieder zum Leben erwachen und eine neue Stufe konstruktiven Nutzens erlangen. Es besteht bereits eine deutliche Tendenz in dieser Richtung, und das ist gut und vernünftig. Es wird immer mehr anerkannt, dass die Vergangenheit der Menschheit der Ausgangspunkt für das jetzige Geschehen, und die Gegenwart der bestimmende Faktor für die Zukunft ist; dadurch werden grosse und notwendige Veränderungen in der menschlichen Psychologie als Ganzes bewirkt.