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Kapitel II - Das Problem der Kinder der Welt - Teil 2

Unter dem Einfluss der neuen Zeit sollte auch die schöpferische Befähigung des Menschen grössere Aufmerksamkeit erfahren; das Kind wird entsprechend seinem Temperament und seiner Fähigkeit zu persönlicher Anstrengung angespornt werden. So wird es veranlasst, das, was ihm an Schönheit und richtigen Gedanken zur Verfügung steht, zur Gesamtsumme des menschlichen Denkpotentials beizutragen; es wird dazu ermutigt, zu forschen, und die Welt der Wissenschaft wird sich vor ihm auftun. Hinter all diesen praktisch verwerteten Antrieben werden die Motive des guten Willens und rechter menschlicher Beziehungen zu finden sein.

Schliesslich sollte die Erziehung mit Sicherheit die Hypothese von der Seele als den inneren Faktor im Menschen verdeutlichen, der das Gute, Wahre und Schöne hervorbringt. Schöpferischer Ausdruck und humanitäre Bemühungen werden dadurch eine logische Grundlage erhalten. Dies wird dann nicht, wie es heute der Fall ist, durch eine theologische oder doktrinäre Darlegung geschehen, sondern in der Form eines zu untersuchenden Problems und mit dem Bemühen, die Frage zu beantworten: Was ist der Mensch? Was ist sein eigentlicher Zweck innerhalb des Systems der Dinge? - Die Lebendigkeit des Einflusses und die proklamierten Ziele hinter den seit Jahrhunderten in Erscheinung tretenden geistigen, kulturellen und künstlerischen Führern der Welt, werden studiert, und ihr Leben wird sowohl vom historischen als auch vom psychologischen Standpunkt aus erforscht werden.

Dies wird der Jugend der Welt das ganze Problem der Führerschaft und der Motive aufschliessen. Erziehung wird daher in Form von menschlichen Interessen, menschlichen Errungenschaften und Möglichkeiten dargeboten werden. Das wird in einer Weise geschehen, die des Schülers Denken nicht nur mit historischen und literarischen Fakten bereichert, sondern auch seine Vorstellungskraft beleben und Ehrgeiz und Streben nach wahren, richtigen Grundlinien wecken. Die Welt menschlicher Bemühungen in der Vergangenheit wird dem Lernenden in einer gültigeren Perspektive dargeboten und die Zukunft wird ihm eröffnet durch einen Appell auch an seine persönliche Anstrengung und seinen persönlichen Beitrag.

All das bedeutet keineswegs eine Anklage der alten Methoden, ausser insoweit, als die heutige Welt selber eine Anklage darstellt; es handelt sich weder um eine unpraktische Vision noch um eine mystische Hoffnung, die auf Wunschdenken beruht. Es bezieht sich auf eine Einstellung zum Leben und zur Zukunft, die heute viele Tausende von Menschen haben, darunter viele Erzieher in jedem Lande. Die Missgriffe und Fehler der alten Methoden sind deutlich sichtbar, aber es ist hier schade um die Zeit, sie hervorzuheben oder im Einzelnen aufzuzählen.

Was benötigt wird, ist das Erfassen der unmittelbaren günstigen Gelegenheit und die Erkenntnis, dass ein erfolgreicher Wandel der Zielsetzung und eine Änderung der Methoden lange dauern werden. Wir werden unsere Lehrer anders ausbilden müssen, und viel Zeit wird vergehen, während wir nach neuen und besseren Wegen suchen, neue Schulbücher erarbeiten und die Männer und Frauen finden, die von der neuen Vision beeindruckt werden können und für die neue Zivilisation wirken werden. Wir versuchen hier nur, Prinzipien zu unterstreichen, geben dabei aber zu, dass viele davon keineswegs neu sind, dass sie aber erneut betont werden müssen. Jetzt ist der Tag der Gelegenheit.

Es sollte daher ein besseres Erziehungssystem ausgearbeitet werden, das die Möglichkeiten menschlichen Lebens in einer Weise darstellt, die dazu geeignet ist, Grenzen niederzureissen, Vorurteile abzubauen und dem sich entwickelnden Kind eine Schulung angedeihen zu lassen, die es befähigt, als Erwachsener in Harmonie und gutem Willen mit anderen Menschen zusammenzuleben. Dies kann geschehen, wenn Geduld und Verständnis entwickelt werden und wenn die Pädagogen sich vor Augen halten, dass da, «wo keine Vision ist, die Völker zugrunde gehen.»

Ein internationales Erziehungssystem, das auf gemeinsamen Konferenzen von weitdenkenden Lehrern und pädagogischen Autoritäten in jedem Lande ausgearbeitet wird, ist heute eine schreiende Notwendigkeit und würde einen gewichtigen Faktor zur Erhaltung des Weltfriedens darstellen. Schritte in dieser Richtung werden bereits unternommen, Gruppen von Erziehern kommen zusammen und diskutieren über die Schaffung eines besseren Systems, das dafür bürgen wird, dass den Kindern der verschiedenen Nationen (vor allem den Millionen Kindern, die heute nach Erziehung verlangen) die Wahrheit gelehrt wird, ohne Voreingenommenheit und Vorurteile.

Eine weltweite Demokratie wird zur Wirklichkeit, wenn die Menschen überall wirklich als gleichwertig betrachtet werden; wenn die Jugend gelehrt wird, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Mensch Asiate, Amerikaner, Europäer, Engländer, Jude oder «Heide» ist, sondern nur darauf, dass jeder seinen historischen Hintergrund und Werdegang besitzt, der es ihm ermöglicht, etwas zum Wohl des Ganzen beizutragen, und dass das Haupterfordernis guter Wille und stetiges Bemühen um rechte menschliche Beziehungen ist. Eine einige Welt wird zu einer Tatsache werden, wenn die Kinder der Welt gelehrt werden, dass religiöse Unterschiede weitgehend davon abhängen, wo der Mensch geboren ist; ist ein Mensch in Italien geboren, wird er wahrscheinlich römisch-katholisch sein; ist er als Jude geboren, wird er der jüdischen Lehre folgen; ist er in Asien geboren, kann er Mohammedaner oder Buddhist sein, oder einer der Hindusekten angehören; ist er in anderen Ländern geboren wird er Protestant sein und so fort. Der junge Mensch wird begreifen, dass religiöse Unterschiede weitgehend die Folgen menschengemachter Streitigkeiten über Auslegungen der Wahrheit sind. So werden nach und nach unsere Querelen und Differenzen ausgeglichen werden, und die Idee der einen Menschheit wird an deren Stelle treten.

Wesentlich mehr Sorgfalt wird man in Zukunft der Auswahl und Ausbildung der Lehrer widmen müssen, besonders bei denen, die sich darum bemühen, in den vom Krieg zerrütteten Gebieten dem Volk Bildungsmöglichkeiten zu bringen. Es ist zwar wichtig, dass ein Lehrer mentale Ausrichtung erreicht hat und sein Spezialfach beherrscht; noch wichtiger ist es aber, dass er ganz frei ist von Vorurteilen, und alle Menschen als Glieder einer Familie sehen kann. Der Erzieher der Zukunft wird besser in Psychologie ausgebildet sein müssen als das heute der Fall ist. Neben der Übermittlung akademischen Wissens wird er erkennen müssen, dass seine Hauptaufgabe darin besteht, in den Schülern seiner Klasse wirkliches Verantwortungsbewusstsein zu wecken; was immer er zu lehren hat - Geschichte, Erdkunde, Mathematik, Sprachen, die verschiedenen Zweige der Wissenschaft oder Philosophie, - er wird alles zur Wissenschaft der Rechten Menschlichen Beziehungen in Bezug bringen und versuchen, eine gültigere Perspektive sozialer Organisation zu vermitteln, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Wenn einmal die Jugend der Zukunft nach den hier vorgeschlagenen Grundsätzen zivilisiert, kultiviert und für Weltbürgertum empfänglich geworden sind, werden wir eine Welt mit erwachten, schöpferischen Menschen haben, die wirkliches Verständnis für Werte und einen gesunden, konstruktiven Sinn für Weltangelegenheiten haben werden. Es wird lange Zeit brauchen, um das zu erreichen, aber es ist nicht unmöglich, wie es die Geschichte selber bewiesen hat. Eines Tages wird eine Analyse darüber gemacht werden, was die drei grossen Kontinente Europa, Asien und Amerika zur allgemeinen Entfaltung der Menschheit beigetragen haben. Die progressive Offenbarung des glorreichen menschlichen Geistes bedarf noch immer der schriftlichen Bestätigung - nämlich die Glorie aller Aspekte und nicht nur jener, die rein nationaler Art sind. Sie besteht in der Tatsache, dass jede Rasse und alle Nationen immer Menschen hervorgebracht haben, die für ihre Zeit und Generation den höchstmöglichen Punkt der Errungenschaft darstellten - Menschen, die in sich jene grundlegende Dreiheit vereinten: Instinkt, Intellekt und Intuition. In den frühen Stadien der menschlichen Entfaltung waren es verhältnismässig wenige, heute jedoch nimmt ihre Zahl rasch zu.

Es versteht sich von selbst, dass diese Integration nicht jedem Schüler möglich ist, der durch die Hände unserer Erzieher geht. Die Schüler werden von den drei Gesichtspunkten aus eingeschätzt werden müssen, welche die Grundlage dieses Kapitels bilden:

1. Diejenigen, die zivilisationsfähig sind. Das bezieht sich auf die Masse der Menschen.

2. Diejenigen, die fähig sind, noch weiter in die Welt der Kultur eingeführt zu werden. Das ist eine grosse Anzahl.

3. Diejenigen, welche über Zivilisation und Kultur hinaus noch die Fähigkeit besitzen, als Seele zu funktionieren, und zwar nicht nur in den zwei Welten des instinktiven und intelligenten Lebens, sondern auch in der Welt der spirituellen Werte, und das in vollständiger, dreifältiger Integration.

Indessen können alle, ungeachtet ihrer ursprünglichen Fähigkeit, in der Wissenschaft rechter menschlicher Beziehungen geschult werden und damit dem hauptsächlichen Ziel des künftigen Erziehungssystems entsprechen. Anzeichen hierfür sind überall erkennbar, aber vorläufig wird diesbezüglich das Gewicht noch nicht auf die Ausbildung der Lehrer oder die Beeinflussung der Eltern gelegt. Viel, sehr viel ist überall von aufgeklärten Gruppen getan worden, indem sie gleichzeitig die Bedürfnisse des Bürgers und die sozialen Zusammenhänge studierten, und auch von vielen Organisationen, die versuchen, der breiten Masse ein Verantwortungsbewusstsein für menschliches Glück und Wohlbefinden zu vermitteln. Diese Arbeit müsste schon in der Kindheit beginnen, damit das Bewusstsein des Kindes (das so leicht zu lenken ist) von frühester Kindheit an eine selbstlose Haltung gegenüber seinen Gefährten einnehmen kann.

Es ist Überbrückungsarbeit, die jetzt getan werden muss - eine Überbrückung zwischen dem, was heute besteht, und dem, was in der Zukunft sein kann. Wenn wir während der kommenden Jahre diese Technik zur Überbrückung der vielen Spannungen erfolgreich entwickeln, die innerhalb der menschlichen Familie bestehen, und Rassenhass und separatistische Haltungen der Nationen und Völker beseitigen, dann werden wir mit Erfolg eine Welt schaffen, in der Krieg unmöglich sein und die Menschheit sich als eine Familie erkennen wird, und nicht als eine sich bekämpfende Anhäufung vieler Nationen und Völker, die sich im Konkurrenzkampf bemühen, einander den Rang abzulaufen, und die erfolgreich Hass und Vorurteile weiterschüren. Das war, wie wir gesehen haben, die Geschichte der Vergangenheit. Der Mensch hat sich aus einem isolierten Tier, das nur von seinen Instinkten der Selbsterhaltung, wie Nahrungsaufnahme und Paarung getrieben war, durch die Stadien des Familien-, Stammes- und nationalen Lebens zu dem Punkt entwickelt, wo er jetzt ein höheres Ideal erfassen kann - nämlich internationale Einheit oder das reibungslose Funktionieren der einen Menschheit.

Dieser wachsende Idealismus drängt sich ständig, trotz aller trennenden Feindseligkeiten, in den Vordergrund des menschlichen Denkens. Deshalb ist er weitgehend für das heutige Chaos verantwortlich und hat gleichzeitig zur Gründung der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen geführt. Aus Idealismus sind auch die sich bekämpfenden Ideologien entstanden, die bestrebt sind, weltweit zum Ausdruck zu kommen. Er hat das dramatische Erscheinen der sogenannten nationalen Retter, Weltpropheten und Weltarbeiter, Idealisten, Opportunisten, Diktatoren, Forscher und Menschenfreunde hervorgebracht. Diese einander oft widersprechenden Idealismen sind ein gesundes Zeichen, ob wir mit ihnen übereinstimmen, oder nicht. Sie sind deutliche Reaktionen auf das drängende und rechtmässige menschliche Verlangen nach besseren Lebensverhältnissen, nach mehr Licht und Verständnis, nach besserer Zusammenarbeit, Sicherheit, Frieden und Wohlstand, anstelle von Terror, Furcht und Hungersnot.

Schlussfolgerung

Es ist für den modernen Menschen schwer, sich eine Zeit vorzustellen, in der kein rassisches, nationales oder trennendes religiöses Bewusstsein mehr im menschlichen Denken vorhanden sein wird. Ebenso schwer war es für den vorgeschichtlichen Menschen, sich eine Zeit vorzustellen, in der es nationales Denken geben könnte. Der Zeitpunkt, da die Menschheit fähig sein wird, in weltumfassenden Begriffen zu denken, liegt noch immer weit vor uns; doch die Tatsache, dass wir darüber sprechen, sie herbeiwünschen und Pläne für sie entwerfen können, bietet sicher eine Garantie, dass es nicht unmöglich ist. Die Menschheit ist immer von einer Stufe der Erleuchtung zur anderen vorwärtsgegangen und von Glorie zu Glorie. Wir sind heute auf dem Wege zu einer weit besseren Zivilisation, als sie die Welt je gekannt hat, und gehen Verhältnissen entgegen, die eine viel glücklichere Menschheit gewährleisten und das Ende aller nationalen Differenzen und Klassenunterschiede (ob sie auf Vererbung oder finanziellem Status beruhen) sehen und ein erfüllteres, reicheres Leben für jedermann sichern werden.

Es ist klar, dass sehr viele Jahrzehnte verstreichen werden, ehe ein solcher Zustand Tatsache sein wird; aber es werden Jahrzehnte sein und nicht Jahrhunderte, vorausgesetzt, dass die Menschheit die Lehren aus dem vergangenen Krieg ziehen wird und man verhindern kann, dass die Reaktionären und Konservativen in jeder Nation die Zivilisation auf die schlechten alten Bahnen zurückdrängen. Aber ein Anfang kann sofort gemacht werden. Einfachheit sollte unser Lösungswort sein, denn es ist Einfachheit, die unsere alte, materialistische Lebensweise vernichten wird. Kooperativer guter Wille ist mit Sicherheit die erste Idee, die den Massen dargeboten und in unseren Schulen gelehrt werden muss, wodurch die neue und bessere Zivilisation garantiert werden kann. Intelligent angewandtes liebevolles Verständnis sollte das Kennzeichen der gebildeten, weiseren Gruppen sein sowie deren Bemühen, die Welt der inneren Bedeutung mit der Welt der äusseren Bestrebungen zu verbinden - zum Wohle der Massen. Weltbürgertum aus Ausdruck des guten Willens und Verstehens sollte das Ziel der Aufgeklärten überall und das Merkmal des geistigen Menschen sein. In diesen drei Elementen finden sich die richtigen Relationen zwischen Erziehung, Religion und Politik.

Der Grundton der neuen Erziehung ist im wesentlichen die richtige Interpretation des vergangenen und gegenwärtigen Lebens und dessen Beziehung zur Zukunft der Menschheit. Der Grundton der neuen Religion sollte und muss eine richtige Annäherung an Gott sein, an Gott, der transzendent in der Natur und immanent im Menschen ist. Doch der Grundton der neuen Politik- und Staatswissenschaft werden rechte menschliche Beziehungen sein. Auf beides muss die Erziehung das Kind vorbereiten.