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3. Buch - Die erreichte Vereinigung und ihre Resultate - Teil 2

6. die sieben Emanationen,

7. die sieben Prajapatis.

Ausserdem gibt es noch andere, weniger bekannte Bezeichnungen, die sehr aufschlussreich sein können.

In der charakteristischen Form (unter Berücksichtigung der ihrer Eigenart zukommenden Entwicklungsstufe und der noch nicht entfalteten Qualitäten) offenbart sich dem Erkennenden:

a. Die Gesamtsumme des Erworbenen, das, was die Vergangenheit gegeben hat. Das ist der ganze Akkord, den die Seele des Objekts bis jetzt zum Ausdruck bringen kann.

b. Die besonderen Qualitäten aus dem gesamten Erworbenen, die das Leben durch eine bestimmte Form zum Ausdruck bringt. Das ist der gegenwärtige Ton aus dem erworbenen Akkord, den die Seele des Objekts jetzt erklingen lassen will.

c. Das, was noch latent, aber möglich ist. Diese Erkenntnis ist zweifach: Erstens werden die schlummernden Möglichkeiten offenbar, die durch die betrachtete Form entfaltet werden sollen; und zweitens werden die schlummernden Möglichkeiten offenbar, die in der jetzigen Weltperiode durch verschiedene Formen entwickelt werden können. Das bezieht sich auf zukünftige Entwicklungen. Dadurch erkennt der Yogi den vollständigen Zusammenklang, der am Ende der grossen Entwicklungsperiode ertönen wird.

15. Die Entwicklungsstufe [269] ist bestimmend für die verschiedenen Modifikationen der unbeständigen psychischen Natur und des Denkprinzips.

Das ist eine ganz allgemein gehaltene Umschreibung des Gedankens, der hier klar gemacht werden soll, und gleichsam eine Zusammenfassung der ziemlich schwer verständlichen Materie des Textes. Die nun folgenden Lehrsprüche des dritten Buches beziehen sich auf die Ergebnisse der Meditation, während in den vorhergehenden die Hindernisse und Schwierigkeiten aufgezeigt wurden, die überwunden werden müssen, bevor eine echte Meditation möglich ist. Der Schlüssel zu diesem Überwinden und der Unterschied zwischen den Menschen, die den Pfad gehen wollen, werden in diesem Lehrspruch angedeutet. Eine der nützlichsten Tätigkeiten für den strebenden Menschen ist die, herauszufinden, auf welcher Entwicklungsstufe er wohl stehen mag, und sein Soll und Haben zu vergleichen. Ein Wissen um die erreichte Stufe und den nächsten Schritt, der getan werden muss, ist wesentlich für jeden wahren Fortschritt.

Johnston übersetzt diesen Lehrspruch mit den Worten: «Der Unterschied in der Stufe ist die Ursache für den Unterschied in der Entwicklung», und sagt dann weiter: «Die erste Stufe ist der junge Baum, die Raupe, das Tier. Die zweite Stufe ist der wachsende Baum, die Schmetterlingspuppe, der Mensch. Die dritte Stufe ist die herrliche Kiefer, der Schmetterling, der Engel ... «.

16. Durch konzentriertes Meditieren über die dreifache Natur einer jeden Form offenbart sich das, was gewesen ist, und das, was sein wird.

Es ist interessant, dass dieses erste grosse Ergebnis der Meditation [270] uns direkt zu den wahren Tatsachen in bezug auf die göttliche Schöpfung hinführt, und dass die drei Aspekte hervorgehoben werden, durch die jedes Leben - vom Atom der Materie bis zum Sonnen-Logos - sich zum Ausdruck bringt. Das grosse Gesetz von Ursache und Wirkung und der ganze Prozess der entwicklungsgemässen Entfaltung werden erkannt, und der Mensch versteht, dass das, was ist, das Ergebnis dessen ist, was gewesen ist. Ebenso wird erkannt, dass das, was sich später ereignen wird, die Auswirkung von Ursachen ist, die in der Gegenwart in Bewegung gesetzt werden. Auf diese Weise wird der Zyklus der Entwicklung als ein einziger Vorgang gesehen, der drei Stadien hat.

Diese drei Stadien in den drei Welten menschlicher Entfaltung entsprechen den drei Dimensionen; für den Leser könnte es interessant sein, diese Entsprechungen bei den verschiedenen Dreiheiten herauszufinden, wenn er weiss, dass der dritte Aspekt (mit Verstand begabte Substanz), der Aspekt des Heiligen Geistes oder Brahmas, der Vergangenheit entspricht. Hieraus ergibt sich eine Andeutung über die Natur des Übels. Der zweite Aspekt (Bewusstsein), der Christus- oder Vishnu-Aspekt, bezieht sich auf die Gegenwart, und erst die Zukunft wird das Wesen des Geistes offenbaren, den höchsten Aspekt - den des Vaters. Dieser Gedankengang wird durch konzentriertes Meditieren klar werden, und es wird die Fähigkeit wachsen, alles im richtigen Verhältnis zum gegenwärtigen Stand der Entwicklung zu sehen und gerechter zu bewerten. Ein Wissen um die Beziehung aller Leben zueinander wird sich ebenfalls entfalten, und das Leben des strebenden Menschen wird gefestigt und neu geordnet sein, so dass vergangenes Karma beglichen und mögliches künftiges Karma gar nicht geschaffen wird. So wird der Befreiungsprozess schneller vorankommen.

17. Der Ton (oder das Wort), das, was [271] er andeutet (das Objekt) und der darin enthaltene geistige Wesenskern (oder die Idee) werden vom Wahrnehmenden gewöhnlich nicht auseinandergehalten. Durch konzentriertes Meditieren über diese drei Aspekte kommt man zu einem (intuitiven) Verstehen des Tones, den alle Lebennormen aussenden.

Das ist einer der wichtigsten Lehrsprüche des Buches, und er enthält den Schlüssel zum Sinn und Zweck des ganzen Meditationsvorgangs. Dieser Spruch soll dem Wahrnehmenden (dem geistigen Menschen) die wahre Natur des Selbstes, des zweiten Aspekts, und die Entsprechung zum zweiten Aspekt in allen untermenschlichen Lebensformen offenbaren; ausserdem soll er ihn mit dem zweiten Aspekt in allen übermenschlichen Formen in Verbindung bringen. Die Meditation befasst sich also mit der inneren Seite der ganzen Schöpfung und mit jenen Kräften, die in jeder Form den Bewusstseinsaspekt bilden, die mit dem Christus-Prinzip (oder buddhischen Prinzip) zu tun haben, und welche die unmittelbare Ursache der sichtbaren Schöpfung und der Offenbarung durch das Medium der Form sind.

Das ist das Aum. Zuerst war der Atem, und alles, was ist, trat in Erscheinung.

Solange das grosse Wesen, das die Gesamtheit aller Formen und aller Bewusstseinszustände ist, fortfährt, das kosmische Aum ertönen zu lassen, so lange wird das geschaffene, sichtbare Sonnensystem bestehen.

Die folgenden Synonyme müssen im Zusammenhang mit diesem Lehrspruch beachtet werden, wenn man zu einem klaren Verstehen [272] kommen will:

I. Geistige Essenz.        -    II. Der Ton oder das Wort.      -     III. Das Objekt.

1. Geist     -     1. Die Seele       -     1. Körper

2. Pneuma     -     2. Die Psyche     -     2. Form

3. Der Vater. Shiva       -    3. Der Sohn. Vishnu      -     3. Der Heilige Geist. Brahma.

4. Die Monade. Der Eine    -  4. Der kosmische Christus.    -   4. Träger des Lebens und der Inkarnation.

5. Der ewige Wille, die Zielsetzung    -    5. Ewige Liebe-Weisheit   -   5. Ewige Tätigkeit und Intelligenz.

6. Der Eine grosse Atem      -       6. Das AUM.      -     6. Die Welten. 

7. Leben.    -     7. Bewusstseins-Aspekt.     -      7. Tätigkeitsaspekt.

8. Vereinigende Energie.    -      8. Anziehende Kraft.    -    8. Materie.

9. Erster Aspekt.    -      9. Zweiter Aspekt.     -    9. Dritter Aspekt.

Im Denken des Menschen werden diese drei Aspekte nicht auseinandergehalten, und es wird das Äussere und Gegenständliche gewöhnlich als Wirklichkeit angesehen. Das ist die grosse Maja oder Illusion, die nur dann verschwindet, wenn der Wahrnehmende die drei grossen Aspekte in jeder Form unterscheiden kann, auch in seiner eigenen. Wenn der zweite Aspekt, die Seele, das mittlere und vermittelnde Prinzip, erkannt wird, dann wird auch die Natur der Form erkannt, und es kann dann die Wesensart des Geistes gefolgert werden. Das unmittelbare Wissensgebiet jedoch, das der Yogi beherrschen muss, ist das des zweiten Aspekts. Er muss bis zum Wort oder Ton vordringen, der jede Form in sichtbare Erscheinung gebracht hat und der das Ergebnis des Atems, der Essenz oder des Geistes ist.

«Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht ... «. (Johannes I, 1:3)

Hier, in der [273] christlichen Bibel, haben wir den Kernpunkt der ganzen Lehre, und in der Bedeutung der drei Buchstaben des heiligen Wortes Aum liegt der Schlüssel zum gesamten kosmischen Prozess. Wenn die Meditation in der richtigen Weise durchgeführt wird, offenbart sie den zweiten oder Seelen-Aspekt, und es kann dann der Ton, das Wort (die Stimme der Stille) gehört werden.

Wenn diese Stimme einmal vernommen wurde und das Werk ohne Unterlass durchgeführt wird, offenbart sich das Reich des Bewusstseins, und der Yogi ist mit dem zweiten Aspekt seines eigenen Wesens und mit dem zweiten Aspekt in jeder Form in Verbindung. Das ist die Grundlage für die ganze Wissenschaft der Seele, und sie führt den Menschen zum Erkennen seiner eigenen Seele oder Psyche und der Psyche in jeder Form göttlichen Lebens. Es ist die Grundlage für die gesamte Wissenschaft des Psychismus in seinen höheren und niederen Aspekten.

Wenn ein Mensch niedere psychische Fähigkeiten hat, ist er sich des Seelenaspekts der materiellen Formen bewusst und reagiert auf ihn, und der dritte oder der Brahma-Aspekt (Körper) dominiert, denn ein jedes Atom der Materie hat eine Seele. Das bezieht sich auf alles, was zu den untermenschlichen Lebensbereichen gehört.

Wenn er auf die höhere Entsprechung reagiert, auf die Wirklichkeit, von der die niedere nur der Schatten ist, dann ist er mit dem Christus-Bewusstsein in Verbindung, mit der Seele seines Seins, die eins ist mit der Seele in allen übermenschlichen Lebensbereichen.

Im Zusammenhang hiermit müssen zwei Dinge bedacht werden. Wenn der Mensch niedere psychische Fähigkeiten hat, steht er mit dem zweiten Aspekt des niederen Menschen, dem Astralkörper in Verbindung, mit dem mittleren Prinzip im niederen Menschen, das [274] den Mental- und den Ätherkörper verbindet. Er steht daher mit allem in Verbindung, was auf dieser Ebene berührt werden kann.

Wenn er jedoch höhere psychische Fähigkeiten hat, steht er mit dem zweiten Aspekt göttlicher Manifestation in Verbindung, mit dem Ego oder der Seele auf ihrer eigenen Ebene, die das vermittelnde Prinzip zwischen Monade und Persönlichkeit, das Bindeglied zwischen Geist und Körper ist.

Es ist interessant, dass ein Hinweis für die Richtigkeit dieser Aussagen darin gesehen werden kann, dass sich die niederen psychischen Fähigkeiten medial veranlagter Menschen in (Geister-) Erscheinungen äussern, wie sie in gewöhnlichen spiritistischen Sitzungen beobachtet werden können. Die Verbindung mit der Astralebene wird durch jenes grosse Zentrum, den Solar-Plexus hergestellt, der die drei höheren Zentren mit den niederen verbindet. Das erklärt auch die Tatsache, dass bei den Materialisationen in spiritistischen Sitzungen so oft Blumen erscheinen, denn das Pflanzenreich ist das mittlere Reich der drei untermenschlichen Lebensbereiche (Mineral-Pflanzen- und Tierreich). Hier ist auch die Erklärung für das häufige Erscheinen von Indianerführern zu finden, denn sie sind die zurückgelassenen Hüllen und mächtige Gedankenformen der zweiten von den drei eigentlichen menschlichen Rassen - der lemurischen, atlantischen und arischen Rasse. Lemurische Hüllen oder Gedankenformen gibt es heute nicht mehr, aber es sind noch viele atlantische Hüllen zu finden, die durch gewisse Riten atlantischer Magier erhalten geblieben sind.

Durch konzentriertes Meditieren über den Unterschied zwischen diesen Aspekten kann schliesslich die Stimme der Stille vernommen werden, und der Mensch kann mit seinem eigenen zweiten Aspekt in Verbindung treten. Er wird dann wissen, dass er das «fleischgewordene Wort» ist, und er wird sich als das Aum erkennen.

Wenn das [275] der Fall ist, wird er das Wort auch in anderen Menschen wahrnehmen und den Ton hören, der von allen Formen in allen Reichen der Natur ausgeht. Das Reich der Seele wird ihm offenstehen; und wenn er auch noch den Ton in allen vier Reichen wahrnimmt, wird er wissen, dass er selbst ein Meister ist. Seelenwissen und die Fähigkeit, mit der Seele aller Dinge in den drei Welten zu wirken, ist das charakteristische Merkmal des Adepten.

18. Ein Wissen um frühere Leben wird möglich, wenn man die Fähigkeit erlangt, Gedankenbilder zu sehen.

Dieser Lehrspruch hat eine grosse Bedeutung, denn er gibt die Grundbedingung an für die Wiedergewinnung eines Wissens um vergangenes Erleben. Diese Grundlage ist ausgesprochen mental, und nur die Menschen, die mental eingestellt sind und ihr Denken beherrschen, können dieses Wissen, falls sie es wünschen, zurückrufen. Die Fähigkeit, Gedankenbilder zu sehen, entwickelt sich nur durch Gedankenbeherrschung; und die Gedanken können nur durch den wirklichen oder geistigen Menschen beherrscht werden. Daher können nur die in ihrem Ego verankerten Menschen dieses Wissen wirklich erlangen. Hier könnte jemand fragen, was jene Menschen sehen, die gefühlsbetont und nicht mental eingestellt sind, wenn sie behaupten, sie wüssten, wer sie gewesen sind und was ihre Freunde in vergangenen Leben waren? Sie lesen die Akasha-Chronik, und da ihre Gedankenbeherrschung und ihre mentalen Fähigkeiten nicht zureichend sind, können sie das, was sie sehen, weder unterscheiden noch genau erkennen.

Die Akasha-Chronik gleicht einem unermesslichen photographischen Film, der alles Verlangen und alle Erdenerfahrungen unseres [276] Planeten registriert. Die Menschen, die diese Chronik wahrnehmen können, sehen darauf dargestellt:

1. Die Lebenserfahrungen eines jeden Menschen von Anbeginn der Zeit.

2. Die Reaktionen des gesamten Tierreiches auf Erfahrungen.

3. Die seit undenklichen Zeiten angehäuften Gedankenformen kamischer Art (aus der Begierde kommend) einer jeden menschlichen Einheit. Hier liegt die grosse Gefahr der Täuschung durch die Aufzeichnungen. Nur ein geschulter Okkultist kann zwischen dem tatsächlichen Erleben und jenen astralen Bildern unterscheiden, die durch Imagination und heftiges Verlangen geschaffen wurden.

4. Den planetarischen «Hüter der Schwelle» mit allem, was zu diesem Begriff gehört, und alle Ansammlungen von Formen, die sich in seiner Umgebung befinden.

Der geschulte Seher hat gelernt, das abzusondern, was zu seiner eigenen Aura, und was zur Aura des Planeten gehört (das ist in Wirklichkeit die Akasha-Chronik). Er kann den Unterschied zwischen diesen Aufzeichnungen erkennen, von denen es folgende gibt:

a. Planetarische.

b. Hierarchische, die das Wirken der zwölf schöpferischen Hierarchien betreffen. Diese arbeiten an der Verwirklichung des Planes des Logos.

c. Imaginative Formen, die Ergebnisse des Wunschdenkens der Myriaden von Menschen, getrieben vom Verlangen nach dieser oder jener Art von Erfahrung.

d. Die historischen Aufzeichnungen über Rassen, Nationen Gruppen und Familien auf der physischen und auf der astralen Ebene. Man muss [277] beachten, dass jeder Mensch zu einer physischen Familie gehört, die ihn durch ihre Abstammung mit dem Tierreich verbindet, und dass er ebenso zu einer astralen Familie gehört. Durch diese Zugehörigkeit ist er auf dem aufwärtsführenden Bogen mit seiner egoischen Gruppe verbunden, und auf dem abwärtsführenden Bogen mit dem Pflanzenreich.

e. Die astrologischen Aufzeichnungen; das sind Formen, die sich auf der Astralebene unter dem Einfluss der planetarischen Kräfte gebildet haben. Diese umfassen zwei grosse Gruppen.

1. Die astrologischen Formen und Gedankenbilder in der Akasha, die durch das Einströmen von solarer Kraft (über die Planeten) entstanden sind.

2. Jene Formen oder Bilder, die durch das Einströmen kosmischer Kraft aus einem Tierkreiszeichen, das heisst aus der entsprechenden Konstellation, hervorgebracht wurden.

Diese hier aufgezählten Punkte sollen zeigen, dass die meisten Behauptungen über vergangene Verkörperungen unmöglich wahr sein können. Sie sind die Ergebnisse einer lebhaften Phantasie und der irrigen Annahme, dass die kurzen Augenblicke astralen Sehens, die einen winzigen Ausschnitt des Akasha-Films enthüllen, das zeigen, was sich auf den Menschen bezieht, der es sieht. Das ist ebenso unwahrscheinlich, wie wenn die vielen Menschen und die Geschäftigkeit in einer grossen Stadt, die von irgendeinem Fenster aus beobachtet werden, dem Zuschauer über seine Verwandten und Freunde und deren Beschäftigung Aufschluss geben würden.

Das in diesem Lehrspruch angedeutete Wissen kommt auf dreifache Weise:

1. Durch die Fähigkeit, auf Wunsch die Aufzeichnungen direkt sehen zu können. Diese Art, sich einen Einblick zu verschaffen, wird selten angewendet, ausser von Eingeweihten und Adepten in bezug auf ihre verpflichteten Jünger.

2. Durch [278] unmittelbares Erkennen der Gruppentätigkeit und Gruppenbeziehungen des Egos eines Menschen. Diese Erkundung umfasst jedoch nur den Zeitabschnitt, der begann, als der Mensch den Probepfad betrat. Erlebnisse vor dieser Zeit haben verhältnismässig ebensowenig Bedeutung wie eine Sekunde im Leben eines alten Menschen, der auf sein langes Leben zurückblickt. Nur bedeutende Ereignisse zählen, nicht einzelne Stunden und Sekunden.

3. Durch die Wirksamkeit des Instinkts. Diese gründet sich auf Erinnern, auf erworbene Fähigkeiten und auf das Vorhandensein jener Eigenschaften, die zur Ausrüstung des Egos gehören. Das Ego weiss, dass die Fähigkeit, so oder so in den drei Welten zu handeln, das unmittelbare Ergebnis von Erfahrungen ist, die in der Vergangenheit gemacht wurden, und es weiss auch, dass gewisse Wirkungen durch gewisse Ursachen erreicht werden können. Zu diesem Wissen kommt er durch konzentriertes Meditieren.

Die Gedankenbilder, die er wahrnimmt, sind:

1. die zur Zeit der Meditation in seiner Aura befindlichen,

2. die in seiner unmittelbaren Umgebung,

3. die seiner jetzigen Familie, Gruppe und Rasse,

4. die seines gegenwärtigen Lebens,

5. die seiner egoischen Gruppe.

Durch ständiges Aussondern arbeitet er sich so allmählich durch alle Schichten der Gedankenbilder hindurch, bis er zu jener Schicht von Denkeindrücken kommt, die zu dem Zeitabschnitt gehören, mit dem er sich befasst. Das ist dann nicht eine blosse Wahrnehmung gewisser Aspekte der Aufzeichnungen, sondern [279] ein ausgesprochen wissenschaftlicher Vorgang, der nur dem geübten Okkultisten bekannt ist.

19. Durch konzentriertes Meditieren werden die Gedankenbilder im Denken anderer Menschen erkennbar.

Die acht Yogamittel sollen dazu führen, dass ein Mensch zu einem Yogi oder geschulten Wissenden wird, also zu einem Menschen, der sich mit den Ursachen und nicht mit Wirkungen befasst. Er nimmt das wahr, was bewirkt, dass etwas körperlich in Erscheinung tritt; das sind die Gedanken, welche die Kräfte der Substanz in Bewegung setzen und schliesslich zur Verdichtung dieser Substanz führen.

Die Anwendung der Macht, die Gedanken anderer Menschen zu lesen, ist dem Yogi nur in solchen Fällen erlaubt, in denen er die Ursachen erkennen muss, die gewissen Ereignissen zugrundeliegen, und dann auch nur, um die Pläne der Hierarchie im Sinn der Entwicklung verständig durchführen zu können. Diese Fähigkeit ist ähnlich wie die der Telepathie, ist aber nicht identisch damit. Telepathie erfordert, dass sich das eine Denken auf das andere einstellt und dass beide in harmonischer Verbindung stehen. Die hier gemeinte Fähigkeit des geübten Sehers ist mehr eine Willenshandlung und eine Beherrschung gewisser Kräfte, so dass er zu jeder Zeit in jeder Aura sofort das sehen kann, was er sehen will.

Dabei ist es gleich, ob die betreffende Person auf ihn eingestellt ist oder nicht; durch intensives Meditieren und Anwendung des Willens werden die Gedankenbilder sichtbar. Es ist gefährlich, diese Macht zu gebrauchen, und es ist nur geschulten Jüngern erlaubt.

20. Da jedoch dem [280] Wahrnehmenden nicht das Objekt dieser Gedanken offenbar wird, sieht er nur die Gedanken und nicht das Objekt. Seine Meditation richtet sich nicht auf das Greifbare.

Das, was er in seiner Meditation wahrnimmt, ist nur die Substanz des Denkens, sein eigenes Chitta (oder Denksubstanz) und das von anderen Menschen.

Die dem Chitta innewohnende Aktivität ist die Ursache dafür, dass schliesslich greifbare und dinghafte Formen auf der physischen Ebene erscheinen.

Alles, was erscheint, ist das Resultat eines inneren Geschehens. Alles, was ist, besteht im Denken des Denkenden, nicht in dem Sinn wie es gewöhnlich verstanden wird, sondern so, dass Denken gewisse Kraftströme in Bewegung setzt. Diese Kraftströme formen allmählich das, was der Idee des Denkenden entspricht, und diese Formen bestehen so lange, wie das Denken sich damit beschäftigt, und sie verschwinden, wenn der Denkende «sein Denken davon abzieht».

Es ist die Wesensart der Gedankenkraft oder der Gedankenströme, die durch konzentriertes Meditieren wahrgenommen wird; die Form, die schliesslich dadurch entsteht, interessiert den Betrachter nicht. Er erkennt an der Ursache, was die unvermeidliche Wirkung sein wird.

21. Durch konzentriertes Meditieren über den Unterschied zwischen Form und Körper werden jene Attribute des Körpers, die ihn dem menschlichen Auge sichtbar machen, unwirksam gemacht (oder entzogen), und der Yogi kann sich dadurch unsichtbar machen.

Für den Menschen im Westen ist dieser Lehrspruch wohl einer der schwierigsten, denn zu seinem Verstehen gehören bestimmte Erkenntnisse, die dem Abendland fremd sind. Vor allen Dingen gehört [281] dazu das Wissen um das Vorhandensein des Ätherkörpers (oder Lebenskörper) und seiner Funktion als anziehende Kraft, die den dichten physischen Körper in Form hält. Durch diese ätherische Substrat wird der physische Körper zu einem zusammenhängenden Ganzen, dessen äussere Gestalt wahrnehmbar ist. Vom Standpunkt de Okkultisten ist nicht die dichte, greifbare Hülle, sondern dieser Lebenskörper die wahre Form.

Der Yogi hat durch Konzentration und Meditation die Fähigkeit erlangt, sein Bewusstsein in das des wahren oder geistigen Menschen zu verlagern und das Denkprinzip zu beherrschen. «Wie der Mensch denkt, so ist er», das ist ein okkultes Gesetz; und «wo ein Mensch denkt, da ist er», ist gleichfalls eine okkulte Wahrheit. Der geübte Seher kann nach Belieben sein Bewusstsein von der physischen Ebene zurückziehen und auf die Mentalebene verlagern. Willentlich kann er «das Licht abschalten», so dass er für das menschliche Auge unsichtbar wird. Er wird auch ungreifbar vom Standpunkt des Tastsinnes und unhörbar vom Standpunkt des Hörens. Gerade diese Tatsache beweist die Realität der Hypothese, dass es nur Energie in irgendeiner Form gibt, und dass diese Energie von dreifacher Art ist. Im Osten nennt man diese Energie-Arten Sattva, Rajas und Tamas. Die Bedeutung ist folgende:

Sattva                Rhythmus                    Geist                       Leben

Rajas                  Aktivität                        Seele                       Licht

Tamas                Beharrung                    Körper                    Substanz

Alle drei sind in Zeit und Raum Differenzierungen der einen ursprünglichen Geist-Essenz.

Die Entsprechungen [282] für den Westen sind etwa in folgenden Ausdrücken zu finden:

Energie                              Geist                  Leben

Kraft                                   Seele                  Licht

Materie                              Form                  Substanz

Das hervorragende Merkmal des Geistes (oder der Energie) ist das Lebensprinzip, jenes geheimnisvolle Etwas, das alle Dinge entstehen lässt und deren Fortbestand bewirkt. Das hervorragende Merkmal der Seele (oder Kraft) ist Licht. Es lässt das sichtbar werden, was existiert.

Das hervorragende Merkmal der belebten Materie ist das, was dem dichten Körper «zugrundeliegt» und ihm die rechte Form gibt. Hier muss daran erinnert werden, dass die Grundlage jeder okkulten Lehre und aller Erscheinungen in den Worten zu finden ist:

«Materie ist der Träger für die Manifestation der Seele auf dieser Ebene des Daseins; und Seele ist der Träger für die Manifestation des Geistes auf einer höheren Windung der Spirale». (Geheimlehre I, 80)

Wenn die Seele (oder Kraft) sich aus dem Materie-Aspekt (der greifbaren objektiven Form) zurückzieht, dann ist diese Form nicht mehr zu sehen; sie verschwindet und wird vorübergehend aufgelöst. Diese Unsichtbarmachung kann auch jetzt in angemessener Weise vollbracht werden, wenn der Yogi sein Bewusstsein im Ego, dem geistigen Menschen oder der Seele, konzentriert und (durch die Anwendung des Denkprinzips und einen Willensakt) seinen Ätherkörper aus dem dichten physischen Körper zurückzieht. Dies ist in dem Begriff «Abstraktion» (Zurückziehung) zusammengefasst und hat zur Folge:

1. Ein Zusammenziehen [283] der Lebenskräfte des Körpers in die physischen Nervenzentren entlang der Wirbelsäule.

2. Deren Lenkung an der Wirbelsäule entlang aufwärts zum Kopf.

3. Deren Konzentration im Kopf und die darauffolgende Zurückziehung am Lebensfaden oder der Sutratma entlang über die Zirbeldrüse und Brahmarandra.

4. Der Seher steht dann da in seiner wahren Form, im Ätherkörper, der für das menschliche Auge unsichtbar ist. Wenn sich einmal das ätherische Sehen bei den Menschen entwickelt hat, wird eine weitere Zurückziehung erforderlich sein. Der Seher wird dann das Lebens- und Leuchtprinzip (die Qualitäten Sattva und Rajas) aus dem Ätherkörper herausziehen und in seinem kamischen (astralen) Körper dastehen, und wird so auch ätherisch unsichtbar sein. Diese Zeit ist jedoch noch weit entfernt.

W.Q. Judge macht in seinem Kommentar folgende interessante Bemerkung:

«Hier ist ein weiterer grosser Unterschied zwischen dieser Philosophie und der modernen Wissenschaft angedeutet. Die heutigen Schulen lehren, dass ein Objekt gesehen wird, wenn sich ein gesundes Auge in einer Linie mit den Lichtstrahlen befindet, die von einem Objekt - zum Beispiel dem menschlichen Körper - reflektiert werden, und dass die Funktionen der Sehnerven und der Netzhaut des Beschauers durch keinerlei Gedankentätigkeit der angeschauten Person beeinträchtigt werden können. Aber die alten Hindus behaupten, dass alle Dinge auf Grund dieser Fähigkeit des Sattva, differenzieren zu können, gesehen werden. Sattva, eine der drei grossen Qualitäten, die in allen Dingen enthalten sind, manifestiert sich als Leuchtkraft (Licht) und wird in Verbindung mit dem Auge wirksam, das ebenfalls eine Manifestation des Sattva in einem anderen Aspekt ist. Diese beiden Aspekte müssen sich vereinigen. Wenn der Licht-Aspekt fehlt, oder wenn er nicht mehr [284] mit dem Auge des Sehenden verbunden ist, verschwindet das Objekt. Da die Qualität Leuchtkraft völlig unter der Kontrolle des Yogis steht, kann er sie durch den besagten Vorgang blockieren und so dem Auge des Anderen einen wesentlichen Bestandteil im Sehen irgendeines Objekts entziehen».

Dieser ganze Vorgang ist nur als Ergebnis konzentrierten Meditierens möglich und kann daher unmöglich von einem Menschen durchgeführt werden, der nicht die lange Disziplinierung und Übung hinter sich hat, die erforderlich ist, um die Beherrschung des Denkprinzips zu erreichen und eine wirksame, direkte Verbindung mit seiner Seele herzustellen. Diese Verbindung ist nur dann ordnungsgemäss, wenn der Denker auf seiner eigenen Ebene, die Denkkraft und das Gehirn aufeinander abgestimmt und koordiniert sind, und zwar über das Sutratma, den magnetischen Silberfaden.

22. Es gibt zwei Arten von Karma (oder Wirkungen): Jetzt wirkendes Karma und zukünftiges Karma. Durch vollkommen konzentriertes Meditieren darüber erfährt der Yogi den Zeitpunkt, wann sein Erleben in den drei Welten ein Ende hat. Dieses Wissen kommt ihm auch durch Vorzeichen.

Dieser Lehrspruch wird leichter verständlich, wenn man ihn im Zusammenhang mit Lehrspruch 18 in Buch III liest. Das hier gemeinte Karma bezieht sich hauptsächlich auf das gegenwärtige Leben des Aspiranten oder Yogis. Er weiss, dass jedes Ereignis in diesem Leben die Auswirkung einer voraufgegangenen Ursache ist, die von ihm selbst in einem früheren Leben eingeleitet wurde; er weiss auch, dass jede Handlung im jetzigen Leben eine Wirkung in einem [285] späteren Leben hervorbringen muss, es sei denn, dass die Handlung so ist, dass:

1. die Wirkung sofort beginnt und innerhalb der jetzigen Lebensspanne ihren Höhepunkt erreicht;

2. die Wirkung kein Karma zur Folge hat, da die Handlung aus selbstlosen Beweggründen und mit völliger Losgelöstheit ausgeführt wurde. Er bringt dann die gewünschte Wirkung in Übereinstimmung mit dem Gesetz hervor, aber es sind für ihn keine Folgen damit verbunden.

Wenn sich der Yogi in einem Leben verkörpert hat, in dem nicht mehr viel Karma abzutragen ist, und wenn alles, was er tut, kein neues Karma mehr schafft, dann kann er den Zeitpunkt seiner Lebenserfahrung festlegen, und er weiss, dass der Tag der Befreiung nahe ist. Durch Meditation und die Fähigkeit, als Ego zu wirken, kann er die Welt der Ursachen erreichen, und er weiss also, welche Handlungen ausgeführt werden müssen, um die wenigen noch verbliebenen Wirkungen auszulösen. Dadurch, dass er streng auf den Beweggrund einer jeden Handlung im gegenwärtigen Leben achtet, verhütet er, dass ihn die Wirkungen in irgendeiner Weise an das Rad der Wiedergeburt binden können. So nähert er sich bewusst und in intelligenter Weise seinem Ziel; alles Tun, Handeln und Denken geschieht aus unmittelbarer Erkenntnis und bindet ihn in keiner Weise.

Die erwähnten Vorzeichen beziehen sich hauptsächlich auf die Mentalwelt, in welcher der wirkliche Mensch lebt. Durch ein Verstehen von

a. Zahlen,

b. Farben,

c. Schwingungen,

kann er erkennen, ob seine Aura frei ist von «todbringenden» Wirkungen. Er weiss, dass (symbolisch [286] ausgedrückt) in den Aufzeichnungen nichts mehr steht, was ihn zu den drei Welten zurückbringen könnte; und darum sieht er «durch Zeichen», dass sein Weg frei ist.

In den alten Schriften, die sich in den Archiven der Meister befinden, ist das mit folgenden Worten ausgedrückt:

«Wenn der fünfstrahlige Stern in Klarheit scheint, und darin keine Formen mehr zu sehen sind, dann ist der Weg frei.

Wenn das Dreieck nur noch Licht umfasst, ist der Weg frei für das Hinübergehen des Pilgers.

Wenn innerhalb der Aura des Pilgers die vielen Formen schwinden und drei Farben zu sehen sind, dann ist der Weg frei von allen Hindernissen.

Wenn die Gedanken keine Formen mehr aufrufen, und wenn keine Schatten mehr reflektiert werden, dann ist der Silberfaden der direkte Weg vom Kreis zum Mittelpunkt».

Von diesem Punkt der Ruhe gibt es keine Rückkehr mehr. Die Periode der notwendigen Erfahrungen in den drei Welten ist zu Ende. Kein Karma kann den befreiten Geist zur Erde hinabziehen, da er keine Lektionen mehr zu lernen hat, und da es keine Ursachen mehr gibt, die sich für ihn auswirken könnten. Er kann jedoch sein Werk des Dienens in den drei Welten fortsetzen oder wieder aufnehmen, ohne dass er seine wahre Heimat in den subtileren Bereichen und höheren Bewusstseins-Ebenen jemals wirklich verlässt.

23. Durch konzentriertes Meditieren über die drei Zustände des Empfindens - Mitgefühl, Güte und Leidenschaftslosigkeit - kann harmonisches Einssein mit anderen Menschen erreicht werden

Ein Vergleich dieses Satzes [287] mit dem Lehrspruch 33 im ersten Buch wird zu seinem Verstehen beitragen. Die hier angeführte Harmonie geht jedoch einen Schritt weiter. Der Hinweis im ersten Buch soll den Aspiranten zu einem harmonischen, friedlichen Zusammenleben mit seiner ganzen Umgebung führen. In diesem Satz jedoch wird ihm nahegelegt, mit allen anderen Menschen wesenseins zu werden, und zwar durch Konzentration über die «drei Zustände der Empfindung». Diese sind:

a. Mitgefühl - im Gegensatz zum heftigen Gefühl, das selbstsüchtig und verlangend ist.

b. Güte - im Gegensatz zur Ichbezogenheit, die immer hart und mit sich selbst beschäftigt ist.

c. Leidenschaftslosigkeit - im Gegensatz zu sinnlicher Begierde und heftigem Verlangen.

Diese drei Zustände des Fühlens bringen den Menschen, der sie versteht und sich in sie hineinversetzt, mit der Seele aller Menschen in harmonische Verbindung.

Durch Mitgefühl ist er nicht mehr mit selbstsüchtigen Eigeninteressen beschäftigt, sondern er denkt sich in seinen Bruder hinein und leidet mit ihm; er kann seine eigene Schwingung so einstellen, dass sie auf die Bedrängnis seines Bruders reagiert; er ist fähig, an allem teilzunehmen, was im Herzen seines Bruders vor sich geht.

Das geschieht in der Weise, dass er seine eigene Schwingung auf eine höhere Frequenz bringt, so dass sie auf die Liebe-Natur seines eigenen Egos reagiert; durch dieses vereinende Prinzip stehen ihm überall alle Herzen offen.

Durch Güte kommt dieses mitfühlende Verstehen praktisch zum Ausdruck. Seine Handlungen sind nicht mehr ich-bezogen, sondern selbstlos und von dem tiefgefühlten Verlangen angetrieben, zu dienen und zu helfen. Dieser Gefühlszustand wird manchmal warmherzige Gesinnung genannt, und er ist bezeichnend für alle Diener der Menschheit. Damit verbunden sind werktätige Liebe, [288] selbstlose Absichten, weises Beurteilen und liebendes Handeln. Ein solcher Mensch ist frei von jedem Wunsch nach Belohnung und Anerkennung. H.P. Blavatsky hat das in der «Stimme der Stille» sehr schön mit folgenden Worten ausgedrückt:

«Lass das Ohr deiner Seele geöffnet sein für jeden Laut des Schmerzes, so wie die Lotosblüte ihren Kelch der Morgensonne öffnet.

Lass keine Träne des Schmerzes trocknen werden von der heissen Sonne, ehe du sie von des Weinenden Auges hinweggewischt hast.

Sondern lass jede menschliche Träne auf dein Herz fallen und dort verbleiben; wische sie nicht hinweg, ehe der Schmerz, der sie verursacht hat, beseitigt ist.

Diese Tränen, o gütiges Herz, sind die Ströme, welche die Felder der ewigen Liebe bewässern».

Durch Leidenschaftslosigkeit bleibt der strebende und dienende Mensch unberührt von den karmischen Wirkungen seines Handelns für andere Menschen. Es ist, wie wir wissen, unser eigenes Verlangen, das uns an die drei Welten und an andere Menschen bindet. «Gebundensein an» jemand, ist etwas anderes, als «vereint sein mit» jemand. Der eine Zustand ist voller Verlangen und verursacht Verpflichtungen und Auswirkungen; der andere ist frei vom Verlangen, er führt zum «Wesenseinswerden mit» dem Anderen und hat keine bindenden Folgen in den drei Welten. Leidenschaftslosigkeit ist mehr mental als die beiden anderen Zustände. Bei der Leidenschaftslosigkeit spielt die Qualität des niederen Denkvermögens eine Rolle; Güte ist das emotionelle Ergebnis von selbstlosem Mitgefühl und ist mit dem kamischen oder astralen Prinzip verbunden, während das Mitgefühl auch mit der physischen Ebene zu tun hat, denn es bringt die beiden anderen Zustände auf der physischen Ebene zum Ausdruck. Es ist die praktische Fähigkeit, sich mit einem anderen Menschen in allen drei Welten zu identifizieren.

Diese Fähigkeit harmonischen Einsseins ist die Folge davon, dass [289] das Bewusstsein des egoischen Einsseins durch Meditation heruntergebracht wurde und in den drei Welten zur vollen Auswirkung kommt.

24. Die Meditation, die einzig auf die Kraft des Elefanten gerichtet ist, wird diese Kraft - oder dieses Licht - wecken.

Dieser Lehrspruch hat zu vielen Diskussionen Anlass gegeben. Die übliche Ausdeutung hat zu der Annahme geführt, dass man durch Meditation über den Elefanten die Kraft des Elefanten erlangt. Viele Erklärer haben daraus gefolgert, dass man durch Meditieren über andere Tiere deren Merkmale erlangen kann.

Man sollte daran denken, dass dieses Buch ein wissenschaftliches Lehrbuch ist, das folgendes bezwecken will:

1. den strebenden Menschen so zu schulen, dass er in subtilere Bereiche eintreten kann;

2. ihm die Macht über das Denkvermögen zu geben, so dass es zu seinem Instrument wird, das er nach seinem Willen als ein Organ des Schauens in die höheren Welten und als ein Mittler zwischen Seele und Gehirn benutzen kann;

3. das Licht im Kopf zu erwecken, so dass der Aspirant ein strahlendes Lichtzentrum werden, alle Probleme erhellen und durch dieses Licht überall Licht erkennen kann;

4. die Feuer des Körpers zu erwecken, so dass die Zentren wirksam tätig, leuchtend, miteinander verbunden und koordiniert werden;

5. die Koordinierung zwischen

a. dem Ego oder der Seele auf ihrer eigenen Ebene,

b. dem Gehirn (über die Denkfähigkeit)

c. und den Zentren zu erlangen. Durch einen Willensakt können sie alle in einheitliche Tätigkeit versetzt werden.

6. Nachdem dies [290] erreicht ist, wird das Feuer am unteren Ende der Wirbelsäule, das bis dahin schlummerte, erweckt und kann ohne Gefahr aufwärts steigen; und es kann sich schliesslich mit dem Feuer oder Licht im Kopf vereinen und so ausströmen, nachdem es «alle Unreinheiten verbrannt und den Weg freigemacht hat» für die Benutzung durch das Ego.

7. Dadurch werden die Kräfte der Seele, die höheren und niederen Siddhis, entfaltet, so dass der Mensch zu einem brauchbaren Diener der Menschheit wird.

Wenn man diese sieben Punkte richtig überdenkt, kommt man zu der interessanten Feststellung, dass das Symbol für das Zentrum am unteren Ende der Wirbelsäule, das Muladhara-Zentrum, der Elefant ist. Es ist das Symbol der Stärke, der konzentrierten Macht, der grossen, bewegenden Kraft, die, wenn sie erst erweckt ist, sich den Weg frei macht. Für unsere fünfte Wurzelrasse ist es das Symbol des Kraftvollsten und Mächtigsten im Tierreich. Es ist die bildliche Darstellung der Umwandlung oder Sublimierung der animalischen Natur, denn am unteren Ende der Wirbelsäule ist der Elefant, und im Kopf die tausendblättrige Lotosblüte, die Vishnu verbirgt, der im Mittelpunkt sitzt. So wird die animalische Natur aufwärts getragen zum Himmel.

Durch Meditation über diese «Elefantenkraft» wird die Kraft des dritten Aspekts, die Energie der Materie und daher des Heiligen Geistes oder Brahmas, geweckt und zusammengeführt mit der Energie des zweiten oder Bewusstseinsaspekts, mit der Seelen-Energie, dem Vishnu-Aspekt, dem zweiten Aspekt, der Christus-Kraft. Dadurch kommt das vollkommene Einswerden oder die Vereinigung zwischen Seele und Körper zustande, die das wahre Ziel des Raja Yoga ist.

Die Studierenden dieser Wissenschaft müssen hier jedoch daran denken, dass diese [291] Formen der konzentrierten Meditation nur dann erlaubt sind, wenn die acht Yogamittel, die im zweiten Buch behandelt wurden, befolgt worden sind.

25. Vollkommen konzentriertes Meditieren über das erweckte Licht lässt das bewusst werden, was feinstofflich und verborgen ist, oder was noch in weiter Ferne liegt.

In allen Lehren okkulter oder mystischer Art sind häufig Hinweise zu finden auf das, was das «Licht» genannt wird. In der Bibel (und in allen Heiligen Schriften der Welt) finden wir solche Stellen. Es werden vielerlei Ausdrücke dafür gebraucht, aber der Raum gestattet uns nur, diejenigen zu nennen, die in den verschiedenen Übersetzungen der Yoga Sutras von Patanjali zu finden sind. Es können folgende aufgezählt werden:

a. das erweckte innere Licht (Johnston),

b. das Licht im Kopf (Johnston),

c. das Licht der direkten Erkenntnis (intuitives Wissen) (Tatya),

d. das strahlende Licht (Vivekananda),

e. das Licht am Scheitel des Kopfes (Vivekananda),

f. die Licht-Krone (Ganganatha Iha),

g. das Licht der Ausstrahlung (Ganganatha Iha),

h. das innere Licht (Dvidedi),

i. das lichterfüllte Denken (Dvidedi),

j. das Strahlen im Kopf (Woods),

k. die strahlende Helligkeit des Zentral-Organs (Rama Prasad),

l. das Licht der höheren Sinnestätigkeit (Rama Prasad).

Aus dem Studium dieser Bezeichnungen ist zu ersehen, dass sich [292] innerhalb des physischen Körpers ein leuchtender Punkt befindet, der (nach erlangtem Kontakt) das Licht des Geistes auf den Pfad des Jüngers wirft, ihm so den Weg erhellt, die Lösung aller Probleme erkennen lässt und ihn befähigt, ein Lichtträger für andere Menschen zu sein.

Dieses Licht ist gleichsam ein inneres Strahlen; es befindet sich im Kopf, in der Nähe der Zirbeldrüse und wird durch die Tätigkeit der Seele hervorgerufen.

Der Ausdruck «Zentral-Organ» in Verbindung mit diesem Licht hat viele Erörterungen hervorgerufen. Einige Erklärer beziehen ihn auf das Herz, andere hingegen auf den Kopf. Technisch gesehen hat keiner von ihnen völlig recht, denn für den geschulten Adepten ist das «Zentral-Organ» der Kausalkörper, das Karana Sharira, der Körper des Egos, die Hülle der Seele. Es ist die mittlere der «drei periodischen Hüllen», die der göttliche Sohn Gottes im Laufe seiner langen Pilgerreise entdeckt und benutzt. Die drei Tempel in der christlichen Bibel sind die Analogien dieser Hüllen:

1. Das vergängliche, kurzlebige Tabernakel in der Wüste, das für die Seele in der physischen Inkarnation charakteristisch ist und nur ein Leben lang besteht.

2. Der dauerhaftere und schönere Tempel Salomos, das Symbol für den Seelenkörper oder Kausalkörper, der äonenlang besteht und dessen Schönheit auf dem Pfad bis zur dritten Einweihung immer mehr enthüllt wird.

3. Der bis jetzt noch nicht enthüllte und unvorstellbar schöne Tempel Ezechiels, das Symbol für die Hülle des Geistes, das Haus [293] des Vaters, eine der «vielen Wohnungen», das «aurische Ei» des Okkultisten.

In der Wissenschaft des Yoga, die im physischen Körper geübt und gemeistert werden muss, bezieht sich der Ausdruck «Zentral-Organ» entweder auf den Kopf oder auf das Herz; der Unterschied liegt hauptsächlich in der Zeit. In den Frühstadien der Entfaltung auf dem Pfad ist das Herz das Zentral-Organ; später ist es das Organ im Kopf, wo das wahre Licht seinen Sitz hat.

Im Verlauf der Entfaltung geht die Entwicklung des Herzens der Entwicklung des Kopfes voraus. Die Emotionalnatur und die Sinne entfalten sich früher als das Denkvermögen; das wird uns ganz klar, wenn wir die Menschheit als ein Ganzes betrachten. Das Herzzentrum öffnet sich früher als das Kopfzentrum. Bevor Macht ohne Gefahr ausgeübt werden kann, muss erst die Kraft der Liebe entwickelt sein. Darum muss das Licht der Liebe bereits entflammt sein, bevor das Licht des Lebens bewusst benutzt werden kann.

Wenn das Lotoszentrum im Herzen sich öffnet und die Liebe Gottes enthüllt, findet durch Meditation eine gleichzeitige Entfaltung des Kopfzentrums statt. Die zwölfblättrige Lotosblüte im Kopf (die höhere Entsprechung des Herzzentrums, der Mittler zwischen der zwölfblättrigen Lotosblüte des Ego auf seiner eigenen Ebene und dem Kopfzentrum) erwacht. Die Zirbeldrüse wird allmählich aus einem Zustand der Atrophie zur vollen Wirksamkeit gebracht, und der Schwerpunkt des Bewusstseins wird aus der Emotionalnatur in das Bewusstsein des erleuchteten Denkens verlagert. Das ist der Übergang des Mystikers zum Weg des Okkultisten, wobei dem Mystiker das bisher erworbene Wissen und Gewahrsein [294] nicht verloren geht; er fügt dann das intellektuelle Wissen und die bewussten Fähigkeiten des geübten Okkultisten und Yogis hinzu.

Von diesem Punkt der Macht im Kopf aus lenkt der Yogi alle seine Angelegenheiten und Unternehmungen, indem er auf alle Geschehnisse und Probleme das «erweckte innere Licht» richtet. Dabei lässt er sich von der Liebe, von der Einsicht und der Weisheit leiten, die er besitzt, da er seine Liebesnatur umgewandelt, sein Herzzentrum erweckt und die Feuer des Sonnengeflechts ins Herz geleitet hat.

Hier könnte diesbezüglich gefragt werden, wie denn diese Verbindung zwischen Kopf und Herz, die den Lichtschein des Zentral-Organs und die Aussendung der inneren Strahlung hervorruft, zustandegebracht werden kann. Kurz gesagt, geschieht das auf folgende Weise: