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4. Buch - Erleuchtung - Teil 1

4. Buch - Erleuchtung

a. Bewusstsein und Form

b. Vereinigung oder Einweihung

Hauptthema: Losgelöstes Eins-Sein.

DIE YOGA-LEHRSPRÜCHE VON PATANJALI

4. Buch - Erleuchtung.

1. Die höheren und niederen Siddhis (oder Kräfte) werden durch Inkarnation, oder durch Drogen, durch mantrische Worte, durch intensives Verlangen, oder durch Meditation erlangt.

2. Die Verlegung des Bewusstseins von einem niederen in einen höheren Träger ist Teil des grossen schöpferischen Entwicklungsprozesses.

3. Die Übungen und Methoden an sich bewirken noch nicht die Verlagerung des Bewusstseins, aber sie sind vorbereitende hilfreiche Mittel, um Hindernisse zu beseitigen, so wie der Landmann seinen Acker für die Saat vorbereitet.

4. Das Bewusstsein «Ich Bin» ist der Grund für die Bildung der Organe die das Gefühl der Individualität vermitteln.

5. Bewusstsein ist zwar eine Einheit, doch erschafft es die verschiedenartigen Formen der Vielheit.

6. Von den Formen, die das Bewusstsein annimmt, ist nur die frei von latentem Karma, die durch Meditation entsteht.

7. Die Handlungen des befreiten Menschen sind unabhängig von den Gegensatzpaaren. Die der anderen Menschen sind von dreierlei Art.

8. Aus diesen drei Arten von Karma entstehen jene Formen, die für das Erscheinen der karmischen Wirkungen notwendig sind.

9. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den im Gedächtnis aufbewahrten Eindrücken und der Ursache, welche die Wirkung hervorruft, auch wenn Ursache und Wirkung durch Geburt, Zeit und Raum getrennt sind.

10. Da das Verlangen nach Leben ewig ist, haben die vom Denken geschaffenen Formen keinen erkennbaren Anfang.

11. Die Formen werden erschaffen und zusammengehalten durch das Verlangen (die zugrundeliegende Ursache), durch die Persönlichkeit (die Auswirkung), durch mentale Lebenskraft oder den Lebenswillen, und durch die Stütze oder den Halt, den ihnen das nach aussen gerichtete Leben (oder Objekt) gibt. Wenn diese Faktoren keine Anziehungskraft mehr ausüben, dann hören auch die Formen auf zu bestehen.

12. Vergangenheit und Gegenwart bestehen wirklich. Die im Zeitbegriff der Gegenwart angenommene Form ist das Ergebnis entwickelter Eigenschaften und enthält latent die Keime zukünftiger Qualitäten.

13. Die Eigenschaften - ob latent oder wirksam - nehmen die Natur oder das Wesen der drei Gunas (der Eigenschaften der Materie) an.

14. Die Manifestation der objektiven Form ist die Folge davon, dass die Ursache (die Vereinheitlichung der Chitta-Modifikationen) unablässig ihr Ziel verfolgt und so die Wirkung hervorbringt.

15. Bewusstsein und Form sind verschieden und voneinander getrennt; obwohl die Formen ähnlich sein mögen, so kann dennoch das Bewusstsein auf verschiedenen Seins-Ebenen wirken.

16. Die vielen Modifikationen des einen Denkprinzips erzeugen die verschiedenartigen Formen, deren Dasein von diesen vielen Denkimpulsen abhängt.

17. Diese Formen werden erkannt oder nicht erkannt, je nachdem, welche Qualitäten im wahrnehmenden Bewusstsein latent vorhanden sind.

18. Der Herr des Denkvermögens, der Wahrnehmende, ist sich der ständigen Aktivität der Denksubstanz, der wirkungserzeugenden Ursache, stets bewusst.

19. Da das Denkvermögen erkannt oder wahrgenommen werden kann, ist es offensichtlich, dass es nicht die Quelle der Erleuchtung sein kann.

20. Auch kann es nicht zwei Objekte gleichzeitig erkennen, sich selbst und das, was ausserhalb seiner selbst liegt.

21. Wenn man annähme, dass ein Denkvermögen (Chitta) von einem anderen Denkvermögen wahrgenommen oder erkannt wird, dann ergäbe sich zwangsläufig die Folgerung, dass es unendlich viele Erkennende geben muss. Die Aufeinanderfolge der Reaktionen im Gedächtnis würde zu unendlicher Verwirrung führen.

22. Wenn die geistige Intelligenz, die allein und losgelöst von allen Objekten besteht, sich in der Denksubstanz widerspiegelt, wird das Selbst wahrgenommen.

23. Dann wird die Denksubstanz, die sowohl den Erkennenden wie das Erkennbare reflektiert, allwissend.

24. Auch die Denksubstanz, die ja unendlich viele Denkeindrücke widerspiegelt, wird zum Werkzeug des Selbstes und wirkt als vereinigende Kraft.

25. Der Zustand losgelösten Eins-Seins (zurückgezogen in das wahre Wesen des Selbstes) ist die Belohnung für jenen Menschen, der zwischen der Denksubstanz und dem Selbst, dem geistigen Menschen, unterscheiden kann.

26. 27. 28. Das Denken strebt dann kraftvoll nach Unterscheidung und zunehmender Erleuchtung - dem wahren Wesen des einen Selbstes. Die Macht der Gewohnheit bringt es jedoch mit sich, dass das Denken auch andere mentale Eindrücke widerspiegelt und Objekte der Sinneswelt wahrnimmt. Diese Spiegelbilder sind ihrem Wesen nach Hindernisse, die auf die gleiche Weise überwunden werden können, wie im Buch II Lehrspruch 10 angegeben.

29. Der Mensch, der sogar bei seinem Streben nach Erleuchtung und losgelöstem Einssein innerlich frei bleibt, nimmt schliesslich die überschattende Wolke geistigen Erkennens wahr.

30. Wenn diese Stufe erreicht ist, sind die Hindernisse und das Karma überwunden.

31. Wenn durch die Beseitigung der Hindernisse und die Läuterung der Körperhüllen dem Menschen alles Wissen offensteht, bleibt ihm nichts mehr zu tun übrig.

32. Dann haben die durch die innewohnenden Grundeigenschaften der drei Gunas entstehenden Modifikationen der Denksubstanz ein Ende, denn sie haben ihren Zweck erfüllt.

33. Die Zeit, die eine Aufeinanderfolge der Modifikationen des Denkens ist, hat ebenfalls ein Ende und weicht dem Ewigen Jetzt.

34. Der Zustand losgelösten Einsseins wird möglich, sobald die drei Grundeigenschaften der Materie (die drei Gunas oder Wirkkräfte der Natur) keinen Einfluss mehr auf das Selbst ausüben. Das reine Geist-Bewusstsein zieht sich in das Eine zurück.

DIE YOGA-LEHRSPRÜCHE VON PATANJALI

4. Buch

Erleuchtung

1. Die höheren und [377] niederen Siddhis (oder Kräfte) werden durch Inkarnation, oder durch Drogen, durch mantrische Worte, durch intensives Verlangen oder durch Meditation erlangt.

Wir sind zum vierten Buch gekommen, in dem die durch Raja Yoga erreichten Kräfte und Resultate weitergeführt werden zur Gruppenerkenntnis; und es ist verständlich, dass sie universelles Bewusstsein, und nicht nur Eigen-Bewusstsein bewirken. Gegen die Anwendung des Wortes «kosmisches Bewusstsein» muss hier protestiert werden, da diese Bezeichnung nicht stimmt und irreführend ist, denn sogar der höchste Adept (beachten Sie diese Bezeichnung) ist nur mit solarem Bewusstsein begabt und hat keinen Kontakt mit dem, was ausserhalb unseres Sonnensystems ist. Die planetarischen Logoi (die sieben Geister vor dem Throne) und die Herren des Karma (die «vier Räder» des Hesekiel) haben ein Bewusstsein, das über unser Sonnensystem hinausgeht. Geringere Wesenheiten können es als eine Möglichkeit erahnen, aber es gehört noch nicht zu ihrem Erleben.

Die erlangten [378] Kräfte umfassen zwei Hauptgruppen, nämlich:

a. Niedere psychische Kräfte, die niederen Siddhis.

b. Geistige Kräfte, oder die höheren Siddhis.

Die niederen Kräfte sind das Ergebnis des Bewusstseins der animalischen Seele im Menschen, die in Verbindung steht mit der Anima Mundi, der Weltseele, der subjektiven Seite aller Formen in den drei Welten, aller Körper in den vier Reichen der Natur. Die höheren Kräfte sind das Ergebnis des entwickelten Gruppen-Bewusstseins, des zweiten Aspekts der Göttlichkeit; sie schliessen nicht nur die niederen Kräfte ein, sondern bringen den Menschen in Verbindung mit jenen Wesenheiten und Lebensformen, die in den geistigen Bereichen oder (wie der Okkultist sagen würde) auf jenen beiden Ebenen zu finden sind, die jenseits der drei Welten liegen und sich über die gesamte Skala der Entwicklung des Menschen erstrecken, der menschlichen und übermenschlichen.

Das Ziel des wahrhaft strebenden Menschen ist die Entfaltung dieser höheren Kräfte, die man mit folgenden Worten kennzeichnen könnte: unmittelbares Wissen, intuitives Erkennen, geistige Einsicht, reines Schauen, das Erlangen der Weisheit. Sie sind anders als die niederen Kräfte, denn sie heben sie auf. Das wird genau beschrieben in Buch III, Lehrspruch 37:

«Diese Fähigkeiten sind Hindernisse für die höchste geistige Erkenntnis, aber in den objektiven Welten dienen sie als magische Kräfte».

Diese höheren Kräfte sind allesumfassend, und wenn sie richtig angewendet werden, zeichnen sie sich durch Genauigkeit und Unfehlbarkeit aus; ihre Wirkung ist so unmittelbar wie ein Blitzstrahl. Die [379] niederen Kräfte sind unzuverlässig, denn dabei spielt das Zeitelement (im Sinn des Aufeinanderfolgens) eine Rolle, und ihre Wirkung ist begrenzt; sie bilden einen Teil der grossen Illusion, und für den Aspiranten sind sie ein Hemmnis.

In diesem Lehrspruch sind fünf Mittel angegeben, wie die psychischen Kräfte entfaltet werden können; es ist interessant, dass wir in diesen Angaben ein Beispiel für die Tatsache haben, dass sogar für so fortgeschrittene Aspiranten, wie es die Meister der Weisheit sind, die Yoga-Lehrsprüche noch ein Studien- und Lehrbuch sein können. Diese fünf Methoden sind anwendbar auf allen fünf Ebenen der menschlichen Entwicklung, zu denen die beiden höheren Ebenen gehören, auf denen die Eingeweihten der Mysterien wirken.

1. Inkarnation                               die Methode der physischen Ebene.

2. Drogen                                       Freisetzung des astralen Bewusstseins.

3. Mantrische Worte                    Schöpfung durch Sprache - oder die Methode der Mentalebene

4. Intensives Verlangen              Die Sublimierung der Aspiration - oder die Methode der buddhischen Ebene, der Sphäre der geistigen Liebe

5. Meditation                                 Die Methode der atmischen Ebene, der Sphäre des geistigen Willens.

Dazu könnte folgendes bemerkt werden: So wie intensives Verlangen geistiger Art eine Sublimierung des astralen oder gefühlsmässigen Verlangens ist, genauso ist Meditation, wie sie von Eingeweihten geübt wird, die Sublimierung aller mentalen Vorgänge. Darum sind die beiden zuletzt angegebenen Methoden zur Entfaltung höherer Kräfte die einzigen, die von den Eingeweihten angewendet werden, da sie die Synthese und Sublimierung der Erkenntnisse sind, die auf der Astral- und Mentalebene erlangt werden.

Es muss [380] deshalb beachtet werden, dass der Wahrheitssucher nur die drei Methoden Inkarnation, intensives Verlangen und Meditation anwenden darf und soll. Drogen und mantrische Worte oder Zauberformeln sind Werkzeuge der schwarzen Magie und betreffen die niederen Kräfte.

Hier könnte die Frage gestellt werden, ob es nicht wahr sei, dass mantrische Worte und Weihrauch zur Zeremonie der Einweihung gehören und darum von Eingeweihten und Aspiranten angewendet werden. Gewiss, aber nicht in dem hier gemeinten Sinn oder um psychische Kräfte zu entfalten. Die Meister und ihre Jünger wenden Worte magischer Kraft an, um mit nicht-menschlichen Wesenheiten in Verbindung zu treten, um die Hilfe der Engel anzurufen und die Bildekräfte der Natur zu handhaben; sie wenden Kräuter und Weihrauch an, um die Atmosphäre zu reinigen, um unerwünschte Wesenheiten fernzuhalten und es denen, die auf höheren Entwicklungsstufen stehen, zu ermöglichen, ihre Anwesenheit füllen zu lassen. Das ist jedoch etwas ganz anderes, als wenn man die Kräuter benutzt, um psychische Kräfte zu wecken.

Es ist interessant, dass die erste Ursache der Entfaltung von Seelenkräften, ob höhere oder niedere, das grosse Rad der Wiedergeburt ist. Das muss immer berücksichtigt werden. Nicht jeder Mensch ist schon so weit, dass es ihm möglich wäre, die Kräfte der Seele zu entfalten. Der Seelen-Aspekt schlummert noch bei vielen, weil sie noch nicht alle Erfahrungen gemacht und die niedere Natur noch [381] nicht ganz entwickelt haben. Erst mussten die vierzigjährige Wanderung mit dem Tabernakel durch die Wüste und die Eroberung Kanaans stattgefunden haben, bevor die Könige zur Herrschaft kommen und der Tempel Salomos gebaut werden konnte. Viele Leben müssen vergehen, ehe der Körper (der Mutter-Aspekt) so vollkommen geworden ist, dass sich das Christuskind in dem vorbereiteten Gefäss bilden kann. Man sollte auch daran denken, dass der Besitz von niederen psychischen Kräften in vielen Fällen das Symptom einer niederen Entwicklungsstufe und ein Zeichen dafür ist, dass ihr Besitzer mit der animalischen Natur eng verbunden ist. Der Mensch muss über diese hinauswachsen, damit die höheren Kräfte sich entfalten können.

Es bedarf wohl nicht des Hinweises, dass sowohl Alkohol und Drogen als auch die Ausübung der Geschlechtsmagie das astrale Bewusstsein freisetzen können und es auch tun; aber das ist primitiver Astralismus, und damit hat der ernsthafte Studierende des Raja Yoga nichts zu tun, denn es führt auf den Weg zur Linken. Das Erlangen von seelischen Kräften durch intensives Verlangen (oder feuriges Streben) und durch Meditation ist in den anderen Büchern behandelt worden und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden.

2. Die Verlegung des Bewusstseins von einem niederen in einen höheren Träger ist Teil des grossen schöpferischen Entwicklungsprozesses.

Das ist eine ganz freie Übersetzung, aber sie gibt eine klare Interpretation der Wahrheit, die erkannt werden soll. Die Entwicklung des Bewusstseins und die Auswirkung dieser Entwicklung auf die Träger, in denen die bewusste Wesenheit wirkt, ist die Gesamtsumme der Naturprozesse; und vom Standpunkt der verstandbegabten [382] menschlichen Einheit besagen drei Worte den Prozess und dessen Ergebnis. Diese Worte sind: Verlegung, Umwandlung und Erneuerung.

Eines der Grundgesetze der okkulten Entwicklung und der geistigen Entfaltung lautet: «Wie ein Mensch denkt, so ist er»; und ergänzend kann der orientalische Lehrsatz: «Dem Denken folgt Energie» als Erklärung hinzugefügt werden. In dem Mass, in dem ein Mensch sein Verlangen ändert, so ändert er sich selbst; wenn sich sein Bewusstsein von einem Ziel abwendet und auf ein anderes richtet, dann wandelt er sich. Das trifft zu auf alle Bereiche und alle Bewusstseinszustände - höhere und niedere.

Dadurch, dass wir unser bewusstes Denken von einem niederen auf ein höheres Ziel richten, entsteht ein Energiestrom, dessen Schwingungsgrad dem des höheren Ziels entspricht. Dieser Energiezufluss bewirkt in den Körperhüllen des denkenden Menschen eine Änderung oder Transmutation, sie werden umgewandelt und in einen solchen Zustand gebracht, dass sie dem Denken oder Verlangen des Menschen angepasst sind. Diese Umwandlung führt schliesslich zur Erneuerung, und wir verstehen jetzt die Worte des Paulus: « ... Ändert euch also durch Erneuerung des Denkens».

Ändert die Art und Richtung eueres Denkens, und ihr werdet eure Natur ändern. Trachtet nach dem, was wahr und recht, rein und heilig ist, und euer von diesen Dingen erfülltes Bewusstsein wird aus dem alten Menschen einen neuen schaffen, ein «Instrument, das brauchbar ist».

Diese Verlegung, Umwandlung und schliessliche Erneuerung geschieht durch eine von zwei Methoden:

1. Durch einen [383] langsamen Vorgang von wiederholten Leben, Erfahrungen und physischen Inkarnationen, bis schliesslich die treibende Kraft des Entwicklungsprozesses den Menschen Stufe um Stufe die grosse Leiter der Entwicklung hinaufführt.

2. Durch einen schnelleren Prozess, so z.B. durch ein Verfahren, wie es von Patanjali angegeben und von allen Hütern der religiösen Mysterien gelehrt wird. Der Mensch nimmt sein Schicksal in die Hand, befolgt die niedergelegten Regeln und Gesetze und bringt sich durch eigene Anstrengung in einen Zustand geistiger Entfaltung. Diese drei Massnahmen führen den Menschen zu der Einweihung, die Verklärung genannt wird.

3. Die Übungen und Methoden an sich bewirken noch nicht die Verlagerung des Bewusstseins, aber sie sind vorbereitende hilfreiche Mittel, um Hindernisse zu beseitigen, so wie der Landmann seinen Acker für die Saat vorbereitet.

Das ist einer der einfachsten und klarsten Lehrsprüche, er bedarf also kaum einer Erläuterung.

Die Übungen beziehen sich hauptsächlich:

1. Auf die Mittel zur Beseitigung von Hindernissen. (Siehe Buch I, Lehrsprüche 29-39). Das wird, wie uns bereits gesagt wurde, bewirkt durch:

a. beständiges Festhalten an einem Prinzip,

b. Mitgefühl mit allen Wesen,

c. Regulierung des Pranas oder Lebensodems,

d. Beständigkeit des Denkens,

e. Meditieren über Licht,

f. Reinigung der niederen Natur,

g. Verstehen des Traumzustandes,

h. den Weg der Hingabe.

2. Auf den Weg [384] zur Beseitigung von Hemmnissen. (Siehe Buch II, Lehrsprüche 2-33,) Diese Blockierungen werden beseitigt durch:

a. eine entgegengesetzte geistige Einstellung,

b. Meditieren,

c. die Pflege rechten Denkens.

Diese Übungen betreffen im besonderen die Vorbereitung des Lebens auf die wahre Yoga-Praxis; wenn sie regelmässig durchgeführt werden, bringen sie die ganze niedere Natur in einen derartigen Zustand, dass die drastischeren Methoden schnelle Erfolge zeitigen.

Die Methoden beziehen sich auf die acht Mittel des Yoga oder der Vereinigung. (Siehe Buch II, Lehrsprüche 29-54, und Buch III, Lehrsprüche 1-12.) Es sind dies:

Die Gebote, die Regeln, die Haltung oder Einstellung, richtige Beherrschung der Lebenskraft, Zurückziehung der Sinne, Konzentration, Meditation und Kontemplation.

Man könnte daher folgendes sagen: Die Übungen gehören mehr zu jenem Stadium im Leben des Aspiranten, in dem er sich auf dem Probepfad, dem Weg der Läuterung, befindet, während sich die Methoden auf das Endstadium dieses Pfads und auf den Pfad der Jüngerschaft beziehen. Wenn die Übungen und Methoden befolgt werden, bringen sie zwar gewisse Veränderungen innerhalb der vom wahren oder geistigen Menschen bewohnten Formen zustande, aber sie sind nicht die Hauptursache dafür, dass sich das Bewusstsein vom Körperaspekt abwendet und dem Seelenaspekt zuwendet. Diese grosse Umwandlung ist das Ergebnis gewisser Ursachen, die [385] ausserhalb der Körpernatur liegen; solche Ursachen sind z.B. der göttliche Ursprung des Menschen, die Tatsache, dass Christus oder das Seelenbewusstsein latent in den Formen besteht, und der Drang des Entwicklungsprozesses, der das Leben Gottes in allen Formen dazu antreibt, sich in zunehmendem Mass zum Ausdruck zu bringen. Man muss auch beachten, dass in dem Mass, in dem das Eine Leben, in dem wir leben, weben und sind, zu grösserer Vollkommenheit fortschreitet, auch die Zellen und Atome in Seinem Körper entsprechend beeinflusst, stimuliert und entwickelt werden.

4. Das Bewusstsein «Ich bin» ist der Grund für die Bildung der Organe, die das Gefühl der Individualität vermitteln.

Hier haben wir den Schlüssel zur Formwerdung, und die Ursache aller Erscheinungen. Solange das Bewusstsein eines Wesens (solar, planetarisch oder menschlich) sich nach aussen richtet auf Objekte des Verlangens, auf empfindendes Dasein, auf individuelles Erleben und auf das Leben sinnlicher Wahrnehmung und Freude, so lange werden die Körper und Organe geschaffen, wodurch Wünsche befriedigt, die Freuden physischen Daseins genossen und Objekte wahrgenommen werden können. Das ist die grosse Illusion, durch die das Bewusstsein verblendet wird; und solange die Verblendung irgendwelche Macht ausübt, so lange wird das Gesetz der Wiedergeburt das sich nach aussen richtende Bewusstsein dazu bringen, auf der Ebene der Körperlichkeit sichtbare Formen anzunehmen. Es ist der Wille-zu-sein und das Verlangen nach Existenz, [386] was sowohl den kosmischen Christus, der auf der materiellen Ebene durch das Medium des Sonnensystems wirkt, als auch den individuellen Christus, der durch das Medium der menschlichen Form wirkt, in Erscheinung treten lässt.

In den Frühstadien schafft das Bewusstsein «Ich bin» materielle Formen, die für die volle Äusserung göttlicher Kräfte unzureichend sind. Mit fortschreitender Entwicklung werden diese Formen immer brauchbarer, bis die geschaffenen «Organe» es dem geistigen Menschen ermöglichen, sich des Gefühls der Individualität zu erfreuen. Wenn dieses Stadium erreicht ist, kommt die grosse Erkenntnis der Illusion. Das Bewusstsein erwacht zu der Tatsache, dass in Form und sinnlicher Wahrnehmung und in der nach aussen gehenden Tendenz keine wirkliche Freude oder Befriedigung liegt; es beginnt eine neue Anstrengung, die gekennzeichnet ist durch eine allmähliche Abschwächung der nach aussen gehenden Tendenz und ein Ablenken des Geistes von der Form.

5. Bewusstsein ist zwar eine Einheit, doch erschafft es die verschiedenartigen Formen der Vielheit.

Das ist eine fundamentale Aussage, die nicht nur den Zweck und den Grund für die Manifestation selbst erklärt, sondern in einem kurzen Satz den Seinszustand Gottes, des Menschen und des Atoms umfasst. Hinter allen Formen ist das Eine Leben zu finden. In jedem Atom (solar, planetarisch, menschlich und elementar) ist das eine empfindende Dasein enthalten. Hinter der objektiven Natur, der Gesamtsumme aller Formen in allen Reichen der Natur, ist die eine subjektive Wirklichkeit zu finden, dem Wesen nach ein vereinigtes Ganzes oder eine Einheit, welche die verschiedenartige Vielheit hervorbringt. Das Homogene ist die Ursache [387] des Heterogenen. Einheit erzeugt Verschiedenartigkeit; das Eine ist verantwortlich für das Viele. Der Studierende kann das besser verstehen, wenn er der goldenen Regel folgt, die das Mysterium der Schöpfung enthüllt, und wenn er sich selbst erforscht. Der Mikrokosmos enthüllt die Natur des Makrokosmos.

Er wird dann herausfinden, dass er, der wirkliche oder geistige Mensch, der Denker, oder das eine Leben in seinem winzig kleinen System, verantwortlich ist für die Schaffung seines mentalen, emotionalen und physischen Körpers, seiner drei niederen Aspekte, für den «Schatten» der Trinität, so wie sein Geist, seine Seele und sein Körper die Spiegelbilder der drei göttlichen Aspekte - Vater, Sohn und Heiliger Geist - sind. Er wird feststellen, dass er verantwortlich ist für Bildung aller Organe in seinem Körper und für alle Zellen, aus denen sie bestehen; und wenn er tiefer in sein Problem eindringt, wird er erkennen, dass sein Bewusstsein und sein Leben Myriaden von unendlich kleinen Lebewesen durchdringt und darum für diese verantwortlich ist. Er wird begreifen, dass er die Ursache dafür ist, dass sich diese Lebenspartikel zu Organen und Formen vereinigt haben, und dass diese Formen bestehen bleiben. Allmählich lernt er die wahre Bedeutung der Worte: «Gemacht nach dem Bilde Gottes» verstehen. Sein «Bewusstsein ist eine Einheit, doch hat es die verschiedenartige Formen der Vielheit geschaffen», die in seinem kleinen Kosmos bestehen. Und was auf ihn zutrifft, das gilt auch für seinen grossen Prototyp, den Himmlischen Menschen, den planetarischen Logos; und weiterhin gilt es für das Urbild seines Urbildes, den Grossen Himmelsmenschen, den Sonnenlogos, Gott in der Manifestation eines Sonnensystems.

6. Von den Formen, die das Bewusstsein annimmt, ist nur die frei von latentem Karma, die durch Meditation entsteht.

Formen sind [388] das Ergebnis von Verlangen. Meditation von rechter Art ist ein rein geistiger Vorgang, bei dem sich kein Verlangen einstellt. Formen sind das Resultat einer nach aussen drängenden Tendenz. Meditation ist das Resultat einer nach innen gerichteten Tendenz, einer Fähigkeit, das Bewusstsein von Form und Substanz loszulösen und es in sich selbst zu zentrieren.

Form ist eine Wirkung, die durch die Liebes- oder Wunschnatur des Bewussten hervorgebracht wurde; Meditation verursacht und erzeugt Wirkungen und hat mit dem Willens- oder Lebens-Aspekt des geistigen Menschen zu tun.

Verlangen ruft Wirkungen hervor, und die Organe des empfindenden Bewusstseins kommen daher zwangsläufig unter das Gesetz von Ursache und Wirkung, von Karma, das die Beziehung zwischen Form und Bewusstsein bestimmt und leitet. Die richtig verstandene und durchgeführte Meditation erfordert, dass sich das Bewusstsein des geistigen Menschen von allen Formen in den drei Welten zurückzieht, und dass es sich von allen Sinneswahrnehmungen und -Neigungen loslöst. Daher ist er im Augenblick der reinen Meditation frei von jenem Karma-Aspekt, der mit dem Hervorrufen von Wirkungen zu tun hat. Zeitweilig ist der Meditierende so losgelöst, dass sein vollkommen konzentriertes Denken, das mit den Dingen in den drei Welten nichts mehr zu tun hat, keine nach aussen gehende Schwingung erzeugt, sich auf keine Form bezieht und auf keine Materie einwirkt. Wenn dieses konzentrierte Meditieren zur Gewohnheit und zur normalen Geisteshaltung im täglichen Leben wird, dann wird der Mensch frei vom Gesetz des Karma. Er erkennt dann die Wirkungen, die noch abgetragen werden [389] müssen, und er lernt, neue dadurch zu vermeiden, dass er keine Handlungen einleitet, die in den drei Welten «Organe schaffen» würden. Er bleibt in der Welt der Gedanken, in ständiger Meditation; er erschafft etwas durch einen Willensakt, nicht durch die Hilfslosigkeit des Verlangens; er ist eine «freie Seele», ein Meister und befreiter Mensch.

7. Die Handlungen des befreiten Menschen sind unabhängig von den Gegensatzpaaren. Die der anderen Menschen sind von dreierlei Art.

Die Ausdrucksweise dieses Lehrspruches ist so ausgesprochen orientalisch, dass sie den westlichen Schüler ziemlich verwirren kann. Eine Untersuchung des Sinngehaltes dieser Worte und ein Studium des Kommentars des grossen Lehrers Vyasa könnten dazu beitragen, die Bedeutung klar zu machen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir es in diesem Buch mit sehr hohen Bewusstseinszuständen zu tun haben, die von jenen Menschen erreicht wurden, welche die acht Yogamittel befolgt und die im Buch III beschriebenen Wirkungen der Meditation erlebt haben.

Der Yogi ist nun ein befreiter Mensch, befreit von den durch die Form bedingten Zuständen und Einwirkungen; der Brennpunkt seines Bewusstseins liegt ausserhalb der Grenzen der drei Welten menschlichen Bemühens. Er hat die Bezirke des reinen Denkens erreicht, und sein Bewusstsein bleibt klar, frei von Verlangen. Obwohl er Gedanken formuliert, obwohl er äusserst wirksam meditieren und die «Modifizierungen [390] des Denkprinzips» lenken und beherrschen kann, schafft er dennoch keine Bedingungen, die ihn in den Strudel des irdischen Daseins zurückziehen könnten. Er ist befreit vom Karma, schafft kein neues mehr, und nichts kann ihn wieder an das Rad der Wiedergeburt binden.

Vyasa sagt in seinem Kommentar, dass Karma (oder Handeln) von vielerlei Art ist:

1. Die Handlungen, die übel, böse und entartet sind; sie werden dunkel genannt. Diese Arten des Handelns sind das Ergebnis tiefster Unwissenheit, gröbster Genusssucht oder vorsätzlicher Absicht. Wenn sie aus Unwissenheit getan werden, dann wird die Entwicklung des Wissens allmählich einen Bewusstseinszustand schaffen, der ein Karma dieser Art nicht mehr kennt. Wo grober Materialismus die Ursache falschen Handelns ist, wird die allmähliche Entfaltung geistigen Bewusstseins das Dunkel in Licht verwandeln; und dadurch wird abermals Karma verhütet. Wenn jedoch in bewusster Absicht falsch gehandelt oder ein Unrecht begangen wird, trotz besseren Wissens und gegen die Stimme des Gewissens, dann führt diese Art des Karma zu dem, was der orientalische Okkultist «Avitchi» oder die achte Sphäre nennt - ein Ausdruck, der sich mit dem christlichen Begriff «verlorene Seele» deckt. Diese Fälle sind jedoch äusserst selten und beziehen sich auf den «Weg zur Linken» und auf die Praktiken der schwarzen Magie. Obwohl dieser Zustand eine Trennung vom höchsten Prinzip (dem des reinen Geistes von seinen beiden Ausdrucksformen - der Seele und dem Körper - oder den sechs niederen Prinzipien) mit sich bringt, so bleibt doch das Leben selbst bestehen; und [391] nach der Vernichtung der Seele in «Avitchi» wird dem Leben wieder ein neuer Zyklus des Werdens geboten.

2. Die Handlungen, die weder ganz gut noch ganz böse sind, die man dunkelhell nennt; sie betreffen die Karma-verursachende Tätigkeit des Durchschnittsmenschen, der sich von den Gegensatzpaaren leiten und beeinflussen lässt. Seine Lebenserfahrungen sind gekennzeichnet durch ein Hin- und Herschwingen zwischen dem, was freundlich und anständig ist und aus Liebe geschieht, und dem, was abstossend und verletzend ist und aus Hass geschieht. Vyasa sagt:

«Das Hell-Dunkel entsteht durch äussere Anlässe; der Träger der Handlung entwickelt sich dadurch weiter, dass er anderen Menschen entweder Schmerz zufügt oder Gutes tut».

Dadurch wird also klar, dass die Höherentwicklung der menschlichen Einheit und das «Konto über Gut und Böse» von seiner Einstellung zu anderen Menschen und davon abhängen, welche Wirkung er auf sie ausübt. So kommt die Rückkehr zum Gruppen-Bewusstsein zustande, so wird Karma erzeugt oder abgetragen. So wird die Pendelbewegung zwischen den Gegensatzpaaren allmählich ausgeglichen bis der Punkt des Gleichgewichts erreicht ist; dann handelt der Mensch richtig, weil ihn das Gesetz des Guten, oder die Seele, von oben her lenkt, und weil ihn weder gutes noch böses Verlangen beeinflusst.

3. Die Art des Handelns, die hell genannt wird. Das ist die Art des Lebens, Denkens und Handelns, die vom Aspiranten und Jünger gepflegt wird; sie kennzeichnet die Stufe des Pfads, die der Befreiung voraufgeht. Vyasa erklärt [392] sie folgendermassen:

«Das Helle ist bei denen, die nach den Möglichkeiten der Entwicklung greifen - nach Studium und Meditation. Das hängt allein vom Denken ab und nicht von äusseren Mitteln. Darum kann es nicht zustande kommen, wenn man andere Menschen schädigt».

Es dürfte nun ersichtlich sein, dass diese drei Arten von Karma eine direkte Beziehung haben:

a. Zur Ebene der Körperlichkeit                                   der physischen Ebene.

b. Zur Ebene der Gegensatzpaare                               der Astralebene.

c. Zur Ebene des konzentrierten Denkens der Mentalebene.

Die Menschen, deren Karma hell ist, sind diejenigen, die es fertig gebracht haben, die Gegensatzpaare auszugleichen; sie sind jetzt damit beschäftigt, sich bewusst und in intelligenter Weise von den Einflüssen der drei Welten freizumachen; das geschieht durch:

a. Studium oder mentale Entwicklung; sie erkennen und befolgen das Gesetz der Entwicklung und verstehen das Wesen des Bewusstseins und dessen Beziehung zur Materie einerseits und zum Geist andererseits.

b. Meditation oder Gedankenbeherrschung; so schaffen sie den Mechanismus, welcher der Seele die Kontrolle über die niederen Träger überlässt und die Offenbarung des Seelenreiches möglich macht.

c. Nicht-Schädigung. Kein Wort, kein Gedanke, keine Handlung von ihnen bringt irgend einer Form, durch die sich das Leben Gottes ausdrückt, Leid oder Schaden.

4. Die letzte Art von Karma wird als weder dunkel noch hell beschrieben; es wird keinerlei Karma mehr geschaffen. Der Yogi verursacht keine solchen Wirkungen mehr, die ihn an die Formseite der Manifestation binden könnten. Da er [393] vom Standpunkt völligen Losgelöstseins handelt und nichts für sich verlangt, hat er kein Karma mehr, und seine Handlungen wirken nicht mehr auf ihn zurück.

8. Aus diesen drei Arten von Karma entstehen jene Formen, die für das Erscheinen der karmischen Wirkungen notwendig sind.

In jedem Leben, das physisch in Erscheinung tritt, sind jene Keime oder Samenkörner enthalten, die zur Ausreifung kommen müssen; und diese schlummernden Keime sind die Ursachen für das Erscheinen der Form. Diese Samenkörner sind zu irgendeiner Zeit gesät worden, und sie müssen Früchte tragen. Sie sind die Ursachen, dass jene Körper entstehen, in denen die Folgen sich auswirken müssen. Sie sind die Begierden, Impulse und Verpflichtungen, die einen Menschen an das grosse Rad binden, welches, sich immer drehend, den Menschen in das physische Dasein bringt, um da so viele Keime zum Reifen zu bringen, als er dazu, unter dem Gesetz, in einem Leben imstande ist. Das sind die inneren Keime, welche die Form schaffen, in denen sie heranreifen und zur Reife kommen. Wenn die karmischen Keime dunkel sind, wird der Mensch selbstsüchtig und materiell sein und dazu neigen, den Weg zur Linken zu gehen; wenn sie dunkel-hell sind, werden sie ihn in eine Form bringen, die passend und dafür geeignet ist, seine Verpflichtungen und Schulden abzutragen, seine Pflichten zu erfüllen, seine Interessen und Wünsche zu verwirklichen. Wenn sie hell sind, werden sie einen Körper erschaffen, welcher der letzte ist, der zerstört werden wird, den Kausalkörper, den Tempel Salomos, das Karana Sharira des Okkultisten. Auch dieser Körper wird bei der endgültigen Befreiung zerstört [394] werden, und dann trennt den Menschen nichts mehr von seinem Vater im Himmel, und nichts bindet ihn mehr an die niedere materielle Ebene.

9. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den im Gedächtnis aufbewahrten Eindrücken und der Ursache, welche die Wirkung hervorruft, auch wenn Ursache und Wirkung durch Geburt, Zeit und Raum getrennt sind.

Eine Paraphrase dieses Lehrspruchs, die zum besseren Verständnis beitragen könnte, wäre folgende: Ganz gleich, in welcher Rasse, in welchem Land, ob in Vergangenheit oder Gegenwart ein Leben gelebt worden ist, und ganz gleich, wie lange das her ist und wie viele Jahrtausende darüber vergangen sein mögen, die Erinnerung daran bleibt im Ego, oder der Seele, bestehen. Zu entsprechender Zeit und unter den passenden Bedingungen muss sich jede Ursache, die einmal eingeleitet wurde, unvermeidlich als Wirkung zeigen. Diese Wirkung wird in irgend einem Leben zum Vorschein kommen. Niemand kann sie verhindern, niemand sie aufhalten. Charles Johnston drückt das in seinem Kommentar mit folgenden Worten aus:

«Auf gleiche Weise fasst die lenkende, auswählende Macht, die ein Strahl des höheren Selbstes ist, aus verschiedenen Leben, Zeiten und Orten jene Gedankenbilder zusammen, die sich in den Rahmen eines einzelnen Lebens oder eines winzigen Ereignisses einfügen lassen. Durch diese Gruppierung kommen sichtbare physische Konstitutionen und äussere Umstände zustande, und dadurch wird die Seele belehrt und geschult.

So wie sich die dynamischen Gedankenbilder des Wunschlebens zu körperlichen Zuständen und äusseren Verhältnissen entwickeln, genauso wirken sich die viel stärkeren [395] Kräfte der geistigen Aspiration, (des Strebens der Seele nach dem Ewigen) in einer subtileren Welt aus und erschaffen die Hülle des geistigen Menschen».

10. Da das Verlangen nach Leben ewig ist, haben die vom Denken geschaffenen Formen keinen erkennbaren Anfang.

Statt der Worte «Verlangen nach Leben» könnte man auch sagen «der Wunsch nach Erleben». Alle eigenbewussten Lebensträger unseres Systems, die eine Gestalt annehmen, (seien es übermenschliche Wesenheiten oder Menschen) haben den angeborenen natürlichen Wunsch, zu sein, das Verlangen zu werden, den Drang, mit dem Unbekannten und Fernen in Berührung zu kommen. Es ist uns nicht möglich, diesen Drang zu begreifen, der kosmisch ist und auf dem Entwicklungszustand des grossen Lebensträgers beruht, in dem wir leben, weben und sind, und in dessen Körper eine jede Form nur eine Zelle oder ein Atom ist. Aber der Mensch kann sich das Instrument schaffen, das ihm ein Begreifen möglich macht. Und er kann die Kräfte entwickeln, die ihn befähigen, mit der Wirklichkeit, die in ihm selbst liegt und auch ausserhalb seiner selbst besteht, in Kontakt zu kommen und in Verbindung zu bleiben. Dann erkennt er, dass die Wünsche, die ihn treiben und zum Handeln bringen, die Sehnsüchte, die ihn zu mancherlei Tätigkeiten drängen, nicht nur persönlich und real, sondern auch ein Teil der Aktivität des Ganzen sind, von dem er ein winziger Teil ist. Er entdeckt, dass der Strom der vom Verlangen getriebenen Gedankenbilder, die ihn beschäftigen und fesseln und die treibende Kraft seines Lebens sind, zum Teil von ihm selbst erschaffen ist, dass sie [396] aber zum Teil auch aus kosmischen Gedankenbildern stammen, die dem universalen Denken entspringen und vom kosmischen Denker erschaffen wurden, der als das Lebenszentrum unseres Sonnensystems wirkt.

So wird die Wahrheit und Lehre, die in den drei vorhergehenden Büchern formuliert wurde, aus dem Bereich des Persönlichen und Individuellen herausgehoben und wird viel weiter und umfassender. Für den Menschen haben demnach die Gedankenbilder, die Folgen des Wünschens und Denkens, keinen erkennbaren Anfang. Sie umgeben ihn von allen Seiten; der Strom ihrer Tätigkeit wirkt unaufhörlich auf ihn ein und ruft in ihm jene Resonanz hervor, die beweist, dass in ihm selbst das Verlangen lebendig ist.

Darum müssen bei ihm zwei neue Tätigkeiten hinzukommen; erstens müssen die Sehnsüchte und Wünsche nach sinnlicher Wahrnehmung, die in ihm selbst vorhanden sind, umgewandelt und überwunden werden; und zweitens hat er die Aufgabe, sich von der Anziehungskraft und dem Einfluss jener grösseren Strömung von Gedankenbildern zu lösen, die ewig bestehen. Nur so kann er den «Zustand des losgelösten Eins-Seins» erreichen, der in Buch III, Lehrspruch 50, beschrieben ist.

11. Die Formen werden erschaffen und zusammengehalten durch das Verlangen (die Auswirkung), durch mentale Lebenskraft oder den Lebenswillen, und durch die Stütze oder den Halt, den ihnen das nach aussen gerichtete Leben (oder Objekt) gibt. Wenn diese Faktoren keine Anziehungskraft mehr ausüben, dann hören auch die Formen auf zu bestehen.

Dieser Lehrspruch bringt ein Naturgesetz so klar zum Ausdruck, [397] dass nur eine kurze Erklärung nötig ist. Eine knappe Analyse der hier gegebenen Belehrung könnte jedoch von Nutzen sein.

Es wird uns gesagt, dass vier Faktoren zum Dasein von Gedankenbildern oder von Formen beitragen, die als Folge der Wunschnatur entstehen.

1. Die zugrundeliegende Ursache                                               das Verlangen

2. Die Auswirkung oder Folge                                                      die Persönlichkeit 

3. Der Lebenswille                                                                          die mentale Lebenskraft

4. Das sich nach aussen richtende Leben                                  das Objekt

Wenn die Ursache (das Verlangen) ihre Wirkung, nämlich die Persönlichkeit oder den Formaspekt des Menschen hervorgebracht hat, dann wird die Form so lange weiterleben, wie der Wille zum Leben besteht. Ihr Dasein wird durch mentale Lebenskraft erhalten. Das hat sich in den Annalen der Medizin immer wieder gezeigt, denn es hat sich erwiesen, dass das Leben auf der physischen Ebene wahrscheinlich so lange dauert, wie der Lebenswille besteht; in dem Augenblick aber, da dieser Wille nachlässt, oder wenn der im Körper Wohnende an der körperlichen Erscheinungsform nicht mehr interessiert ist, tritt der Tod ein, und es kommt zur Auflösung der Gedankenform, des Körpers.

Es ist interessant, die okkulte Bedeutung zu beachten, die in den Worten liegt: «die Stütze oder den Halt, den ihnen das nach aussen gerichtete Leben (oder Objekt) gibt». Diese Worte bestätigen nämlich die okkulte Lehre, dass der Lebensstrom von seinem Ursprung herabströmt und sein Objekt (oder seine endgültige Manifestation) im Lebens- oder Ätherkörper findet, der die wahre Substanz einer jeden Form ist und die Stütze oder das Gerüst des dichten physischen Körpers bildet.

Diese vier Faktoren können in zwei Gruppen oder Gegensatzpaare eingeteilt werden: Erstens, in die Ursache und die Wirkung, [398] und zweitens in den Willen-zu-sein und die eigentliche Form.

Während langer Zwischenräume im Entwicklungsprozess hat der Bewohner der Form einzig und allein am Objekt oder Formdasein ein Interesse; und das nach aussen strömende Leben ist der einzige Anziehungspunkt.

Aber in dem Mass, in dem sich das Rad dreht und Erfahrung auf Erfahrung gemacht wird, erreicht die Wunschnatur den Grad der Sättigung und ist befriedigt; nach und nach hört das Erschaffen von Gedankenformen auf, und es werden keine Wirkungen mehr hervorgerufen. Folglich entstehen keine Formen mehr, ein Leben in der äusseren Erscheinungswelt wird nicht mehr angestrebt, und so wird die Befreiung von Maja und Illusion erlangt.

12. Vergangenheit und Gegenwart bestehen wirklich. Die im Zeitbegriff der Gegenwart angenommene Form ist das Ergebnis entwickelter Eigenschaften und enthält latent die Keime zukünftiger Qualitäten.

Hier sind die drei Aspekte des Ewigen Jetzt formuliert. Wir begreifen, dass das, was wir heute sind, das Ergebnis der Vergangenheit ist, und dass das, was wir in Zukunft sein werden, bedingt ist durch die Saat, die entweder in uns schlummert oder im gegenwärtigen Leben gesät wird. Das, was in der Vergangenheit gesät worden ist, ist existent, nichts kann die Ausreifung dieser Saat aufhalten oder verhindern. Sie muss in diesem Leben Früchte tragen oder so lange verborgen bleiben, bis ein günstigerer Boden und passendere Bedingungen sie keimen, wachsen und in das klare Licht des Tages kommen lässt. Nichts ist verborgen, das nicht offenbar werden [399] wird, nichts so geheim, dass es nicht bekannt würde. Die Aussaat von neuem Samen und das Einleiten von Handlungen, die sich zu irgendeiner späteren Zeit auswirken müssen, hängt jedoch ganz vom Willen des Menschen ab. Durch unermüdliches Streben nach Leidenschaftslosigkeit und Nicht-Anhangen, und durch beharrliche Beherrschung der Wunschnatur wird es dem Menschen möglich, sich umzustellen, so dass seine Aufmerksamkeit nicht mehr durch den Strom von Gedankenbildern nach aussen gelenkt wird, sondern nach innen gerichtet und völlig auf die Wirklichkeit konzentriert ist.

Das wird dadurch angebahnt, dass zunächst das Instrument des Denkens, das Denkvermögen beherrscht wird, und dass die Modifikationen des Denkprinzips überwunden werden. Sodann wird dieser Mechanismus nicht mehr dazu benutzt, um ein grösseres Wissen über die Welt der Materie zu erlangen, sondern vielmehr dazu, um ein Wissen über das Reich der Seele zu erlangen. So wird wiederum Befreiung erreicht.

13. Die Eigenschaften - ob latent oder wirksam - nehmen die Natur oder das Wesen der drei Gunas (der Eigenschaften der Materie) an.

Die kennzeichnenden Eigenschaften sind in Wirklichkeit die Qualitäten, Fähigkeiten und Anlagen, die der Mensch zum Ausdruck bringt oder bringen kann, wenn die richtigen Bedingungen gegeben sind. Diese sind, wie wir gesehen haben, die Folgen oder Auswirkungen seiner gesamten Erfahrungen, die er im vergangenen Leben bis auf den heutigen Tag gemacht hat. Alles, was er in der Gegenwart ist und hat, ist das Produkt aller Kontakte, Entfaltungen und Entwicklungen, die er seit seiner Individualisierung bis zum gegenwärtigen [400] Dasein erlebt hat. Es ist zu beachten, dass alle diese Faktoren, die unter der allgemeinen Bezeichnung «Eigenschaften» zusammengefasst sind, mit der Form und deren Empfänglichkeit für das innewohnende geistige Leben zu tun haben.

Diese Eigenschaften werden in dem Tempo entwickelt, wie das innewohnende geistige Leben die Substanz der Formen beeindrucken, seinem Willen unterwerfen und kontrollieren kann. Die Form hat gewisse, ihrer Natur innewohnende Schwingungsfähigkeiten. Dadurch, dass der Bewohner sich mit der Form identifiziert und sie benützt, entwickelt er zwei Gruppen von Eigenschaften. Die eine manifestiert sich in der Form des niederen Selbstes und betrifft die Fähigkeit der Form, sich inneren Einflüssen und der äusseren Umwelt anpassen zu können. Die andere Kategorie bezieht sich auf Tendenzen und Impulse, die bestrebt sind, ständig auf den Körper des höheren oder kausalen Selbstes einzuwirken. Daher haben diese Eigenschaften in beiden Fällen mit dem Rhythmus oder den Eigenschaften der Materie zu tun.

Man könnte sagen, dass das, was wir sind, das Produkt der Vergangenheit ist und sich als charakteristische Eigenschaften der Persönlichkeitsform zeigt. Was wir in der nächsten Verkörperung sein werden, wird dadurch bestimmt, inwieweit der geistige Mensch imstande ist, das persönliche Selbst zu beeinflussen, es auf höhere Ziele hinzulenken und dessen Schwingungsfrequenz zu erhöhen. Der Mensch ist bei seinem Austritt aus der Verkörperung ein anderer, als er es bei seinem Eintritt in die Verkörperung war, denn er ist dann das Produkt der Vergangenheit plus dem, was er im gegenwärtigen Leben erreicht hat. Dieser Fortschritt brachte ihn - unter dem starken Antrieb der Evolution - in einen sattvischen oder rhythmischen, harmonischen Zustand, hinweg vom tamasischen [401] Zustand der Beharrung, der Trägheit. Das wird dadurch erreicht, dass dem Menschen der Tätigkeitstrieb, das Wesensmerkmal des mittleren Guna, aufgezwungen wird, der vorwiegend die nach aussen gerichtete Tätigkeit beherrscht und den Menschen in die Sinneserfahrung treibt.

14. Die Manifestation der objektiven Form ist die Folge davon, dass die Ursache (die Vereinheitlichung der Chitta Modifikationen) unablässig ihr Ziel verfolgt und so die Wirkung hervorbringt.

Der Antrieb zur Involution oder zum Annehmen einer Form ist die Folge egoischen Denkens, das so stark und zielstrebig ist, dass die objektive Manifestation zwangsläufig erfolgen muss. Das Chitta oder die Denksubstanz wird in dem grossen Prozess der Formen-Annahme so vereinheitlicht, und das Verlangen, durch Kontakte auf der physischen Ebene Erfahrungen zu sammeln, ist so vorherrschend, dass die vielen Modifikationen des Denkens alle auf das gleiche Ziel gerichtet sind.

Wenn der Zustand umgekehrt ist und der Mensch auf der physischen Ebene seine Befreiung erlangt, so geschieht das nach der gleichen Methode, nämlich durch Konzentration auf dieses Ziel und durch Vereinheitlichung. Der alte Kommentar erläutert dies in einigen Worten, die sich auf die Symbolik des fünfstrahligen Sterns beziehen. Sie lauten wie folgt:

«Der Sturz führt hinab in die Materie. Der Punkt steigt hinunter durchstösst die Sphäre des Wassers und dringt ein in das, was träge, unbeweglich, dunkel, still und fernliegend erscheint. Der feurige Punkt und der Stein vereinigen sieh, und so sind Harmonie und Einheit auf dem abwärtsführenden Weg erreicht.

«Der Flug [402] geht aufwärts, in das Geistige. Der Punkt steigt auf, die beiden mit sich emporhebend, und er lässt die Drei und Vier nach dem streben, was hinter dem Schleier liegt. Das Wasser kann den feurigen Punkt nicht auslöschen; so trifft Feuer auf Feuer und verschmilzt miteinander. Harmonie und Einssein auf dem aufwärtsführenden Bogen sind erreicht. So wird die Sonne ihre Bahn nordwärts ziehen».

15. Bewusstsein und Form sind verschieden und voneinander getrennt; obwohl die Formen ähnlich sein mögen, so kann dennoch das Bewusstsein auf verschiedenen Seins-Ebenen wirken.

Dieser Satz sollte nicht ohne den folgenden Lehrspruch betrachtet werden, der auf die Tatsache der einen grossen Denkkraft oder des einen grossen Lebens hinweist, das die mächtige Ursache aller differenzierten kleineren Denkkräfte und Lebewesen ist. Diese Tatsache muss stets beachtet werden. Drei Hauptgedanken sind in diesem Lehrspruch enthalten.

Erstens, dass es zwei grosse Entwicklungslinien gibt. Die eine betrifft Materie und Form, die andere die Seele, den Bewusstseins-Aspekt, den Denker in der Form. Der Weg und Verlauf des Fortschritts ist für beide verschieden, und jeder folgt seinem eigenen Kurs. Es wurde bereits gesagt, dass sich die Seele lange Zeit hindurch mit dem Form-Aspekt identifiziert und den, «Weg des Todes» geht, denn das ist der dunkle Pfad tatsächlich für den Denker. Später hört diese Identifizierung als Folge angestrengten Bemühens auf. Die Seele wird sich ihrer selbst und ihres eigenen Weges (oder Dharmas) bewusst und geht dann den Weg des Lichtes und Lebens. Man sollte indes beachten, dass für beide Aspekte der bestimmungsgemässe Weg der richtige ist, und dass die Impulse, die im physischen Körper und im Astralkörper verborgen liegen, an sich nicht [403] falsch sind. Sie werden in gewisser Hinsicht verkehrt, wenn ihre richtige Entwicklungslinie nicht beachtet wird; und diese Erkenntnis war es, die Hiob ausrufen liess: «Ich habe das verkehrt, was richtig war». Die beiden Entwicklungen verlaufen getrennt und sind voneinander verschieden; und das muss jeder Aspirant lernen.

Wer das erkannt hat, ist bestrebt, die Entwicklung seiner Formen auf zwei Arten zu unterstützen; erstens, indem er sich nicht mit ihnen identifiziert; und zweitens, indem er sie stimuliert.

Durch das Hereinbringen von geistiger Kraft erkennt er auch den Punkt der Entwicklung, an dem sich seine Brüder befinden, und er hört auf, sie für Handlungen zu kritisieren, die ihm als falsch erscheinen, die aber für sie natürliche Aktivitäten der Form sind, und zwar so lange, wie Form und Seele als ein und dasselbe angesehen werden.