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1. Buch - Das Problem der Vereinigung - Teil 3

II. Das Heilige Wort. Das ist das Wort der Herrlichkeit, das Aum. Es ist das Pranava, die Schwingung des bewussten Lebens selbst, das allen Formen eingehaucht wird. Es ist das Wort des zweiten Aspekts; so wie das in der richtigen Weise lautgewordene Wort [55] der Natur die Formen entstehen lässt, welche die Seele (den zweiten Aspekt) offenbaren sollen, genau so bringt das richtige intonierte Pranava vermittels der Seele den Vater (oder Geist) zum Ausdruck. Es ist das Wort der inkarnierten Gottessöhne. In einem so kurzen Kommentar wie diesem ist es nicht möglich, eine Abhandlung über dieses geheimste der Geheimnisse, über dieses grosse Mysterium aller Zeiten zu schreiben. Man kann lediglich gewisse Fakten über des Aum miteinander vergleichen, und es muss dem Suchenden überlassen bleiben, den Gedanken weiter auszuspinnen und die Bedeutung der kurzen Angaben (entsprechend dem Grad seiner Intuition) zu erfassen.

III. Das verlorengegangene Wort. Die Grundidee dieses verlorengegangenen Wortes ist uns in der Freimaurerei erhalten geblieben. Es ist das Wort des ersten Aspekts, des Geist-Aspekts; nur ein Eingeweihter dritten Grades kann die Suche nach diesem Wort regelrecht aufnehmen, denn nur die befreite Seele kann es finden. Dieses Wort bezieht sich auf die höchsten Einweihungen, weshalb es für uns keinen Zweck hat, weiter darauf einzugehen.

Die folgenden Aussagen, die über das Heilige Wort gemacht werden können, sollten darum mit Sorgfalt studiert werden.

1. Aum ist das Wort der Herrlichkeit; es ist der Christus in uns, die Hoffnung auf Herrlichkeit.

2. Wenn das Wort richtig verstanden wird, veranlasst es den zweiten Aspekt, den Christus-Aspekt der Göttlichkeit, strahlend in Erscheinung zu treten.

3. Es ist der Ton, der die (makrokosmisch oder mikrokosmisch) inkarnierte Seele, das Ego, den Christus, in die Welt der Formen bringt und bewirkt, dass der «strahlende Augoëides» auf Erden gesehen werden kann.

4. Es ist [56] das Wort, welches das Bewusstsein freisetzt und - richtig verstanden und gebraucht - die Seele von den Begrenzungen der Form in den drei Welten befreit.

5. Das Aum verbindet die drei Aspekte zu einer Einheit; daher ist es in erster Linie das Wort des Menschenreiches, in welchem die drei Ströme göttlichen Lebens - Geist, Seele und Körper zusammentreffen.

6. In einem besonderen Sinn ist es auch das Wort der fünften, der arischen Rasse. Die Aufgabe dieser Rasse ist es, in einer neueren und vollkommeneren Weise das Wesen der inneren Identität, der Seele in der Form, den Sohn des Denkens, den Sonnenengel, das fünfte Prinzip, zum Ausdruck zu bringen.

7. Die Bedeutung dieses Wortes wird erst dann klar, wenn das «innere Licht» erlebt wurde. Durch dessen Anwendung wird der «Funke» zum strahlenden Licht, das Licht zur Flamme, und die Flamme schliesslich zu einer Sonne. Durch dessen Anwendung «geht die Sonne der Gerechtigkeit» im Leben eines jeden Menschen auf.

8. Jeder der drei Buchstaben hat eine Beziehung zu den drei Aspekten, und ein jeder kann auf jedwelche bekannte Dreiheit angewendet werden.

9. Der Meister, der Innengott, ist in Wahrheit das Wort, das Aum, und für diesen Meister (der sich im Herzen aller Menschen befindet) trifft es zu, dass «Am Anfang das Wort war», und das Wort bei Gott (daher Dualität), und Gott das Wort war. Durch dessen Anwendung kommt der Mensch zur Erkenntnis.

a. seiner eigenen essentiellen Göttlichkeit;

b. des Zwecks, eine Form anzunehmen;

c. der Beschaffenheit [57] und Struktur dieser Formen;

d. der wahren Natur des Bewusstseins, also der Beziehung des göttlichen Selbstes (des Geistes) zur Form, seinem Gegenpol. Wir nennen diese Beziehung in ihrer entwicklungsgemässen Entfaltung und Auswirkung Bewusstsein; und das wesentliche Merkmal dieses Bewusstseins ist Liebe.

10. Der Guru oder Meister, der einen Schüler bis zum Tor der Einweihung führt und über ihn bei allen Anfangsprüfungen und weiteren Tests wacht, repräsentiert ebenfalls das Wort; durch die wissenschaftliche Anwendung dieses grossen Tones erzeugt er eine gewisse Stimulierung und Vitalisierung der Zentren des Jüngers und macht dadurch gewisse Entfaltungen möglich.

Mehr kann über das Heilige Wort nicht mitgeteilt werden. Das bisher Gesagte genügt, um dem Aspiranten dessen Zweck und Wirkungskraft anzudeuten. Wenn der Schüler - durch Studium und eigene Anstrengung - zu richtigen Schlussfolgerungen kommt, werden zu gegebener Zeit und auf andere Weise weitere Informationen erteilt werden. Man könnte noch folgendes hinzufügen: Wenn man über dieses grosse Wort meditiert, findet man den Schlüssel zur wahren esoterischen Bedeutung der Worte in der Geheimlehre von H. P. Blavatsky:

«Wir betrachten das Leben als die eine Daseinsform, die sich in dem manifestiert, was wir Materie nennen; oder als das, was wir fälschlicherweise im Menschen trennen und Geist, Seele und Materie nennen. Materie ist der Träger für die Manifestation der Seele auf dieser Daseinsebene, und Seele ist der Träger auf einer höheren Ebene [58] für die Manifestation des Geistes; und diese drei sind eine Trinität, die verbunden ist durch das Leben, das alle durchdringt».

28. Wer das Wort ertönen lässt und über dessen Bedeutung nachdenkt, findet den Weg.

Das ist eine ganz allgemein gehaltene Formulierung, die indes den Sinn der im Sanskrit gebrauchten Begriffe richtig wiedergibt.

Unter den vielen Übersetzern deutet nur Vivekananda diesen Lehrspruch in der gleichen Weise, nämlich folgendermassen:

«Das wiederholte Intonieren des OM und das Meditieren über dessen Bedeutung (ist der WEG)».

Die anderen Übersetzer lassen die drei letzten Worte aus, obwohl die Schlussfolgerung klar ist.

Der Ausdruck «das Wort ertönen lassen» darf nicht zu wörtlich genommen werden. Das esoterische «Intonieren» gründet sich auf das Studium des Gesetzes der Schwingung; und es ist ein allmähliches Einstimmen der niederen Schwingungen der Bewusstseinshüllen, so dass sie mit dem Ton (oder der Schwingung) des bewussten Einwohners zusammenstimmen. Genau genommen soll die Seele (das Ego) auf ihrer eigenen Ebene das Wort ertönen lassen; die Schwingung wird dann auf die verschiedenen Körper oder Träger, in denen diese Seele wohnt, einwirken. Es ist daher ein mentaler Vorgang, der nur von denen richtig durchgeführt werden kann, die durch Meditation, Selbstdisziplin und selbstlosen Dienst - eine bewusste Einswerdung mit der Seele erlangt haben. Aspiranten, die diesen Zustand erstreben, bedienen sich der machtvollen Faktoren [59] der Einbildungskraft, der bildlichen Vorstellung und der Ausdauer in der Meditation, um dieses Anfangsstadium zu erreichen. Hier muss bemerkt werden, dass dieses Stadium wenigstens teilweise erreicht sein muss, ehe der Aspirant ein angenommener Jünger werden kann.

Das Anstimmen des Wortes ist ein zweifacher Vorgang; diese Bemerkung ist wichtig.

Da ist zuerst der Akt des Egos, des Sonnenengels, des höheren Selbstes, der Seele, die das Wort von ihrer Wohnstätte aus (im abstrakten Bereich der Mentalebene) lautwerden lässt. Sie lenkt diesen Ton über das Sutratma und die Bewusstseinshüllen zum physischen Gehirn des inkarnierten Menschen, zum Schatten oder Abbild. Diese «Tongebung» muss ständig wiederholt werden. Das Sutratma ist das magnetische Bindeglied, das in der Bibel der «Silberfaden» genannt wird; es ist jener Faden lebendigen Lichtes, der die Monade (den Geist im Menschen) mit dem physischen Gehirn verbindet.

Zweitens ist da das ernsthafte Nachsinnen des Menschen in seinem physischen Gehirn über diesen Ton, insoweit er ihn erkennt. Hier wird auf die zwei Pole des Seins hingedeutet: auf die Seele, und auf den Menschen in der Verkörperung; zwischen diesen beiden verläuft der Faden, über den die Schwingungen des Pranava (oder Wortes) laufen. Studenten der esoterischen Wissenschaft müssen die Technik der hier dargestellten Vorgänge beachten. Beim Ertönen des Wortes werden folgende Faktoren wirksam:

1. Die Seele, die es anstimmt und aussendet.

2. Das Sutratma, der Faden, dem entlang der Ton schwingt und weitergeleitet wird.

3. Die Bewusstseinshüllen (die [60] mentale, emotionale und ätherische), die daraufhin in Resonanz mitschwingen und dadurch angeregt werden.

4. Das Gehirn, das so geschult werden kann, dass es den Ton wahrnehmen und im Gleichklang mitschwingen kann.

5. Die darauf folgende Tätigkeit des Menschen in der Meditation. Er hört den Ton (manchmal die «stille, feine Stimme» oder die «Stimme der Stille» genannt); er erkennt ihn als das, was er ist, und assimiliert in tiefem Nachdenken die Ergebnisse der Tätigkeit seiner Seele.

Wenn der Aspirant später in die Geheimnisse weiter eingedrungen ist und gelernt hat, wie man die Seele und den niederen Menschen so vereinigt, dass sie als harmonische Einheit auf Erden wirken können, dann kommt er auch darauf, wie man das Wort auf der physischen Ebene anstimmen muss, um die inneren, verborgen ruhenden Kräfte zu wecken und dadurch die Zentren zu stimulieren. Auf diese Weise nimmt er in zunehmendem Mass am schöpferischen, magischen und psychischen Wirken der Manifestation teil; dabei hält er sich immer vor Augen, dass alles, was er tut, seinen Mitmenschen zum Wohle dient, und dass dadurch die Pläne der planetarischen Hierarchie gefördert werden.

29. Dadurch wird das Selbst (die Seele) erkannt, und es werden alle Hindernisse beseitigt.

Wenn der Meister im Innern erkannt wurde, macht sich seine Kraft in zunehmendem Mass bemerkbar; und der Aspirant unterstellt seine gesamte niedere Natur diesem neuen Beherrscher.

Hier muss bemerkt werden, dass die schliessliche und völlige Beseitigung [61] aller Hindernisse erst nach der ersten intuitiven Erkenntnis erfolgen kann. Die Entwicklung verläuft folgendermassen:

1. Streben nach Kontakt mit der Seele.

2. Erkennen der Hindernisse, also ein Verstehen dessen, was das wahre Kennenlernen verhindert.

3. Verstandesmässiges Begreifen der Wesensart dieser Hindernisse,

4. Der Entschluss, sie zu beseitigen.

5. Ein plötzliches blitzartiges Erschauen der Wirklichkeit der Seele.

6. Erneutes Streben und eine feste Entschlossenheit, diese flüchtige geistige Schau zur dauernden Wirklichkeit im Erleben der niederen Ebene zu machen.

7. Der Kampf auf dem Schlachtfeld Kurukshetra, wobei Krishna (die Seele) den Aspiranten Arjuna zu weiterem, beständigem Bemühen anfeuert. Der gleiche Gedanke ist im Alten Testament zu finden, da, wo Joshua vor den Mauern von Jericho steht.

Hier wäre es gut, die Erläuterung mit den Lehrsprüchen 31, 32, 33 und 34 aus dem Buch IV zu beenden:

31. Wenn durch die Beseitigung aller Hindernisse und durch die Läuterung aller Hüllen dem Menschen das gesamte Wissen zu Gebote steht, hat er sein Ziel erreicht.

32. Die durch die drei Guna-Qualitäten bewirkten Veränderungen der Denksubstanz (der Qualitäten der Materie) hören nun auf, denn sie haben ihren Zweck erfüllt.

33. Der Begriff Zeit, die Aufeinanderfolge von Veränderungen im Denken, hört gleichfalls auf und wird zum EWIGEN JETZT.

34. Der Zustand des losgelösten Eins-Seins wird möglich, wenn die drei Qualitäten der Materie (die drei Gunas oder Wirkungskräfte der Natur A.B.) auf das Selbst keinen Einfluss mehr ausüben. Das reine Geist-Bewusstsein zieht sich in das EINE, die absolute Wirklichkeit zurück.

30. Die Hindernisse [62] für das Erkennen der Seele sind: körperliches Unvermögen, geistige Trägheit, falsches Fragestellen, Zerstreutheit, Schlaffheit, Mangel an Gelassenheit, irrige Wahrnehmung, Unfähigkeit zur Konzentration, das Unvermögen, die erreichte meditative Haltung beizubehalten.

Hindernis I. Körperliches Unvermögen.

Es ist interessant, dass das erste Hindernis sich auf den physischen Körper bezieht. Aspiranten täten gut daran, das zu beachten; sie sollten versuchen, für den physischen Träger solche Massnahmen zu treffen, dass er den Anforderungen, die später an ihn gestellt werden, gewachsen ist. Diese Massnahmen sind beträchtlich und umfassen vier Gruppen:

1. Der Körper muss gegen Krankheit und Unpässlichkeit immun gemacht werden. Das ist an sich ein dreifacher Prozess, der folgendes bedingt:

a. Die gründliche Beseitigung vorhandener Krankheiten.

b. Die Verfeinerung und Reinigung des Körpers, so dass er schliesslich neu aufgebaut wird.

c. Den Schutz des Körpers vor künftigen Krankheitsanfällen und seine Nutzbarmachung als Werkzeug der Seele.

2. Die Stärkung und Verfeinerung des Ätherkörpers, so dass schliesslich die Kräftelenkung ohne Schaden unternommen werden kann. Der Jünger muss die Kräfte, die er für sein Wirken braucht, durch seinen Körper leiten.

3. Die Erweckung und Entfaltung der Zentren im Ätherkörper, die Zentralisierung der Feuer des Körpers und deren richtiges Aufwärtslenken entlang der Wirbelsäule, um sie mit dem Feuer der Seele zu vereinen.

4. Die Koordinierung [63] des physischen und ätherischen Körpers und die darauf folgende Gleichschaltung mit der Seele; diese Gleichschaltung erfolgt über das Sutratma, den Faden, der das magnetische Bindeglied ist.

Die dritte erwähnte Massnahme kann ohne Gefahr erst dann ergriffen werden, wenn die ersten drei Hilfsmittel des Yoga bereits angewandt und entwickelt worden sind. Es sind dies:

1. Die fünf Gebote. (Siehe Buch II, Lehrsprüche 28-29)

2. Die fünf Regeln. (Siehe Buch II, Lehrsprüche 32-46)

3. Rechte Ausgeglichenheit. (Siehe Buch II, Lehrsprüche 46-48)

Das wird von den Yoga-Schülern oft vergessen. Dadurch entstehen schlimme Beschwerden und Störungen, die oft bei jenen Menschen auftreten, die sich vorzeitig mit dem Erwecken der Zentren und des Schlangenfeuers befassen. Erst wenn der Aspirant des Raja Yoga sich gegenüber seinen Mitmenschen in der richtigen Weise (entsprechend den Geboten) verhält; erst wenn er die dreifache niedere Natur (wie in den Regeln angegeben) geläutert und ausgeglichen hat; erst wenn er die emotionale Natur in einen ausgeglichenen und beherrschten Zustand gebracht und das rechte Gleichgewicht erreicht hat, kann er ohne Gefahr zur mehr esoterischen und okkulten Arbeit übergehen, die mit den Feuern seines kleinen Systems zusammenhängt. Dieser Punkt kann gar nicht stark genug betont werden. Erst in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium der Jüngerschaft besteht für den Menschen keine Gefahr mehr, sich bewusst mit [64] den Lebensfeuern zu befassen und ihr richtiges Emporsteigen längs der Wirbelsäule zu lenken. Es gibt bis jetzt nur wenige Menschen, die «das Gesetz und die Gebote gehalten haben».

Hindernis II. Mentale Trägheit.

Das nächste fundamentale Hindernis in der Reihenfolge ihrer verhältnismässigen Macht über den Durchschnittsmenschen ist die Unfähigkeit, das Problem des Erreichens klar durchzudenken. Wenn nicht klares Denken dem Handeln vorausgeht, wird man feststellen, dass der Antrieb nicht stark genug ist, und dass die Grösse des Problems nicht richtig eingeschätzt wird. Gedankliche Trägheit beruht auf dem lethargischen Zustand der «Bewusstseinshülle», die wir den Mentalkörper nennen, und auf dem schwerfälligen Denkrhythmus bei den meisten Menschen. Das ist der Grund dafür, dass Raja Yoga die mentalen Typen mehr anspricht als die gefühlsbetonten Enthusiasten; und das erklärt auch die Tatsache, dass Menschen mit einem gut ausgerüsteten und ständig tätigen Mentalkörper schneller in dieser heiligen Wissenschaft ausgebildet werden können. Bei den meisten Menschen muss erst der Mentalkörper geweckt, intellektuelles Interesse entwickelt und die Macht der Gefühle durch die Herrschaft des Denkens ersetzt werden, bevor die Notwendigkeit der Seelenpflege klar erkannt wird. Der Denkapparat muss benutzt werden, bevor das Wesen des Denkers richtig verstanden werden kann.

Wenn man das klar erkannt hat, wird man den Beitrag zur menschlichen Entwicklung, den die grossen Denk- und Glaubensrichtungen (wie z.B. Geistige Wissenschaft, Christliche Wissenschaft, Neugeist und andere Gruppen) dadurch leisten, dass sie die Bedeutung der geistigen Verfassung betonen, richtiger [65] bewerten. Die menschliche Familie beginnt erst jetzt, die «Bewusstseinshülle» (den Mentalkörper) richtig kennen zu lernen.

Die meisten Menschen müssen diesen Mentalkörper erst bilden. Aus den Reihen derer, die das tun, werden die wahren Raja Yogis hervorgehen.

Hindernis III. Falsches Frage-Stellen.

Das ist der nächste Zustand, der auch wieder durch einen gewissen Grad mentaler Entwicklung bedingt ist. Einige Übersetzer nennen es «Zweifeln». Dieses falsche Fragen kommt aus der niederen Wahrnehmung und beruht darauf, dass der wirkliche Mensch mit dem täuschenden Werkzeug, dem Mentalkörper, gleichgesetzt wird. Das führt den Menschen dazu, die ewigen Wahrheiten in Frage zu stellen, die Existenz der fundamentalen Wirklichkeiten zu bezweifeln und die Lösung seiner Probleme im Flüchtigen und Vergänglichen, und in sinnlich wahrnehmbaren Dingen zu suchen.

Es gibt ein Fragen, das richtig und gut ist. Es ist das «Stellen von Fragen», von dem Christus sprach, als er sagte: «Bittet, so wird euch gegeben». Diese Fähigkeit des Fragestellens wird von allen wahren Meistern im Orient bei ihren Jüngern mit Bedacht entwickelt. Sie lernen, Fragen über die inneren Wirklichkeiten zu formulieren und dann selbst die Antwort darauf in der Weise zu finden, dass sie nach der Quelle alles Wissens suchen, die in allen Wesen latent vorhanden ist. Um vernünftig zu fragen und die Antwort zu finden, müssen sie sich zuerst von jeder von aussen auferlegten Autorität freimachen, von allen Überlieferungen und von jedem Dogma, sei es religiöser oder wissenschaftlicher Art. Nur so kann die [66] Wirklichkeit gefunden und die Wahrheit erkannt werden.

«Wenn du durch das Gestrüpp der Täuschungen hindurchgegangen bist, wirst du dich nicht mehr kümmern um das, was gelehrt wird oder gelehrt worden ist.

Wenn dein Denken frei geworden ist von überlieferten Lehren, wenn es fest und unbewegt in der geistigen Schau verweilt, dann wirst du Vereinigung mit der Seele erlangen». Gita II. 51, 52. 

Hindernis IV. Unaufmerksamkeit.

Das hier gemeinte Verhalten des Denkens ist oft auch mit «Flatterhaftigkeit» übersetzt worden. Es ist tatsächlich jener unbeständige mentale Zustand, der es so schwer macht, Konzentration und Aufmerksamkeit zu erlangen. Es ist, genau genommen, die Neigung der Denksubstanz, Gedankenformen zu bilden, die auch beschrieben worden ist als «die Neigung des Denkens, von einem Objekt zum anderen zu flattern». Buch III, Lehrspruch 11.

Hindernis V. Schlaffheit.

Alle Erläuterer stimmen hier in der Übersetzung überein und gebrauchen die Ausdrücke Faulheit, Schlaffheit oder Trägheit. Damit ist weniger die geistige Trägheit gemeint (denn der Zustand kann mit scharfer geistiger Wahrnehmung verbunden sein), sondern mehr die Trägheit des gesamten niederen Menschen, die ihn daran hindert, seinem intellektuellen Erkennen und inneren Streben gemässe Fortschritte zu machen. Dem Aspiranten ist gesagt worden, was er zu tun hat, und die «Hilfsmittel des Yoga» sind ihm klargemacht worden. Er hat das Ideal flüchtig erblickt und ist sich der Hindernisse bewusst; er weiss theoretisch, welche Schritte er tun muss, aber es besteht keine Übereinstimmung zwischen seinem Handeln und seinem Wissen. Es besteht eine Lücke zwischen seinem Streben und seiner Leistung. Obwohl er den Wunsch hat, [67] das Ziel zu erreichen und Wissen zu erwerben, fällt es ihm zu schwer, die Bedingungen zu erfüllen. Sein Wille ist noch nicht stark genug, um ihn vorwärts zu treiben. Er lässt die Zeit verstreichen, ohne etwas zu tun.

Hindernis VI. Mangel an Gelassenheit.

Das ist von einigen Übersetzern mit «Hang zum Sinnengenuss» gut wiedergegeben worden. Es ist das Verlangen nach materiellen und sinnlichen Dingen, die Sinnesfreude an allem, was den Menschen immer wieder in den Zustand physischen Daseins zurückbringt. Der Jünger muss «Gelassenheit», also jene Einstellung pflegen, die sich niemals mit Formen irgendwelcher Art identifiziert, sondern stets gleichmütig und unberührt bleibt, frei von beengenden Umständen, die Besitz und Eigentum mit sich bringen. Dieser Gedanke kehrt in den verschiedenen Lehrsprüchen oft wieder, und es braucht daher hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden.

Hindernis VII. Irrige Wahrnehmung.

Die Unfähigkeit, richtig zu erkennen und die Dinge so zu sehen, wie sie in Wirklichkeit sind, ist die natürliche Folge der sechs vorhergehenden Hindernisse. Solange der Denker sich mit der Form identifiziert, solange ihn die geringeren Lebewesen der niederen Bewusstseinshüllen in Knechtschaft halten können, und solange er es ablehnt, sich vom materiellen Aspekt loszulösen, so lange werden seine Wahrnehmungen irrig bleiben. Es gibt verschiedene Arten des Sehens, die hier angegeben werden könnten:

1. Physisches Sehen offenbart uns die natürliche Beschaffenheit der physischen Ebene durch das Medium der Augen; durch die Linse des Auges wird der Aspekt der greifbaren Form auf den [68] wunderbaren Film, den ein jeder Mensch besitzt, übertragen. Dieses Sehen ist auf einen bestimmten Umkreis begrenzt.

2. Äherisches Sehen. Das ist eine Fähigkeit des menschlichen Auges, die sich immer mehr entwickelt und die schliesslich die Gesundheitsaura aller Formen in den vier Naturreichen offenbaren wird. So wird man die Prana-Ausstrahlungen aller lebendigen Zentren erkennen und feststellen können, in welchem Zustand sie sind.

3. Hellsehen. Das ist die Fähigkeit des Sehens auf der Astralebene und eine der niederen «Siddhis» oder psychischen Kräfte. Dieses Sehen wird ermöglicht durch ein an der Oberfläche liegendes Empfindungsvermögen des gesamten «Gefühlskörpers», der emotionalen Hülle; es ist sinnliche Wahrnehmung sehr fortgeschrittenen Grades. Dieses Hellsehen ist irreführend, und gesondert von seiner höheren Entsprechung, der geistigen Wahrnehmung, ist es die Apotheose von Maya und Illusion.

4. Sehen von Symbolen. Das ist eine Fähigkeit des Mentalkörpers und der Faktor, der das Sehen von Farben und geometrischen Symbolen, vierdimensionales Sehen und jene Träume und Visionen hervorruft, die das Ergebnis mentaler Aktivität, und nicht astralen Sehens sind. Häufig haben diese Gesichte den Charakter des Vorhersehens.

Diese vier Arten des Sehens sind die Ursache irriger Wahrnehmung; sie werden so lange nur Illusion und Irrtum erzeugen, bis einmal die höheren Formen des Sehens, die im folgenden angegeben werden, an ihre Stelle treten. Diese höheren Formen des Sehens schliessen die niederen ein.

5. Reine Schau. Darüber sagt Patanjali:

«Der Seher ist reines Erkennen (Gnosis). Obwohl es rein und klar ist, sieht [69] er den dargestellten Gedanken durch das Medium der Denkfähigkeit». (Buch II, Lehrspruch 20)

Die Worte «reines Erkennen» sind auch übersetzt worden mit «reines Schauen». Dieses Schauen ist eine Fähigkeit der Seele, die reines Wissen ist; es offenbart sich, wenn die Seele das Denkvermögen als Instrument des Schauens benutzt. Charles Johnston übersetzt den gleichen Lehrspruch so: «Der Seher ist reines Schauen ... er sieht (die dargestellte Idee) durch das Medium der Denkfähigkeit».

Es ist das klare Verstehen des Erkannten und ein vollkommenes Begreifen der Dinge der Seele, das den Menschen kennzeichnet, der durch Konzentration und Meditation Beherrschung des Denkens erreicht hat. Das Denken wird dann zu einem Fenster für die Seele, durch das der geistige Mensch in ein neues und höheres Reich des Wissens sehen kann. Gleichzeitig mit der Entfaltung dieser Art des Schauens wird die Zirbeldrüse tätig, und gleichlaufend damit entwickelt sich auch das dritte Auge (in ätherischer Materie).

6. Geistige Schau oder genaue, richtige Wahrnehmung. Diese Art des Sehens erschliesst die Welt der Intuition (der Buddhischen Ebene) und führt den Schauenden hinaus über die abstrakten Bereiche der Mentalebene. Auf diese Weise werden die Dinge des reinen Geistes, der Sinn und Zweck aller erschaffenden Welten erkannt, genau so wie das reine Erkennen es dem Menschen ermöglicht, die Quellen der reinen Wahrheit zu erschliessen. Mit der Entwicklung dieses Sehens wird das Kopfzentrum aktiv, und die tausendblättrige Lotosblüte entfaltet sich.

7. Kosmisches Sehen. Dieses Sehen ist für den Menschen unvorstellbar; es ist ein Erkennen oder Innewerden jener grossen Wesenheiten, Die sich durch eine Kette von Planeten innerhalb eines Sonnensystems manifestieren, so wie sich der Mensch durch seine Körper [70] manifestiert. Durch das Studium dieser Arten der Wahrnehmung wird der Schüler zu einer richtigen Einschätzung der Arbeit kommen, die er zu leisten hat. Er kann dadurch feststellen, wo er zur Zeit steht, und er kann sich infolgedessen verständnisvoll auf den nächsten Schritt vorbereiten.

Hindernis VIII. Unfähigkeit zur Konzentration.

Die beiden letzten Hindernisse zeigen an, wie «das Alte vergehen» und der neue Mensch in Erscheinung treten kann. Dazu gehören nicht nur Selbstdisziplin oder die Unterwerfung der Körperhüllen, nicht nur Dienen oder Eins-sein mit dem Gruppenbewusstsein, sondern es gehören dazu auch die beiden Stufen der Konzentration (der Beherrschung des Denkens) und der Meditation, des ständigen Nachdenkens über das, was die Seele erspürt und erkannt hat. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden, weil es später behandelt wird.

Hindernis IX. Das Unvermögen, die erreichte meditative Haltung, beizubehalten.

Es dürfte klar geworden sein, dass es sich bei den ersten sechs Hindernissen um unrichtige Zustände, und bei den drei letzten um die Folgen dieser Zustände handelt. Sie enthalten einen Hinweis darauf, wie eine Befreiung von diesen falschen Bewusstseinszuständen erreicht werden kann.

Der nächste Lehrspruch ist interessant, da er die Wirkungen angibt, die [71] sich in jedem der vier Körper der niederen Natur bei jenem Menschen einstellen, der diese Hindernisse nicht überwunden hat.

31. Schmerz, Verzweiflung, falsch angebrachte körperliche Aktivität und falsche Lenkung (oder Steuerung) der Lebensströme sind die Folgen der Hindernisse in der niederen psychischen Natur.

Eine jede dieser vier Folgen drückt den Zustand des niederen Menschen aus; sie sind die Auswirkungen falscher Zentralisierung oder Identifizierung.

1. Schmerz ist die Auswirkung, die entsteht, wenn der Astral oder Emotionalkörper falsch polarisiert ist. Schmerz entsteht, wenn man es nicht fertigbringt, die Gegensatzpaare richtig auszugleichen. Er ist ein Anzeichen dafür, dass es an Ausgeglichenheit mangelt.

2. Verzweiflung ist die Auswirkung von Reue, die im Mentalkörper entsteht; sie ist ein Kennzeichen für das, was man «schuldbewusste Mentalnatur» nennen könnte. Der Aspirant hat eine Vorstellung von dem, was sein könnte, aber er hat die Hindernisse noch nicht überwunden; er ist sich bewusst, dass er immer wieder versagt, und das erfüllt ihn mit Ekel und versetzt ihn in einen Zustand der Reue, der Verzweiflung und Verzagtheit.

3. Falsch angebrachte körperliche Aktivität. Der innere Zustand wirkt sich auf der physischen Ebene als intensive Tätigkeit aus, als ein heftiges Suchen nach Lösung oder Trost, als beständiges Hin- und Her-Rennen auf der Suche nach Frieden. Sie ist in der jetzigen Zeit das Hauptmerkmal unserer mental eingestellten arischen Rasse und die Ursache des aggressiven, intensiven Bemühens, das man auf allen Gebieten des Lebens beobachten kann. Dazu haben die Erziehungsmethoden (welche die rasche Entfaltung des Mentalkörpers bezwecken) in hohem Mass beigetragen.

Die Stimulierung [72] der Mentalkörper der Menschen, das ist der grosse Beitrag, den die Erziehung in den Schulen, auf den Universitäten und anderen Ausbildungsstätten leistet. Das ist ein Teil des grossen Planes, der auf das eine Endziel, auf die Entfaltung der Seele hinarbeitet.

4. Falsche Lenkung der Lebensströme. Das ist die Auswirkung. die durch die innere Unruhe im Ätherkörper hervorgerufen wird. Für den Esoteriker gibt es zwei Lebensströme:

a. Den Lebensodem oder das Prana.

b. Die Lebenskraft oder die Feuer des Körpers.

Der Missbrauch des Lebensodems oder die falsche Nutzung des Prana ist die Ursache von achtzig Prozent der heute herrschenden physischen Erkrankungen. Die anderen zwanzig Prozent werden dadurch hervorgerufen, dass die Lebenskraft nicht richtig durch die Zentren zirkuliert; und davon sind hauptsächlich jene zwanzig Prozent der Menschheit betroffen, die man als mental polarisiert bezeichnen könnte. Für den Esoteriker, der die Befreiung erstrebt, liegt die Lösung des Problems jedoch weder in Atemübungen noch darin, dass er auf die sieben Zentren des Körpers einzuwirken sucht. Die Lösung besteht vielmehr darin, dass er sich innerlich intensiv auf eine rhythmische Lebensweise konzentriert, und dass er sein Leben überlegt und methodisch gestaltet. Wenn er das tut, wird sich eine harmonische Angleichung der feineren Körper mit dem physischen Körper einerseits und mit der Seele andererseits einstellen; daraufhin wird ganz von selbst eine ordnungsgemässe Regulierung der pranischen und vitalen Energien erfolgen.

32. Um die Hindernisse und ihre Begleiterscheinungen zu überwinden, muss der Wille intensiv auf eine Grundwahrheit (oder Prinzip} gerichtet werden.

Hier sollte der Yoga-Aspirant sich merken, dass es sieben Mittel [73] und Wege gibt, wie man Frieden erlangen und so das Ziel erreichen kann. Ein jedes dieser sieben Mittel hat eine deutliche Beziehung zu den sieben genannten Hindernissen.

Hindernis                                                                        Beseitigung durch:

1. Körperliches Unvermögen                                       gesunde, vernünftige Lebensführung. (1. 33)

2. Mentale Trägheit                                                        Kontrolle der Lebenskraft. (1. 34)

3. Falsches Fragestellen                                                Konzentriertes Denken. (1. 35)

4. Unaufmerksamkeit                                                   Meditation. (1. 36)

5. Faulheit                                                                       Selbstdisziplin. (1. 37)

6. Mangel an Gelassenheit                                           Korrekte Analyse. (1. 38)

7. Irrige Wahrnehmung                                                Erleuchtung. (1. 39)

Die Beseitigung dieser nachteiligen Zustände ist von grösster Wichtigkeit für die ersten Yoga-Stufen, weshalb sie im ersten Buch besonders betont wird.

Ein theoretisches Verstehen der Hindernisse und ihrer Beseitigung ist indes von geringem Nutzen, solange nicht der Wille eingesetzt wird. Nur die beständige, ausdauernde Willensanstrengung, die durch Denken wirksam wird, kann den Aspiranten aus der Dunkelheit ins Licht, und aus dem Zustand des Todes zur Unsterblichkeit führen.

Sobald das Prinzip erkannt worden ist, kann der Jünger in intelligenter Weise arbeiten; und darum ist es notwendig, dass die Prinzipien oder Qualitäten, auf Grund deren die Wahrheit über die Wirklichkeit oder Gott erkannt werden kann, richtig verstanden werden.

Alle Formen bestehen zu dem Zweck, um eine Wahrheit zum Ausdruck zu bringen. Dadurch, dass der göttliche Wille unaufhörlich in Allem wirksam ist, offenbart sich die Wahrheit durch das Medium der Materie. Wenn die Wahrheit oder das Grundprinzip erkannt wird, offenbart sich der Geist. Wenn der Jünger begreift, welches [74] Prinzip durch seine verschiedenen Formen, Hüllen oder Körper zum Ausdruck kommen soll, dann wird er auch wissen, wie er seinen Willen richtig lenken soll, um die gewünschten Zustände zu erreichen. Die Hüllen und Träger sind nur seine Manifestationskörper auf den verschiedenen Ebenen des Systems, und diese Hüllen müssen dasjenige Prinzip zum Ausdruck bringen, das die Haupteigenschaft oder Qualität der betreffenden Ebene ist. So sind zum Beispiel die sieben Prinzipien, die den Menschen betreffen, folgende:

1. Prana                        Lebensenergie                           Ätherkörper                                          physische Ebene.

2. Kama                        Wünschen, Fühlen                     Astralkörper                                          Astralebene.

3. Niederes Manas      konkretes Denken                     Mentalkörper                                        Mentalebene.
 
4. Höheres Manas       abstraktes Denken                    egoischer Körper                                  Mentalebene.

5. Buddhi                       Intuition                                       buddhischer Körper                             Buddhische Ebene.

6. Atma                          Geistiger Wille                              tmischer Körper                                  atmische Ebene.

Und das, was dem «grenzenlosen, unwandelbaren Prinzip» im Makrokosmos entspricht, die Monade (auf ihrer eigenen Ebene), das ist das siebte Prinzip. Man kann auch zu einer anderen Anzahl von Prinzipien kommen, denn Subba Row hat in gewisser Hinsicht recht, wenn er sagt, dass es nur fünf Prinzipien gibt. Die beiden höchsten - Atma und monadisches Leben - sind eigentlich keine Prinzipien.

Durch die bewusste Anwendung des Willens auf jeder Ebene wird der Träger beständig dazu gebracht, die eine Wahrheit immer genauer zum Ausdruck zu bringen. Das ist die wahre Bedeutung dieses Lehrsatzes und die Antwort auf die Frage, weshalb die Adepten bis jetzt immer noch diese Abhandlung über Yoga studieren. Sie erfassen noch nicht die ganze Wahrheit auf allen Ebenen; die [75] Grundregeln gelten überall, obwohl sie verschieden angewendet werden. Prinzipien sind auf alle Differenzierungen und auf alle Daseinszustände anwendbar.

Wenn ein Mensch die Bereiche erforscht, in denen sein Bewusstsein tätig ist; wenn er erkennt, welchen Träger er im jeweiligen Bereich benutzen muss; wenn er Klarheit gewinnt über die bestimmte göttliche Qualität, die der Körper zum Ausdruck bringen soll als einen Teil (oder Aspekt) der einen Wahrheit oder Wirklichkeit, dann wird er sich der bestehenden Unzulänglichkeiten, Hindernisse und Schwierigkeiten bewusst, die überwunden werden müssen. Dann folgt der Einsatz des Willens und dessen Konzentration auf das Prinzip oder auf die Qualität, die nach Ausdruck verlangt. So wird die niedere Manifestation in Übereinstimmung gebracht mit der höheren, denn «wie ein Mensch denkt, so ist er».

33. Die Ruhe des Chitta (der Denksubstanz) kann durch stetes Mitgefühl, Herzensgüte, Zielstrebigkeit und dadurch erlangt werden, dass man in Freud und Leid und gegenüber jeder Art von Gut und Böse gleichmütig gelassen bleibt.

In diesem Lehrspruch befassen wir uns mit dem physischen Körper, der auf der physischen Ebene Erfahrungen sammelt und dazu das Gehirnbewusstsein benutzt. Dieser Körper hat die Tendenz, sich allen anderen objektiven Formen zuzuwenden, und solange er noch nicht höher entwickelt ist, strebt er gern nach materiellen Dingen. Welcher Art diese Dinge sind, richtet sich nach dem Entwicklungszustand des erlebenden Egos. Das muss beim Studium dieses [76] Lehrspruchs sorgfältig beachtet werden, da sonst der Schluss des Satzes missverstanden wird. Alle Äusserungen der Kräfte des Guten und Bösen müssen klar unterschieden werden, ehe es zum Handeln kommt, denn das Gesetz wirkt sich in diesem Zusammenhang aus; aber die Befreiung von allen physischen Formen, die diese Energie annehmen mag, kann nur dann erreicht werden, wenn Gelassenheit gegenüber diesen Formen geübt wird. Das Mitgefühl, das hier gemeint ist, bezieht sich auf unser Verhalten zu allen Mitmenschen, zum vierten Naturreich; Güte kennzeichnet unsere Beziehung zum Tierreich, zum dritten Naturreich; Zielstrebigkeit (oder beharrliches Streben) betrifft unsere Beziehung zur Hierarchie des Planeten, und Gelassenheit bezieht sich auf alle Reaktionen des niederen persönlichen Ich. Der umfassende Geltungsbereich dieses Lehrspruchs ist daher klar, denn er betrifft alle Gehirnschwingungen des Jüngers.

Der physische Körper ist daher als ein Werkzeug anzusehen, das folgende Qualitäten zum Ausdruck bringen soll:

a. Hilfsbereitschaft für unsere Mitmenschen.

b. Gütige Behandlung des Tierreichs.

c. Dienst auf der physischen Ebene in Zusammenarbeit mit der Hierarchie.

d. Disziplinierung der physischen Gelüste, und unerschütterlicher Gleichmut gegenüber allen Formen, welche die Begierden und Sinne ansprechen, ganz gleich, ob es sich um harmlose oder um schädliche Dinge handelt; sie alle müssen überwunden werden.

Auf diese Weise wird Ruhe erreicht; Ruhe des Chitta (der Denksubstanz), Ruhe vor den Reaktionen des Gehirns, und schliesslich völlige Gelassenheit und Stille. Charles Johnston hat in seiner Übersetzung diesen Zustand gut charakterisiert, wenn er sagt: «Die psychische Natur gelangt in einen Zustand gottseligen Friedens»; der [77] Mensch bekundet Gesundheit, ein ausgeglichenes Wesen und völlig vernünftiges Denken und Handeln. Alle körperliche Unfähigkeit wird auf diese Weise überwunden, und das Wesen des Menschen kommt als Ganzheit zum Ausdruck.

34. Die Ruhe des Chitta kann auch durch Regulierung des Prana oder Lebensodems erreicht werden.

Patanjali gibt neben anderen Methoden zur Erreichung der «Ruhe des Chitta» auch den Pranayama (oder die Wissenschaft des Atmens oder der pranischen Energie) an. Er legt jedoch keinen besonderen Wert darauf. Wie bereits früher angedeutet wurde, ist Pranayama ein Ausdruck, der drei Wissensgebiete oder Verfahren bezeichnen kann, die alle aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind.

1. Die Wissenschaft des rhythmischen Lebens oder die Regulierung des täglichen tätigen Lebens durch planvolle Zeiteinteilung und durch kluge Nutzung des Raums. Dadurch wird der Mensch geschickt und tüchtig, er wird zum Schöpfer auf der physischen Ebene und zum Mitarbeiter an den Planungen der Hierarchie, die in zyklischer Entwicklung sichtbar werden.

2. Die Wissenschaft des Atmens, oder die Vitalisierung des niederen Menschen durch Ein- und Ausatmen. Der Mensch weiss, dass er, okkult gesehen, eine «lebendige Seele» ist, und er macht sich den Faktor des Atmens zunutze. Dadurch wird er sich der Einheit des Lebens bewusst und der Beziehung, die zwischen allen Formen besteht, in denen das Leben Gottes wohnt. Er wird sowohl ein [78] Bruder als auch ein Adept, und er weiss, dass Bruderschaft eine Tatsache in der Natur, und nicht bloss eine erhabene Theorie ist.

3. Die Wissenschaft von den Zentren, oder Laya-Yoga; das ist die Anwendung des Gesetzes auf die Kräfte der Natur und die wissenschaftliche Nutzbarmachung dieser Kräfte durch den Menschen. Das bedingt, dass man siebenfältige Energie entlang der Wirbelsäule durch die Zentren in einer bestimmten geometrischen Progression nach oben bis in den Kopf bringt. Das macht den Menschen zu einem Meister im Psychischen und bringt in ihm gewisse latente Kräfte zur Entfaltung; sobald dies der Fall ist, bringen sie ihn mit der Seele aller Dinge und mit der inneren Seite der Natur in Berührung.

Es ist bemerkenswert, dass dieses Mittel, Ruhe und Frieden zu erreichen, erst an zweiter Stelle steht, dass also die Methode, eine vernünftige, gesunde Lebensweise zu führen und infolgedessen einen gesunden physischen Körper zu entwickeln, den Vorrang hat. Späterhin, wenn Patanjali noch einmal auf die Regulierung des Atems und der Energieströme hinweist, setzt er diese Mittel an die vierte Stelle der Hilfsmittel zum Yoga und sagt: Diese Regulierung sollte erst dann versucht werden, wenn bereits eine richtige Ausgeglichenheit (das dritte Hilfsmittel) besteht, die dadurch erreicht wurde, dass die Gebote eingehalten und die Regeln (das erste und zweite Hilfsmittel) befolgt worden waren. Es ist ratsam, diese Hilfsmittel zu studieren und zu beachten, dass ein Interesse an den Zentren erst dann erlaubt ist, wenn der Mensch sein Leben bereits so ausgeglichen und seine Natur so gereinigt hat, dass keine Gefahr mehr besteht.

35. Beständigkeit des Denkens kann durch jene Konzentrationsarten erreicht werden, die mit den Sinneswahrnehmungen in Beziehung stehen.

Wir befassen uns mit jenen Arten der Entfaltung und Beherrschung, die schliesslich zu dem Zustand führen, der «gottseliger Frieden» genannt [79] wurde. Wir haben gesehen, dass richtige Gruppenbeziehungen und rhythmisches Leben den Zustand hervorrufen, in dem Ruhe der Träger (oder Körperhüllen) erreicht wird; der niedere Mensch kann dann den höheren oder geistigen Menschen angemessen widerspiegeln. Nun kommen wir zu bestimmten Aspekten der Philosophie des Raja Yoga. Der Schlüssel zum Verstehen dieses Lehrspruchs liegt in dem Wort Losgelöstsein. Der Aspirant wird, wenn er durch das Medium der fünf Sinne mit der Erscheinungswelt in Berührung kommt, allmählich immer mehr den Standpunkt eines Beobachters einnehmen. Sein Bewusstsein verlagert sich also aus dem Bereich der Sinnesträger in den des «Bewohners des Körpers».

Es ist interessant, was die Hindu-Lehre über die Benutzung der Zunge, der Nase und des Gaumens sagt. Die orthodoxe orientalische Lehre gibt folgende Hinweise:

Methode                                                                        Sinn                                          Ergebnis

1. Konzentration auf die Nasenspitze                       Riechen                                    Düfte.

2. Konzentration auf die Zungenwurzel                    Hören                                       Töne.

3. Konzentration auf die Zungenspitze                      Schmecken                              Hitze.

4. Konzentration auf die Zungenmitte                        Fühlen                                      Schwingung.

5. Konzentration auf den Gaumen                               Sehen                                       Bilder, Erscheinungen.

Der Aspirant darf diese Dinge nicht wörtlich nehmen oder gar versuchen, blindlings zu meditieren, zum Beispiel über die Zungenspitze. Die [80] Lektion, die nach dem Gesetz der Analogie gelernt werden soll, ist die, dass die Zunge symbolisch die schöpferische Fähigkeit, den dritten Aspekt, in seiner fünffältigen Natur verkörpert. Es ist aufschlussreich, die Beziehung zu erkennen, die zwischen den fünf Sinnen (hier im Bereich des Mundes zusammengefasst) und den fünf Strahlen besteht, die als zusammengefasste Einheit von Mahachohan (dem Oberhaupt des dritten Strahles oder Intelligenz-Aspekts auf unserem Planeten) beherrscht und gelenkt werden. Es wäre für den Studierenden nützlich, die Analogie auszuarbeiten, die zwischen den fünf Strahlen und den fünf Sinnen und dem Mund als Sprachorgan besteht. Im weiteren Verlauf des Studiums wird er erkennen, dass zwei andere physische Organe, die Hypophyse und die Zirbeldrüse, den beiden übrigen Aspekten - Liebe-Weisheit und Ordnungsmacht, Wille oder Zielsetzung - entsprechen. Diese sieben Punkte im Kopf, die sich alle innerhalb eines verhältnismässig kleinen Bereichs befinden, sind in physischer Materie die Symbole der drei grossen Aspekte, die als sieben in Erscheinung treten.

In dem Mass, in dem der Aspirant sich darauf einstellt, die Sinne zu beherrschen und alle seine Sinneswahrnehmungen kritisch zu untersuchen, verstärkt sich auch allmählich seine gedankliche Konzentration; der fortgeschrittene Yogi kann sich in jedem Augenblick mit irgendeiner Strahlen-Energie identifizieren und dabei - nach Belieben - die anderen ausschalten.

Der Schüler darf sich jedoch nicht einbilden, dass dieser «gottselige Friede» durch eine bestimmte Meditation über einen speziellen Sinn erreicht werden kann. Wenn man die Gesetze der Schöpfung und der Töne versteht, wenn man über den Mund als Resonanzboden sowie darüber nachdenkt, wieso und wodurch das Sprechen möglich wird, kann man ein Wissen um die schöpferischen Prozesse der Welt erlangen; der Mensch kann die Gesetze verstehen [81] lernen, nach denen alle Formen ins Dasein kommen. Die Sinne aller Yogis sind aussergewöhnlich geschärft; das ist eine Tatsache, die beachtet werden sollte.

36. Durch Meditieren über Licht und Strahlung kann man ein Wissen über den Geist gewinnen und so Frieden erlangen.

Hier muss beachtet werden, dass jede der oben angeführten Methoden gewisse Zentren betrifft. Es werden sieben Methoden des Erreichens genannt, und daraus können wir schliessen, dass dabei die sieben Zentren eine Rolle spielen.

Methode I. Lehrspruch 33. Solar Plexus Zentrum.