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5. KAPITEL - ORIENTALISCHE LEHRE ÜBER SEELE, ÄTHER UND ENERGIE

5. KAPITEL

ORIENTALISCHE LEHRE ÜBER SEELE, ÄTHER UND ENERGIE

«Wie der alles durchdringende Äther infolge seiner Subtilität unberührbar ist, ist auch die Seele, die jedem Körper innewohnt, unberührbar.

Wie die eine Sonne diese ganze Welt erleuchtet, so erleuchtet Er) der im Körper wohnt, den ganzen Ausdrucksbereich.

Diejenigen, welche mit den Augen der Weisheit den Unterschied zwischen dem Ausdrucksbereich und demjenigen, welcher den Ausdrucksbereich erkennt, und die Befreiung des Seins von der Natur wahrnehmen, gehen zum Höchsten.»

Diejenigen, welche mit den Augen der Weisheit den Unterschied zwischen dem Ausdrucksbereich und demjenigen, welcher den Ausdrucksbereich erkennt, und die Befreiung des Seins von der Natur wahrnehmen, gehen zum Höchsten.»
(Bhagavad Gita, XIII, S. 32, 33, 34)

Die Literatur des Ostens, die sich mit der Seele und ihrem Ausdruck, dem Äther - oder vitalen Körper befasst, ist ungeheuer. Durch die Upanishaden und die Puranas zerstreut sind tausende von Stellen, welche diese Lehre behandeln. Zwei der wichtigsten Auskunftsquellen sind die Shiv-Sambita und die Shatchakra Nirupanam.

John Woodroffe (Arthur Avalon) hat durch seine Bücher viel dazu beigetragen, dem Westen zu einer Kenntnis dieser östlichen Lehre und dieser Technik der Seelenentwicklung zu verhelfen. Er hat die Öffentlichkeit auch durch die Form, in der er sie dargestellt hat, vor einem zu schnellen Begreifen einer äusserst [93] gefährlichen Wissenschaft bewahrt. Auch ein kleines Buch von einem Hindu-Arzt, der in der westlichen Medizin und Wissenschaft gut bewandert ist, und das «The Mysterious Kundalin» («Die geheimnisvolle Kundalini») heisst, (Vasant G. Rele) ist von wirklichem Wert.

Die Gefahr dieser Wissenschaft ist denjenigen, die etwas davon wissen, wohlbekannt. Sie liegt in der Tatsache, dass es dem Menschen durch eine Kenntnis einer gewissen technischen Methode möglich wird, aktiv mit den Kräften seiner eigenen Natur, wie sie vermittels des vitalen Körpers funktionieren, zu arbeiten. Moderne Ärzte erkennen den Energiefaktor im Zusammenhang mit dem Menschen immer mehr. Die elektrische Natur des einzelnen Menschen ist eine natürliche Folge einer notwendigen Erkenntnis, dass der physische Körper, ebenso wie alle Formen in der natürlichen Welt, aus Atomen gebildet ist.

Der Wissenschaftler des Westens erkennt Äther und Bewegung. Der orientalische Lehrer spricht von der Akasha und vom Prana. Beide befassen sich mit dem vitalen Leben, das alle Formen durchdringt und die Ursache ihres Zusammenhaltens, ihrer Empfindungsfähigkeit und der Zeitdauer ihres Daseins ist. Die folgende Stelle aus der Kenopanishad wird dies bestätigen.

«Nicht manifestiert, formlos, der eine Lichtspender ist die Grosse Macht; aus ihr erschien der tönende Äther (Akasha). Er gebar den greifbaren Äther.

Aus dem greifbaren Äther kann der lichterzeugende und aus diesem der geschmackerzeugende Äther, aus diesem wurde der duftende Äther geboren. Dies sind die fünf Äther, und sie haben eine fünffache Ausdehnung.

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Aus diesen ging das Universum hervor; durch diese wird es erhalten, in diese verschwindet es, unter diesen zeigt es sich auch wieder.» (Kenopanishad - zitiert von Rama Prasad in Nature's Finer Forces (Die feineren Kräfte der Natur), S. 187-188)

Eine Ähnlichkeit zwischen dem lichterzeugenden Äther der alten indischen Schriften und den Lichtwellen des modernen Wissenschaftlers liegt auf der Hand. Rama Prasad zählt in seinem ausserordentlich interessanten Buch vier Zustände der subtilen Materie auf:

1. Prana oder Lebensmaterie

2. Psychische Materie

3. Mentale Materie

4. Spirituelle Materie,

und es wird offenbar, dass diese vier Eigenschaften von Energien sind, welche die Akasha als Ausdrucksmittel gebrauchen. Ein Studium der orientalischen Bücher gibt uns ein Bild einer materiellen Welt, die durch eine subjektive Welt von Kräften, die den Äther (Akasha) als Spielplatz gebrauchen und für alle Formen, Qualitäten und Differenzierungen in der phänomenalen Welt verantwortlich sind, ins Dasein gerufen worden ist und von ihnen beseelt wird.

Die folgenden Auszüge aus The Serpent Power (Die Schlangenkraft) geben die orientalische Lehre über Materie und Äther.

«Die moderne wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass diese originale Substanz nicht wissenschaftliche "Materie" sein kann - nämlich dasjenige, was Masse, Gewicht und Trägheit besitzt. Die Materie ist laut gängigen Hypothesen zu etwas entmaterialisiert [95] und reduziert worden, was sich stark von der "Materie", wie die Sinne sie erkennen, unterscheidet. Diese letzte Substanz wird für Äther in einem Zustand der Bewegung gehalten. Die heutige wissenschaftliche Hypothese scheint folgendermassen zu sein. Es gibt keine wissenschaftliche "Materie". Wenn sie vorhanden zu sein scheint, so ist dies eine Folge der Wirkung von Shakti als Maya. Der letzte und einfachste physische Faktor, aus dem das Universum hervorgegangen ist, ist die Bewegung einer Substanz und innerhalb von ihr, die "Äther" genannt wird, der keine wissenschaftliche "Materie" ist. Die Bewegungen dieser Substanz liessen den realistischen Gesichtspunkt der Vorstellung von "Materie" entstehen. Materie ist somit im Grunde eins, ungeachtet der Mannigfaltigkeit ihrer Formen. Ihr Grundelement ist letzten Endes von ein und derselben Art, und die Unterschiede in den verschiedenen Arten von Materie hängen von den verschiedenen Bewegungen des Elementarteilchens und seinen darauf folgenden Kombinationen ab. Wenn eine solche Einheit der Basis vorausgesetzt wird, ist es möglich, dass eine Form der Materie in eine andere übergehen kann.» (Avalon, A. (John Woodroffe): The Serpent Power (Die Schlangenkraft), S. 89)
In einem anderen Buch sagt Avalon:

«Erstens wird jetzt zugegeben, dass "Materie", selbst bei Hinzufügung aller möglichen Kräfte, zur Erklärung vieler Phänomene, wie beispielsweise des Lichtes, nicht ausreicht und es ist infolgedessen ein Artikel wissenschaftlichen Glaubens geworden, dass es eine Substanz gibt, die "Äther" genannt wird, einen Träger, der das Universum erfüllt und durch seine Schwingungen die Strahlungen des Lichtes, der Hitze, der Elektrizität und vielleicht einer Handlung aus der Entfernung transportiert, wie die Anziehung, die unter Himmelskörpern ausgeübt wird. Es wird jedoch gesagt, dass dieser Äther keine "Materie" ist, sondern sich ausserordentlich von ihr unterscheidet, und dass uns nur die Unzulänglichkeit unseres Wissens dazu zwingt, in unserer versuchsweisen Beschreibung derselben Vergleiche von der "Materie", in ihrem gewöhnlichen physikalischen Sinn, zu entleihen, der einzig und allein unseren Sinnen bekannt ist. Aber wenn wir die Existenz des Äthers als erwiesen [96] annehmen, wissen wir, dass "materielle" Körper, die in ihm eingebettet sind, ihre Plätze in ihm wechseln können. Tatsächlich ist es die charakteristische Eigenschaft der Schwingungen der Akasha Tattva - um einen indischen Ausdruck zu gebrauchen - den Raum zu bilden, in dem die anderen Tattvas und ihre Derivate existieren. Die westlichen rein "wissenschaftlichen" Theorien haben versucht, die Welt vermittels "Materie" und Äther als Material zu erbauen.» (Avalon, A.: Shakti and Shakta, S. 167)

Viele Leute pflegten über die Idee von Maya zu lachen, und einige tun es noch immer. War Materie nicht fest, dauerhaft und wirklich genug? Aber was sind wir (als physische Wesenheiten) im Grunde, der Wissenschaft gemäss? Die Antwort ist: Unendlich feine formlose Energie, die zu verhältnismässig dauerhaften, jedoch naturgemäss vorübergehenden Formen materialisiert. ... Der Prozess, durch den das Subtile allmählich immer gröber wird, fährt fort, bis es sich zu etwas entwickelt, was ein Freund von mir die "Rinde" aus fester Materie nennt (Parthivabhuta). Diese ist, solange sie erhalten bleibt, greifbar genug. Aber sie bleibt nicht ewig bestehen, und in einigen radioaktiven Substanzen wird sie vor unseren Augen aufgelöst.» (Avalon, A.: a. a. O., S. 170)

Vivekananda, der soviel getan hat, dem Westen die Seele Indiens zu offenbaren, sagt:

«Nach den Philosophen Indiens besteht das ganze Universum aus zwei Materialien, von denen das eine Akasha genannt wird. Er ist die allgegenwärtige, alles durchdringende Existenz. Alles, was Form hat, alles, was das Resultat der Verbindungen ist, ist aus diesem Akasha hervorgerufen worden. Akasha wird zur Luft, wird zu Flüssigkeiten, wird zu festen Körpern; Akasha wird die Sonne, die Erde, der Mond, die Sterne, die Kometen; Akasha wird der Körper, der Tierkörper, die Planeten, wird jede Form, die wir sehen, alles, was gefühlt werden kann, alles, was existiert. Akasha selbst kann nicht wahrgenommen werden, es ist so fein, dass es [97] über jegliche gewöhnliche Wahrnehmung hinausgeht; es ist nur dann sichtbar, wenn es grob geworden ist, Form angenommen hat. Am Anfang der Schöpfung gibt es nur dieses Akasha; am Ende des Zyklus lösen sich die festen Körper, die Flüssigkeiten und die Gase wieder zu Akasha auf, und die nächste Schöpfung geht auf ähnliche Weise aus diesem Akasha hervor.

Durch welche Macht wird das Universum aus Akasha geschaffen? Durch die Macht des Pranas. Ebenso wie Akasha das unendliche allgegenwärtige Material dieses Universums ist, ist Prana die unendliche allgegenwärtige manifestierende Macht dieses Universums. Am Anfang und Ende eines Zyklus wird alles zu Akasha, und alle Kräfte, die im Universum sind, werden wieder in Prana umgewandelt. Im nächsten Zyklus wird alles, was wir Energie nennen, alles, was wir Kraft nennen, aus diesem Prana hervorgerufen. Prana manifestiert als Bewegung, als Schwerkraft, als Magnetismus. Prana zeigt sich als Körpertätigkeit, als Nervenstrom, als Gedankenkraft. Vom Denken herab bis zur niedrigsten physischen Kraft ist alles nur die Manifestation des Pranas. Die Gesamtsumme aller Kräfte im Universum, der mentalen oder physischen wird, wenn sie in ihren Originalzustand zurückgeführt wird, Prana genannt.» (Vivekananda: Raja Yoga, S. 29, 30)

Ein moderner Schriftsteller, Ramacharaka, sagt:

«Um Missverständnisse zu vermeiden, die sich aus den verschiedenen Theorien hinsichtlich dieses grossen Prinzips ergeben, Theorien, die gewöhnlich mit einem dem Prinzip gegebenen Namen verbunden sind, wollen wir in dieser Arbeit von dem Prinzip als Prana sprechen, da dieses Sanskrit-Wort "Absolute Energie" bedeutet. Viele okkulte Autoritäten lehren, dass das Prinzip, das die Hindus Prana nennen, das Universalprinzip der Energie oder Kraft ist, und dass alle Energie oder Kraft aus diesem Prinzip hervorgeht oder vielmehr eine besondere Manifestationsform [98] dieses Prinzips ist. Wir können - wenn Sie wollen, - Prana als das aktive Lebensprinzip, als vitale Kraft betrachten. Es ist in allen Lebensformen zu finden, von der Amöbe bis zum Menschen - von der elementarsten Form des Pflanzenlebens bis zur höchsten Form des Tierlebens. Prana durchdringt alles. Es ist in allen Dingen zu finden, die Leben haben, und da die okkulte Philosophie lehrt, dass in allen Dingen Leben ist - in jedem Atom - und dass die scheinbare Leblosigkeit einiger Dinge nur ein niedrigerer Grad der Manifestation ist, können wir ihre Lehren verstehen, dass Prana überall, in allem ist. Prana darf nicht mit dem Ego verwechselt werden - jenem kleinen Teil des göttlichen Geistes in jeder Seele, um den herum sich Stoff und Energie sammeln. Prana ist nur eine Energieform, die das Ego in seiner materiellen Manifestation gebraucht. Wenn das Ego den Körper verlässt, reagiert das "Prana", da es nicht mehr unter Kontrolle des Ego ist, nur auf die Befehle der individuellen Atome oder Atomgruppen, die den Körper bilden, und wird, wenn der Körper sich zersetzt, in seine ursprünglichen Elemente aufgelöst. Jedes Atom nimmt genügend Prana mit sich, um es ihm zu ermöglichen, neue Kombinationen zu bilden. Das nicht gebrauchte Prana kehrt in das grosse universale Reservoir zurück, von dem es kam. Wenn das Ego herrscht, besteht Kohäsion, und die Atome werden vom Willen des Egos zusammengehalten.

«Prana ist der Name, den wir einem universalen Prinzip geben, das die Essenz aller Bewegung, Kraft oder Energie ist, ob sie sich als Schwerkraft, Elektrizität oder Umlauf der Planeten und aller Lebensformen von der höchsten bis zur niedrigsten zeigt. Man könnte es die Seele der Kraft und Energie in allen ihren Formen und das Prinzip nennen, das, wenn es auf gewisse Weise funktioniert, jene Tätigkeitsform begründet, die das Leben begleitet.» (Ramacharaka: Hindu-Yogi-Science of Breath (Hindu-Yogi-Wissenschaft vom Atem), S. 16, 17)

Dieses Prana ist daher das universale Lebensprinzip in allen Formen, und die sogenannten Energien oder das Leben des menschlichen [99] Körpers sind die differenzierten Anteile dieses universalen Prinzips, die sich irgendeine spezielle menschliche Seele angeeignet hat.

Die Energien, die Akasha (Äther) im Universum verwerten, werden der Alten Weisheit gemäss in drei Hauptgruppen eingeteilt:

1. Fohat entspricht dem, was der Christ als Geist betrachtet; es ist der Wille zu existieren, das entscheidende Lebensprinzip Gottes, von dem wir behaupten können, dass es die Gesamtsumme aller Formen und aller Bewusstseinszustände ist; es ist göttliche Zielsetzung, die aktiv funktioniert.

2. Prana entspricht der Tätigkeit des Bewusstseinsprinzips, der Seele des Christen. Dieses Prana ist eine Wirkung der Vereinigung des Geistes oder des Lebens mit Materie oder Substanz und zeigt sich als die Energie der Form, wie sie Kohäsion, Beseelung und Empfindungsfähigkeit hervorruft und göttliche Zielsetzung durchführt.

3. Kundalini, wie es im Zusammenhang mit der menschlichen Form genannt wird, ist die Kraft, die in der Materie selbst latent ist, es ist das wesentliche Leben des Atoms, abgesehen von irgendeiner Form, an der das Atom in seinem kleinen Erfahrungszyklus beteiligt sein mag.

Shakti ist Kraft oder Energie. Avalon definiert sie folgendermassen:

«Was ist also Shakti, und wie kommt es, dass in Dingen irgendein Prinzip der Unbewusstheit vorhanden ist, eine Tatsache, die nicht abgeleugnet werden kann. Shakti stammt von der Wurzel "Shak", "fähig sein", "Macht besitzen". Es kann auf jede Tätigkeitsform angewandt werden. Die Fähigkeit zu brennen ist Shakti [100] des Feuers, usw.. Dies sind alles Tätigkeitsformen, die schliesslich auf die ursprüngliche Shakti (Adya Shakti) zurückgeführt werden können, aus der jede andere Form der Macht hervorgeht.» (Avalon, A. (John Woodroffe): Shakti and Shakta, S. 207)

Diese drei Energietypen sind daher Aspekte des einen universalen Lebens, wie es sich durch ein Sonnensystem ausdrückt und den Äther als Mittler oder Tätigkeitsfeld nutzbar macht und alle objektiven Formen daraus hervorbringt. Nach der Hinduphilosophie wiederholt sich der Vorgang im Menschen.

Die Bestandteile oder Atome des physischen Körpers sind der Ausdruck des dritten Energietyps, und die Gesamtsumme dieser atomischen Energie wird Kundalini genannt.

«Das Zentrum, in dem alle residualen Empfindungen sozusagen aufgespeichert werden, wird Muladhara-Chakra genannt, und die zusammengerollte Aktionsenergie ist Kundalini, "die Zusammengerollte".

Es ist der individuelle körperliche Vertreter der grossen kosmischen Kraft (Shakti), die das Universum erschuf und aufrecht erhält.» (Rele, V. G.: The Mysterious Kundalini, S. 40)

Der physische Körper selbst wird oft als ein Atom im Körper des menschlichen Naturreiches betrachtet, und in diesem Fall würde die Kundalinienergie, die in einem Zentrum am Ende der Wirbelsäule lokalisiert sein soll, ein positiver Zellkern sein, während die anderen Atome des Körpers ihrer Natur nach als Elektronen angesehen werden.

Der vitale Körper oder Ätherkörper ist das Ausdrucksmittel der Lebensseele, jener empfindenden, belebenden Dualität, die wir [101] Prana nennen. Diese zweifache Energie hat zwei positive Zentren im vitalen und folglich im physischen Körper - eins im Herzen, von dem behauptet wird, dass sich Gefühl und Empfindung in ihm konzentrieren, und ein weiteres im Kopf, wo der Denkaspekt und das spirituelle Bewusstsein sich ausdrücken.

Dr. Rele sagt, dass sich «das eigentliche Prana zwischen dem Kehlkopf und der Basis des Herzens befindet.»

«Mehr als der Kopf beschäftigt die Denker der Upanishads das Herz. In ihm sind die Lebenshauche gegründet; nicht nur die fünf Pranas, sondern auch Auge, Ohr, Rede, Manas entspringen aus dem Herzen. Nicht der Kopf, sondern das Herz ist der Sitz des Manas und damit auch das Zentrum des bewussten Lebens; im Herzen weilen die Organe der Seele beim Schlaf, und eben dort sammeln sie sich beim Sterben; "durch das Herz erkennt man die Gestalten", durch das Herz erkennt man den Glauben, zeugt man den Sohn, erkennt man die Wahrheit, in ihm hat auch die Rede ihren Standort, während die weitere Frage, worin das Herz seinen Standort habe, mit Entrüstung abgewiesen wird. Aber nicht die Organe allein, sondern alle Wesen haben ihren Standort und Stützpunkt im Herzen, und wenn auch die Definition des Herzens als Brahman abgelehnt wird, so ist das Herz doch der empirische Sitz der Seele und damit des Brahman: "hier, inwendig im Herzen ist ein Raum, darin liegt er, der Herr des Weltalls, der Gebieter des Weltalls, der Fürst des Weltalls"; das Herz heisst hridayam, weil "Er im Herzen" (hridi ayam, Chand. 8, 3, 3) wohnt, gross wie ein Reiskorn oder Gerstenkorn; zollhoch an Grösse wohnt der Purusha mitten im Leib, im Herzen als das Selbst der Geschöpfe.»
(Deussen, P.: Die Philosophie der Upanishads, S. 258-259)

[102]

«Dementsprechend feiern zahlreiche Stellen späterer Upanishads das Brahman als "in der Höhle (des Herzens) versteckt". Die Identität des Atman in uns mit dem Atman im Weltall wird, wie durch das tat tvam asi der Chand. 6, 8-16, so auch durch das ihm wahrscheinlich nachgebildete etad vai tad, (fürwahr dieses ist das) ausgedrückt, Brih. 5, 4; dieselbe Formel findet sich Kath. 4, 3-6, 1, zwölfmal in Prosa an die Verse angehängt; in dem Bewusstsein dieses Gedankens: "dieses ist das" liegt nach Kath. 5, 14, die höchste Wonne. Wir zitieren aus diesem Zusammenhang nur Kath. 4, 12-13:

Zollhoch an Grösse weilt mitten

Im Leib hier der Purusha,

Herr des Vergangnen und Künft'gen,

Wer ihn kennt, ängstigt sich nicht mehr, -

Wahrlich, dieses ist das!

Wie Flamme ohne Rauch, zollhoch

An Grösse ist der Purusha,

Herr des Vergangnen und Künft'gen,

Er ist es heut, und morgen auch.

Wahrlich, dieses ist das!

Wie der Purusha hier einer Flamme ohne Rauch, so wird er, wohl in Nachbildung dieser Stelle, S'vet. 6, 19, einem Feuer, dessen Holz verbrannt ist, verglichen, während S'vet 5, 9 den Kontrast des Atman in uns mit dem Atman im Weltall auf die Spitze treibt:

Spalt' hundertmal des Haars Spitze

Und nimm davon ein Hundertstel,

Das denk, als Grösse der Seele,

Und sie wird zur Unendlichkeit.

[103]

Die Schilderung des Atman als einer rauchlosen Flamme im Herzen hat sich in den Yoga-Upanishads zu dem Bild von der Spitzflamme im Herzen «fortentwickelt, dessen ältestes Vorkommen Mahan. 11, 6-12 sein dürfte.» (Deussen, P.: a. a. O., S. 155-156)

Die Schriften sind voller Hinweise auf die Tatsache, dass Atman, das Selbst, im Herzen zu finden ist, von wo aus es sich vermittels des Blutes als Lebensprinzip ausdrückt. Die Seelennatur oder der vernunftmässige Denkaspekt und das selbstbewusste Individuum drückt sich im Kopf aus, und von dieser Stellung aus beherrscht sie das Nervensystem:

«Es ist nun bewiesen worden, dass die höchsten Zentren ihren Sitz in der Grosshirnrinde haben, wo Kenntnis von Tätigkeit und Gefühlswahrnehmung manifestiert werden. Diese beiden Zentren empfangen, d.h. sie sind empfindungsfähig; und lenken, d.h. sie sind bewegungserzeugend und haben ihre angeschlossenen Zentren in den beiden grossen Wölbungen in jeder Hälfte des Gehirns, die Basal-Ganglien genannt werden. Sie werden als Thalamus und corpus striatum bezeichnet. Der erste unterstützt das Hauptempfindungszentrum und der zweite das Haupt-Zentrum für die Motorik in der Grosshirnrinde. Normalerweise stehen die unterstützenden motorischen Zentren mehr oder weniger unter Kontrolle des Willens. ... Der Yogi befasst sich mit den unterstützenden Nervenzentren im Thalamus. Die normale Funktion des Thalamus besteht darin, Empfindungen von allen Körperteilen zu empfangen, die ihm durch das Rückenmark übertragen werden, bevor sie das Hauptzentrum erreichen.

Da dies das höchste Reflexzentrum im Gehirn ist und alle Beeindruckungen zu ihm emporsteigen, wird es das Udanaprana genannt. Die letzte Übertragung im Rückenmark, von dem Impulse empfangen werden, erfolgt von dem Teil des Rückenmarks, das [104] die Kuppel (bulb) genannt wird, die in gleicher Höhe mit der Nasenwurzel liegt. Udanaprana soll daher den Teil des Kopfes oberhalb dieses Punktes beherrschen.

Der Yogi hält durch bewusste Kontrolle des Udanapranas alle hereinkommenden und hinausgehenden Gefühlsempfindungen zurück, und dies ist notwendig, um die Ablenkung des Denkaspektes, den er zu kontrollieren sucht, zu verhindern.» (Rele, V. G.: The Mysterious Kundalini, S. 70)

Srinivasa Iyengar macht die folgenden Feststellungen und behauptet, dass alle Gedankenrichtungen, mit Ausnahme der Schule des groben Nihilismus, sie annehmen.

1. Der Mensch ist ein Komplex von Bewusstsein, Denkaspekt und Körper.

2. Das Atma (das Selbst) ist seiner Natur nach Bewusstsein und ist unveränderlich.

3. Der Denkaspekt, obgleich ein inneres Organ, ist stofflich und unterscheidet sich vom Atman.

4. Alle Energie im Universum ist persönlich, d.h. mit Bewusstsein verbunden.

5. Diese Energie ist Prana, das die Verbindung zwischen Denkaspekt und Materie herstellt.

«Die Hindu-Philosophie betrachtet Prana und nicht Bewegung als die fundamentale Energie des Kosmos. Prana wird als Kraft verstanden, die vom Purusha (dem Aspekt des Geistes - A. A. B.) stammt oder von ihm in Gang gesetzt wird und auf die Materie einwirkt.»

«Alle tierische Energie ist Nerven-Energie, bis sie die Muskeln verlässt und auf äussere Gegenstände einwirkt. Diese Nerven-Energie wird Prana genannt. Die westliche Wissenschaft hat seit Jahrhunderten erfolglos versucht, Nerven-Energie als eine Form mechanischer Bewegung zu erklären. Die östliche Philosophie kehrt [105] den Prozess um und erklärt mechanische Bewegung als Folge von Prana oder Energie, die mit Bewusstsein versehen ist.

Prana entspricht dem Psychikon Pneuma, den Tiergeistern der griechischen Philosophie, einer Kategorie, welche die Verbindung zwischen Geist und Stoff herstellt und sie in Beziehung zueinander bringt.» (Iyengar, P. T. S.: Outlines of Indian Philosophy (Umrisse indischer Philosophie), S. 58, 59)

Avalon sagt:

«Verschiedene Leute haben im Altertum verschiedenen Teilen des Körpers den "Sitz der Seele" oder des Lebens zugeschrieben, wie dem Blut, dem Herzen und dem Atem. Im allgemeinen wurde das Gehirn nicht als ihr Sitz betrachtet. Das Vaidik-System postuliert das Herz als hauptsächliches Zentrum des Bewusstseins - ein Überbleibsel dieses Gedankens bewahren auch wir noch in solchen Phrasen wie "Nimm es dir zu Herzen". Sadhaka, das eine der fünf Funktionen der Pitta ist, und das seinen Sitz im Herzen hat, unterstützt die Leistungen der wahrnehmenden Funktionen indirekt dadurch, dass sie das rhythmische Zusammenziehen des Herzens aufrecht erhält, und es ist darauf hingewiesen worden, dass diese Ansicht der Konstruktion des Herzens indische Physiologen vielleicht dazu geneigt gemacht hat, es als Sitz der Erkenntnis anzusehen. Gemäss den Tantras sind die hauptsächlichen Bewusstseinszentren jedoch in den Chakras des Gehirn- und Rückenmarksystems und im oberen Gehirn (Sahasrara), das sie beschreiben, zu finden, obgleich das Herz ebenfalls als ein Sitz des Jivatma oder des verkörperten Geistes in seinem Aspekt als Prana erkannt wird». (Avalon, A. (John Woodroffe): The Serpent Power, S. 3)

Diese beiden Gesichtspunkte erklären wahrscheinlich das Phänomen des Menschenwesens. Mit fortschreitender Evolution mag gefunden und demonstriert werden, dass das positive Zentrum oder [106] der Kern für das Leben der materiellen Form seinen Sitz am Ende der Wirbelsäule hat, dass das positive Zentrum für das Leben des empfindenden, bewussten Menschen im Herzen ist, während das positive Zentrum für den Denkaspekt und die spirituellen Lebensprinzipien im Kopf ist.

Der ganze Plan und die Technik der orientalischen Lehre hinsichtlich der Zentren im Menschen haben die zunehmende Entfaltung des Pranas oder der Lebens-Seelenenergie im Auge. Wenn ein Mensch dies begreift, kann er (durch den Automaten des physischen Körpers) diese Seelenkräfte und spirituellen Eigenschaften demonstrieren, die das Erbe des spirituellen Menschen, der Seele, sind.

Der Zweck aller Methoden und Verfahren besteht daher darin, eine bewusste Vereinigung mit der Seele herbeizuführen und die beiden niederen Energien, diejenige des Stoffes und die der empfindenden mentalen Natur, der höchsten der drei Energien, dem spirituellen Leben, zu unterwerfen. Wenn dies zustande gebracht worden ist, belebt das spirituelle Lebensprinzip eine Seele, die keine Schranken und Begrenzungen kennt, weil sie ihren Mechanismus zum höchsten Zustand der Vollkommenheit gebracht hat. Die Materie ist zum Himmel emporgehoben worden und daher die Hindulehre, dass das Kundalinifeuer, die Energie der Materie (die zuweilen die Mutter genannt wird) schliesslich von ihrem Sitz am Ende der Wirbelsäule zum Kopf emporgehoben werden muss. Dies entspricht der römisch-katholischen Lehre von der Himmelfahrt der Jungfrau-Mutter, um dort ihren Platz an der Seite ihres Sohnes, des Christus, der Seele, einzunehmen. Dies muss bewusst [107] durch die Seele oder das Ich durchgeführt werden, das seinen Sitz im Denkaspekt und Gehirnbewusstsein hat, und von dort aus Kontrolle über die Energien des ganzen natürlichen Menschen übernimmt. Dies ist Yoga oder Vereinigung, die nicht nur eine mystische, sondern auch eine vitale oder physische Erfahrung ist. Dies ist die Einswerdung des Christen. Es ist eine Integrierung des ganzen Menschen, des physischen, empfindenden und mentalen und dann eine bewusste Vereinigung mit der universalen Seele. Rele sagt:

«Das Wort "Yoga" ist von der Wurzel "Yuga", vereinigen oder zusammenfügen, abgeleitet worden. Ebenso wie beim Zusammenschmieden zwei Stücke des gleichen Metalls durch den Prozess des Erhitzens und Hämmerns zu einem Stück vereint werden, wird auch im Yoga der indischen Philosophie der verkörperte Geist "Jivatma", der einen Teil des universalen Geistes "Paramatma" bildet, durch gewisse physische und mentale Übungen mit dem Universalgeist vereinigt.

Yoga ist die Wissenschaft, welche die Fähigkeit des menschlichen Denkaspektes steigert, um auf höhere Schwingungen zu reagieren und die unendlichen bewussten Bewegungen, die rings um uns herum im Universum vor sich gehen, wahrzunehmen, zu begreifen und zu assimilieren.» (Rele, V. G.: The Mysterious Kundalini, S. 13, 14)

Guénon fasst das Resultat dieser Vereinigung folgendermassen zusammen:

«Befreiung oder Vereinigung, was ein und dasselbe ist, bringt, wie wir bereits festgestellt haben, den Besitz aller Zustände mit sich und geht darüber hinaus, da sie die vollkommene Realisierung (sadhana) und Zusammenfassung des Wesens ist; es ist ausserdem von geringer Bedeutung, ob diese Zustände tatsächlich manifestiert werden oder nicht, da sie metaphysisch nur als bleibende und unveränderliche Möglichkeiten betrachtet werden sollen. Als Herr über viele Zustände durch die einfache Wirkung des Willens, befasst [108] sich der Yogi nur mit einem und lässt die anderen ohne den belebenden Atem (Prana); wie eine Anzahl von unbenutzten Instrumenten, kann er auf dieselbe Weise mehr als eine Form beleben, wie eine einzige Lampe mehr als einen Docht versorgen kann! "Der Yogi", sagt Aniruddha, steht in direkter Beziehung mit dem ursprünglichen Prinzip des Universums und infolgedessen (in zweiter Linie) mit dem ganzen Raum, der Zeit und allen Dingen, nämlich mit der Manifestation und insbesondere mit dem menschlichen Zustand in all seinen Modifizierungen». (Guénon, R.: Man and his Becoming (Der Mensch und sein Werden), S. 238)

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