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KAPITEL IV - Teil 2

In der Zwischenzeit hatten wir in unseren T. G.-Ämtern hart gearbeitet; den Kindern ging es gut; wir hatten vor, zu heiraten, sobald sich die Lage einigermassen klären würde. Unser Einkommen war erheblich zusammengeschrumpft. Die Gehälter in Krotona betrugen zehn Dollar pro Woche. Die Überweisungen von Walter Evans hatten seit der Scheidung aufgehört. Foster besass damals nichts. Er hatte seine Anwaltspraxis zu Kriegsbeginn aufgegeben, obwohl er die Absicht hatte, sie später wieder aufzunehmen. Es war eine alte Familienpraxis, und sie brachte ihm schon mit achtundzwanzig Jahren ein beträchtliches Jahreseinkommen. Er gab sie jetzt endgültig auf, um mir bei dem Werk zu helfen, das für uns allmählich Gestalt annahm, und das war nur eines von vielen Opfern, die er brachte, als er sein Los mit mir zu teilen beschloss. Die Kinder verehrten ihn und tun das bis zum heutigen Tag; ihr Verhältnis war stets ein sehr herzliches und auf seiner Seite ein sehr opferfreudiges.

Sie nahmen ihn von Anfang an in Beschlag. Dorothy, die älteste, war damals ungefähr neun Jahre alt, und er machte ihre Bekanntschaft, als er den Beechwood Drive hinaufging, um mich zu besuchen. Beim Näherkommen hörte er schrille Angstschreie, die von einem Baum kamen. Als er dem Baum zueilte, sah er ein kleines Mädchen, das an den Knien von einem Ast herunterhing. Er sah zu ihr auf und sagte bloss: «Lass dich fallen» und sie fiel in seine Arme; und wie er oft symbolisch sagte, ist sie seitdem auch in seinen Armen geblieben. Mildred war furchtbar krank, als er sie zuerst sah. Sie hatte versteckte Masern mit einer Temperatur von 41 Grad, obwohl wir damals noch nicht wussten, was es war. Sie ist im Grund stark introvertiert (nach innen gerichtet), und es sah ihr durchaus ähnlich, «versteckte» Masern zu haben. Wir waren auf der Suche nach einem Spezialisten, und in der Zwischenzeit verbrachten meine Freundin, Frau Copley Enos und ich den Tag damit, ihr kalte Umschläge zu machen, um das Fieber zu senken. Foster kam dazu und schickte sich an, uns zu helfen. Sie warf ihm nur einen Blick zu, und von dem Augenblick an waren sie einander immer sehr vertraut. Ellison lernte er als fettes und sehr schmutziges kleines Mädchen kennen, das im Hinterhof Lehmkuchen buk.

Foster und ich lebten also im Rahmen gemeinsamer, öffentlicher Betätigung, wir planten unsere Zukunft in diesem Sinn und trafen entsprechende Vorkehrungen. Die Lage in der T. G. wurde immer schlimmer, und es wurden bereits Vorbereitungen für die Tagung im Jahr 1920 getroffen, wo sich das Gewitter entlud. Was meine innere Erfahrung anbelangt, so hatte die T. G. mich ebenso enttäuscht, wie vordem das orthodoxe Christentum, nur war es nicht ganz so schlimm, weil grosse und grundsätzliche Wahrheiten für mich einen Sinn erlangt hatten und weil ich nicht mehr allein war, denn Foster und ich beabsichtigten bereits, zu heiraten.

Damit komme ich zu einem Ereignis in meinem Leben, von dem ich nur ungern spreche. Es handelt sich um das Werk, dem ich mich in den letzten siebenundzwanzig Jahren gewidmet habe. Dieses Werk hat in der ganzen Welt Anerkennung erfahren und Neugierde erregt. Es hat mir auch Hohn und Verdacht eingebracht, aber erstaunlich wenig; ich habe das auch verstehen können, weil ich am Anfang sehr argwöhnisch war. Ich frage mich, warum ich überhaupt den Versuch machen soll, davon zu sprechen, anstatt einfach meinem bisherigen Prinzip zu folgen, mein Werk und meine Bücher für sich selbst sprechen und sich am besten selbst rechtfertigen zu lassen. Ich denke, dafür habe ich zwei Gründe.

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, wie eng die Verbindung ist, welche die innere Hierarchie mit den Menschen jetzt anbahnt, und zweitens möchte ich es anderen leichter machen, die gleiche Arbeit zu leisten, vorausgesetzt, dass es sich auch wirklich um die gleiche Arbeit handelt. Es gibt da so viele Spielarten sogenannter psychischer Literatur. Es fällt dem einzelnen nicht immer leicht, einen Unterschied zu machen zwischen dem, was Ausdruck wunscherfüllten Denkens oder das Produkt eines sehr netten, sanften, wohlgemeinten, christlichen Unterbewusstseins ist, oder vielleicht zwischen automatischer Niederschrift oder dem Auffangen von Gedankenströmen (was wir alle andauernd tun) oder ausgemachtem Schwindel; oder andererseits jenen Schriften, die auf einer starken, subjektiven, telepathischen Verbindung beruhen und auf Eindrücke zurückzuführen sind, die aus gewissen hohen, geistigen Quellen stammen. Immer wieder heisst es in der Bibel «Und der Herr sprach», und daraufhin schrieb irgendein Prophet oder Seher das Gesagte nieder. Vieles davon ist wunderschön und hat geistige Bedeutung. Andererseits trägt auch vieles davon die Kennzeichen menschlicher Schwäche, die ihre Vorstellungen über Gott, seine Eifersucht, seine Rachsucht und allerhand Blutdürstigkeit zum Ausdruck bringt. Man sagt, dass grosse Komponisten ihre Symphonien und Choräle mit einem inneren Ohr aufnehmen und dann in Noten übersetzen. Von woher erhalten unsere grossen Dichter und Künstler seit altersher ihre Inspiration? Alle schöpfen aus einer inneren Quelle der Schönheit.

Die Behandlung dieses Themas ist dadurch erschwert worden, dass es so viele metaphysische und spiritistische Schriften gibt, die auf einer so niedrigen Intelligenzstufe stehen und ihrem Inhalt nach so gewöhnlich und so mittelmässig sind, dass gebildete Leute darüber lachen und sich überhaupt nicht die Mühe machen, sie zu lesen. Ich möchte deshalb zeigen, dass es eine andere Art von Beeindruckung und Inspiration gibt, die zu literarischen Werken führt, welche weit über dem Durchschnitt stehen und Lehren vermitteln, die künftige Generationen notwendig brauchen. Ich sage das ohne jede Überheblichkeit, denn ich bin ja bloss eine Feder oder ein Bleistift, eine Stenographin oder Vermittlerin von Lehren eines Grossen, den ich achte und verehre und dem ich mit Freuden gedient habe.

Im November 1919 kam ich zum erstenmal mit dem Tibeter in Verbindung. Ich hatte die Kinder zur Schule geschickt, wollte mir ein paar freie Minuten gönnen und ging auf einen Hügel, nicht weit von unserem Haus. Ich setzte mich und begann nachzudenken, als ich plötzlich auffuhr und aufhorchte. Mir war, als ob ich eine klare musikalische Note hörte, die vom Himmel her durch den Hügel hindurch und in mir ertönte. Dann hörte ich eine Stimme, die mir sagte: «Es ist erwünscht, dass einige Bücher geschrieben und veröffentlicht werden. Sie können sie schreiben. Wollen sie das tun?» Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, antwortete ich: «Auf keinen Fall. Ich bin kein erbärmliches Medium und ich will mich auch in nichts dergleichen einlassen». Ich war erstaunt, als ich mich selbst laut sprechen hörte. Die Stimme fuhr fort, dass kluge Leute keine voreiligen Entschlüsse treffen, dass ich eine besondere Begabung für höhere Telepathie besässe, und dass von mir nichts verlangt würde, was irgendwie mit niederem Psychismus zu tun hätte. Ich antwortete, das wäre mir egal, ich hätte keinerlei Interesse an psychischer Betätigung irgendwelcher Art. Der Unsichtbare der so klar und direkt zu mir sprach, sagte dann, er würde mir Zeit zum Überlegen geben; er lasse meine Antwort nicht gelten und werde in genau drei Wochen wiederkommen und sich nach meiner Absicht erkundigen.

Dann schüttelte ich mich, als ob ich aus einem Traum erwachte, ging nach Hause und vergass den ganzen Vorfall. Ich dachte mit keinem weiteren Gedanken daran und sprach nicht einmal zu Foster darüber. Auch in der Zwischenzeit erinnerte ich mich nicht daran, aber siehe da, nach Ablauf von drei Wochen wurde ich wiederum angesprochen, als ich eines Abends in meinem Wohnzimmer sass, nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht hatte. Wiederum lehnte ich ab, aber der Sprecher redete mir zu, ich sollte wenigstens ein paar Wochen lang versuchen, was ich tun könnte. Ich wurde allmählich neugierig, war aber nicht im geringsten überzeugt. Ich beschloss, es ein paar Wochen oder einen Monat lang zu versuchen, und dann würde ich zu einer Entscheidung kommen. Während dieser wenigen Wochen erhielt ich die ersten Kapitel von «Initiation, Menschliche und Solare Einweihung».

Ich möchte eindeutig klarlegen, dass meine Arbeit mit automatischer Schrift ganz und gar nichts zu tun hat. Automatisches Schreiben ist - ausser in sehr seltenen Fällen (und leider denken die meisten, ihr Fall sei eine seltene Ausnahme) - sehr gefährlich. Es wird von keinem Aspiranten oder Jünger erwartet, dass er ein Automat ist. Man setzt voraus, dass er niemals bewusste Kontrolle über irgendeinen Teil seiner geistigen Ausrüstung aus der Hand gibt. Tut er das dennoch, dann begibt er sich in einen Zustand gefährlicher Negativität. Das unter solchen Umständen normalerweise empfangene Material ist mittelmässig; es enthält nichts Neues und verschlechtert sich häufig im Lauf der Zeit. Sehr oft kommt es vor, dass die Negativität des Betreffenden einer zweiten Kraft Zutritt gewährt, die merkwürdigerweise nie auf einer so hohen Stufe steht, wie die erste. Dann entsteht die Gefahr der Besessenheit. Wir haben viele Fälle von Besessenheit behandeln müssen, die auf automatische Schrift zurückzuführen waren.

Bei der von mir geleisteten Arbeit gibt es keine Negativität, denn meine Einstellung besteht in intensiver, positiver Aufmerksamkeit. Ich bleibe dabei Herr all meiner Wahrnehmungssinne und tue nichts, was irgendwie automatisch wäre. Ich horche einfach, schreibe die gehörten Worte nieder und halte die Gedanken fest, die nacheinander in mein Gehirn hineingesenkt werden. Ich mache keine Änderungen und veröffentliche den gleichen Text, den ich empfangen habe, abgesehen davon, dass ich das Englisch vielleicht etwas ausglätte oder ein ungewöhnliches Wort durch ein klareres ersetze, wobei ich stets den ursprünglichen Sinn aufrecht erhalte. Ich habe nie irgend etwas geändert, was der Tibeter mir gegeben hat. Wenn ich das auch nur einmal täte, würde er mir nie wieder diktieren. Das möchte ich durchaus klarstellen. Ich verstehe nicht immer, was mir gegeben wird, und ich stimme auch nicht immer damit überein. Ich schreibe es nur ehrlich auf und entdecke dann später, dass es Sinn hat und ein intuitives Echo hervorruft.

Das Werk des Tibeters ist vielen Leuten und besonders Psychologen in der ganzen Welt ein Rätsel. Sie streiten sich um die Ursache dieses Phänomens und kommen dabei zur Annahme, dass das, was ich schreibe, wahrscheinlich aus meinem Unterbewusstsein herrührt. Man hat mir erzählt, dass Jung sich auf den Standpunkt stellt, dass der Tibeter mein personifiziertes, höheres Selbst, und Alice A. Bailey das niedere Selbst ist. Gelegentlich einmal (wenn ich je das Vergnügen habe, ihn kennenzulernen) werde ich ihn fragen, wie mein personifiziertes höheres Selbst mir aus dem fernen Indien Pakete schicken kann, denn das hat er bereits getan.

Vor einigen Jahren machte sich ein sehr guter Freund, der Foster und mir seit Anbeginn des Werkes treu zur Seite gestanden war - Mr. Henry Carpenter - auf den Weg nach Indien, um zu versuchen, die Meister in Shigatse, einer kleinen Eingeborenenstadt im Himalayagebirge - knapp jenseits der tibetanischen Grenze - zu erreichen. Er machte diesen Versuch dreimal, obwohl ich ihm versicherte, er könne die Meister direkt hier in New York finden, wenn er nur die richtigen Vorkehrungen träfe, und die Zeit dazu reif sei. Er hatte, sehr zu meiner Belustigung, das Gefühl, den Meistern sagen zu müssen, dass ich mich viel zu sehr abplage, und sie sollten zusehen, dass dagegen etwas geschehe. Da er mit Lord Reading, dem vormaligen Vizekönig von Indien, persönlich befreundet war, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn an seinen Bestimmungsort zu bringen, aber der Dalai Lama verweigerte ihm die Genehmigung zum Grenzübertritt. Als er bei seiner zweiten Reise nach Indien in Gyantse angekommen war (am äussersten Punkt, bis wohin er nahe der Grenze herankommen durfte), hörte er einen grossen Tumult auf dem Gelände der Poststation. Er ging hin um nachzusehen, was los sei, und fand einen Lama, der auf einem Esel sass und gerade angekommen war. In seinem Gefolge befanden sich vier weitere Lamas, und alle Eingeborenen drängten sich um sie herum und verneigten sich. Durch seinen Dolmetscher erkundigte sich Mr. Carpenter, und man sagte ihm, der Lama sei der Abt eines Klosters jenseits der Grenze, und er sei ausdrücklich zu dem Zweck heruntergekommen, um Mr. Carpenter zu sprechen.

Der Abt sagte ihm, er sei an unserem Werk interessiert und erkundigte sich nach mir. Er fragte nach der Arkanschule und gab ihm zwei grosse Bündel Weihrauch für mich. Später besuchte Mr. Carpenter den General Laden Lha in Darjeeling. Der General ist ein Tibeter, der in England eine höhere Schule und die Universität besucht hat, und der damals den Geheimdienst an der tibetanischen Grenze leitete. Er ist inzwischen gestorben, aber er war ein grosser und guter Mensch. Mr. Carpenter erzählte ihm von seiner Begegnung mit diesem Lama und sagte ihm, er sei der Abt eines gewissen Lamaklosters. Der General leugnete diese Möglichkeit rundweg ab. Er sagte, der Abt sei ein sehr grosser und heiliger Mann, und es sei noch nie vorgekommen, dass er über die Grenze gekommen sei oder einen Westländer besucht habe. Als Mr. Carpenter jedoch im darauffolgenden Jahr wiederkam, gab General Laden Lha zu, dass er sich geirrt habe; der Lama sei damals wirklich seinetwegen gekommen.

Als ich ungefähr einen Monat lang für den Tibeter geschrieben hatte, bekam ich es vollends mit der Angst zu tun und weigerte mich glattweg, weiterzumachen. Ich sagte dem Tibeter, die drei kleinen Mädchen hätten nur mich auf der Welt, und wenn ich krank würde oder den Verstand verlöre, dann wären sie ganz allein, und dieses Risiko wagte ich einfach nicht auf mich zu nehmen. Er fügte sich in meine Entscheidung, bat mich aber, den Versuch zu machen, mit meinem Meister K. H. in Verbindung zu treten und die Sache mit ihm zu besprechen. Nachdem ich mir das ungefähr eine Woche lang überlegt hatte, beschloss ich, mit K. H. in Verbindung zu treten, und ich traf die nötigen Vorkehrungen gemäss einer bestimmten Technik, die er mir beigebracht hatte. Als mir schliesslich Gelegenheit zu einer Besprechung mit K. H. gegeben wurde, besprachen wir die ganze Angelegenheit eingehend. Er versicherte mir, dass ich weder psychisch noch mental irgend etwas zu befürchten hätte, und dass es für mich eine Gelegenheit wäre, wirklich wertvolle Arbeit zu leisten. Er sagte, er selbst sei es gewesen, der mich dem Tibeter als Hilfe vorgeschlagen habe; er wolle mich nicht in den Ashram (oder die geistige Gruppe) des Tibeters überweisen, sondern er wolle, dass ich weiter in seinem Ashram arbeite. Ich folgte also dem Wunsch von K. H. und teilte dem Tibeter mit, dass ich mit ihm weiterarbeiten würde. Ich bin seitdem lediglich seine Gehilfin und Sekretärin gewesen und bin kein Mitglied seiner Gruppe. Er hat sich nie in meine persönliche Arbeit oder Schulung eingemischt. Im Frühjahr 1920 begann für mich eine sehr glückliche Zeit der Zusammenarbeit mit ihm, während ich gleichzeitig als älterer Jünger im Ashram meines eigenen Meisters tätig blieb.

Seitdem habe ich viele Bücher für den Tibeter geschrieben. Kurz nach Beendigung der ersten Kapitel von «Menschliche und Solare Einweihung» zeigte ich B. P. Wadia das Manuskript. Er war sehr aufgeregt und sagte mir, er würde alles veröffentlichen, was «aus dieser Quelle» käme, und er brachte auch die ersten Kapitel in «The Theosophist», einer in Adyar in Indien erscheinenden Zeitschrift heraus. Dann setzte die übliche theosophische Eifersucht und reaktionäre Einstellung ein, und es wurde nichts weiter abgedruckt.

Der Stil des Tibeters hat sich im Lauf der Jahre gebessert. Anfänglich diktierte er in einem schwerfälligen, schlechten Englisch, aber wir haben uns schliesslich auf einen Stil und eine Darstellung geeinigt, die den grossen Wahrheiten angepasst sind, die zu enthüllen seine Aufgabe ist; mir und meinem Mann obliegt es, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Zu Beginn meiner Tätigkeit für den Tibeter musste ich zu bestimmten Stunden schreiben; es handelte sich um ein klares, knappes und bestimmtes Diktat. Es wurde mir Wort für Wort gegeben und zwar so, dass ich sagen könnte, ich hörte deutlich ein Stimme. Man könnte also sagen, dass ich am Anfang eine hellhörende Technik benutzte, aber in dem Mass, wie sich unser Denken aufeinander abstimmte, fand ich bald heraus, dass das unnötig war, und dass ich mich bloss genügend zu konzentrieren und meine Aufmerksamkeit entsprechend zu sammeln brauchte, um die einströmenden Gedanken des Tibeters (d.h. seine klar formulierten und ausgedrückten Ideen) aufzunehmen und niederzuschreiben. Dazu gehört die gespannte und beharrliche Aufmerksamkeit. Es ist etwas Ähnliches wie die Fähigkeit des fortgeschrittenen Meditationsschülers, der das von ihm erreichte Niveau geistiger Aufmerksamkeit auf seinem höchstmöglichsten Punkt festzuhalten weiss. Das kann am Anfang sehr ermüdend wirken, wenn man sich vielleicht gar zu sehr um den Erfolg bemüht, aber später macht es gar keine Mühe mehr; es ergibt sich daraus eine Klarheit des Denkens und eine Stimulierung, die bestimmt eine günstige, physische Wirkung haben.

Nach siebenundzwanzigjähriger Arbeit für den Tibeter kann ich mich jetzt ohne die geringste Mühe jederzeit mit ihm telepathisch in Verbindung setzen. Dabei kann ich mein eigenes Denken unvermindert aufrecht erhalten und auch jederzeit Einwendungen erheben, wenn es mir - als Westländerin - gelegentlich so scheint, als wisse ich besser als er, wie man sich ausdrücken sollte. Wenn es zu irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns kommt, schreibe ich unweigerlich den Text so, wie er es wünscht; es kommt aber auch vor, dass er seine Darstellung abändert, nachdem er mit mir darüber gesprochen hat. Ändert er seine Worte und seinen Standpunkt nicht, dann mache ich auch keinerlei Änderungen an dem, was er gesagt hat.

Schliesslich sind es doch seine, und nicht meine Bücher, und er ist im Grund dafür verantwortlich. Er lässt keine Fehler durchgehen und überwacht den endgültigen Text mit grosser Sorgfalt. Es handelt sich also nicht bloss darum, dass ich sein Diktat aufnehme und ihm dann später die Reinschrift vorlege. Die Hauptsache ist vielmehr seine sorgfältige Überwachung des endgültigen Textes. Ich betone das absichtlich, da viele Leute, denen etwas, was der Tibeter sagt, persönlich nicht einleuchtet, leicht zu der Ansicht neigen, ich hätte die fragliche Stelle eingeschoben. Das habe ich nie getan, auch wenn ich nicht immer mit ihm übereinstimme oder ihn verstehe, und ich möchte wiederholen: ich habe genau das veröffentlicht, was der Tibeter gesagt hat. Das kann ich nicht genug betonen.

Auch behaupten manche Schüler, wenn sie persönlich nicht verstehen, was der Tibeter meint, seine sogenannten Zweideutigkeiten beruhten darauf, dass ich das von ihm Gesagte nicht richtig aufgenommen hätte. Solche Zweideutigkeiten oder unklar erscheinende Stellen - deren es ziemlich viele in seinen Büchern gibt - beruhen auf der Tatsache, dass es ihm wegen der Beschränkungen seiner Leser einfach nicht möglich ist, sich klarer auszudrücken und dass es ihm schwer wird, Worte zu finden, die neuartige Wahrheiten und jene intuitiven Wahrnehmungen auszudrücken vermögen, die noch zögernd an den Grenzen des sich entfaltenden menschlichen Bewusstseins verweilen.

Die vom Tibeter geschriebenen Bücher werden von den Lehrern als wichtig betrachtet, die für die Bekanntgabe der neuen Wahrheiten, welche die Menschheit braucht, verantwortlich sind. Es sind ausserdem neue Richtlinien für geistige Schulung und für die Vorbereitung von Aspiranten auf die Jüngerschaft herausgegeben worden. Grosse Veränderungen hinsichtlich Methode und Technik sind im Gang, und eben deshalb hat sich der Tibeter besondere Mühe gegeben und dafür gesorgt, dass ich keine Fehler mache.

In der zweiten Phase des Weltkrieges, die im Jahr 1939 begann, stellten sich viele Pazifisten und wohlmeinende, jedoch gedankenlose Arkanschüler und andere Leute, soweit wir sie erreichen konnten, auf den Standpunkt, dass ich selbst die Flugschriften verfasst hätte, die für die Vereinten Nationen eintraten und die Vernichtung der Achsenmächte als notwendig bezeichneten, und dass der Tibeter für die nazifeindliche Einstellung dieser Artikel keine Verantwortung trüge. Das entspricht ebenfalls nicht der Wahrheit. Die Pazifisten stellten sich auf den orthodoxen und idealistischen Standpunkt, dass Gott, weil er ein Gott der Liebe ist, unmöglich antideutsch oder antijapanisch sein könne. Weil Gott Liebe ist, blieb ihm, und ebenso der unter Christus wirkenden Hierarchie, nichts anderes übrig, als unbeirrt auf seiten derer zu stehen, welche die Menschheit von Sklaverei, Boshaftigkeit, Angriff und Korruption zu befreien suchen. Nie ist das Christuswort wahrer gewesen: «Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich» (Matthäus 12, 30). In seinen damaligen Schriften nahm der Tibeter eine feste und unbeirrbare Stellung ein, und heute (1945) hat sich angesichts der unsagbaren Schreckenstaten, Grausamkeiten und Versklavungsmethoden der Achsenmächte seine Stellungnahme als durchaus gerechtfertigt erwiesen.

Inzwischen spitzte sich die Lage in Krotona immer mehr zu. Wadia war (als Vertreter von Frau Besant) in Krotona eingetroffen, was die Schwierigkeiten neu aufrührte, und wir arbeiteten in vollstem Mass mit ihm zusammen, um die Theosophische Gesellschaft zu ihrer ursprünglichen Zielsetzung, der allgemeinen Bruderschaft zurückzulenken. Wir arbeiteten mit ihm zusammen, weil Wadia damals vernünftige und gesunde Ansichten zu haben schien und ihm das Interesse der Gesellschaft offenbar am Herzen lag. Die Kluft innerhalb der Gesellschaft erweiterte sich ständig, und der Gegensatz zwischen denen, die sich auf den demokratischen Standpunkt stellten und denjenigen, die für geistige Autorität und vollkommene Beherrschung der Theosophischen Gesellschaft durch die Esoterische Sektion eintraten, verschärfte sich zusehends.

Die ursprüngliche Verfassung der T. G. gründete sich auf die Autonomie der Logen innerhalb der einzelnen, nationalen Bezirke, aber als Foster Bailey und ich in der Bewegung zu arbeiten begannen, hatte sich die ganze Lage von Grund auf geändert. Nur wer Mitglied der E. S. war, wurde als Beamter in einer Loge eingesetzt, und auf diese Weise kontrollierten Frau Besant und die Leiter in Adyar jeden Bezirk und jede einzelne Loge. Wer sich dem Diktum der E. S. Mitglieder in irgendeiner Loge nicht fügte, der fiel in Ungnade, und dadurch wurde es ihm praktisch unmöglich, in dieser Loge weiterhin tätig zu sein. Die Bezirkszeitschriften und auch das internationale Organ «The Theosophist» beschäftigten sich in der Hauptsache mit Persönlichkeitsfehden. Ganze Artikel wurden zum Angriff auf einzelne oder zu deren Verteidigung benutzt. Aufgrund der psychischen Verkündigungen des Herrn Leadbeater und seines grossen Einflusses über Frau Besant machte sich eine Woge von Psychismus in der Gesellschaft stark bemerkbar. Die Nachwehen des Leadbeater-Skandals verursachen immer noch viel Gerede. Frau Besants Erklärungen in bezug auf Krishnamurti führten zu grossen Spaltungen innerhalb der Gesellschaft. Auf Grund angeblicher Weisungen von einem der Meister an den Äusseren Leiter wurde von Adyar aus verfügt, dass jedes Mitglied der Theosophischen Gesellschaft sich wenigstens in einer, wenn nicht in allen drei Abteilungen betätigen müsse - im Co-Masonischen (Freimaurer) Orden, im Dienstorden und in einer pädagogischen Bewegung. Wer das nicht tat, galt als untreu und als schlechter Theosoph, da er den Weisungen der Meister nicht gehorchte.

In Adyar erschienen Bücher von Leadbeater, die rein psychischer Natur waren, sich unmöglich nachprüfen liessen und einen starken Unterton von Astralismus aufwiesen. Eines seiner Hauptwerke «Der Mensch: Woher, Wie und Wohin» war mir ein Beweis für die grundsätzliche Unglaubwürdigkeit seiner Schriften. In diesem Buch beschreibt er die Zukunft und das Wirken der künftigen Hierarchie, und ich fand es besonders merkwürdig und erstaunlich, dass die Mehrzahl der für hohe Ämter in der Hierarchie und in der kommenden Zivilisation vorgemerkten Leute durchwegs Herrn Leadbeaters persönliche Freunde waren. Ich kannte einige von diesen Leuten - sie waren ehrbar, nett und mittelmässig, keine intellektuellen Riesen und in der Mehrzahl vollkommen unbedeutend. Ich war in der Welt herumgekommen und hatte so viele Menschen kennengelernt, von denen ich wusste, dass sie wirksamere Weltdienste leisten, Christus auf klügere Art dienen und die Bruderschaft besser vertreten konnten, und das öffnete mir die Augen für die Wert- und Nutzlosigkeit dieser Art von Literatur.

Aufgrund dieser verschiedenen Vorkommnisse traten viele Mitglieder aus Ärger und Bestürzung aus der Theosophischen Gesellschaft aus. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie sich das Schicksal der T. G. wohl gestaltet hätte, wenn sie sich nicht hätten herausdrängen lassen und für die geistige Grundlage der Bewegung eingetreten wären. Sie taten es aber nicht, und eine grosse Anzahl von wirklich wertvollen Menschen schied aus, da sie sich entmutigt und behindert fühlten und ausserstande waren, weiter mitzuarbeiten. Ich persönlich trat nie aus der Gesellschaft aus und erst vor wenigen Jahren habe ich aufgehört, meine Jahresbeiträge zu zahlen. Ich erwähne dies alles ziemlich eingehend, weil es sich dabei um Umstände und Vorgänge handelt, die gewisse Veränderungen nötig machten, aus denen heraus unser Werk für die nächsten zwanzig Jahre allmählich Gestalt annahm.

Die Jünger aller Meister sind allerorten in der Welt anzutreffen. Sie betätigen sich auf verschiedene Art und Weise, um die Menschheit zum Licht zu führen und das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. Die Theosophische Gesellschaft betrachtet sich jedoch als die alleinige Vermittlerin und weigert sich, andere Gruppen als wesentliche und gleichwichtige Teile der Theosophischen Bewegung in der Welt (im Gegensatz zur Theosophischen Gesellschaft) anzuerkennen; und das ist der hauptsächliche Grund für ihren Prestigeverlust. Vielleicht gelingt es der T. G., wenn auch reichlich verspätet, sich doch noch zu ändern und aus ihrer Isolierung und Sonderstellung herauszutreten, um sich der grossen Theosophischen Bewegung einzugliedern, die heute die Welt durchflutet. Diese Bewegung findet nicht nur in den verschiedenen okkulten und esoterischen Körperschaften ihren Ausdruck, sondern auch in den Arbeiter-Gewerkschaften, in den Plänen für Welteinheit und Nachkriegs-Rehabilitierung, in der neuen Vision auf politischem Gebiet und in der Anerkennung der Nöte und Bedürfnisse der gesamten Menschheit. Die Entartung ihrer ursprünglichen, wundervollen Triebkraft bricht denen von uns das Herz, welche die Prinzipien und Wahrheiten lieben, für welche die Theosophie ursprünglich eintrat.

Es besteht gar kein Zweifel, dass die von Helena Petrovna Blavatsky eingeleitete Bewegung ein wesentlicher Bestandteil des hierarchischen Planes war. Es hat seit jeher theosophische Vereinigungen gegeben - der Name der Bewegung ist nicht neu -, aber H. P. B. brachte soviel Licht in sie hinein und machte sie so allgemein bekannt, dass ihr Weckruf eine bis dahin vernachlässigte und ziemlich geheime Gruppe an die Öffentlichkeit brachte und dieser uralten Lehre bei der breiten Masse Gehör verschaffte. Dafür, dass Frau Besant die grundlegenden Lehrsätze der T. G. der breiten Masse der Menschen aller Länder zugänglich gemacht hat, schuldet ihr die Welt mehr, als sie je abtragen kann. Es liegt durchaus kein Grund vor, die ungeheure und hervorragende Arbeit ausser acht zu lassen, die sie für die Meister und für die Menschheit geleistet hat. Die Leute, die sie während der letzten fünf Jahre so scharf angegriffen haben, erscheinen mir nicht wichtiger als Flöhe, die einen Elefanten beissen.

Im Jahr 1920 erreichte die ganze Spannung ihren Höhepunkt. Die Kluft zwischen den Vertretern der Autorität der E. S. und den mehr demokratisch gesinnten Mitgliedern in der T. G. wurde immer grösser. In Amerika vertraten Mr. Warrington und die Leiter der E. S. samt ihren verschiedenen Landesvertretern die eine Gruppe, während die andere damals von Foster Bailey und B. P. Wadia geleitet wurde. So war die Lage, als die berühmte Tagung in Chicago im Sommer des Jahres 1920 stattfand. Ich hatte nie in meinem Leben an einer Tagung teilgenommen, und wenn ich sage, dass ich enttäuscht, angeekelt und entrüstet war, so ist das milde ausgedrückt. Es kam dort eine Gruppe von Männern und Frauen aus allen Teilen der Vereinigten Staaten zusammen, die sich angeblich mit der Verkündigung und Verbreitung von Bruderschaft befassten. Die Gehässigkeit und Verbitterung, die persönliche Animosität und politische Drahtzieherei waren derartig abscheulich und empörend, dass ich mir gelobte, in meinem ganzen Leben nie wieder einer Theosophischen Tagung beizuwohnen. Nach Mr. Warrington waren wir die rangältesten Beamten der T. G., aber wir bildeten nur eine kleine Minorität. Es war vom ersten Augenblick der Tagung an offensichtlich, dass die E. S. die Zügel in der Hand hatte und dass diejenigen, die für Bruderschaft und Demokratie eintraten, hoffnungslos überstimmt und somit besiegt würden.

Es gab Theosophen bei den Autoritätsvertretern, die sich dort recht unglücklich fühlten. Sie standen im Bann der E. S., waren aber über die von ihr angewandten Methoden empört. Viele von ihnen taten ihr Möglichstes, um uns rein persönlich ihre freundliche Gesinnung zur beweisen. Als die Tagung zu Ende ging, waren einige von ihnen von der Richtigkeit unseres Standpunktes überzeugt, und sie sagten uns das auch. Andere, die unvoreingenommen zur Tagung gekommen waren, stellten sich auf unsere Seite und halfen uns, so gut sie konnten. Trotz allem wurden wir hoffnungslos besiegt und die E. S. triumphierte durch ihr aggressives Vorgehen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als nach Krotona zurückzukehren. Die Lage entwickelte sich so, dass Mr. Warrington als Leiter der Theosophischen Gesellschaft in Amerika abdanken musste, obwohl er seine Stellung in der E. S. beibehielt. Sein Nachfolger wurde Mr. Rogers, der sehr scharf gegen uns eingestellt war und uns das auch persönlich weit mehr fühlen liess als Mr. Warrington. Letzterer achtete unsere ehrliche Überzeugung, und abgesehen von unseren Meinungsverschiedenheiten organisatorischer Art bestand ein sehr enges Freundschaftsverhältnis zwischen Mr. Warrington, Foster und mir selbst. Mr. Rogers war von erheblich kleinerem Format, und als er zur Macht kam, warf er uns sofort aus unseren Stellungen heraus. So endete unsere Zeit in Krotona und unser wirklich ernsthaftes Bemühen, der Theosophischen Gesellschaft von Nutzen zu sein.