Dreiecke in einer Welt der Dualität – März 2018
"Das Problem der Dualität", so sagt die spirituelle Philosophie, ist "das Problem des Daseins selbst".[1] Die Dualität, die Gegensatzpaare (wie richtig und falsch, Frieden und Krieg, Glück und Unglück, innen und außen, höher und tiefer, Licht und Dunkelheit, Leben und Form, um nur einige zu nennen), begegnet dem Menschen in jedem Stadium seiner Entwicklung. Durch alle Zeiten hindurch haben heilige Schriften auf diese Gegensätzlichkeit hingewiesen. Zum Beispiel beschreibt die Bhagavad Gita, die als "vielstimmige Vision von Gott, der in allen Dingen ist und von allen Dingen, die in Gott sind" bezeichnet wird, den Konflikt zwischen Geist und Materie. Sie beschreibt den ständigen Kampf Arjunas, des kampfesmüden, aber immer noch tapferen Jüngers, in seinem innigen Zwiegespräch mit dem geistigen Selbst, Lord Krishna. Indessen gibt es ein bleibendes, unabänderliches Bindeglied zwischen diesen beiden ausgeprägten Polaritäten[2], Leben und Form, und das ist das Bewusstsein. In dem sich ständig wandelnden Kaleidoskop von Strukturen, Eindrücken, Gedanken und Wünschen stellt das Bewusstsein eine Verbindung her zwischen Innen und Außen, Geist und Materie. Wenn Leben und Form gesondert auftreten, entsteht Bewusstsein, wenn sie sich vereinen, eine Synthese bilden, verschwindet es. Ewig und unveränderlich führt der zyklische Rhythmus von Leben und Tod, Manifestation und Auflösung, Ausatmen und Einatmen diesen magischen Tanz des Universums auf.
[1] Alice Bailey in Eine Abhandlung über kosmisches Feuer, S. 294 dt.
[2] Anm. des Übersetzers: In der philosophischen Terminologie versteht man unter Dualität die Gegenpole miteinander nicht vereinbarer Systeme und unter Polarität die Gegenpole miteinander vereinbarer Systeme.
Studenten der geistigen Wissenschaften sind sicherlich auch vertraut mit den Begriffen Einheit und Dreiheit, die, zusätzlich zum Begriff Zweiheit = Dualität, die Aggregatzustände der Energie beschreiben, diese Brennpunkte, die die ständig im Fluss befindliche Vielfalt der menschlichen Entfaltung ausdrücken. Die Dreiheit oder Trinität wird in den spirituellen Wissenschaften Leben - Bewusstsein - Form (Persönlichkeit) genannt, im Hinduismus Shiva - Vishnu - Brahma, im Christentum Vater - Sohn - Heiliger Geist. Indessen, welche Bezeichnung wir auch benutzen, gemeint ist immer ein und dasselbe. Die Dreiheit der wesentlichen Elemente oder Teile des Ganzen bildet die Grundlage für ein tieferes Verständnis von Evolution überhaupt.
In der ersten Morgendämmerung manifestierten Lebens ist das sich entwickelnde Bewusstsein 'lose' als Dreiheit verbunden. Die Persönlichkeit hat eine gleichsam embrionale Natur, beinahe nebulös, die Gefilde der Seele und des Geistes sind ihr weit voraus. Zahllose Äonen lang dreht sich das Menschenwesen innerhalb oder außerhalb einer Inkarnation im Kreise. Jedoch kommt die Zeit, in der die Persönlichkeit Gestalt anzunehmen beginnt. Farbe und Struktur kommen hinzu, Individualität und Selbstbewusstsein treten in den Vordergrund. Der Funke des Denkvermögens wird lebendig, bringt die empfindungsfähige und die physische Natur in Einklang mit dem intelligenten Willen des sich entwickelnden Bewusstseins. Viel Zeit muss verstreichen, Erfahrungen in der Welt der Form müssen gesammelt werden, bevor von fernher die feine Stimme der Seele im Getümmel und Lärm des äußeren Lebens vernehmbar wird.
Das Wispern der Seele
Wir vernehmen allerdings immerfort die Stimme des Gewissens, die auch "das Wispern der Seele" genannt wird. Sie dient uns, obwohl sie häufig negiert wird, als moralischer Kompass, als Indikator für (relatives) Richtig und Falsch. Wenn ihr Einfluss wächst, wird das Empfinden der Zweiheit sogar vordergründiger und bedrückender. Die sich entwickelnde Persönlichkeit und die geistige Natur stehen sich Aug in Aug gegenüber und jede versucht, gegenüber der anderen die Oberhand zu gewinnen.
Dies dürfte, planetarisch gesehen, dem aktuellen Entwicklungsstand des menschlichen Bewusstseins entsprechen. Zerrissen zwischen zwei großen Kraftfeldern, wird die ruhelose und verwirrte Menschheit, wird der Weltjünger mündig. Deutlich tritt zutage, dass zwischen den Inspirationen des neu hereinbrechenden Wassermannzyklus und den alten, trennenden Wegen eines fest verwurzelten Materialismus ein krasser Gegensatz besteht. Die Störzonen sind tief, breit und sehr alt. Aber mit der Zeit wird das Pendel zwischen den beiden Extremen, den Dualitäten, nicht mehr so weit in beide Richtungen schwingen, sondern die Tendenz zu Stabilität, Gleichgewicht und Ausgewogenheit bekommen. Irgendwann, vielleicht eher als wir denken, wird eine Zeit dauerhaften Friedens, gestützt von einem ausströmenden universellen Vereinigungswillen, die Menschheit einhüllen. Der Geist der Liebe, inbrünstig angerufen von einer abgekämpften, geprüften Menschheit, kommt herab. Aus der Dunkelheit des jahrhundertealten Materialismus steigt, geboren aus großer Anstrengung, Leid und schweren Erfahrungen, ein Zeitalter des Lichtes und stillen Wollens herauf.
Der aufkommende Lauf der Evolution
Zwar ist seit langem der auf Trennung und Teilung gerichtete Impuls zu fest verwurzelt, um den Trend gegen diese unüberwindlich erscheinenden Kräfte einfach umzukehren. Aber obwohl dieselben Kräfte auf der Erde noch immer wirksam und lebendig sind, ist es heutzutage nicht übertrieben festzustellen, dass ihr Einfluss und ihre Macht auf dem physischen Plan allmählich schwinden. Der wachsende Elan in Richtung Freiheit, Miteinanderteilen, Gerechtigkeit, Zusammenarbeit und Sinn für das Ganze befindet sich im Aufwind. Denken wir nur daran, wie eine wohlbegründete allgemeine Meinung mit separatistischen, engherzigen Gedanken umgeht. Sie wird vom Geist des Vereinigungswillens informiert, motiviert und geprägt. Dieser Geist ändert Verlauf und Richtung aller menschlichen Probleme.
Vor einigen Jahren war noch zu erkennen, dass die Kräfte des Materialismus aktiv und gut organisiert und dass die Kräfte des Lichts zwar ebenfalls aktiv aber nicht so gut organisiert waren. Es sieht so aus, als habe in dieser Gewichtung ein tiefgreifender Umschwung stattgefunden. Die Kräfte des Lichts sind nicht nur aktiv und gut organisiert, sondern sie bündeln ihre Bemühungen, arbeiten koordinierter und integrierter zusammen, Kennzeichen einer signifikanten Wende.
Man kann vielleicht sagen, dass die neuen Wassermannimpulse (Ideen und Werte) nicht so sehr von der Öffentlichkeit oder der öffentlichen Meinung behindert werden, sondern eher von den tief verwurzelten politischen und religiösen Einrichtungen und Institutionen, auf deren verkrustete äußere Formen sowie auf deren starke materiellen Interessen, die weder willens noch in der Lage sind, sich dem emporstrebenden Lauf der Evolution zu beugen. Insoweit mögen wir uns an die tiefgründigen Worte Christi erinnern: "Du sollst keinen neuen Wein in alte Schläuche füllen". Die spirituelle Philosophie lehrt, dass "alle Formen zu dem Zweck bestehen, eine Wahrheit zum Ausdruck zu bringen".[1] Geistige Grundlagen und Werte, die in den Köpfen erleuchteter und intuitiver Denker heraufdämmern, erfordern eine Form, ein Vehikel, in dem sie sich zum Wohl des Ganzen kenntlich machen und verankern können. Das ist ein Grundgesetz des Universums. Nichts kann letztlich dem Lauf der Evolution und seinen Auswirkungen auf die Welt der Formen widerstehen.
[1] Alice Bailey, Der Yoga-Pfad, S. 82 dt.
Das duale Leben des Jüngers
Zur vorbestimmten Zeit wird ein Wendepunkt im Leben eines jeden menschlichen Wesens auf seinem geistigen Pfad eintreten und ebenso für die Menschheit: sie werden zu Weltjüngern. Die Stimme der Seele spüren sie nicht nur, sondern sie engagieren sich aktiv für sie. An die Stelle der Dreiheit tritt eine stets zunehmende Erkenntnis von Zweiheit, der seelenbestimmten Persönlichkeit und des Geistes. Die Zweiheit führt unweigerlich in das Stadium hinein, das "das duale Leben des Jüngers" genannt worden ist. Dieser Punkt der Entwicklung, umschrieben als "ein Leben äußerer Tätigkeit und innerer Empfindungsfähigkeit"[1], ist ein Pfad, der den Jünger, den Weltdiener, auf zahlreichen Gebieten seines Bewusstseins weitet.
[1]Alice Bailey, Jüngerschaft im Neuen Zeitalter, I. Band S. 221 dt.
Deshalb überrascht es nicht, dass "das duale Leben des Jüngers" wegen seiner hochentwickelten Natur neu und eine relativ unbekannte psychologische 'Geistesverfassung' im sich erweiternden Bewusstsein der menschlichen Familie ist. Bei diesem Stand geistiger Bewusstheit versteht der Jünger schließlich die volle Bedeutung von Dualität und bringt sie fest entschlossen auf der Weltbühne mit 'physischem Hirnbewusstsein' zum Ausdruck. Und, während er sich in viele Richtungen engagiert - innerlich und äußerlich -, wie zum Beispiel einigen Aspekten des göttlichen Plans zu dienen, seine innere Haltung auf die göttlichen Pläne der Achtsamkeit zu konzentrieren und bewusst eine Regenbogenbrücke zu bauen, die das höhere und das niedere Denken miteinander verbindet, gleichzeitig an der Familie teilnehmend und berufliche Verantwortung übernehmend, steht der Diener ungerührt. Das kennzeichnet ein fortgeschrittenes Stadium evolutionärer Entwicklung. Für diejenigen, die hierzu bereit sind, gibt es die Gelegenheit zu gesegnetem, tieferem planetarischem Dienst, Belohnung für die diejenigen, die die engen Grenzen rein menschlicher Erfahrung transzendieren.
Einheit
An einem gewissen Punkt des großen Pfades, den wir Leben nennen, endet die Zeit des "dualen Lebens des Jüngers". Die letzten Grenzen rein menschlicher Erfahrung winken, die Zweiheit macht Platz für das Schlussfinale der vollständigen Einheit. Der Wunsch nach Inkarnation verschwindet, die Knechtschaft des Karma zerbricht, Befreiung folgt. Seele und Persönlichkeit sind vollkommen geworden, verschmolzen und integriert. Vor uns liegt das Reich des reinen, ungeformten Geistes, die Monade, das Eine, die ständige Gegenwart. Nichts als die Geistsubstanz verbleibt im Bewusstsein des Eingeweihten. Das individuelle Bewusstsein geht auf, wird aufgesogen vom GANZEN. Nichts bleibt als Gott.
Kennzeichen der Menschheit: Der Weltjünger
Die Menschheit, der Weltjünger, schreitet auf genau demselben Pfad voran wie der einzelne Diener. Und während die Menschheit nun an einem Kreuzungspunkt steht, verschwindet allmählich das vertraute und 'behagliche' Umfeld uralter Praktiken, Rituale und Denkgewohnheiten. Vor ihr liegen unbekannte Gewässer. Schemenhaft für die meisten, eine Vision der Hoffnung für einige und für wenige die Erkenntnis, dass wir uns heraus aus einem großen göttlichen Tierkreis in einen anderen bewegen, der uns großartigere Möglichkeiten bietet, die Evolution des Menschengeschlechts voranzutreiben.
Zum Teil behindern Nationalismus, trennende Gedanken und das Gewicht des Materialismus noch den freien Fluss göttlicher Energie in das Weltganze. Deshalb ist die Aufgabe, die vor uns liegt, klar und unmissverständlich: die menschliche Familie darin zu unterstützen, immer stärker auf das Licht und die Liebe der Hierarchie zu reagieren und konsequenterweise auch den kleinen Leben der niedrigeren Naturreiche zu helfen, das Gleiche zu tun.
Durch Meditation, durch das geschriebene und gesprochene Wort und durch unsere Dreieckarbeit können wir dazu beitragen, das Abstrakte zu konkretisieren, die inneren Wirklichkeiten zu verankern und den neuen Inspirationen, der Saat der Hoffnung, die aus den erleuchteten Reichen ausströmen, Leben, Form, Struktur und Qualität zu verleihen. Nichts kann deren Herabkommen, Entstehen und Erscheinungsbild stoppen, aber sie können hinausgezögert werden, wenn das Denken der Menschheit zu stark auf die Materie ausgerichtet ist. Entscheidend für das Hervortreten dieser profunden Vorgänge ist der freie Wille des Menschen, und die Gruppe der Weltdiener wird bei der Entfaltung dieser Ereignisse eine äußerst wichtige Rolle spielen. Der Schlüssel, der der Menschheit ein goldenes Zeitalter von Kreativität, Schönheit und Licht aufschließen wird, ist der gute Wille.
Mit jeder Generation, die vorübergeht, bewegt sich das Schlachtfeld menschlicher Konflikte von den physisch-ätherischen und astralen Bereichen hinweg zu den mentalen Ebenen. Die neuen Waffen im Arsenal sowohl der progressiven als auch der materialistischen Streitkräfte sind visionäre Ideen und Wahrheiten einerseits, plumpe Propaganda und Lüge andererseits. In einer Hinsicht ist das gesund, in anderer Hinsicht gefährlich, denn die Macht der Mentalebene ist unberechenbar und sie wird in gleichem Umfang sowohl von den progressiven als auch von den materialistischen Kräften für ihre jeweiligen Ziele genutzt. So lange es keinen gezielten Vereinigungswillen und Willen zum Guten gibt, der die Tendenzen der materialistischen Kräfte kompensieren kann, können die Konsequenzen sehr schwerwiegend sein und die Menschheit in eine Ära von Dunkelheit und extremem Materialismus stürzen. Dreiecke bilden den Antrieb, dass die dreifache Natur der Seele bei der Lösung der Weltprobleme an Gewicht gewinnt. Das Vordringen von Licht, Liebe und Kraft ins menschliche Bewusstsein hebt den Blick der Menschheit an zum Avatar der Welt, dem Christus, dem Herrn der Liebe.
"Große Entschließungen" und "tiefgehende Regelungen im Willen Gottes"[1] ebnen den Weg für seine Wiederkunft. Vor zweitausend Jahren sagte Christus klar und unmissverständlich: "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich." Die Menschheit muss wählen und die Wahlmöglichkeiten waren niemals deutlicher. Die Dreiecksarbeit ist dazu bestimmt, eine größere Klarheit in das Denken der Menschen bringen, diejenigen Grundsätze und Werte zu beleben, die für den Fortschritt der Menschheit notwendig sind und die einen Umschwung der allgemeinen Meinung auf die Seite der progressiven und visionären Werte bewirken.
[1] Alice Bailey, Die Wiederkunft Christi, S. 70 dt.
Es gibt keine rasche Lösung für diese tiefgehenden Probleme. Es gibt keine Computertastenkombination ctrl + z, um die Schäden und Fehler der vergangenen Jahre ungeschehen zu machen. Allein die unablässige, unerbittliche Arbeit all derer, die ihre Mitmenschen lieben, kann als magnetische und konstruktive Kraft zum Guten dienen und im Laufe der Zeit dazu beitragen, die Richtung menschlichen Denkens weg vom Materiellen zum Spirituellen hinzuwenden. Zur rechten Zeit werden viele das Leben, die Mitmenschlichkeit und die Welt als "ein vereinigtes Ganzes sehen, was sich in Wechselbeziehung, Zusammenarbeit und Harmonie äußert"[1] Bis dahin gibt es noch viel zu tun.
[1] Alice Bailey, Die Strahlen und ihre Einweihungen S. 723 dt.