Nahrungsmittelsysteme transformieren


Das Denken, die Energie und die Ressourcen (Kapital, Arbeit, Kreativität usw.), die auf die Lösung der großen Probleme unserer wechselseitig voneinander abhängigen Welt gerichtet sind, sind nach wie vor weitgehend durch den Wettbewerb zwischen getrennten Einheiten motiviert, die in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen (wie z.B. Konzerne und Nationalstaaten). Gleichzeitig gibt es jedoch eine Fülle von Energien, die auf den Aufbau kooperativer und gerechterer Beziehungen hinarbeiten. Der Fokus und die Kreativität vieler dieser Initiativen gehören zu den ermutigendsten Aspekten dieser Zeit.

Die meisten Initiativen zur Lösung von Weltproblemen konzentrieren sich auf materielle Lösungen. In Anbetracht dessen, dass der Schwerpunkt der jahrhundertelangen Ära, die wir gerade hinter uns lassen, auf dem Materiellen lag, ist dies nicht überraschend. Die Notwendigkeit, den Geist und die Qualität der Beziehungen, Bestrebungen und Perspektiven, die die Probleme verursachen, zu verändern, findet weniger Beachtung.1

Die Einsicht, dass die evolutionäre Krise, mit der wir als Spezies konfrontiert sind, im Wesentlichen eine spirituelle Krise ist, hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Otto Scharma vom Massachusetts Institute of Technology stellt dazu fest: „Man kann das System nicht ändern, wenn man nicht die Denkweise oder das Bewusstsein der Menschen ändert, die dieses System schaffen. Die eigentliche Frage ist also, wie man das erreicht.”2

Die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) der Vereinten Nationen, denen alle Nationen zugestimmt haben, werden manchmal als Irrweg angesehen, weil sie sich auf quantifizierbare materielle Ziele konzentrieren - und dabei die tieferen Veränderungen, die im Bewusstsein notwendig sind, übersehen und die Aufmerksamkeit von der entscheidenden Frage ablenken: „Wie kann man etablierte Denkweisen ändern?”

Die SDGs schlagen im Wesentlichen eine Brücke vom materiell orientierten Geist der Gegenwart zu etwas Neuem. Ohne eine gewisse Verwurzelung in der Denkweise der Vergangenheit hätten Regierungen, große Teile der Wirtschaft, Berufsverbände und lokale Behörden (die Machtzentren der modernen Gesellschaften) die SDGs nie als etwas anderes als etwas Wünschenswertes und Visionäres betrachtet und hätten die Ziele sicherlich nicht in dem Maße unterstützt und sich dafür eingesetzt, wie sie es heute tun.

Das neue, und manche würden sagen „spirituelle” (oder wie die UN es ausdrückt, das „transformatorische”) Element der Ziele ist, dass sie voneinander abhängig sind. Mit anderen Worten, es handelt sich um einen systemischen Ansatz für die menschliche Entwicklung und die Bewältigung der Probleme der Menschheit, der sich auf die Rechte und Freiheiten aller Menschen stützt und gleichzeitig anerkennt, dass die Ziele sowohl für die lokale als auch für die globale Ebene gelten. Sie zielen gleichermaßen auf die Herausforderungen in armen und reichen Regionen ab. Dieser integrierte Ansatz führt Nationen und Völker zu der grundlegenden Erkenntnis, dass die Erde Eins ist und dass auch die Menschheit Eins ist - und die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, erfordern, dass wir aus dieser Perspektive denken und planen.

Es ist auch erwähnenswert, dass es Ziele und Vorgaben gibt, die auf einen Wertewandel abzielen, wie z.B. das Ziel 12 „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen”. Dies erfordert einen weitreichenden gesellschaftlichen Wandel im Verständnis dessen, was werthaltig und wünschenswert ist. Das hat beispielsweise dazu geführt, dass die deutsche Bundesregierung ein Nationales Programm für nachhaltigen Konsum aufgelegt hat, das sicherstellen soll, dass den Verbrauchern eine große Auswahl an umweltfreundlichen und sozialverträglichen Produkten und Dienstleistungen zur Verfügung steht. 3

Die Landwirtschaft, die Nahrungsmittelproduktion und die -verteilung werden durch lokale und globale Probleme wie Hunger, Gesundheit, Verlust der biologischen Vielfalt, Umweltverschmutzung und die wachsende Kluft zwischen extremem Wohlstand und extremer Armut verändert. Sie werden auch durch eine ganzheitliche Sichtweise verändert. Wenngleich die Veränderungen viel langsamer vonstattengehen, als viele es sich wünschen würden, so sind dies doch Bereiche, in denen eine neue Spiritualität der Ganzheitlichkeit und Integration beginnt, erhebliche Auswirkungen zu haben.

Aus Sicht der Zeitlosen Weisheit spiegeln die voneinander abhängigen Krisen des Hungers, der Mangelernährung und der Umweltzerstörung die Notwendigkeit wider, die Qualität der Beziehungen innerhalb der menschlichen Familie und zwischen den verschiedenen Naturreichen zu verändern. Aber wie, so fragt Scharma, können wir dies tun, und zwar in großem Maßstab, wenn es wirklich die Fähigkeit erfordert, aus der Perspektive der Seele oder der Buddha-Natur zu denken und am Leben teilzunehmen? Anhand von acht „Akupunkturpunkten für soziale Transformation” (darunter der Erdboden, die Ernährung und Klimagerechtigkeit, Konsum und planetarisches Wohlergehen sowie Regierungsführung und Demokratie) betreibt das Presencing Institute eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen, in denen Teilnehmer/innen aus der ganzen Welt mit Techniken experimentieren, um die „zugrundeliegenden operativen Systeme vom Ego-System zum Öko-System Bewusstsein” zu verändern.4

Pioniere unter den Landwirten, Ernährungswissenschaftlern und Denkern mit einem breiten Spektrum an indigenen, spirituellen und ethischen Hintergründen entwickeln seit Jahrzehnten Konzepte für die Landwirtschaft, die sich sowohl auf die Qualität der erzeugten Nahrungsmittel als auch auf die Fürsorge und die Liebe zur natürlichen Welt konzentrieren. Ihre Erkenntnisse beginnen sich nun auf nationale und globale Pläne für einen nachhaltigeren und regenerativen Ansatz in der Landwirtschaft auszuwirken. Eine der einflussreichsten Vorreiterinnen ist die von Rudolf Steiner inspirierte biodynamische Landwirtschaftsbewegung, die betont, dass es bei der Agrarkultur „nicht nur um die Bewirtschaftung von Ackerland, die Verarbeitung und den Handel mit gesunden Nahrungsmitteln geht, sondern auch um die Entwicklung des Menschen und der Erde”. Der biodynamische Verband Demeter International mit Sitz in Darmstadt, Deutschland, ist ein Zusammenschluss von 36 nationalen Organisationen mit mehr als 7.000 Landwirten in 65 Ländern.5 Dan McKanan von der Harvard Divinity School weist darauf hin, dass die gesamte Umweltbewegung „durch die Anthroposophie bereichert” wurde, und zwar in einem Maße, dass die biodynamische Landwirtschaft heute ein wichtiger Akteur in der ökologischen Bewegung ist. 6

Das in der ägyptischen Wüste ansässige SEKEM ist vom anthroposophischen Denken inspiriert. Es arbeitet mit der ganzheitlichen Vision, eine „Ökonomie der Liebe” zu etablieren, und umfasst ein Netzwerk von biodynamischen landwirtschaftlichen Betrieben, Handelsunternehmen, die biologische und biodynamische Produkte herstellen, eine Waldorfschule und eine kommunale Schule für Kinder aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen sowie die Heliopolis-Universität für nachhaltige Entwicklung. Als der Gründer 1975 aus Österreich in seine Heimat Ägypten zurückkehrte, war er von der Idee beseelt, ein Programm zur sozialen, kulturellen und geistigen Erneuerung ins Leben zu rufen, das Steiners Ideen mit dem Islam und altägyptischem Gedankengut verbindet - der Name Sekem bedeutet „Lebenskraft von der Sonne”.7

Das vielleicht bemerkenswerteste Beispiel für ein aufkommendes spirituelles Bewusstsein, das sich auf Lösungsansätze für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung in den Bereichen Nahrungsmittelproduktion, Ernährung und Armutsbekämpfung auswirkt, ist die Conscious Food Systems Alliance - eine vom UN-Entwicklungsprogramm ins Leben gerufene „Bewegung von Fachleuten für Nahrungsmittel, Landwirtschaft und Bewusstsein”. Zu den Mitgliedern gehören so unterschiedliche Gruppen wie Food Sense Wales - deren Ziel es ist, Einfluss darauf zu nehmen, wie Nahrungsmittel in Wales produziert und konsumiert werden, das Centre for Indigenous Knowledge and Organizational Development in Ghana - das indigene Perspektiven in die kommunale Entwicklungsarbeit einbringt, und das Centre for Sustainability Studies der Universität Lund in Schweden - ein „Zentrum von Weltrang für Forschung, Lehre und Wirkung im Bereich Nachhaltigkeit”. Die Mitglieder des Bündnisses haben das gemeinsame Ziel, „Menschen aus allen Bereichen der Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssysteme dabei zu unterstützen, die inneren Fähigkeiten zu kultivieren, die einen systemischen Wandel und eine Erneuerung in Gang setzen”. Um die Nahrungsmittelsysteme zu transformieren, so die Allianz, müsse man „nicht nur an Richtlinien, Forschung und Projektimplementierung arbeiten, sondern auch an den inneren Triebkräften individueller, kollektiver und institutioneller Verhaltensweisen.” 8

Von kleinen lokalen Gruppen bis hin zu großen Initiativen auf globaler Ebene gibt es heute ein wachsendes Bewusstsein für globale Verantwortung und einen ausgeprägten Willen, im Sinne des Wohls von ganzen Systemen zu denken und zu handeln.  §

  1. BBC Radio 4, Shared Planet (1 October 2013) >> bit.ly/3rxWHXo
  2. The Conscious Food Systems Alliance, Transforming Food Systems from Within >> bit.ly/3roeu31
  3. BMEL, National Programme for Sustainable Consumption >> bit.ly/3K324nN
  4. u-school, Acupuncture Points >> bit.ly/44pDRAa
  5. Biodynamic Federation, Demeter >> bit.ly/3Ou5S4g
  6. D. McKanan, Eco-Alchemy: Anthroposophy and the History and Future of Environmentalism. University of California Press, 2018, pp. xv – xvi
  7. Sekem >> bit.ly/3pMnvCP
  8. The Conscious Food System Alliance >> bit.ly/46VFU0m

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