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SECHSTER VORTRAG

SECHSTER VORTRAG

DAS ZIEL DER EVOLUTION

Ich fühle [119] mich sehr unwohl dabei, wenn ich eine Überschrift wie diese, «Das Ziel der Evolution» so einfach ausspreche; denn es ist mir klar, dass ich weiter nichts tun kann, als bestimmte Mutmassungen und Ergebnisse meiner Vorstellung vor Ihnen auszubreiten. Natürlich ist es dem endlich begrenzten Denken nicht möglich, den Plan der Gottheit genau zu beurteilen. Wir können einzig die Geschichte der Vergangenheit studieren, gegenwärtige Zustände untersuchen, die rassischen und naturgegebenen Tendenzen einigermassen bestimmen und auf diese Weise so folgerichtig wie möglich den verschiedenen, bisher zurückgelegten Schritten und Stufen nachgehen. Es ist uns lediglich gestattet, von der soliden Basis vorhandener Tatsachen und Wissensergebnisse auszugehen, sie dann alle zusammenzufügen und uns schliesslich aus dem Aggregat eine Hypothese von dem, was das mögliche Ziel sein könnte, zu bilden. Darüber hinaus können wir nicht gehen.

Bei unseren Gesprächen über Evolution, wie ich im ersten Vortrag erwähnte, handelt es sich bis zum gewissen Grad um mutmassliche Voraussetzungen und daraus ableitbare Möglichkeiten. Bestimmte Dinge wissen wir und bestimmte Wahrheiten wurden [120] festgestellt; aber sogar die Tatsachen der Wissenschaft, zum Beispiel, über die noch vor vierzig Jahren so viel geredet wurde und die mit allem Nachdruck verfochten wurden, werden nicht mehr als Tatsachen anerkannt und heute weder angewandt noch so drastisch und leidenschaftlich verkündet, wie damals. Die Wissenschaft selbst erkennt Jahr für Jahr mehr, dass ihr Wissen äusserst relativ ist. Je mehr ein Mensch begreift und weiss, desto weiter wird der Horizont, der sich ihm eröffnet. Wissenschaftler wagen sich bereits in die subtileren Ebenen der Materie vor und damit in die Bereiche des Unbewiesenen, deren Existenz, was wir nicht vergessen sollten, sich die Wissenschaft noch vor kurzem geweigert hat, zuzugeben. Wir überschreiten die uns als «feste Materie» bekannte Sphäre und betreten die Bereiche, die gemeint sind, wenn wir von «Energiezentren», «negativer und positiver Kraft» und «elektrischen Phänomenen» sprechen; damit verlagert sich aber der Akzent mehr und mehr auf Qualität als auf das, was mit Substanz bezeichnet wurde. Je weiter wir in die Zukunft schauen, je ausgedehnter unsere Spekulationen werden und je mehr wir versuchen telepathische, psychische oder andere Erscheinungen zu erklären desto tiefer werden wir in das Gebiet vordringen, das für uns jetzt das Subjektive und Unterbewusste ist und desto mehr werden wir gezwungen sein, uns in Begriffen von Qualität oder Energie auszudrücken.

Falls es uns überhaupt gelingt, das Ungewöhnliche oder das bisher noch Unerklärliche zu erklären und die Realität des Okkulten nachzuweisen, dann werden wir einen Zustand schaffen, der fast paradox zu nennen wäre. Denn dann werden wir Schritt für Schritt das Subjektive zum Objektiven machen.

Das Thema, mit [121] dem ich mich jetzt beschäftigen werde, geht uns sehr nahe an: nämlich das Erreichen jenes Gruppenbewusstseins durch den Menschen, das sein Ziel ist, und die Erweiterung seines kleinen Bewusstseins, bis es dem Grossen Bewusstsein entspricht von dem es umschlossen ist. Sie werden sich erinnern, dass ich meinen Versuch, den Unterschied zwischen Selbst-Bewusstsein, Gruppen-Bewusstsein und Gott-Bewusstsein zu erklären, durch den Hinweis beleuchtet habe, dass im kleinen Atom der Substanz im physischen Körper, in diesem winzigen zentralen Leben, das zur Konstitution der menschlichen Form gehört, wir eine Entsprechung zum Selbst-Bewusstsein des Menschen vor uns haben; dass das Leben unseres physischen Körpers, wenn man ihn in jeder einzelnen seiner Abteilungen als Ganzes betrachtet, für die kleine in sich abgeschlossene Zelle dasselbe ist, wie für uns das Gruppen-Bewusstsein; dass ferner das Bewusstsein des wirklichen Menschen, nämlich die beseelende Wesenheit im Körper, für dieses Atom das ist, was «Gott-Bewusstsein» für uns wäre, und ebenso unerklärlich und fern. Und wenn wir dieses Konzept des Atoms in unserem Körper und seine Beziehung zum Menschen (den wir das menschliche Atom genannt haben), ausdehnen können, indem wir ihn als eine Einheit in einem noch grösseren Körper betrachten, dann können wir für die Grundverschiedenheit zwischen diesen drei Bewusstseinsstrahlen einiges Verständnis gewinnen. Es gibt [122] eine hochinteressante Analogie zwischen der Evolution des Atoms und der des Menschen (und ich nehme daher an, dass sie auch für die planetarische Gottheit und den Sonnenlogos gilt) in den beiden Entwicklungsmethoden, die sie verfolgen. Wir haben gesehen, dass das Atom sein eigenes atomares Leben besitzt, und dass jedes Substanzatom im Sonnensystem gleichermassen in sich selbst ein kleines System ist, denn es besitzt ein positives Zentrum oder eine zentrale Sonne, mit den Elektronen oder dem negativen Aspekt, die in ihren Bahnen um sie rotieren. Solcherart ist das innere Leben des Atoms mit seinem selbstzentrierten Aspekt. Wir bemerkten auch, dass das Atom heute auf einer anderen, neueren Linie studiert wird, nämlich jener der Radioaktivität, und es sich in vielen Fällen zeigt, dass aktive Strahlung stattfindet. Es ist nicht möglich vorauszusagen, wohin diese Entwicklung genau führen wird, denn die Erforschung radioaktiver Substanzen steckt noch in den Kinderschuhen und man weiss faktisch noch wenig. Viele der früheren Lehren der Physik sind durch die Entdeckung des Radiums revolutioniert worden und je mehr die Wissenschaftler entdecken, desto deutlicher zeigt sich (wie sie selbst erkennen), dass wir an der Schwelle gewaltiger Entdeckungen und im Vorfeld tiefgreifender Erkenntnisse stehen.

Im Menschen können, je mehr er sich fortentwickelt, diese zwei Stadien ebenfalls erkannt werden. Zunächst das frühe oder atomische Stadium, wo das Interesse des Menschen in ihm selbst, innerhalb seiner eigenen Sphäre zentriert und diese Selbst-Zentriertheit das Daseinsgesetz ist, ein [123] notwendiges, schutzbietendes Evolutionsstadium. Er ist eindeutig egozentrisch und hauptsächlich mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Hierauf folgt später eine Stufe, in der das Bewusstsein des Menschen sich zu erweitern beginnt, seine Interessen sich zum Teil schon ausserhalb seiner eigenen, begrenzten Sphäre verlagern und die Periode einsetzt, in der er ein Gefühl für die Gruppe bekommt, zu der er gehört. Diese Stufe könnte als die Entsprechung zum Stadium der Radioaktivität angesehen werden. Er ist jetzt nicht nur ein selbstzentriertes Leben, sondern fängt an, einen deutlichen Einfluss auf seine Umgebung auszuüben. Er wendet seine Aufmerksamkeit vom eigenen, persönlichen, selbstsüchtigen Leben ab und sucht nach seinem grösseren Zentrum. Er ist nun nicht mehr nur ein Atom, sondern wird seinerseits zu einem Elektron und kommt damit unter den Einfluss des grossen zentralen Lebens, das ihn innerhalb Seiner Einflusssphäre hält.

Wenn es sich so verhält, können wir innerhalb des Lebens der planetarischen Gottheit analoge Stadien erwarten und das wäre vielleicht die Erklärung für so manche Veränderungen und Geschehnisse auf dem Planeten. Häufig halten wir Ereignisse auf der Welt für die Auswirkungen menschlicher Aktivität. So wird der Weltkrieg zum Beispiel zumeist als eine Folge menschlicher Fehler und Schwächen angesehen. Vielleicht trifft das zu, denn zweifellos haben wirtschaftliche Zustände und menschliche Ambitionen weitgehend an seinem Zustandekommen mitgewirkt; aber er könnte vielleicht ebensogut teilweise auf die Auswirkungen des grossen zentralen Lebens zurückzuführen sein, Dessen Bewusstsein dem unseren noch nicht zugänglich ist und Das Seine eigenen Pläne, Absichten und Ideale hat und, möglicherweise, Seine Experimente [124] mit dem Leben macht. In einem viel grösseren Massstab und auf Seiner eigenen hohen Ebene lernt auch dieser planetarische Geist zu leben, lernt neue Kontakte und ist ebenso, wie wir dabei, Sein Bewusstsein zu erweitern. Er durchläuft also ebenso, wie Sie und ich, einen Lernprozess. Ebenso kann es sich mit dem Sonnensystem verhalten und mit Geschehnissen so ungeheuren Ausmasses, dass sie unsere Fassungskraft übersteigen. Vielleicht gibt es innerhalb des Sonnensystems Vorgänge, die auf die Durchführung der Pläne der Gottheit oder des Logos zurückzuführen sind, jenes zentralen Lebens, Das die Energiequelle innerhalb des Sonnensystems ist. Ich weiss es nicht, aber sich darüber Gedanken zu machen, ist interessant genug und es kann nicht schaden, wenn das Ergebnis einer solchen Spekulation sich für uns in umfassenderer Vision, weitreichenderer Toleranz und in mehr und weiserem Optimismus auswirkt.

Nachdem wir gesehen haben, dass die beiden Stadien der atomaren Aktivität und der Radioaktivität für die Evolution aller Atome im Sonnensystem charakteristisch sind, wollen wir nun untersuchen, wie die verschiedenen Entwicklungen aussehen, die zu erwarten sind, während sich das Bewusstsein im menschlichen Atom fortentwickelt. Auf diesen menschlichen Typ des Bewusstseins möchte ich unsere Aufmerksamkeit konzentrieren, weil es die zentrale [125] Evolution im Sonnensystem ist. Wenn die drei Aspekte des göttlichen Lebens zusammengebracht werden - das innewohnende Leben oder der Geist, die materielle Form oder der Substanzträger sowie der Faktor der intelligenten Aktivität - werden sich einige spezifische Resultate ergeben: Es wird allmählich ein Bewusstsein besonderer Art hervorkommen; es wird sich psychische Qualität entwickeln; die Wirkung des subjektiven Lebens auf die materielle Form wird deutlich; die Form wird für gewisse, spezifische Zwecke verwendet werden und die innewohnende Wesenheit wird bestimmte Qualitäten aufweisen. Die wahre Natur des zentralen Lebens, sei es Gott oder der Mensch, wird während eines Lebenszyklus manifestiert werden, ob es sich um ein solares oder menschliches Leben handelt. Das gilt für Sie ebenso, wie für mich; und es gilt wahrscheinlich für den planetarischen Logos und, wenn es auf ihn zutrifft, dann auch auf einen Sonnenlogos.

Lassen Sie uns, soweit möglich, versuchen, einigen der verschiedenen Entwicklungen im Zusammenhang mit unseren vier Atomtypen zu folgen - dem Substanzatom, dem menschlichen, dem planetarischen und dem kosmischen Atom. Eine der ersten und wichtigsten Entwicklungen wird die bewusste Reaktion auf jegliche Schwingung und jeden Kontakt sein, das heisst, die Reaktionsfähigkeit auf das Nicht-Selbst auf jeder Ebene. Ich will das deutlich machen. Ich könnte hier in dieser Stadt in einen Versammlungsraum gehen und eine Zuhörerschaft um mich versammeln, die aus ungelernten Arbeitern und Analphabeten bestünde, könnte zu ihnen sprechen und vor ihnen wiederholen, was ich zum Beispiel heute Abend gesagt habe, und würde keinerlei Widerhall finden. Aber [126] ich könnte auch hingehen und ihnen einen Vortrag halten, wie ich ihn etwa vor zehn Jahren gehalten hätte, auf streng religiöser oder biblischer Basis, und bekäme sehr rasch eine Reaktion. Hier geht es nicht um die Frage, richtig oder falsch, sondern einfach um die Unterschiedlichkeit der verschieden abgestuften Fähigkeiten und Menschentypen, in ihren jeweils verschiedenen Evolutionsstadien, auf Kontakt und Schwingung zu reagieren. Das heisst ganz einfach, dass bestimmte Menschen auf einer Stufe stehen, wo sie durch einen emotionalen Appell erreicht und auf der Linie ihres eigenen, persönlichen Seelenheils angesprochen werden können, da sie sich noch im früheren, dem «atomaren» Stadium befinden. Es gibt ein weiteres Stadium, das dieses einschliesst, uns aber befähigt, auch auf einen intellektuellen Appell anzusprechen, der ein gewisses Interesse und eine gewisse Befriedigung an solchen Diskussionen weckt, wie wir sie verfolgt haben und das bedeutet, dass Themen untersucht werden, die bereits die Gruppe betreffen, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber beide Stufen sind gleichermassen gerechtfertigt.

Dieser Gedanke lässt sich auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Es ist durchaus möglich, dass bedeutende Menschen unseren Weg kreuzen, dass wir wunderbaren Männern und Frauen begegnen, von ihnen aber gar nicht beeindruckt sind; wir gehen an ihnen vorüber, ohne sie zu erkennen und lassen uns entgehen, was sie uns hätten geben können. Das geschah in Palästina in Verbindung mit Christus vor 2000 Jahren. Warum? Weil wir selbst noch nicht gross genug sind, um auf ihre Grösse reagieren zu können. Irgendetwas fehlt noch in uns, so dass wir unfähig sind, ihre besondere [127] Schwingungsqualität zu registrieren oder zu fühlen. Ich hörte einmal sagen, und ich glaube, das ist sehr wahr: Wenn Christus wieder sichtbar auf die Erde käme und mitten unter uns Menschen, wie Er es damals tat, Tag für Tag leben würde, dass wir gar nichts Besonderes bemerken könnten, das Ihn von anderen, guten, selbstlosen Leuten unterschiede, die wir kennen. Wir haben ja auch in uns selbst noch nicht die Gabe kultiviert, auf das Göttliche in unserem Bruder zu reagieren. Im allgemeinen sehen wir nur, was schlecht und gewöhnlich ist und werden uns bei unserem Bruder prinzipiell nur seiner Fehler bewusst. Es fehlt uns noch immer die Sensitivität für hohe menschliche Qualität.

Eine weitere Entwicklung wird die Fähigkeit sein, bewusst auf allen Daseinsebenen zu wirken. Zurzeit funktionieren wir bewusst auf der physischen Ebene und es gibt einige Wenige, die fähig sind, ebenso bewusst auf der nächstsubtileren Ebene zu wirken nämlich auf der Ebene, welche die astrale genannt wird (eine Bezeichnung, die mir missfällt, weil sie in unserem Denken wenig Sinn macht), oder die emotionale Ebene, auf jener der Mensch aktiv wird, sobald er den physischen Körper verlässt, während der Stunden des Schlafes oder unmittelbar nach dem Tode. Sehr wenige Menschen können in voll erwachtem Bewusstsein auf der Mentalebene funktionieren und noch weniger auf der geistigen Ebene. Das Ziel der Evolution ist aber, dass wir in voller Kontinuität der Wahrnehmung auf der physischen, emotionalen und mentalen Ebene bewusst tätig sein können. Das ist [128] die grosse Errungenschaft, die wir eines Tages erreicht haben werden. Wir werden uns dann in jeder Stunde des Tages bewusst sein, was wir tun und nicht bloss während ungefähr vierzehn von vierundzwanzig Stunden. Gegenwärtig sind wir uns noch nicht bewusst darüber, wo sich unsere eigentliche denkende Entität während der Stunden des Schlafes befindet. Wir wissen nichts über ihre Aktivitäten oder über den Zustand ihrer Umgebung. Eines Tages werden wir jede Minute jeder Stunde des Tages uns nutzbar machen und sie verwenden.

Ein anderer Zweck der Evolution ist ein dreifacher, nämlich dass es uns gelingt, Absicht oder Willen, Liebe und Energie zu koordinieren. Das ist bisher noch nicht geschehen. Es wird zwar jetzt ständig viel intelligente Energie entfaltet, aber man begegnet tatsächlich höchst selten einem Menschen, dessen ganzes Leben von einer zentralen Absicht beseelt ist, die unverrückbar verfolgt, von Liebe belebt und angetrieben wird und sich durch intelligente Aktivität auswirkt. Es wird aber die Zeit kommen, dass wir unser Bewusstsein so weit ausgedehnt haben und so aktiv in unserem Innern sind, dass wir «radioaktiv» werden. Wir werden dann eine definitive Absicht verfolgen, die das Ergebnis von Liebe ist und unser Ziel durch das Mittel der Intelligenz erreichen. Etwas anderes tut auch Gott nicht, nicht wahr? In unserem gegenwärtigen Entwicklungszustand sind wir gewiss intelligent, aber bis jetzt gibt es [129] noch sehr wenig Anzeichen von Liebe. Natürlich bringen wir den Menschen, mit denen wir in Berührung kommen, einige Zuneigung entgegen und unserer Familie und den unmittelbaren Freunden auch mehr Liebe, aber von Gruppenliebe wissen wir so gut wie nichts. Sobald die grossen Idealisten des Menschengeschlechts für uns stellvertretend von Gruppen-Liebe sprechen, ist es trotzdem wahr, dass wir die Stufe erreicht haben, wo wir schon auf sie reagieren können und fühlen, dass das etwas ist, was wir gerne verwirklicht sähen. Es ist gut, sich zu vergegenwärtigen, dass wir, je mehr wir auf der Linie dieser altruistischen Einstellung denken, nach und nach etwas unschätzbar Wertvolles in uns aufbauen und mit langsamen, mühevollen Schritten die primären Grundlagen eines echten Gruppenbewusstseins entwickeln, das für die meisten von uns noch in weiter Zukunft liegt.

Wir könnten uns noch mit einigen anderen Entwicklungen während des Evolutionsprozesses beschäftigen, doch lägen sie uns heute noch so fern, dass sie praktisch unbegreifbar wären, bevor wir nicht jenen besonderen Typ von Gehirn entwickelt haben, das schon einigermassen abstrakt denken kann. So gibt es das Stadium, in dem wir Zeit und Raum transzendieren können, wenn das Bewusstsein der Gruppe in allen Teilen des Planeten beispielsweise unser Bewusstsein geworden ist und es ebenso leicht für uns sein wird, wie das hier der Fall ist, mit dem Bewusstsein eines Freundes in Indien, Afrika oder sonstwo in Verbindung zu kommen; Entfernung und Trennung sind dann keine Verständigungshindernisse mehr. Symptome dafür können in der Fähigkeit mancher Menschen gesehen werden, sich telepathisch oder durch Psychometrie mitzuteilen.

Es ist zwar sehr schön, einige Zeit darauf zu verwenden, sich dieses entfernte Ziel vorzustellen und sich die Vervollkommnung [130] des Logos in Milliarden Jahren auszumalen, aber für uns lebenswichtig ist eigentlich nur, eine Idee über die unmittelbar vor uns liegende Stufe zu bekommen und zu verstehen, was wir im Verlauf der nächsten paar tausend Jahre in Zusammenhang mit dem Evolutionsprozess zu erwarten haben. Lassen Sie uns diese Idee einmal kurz durchdenken. Es gibt, wie wir wissen, drei hauptsächliche Denkrichtungen in der Welt: die wissenschaftliche, die religiöse und die philosophische. Und was vermitteln uns diese drei? In der wissenschaftlichen Richtung finden wir all das verkörpert, was die Materie, den Substanzaspekt der Manifestation betrifft; sie befasst sich mit Objektivität und dem, was materiell und berührbar ist und was gesehen werden kann, was also buchstäblich beweisbar ist. In der religiösen Denkrichtung haben wir das, was mit dem Leben in der Form zusammenhängt, was die Rückkehr des Geistes zu seinem Ursprung betrifft und dazu alles, was durch den Gebrauch der Form gewonnen wurde; es bezieht sich auf die subjektive Seite der Natur. Und im philosophischen Denken finden wir, was ich die durch das innewohnende Leben angewandte Intelligenz nennen möchte, um dadurch die Form seinen Bedürfnissen entsprechend anzupassen. Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang gewisse Entwicklungen durchdenken, die in unmittelbarer Zukunft zu erwarten sind, wobei aber nicht zu vergessen ist, dass alles von mir Gesagte nur als Anregung zu werten ist und dass ich keinesfalls in dogmatischem Sinne spreche.

Den meisten Denkern [131] ist klar, dass die Wissenschaft jetzt mit dem Studium der Radioaktivität vor der Entdeckung des Wesens der Kraft im Atom selbst steht. Höchstwahrscheinlich wird in gar nicht langer Zeit die Energie der Atomkraft für jeden denkbaren Zweck nutzbar gemacht werden, für Heizung, Beleuchtung und dafür, was ich die «Motivation», den Antrieb für schlechthin alles nennen möchte, was in dieser Welt durchgeführt wird. Diese Kraft, wie viele von uns sich noch erinnern, wurde vor fünfzig Jahren in den USA von einem Mann namens Keely beinahe schon entdeckt; doch es wurde ihm wegen der damit verbundenen Gefahr für die Welt untersagt, damit an die Öffentlichkeit zu treten. Die Menschen sind bis jetzt noch viel zu selbstsüchtig, als dass man ihnen die freie Anwendung von Atomenergie anvertrauen könnte. Diese Entdeckung wird wahrscheinlich mit der Entwicklung von Gruppenbewusstsein parallellaufen. Erst wenn der Mensch radioaktiv wird und in Gruppenbegriffen wirken und denken kann, wird es für ihn gefahrlos oder weise sein, die im Atom latent vorhandene Kraft zu benützen. Alles in der Natur ist aufs beste koordiniert, und nichts kann vor dem richtigen Zeitpunkt entdeckt oder nutzbar gemacht werden. Erst wenn der Mensch allmählich Selbstlosigkeit entwickelt, kann diese gewaltige Macht seinen Händen überantwortet werden. Trotzdem ist zu erwarten, dass die Wissenschaft enorme Fortschritte zum richtigen Verständnis der Atomenergie machen wird.

Wiederum parallellaufend mit der menschlichen Evolution steht die Beherrschung der Luft bevor. Es gibt eine grosse Schwingungssphäre oder Vibrationsebene im Sonnensystem, die in okkulten Büchern die Intuitionsebene genannt wird; in der östlichen Literatur heisst sie Buddhi-Ebene und ihr Symbol ist die Luft. Ebenso, wie der Mensch heute [132] anfängt, sich durch die Entwicklung der Intuition einen Weg in diese Ebene zu bahnen, beginnt die Wissenschaft, die Beherrschung der Luft zu entdecken; und je mehr sich im Menschen die Intuition entwickelt und wächst, wird sich auch die Beherrschung des Luftraumes entwickeln und wachsen. Noch etwas steht uns bevor ( und wird schon mehr oder weniger anerkannt), nämlich die Entwicklung der Fähigkeit, in subtilerer, feinstofflicher Materie zu sehen. Überall kommen Kinder zur Welt, die mehr sehen können als Sie und ich. Ich beziehe mich hier auf etwas, das rein auf Materiellem beruht und das physische Auge betrifft. Ich beziehe mich auf das ätherische Sehvermögen, das in feinstofflicher Materie auf der physischen Ebene oder dem, was als «die Äther» bezeichnet wird, sehen kann. Viel aufschlussreiche Arbeit ist auf diesem Sektor von kalifornischen Studenten und Wissenschaftlern geleistet worden. Dr. Frederick F. Strong hat auf dieser Linie viel Wertvolles getan und lehrt, dass das körperliche Auge fähig ist, ätherisch zu sehen und dass ätherisches Sehen die normale Funktion des Auges sei. Was wird die Entwicklung dieser Fähigkeit bedeuten? Sie bedeutet, dass die Wissenschaft ihren Standpunkt gegenüber den subtileren Bereichen definitiv wird ändern müssen. Wenn innerhalb der nächsten hundert Jahre gewisse Aspekte und Lebensformen, die bisher als reine Imagination gewertet wurden, in den Sehbereich des normalen Menschen gelangen werden, dann haben wir ein für allemal diesen krassen Materialismus durchbrochen, der uns so lange gekennzeichnet hat. Und wenn das, was jetzt noch unsichtbar ist, auf irgend einer bestimmten Linie anerkannt sein wird, wer könnte sagen, wie weit es uns im Lauf der Zeit noch möglich sein wird, zu gehen? Ich wiederhole noch einmal: der ganze Trend der Evolution geht in Richtung Synthese. Sobald wir in die Materie hinabsteigen und sich der Zug zur Materialisation bemerkbar macht, finden wir Verschiedenartigkeit vor, also das Heterogene; und während wir uns zum Geist zurückbegeben, werden wir zu Einheit tendieren: damit ist auch in der religiösen Welt der Trend nach Einheit zu erwarten. Sogar heute schon macht sich der Geist der Toleranz wesentlich stärker bemerkbar als noch vor fünfzig Jahren. Die Zeit nähert sich rasch, dass die den verschiedenen Religionen zugrundeliegende grosse, fundamentale Einheit und die Tatsache, dass jede Glaubensrichtung ein notwendiger Teil eines grossen Ganzen ist, überall in der Welt anerkannt werden wird, und durch diese Erkenntnis wird sich die Vereinfachung der Religion [133] ergeben. Dann werden die grossen, zentralen Fakten betont und angewandt, während die unwichtigen und kleinlichen Unterschiede in den Organisations- und Auslegungsfragen beiseitegelassen werden.

Im Zusammenhang mit der menschlichen Familie können wir uns auf ein sehr interessantes Geschehen gefasst machen, sobald Gruppenbewusstsein auf breiter Ebene zum bewussten Ziel des [134] Menschen geworden ist. Was wird dann geschehen? Damit betritt der Mensch, was in der religiösen Welt «der Pfad» genannt wird. Er wird sich dann entschlossen und endgültig selbst in die Hand nehmen, wird sich bemühen, ein Leben im Geiste zu leben und es ablehnen, weiterhin ein selbstzentriertes «Atomleben» zu führen; er wird nach seinem Platz im grösseren Ganzen suchen und ihn durch definitive, selbstinitiierte Bemühung in der Einswerdung mit der Gruppe, zu der er gehört, finden. Das alles ist eigentlich mit den Lehren vom Pfad der protestantischen, katholischen oder buddhistischen Kirchen gemeint. Sie alle lehren das Beschreiten dieses Pfades, geben ihm verschiedene Namen, wie der Weg, der noble achtfache Pfad, der Pfad der Erleuchtung oder der Pfad der Heiligkeit. Immer ist es der Eine Weg, der mehr und mehr leuchtend bis hin zum vollkommenen Tag führt.

Ausserdem können wir in nicht allzu ferner Zeit die Entwicklung des abstrakten Denkvermögens und das Erwachen der Intuition erwarten. Während die grossen Rassen einander nach und nach auf unserem Planeten abgelöst haben, hat stets eine geordnete, gesetzmässig gelenkte Entfaltung der Kräfte der Seele und eine ausdrücklich geplante Abfolge der Ereignisse stattgefunden. In der dritten Wurzelrasse, der «lemurischen», hatte der physische Aspekt des Menschen bereits eine hohe Vervollkommnung erreicht. Später wurde dann in jener der unserer vorausgehenden Rasse, der «atlantischen», die von der Flut zerstört wurde, die emotionale Natur des Menschen entwickelt. In der «arischen» oder fünften Rasse, zu der [135] wir gehören, ist die Entwicklung des konkreten oder niederen Denkens das Ziel und dieses Denken entwickeln wir Jahrzehnt für Jahrzehnt stärker. Einige beginnen schon das Vermögen zu entwickeln, in abstrakten Begriffen zu denken.

Wenn diese Entwicklung so weitergeht, werden wir mehr von jener eigentümlichen, interessanten Begabung erleben, die einige schon erkennen lassen, die wir die Fähigkeit zu Inspiration nennen. Ich spreche hier nicht von medialen Fähigkeiten oder Praktiken. Es gibt kaum etwas Gefährlicheres als das, was mit dem Begriff «Medium» gewöhnlich gemeint ist. Das Durchschnittsmedium ist ein Mensch mit negativer oder rezeptiver Veranlagung und meist so lose und unkoordiniert in seiner dreifachen Natur, dass eine von aussen wirkende Kraft oder Wesenheit sein Gehirn, seine Hand oder seinen ganzen Körper benützen kann. Das ist ein ganz alltägliches Phänomen. Automatisches Schreiben, Gläschenrücken und spiritistische Séancen (Ouija-Brett [Alphabet-Tafel mit Ziffern]) niederer Ordnung schiessen wie Pilze aus dem Boden und treiben Tausende zum Wahnsinn oder zumindest in einen zerrütteten Nervenzustand. Aber es gibt etwas, wovon diese medialen Fähigkeiten nur das Zerrbild sind, und das ist Inspiration. Inspiriert werden zu können heisst, dass ein Mensch eine Stufe seiner Evolution erreicht hat, auf der er bewusst und positiv unter der Kontrolle seines eigenen höheren Selbst, des lebendigen Gottes in ihm steht. Dieser innere Herrscher, das wahre Selbst, kann durch definitiven Kontakt sein physisches Gehirn lenken und dem Menschen ermöglichen, Entscheidungen zu fällen und die Wirklichkeit zu verstehen, und zwar ganz unabhängig vom rationalen Denken. Dieser innere Gott kann den Menschen befähigen, ohne Anwendung des niederen Denkens zu sprechen, zu schreiben und die Wahrheit weiterzuvermitteln. Die Wahrheit liegt in uns selbst. Wenn wir mit unserem eigenen inneren Gott in Verbindung kommen können, wird alle Wahrheit uns enthüllt werden. Wir werden Wissende sein. Aber das ist etwas Positives und nichts Negatives, und es bedeutet, dass man sich selbst in direkte, bewusste Angleichung an sein Ego oder höheres Selbst bringt, und nicht die eigene Persönlichkeit irgendeiner herumlungernden Wesenheit oder einem Spuk öffnet.

So etwas kann man heute gelegentlich beobachten; aber es kommt nicht häufig vor, dass der Durchschnittsmensch mit seinem höheren Selbst in Berührung kommt. Nur in unseren Momenten höchsten Strebens, nur in den grossen Lebenskrisen und auch das nur als Resultat langer Disziplin und ausdauernder Meditation, [136] geschieht es dann. Aber eines Tages werden wir alle unser Leben regieren, nicht vom persönlichen, selbstischen Standpunkt aus, sondern von dem des lebendigen Gottes in uns, Der eine unmittelbare Offenbarung des Geistes auf der höchsten Ebene ist.

Was ich heute Abend noch als Letztes deutlich machen möchte, ist, dass für jeden von uns das Ziel die Entwicklung der Kräfte der Seele oder der Psyche ist. Das heisst, dass Sie und ich auf dem Wege sind, «psychisch» zu werden. Aber ich gebrauche das Wort «psychisch» nicht in dem Sinne, wie es gewöhnlich verstanden wird und auch nicht in seiner alltäglichen Bedeutung. Die Psyche ist, im buchstäblichen Sinne, die Seele in uns, das höhere Selbst, und sie tritt aus dem dreifachen niederen Selbst hervor, wie der Schmetterling aus seiner Larve. Es ist diese wunderbare Wirklichkeit, die wir [137] als Ergebnis unseres Lebens oder unserer Leben hier unten hervorbringen werden. Die echten psychischen Kräfte sind solche, die uns mit der Gruppe in Kontakt bringen. Die Kräfte des physischen Körpers, wie wir sie jeden Tag gebrauchen, bringen uns mit einzelnen in Verbindung; wenn wir aber die Kräfte der Seele entwickeln und ihre Möglichkeiten entfaltet haben, werden wir wahre «Psychisten» sein. Alles, was ich heute tun kann, ist aus den Vielen ein paar Wenige aufzuzählen.

Eine dieser Kräfte ist bewusste Kontrolle der Materie. Die meisten von uns beherrschen ihren physischen Körper bewusst, damit er unsere Befehle auf der physischen Ebene ausführt. Manche beherrschen bewusst ihre Emotionen, aber nur wenige können ihr Denken beherrschen. Die meisten werden von ihren Wünschen und Gedanken beherrscht. Aber es kommt die Zeit, wenn wir bewusst unsere dreifache niedere Natur steuern werden. Dann wird für uns keine Zeit mehr existieren. Wir besitzen dann die Kontinuität des Bewusstseins auf den drei Daseinsebenen, der physischen, emotionalen und mentalen, und diese wird uns befähigen, so zu leben, wie der Logos lebt, in jener sehr metaphysischen Abstraktion, dem Ewigen Jetzt.

Eine weitere Kraft der Seele ist Psychometrie. Was ist das? Sie könnte etwa als die Fähigkeit beschrieben werden, irgend etwas Berührbares, das vielleicht einem anderen gehört, zu nehmen und sich mithilfe dieses Gegenstandes mit diesem anderen Individuum oder mit einer Gruppe von Individuen «en rapport» zu setzen. Psychometrie [138] ist das Gesetz der Ideenassoziation, angewandt auf die Schwingungsqualität von Kraft, zu dem Zweck, Information zu erhalten.

Ferner wird die menschliche Rasse hellhörend und hellsichtig werden, was eine Fähigkeit bedeutet, auf den subtileren Ebenen ebenso deutlich und scharf zu hören und zu sehen, wie im physischen Materiebereich. Das wird die Fähigkeit einschliessen, alles wahrzunehmen, was die Gruppe betrifft, das heisst, in der vierten und fünften Dimension zu hören und zu sehen. Ich bin nicht genügend mathematisch geschult, um diese Dimensionen erklären zu können und gerate leicht in Verwirrung, wenn ich darüber nachdenke. Aber durch die Erläuterung, die mir einmal ein junger schwedischer Denker gab, wird das Ganze vielleicht etwas klarer. Er hat es mir folgendermassen erklärt:

«Die vierte Dimension ist die Gabe, durch einen Gegenstand hindurch und um ihn herum zu sehen. Die fünfte Dimension ist zum Beispiel die Fähigkeit, sich mithilfe eines bestimmten Auges mit allen anderen Augen im Sonnensystem «en rapport» zu setzen. In [139] der sechsten Dimension könnte Sehen etwa definiert werden als die Kraft, einen Kieselstein vom Strand aufzuheben und sich mit seiner Hilfe mit dem ganzen Planeten in Einklang zu bringen. So waren Sie also in der fünften Dimension, wo Sie das Auge benützten, noch auf eine bestimmte Manifestationslinie begrenzt, während Sie im Fall der sechsten, wo Sie den Kieselstein benützten mit dem ganzen Planeten in Berührung gebracht wurden.» Natürlich liegt so etwas für uns noch in weiter Ferne, aber es ist ein interessantes Gesprächsthema und enthält für jeden von uns eine Verheissung.

Es steht mir keine Zeit mehr zur Verfügung, mich mit den anderen Kräften zu beschäftigen oder aufzuzählen, welche das sein könnten. Heilen durch Berührung befindet sich darunter. Die Manipulation der magnetischen fluiden Kräfte, bewusste Schöpfung mittels Farbe und Ton sind andere. Was für uns aber derzeit einzig wichtig ist: dass wir uns selber bewusst in die Hand nehmen, immer mehr danach trachten, uns der Lenkung des inneren Herrschers zu unterstellen und uns bemühen, «radioaktiv» zu werden und Gruppen-Bewusstsein zu entwickeln.