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VIERTER VORTRAG

VIERTER VORTRAG

DIE EVOLUTION DES MENSCHEN, DES DENKERS

Das ist [77] der vierte einer Reihe von Vorträgen während des vergangenen Monats, durch die es vielleicht gelungen ist, uns eine Vorstellung über eines der fundamentalsten Prinzipien zu vermitteln, die der Evolution zugrundeliegen und deren Auswirkung im Sonnensystem erkennbar ist.

Lassen Sie uns zunächst kurz rekapitulieren, damit wir uns dem heutigen Gegenstand mit bestimmten, klar formulierten Ideen annähern können. Wir erkannten, dass unsere Interpretation der Naturabläufe ein dreifaches Konzept nötig macht, das sich mit dem Lebensaspekt, mit dem Substanzaspekt und mit deren enger Wechselbeziehung durch die Fähigkeit der Intelligenz beschäftigt, die sich als Bewusstsein der einen oder anderen Art manifestiert. Diese Wechselbeziehung wird am Ende (durch das Mittel Materie) den vollendeten Ausdruck der bewussten Absicht einer innewohnenden Entität hervorbringen. Ich möchte die Tatsache hervorheben, dass ich mir zum Ziel gesetzt habe, Ihnen eine Hypothese und eine Anregung zu unterbreiten, die in sich den Keim einer möglichen Wahrheit enthalten, die einigen von uns als der verständlichste Weg erscheint, das Geheimnis des Universums zu erklären

Wir sahen [78] die drei Teile des einen grossen Ganzen, nämlich Geist oder Leben, das sich durch einen zweiten Faktor manifestiert, den wir Substanz oder Materie nennen und das einen dritten Faktor benützt, der von uns Intelligenz genannt wird. In der graduellen Synthese dieser drei die Gottheit ausmachenden Aspekte kann die Evolution des Bewusstseins erkannt werden.

Wir kamen dann zu einer mehr technischen Diskussion des Gegenstands Substanz selbst, beschäftigten uns jedoch nicht mit den differenzierten Substanzen oder Elementen, dafür aber mit dem Gedanken einer anfänglichen oder Ur-Substanz und versuchten soweit wie möglich zu dem vorzustossen, was von Sir William Crookes als «Protyle» bezeichnet wird oder zu dem, was hinter dem Berührbaren oder Objektiven liegt. Bei Betrachtung des Atoms ergab sich, dass dessen neueste Definition besagt, es sei in Wirklichkeit eine Kraft oder Energieeinheit, bestehend aus einer positiven elektrischen Ladung, die eine Anzahl negativer Teilchen mit Energie versorgt. Es wurde uns klar, dass das winzige Atom des Chemikers und Physikers in sich selbst ein Sonnensystem ist, mit der gleichen generellen Anordnung wie das grössere System, das eine ähnliche Aktivität aufweist und von analogen Gesetzen geleitet wird. Wir sahen, dass in ihm eine zentrale Sonne ist und dass um diese zentrale Sonne die Elektronen erblickt werden können, wie sie ihre vorgeschriebenen Runden ziehen. Wir haben auch die Tatsache festgestellt, dass die Elemente nur hinsichtlich Zahl und Anordnung ihrer Elektronen um die zentrale positive Ladung [79] voneinander abweichen. Von da gingen wir über zur Betrachtung der Seele oder Psyche des Atoms und hörten, dass Wissenschaftler die Wahrheit anerkennen, dass Atome selbst Qualität besitzen, Denk oder Intelligenzsymptome aufweisen und unterscheiden, aussondern und auswählen können.

Wir haben dann etwas ausgedacht, was wie ein Märchen klingt. Wir betrachteten den Menschen als ein Atom und spürten seiner Ähnlichkeit mit einem Atom nach; dabei ergab sich, dass er durch seine Anziehungskraft die Materie seiner verschiedenen Körper, des mentalen, emotionalen und physischen, in genau der gleichen Weise in seiner Einflusssphäre hält, wie die Elektronen um ihren zentralen Mittelpunkt in Umlauf gehalten werden. Diese Idee liess sich noch erweitern, und wir wandten unsere Aufmerksamkeit dem Planeten zu, den wir seiner Natur nach als dem menschlichen Atom ähnlich ansahen, und auch dem letzten Atom der Substanz, das nichts ist als die Lebensäusserung eines sich in sphäroidischer Form manifestierenden Lebewesens, das ein intelligentes Ziel verfolgt. Dann erreichten wir den Höhepunkt unserer Überlegungen mit der Betrachtung des Sonnensystems als eines kosmischen Atoms, beseelt durch das Leben des Logos.

Damit haben wir vier Arten von Atomen in unsere Überlegung einbezogen:

Erstens, das Atom des Chemikers und Physikers.

Zweitens, das menschliche Atom oder den Menschen.

Drittens, [80] das planetarische Atom, beseelt durch einen planetarischen Logos oder den Himmlischen Menschen.

Viertens, das solare Atom, dem der Sonnenlogos oder die Gottheit innewohnt.

Wenn wir mit unserem Grundkonzept recht haben, wenn unsere Hypothese ein Körnchen Wahrheit enthält und wenn es in unserer Idee vom Atom, aus dem die Elemente gebaut sind, eine Wahrheitsgrundlage gibt, dann muss das Atom als ein Leben anerkannt werden, das auf intelligente Weise durch das Mittel einer Form wirkt. Dann kann vielleicht auch bewiesen werden, dass der Mensch in gleicher Weise ein Leben oder Energiezentrum ist, das sich durch seine Körper manifestiert und es kann möglicherweise demonstriert werden, dass ein Planet ebenfalls das Ausdrucksmittel für ein noch grösseres Energiezentrum ist, und dass weiter, nach dem Gesetz der Analogie, vielleicht in ferner Zeit bewiesen werden kann, dass es hinter der materiellen Natur einen Gott oder ein zentrales Leben und eine Entität gibt, Die bewusst durch das Sonnensystem wirksam ist.

In unserem letzten Vortrag griffen wir noch eine weitere Manifestationsphase auf. Wir studierten das Atom selbst und überlegten, wie es in Beziehung zu anderen Atomen tritt und durch deren wechselseitige Kohärenz Gruppen oder Anhäufungen von Atomen bildet. Mit anderen Worten, wir gingen dem Atom nach, wie es in die verschiedenen Formen innerhalb der einzelnen Naturreiche eingebaut wird und fanden, dass im Evolutionsprozess die Atome selbst zu anderen und grösseren Zentralpunkten hingezogen und ihrerseits zu Elektronen werden. Jede Form ist somit nur ein Aggregat kleinerer Leben.

Sehr [81] kurz berührten wir dann die verschiedenen Naturreiche und verfolgten die Entwicklung der Seele oder Psyche in ihnen allen. Dem Atom hatten wir bereits Intelligenz oder Unterscheidungsvermögen zugesprochen und fanden, dass beim Formenaufbau im Mineral, Pflanzen und Tierreich das aufzuscheinen beginnt, was wir unter Empfindungsvermögen verstehen, und damit erkannten wir die Grundlagen von Emotion oder Gefühl in embryonalem Zustand - die Widerspiegelung der Liebe auf der physischen Ebene. Hiermit haben wir den einen Aspekt der dreifachen Natur Gottes, der Intelligenz, die sich durch das Atom demonstriert; und vermittels der Form sehen wir die Liebe oder Qualität der Anziehung sich manifestieren. Dasselbe kann in der Erkenntnis ausgedrückt werden, dass in diesen beiden Aspekten des zentralen göttlichen Lebens die dritte Person der logoischen Trinität mit der zweiten zusammenwirkt; nämlich, dass die intelligente Aktivität der Gottheit, oder der «Heilige-Geist-Aspekt» in Verbindung mit dem zweiten, oder «dem Sohn» wirkt, Welcher der Erbauer der Formen ist. Dies ist in sehr interessanter Weise in den Sprüchen Salomonis VIII ausgedrückt, wo die Weisheit laut ausruft (Weisheit repräsentiert im Alten Testament den Christus-Aspekt) und erklärt, er (der Sohn) sei bei Gott gewesen, noch ehe die Schöpfung war, und dann fortfährt, «als Er die Grundfesten der Erde bestimmte, war Ich bei [82] Ihm als Sein Werkmeister oder Erbauer». Für Studierende wäre es nützlich, dieses Kapitel einmal in Verbindung mit den hier formulierten Gedanken zu lesen, wobei zu raten ist, auf möglichst genaue Übersetzung zu achten.

Wir kommen nun zu unserem heutigen Thema, zur Evolution des Menschen, des Denkers. Es wird sich erweisen, dass im Menschen ein weiterer Aspekt der Göttlichkeit hinzutritt. Robert Browning greift im «Paracelsus» auf, was wir eben erwogen haben und fasst es in den fesselnden Worten zusammen:

»So wohnt er (Gott) in Allem. Vom ersten,

leisesten Beginn des Lebens

bis hin zum Menschen, als

der Vorerfüllung seines Plans,

ergänzend diese Lebenssphäre:

Denn über alle Welt hin waren

verstreut noch alle Elemente -

drum baten sie, unfertige Fragmente,

doch einmal Eins zu sein,

verwebt zu werden einem wunderhaften Ganzen.

Und Ahnung war in ihnen, dass einmal

doch eine Kreatur sein könnte,

die endlich jenen Zielpunkt würde schaffen,

wo all die heimatlosen Strahlen

sich würden treffen können -

um aufzugeh'n im hohen Rang des Menschen.»

Nachdem wir also zwei Aspekte des Göttlichen im Atom und in der Form entdeckt haben, werden wir die Dreiheit im Menschen vervollständigt finden. Es heisst, der Mensch sei nach dem Bilde Gottes gemacht und deshalb können wir auch erwarten, dass er [83] diese dreifache Natur des Logos widerspiegelt. Er muss Intelligenz demonstrieren, Liebe erkennen lassen und Willen bekunden. Sehen wir uns einige der Definitionen des «Menschen» aus dem Lexikon und ähnlichen Quellen an. Im «Standard Dictionary» findet sich eine höchst belanglose, sie lautet: «Der Mensch ist ein Individuum der menschlichen Rasse» und darauf folgt eine lange Liste von Ableitungen des Wortes «Mensch» durch alle bekannten Sprachen hindurch, die mit der Feststellung schliesst, viele dieser Ableitungen seien unglaubwürdig. Meiner Auffassung nach ist am befriedigendsten die aus der Wurzel des Sanskritwortes «man» hergeleitete: «Der Eine, der denkt». Annie Besant gibt in einem ihrer Bücher folgende ausserordentlich klare Definition: «Der Mensch ist das Wesen, in welchem die höchste Geistigkeit und die niederste Materie durch Intelligenz verbunden sind.» Hier wird der Mensch als Treffpunkt aller drei Evolutionslinien, Geist, Materie und verbindender Intellekt, geschildert; er wird als derjenige dargestellt, der das Selbst, das Nicht-Selbst und die Verbindung zwischen Beiden vereint und wird gesehen als der Wissende, das Gewusste und das Wissen selbst. Was ist der Zweck des Intellekts und des Wissens? Bestimmt dient er zur Anpassung der materiellen Form an die Notwendigkeiten und Bedürfnisse des innewohnenden Geistes; mit Sicherheit soll er den Denker im Körper befähigen, diesen intelligent und zu einem bestimmten Zweck zu benutzen; und sicherlich ist er deshalb existent, damit die zentrale, energiespendende Einheit ihren negativen [84] Aspekt konstruktiv steuern kann.

Wir alle sind Entitäten, die eine Form beseelen und versuchen, mittels der Intelligenz diese Form in einer bestimmten Absicht zu benützen, die im bewussten Willen des wahren Selbst vorhanden ist.

In einem sehr alten okkulten Buch - so alt, dass das Ursprungsdatum gar nicht mehr ermittelt werden kann - ist eine Definition des Menschen zu finden, die sehr einleuchtend ist und ganz auf der Linie des Gedankengangs, den wir zu entwickeln suchen. Der Mensch wird dort definiert als «Das Leben und die Leben». Wir wissen, dass das Atom ein Leben ist, das sich mittels der kleinen Sphäre offenbart, deren Mittelpunkt es ist. Wir haben gesehen, dass alle Formen ein Aggregat von in das Mineralreich, Pflanzenreich und Tierreich eingebauten Leben sind. Wir können nun auf die nächste Stufe dieser grossen Evolutionsleiter weitergehen und werden finden, dass das menschliche Leben die logische Folge ist, die aus allen früheren Entwicklungen erwächst. Zuerst der Urstoff, essentiell intelligente Energie; als nächstes atomare Materie, die in all ihren unterschiedlichen Aktivitäten die Ur-Kombination schafft; dann die Form, das Aggregat dieser Atome, bis hinauf zum Bewohner innerhalb der Form, der nicht nur aktive Intelligenz, nicht nur inhärente Anziehung und Liebe ist, sondern auch absichtsvoller Wille. Dieser «Bewohner im Inneren» ergriff Besitz von seiner Form, als diese ein bestimmtes Stadium des Vorbereitetseins und welche diese Form ausmachenden Leben [85] eine bestimmte Vibrationsfähigkeit erreicht hatten; jetzt benützt er sie und wiederholt innerhalb seiner eigenen Einflusssphäre die Arbeit des Materieatoms; jedoch kommt er nicht auf eine oder auf zwei, sondern auf drei Arten zum Vorschein. Im Menschen haben Sie daher in der Tat und in Wahrheit das, was der Christ als «das Ebenbild Gottes» bezeichnen würde. Es müsste eigentlich allen Denkenden einleuchten, dass die einzige Art, Gott zu erkennen, durch das Studium Seiner wesenhaften Natur oder psychischen Qualität möglich ist. Wir wissen, dass Gott Intelligenz ist, wir wissen, dass Er Liebe ist oder die grosse anziehende Kraft des Sonnensystems, und wir wissen, dass Er der grosse Wille oder die Absicht hinter aller Manifestation ist. In allen Schriften der Welt wird die Gottheit stets unter diesen drei Aspekten geschildert und in der dreifachen Weise, wie sie durch die Natur offenbar wird.

Die Evolution der Substanz ist eine Angelegenheit des stufenweisen Wachstums; sie wird im Lauf der Zeit ergänzt durch allmähliches Herausarbeiten der inneren, subjektiven Qualität des Lebens Gottes, wodurch Sein essenzielles Wesen erkennbar wird. Zuerst erscheint der eine Aspekt, dann scheint langsam ein weiterer auf bis schliesslich der dritte zu erkennen ist und wir damit die erstaunliche Kombination und Vollendung der Substanz vor uns haben, den Menschen. Dieser verbindet die drei Aspekte und bringt sie zu einer Synthese, indem [86] er sie in sich selbst vereint. Er ist die Totalität der göttlichen Attribute, auch wenn sie zunächst noch weitgehend embryonal sind, und muss in seinem Evolutionszyklus genau die gleichen Prozesse wiederholen, die das Atom selbst durchzumachen hatte. Wie dieses seine eigene innere Laufbahn verfolgt und wie es später mit anderen Atomen zusammen in die Formation einer Gruppe hineingezogen, mit ihr verbunden und verschmolzen werden muss, so hat auch das Menschenatom seinen Platz innerhalb einer grösseren Form zu finden.

Lassen Sie uns deshalb kurz durchdenken, worin die Methode des evolutiven Prozesses für einen Menschen besteht. Wir haben gesehen, wie in ihm die drei Linien konvergieren, er also ein Punkt der Synthese ist, mit einem vorläufig noch vorherrschenden Aspekt, nämlich dem der Intelligenz, mit einem zweiten Aspekt der Liebe-Weisheit, der gerade dabei ist, seine Gegenwart bemerkbar zu machen und mit dem höchsten, dem geistigen Willen, der bis jetzt noch rein embryonal ist.

Wir sind sicher fast alle in dem Glauben an «den Fall des Menschen» erzogen, wie die Beschreibung lautet. Es gibt heute nur noch wenige, die an die Geschichte des «Falles» in der Form glauben, wie sie im 1. Kapitel der Genesis erzählt wird und die meisten von uns billigen ihr eine allegorische Deutung zu. Aber was ist die okkulte Wahrheit, welche dieser merkwürdigen Geschichte zugrundeliegt? Dass einfach die Wahrheit über den Sturz des Geistes in die Materie der kindhaften Denkweise des Menschen vermittels eines Bildes mitgeteilt wurde. Der Vorgang des Konvergierens dieser Linien ist ein zweifacher. Einmal der Abstieg der Entität, des zentralen Lebens in die Materie, die Inkarnation des Geistes, und dann später das sich wieder nach oben, aus der Materie Herausbegeben des Lebens oder Geistfunkens, plus all dem, was durch [87] die Verwendung der Form dazugewonnen wurde. Durch Experimentieren mit Materie, durch das Bewohnen einer Form, durch Beseelen der Substanz, durch das Verlassen des Gartens Eden (des Ortes, wo es keinen Spielraum für notwendige Entwicklung gibt), durch die Wanderung des «verlorenen Sohnes» ins ferne Land, werden die verschiedenen Stadien in der christlichen Bibel geschildert, in denen der Mensch die Entdeckung macht, dass er nicht die Form ist, sondern derjenige, der sie benützt. Er ist Intelligenz und deshalb ist er nach dem Abbild der Dritten Person der Trinität gemacht; er ist Liebe und durch ihn wird sich der Liebe-Aspekt der Gottheit eines Tages vollkommen manifestieren, und dann wird er, als Antwort auf die Frage, «Herr, zeige uns den Vater», mit seinem älteren Bruder, dem Christus, sagen können: «Der Mich gesehen hat, hat den Vater gesehen», denn Gott ist Liebe; und schliesslich wird durch ihn der höchste Aspekt, der Wille Gottes sich manifestieren und er wird vollkommen sein, wie sein Vater im Himmel vollkommen ist.

Ebenso, wie in der Evolution der Substanz drei Stadien erkannt werden konnten - das der atomaren Energie, der Gruppenkohärenz und schliesslich der Synthese - wird sich in der Evolution des Menschen das gleiche erkennen lassen. In den frühen Stadien der menschlichen Evolution, die man das Atom-Stadium nennen könnte, kommt der Mensch allmählich zur Erkenntnis, dass er eine seiner selbst bewusste Einheit mit einer ihm allein eigenen Individualität ist. Wer Kinder grossgezogen hat, kennt [88] dieses Stadium genau. Man kann es in dem ständigen «mein, mein, mein» sehen, der Stufe des Aneignens für sich selbst ohne irgend einen Gedanken an ein anderes Selbst. Kinder sind ganz natürlich, mit Vorbedacht und sehr weise selbstsüchtig. Es ist die Periode des allmählichen Erkennens eines gesonderten Daseins und des immer stärkeren Gebrauchs der eigenen, inneren atomaren Kraft durch das menschliche Atom. Der kindliche Mensch lehnt sich gegen die Bevormundung seitens der ihn beschützen Wollenden auf und hält sich selbst für hinreichend tauglich. Das kann im Individuum ebenso beobachtet werden wie in der Rasse.

Dann, wenn das Leben weitergeht, nach Durchlaufen des Atom-Stadiums, geht der Mensch zu einem höheren und besseren weiter sobald er seine Gruppenbeziehungen erkennt; wenn er erkennt, dass er Gruppenverantwortlichkeiten, das heisst, gemeinsam mit anderen, gesonderten Atomen, Aufgaben zu erfüllen hat. Das Gruppenbewusstsein beginnt sich bemerkbar zu machen. So findet das menschliche Atom seinen Platz innerhalb der Gruppe, jener grösseren Einheit, zu der es gehört, und der Liebe-Aspekt beginnt sich zu zeigen. Der Mensch ist vom Atom-Stadium in das der Gruppenkohärenz übergegangen.

Auf einer späteren Stufe wird ihm dann klar, dass er nicht nur Verpflichtungen gegenüber der Gruppe hat, sondern dass es da noch [89] etwas Grösseres geben muss. Er erkennt, Teil eines grossen universalen Lebens zu sein, das allen Gruppen zugrundeliegt, und nicht nur ein universelles Atom und nicht nur Teil einer Gruppe; sondern dass, nachdem er seine Identität mit der Gruppe verschmolzen hat - obwohl er sie nie verliert - die Gruppe ihrerseits mit dem Bewusstsein jener grossen Identität verschmolzen werden muss, welche die Synthese Aller ist. So erreicht er die Endstufe intelligenten Verständnisses für die göttliche Einheit.

Diese grosse dreifältige Idee findet sich in der Bibel in einem ausserordentlich bedeutsamen Satz zusammengefasst. Jehova sagt zu Moses, der repräsentativ für den Menschen steht: «Ich bin, das Ich bin.» Zerlegen wir diesen Satz in seine drei Teile, dann steht vor uns das, was ich heute herauszuarbeiten versuchte: Zuerst das Atom-Bewusstsein - ICH BIN; dann die Gruppe - ICH BIN DAS, nämlich das Bewusstsein, nicht nur ein gesondertes Individuum, nicht nur eine selbstzentrierte Einheit, nicht nur eine ihrer selbst bewusste Entität, sondern etwas noch viel Grösseres zu sein. Jetzt erreicht der Mensch die Erkenntnis, die ihn dazu führt, seine Identität im Dienst der Gruppe zu opfern und sein Bewusstsein in dem der Gruppe aufgehen zu lassen. Von einer solchen bewussten Vereinigung wissen wir praktisch noch nichts. Hierauf folgt die noch höhere Stufe, wenn ICH BIN, DAS ICH BIN für uns kein unmögliches Ideal oder kein visionäres Konzept mehr ist, sondern eine fundamentale Wirklichkeit, wenn der Mensch im Aggregat sich selbst als Ausdruck des universalen Lebens erkennt und wenn selbst das Gruppenbewusstsein im Aggregat aller Gruppen aufgegangen sein wird.

Wir nehmen [90] an und hoffen, das Atom-Stadium rasch hinter uns gebracht zu haben, und dass unsere Einfluss und Interessensphäre nicht mehr durch unsere atomare Mauer begrenzt wird, sondern (um einen vertrauten Begriff zu gebrauchen), dass wir «radioaktiv» (strahlungsaktiv) werden. Wenn das der Fall ist, werden wir nicht mehr durch unsere eigene Hülle und den engen Horizont unseres eigenen individuellen Lebens begrenzt und eingeengt sein, sondern wir werden beginnen zu strahlen und mit anderen Atomen in Kontakt zu kommen und erreichen damit das zweite Stadium das der Anziehung.

Was also ist das Ziel für jeden von uns? Was ist das Ziel für diese verschiedenen Atome, mit denen wir uns hier beschäftigen? In alten östlichen Schriften wird uns gesagt, das Ziel für das Substanzatom sei Selbst-Bewusstsein. Was ist dann das Ziel für das menschliche Atom, das ja schon selbstbewusst, schon individualisiert ist und vom eigenen Willen geleitet wird? Was hat der Mensch zu erwarten? Einfach die Ausdehnung seines Bewusstseins, bis es das Bewusstsein des grossen Lebens oder jener Wesenheit, in deren Körper er selbst eine Zelle ist, einschliesst. Unser physischer Körper besteht zum Beispiel aus zahllosen geringeren Lebewesen oder Atomen, von denen jedes von seinem Nachbarn getrennt und durch seine eigene innere Aktivität unterschieden ist, und von denen jedes einzelne wiederum eine Sphäre bildet, die andere, geringere Sphären oder Elektronen innerhalb seiner Peripherie hält.

Wir haben [91] gesehen, dass der Mensch die positive Ladung ist, welche die Vielheit seiner Atome oder geringeren, beseelten, in kohärenten Formen verbundenen Leben zusammenhält. Im Tode, wenn der Geistaspekt sich zurückzieht, zerfällt die Form, wird aufgelöst, und diese kleinen bewussten Leben, die ihre Funktion erfüllt haben, zerstreuen sich. Das Bewusstsein des Atoms in seinem Körper ist für den Menschen etwas völlig anderes als sein eigenes Bewusstsein, was wir schon mit geringem Denkaufwand erkennen können. Wenn wir die These aufstellen, dass der Mensch eine Zelle in einer grösseren Sphäre ist, könnte es da nicht sein, dass es ein Bewusstsein gibt, das für den Menschen dasselbe bedeutet, was sein Bewusstsein für die Zelle in seinem Körper ist? Könnte es nicht sein, dass wir die Vervollkommnung des Bewusstseins im selben Sinne zu erwarten hätten, wie das Atom der Substanz eines Tages das Bewusstsein eines Menschen erreichen wird? Könnte es nicht sein, dass es das war, was Browning im Sinn hatte, als er schrieb: «Menschheit, bestehend aus all den einzelnen Menschen; in solcher Synthese endet die Geschichte.» Hier hält er uns das Konzept eines grösseren Menschen vor Augen, der die Synthese oder Gesamtsumme aller geringeren Einheiten ist. Vielleicht könnte Synthese das grosse Leben, die planetarische Wesenheit sein, die der Hintergrund unserer planetarischen Manifestation ist und gleichzeitig die Gesamtsumme des [92] Gruppenbewusstseins. Ich möchte meinen, dass ebenso, wie Selbst-Bewusstheit Zweck und Ziel aller untermenschlichen Lebensformen ist und wie Gruppenbewusstsein, oder das Bewusstsein des Himmlischen Menschen, das Ziel für die Menschen ist, dass auch vor jenem ein Ziel stehen mag, das für ihn das Erreichen des Gottbewusstseins sein kann. So stünde ihm das Bemühen bevor, die Erkenntnis zu entwickeln, die dem Sonnenlogos eigen ist.

Es lässt sich auf diese Weise die Einheit des Bewusstseins vom winzigsten Atom bis zur Gottheit Selbst nachvollziehen. Und so öffnet sich vor uns ein wundervolles Bild und ein Ausblick voller Möglichkeiten. So kann das Leben Gottes in seiner essentiellen dreifachen Manifestation gesehen werden, wie es sich in einem ewig sich ausdehnenden Bewusstsein auswirkt; wie es sich im Substanzatom demonstriert, durch das Mittel der Form erweitert, bis es einen Kulminationspunkt im Menschen findet und dann auf seiner Bahn weitergeht, bis es sich als das planetarische Bewusstsein, die Gesamtsumme aller Bewusstseinszustände auf unserem Planeten Erde offenbart, bis wir schliesslich bei dem fundamentalen Ur-Leben angelangt sind, Welches alle planetarischen Evolutionen in der Synthese Seiner umfassenderen Sphäre hält, dem Sonnensystem. Zusammengefasst können wir demnach vier Zustände intelligenter Aktivität unterscheiden, die wir als Bewusstsein, Selbst-Bewusstsein, Gruppen-Bewusstsein und Gott-Bewusstsein bezeichnen können. Diese Bewusstseinszustände tun sich durch vier Atomtypen kund: Erstens, das chemische Atom und sämtliche atomaren Formen; zweitens, das menschliche Atom; dann das planetarische Atom [93] und schliesslich das allumfassende solare Atom. Als der beseelende Faktor dieser atomaren Formen erweisen sich alle untermenschlichen Arten des Lebens, vom Leben des Substanzatoms bis zum beseelenden Leben der höheren Tiere und bis zu jenem Leben, das wir das menschliche nennen, den Menschen, den Denker; als nächstes zum Himmlischen Menschen und endlich zu dem grossen Leben des Sonnensystems, Das die Christen Gott nennen oder den Logos.

Browning drückt diesen Gedanken der stufenweisen Erweiterung des Bewusstseins eines Menschen in etwas Grösseres und Gewaltigeres mit folgenden Worten aus:

«Wenn alle Kreatur einst makellos wird sein

als wie der Mensch es ist: zum Menschen ausgerichtet

und durch ihn erwirkt - hat alles erst einmal ein Ende.

Doch im vollkomm'nen Menschen wächst erneut

ein Streben hin zu Gott. Die Seher wussten's längst:

Der Mensch ist auf dem Weg.

Schon keimt in seinem Selbst erhabnes Vorgefühl,

voll von Symbolen, Bildern noch verhang'nen Glanzes,

Visionen, eh noch in jenen ew'gen Kreislauf alles mündet.

Schon fangen Menschen an zu überschreiten

die Grenzen der Natur. Sie finden neues Hoffen und Verlangen, das mächtig überwächst der eig'nen Wünsche Kümmernis' und Freude.

Sie wuchsen allzu hoch für enge Glaubenszwänge

von recht und falsch, denn die verblassen

vor dem unendlichen Verlangen, einmal ganz

das Gute zu umfassen: und wissen schon,

dass unterdes in ihnen keimt und wächst der Friede.

Schon wandeln solche [94] Menschen auf der Erde,

mit heit'rer Stirn, inmitten halbgeformter Kreaturen,

die doch gerettet werden sollen,

gerettet werden und vereint mit ihnen.