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2. Buch - Die Stufen zur Vereinigung - Teil 4

Es ist nicht [204] so, dass eine Form oder das Annehmen einer Form an sich etwas Böses wäre. Formen und die Methode der Inkarnation sind beide richtig, wo sie am Platz sind. Aber für den Menschen, der des Erlebens in den drei Welten nicht mehr bedarf, da er die nötigen Lektionen in der Schule des Lebens gelernt hat, sind Form und Wiedergeburt vom Übel und müssen auf einen Platz verwiesen werden, der ausserhalb des seelischen Lebens liegt. Wohl ist es wahr, dass der befreite Mensch aus freien Stücken die Begrenzung durch eine Form wählen kann, wenn er sie für besondere Zwecke des Dienstes braucht; aber er tut es durch einen Akt des Willens und der Selbstverleugnung; er wird nicht vom Verlangen dazu getrieben, sondern von der Liebe zur Menschheit und dem Wunsch, bei seinen Brüdern zu bleiben, bis auch der letzte Gottessohn das Portal der Einweihung erreicht hat.

41. Reinheit bewirkt ferner ein ruhig-sanftes Gemüt, konzentrierte Aufmerksamkeit, Beherrschung der Organe und die Fähigkeit, das Selbst zu schauen.

Es muss beachtet werden, dass die Gebote und auch die Regeln (Yama und Niyama) mit dem niederen vierfachen Selbst zu tun haben, das in den drei Welten wirkt und häufig die Quaterne oder niedere Vierheit genannt wird. Wir haben gesehen, dass die Läuterung, die verlangt wird von vierfacher Art ist und die vier Körper betrifft. Die Ergebnisse dieser Läuterung sind ebenfalls vierfältig und beziehen sich gleichfalls auf die vier Hüllen. In der Reihenfolge der Körper sind es folgende Ergebnisse:

1. Beherrschung der Organe    -    der physische Körper,

2. Ein friedvolles Gemüt    -    der emotionale Träger,

3. Konzentration    -    das niedere Denkvermögen, oder der Mentalkörper

4. die Fähigkeit, das Selbst zu schauen    -    das synthetische Ergebnis der dreifachen Verfassung der genannten Hüllen.

Die «Beherrschung [205] der Organe» bezieht sich vor allem auf die Sinne und ist das Ergebnis der magnetischen Reinheit oder Verfeinerung des Ätherkörpers. In diesem Zusammenhang müssen wir uns daran erinnern, dass der physische Körper kein Prinzip ist, sondern in genauer Übereinstimmung mit dem Ätherkörper aufgebaut ist. Dieser Ätherkörper ist der magnetische Träger auf der physischen Ebene und zieht (entsprechend seiner eigenen Natur und Zusammensetzung) diejenigen Atome und Substanzteilchen an, aus denen der physische Körper aufgebaut ist. Wenn die Sinneswahrnehmungen verfeinert sind und die Schwingung des Ätherkörpers richtig eingestellt ist, werden die Sinnesorgane vom wirklichen Menschen völlig beherrscht und kontrolliert; sie bringen ihn schliesslich mit den beiden höchsten Unterebenen der physischen Ebene in Berührung, nicht mit der Astralebene, wie es jetzt der Fall ist. Die richtige Reihenfolge, in der die physischen Wahrnehmungsorgane (die fünf Sinne) unter Kontrolle gebracht werden, ist folgende:

1. Richtige verstandesmässige Wahrnehmung des Ideals auf der Mentalebene.

2. Reines Verlangen, frei von Bindung an eine Form, auf der Emotional- oder Astralebene.

3. Richtiger Gebrauch und richtige Entfaltung der fünf Zentren [206] entlang der Wirbelsäule (Zentrum an der Basis des Rückgrats, Sakralzentrum, Solarplexuszentrum, Herz- und Kehlzentrum); ein jedes dieser Zentren befindet sich im Ätherkörper und ist mit einem der fünf Sinne verbunden.

4. Daraus ergibt sich richtiges Reagieren der Sinnesorgane auf die Erfordernisse des wahren oder geistigen Menschen

Beim Astralkörper ist das Ergebnis der Läuterung ein ruhiges Gemüt, eine «abgeklärte Ruhe» dieses Körpers, so dass er das Christus-Prinzip oder die buddhische Natur in angemessener Weise widerspiegeln kann. Die Beziehung des astralen oder kamischen Prinzips (das den mittleren Körper des dreifachen niederen Menschen benutzt) zum buddhischen Prinzip, dem mittleren Träger der geistigen Triade (Atma-Buddhi-Manas) sollte sorgfältig beachtet werden. Beruhigung der Gefühle und Beherrschung der Wunschnatur gehen immer der Neuordnung der niederen Natur voraus. Bevor sich das Verlangen eines Menschen auf geistige Dinge richten kann, muss er das Verlangen nach weltlichen und fleischlichen Dingen aufgeben. Das bringt zeitweilig grosse Schwierigkeiten im Leben eines Neophyten mit sich. Der Prozess wird symbolisiert in dem Wort «Bekehrung», welches in orthodoxen christlichen Kirchen gebraucht wird. Es bedeutet ein «Umwenden», das einen zeitlich begrenzten Aufruhr verursacht, auf den schliesslich Ruhe folgt.

Im Mentalkörper wirkt sich die Läuterung in der Weise aus, dass die Fähigkeit zu beständiger Konzentration entwickelt wird Die Gedanken flitzen nicht mehr umher; das Denkvermögen wird beherrscht und ruhig, und es wird dadurch empfänglich für höhere [207] Eindrücke. Da dies im dritten Buch ausführlich besprochen wird, brauchen wir uns hier nicht weiter damit zu befassen.

Wenn sich diese drei Ergebnisse der Reinheit im Leben des Menschen zeigen, nähert er sich einem gewissen Höhepunkt; er verspürt plötzlich das Wesen der Seele; in geistiger Schau erblickt er die Wirklichkeit, die er selbst ist, und er erkennt die Wahrheit der Worte Christi, dass «diejenigen, die reinen Herzens sind, Gott schauen werden». Er erschaut die Seele, und von nun an richtet sich sein Verlangen nicht mehr auf das Unwirkliche und die Welt der Illusion, sondern nur noch auf die Wirklichkeit.

42. Durch Zufriedenheit wird Glückseligkeit erlangt.

Zu diesem Lehrspruch ist nicht viel zu sagen. Man könnte nur darauf hinweisen, dass Kummer und Leid, Verdruss und Betrübnis jeder Art nur auf Auflehnung beruht; und dass, vom Standpunkt des Okkultisten, Auflehnung die Trübsal nur grösser macht und Widerstand das Übel nur verschlimmert, was immer es auch sei. Der Mensch, der gelernt hat, sein Schicksal zu bejahen, verliert keine Zeit mit müssigem Bedauern; er kann daher seine ganze Energie für die vollkommene Erfüllung seines Dharma (karmische Pflichten) einsetzen. Anstatt unzufrieden zu sein und die Episoden des Lebens mit Ängsten, Zweifeln und Verzweiflung zu verdunkeln, erhellt er seinen Weg durch stille Anerkenntnis des Lebens, wie es ist, und durch direktes Erkennen dessen, was er daraus machen kann. So geht keine Kraft, Zeit oder Gelegenheit verloren, und er kommt ständig seinem Ziel näher.

43. Durch glühendes [208] geistiges Streben und durch beseitigen aller Unreinheiten kommen die Kräfte im Körper und die Sinne zur vollen Entfaltung.

Obwohl geistiges Streben und Läuterung zwei grundlegende Mittel zur Vervollkommnung sind, sind sie in Wirklichkeit nur eines, denn sie sind nur die beiden Aspekte der harten Schule des Probepfads. Der alte Kommentar, die Grundlage für die esoterische Lehre vom Raja Yoga, enthält einige Sätze, die hier von Wert sind, da sie den genauen Grundgedanken vermitteln:

«Wenn der Feueratem durch das System aufwärts strömt, wenn das feurige Element sich bemerkbar macht, verschwindet das, was hindert; und das, was verborgen war, wird aufgehellt.

Das Feuer steigt empor und verbrennt Hemmnisse; der Feuerodem dehnt sich aus, und Begrenzungen verschwinden; die sieben, die bisher untätig waren, erwachen zum Leben. Die zehn Tore, die versiegelt und verschlossen oder halboffen waren, gehen weit auf.

Die fünf grossen Kontaktmittel treten in Tätigkeit, Hindernisse werden überwunden, und es gibt keine Schranken mehr. Der geläuterte Mensch wird zum grossen Empfänger, und der Eine wird erkannt».

Mit diesen Worten wird die grosse Reinigung durch Feuer und Luft (Atem) beschrieben, und das ist die Läuterung auf dem Yogapfad. Der Reinigung durch Wasser musste sich der hochentwickelte Mensch unterziehen, bevor er den Weg der Jüngerschaft betritt; und darauf deuten die oft gebrauchten Worte «Wasser des Leidens» hin. Nun muss er sich der Feuerprobe unterziehen, und die ganze niedere Natur muss durch das Feuer gehen. Das ist die erste Bedeutung, und zwar diejenige, die den Aspiranten am meisten angeht. Dann kommt der Ruf [209] nach Feuer aus seinem Herzen, der in Worte gekleidet lautet:

«Ich suche den Weg und sehne mich nach Wissen und Erkenntnis. Ich sehe visionäre Bilder und habe flüchtige tiefe Eindrücke. Hinter dem Tor, auf der anderen Seite, liegt meine Heimat, denn ich habe den Kreis durchlaufen, der sich nun schliesst.

Ich suche den Weg; ich bin alle Wege gegangen. Der Weg des Feuers ruft mich nun mit Macht. Nichts in mir sucht den Weg des Friedens, nichts in mir sehnt sich nach den Dingen der Welt.

Möge das Feuer wüten, lasst die Flammen alles verzehren; alle Schlacken sollen verbrennen; ich will eintreten durch das Tor und den feurigen Weg gehen».

Der Atem Gottes wird auch als reinigende Brise empfunden und ist der Widerhall der Seele auf das Streben des Jüngers. Die Seele «inspiriert» dann den niederen Menschen.

Die zweite Bedeutung hat natürlich eine direkte Beziehung zum Wirken der Kundalini oder des Schlangenfeuers am unteren Ende der Wirbelsäule, das ja auf die Seelenschwingung reagiert. Diese wird im Kopf, in der Gegend der Zirbeldrüse, empfunden und wird «das Licht im Kopf» genannt. Beim Aufsteigen verbrennt es alle Hindernisse im ätherischen Kanal der Wirbelsäule, belebt und elektrisiert die fünf Zentren entlang dieses Kanals und die beiden Kopfzentren. Die Lebensäther in den Hirnhöhlen geraten ebenfalls in Bewegung und üben dort eine reinigende oder vielmehr ausscheidende Wirkung aus. Aber damit hat der Studierende jetzt noch nichts zu tun. Er muss nur dafür sorgen, dass, soweit es an ihm liegt, das Streben seines Herzens die nötige «feurige» Wesensart hat, und dass die unablässige Läuterung seines physischen Körpers und seines Fühlens und Denkens wunschgemäss weitergeht. Wenn das der [210] Fall ist, wird die Resonanz der Seele wirksam, und die darauf folgenden Reaktionen innerhalb der ätherischen Zentren werden gefahrlos, gesetzmässig und normal sein.

Die letzten Sätze des Kommentars betreffen:

a. Die sieben Zentren, die bis dahin untätig waren.

b. Die zehn geschlossenen Tore, die zehn Öffnungen des physischen Körpers.

c. Die fünf Sinne, durch die der Kontakt mit der physischen Ebene hergestellt wird.

Damit sind alle nach aussen und innen gerichteten Tätigkeiten des Menschen auf der physischen Ebene zusammengefasst.

Wenn diese alle unter die Leitung der Seele, oder des inneren Herrschers, gebracht sind, entsteht Einheit mit der Seele; und daraus ergibt sich das Sich-eins-wissen mit dem Einen, in dem wir leben, weben und sind.

44. Geistiges Studium führt zum Kontakt mit der Seele (oder dem Göttlichen).

Dieser Satz könnte vielleicht wörtlich so übersetzt werden: «Durch das Deuten von Symbolen kommt eine Verbindung mit der Seele zustande». Ein Symbol ist eine Form irgendwelcher Art, die einen Gedanken, eine Idee oder eine Wahrheit in sich birgt. Man könnte daher ganz allgemein den Grundsatz aufstellen, dass jede Form jeglicher Art ein Symbol oder die äussere Hülle eines Gedankens ist. Dieser Grundsatz lässt sich auch auf die menschliche Form anwenden, die dafür bestimmt ist, das Symbol (oder Ebenbild) Gottes zu sein. Es ist eine objektive (körperliche) Form, die einen göttlichen Gedanken, eine [211] Idee oder Wahrheit in sich birgt. Das Ziel der Entwicklung ist es, diese objektive symbolische Form zur Vollkommenheit zu bringen. Wenn ein Mensch das erkennt, hört er auf, sich mit dem Symbol zu identifizieren, das seine niedere Natur ist. Er fängt dann an, bewusst zu wirken als das göttliche, subjektive (innere) Selbst, das den niederen Menschen als Hülle benutzt und sich täglich mit dieser Form befasst, um sie zu einem angemessenen Instrument der Wesensäusserung zu machen. Dieser Gedanke wird auch in das tägliche Leben übertragen, in die Einstellung des Menschen zu jeder Form (in den drei Naturreichen), mit der er in Berührung kommt. Er versucht, hinter der äusseren Form oder Hülle den göttlichen Gedanken zu erkennen.

Das ist die vierte Regel und sie betrifft des Menschen innere Einstellung zur objektiven Welt. Es kann darum gesagt werden, dass sich die Regeln auf die Einstellung eines Menschen zu folgenden Dingen beziehen:

1. Zu seiner eigenen niederen Natur   -  innere und äussere Reinigung.

2. Zu seinem Karma oder Lebensschicksal   -  Zufriedenheit.

3. Zu seiner Seele oder seinem Ego   -  heisses Streben.

4. Zu seiner Umwelt und seinen Kontakten auf der physischen Ebene   -   geistiges Studium.

5. Zu der einen Wesenheit, Got    -   Hingabe an Ishvara.

So zieht sich der Gedanke der «richtigen Einstellung» durch alle diese Regeln.

45. Durch völlige Hingabe an Ishvara wird das Ziel der Meditation (der Samadhi-Zustand) erreicht.

Das Ziel der Meditation ist die Fähigkeit, mit dem göttlichen inneren Selbst in Verbindung zu kommen und dadurch die klare Erkenntnis [212] zu gewinnen, dass dieses Selbst mit allen Seelen und mit der All-Seele eins ist; und das ist nicht nur theoretisch, sondern als eine Tatsache in der Natur zu erkennen. Es kommt zustande, wenn das «Samadhi» erreicht wird; in diesem Zustand wird das Bewusstsein des Denkers aus dem niederen Hirnbewusstsein in das des geistigen Menschen oder der Seele auf ihrer eigenen Ebene verlagert. Die Stadien dieser Verlagerung sind folgende:

1. Verlagerung des Körper-Bewusstseins, des nach aussen gerichteten instinktmässigen Bewusstseins des physischen Menschen, in den Kopf. Das erfordert ein bewusstes Zurückziehen des Bewusstseins auf einen Punkt innerhalb des Gehirns in der Nähe der Zirbeldrüse, und die dauerhafte Verankerung des Bewusstseins an dieser Stelle.

2. Verlagerung des Bewusstseins aus dem Kopf oder Gehirn in das Denkvermögen, in den Mentalkörper. Bei dieser Verlagerung bleibt das Gehirn ganz wachsam, und das Zurückziehen erfolgt bewusst über den Ätherkörper, wobei die Öffnung auf dem Scheitel des Kopfes (Brahmarandra) benutzt wird. Dabei ist der Mensch keinen Augenblick lang in Trance, bewusstlos oder schlafend; er vollzieht dieses Abziehen oder Zurückziehen entschlossen und energisch.

3. Verlagerung des Bewusstseins aus dem Mentalkörper in das des Egos, der Seele, die ihren Sitz im Kausalkörper (im egoischen Lotos) hat. Dadurch wird ein Zustand hergestellt, wobei das Gehirn, der Mentalkörper und der Kausalkörper eine zusammenhängende, ruhige Einheit bilden, die lebendig, wachsam, positiv und beständig ist.

4. In den Zustand des Samadhi oder der geistigen Kontemplation kann [213] dann eingetreten werden, wenn die Seele auf ihre eigene Welt hinblickt, die Dinge so erschaut, wie sie sind, mit der Wirklichkeit in Berührung ist und «Gott erkennt».

Darauf folgt das Stadium, in dem der geistige Mensch - über das Denkvermögen - an das Gehirn all das weiterleitet, was er erschaut, erlebt und erkannt hat. Auf diese Weise wird das Wissen zu einem Teil des Hirninhalts und steht für die Nutzanwendung auf der physischen Ebene zur Verfügung.

Das ist das Ziel der Meditation. Die vielen unterschiedlichen Ergebnisse sind das Thema des dritten Buches und werden durch die acht Yoga-Mittel erzielt, wie sie in diesem zweiten Buch angegeben sind. Nur Hingabe an Ishvara oder wahre Liebe zu Gott, mit den damit verbundenen Qualitäten, nämlich Dienen, Liebe zu den Menschen und beständig rechtes Handeln, kann den Menschen auf diesem schweren Weg der Disziplin, Läuterung und harten Arbeit weiterbringen.

III. MITTEL: HALTUNG

46. Die eingenommene Haltung muss beständig und ungezwungen sein.

Dieser Lehrspruch hat unsere Studierenden im Abendland in ziemliche Verlegenheit gebracht, denn sie haben ihn lediglich im physischen Sinn gedeutet. Er hat wohl eine physische Bedeutung, aber wenn man dabei an die dreifache niedere Natur denkt, könnte man folgendes sagen: er bezieht sich auf eine gleichbleibende, unbewegte Körperhaltung während der Meditation, auf einen beständigen und standhaften Zustand des Astral- oder Empfindungskörpers während des inkarnierten Lebens, und auf ein stetiges, ruhiges [214] Denken, das unter absoluter Kontrolle ist. Von diesen dreien ist die Körperhaltung die am wenigsten wichtige; und am besten ist die Körperstellung, in welcher der Aspirant am schnellsten seinen physischen Körper vergessen kann. Im allgemeinen ist die beste Haltung für den Aspiranten im Westen folgende: ein bequemer Sitz in aufgerichteter Haltung, mit geradem Rücken, natürlich gekreuzten Füssen, auf dem Schoss gefalteten Händen, die Augen geschlossen und das Kinn ein wenig herabhängend. Im Osten gibt es eine Wissenschaft der Körperhaltungen, und es werden etwa vierundachtzig Stellungen angegeben, von denen einige sehr schwierig und schmerzhaft sind. Diese Lehre ist ein Zweig des Hatha-Yoga und sollte von Menschen der fünften Stammrasse nicht mehr befolgt werden. Sie ist ein Überbleibsel jenes Yoga, der notwendig und hinreichend war für die Menschen der lemurischen Stammrasse, welche die Beherrschung des physischen Körpers erlernen mussten. Bhakti-Yoga (der Yoga des gottergebenen Herzens) und ein wenig Hatha-Yoga war der richtige Yoga für die Menschen der atlantischen oder vierten Stammrasse. In dieser fünften Stammrasse, der arischen, sollte Hatha-Yoga von einem Jünger überhaupt nicht ausgeübt werden; er sollte sich mit Raja-Yoga plus Bhakti-Yoga befassen, so dass sein Denken und Fühlen ausgeglichen ist.

Der Lemurische Jünger lernte, den physischen Körper zu beherrschen und in den Dienst Ishvaras zu stellen durch Hatha-Yoga, verbunden mit einem Streben nach Beherrschung der Empfindungen.

Der Atlantische Jünger lernte, den Empfindungskörper zu beherrschen und ihn in den Dienst Ishvaras zu stellen durch Bhakti-Yoga. verbunden mit einem Streben nach Beherrschung der Gedanken.

Der Arische [215] Jünger muss lernen, den Mentalkörper zu beherrschen und ihn in den Dienst Ishvaras zu stellen durch Raja-Yoga, verbunden mit einem Streben nach Erkenntnis des Innewohnenden, der Seele. So wird in dieser Stammrasse der ganze niedere Mensch, die Persönlichkeit, unterjocht, und so findet die «Verklärung» der Menschheit statt.

47. Ruhige, ungezwungene Haltung kann erreicht werden durch beharrliche kleine Anstrengungen und durch Konzentration der Gedanken auf das Unendliche.

Die beiden Aspekte, die bei der Meditation Schwierigkeiten bereiten, sind das Entspannen des Körpers und die Beherrschung der Gedanken. Es ist bemerkenswert, dass man die richtige Körperhaltung, bei der man den Körper vergisst, eher durch andauernde leichte Übung als dadurch erreicht, dass man ihn gewaltsam zu Stellungen und Haltungen zwingt, die ungewohnt und unbequem sind. Wenn ein Mensch seinen Körper völlig entspannt halten und sich gänzlich in die Betrachtung seelischer Dinge versenken kann, dann ist das ein Zeichen und Beweis für eine beständige und ungezwungene Haltung. Er vergisst sein physisches Werkzeug und kann sich daher konzentrieren; und diese Konzentration ist dann so auf einen einzigen Gegenstand gerichtet, dass ein Denken an den physischen Körper gar nicht möglich ist.

48. Wenn ein Mensch das erreicht hat, wird er von den Gegensatzpaaren nicht mehr berührt.

Die Gegensatzpaare betreffen den Wunschkörper, und es ist bezeichnend, dass im vorhergehenden Lehrsatz nur vom Denken und [216] vom physischen Körper die Rede war. In diesem Lehrsatz geht es um den Empfindungskörper, dessen Wesen sich in Wünschen äussert, der aber jetzt nicht mehr der Einwirkung irgendwelcher anziehenden Kraft unterliegt. Der Astralkörper wird ruhig und indifferent, er reagiert nicht mehr auf die Verlockungen aus der Welt der Illusion.

Mit dem Astralkörper des Menschen und dem Astrallicht ist ein grosses Mysterium verbunden, dessen Wesen bisher nur wenigen fortgeschrittenen Eingeweihten bekannt ist. Das Astrallicht tritt durch zwei Wirkungsfaktoren in Erscheinung, und der Astralkörper des Menschen ist empfänglich für zwei Arten von Energie. Diese scheinen an sich weder Merkmale noch Form zu haben, doch scheint ihr Sichtbarwerden davon abzuhängen, «was oben und was unten ist». Die Wunschnatur des Menschen zum Beispiel reagiert entweder auf die Lockung der grossen Welt der Illusion, der Maja der Sinne, oder auf die Stimme des Egos, das den Mentalkörper benutzt. Schwingungen erreichen den Astralkörper von der physischen Ebene und aus der Mentalwelt, und der Mensch reagiert auf den höheren oder niederen Anruf ganz so, wie es seinem Wesen und der erreichten Entwicklungsstufe entspricht.

Der Astralkörper ist entweder für Eindrücke des Egos empfänglich, oder er lässt sich von den Millionen Stimmen der Erde beeinflussen. Er hat offensichtlich weder eine eigene Stimme noch eine eigene Wesensart. In der Bhagavad Gita wird das geschildert an der Stelle, wo Arjuna mittwegs zwischen den beiden gegensätzlichen Mächten des Guten und des Bösen steht und nach der richtigen Einstellung zu beiden sucht. Die Astralebene ist der Kampfplatz [217] der Seele, das Feld des Sieges oder der Niederlage; sie ist das Kurukshetra, auf dem die grosse Entscheidung getroffen wird.

In den Lehrsprüchen, die sich auf die Haltung beziehen, ist eben dieser Gedanke enthalten. Die physische Ebene und die Mentalebene werden betont, und es wird folgendes ersichtlich: Wenn ein Mensch diese beiden Ebenen in die rechte Verfassung gebracht, wenn er auf der physischen Ebene Ausgeglichenheit und auf der Mentalebene höchstes Konzentrationsvermögen erlangt hat, dann beeinträchtigen ihn nicht mehr die Gegensatzpaare. Der Zustand des Gleichgewichts, der den Menschen frei macht, ist erreicht. Die Waagschalen des Lebens sind vollkommen ausgeglichen und der Mensch steht frei da.

IV. MITTEL: PRANAYAMA

49. Wenn man die rechte Haltung (Asana) erreicht hat, folgt die rechte Beherrschung des Prana und das richtige Einatmen und Ausatmen.

Hier haben wir wieder einen Lehrspruch, der oft zu Missverständnissen geführt und viel Schaden angerichtet hat. Es gibt viele Anweisungen über die Beherrschung des Prana, und das hat zu Atemübungen und Praktiken geführt, deren Erfolg vom Unterbrechen des Atmungsvorgangs abhängt. Vieles davon beruht auf der Annahme des abendländischen Menschen, dass Prana und Atem sinnverwandte Worte seien. Das ist durchaus nicht der Fall. Vivekananda weist darauf in seiner Erklärung dieses Lehrspruchs mit folgenden Worten hin:

«Wenn die Haltung erreicht ist, muss die Atembewegung unterbrochen und reguliert werden, und so kommen wir zu Pranayama, der Beherrschung der Vitalkräfte des Körpers. Prana ist nicht [218] Atem, wenn es auch meistens so übersetzt wird. Es ist die Gesamtheit kosmischer Energie. Prana ist die Energie, die in einem jeden Körper vorhanden ist, und ihr sichtbarster Ausdruck ist die Tätigkeit der Lunge. Diese Tätigkeit wird veranlasst durch Prana, das den Atem schöpft, und gerade das wollen wir durch Pranayama beherrschen. Wir beginnen mit der Atemregulierung, da dies der leichteste Weg ist, um die Beherrschung des Prana zu erreichen».

Prana ist die Gesamtheit von Energie im Körper (und das gilt genau so für den Körper des Planeten und der Sonne). Es betrifft daher das Einströmen von Energie in den Ätherkörper und das Ausströmen durch den physischen Körper. Im physischen Körper ist das symbolisiert durch das notwendige Einatmen und Ausatmen. Durch die Betonung des physischen Atemvorgangs ist viel von der wahren Bedeutung dieses Lehrspruchs verloren gegangen.

Beim Studium des Pranayama sollten gewisse Dinge beachtet werden. Erstens, dass es eine der Hauptaufgaben des Ätherkörpers ist, als Anreger und Energiespender des dichten physischen Körpers zu wirken. Es ist beinahe so, als wenn der physische Körper kein unabhängiges Dasein hätte, sondern nur in dem Mass tätig ist, wie er vom Ätherkörper beeinflusst und angetrieben wird. Der Ätherkörper ist der Kraft- oder Lebenskörper und durchdringt jeden Teil des dichten Körpers. Er ist der Hintergrund, die wahre Substanz des physischen Körpers. Die Art der Kraft, die den Ätherkörper belebt, die Wirksamkeit dieser Kraft im Ätherkörper, die Lebendigkeit oder Trägheit der wichtigsten Teile des Ätherkörpers (der Zentren entlang der Wirbelsäule) bestimmen die entsprechende Tätigkeit des [219] physischen Körpers. In gleicher Weise wird durch den Zustand des Atmungsapparates und die Fähigkeit dieses Apparats, dem Blut Sauerstoff zuzuführen und es zu reinigen, der Gesundheitszustand und das Befinden des physischen Körpers bestimmt.

Der Schlüssel zum richtigen Reagieren des Niederen auf das Höhere liegt im Rhythmus und in der Fähigkeit des physischen Körpers, in rhythmischer Übereinstimmung mit dem Ätherkörper zu schwingen. Man hat herausgefunden, dass das durch ruhiges, gleichmässiges Atmen sehr erleichtert wird. Die meisten Atemübungen haben, wenn sie unter Nichtbeachtung der vorhergehenden drei Mittel (Gebote, Regeln und Haltung) durchgeführt werden, eine deutliche Wirkung auf die ätherischen Zentren, können aber gefährliche Folgen haben. Es ist unbedingt notwendig, dass der Aspirant die Yoga-Mittel in der Reihenfolge befolgt, wie sie von Patanjali angegeben werden; und er muss dafür sorgen, dass zuerst die Reinigung, die Disziplinierung des äusseren und inneren Lebens und die Gedankenkonzentration erreicht wird, bevor er darangeht, den Ätherkörper durch Atmung zu regulieren und die Zentren zu erwecken.

Die Wirkung, die durch Pranayama erreicht wird, kann kurz wie folgt beschrieben werden:

1. Versorgung des Blutes mit Sauerstoff, dadurch Reinigung des Blutstromes und infolgedessen physische Gesundheit.

2. Der physische Körper wird in eine Schwingung versetzt, die mit der [220] des Ätherkörpers übereinstimmt. Daraus ergibt sich die völlige Unterwerfung des dichten physischen Körpers und dessen Koordinierung mit dem Ätherkörper. Die beiden Teile des physischen Formgefässes bilden eine Einheit.

3. Die Weiterleitung von Energie über den Ätherkörper zu allen Teilen des dichten physischen Körpers. Diese Energie kann aus verschiedenen Quellen kommen:

a. Aus der planetarischen Aura. In diesem Fall ist es planetarisches Prana und betrifft hauptsächlich die Milz und die Gesundheit des physischen Körpers.

b. Aus der Astralwelt über den Astralkörper. Das ist ausschliesslich karmische Kraft oder Wunschkraft, die hauptsächlich auf die Zentren unterhalb des Zwerchfells einwirkt.

c. Aus dem universalen Denkprinzip oder der manasischen Kraft. Das ist vorwiegend Denkkraft, die zum Kehlzentrum strömt.

d. Vom Ego selbst. Diese Energie stimuliert hauptsächlich das Kopfzentrum und das Herzzentrum.

Die meisten Menschen empfangen nur die Kräfte der physischen und astralen Ebene, aber Jünger nehmen auch Kräfte von der Mentalebene und aus seelischen Bereichen auf.

50. Die richtige Beherrschung des Pranas (oder der Lebensströme) ist äusserlich, innerlich oder bewegungslos; sie hängt von Ort, Zeit und Zahl ab, ist langanhaltend oder kurz.

Dieser Lehrspruch ist sehr schwer zu verstehen; seine Bedeutung ist absichtlich schwerverständlich gemacht worden wegen der Gefahren, die mit der Steuerung der Körperkräfte verbunden sind. Die darin enthaltenen Gedanken und die Belehrung, die dadurch gegeben werden soll, umfassen drei Teile:

I. Die äussere, innere [221] und bewegungslose Beherrschung der Lebensströme des dichten und ätherischen Körpers. Das betrifft:

1. Den Atmungsapparat und die Atmung.

2. Die Lebenslüfte und ihre Strahlung.

3. Die Zentren und ihre Erweckung.

4. Das Kundalinifeuer und dessen richtiges Aufsteigen entlang der Wirbelsäule.

II. Die astrologische Bedeutung und die Beziehung des Menschen zu seiner Gruppe, sei es im planetarischen oder in anderem Sinn. Das besagen die Worte: «Ort, Zeit und Zahl».

III. Den Vorgang der Erleuchtung und das Fähigwerden des physischen Menschen, auf höhere Eindrücke (über das Gehirn) reagieren zu können. Diese Fähigkeit, auf die Stimme des Egos zu reagieren, ruhig und empfänglich zu werden, muss den letzten vier Yoga-Mitteln voraufgehen, denn diese betreffen nicht so unmittelbar die dichte physische Ebene oder die ätherischen Bewusstseinsbereiche.

Es dürfte wohl klar sein, dass vieles von dem, was durch diesen Lehrspruch übermittelt werden soll, ohne Gefahr eigentlich nur vom Lehrer an den Schüler weitergegeben werden kann, und auch dann nur, wenn er die körperliche Verfassung des Schülers studiert hat. Es ist weder möglich noch richtig, in einem Buch, das der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden soll, jene Regeln, Übungen und Methoden anzugeben, die den geschulten Jünger fähig machen, seinen dichten physischen Körper in sofortige Übereinstimmung mit seinem Ätherkörper zu bringen, seine Aura zu verdichten und auszustrahlen, um gewisse magnetische Wirkungen in seiner Umgebung hervorzubringen, und seine Zentren zu wecken, so dass gewisse psychische Kräfte entfaltet werden. Die Methode, die zur Erweckung [222] des Kundalinifeuers und dessen Vereinigung mit der herabströmenden Kraft des Egos führt, muss ebenfalls einer direkten Belehrung des Schülers durch einen Meister in dieser Wissenschaft überlassen bleiben. Mit der vorzeitigen Erweckung des Feuers und der darauffolgenden Zerstörung gewisser schützender Gebilde im Ätherkörper, und mit dem Niederreissen der Schranken zwischen dieser und der Astralwelt sind ausserordentliche Gefahren verbunden, wenn der Schüler nicht richtig «ausgeglichen ist zwischen den Gegensatzpaaren». Es besteht die Gefahr, dass die psychischen Kräfte vorzeitig entwickelt werden, ehe noch die höhere Natur wach geworden ist; und die Wirkung auf das Gehirn zeigt sich als Geistesgestörtheit leichteren oder schwereren Grades. Ein paar erklärende Worte dürfen jedoch gesagt werden, die dem ernsthaften Studenten der okkulten Wissenschaft die Information geben kann, die, richtig angewandt, zu weiterem Wissen führen mag. So sollte es immer sein, wenn es sich um okkultes Wissen handelt. Es sollen nun kurz die drei Punkte behandelt werden:

I. Die äussere Beherrschung des Pranas oder der Lebensströme bezieht sich auf jene Atem- und Rhythmusübungen, welche die mit den ätherischen Zentren verbundenen physischen Organe in die richtige Verfassung bringen. Der weisse Magier oder Okkultist befasst sich niemals in besonderer Weise mit den physischen Organen an sich. Das geschieht in der schwarzen Magie, und die Organe, um die es sich dabei handelt, sind das Gehirn, die Lunge, das Herz, die Milz und die Zeugungsorgane.

Der schwarze Magier benutzt bewusst diese physischen Körperorgane zur Erzeugung einer Kraftart, die eine Mischung aus ätherischer Kraft und physischer Energie ist, und die ihn befähigt, gewisse magische Leistungen zu vollbringen und auch Wirkungen auf [223] die physischen Körper von Tieren und Menschen auszuüben.

Dieses Wissen ist die Basis aller jener Praktiken, die Erschöpfung und Tod bei solchen Menschen verursachen, die dem schwarzen Magier hindernd im Wege stehen und von ihm als Feinde betrachtet werden. Damit hat der Mensch, der nach den Mysterien der Bruderschaft der Grossen Weissen Loge strebt, nichts zu tun. Er bringt die Verschmelzung der beiden Teile des physischen Körpers, den synchronisierten Rhythmus der beiden Körper und infolgedessen die Einheitlichkeit des ganzen niederen Menschen dadurch zustande, dass er sein Augenmerk auf den ätherischen Atem und Rhythmus richtet. Das führt zwangsläufig zur «äusseren Beherrschung der Lebensströme».

Die innere Beherrschung der Lebensströme wird auf dreifache Weise erreicht:

1. Durch ein verstandesmässiges Begreifen der Konstitution des Ätherkörpers und der Gesetze, die dessen Leben bestimmen.

2. Durch sorgfältige Betrachtung der Energiearten und deren Apparatur, des Systems der Zentren, die sich im Ätherkörper befinden.

3. Durch gewisse Entfaltungen und durch Erkenntnisse, die dem Aspiranten kommen, sobald er dafür reif ist (weil er die Yoga-Mittel befolgt hat), und die ihn befähigen, gewisse Arten von Kräften, Energien oder Shaktis anzuzapfen, diese vermittels seiner Zentren in der rechten Weise nutzbar zu machen und Wirkungen hervorzurufen, die man folgendermassen beschreibt: erleuchtend, reinigend, magnetisch, dynamisch, psychisch und magisch.

Die bewegungslose Beherrschung der Lebensströme ist die Auswirkung der richtigen Entwicklung der beiden anderen Arten, der [224] äusseren und inneren Kontrolle. Diese müssen vorhanden sein, bevor das fünfte Yoga-Mittel, Sich-zurückziehen oder Loslösen möglich ist. Sie bedeutet ganz einfach die vollkommen ausgeglichene Synchronisierung und völlige Vereinigung der beiden Teile des physischen Körpers, so dass für die aus- und einströmenden Kräfte kein Hindernis mehr besteht. Wenn der Yogi die bewegungslose Beherrschung erreicht hat, kann er sich nach Belieben aus seinem Körper zurückziehen, oder er kann in diesen Körper irgendeine der sieben grossen planetarischen Kräfte hineinziehen und sich zunutze machen.

Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um einen Idealzustand handelt, und dass niemand dieses Teil-Ziel erreichen kann, wenn er nicht gleichzeitig auch die anderen Yoga-Mittel befolgt. In diesem Zusammenhang ist es recht nützlich, ähnliche Tatsachen in der Natur zu erforschen.

II. Die astrologische Bedeutung wird hier ebenfalls angedeutet mit den Worten: «Ort, Zeit und Zahl». In diesen Worten müssen die universalen Dreiheiten erkannt werden, und man muss begreifen, dass die richtige Lenkung der Lebensströme eine Beziehung hat zum Karma, zu einer sich bietenden Gelegenheit und zur Form. Es gibt gewisse Worte, die - richtig verstanden - uns den Schlüssel geben zum praktischen Okkultismus und den Yogi zu einem Meister des Lebens machen. Es sind die Worte:

Ton                           Zahl                              Farbe                      Form

Wort                         Leben                           Licht                       Körper

und diese sind anerkanntermassen den Begriffen von Raum und Zeit unterworfen. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass «Raum die erste Wesenheit ist» (Geheimlehre I, 583), und dass zyklische Manifestation das Gesetz des Lebens ist.

Wenn das [225] erkannt wird, dann macht sich das Vorhandensein der Wesenheit, die sich periodisch manifestiert, bemerkbar durch Differenzierung, durch die Farbe oder Qualität der verhüllenden Form und durch die Form selbst. Diese Faktoren bilden die Gesamtheit der Wesensäusserung einer jeden Identität, sei es Gott oder Mensch; und das Erscheinen eines jeden Menschen in sichtbarer Form auf der physischen Ebene ist bedingt durch die rhythmisch (oder periodisch) ausströmende und zurückströmende Energie der grossen Lebenseinheit, in der er lebt, wirkt und sein Dasein hat. Das ist die Grundlage der astrologischen Wissenschaft oder die Beziehung des oder der Planeten zum Menschen, zu den Sternen und den verschiedenen Tierkreiszeichen.

Es ist für die richtige Beherrschung der Lebensströme wesentlich, etwas über diese Dinge zu wissen, denn der Jünger kann dann die «Zeiten und Perioden», in denen der Fortschritt beschleunigt werden kann, für sich nutzbar machen.

III. Der Vorgang der Erleuchtung des inneren Menschen wird durch die richtige Beherrschung des Pranas ermöglicht, und dieser «Erleuchtungsprozess» ist eine exakte Wissenschaft, für die diese vier Yoga-Mittel eine Vorbereitung waren. Die Feuer des Körpers sind in der rechten Weise geordnet; der «bewegungslose» Zustand kann einigermassen erreicht werden; die Lebenslüfte im Kopf sind im Ruhezustand, und der ganze niedere Mensch erwartet:

a. Entweder das sich Zurückziehen des wahren oder geistigen Menschen, um auf irgendeiner höheren Ebene zu wirken,

b. oder des Herabströmen von Licht, Erleuchtung und Wissen von den Ebenen des Egos in das niedere Hirnbewusstsein.

51. Es gibt [226] einen vierten Zustand, der über die Stadien der inneren und äusseren Beherrschung hinausgeht.

Wir haben gesehen, dass die Beherrschung der Lebensströme äusserlich aktiv, innerlich aktiv, oder ausgeglichen sein kann. Dieser dreifache Prozess bringt den ganzen niederen Menschen zuerst in einen Zustand, in welchem er auf den inneren antreibenden Faktor (in diesem Fall auf das Ego oder den geistigen Menschen auf seiner eigenen Ebene) rhythmisch reagiert, und sodann in einen Zustand völliger Ruhe oder Stille. Diesem letzteren Zustand empfänglichen Wartens, wie man es nennen könnte, folgt ein Zustand höherer Aktivität. Das ist buchstäblich die Auferlegung einer neuen Schwingungsfrequenz auf den niederen Menschen, das Hervorquellen eines neuen Grundtones, der vom geistigen Menschen ausgeht und ganz bestimmte Wirkungen in den drei Körpern hervorruft, aus denen das niedere Selbst besteht und die das Göttliche im Menschen verhüllen. Diese Wandlungen werden in den nächsten beiden Lehrsprüchen behandelt.

Die Arbeit des Aspiranten gilt hauptsächlich der Vorbereitung der Körperhüllen, damit dieser vierte Zustand ermöglicht werden kann. Sein ganzes Augenmerk richtet sich darauf, folgendes zu erreichen:

1. Die bewusste Koordinierung der drei Körper oder Hüllen;

2. deren richtige Gleichschaltung (Harmonisierung);

3. die Regulierung des Rhythmus der Körperhüllen, so dass sie sowohl miteinander als auch mit den egoischen Impressionen übereinstimmen;

4. die Zusammenfassung dieser drei Hüllen zu einem einheitlichen Ganzen, so [227] dass der Mensch tatsächlich die Drei in Einem und der Eine in den Dreien ist;

5. friedvolle Stille oder den Zustand positiver Empfänglichkeit für die höhere Eingebung und für das Herabströmen seelischen Lebens und seelischer Energie.

Es könnte dem Studierenden helfen, wenn er sich darüber klar wird, dass zur richtigen Beherrschung des Pranas die Erkenntnis gehört, dass Energie die Gesamtsumme des Daseins und der sichtbaren Schöpfung ist, und dass die drei niederen Körper Energiekörper sind, von denen jeder ein Träger einer höheren Energieart ist, und dass sie selbst Übermittler von Energie sind. Die Energien des niederen Menschen sind Energien des dritten Aspekts, des Heiligen Geistes- oder Brahma-Aspekts. Die Energie des geistigen Menschen ist die des zweiten Aspekts, der Christus-Kraft oder Buddhi. Das Ziel der menschlichen Entwicklung besteht darin, diese Christus-Kraft, das Buddhi-Prinzip, auf der physischen Ebene zu voller Entfaltung und Auswirkung zu bringen, und zwar durch die Nutzbarmachung der niederen dreifachen Körperhülle. Diese dreifache Hülle ist der Heilige Gral, der Kelch, der das Leben Gottes empfängt und enthält. Wenn der niedere Mensch durch Befolgen der bereits behandelten vier Yogamittel zu einer richtigen Resonanz gebracht worden ist, zeigen sich in ihm zwei Resultate; er ist dann bereit, die weiteren vier Mittel zu benutzen, die ihm eine neue geistige Einstellung geben und die ihn schliesslich zur Befreiung führen.

52. Dadurch wird das, was das Licht verdunkelt, allmählich beseitigt.

Das erste Ergebnis ist, dass die materiellen Formen, welche die Wirklichkeit verbergen, allmählich abnehmen oder sich verdünnen. Das [228] bedeutet nicht den Zerfall der Formen, sondern die ständige Verfeinerung und Umwandlung der Materie, aus denen sie bestehen; infolgedessen werden die Formen so gereinigt, dass das «Licht Gottes», das bisher in ihnen verborgen war, in seiner ganzen Schönheit in den drei Welten aufleuchten kann. Diese Tatsache ist auf der physischen Ebene nachweisbar, denn durch den Reinigungsprozess und die Beherrschung der Lebensströme wird das Licht im Kopf so hell, dass es von hellsichtigen Menschen als Strahlungsring um den Kopf gesehen wird; so erscheint ein Strahlenkranz, wie wir ihn von den Heiligenbildern her kennen. Der Heiligenschein ist eine Tatsache in der Natur, kein blosses Symbol. Er ist das Resultat des verwirklichten Raja-Yoga und der physische Beweis für das Leben und das Licht im geistigen Menschen. Vivekananda sagt (in Fachausdrücken) folgendes, (und es ist gut für die westlichen Studierenden des okkulten Wissens, wenn sie die Technik und Terminologie dieser Wissenschaft von der Seele beherrschen, die der Osten so lange gehütet hat):

«Das Chitta an sich enthält alles Wissen. Es besteht aus Sattva-Partikeln, die aber überdeckt werden durch Rajas- und Tamas-Partikel. Durch Pranayama wird diese Umhüllung beseitigt».

53. Und das Denken wird für konzentrierte Meditation geeignet.

Johnston übersetzt sehr schön diesen Lehrspruch mit den Worten: «Dadurch erlangt das Denkvermögen die Fähigkeit, sich im Licht zu halten». Darin liegt folgender Gedanke: Wenn einmal der [229] Zustand der Stille und das vierte Stadium der übersinnlichen Wahrnehmung erreicht ist, können die übrigen Yoga-Mittel-Zurückziehung, Aufmerksamkeit, Meditation und Kontemplation - in der rechten Weise zur Anwendung kommen. Die Denkfähigkeit kann beherrscht und benutzt werden, und die Übermittlung von Wissen, Licht und Erkenntnis vom Ego oder der Seele - über das Denken - zum Gehirn kann ungefährdet erfolgen.

V. MITTEL: ZURÜCKZIEHUNG

54. Abstraktion (oder Pratyahara) ist die Unterjochung der Sinne unter das Denkprinzip und deren Abkehr von den bisher erstrebten Dingen.

Dieser Lehrspruch fasst all das zusammen, was getan werden muss, um die psychische Natur zu beherrschen; er gibt uns an, was erreicht wird, wenn der Denker durch das Medium der Denkkraft (des Denkprinzips) die Sinne so in der Gewalt hat, dass sie nicht mehr selbstständig tätig sein können.

Ehe Konzentration, Meditation und Kontemplation (die letzten drei Yoga-Mittel) in der richtigen Weise angewandt werden können, müssen nicht nur die äussere Lebensführung entsprechend umgestellt und die innere Reinheit erlangt, nicht nur die richtige Einstellung zu allen Dingen und infolgedessen die Beherrschung der Lebensströme erreicht worden sein, sondern es muss auch die Fähigkeit entwickelt werden, die nach aussen gerichtete Tendenz der fünf Sinne zu unterjochen. Der Aspirant muss daher lernen, das [230] auf die Erscheinungswelt gerichtete Bewusstsein in der rechten Weise ab- oder zurückzuziehen und es in der grossen Zentrale im Kopf zu sammeln; von da aus können die Energien, die er bei seiner Mitarbeit am grossen Werk braucht, bewusst verteilt werden, und von da aus kann er mit dem Reich der Seele in Verbindung treten und die Botschaften und Eingebungen empfangen, die von diesem Bereich ausgehen. Das ist nicht bloss eine symbolische Ausdrucksweise für zielbewusstes Streben, sondern auch ein Beweis dafür, dass er eine ganz bestimmte Entwicklungsstufe erreicht hat.

Die verschiedenen Organe sinnlicher Wahrnehmung werden in einen Zustand der Stille versetzt. Das Bewusstsein des wahren Menschen wird nicht mehr durch die fünf Arten der Wahrnehmung nach aussen gelenkt. Die fünf Sinne werden vom sechsten Sinn, der Denkkraft, beherrscht, und das ganze Bewusstsein und Wahrnehmungsvermögen des Aspiranten ist im Kopf vereinigt und nach innen und aufwärts gerichtet. Dadurch wird die psychische Natur unterworfen, und die Mentalebene wird zum Tätigkeitsbereich des Menschen. Dieses Ab- und Zurückziehen geht stufenweise vor sich:

1. Die Zurückziehung des physischen Bewusstseins, oder der Wahrnehmung durch Hören, Fühlen, Sehen, Schmecken und Riechen. Diese Arten der Wahrnehmung werden vorübergehend stillgelegt. Der Mensch nimmt dann nur mental wahr, und nur das Hirnbewusstsein ist noch auf der physischen Ebene tätig.

2. Die Zurückziehung des Bewusstseins in die Gegend der Zirbeldrüse, so dass der Punkt des Erkennens zwischen der Stirnmitte und der Zirbeldrüse liegt.

3. Als nächste Stufe folgt die Abziehung des Bewusstseins in das [231] Kopfzentrum, den tausendblättrigen Lotos oder Sahasrara, in der Weise, dass das Bewusstsein wissentlich aus dem Kopf zurückgezogen wird. Das kann bei vollem Wachbewusstsein getan werden, wenn gewisse Regeln gelernt wurden und eine bestimmte Tätigkeit ausgeführt wird. Es ist wohl verständlich, dass dies hier nicht mitgeteilt werden kann. Die meisten Menschen müssen erst einmal lernen, die beiden ersten Stufen zu meistern und die Wahrnehmungswege, die fünf Sinne, unter Kontrolle zu bringen.

4. Das Bewusstsein wird in den Astralkörper zurückgezogen und dadurch von der physischen Ebene losgelöst.

5. Dann wird es noch weiter zurückgezogen, nämlich in den Mentalkörper oder das Denkvermögen, so dass weder der physische Körper noch der Mentalkörper den Menschen beeinträchtigen können.

Wenn das getan werden kann, wird richtige Meditation und Kontemplation möglich.

Dvidedi sagt in seiner Erläuterung dieses Lehrspruchs:

«Zurückziehung besteht darin, dass die Sinne von der Denkkraft assimiliert oder von ihr beherrscht werden. Sie müssen von ihren Objekten abgelenkt und auf das Denken gerichtet werden und darin aufgehen. Dadurch wird die Wandlung des Denkprinzips verhindert; die Sinne richten sich nach ihm und werden sofort beherrscht; nicht nur das, sondern sie werden nunmehr bereit sein, in jedem Augenblick gemeinsam zur Meditation über eine bestimmte Sache beizutragen».

Die Ergebnisse der richtigen Zurückziehung sind daher, kurz gesagt, folgende:

1. Die Synthese der Sinne durch den sechsten Sinn, die Denkkraft.

2. Die Gleichschaltung [232] des dreifachen niederen Menschen, so dass die drei Körper als koordinierte Einheit wirken.

3. Die Befreiung des Menschen von den Begrenzungen der Körper.

4. Daraufhin ist dann die Seele (oder das Ego) imstande, das Gehirn durch das Denkvermögen zu beeindrucken und zu erleuchten.

55. Diese Mittel bewirken die vollständige Unterjochung der Sinnesorgane.

Im ersten Buch wurden ganz allgemein die Ziele des Raja-Yoga und die zu überwindenden Hindernisse angegeben, verbunden mit einem Hinweis auf die Vorteile. Im zweiten Buch werden diese Hindernisse im einzelnen behandelt und die Methoden zu ihrer Beseitigung beschrieben; und von den acht Yoga-Mitteln sind fünf angegeben und erklärt. Wenn diese fünf Mittel in der rechten Weise angewendet und befolgt werden, kommt der Mensch so weit, dass er seine niedere psychische Natur beherrscht, seine Sinne bemeistert und er darangehen kann, auch den sechsten Sinn, das Denken, gefügig zu machen.

Die Methoden, wie das Denken beherrscht und der Aspirant zum Meister des ganzen niederen Menschen wird, werden im nächsten Buch behandelt. Die letzten drei Yoga-Mittel werden erklärt, und dann werden die Ergebnisse des Yoga im einzelnen angegeben. Der Leser sollte die stufenweise und genaue Methode beachten, die in dieser wunderbaren Abhandlung so klar angegeben und trotz [233] ihrer Kürze vollständig ist. Es ist das Lehrbuch einer exakten Wissenschaft. Auf wenigen Seiten sind alle Regeln zusammengefasst, die für die arische Stammrasse notwendig sind, deren Beitrag zum Entwicklungsprozess die völlige Beherrschung des Denkprinzips sein soll.