Navigieren durch die Kaptitel von diesem Buch

Der Kreislauf von Ebbe und Flut

Wir wollen jetzt die Worte betrachten: «Das Verebben und Fluten der Wasser».

Mit dem Verstehen des Gesetzes der Zyklen erlangen wir ein Wissen von den Gesetzen, die der Evolution zugrundeliegen, und kommen zu einer Erkenntnis des rhythmischen Wirkens der Schöpfung. Gleichzeitig gewinnen wir ein Gleichgewicht dadurch, dass wir unsere eigenen Lebensimpulse studieren, denn auch sie haben ihre Ebbe und Flut und wechseln ab in Zeitspannen lichterfüllten Daseins und Zeiten der Finsternis.

Wir haben immer jenes symbolische, tägliche Ereignis vor uns, bei dem der Teil der Welt, in dem wir leben, sich dem klaren Licht der Sonne zudreht und später in das heilende Dunkel der Nacht zurückkehrt. Aber da uns diese Erscheinung zu sehr vertraut ist, verlieren wir den Blick für ihre symbolische Bedeutung und vergessen, dass nach dem grossen Gesetz die Perioden von Licht und Dunkelheit, von Gut und Böse, von Auftauchen und Versinken, von Fortschritt zur Erleuchtung und scheinbarem Zurücksinken in Finsternis, das [243] Wachstum aller Formen charakterisieren, die Entwicklung von Rassen und Völkern kennzeichnen und das Problem des Aspiranten bilden, der sich ein Bild ausgemalt hat, wie er in einem dauernden Erleuchtungszustand wandert und alle Dunkelheit hinter sich lässt.

Es ist mir nicht möglich, in diesen Anweisungen auf die Ebbe und Flut des göttlichen Lebens einzugehen, wie sie sich in den verschiedenen Naturreichen und durch das evolutionäre Wachstum der Menschheit, durch erlebte Erfahrungen in Rassen, Nationen und Familien manifestiert. Ich versuche jedoch bis zu einem gewissen Grad die zyklische Erfahrung einer Seele in der Inkarnation auszuarbeiten und auf die offensichtlichen Ebbe und Fluterscheinungen in ihrem Entwicklungsgang hinzuweisen.

Der bei jeder Seele am stärksten hervortretende Zyklus ist ihre Inkarnation und ihre Rückkehr oder ihr Zurückströmen in das Zentrum, aus dem sie kam. Je nach dem Blickpunkt wird auch das Verstehen dieser Ebbe und Flut ausfallen. Man könnte die Seelen esoterisch betrachten und sie einteilen in diejenigen, «die das Licht der Erfahrung suchen» und sich deshalb der physischen Lebensäusserung zuwenden, und in jene, die «das Licht des Verstehens» suchen und sich deshalb aus dem Reich menschlichen Bemühens zurückziehen, um ihren Weg ins Seelenbewusstsein zu erkämpfen und so «die im ewigen Licht Weilenden» zu werden. Ohne die Bedeutung der Begriffe richtig einzuschätzen, haben die Psychologen doch etwas von diesen Zyklen gespürt und nennen bestimmte Typen «extravertiert» (nach aussen gewendet) und andere «introvertiert» (nach innen gewendet). Diese Ausdrücke kennzeichnen Ebbe und Flut im individuellen Erleben und sind die winzigen Lebensentsprechungen zu den grossen Zyklen der Seele. Dieses Hineingehen in das Gewebe inkarnierten Daseins und das Heraustreten aus ihm sind die Hauptzyklen jeder individuellen Seele, und ein Studium der verschiedenen Arten von Pralaya, die in der «Geheimlehre» und in «Eine Abhandlung über kosmisches Feuer» behandelt sind, würde sich als sehr wertvoll für den Studierenden erweisen.

Es gibt auch Ebbe und Flutzeiten in der Seelenerfahrung auf jeder Ebene, und in den frühen Entwicklungsstadien erstrecken sich diese Erfahrungen über viele Leben. Diese wirken sich für gewöhnlich in ganz übertriebener Weise aus. Ein Studium der für die [244] Menschheit massgeblichen Ebbe und Flutzeiten wird das klarer machen. In den lemurischen Tagen verausgabte sich die «Flut» oder der nach aussen gehende Zyklus auf der physischen Ebene, und die «Ebbe» führte den Lebensaspekt direkt zur Seele selbst zurück; so gab es keine sekundäre Ebbe und Flut auf der mentalen oder astralen Ebene.

Später brandeten die Gezeiten an die Ufer der Astralebene, obwohl sie auch die physische Ebene in einem geringeren Mass mit einschlossen. Die Flut wandte sich dem emotionalen Leben zu, und der Rückstrom zum Zentrum berücksichtigte überhaupt nicht das Gedankenleben. Dies erreichte seinen Höhepunkt für die Menschheit in den atlantischen Tagen und es gilt auch heute noch für viele. Jetzt wird der Ebbe und Flutstrom immer umfassender, und auch die mentale Erfahrung hat darin ihren Platz, so dass alle drei Aspekte vom Leben der Seele erfasst werden; alle sind einbezogen in die hinausgehende Energie der sich inkarnierenden Seele, und diese zyklisch ausströmende Kraft verausgabt sich über viele Leben und Lebensreihen hin. Im Aspiranten dämmert allmählich ein Verständnis für das, was vor sich geht, und in ihm erwacht der Wunsch, dieses Verebben und Fluten bewusst zu beherrschen oder, einfacher gesagt, die Kräfte der hinausgehenden Energie nach seinem Willen in jede beliebige Richtung zu lenken oder sie in sein Zentrum zurückzuziehen. Er versucht, diesen Prozess, durch den er ohne bewusste Absicht in die Inkarnation hinausgetrieben wird, anzuhalten und weigert sich, die Flut seines Lebens in emotionale oder mentale Daseinssphären hinaustreiben zu lassen und dann wieder zusehen zu müssen, wie jenes Leben ohne sein bewusstes Wollen zurückgezogen wird. Er steht in der Wegmitte und möchte seine Zyklen, die «Ebbe und Flut», nach eigenem Ermessen bestimmen. Mit bewusster Absicht sehnt er sich danach, an den dunklen Orten inkarnierten Daseins zu wandern, und mit ebenso bewusster Absicht möchte er sich in sein eigenes Zentrum zurückziehen. So wird er ein Aspirant.

Das Leben des Aspiranten beginnt damit, frühere Zyklen zu wiederholen Er wird von einem plötzlichen Antrieb der physischen Natur ergriffen und von alten Wünschen und Begierden heftig überfallen. Darauf kann ein Zyklus folgen, in dem sich der [245] physische Körper bewusst wird, dass von ihm Lebensenergie wegströmt und er seine Kraft verliert, weil er nicht Gegenstand der Aufmerksamkeit ist. Das erklärt viele Krankheiten und die mangelnde Lebenskraft bei vielen unserer sehr geschätzten Diener. Derselbe Vorgang kann den Emotionalkörper beeinflussen, so dass Zeiten der Begeisterung und höchsten Strebens mit Perioden tiefster Niedergeschlagenheit und mangelnden Interesses abwechseln. Die Flut kann auf den Mentalkörper übergreifen und einen Zyklus intensiver gedanklicher Tätigkeit herbeiführen. Dauerndes Studium, viel Denken, begieriges Forschen und ein stetiges intellektuelles Vorwärtsdrängen zeichnen dann das Denkvermögen des Aspiranten aus. Darauf kann ein Zyklus folgen, in dem eine Abneigung gegen jedes Studium besteht und das Denkvermögen völlig träge und brach zu liegen scheint. Es macht Mühe zu denken und ein Gefühl der Sinnlosigkeit gehegter Gedanken befällt den Menschen. Der Aspirant kommt zu dem Entschluss, dass es weit besser ist zu sein als zu tun. «Können diese trockenen Gebeine leben»? fragt er sich und hat nicht den Wunsch, sie wieder belebt zu sehen.

Alle echten Wahrheitssucher kennen diese Erfahrung der Labilität und betrachten sie häufig als eine Sünde oder als einen Zustand, der energisch bekämpft werden muss. Dann ist es Zeit zu erkennen, dass «die Wegmitte, die weder trocken noch nass ist, der Standort sein muss, wohin er seine Füsse setzt».

Das ist eine symbolische Ausdrucksweise, die besagt, dass der Mensch zwei Dinge erkennen muss:

1. Dass Gefühlseinstellungen ganz unwesentlich sind und keinen Hinweis auf den Zustand der Seele geben. Der Aspirant muss sich in dem Seelenbewusstsein konzentrieren und darf sich nicht von den wechselnden Zuständen beeinflussen lassen, denen er unterworfen scheint; er muss einfach «im geistigen Sein stehen» und dann, «wenn er alles getan hat», stehenbleiben.

2. Dass ein Gleichgewicht nur dort erlangt werden kann, wo die Veränderung, der Wechsel geherrscht hat und dass das zyklische Verebben und Fluten gerade so lange fortdauern wird, als die Aufmerksamkeit der Seele zwischen dem einen oder [246] anderen Aspekt der Form und dem wahren, geistigen Menschen hin- und herschwankt.

Das Ideal ist es, einen derartigen Zustand bewusster Beherrschung zu erreichen, dass ein Mensch sich nach Belieben in seinem Seelenbewusstsein oder in seinem Formaspekt konzentrieren kann wobei also jeder Konzentrationsakt durch ein erkanntes, bestimmtes Ziel zustandekommt, das eine solche Konzentration notwendig macht.

Später, wenn die Worte des grossen christlichen Lehrers für ihn Bedeutung haben, wird er sagen können: «Ob ich im Körper oder ausserhalb des Körpers bin», ist eine unwichtige Angelegenheit. Welche Diensthandlung, die geleistet werden muss, wird über den Punkt entscheiden, wo das Selbst konzentriert ist, aber es wird das gleiche Selbst sein, ob es nun vorübergehend vom Formbewusstsein befreit oder in der Form eingetaucht ist, um in anderen Aspekten des göttlichen Ganzen zu wirken. Der geistige Mensch trachtet danach, den Plan zu fördern und sich mit dem göttlichen Denken in der Natur zu identifizieren. Indem er sich auf die Wegmitte zurückzieht, bemüht er sich, sein göttliches Wesen zu erkennen, und konzentriert sich sodann in seiner mentalen Hülle, die ihn mit dem universalen Denken in Verbindung bringt. Er erträgt Beschränkungen, damit er dadurch Wissen erlangt und nützen kann. Er versucht, die Herzen der Menschen zu erreichen und ihnen aus den Herzenstiefen des geistigen Seins «Inspiration» zu bringen. Wieder bejaht er die Tatsache seiner Göttlichkeit und durch eine vorübergehende Identifizierung mit seinem Körper der Sinneswahrnehmung, des Fühlens und Empfindens, stellt er dann fest, dass er mit dem Empfindungswerkzeug der göttlichen Manifestation, das allen Formen auf der physischen Ebene die Liebe Gottes entgegenbringt, eins ist.

Wiederum versucht er bei der Verwirklichung des göttlichen Planes auf der physischen Ebene zu helfen. Er weiss, dass alle Formen das Produkt richtig angewandter und gelenkter Energie sind. Mit vollem Wissen um seine göttliche Sohnschaft und seiner starken gedanklichen Erkenntnis all dessen, was in diesem Begriff liegt, konzentriert er seine Kräfte im Lebenskörper und wird zu einem Brennpunkt für die Übertragung göttlicher Energie und dadurch zu einem Baumeister, der mit den aufbauenden Energien [247] des Kosmos harmoniert. Er bringt die Energie erleuchteten Denkens und geheiligten Verlangens herab in den Ätherkörper und wirkt so mit einsichtsvoller Hingabe.

Ihr verlangt eine klarere Definition der «Wegmitte».

Für den Novizen ist es die emotionale Ebene, das Kurukshetra, oder die Ebene der Illusion, wo Land (physische Natur) und Wasser (die Gefühlsnatur) sich begegnen.

Für den Jünger ist es die Mentalebene, wo Form und Seele in Kontakt kommen und der grosse Übergang möglich wird. Für den fortgeschrittenen Jünger und Eingeweihten ist die Wegmitte der Kausalkörper, das Karana Sharira, der geistige Körper der Seele, der Mittler zwischen Geist und Materie, Leben und Form, zwischen Monade und Persönlichkeit.

Das kann auch im Hinblick auf die Zentren untersucht und verstanden werden.

Wie jeder Studierende weiss, gibt es im Kopf zwei Zentren. Das eine liegt zwischen den Augenbrauen und seine äussere sichtbare Form ist die Hypophyse. Das andere Zentrum liegt in der Region des Scheitels und für dieses ist die Zirbeldrüse der konkrete Aspekt. Der reine Mystiker hat sein Bewusstsein im Scheitel, fast gänzlich im Ätherkörper konzentriert. Der fortgeschrittene weltliche Mensch hat seinen Mittelpunkt in der Region der Hypophyse. Wenn durch okkulte Erfahrung und esoterisches Wissen die Beziehung zwischen Seele und Persönlichkeit hergestellt ist, entsteht ein Mittelpunkt, eine Wegmitte im Kopfzentrum in dem magnetischen Feld, das man das «Licht im Kopf» nennt, und eben hier bezieht der Aspirant seine Stellung. Dies ist der Ort, der ausserordentliche Bedeutung hat. Er ist weder Land oder physischer Art, noch Wasser oder emotioneller Natur. Man könnte ihn als den Lebens oder Ätherkörper betrachten, der zum Feld bewussten Dienstes, leitender Beherrschung und der Kräfteverwertung für spezielle Zwecke geworden ist.

Hier postiert [248] sich der Magier und vollbringt durch seinen Kraft oder Energiekörper das magisch-schöpferische Werk.

Ein Punkt wird in dieser Regel ziemlich dunkel behandelt, aber er wird klarer, wenn man die Worte mit Sorgfalt studiert. Am Ende der Regel wird uns gesagt, dass wenn «Wasser, Land und Luft sich treffen», es am Platze ist, um magisch zu wirken. Merkwürdigerweise ist in diesen Ausdrücken der Begriff des Ortes ausgelassen und nur das Zeitelement berücksichtigt.

Luft ist das Symbol des buddhischen Bewusstseinsträgers auf der Ebene der geistigen Liebe, und wenn sich die drei oben genannten Elemente (in ihren Energieaspekten) treffen, so weist das auf eine Konzentration im Seelenbewusstsein und eine Zentralisierung des Menschen in seinem geistigen Körper hin. Von jenem Kraftkern ausserhalb der Form, von der Sphäre innerster Vereinigung, und vom Brennpunkt dieses Bewusstseinskreises aus projiziert der Geistesmensch sein Bewusstsein in den Wegmittelpunkt innerhalb der Gehirnhöhle, wo das magische Werk in bezug auf die physische Ebene ausgeführt werden muss. Diese Fähigkeit, das Bewusstsein von der Ebene der Seelenerkenntnis in die des magisch-schöpferischen Wirkens auf den ätherischen Unterebenen zu projizieren, erlangt der Schüler allmählich in dem Mass, in dem er in seiner Meditationsarbeit gelernt hat, seine Aufmerksamkeit mit Leichtigkeit in dem einen oder anderen Zentrum im Körper zu konzentrieren. Das wird mit Hilfe der Kraftzentren im Ätherkörper erreicht. Er erlangt allmählich jene Schmiegsamkeit und Gewandtheit des von ihm selbst gelenkten Bewusstseins, die ihn befähigt, auf den Zentren zu spielen, so wie ein Musiker mit den sieben Grundtönen der Musik umgeht Wenn er das erreicht hat, kann er beginnen, sich in weiterer und umfassenderer Konzentration zu schulen; er muss lernen, sein Bewusstsein zurückzuziehen, nicht nur auf das Gehirn, sondern zur Seele auf ihrer eigenen Ebene, und von dort aus seine Energien wieder auf die Durchführung des magischen Werkes der Seele zu lenken.

Das Grundgeheimnis der Zyklen liegt in diesem Zurückziehen und dem darauffolgenden Wiederkonzentrieren der Aufmerksamkeit, und man muss sich in diesem Zusammenhang daran erinnern, [249] dass das Gesetz, das allem magischen Tun zugrundeliegt, heisst: «Dem Gedanken folgt Energie». Wenn die Aspiranten das bedenken wollten, würden sie ihre Dürreperioden leichter und friedlicher durchleben und sich der zugrundeliegenden Absicht bewusst sein.

Man könnte hier fragen: Was sind die Gefahren dieser Wegmitte?

Erstens die Gefahren des zu heftigen Schwankens zwischen Land und Wasser oder zwischen der emotionalen Reaktion auf das Leben und die Wahrheit, oder dem Leben auf der physischen Ebene. Einige Aspiranten sind in ihren Reaktionen zu gefühlsbetont, andere zu materialistisch. Die Wirkung hiervon macht sich in der Wegmitte bemerkbar und bringt eine heftig bewegte Unbeständigkeit mit sich. Diese Unbeständigkeit oder schwankende Unsicherheit hat eine direkte Wirkung auf das Sonnengeflechtszentrum, das der «Wegmittelpunkt» in den frühen atlantischen Zeiten war; und es ist auch heute noch die Wegmitte für die Wandlungsprozesse der geistig strebenden Persönlichkeit. Es verwandelt und überträgt die Energien des Sakralzentrums und des Zentrums an der Basis der Wirbelsäule und ist die Ausgleichsstelle für alle Energien, die in den Zentren unterhalb des Zwerchfells konzentriert sind.

Zweitens die Gefahren, die ein vorzeitiges, unkontrolliertes Einströmen rein geistiger Energie in den Mechanismus der Persönlichkeit mit sich bringt. Diese lebendige geistige Kraft tritt durch die Schädelöffnung ein und strömt in die Kopfzentren. Von dort aus folgt sie der Linie des geringsten Widerstandes, die durch die tägliche Richtung des Gedankenlebens des Aspiranten bestimmt wird.

Eine weitere und ziemlich mächtige Gefahr kommt buchstäblich davon, dass Land und Wasser zusammengebracht werden. Sie zeigt sich darin, dass die Erkenntnisse auf der Astralebene in das physische Gehirnbewusstsein (den Landaspekt) einströmen. Mit das erste, was ein Aspirant dann merkt, ist eine Neigung zu niederem Psychismus. Das ist eine Reaktion aus dem Solarplexuszentrum. Und diese Wegmitte kann als «Sprungbrett» in die Welt der astralen Phänomene benutzt werden. Das aber [250] bringt den «Tod durch Ertrinken» mit sich, denn des Aspiranten geistiges Leben kann überschwemmt werden und völlig in den Interessen an den niederen psychischen Erlebnissen untergehen. Gerade hier irren viele wertvolle Aspiranten vom Weg ab, vielleicht vorübergehend, aber die Zeiten sind so kritisch, dass jeder Augenblick zu beklagen ist, der mit nutzlosen Experimenten und mit dem Zurückfinden auf den einmal erwählten Pfad vertan wird.

Ein Schlüssel zur Bedeutung dieser Worte kann in der Erkenntnis folgender okkulter Tatsachen gefunden werden. Die Stelle, wo Wasser und Land sich begegnen, ist das Solarplexuszentrum. Die Stelle, wo Wasser, Land und Luft zusammentreffen, ist im Kopf. Land ist das Symbol des Lebens auf der physischen Ebene und der äusseren Form. Wasser ist das Symbol der emotionalen Natur. Und gerade von dem grossen Zentrum des Persönlichkeitslebens, vom Solarplexus aus, wird das Leben für gewöhnlich geleitet und beherrscht. Wenn das leitende Zentrum unterhalb des Zwerchfells liegt, ist Magie nicht möglich. Die tierische Seele hat die Herrschaft und die geistige Seele ist zwangsläufig stillgelegt. Luft ist das Symbol höheren Lebens, in dem das Christusprinzip dominiert, die Freiheit erfahren wird und die Seele zur vollen Wesensäusserung gelangt. Luft ist das Symbol der buddhischen Ebene, so wie das Wasser das der emotionalen ist. Wenn das Leben der Persönlichkeit in den Himmel hinaufgehoben wird und das Leben der Seele auf die Erde herniedersteigt, dann gibt es einen Treffpunkt, und dort wird die transzendentale Magie möglich.

Dieser Treffpunkt ist der Ort des Feuers, die Ebene des Denkens. Feuer ist das Symbol der Verstandeskraft; und jedes magische Wirken ist ein intelligenter Vorgang, der in der Kraftfülle der Seele und unter Verwendung des Denkvermögens ausgeführt wird. Um sich auf der physischen Ebene bemerkbar zu machen, ist ein Gehirn erforderlich, das für höhere Impulse empfänglich ist und von der Seele beeindruckt werden kann, die das «Chitta» oder die Mentalsubstanz verwendet, um die nötigen Gedankenformen zu erschaffen und so die Ideen und Absichten der einsichtsvoll liebenden Seele zum Ausdruck zu bringen. Diese Ideen werden vom Gehirn erkannt und [251] so wie bei einer lichtempfindlichen Photoplatte den «Lebenslüften» aufgeprägt, die sich in der Schädelhöhle befinden. Wenn diese Lebenslüfte oder Kopfäther vom Magier in der Meditation empfunden und die Gedankenformen diesem Miniaturspiegelbild des Astrallichts eingeprägt werden können, dann kann die wirkliche Kraft der Magie sich allmählich bemerkbar machen. Das Gehirn hat okkult die Befehle und Anweisungen des Denkvermögens «gehört», das die Anordnungen der Seele weitergibt. Die Lebenslüfte werden zu formbildender Tätigkeit angetrieben, genau so wie deren höhere Entsprechung, die «Abwandlungen des Denkprinzips, des Denkstoffes» (wie Patanjali es nennt) in eine analoge formschaffende Tätigkeit versetzt werden. Diese können dann innerlich von dem Menschen, der das magische Werk zu vollbringen sucht, geschaut werden, und ein Grossteil seines Erfolges hängt von seiner Fähigkeit ab, die Eindrücke genau zu registrieren und mit Klarheit die Formen des magischen Vorganges zu sehen, die er als magische Wirkungen in der Aussenwelt kundtun möchte.

Es könnte also gesagt werden, dass es drei Stadien in dem Formbildungsprozess gibt. Erstens: die Seele oder der Geistesmensch, der im Seelenbewusstsein konzentriert ist und an «dem geheimen Ort des Allerhöchsten» wirkt, erschaut das Werk, das zu tun ist. Das erfolgt nicht nacheinander, vielmehr wird das vollendete magische Werk durch einen Vorgang erschaut, der überhaupt nichts mit dem Zeit oder Raumbegriff zu tun hat. Zweitens: das Denkvermögen reagiert auf die Seele (die für das Werk, das vollbracht werden soll, Aufmerksamkeit fordert) und wird durch diese Beeindruckung zu einer Gedankenformbildenden Tätigkeit angetrieben. Je nach der Klarheit und Erleuchtung des Denkstoffes wird auch die Reaktion auf den Eindruck ausfallen. Ist das Denkvermögen ein wahrer Spiegel und Empfänger der Seeleneindrücke, dann wird die sich daraus ergebende Gedankenform ein getreues Abbild des Urbildes sein. Ist der Spiegel nicht genau (wie es in den Anfangsstadien gewöhnlich der Fall ist), dann wird die geschaffene Gedankenform verzerrt, ungenau, unausgeglichen und verzeichnet sein.

In der Meditation [252] lernt man nun diesen genauen Empfang und richtigen Aufbau, und deshalb wird in allen wahren esoterischen Schulen Nachdruck auf konzentriertes Denken, auf geistige Vorstellungskraft, auf das Vermögen, Gedankenformen aufzubauen und auf ein genaues Begreifen der Absicht des Egos gelegt. Darum ist es auch notwendig, dass der Magier die praktische Arbeit an sich selbst als dem Gegenstand magischer Versuche beginnt. Er fängt an, das Bild des geistigen Menschen zu erfassen, wie er seinem eigentlichen Wesen nach ist. Er stellt sich lebhaft die Tugenden und Reaktionen vor, die jener geistige Mensch im Leben auf der physischen Ebene bekunden würde. Er bildet eine Gedankenform von sich selbst als Idealmenschen, wahren Diener und vollkommenen Meister. Allmählich ordnet er seine Kräfte, so dass die Kraft und das Vermögen, all das im äusseren Leben wirklich zu sein, so zunimmt, dass es von allen Menschen gesehen werden kann. Er erschafft in seinem Denken ein Modell, welches das Urbild so genau als möglich nachbildet und das dazu dient, den niederen Menschen zu formen und die Übereinstimmung mit dem Ideal zu erzwingen. Wenn er seine Methode vervollkommnet, spürt er, dass auf die Energien, die seine niedere Natur bilden, eine umwandelnde, umgestaltende Macht einwirkt, bis alles untergeordnet ist und er in praktischer Manifestation zu dem wird, was er esoterisch und dem innersten Wesen nach ist. In dem Mass, in dem sich das vollzieht, beginnt er sich für das magische Wirken zu interessieren, an dem teilzunehmen die Bestimmung aller wahren Seelen ist.

Dann kann der dritte Aspekt des Formbildungs-Prozesses sich offenbaren. Das Gehirn ist abgestimmt auf das Denkvermögen, das Denkvermögen auf die Seele, und der Plan wird erahnt. Die Lebenslüfte im Kopf können umgeformt werden und reagieren auf die Kraft des aufbauenden magischen Wirkens. Eine Gedankenform ist dann das Ergebnis der beiden vorhergehenden Handlungen, aber sie steht an Stelle der Gehirntätigkeit und wird zu einem Brennpunkt für die Seele, durch den Energie strömen kann, so dass das magische Werk ausgeführt werden kann.

Dieses magische Werk, das unter der Leitung der Seele stattfindet (die das Denkvermögen inspiriert, das seinerseits das Gehirn beeindruckt), führt dann infolge dieser dreifachen, aufeinander abgestimmten Tätigkeit dazu, dass im Kopf des Magiers ein [253] Konzentrationszentrum, eine Konzentrationsform geschaffen wird. Die Energie, die durch diesen Brennpunkt strömt, wirkt durch drei Verteilerstellen, und darum sind alle drei bei jedem magischen Wirken beteiligt:

1. Das rechte Auge, durch das die lebendige Energie des Geistes sich ausdrücken kann.

2. Das Kehlzentrum, durch welches das Wort, der zweite Aspekt oder die Seele, zum Ausdruck kommt.

3. Die Hände, durch welche die schöpferische Energie des dritten Aspektes wirkt.

«Der weisse Magier» wirkt mit «offenen Augen, verkündender Stimme und wohltätigen Händen».

Diese Punkte sind für den erfahrenen Magier von technischem Interesse, für die Aspiranten aber, für welche diese Schriften bestimmt sind, nur von symbolischem Interesse.

Dass die innere geistige Schau uns zuteil werden möge, das Auge klar die Herrlichkeit des Herrn erkenne, die Stimme nur zum Segen spreche und die Hände nur zum Helfen benutzt werden mögen, kann mit Recht das Gebet eines jeden von uns sein.