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Fünftes Kapitel - Stadien der Meditation

Fünftes Kapitel

Stadien der Meditation

«Was würdest du da drinnen tun, o Seele, mein Bruder?

Was würdest du da drinnen tun?

Versiegle Tür und Fenster, dass niemand uns sieht,

Auf dass wir allein sein können

(Allein von Angesicht zu Angesicht

An diesem Flammen-durchlohten Platz!)

Wenn erstmals wir beginnen

Miteinander zu sprechen».

Evelyn Underhill.

(91)

Wir haben nun kurz die Ziele studiert, die wir uns in der Absicht setzen, das Denkvermögen auf die Seele auszurichten und durch die so zustandegebrachte Vereinigung mit einer höheren Seinswelt in Verbindung zu treten. Wir versuchen, die durch eine lange Reihe von Lebensexperimenten und Erfahrungen geschaffene Ausrüstung uns nutzbar zu machen. Ob wir nun die Arbeit vom Standpunkt des mystisch Devoten oder von dem des intellektuellen Aspiranten aufnehmen, so gibt es da gewisse grundlegende Erfordernisse, die den endgültigen Übungen vorausgehen müssen. Die knappen Worte Reverend R.J. Campbells legen sowohl unsere Darstellung als auch unsere Aufgabe fest. Er sagt:

«Um das Wesen unseres Selbstes klar erkennen zu können, mussten wir aus unserem ewigen Heim in Gott herauskommen, damit wir inmitten der Illusionen von Zeit und Sinnen kämpfen und leiden können. Wir müssen überwinden, bevor wir in die ewige Wahrheit, die hinter allem Schein liegt, eingehen können. Durch diese Überwindung haben wir das Fleisch zu meistern und den Geist zu verherrlichen, die Welt zu verachten, um sie zu retten, und das Leben zu verlieren, um es zu finden».

Nun wollen wir die Situation und die Verfahren betrachten, denen wir uns unterwerfen müssen, wenn das Ziel jemals erreicht werden soll. Die vorbereitenden Erfordernisse brauchen nur gestreift zu werden, denn sie sind bereits allgemein bekannt und werden auch von jedem Anfänger (92) teilweise erfüllt, denn sonst würde er ja im unendlich langen Streben nach Wahrheit nicht auf dieser Entwicklungsstufe angelangt sein. Wir sind uns unserer Dualität sowie einer Gegnerschaft dieser beiden uns bestimmenden Aspekte bewusst. Wir empfinden auch eine tiefe Unzufriedenheit mit dem physischen Leben als Ganzem und über unsere Unfähigkeit, die göttliche Wirklichkeit, von der wir hoffen, dass sie existiert, zu erfassen und zu verstehen. Diese aber bleibt für uns eine Sache des Glaubens, während wir doch Gewissheit verlangen. Das Sinnesleben scheint uns auf dem Pfad zu unserem Ziel nicht weit genug zu führen. Wir führen ein unbeständiges Leben; manchmal werden wir von unseren hochfliegenden Wünschen auf einen Gipfel von Wundern getragen, gerade lange genug, um eine Vision der Schönheit zu erhaschen, und dann werden wir wieder in den Abgrund unserer täglichen Umgebung, unserer animalischen Natur und der chaotischen Welt geworfen, in die uns unser Schicksal gestellt hat. Wir erahnen eine Gewissheit, die uns aber immer wieder entschlüpft; wir streben einem Ziele zu, das ausserhalb unser selbst zu liegen scheint und das sich unseren eifrigsten Bemühungen entzieht; wir mühen, kämpfen und ängstigen uns ab, um zu einer Erkenntnis zu gelangen, für welche die Heiligen gezeugt haben und wofür die Wissenden der Menschheit noch fortwährend Zeugnis ablegen. Wenn unser Wille stark genug ist und unsere Entschlossenheit in stetiger und unwandelbarer Ausdauer wurzelt, und wenn die alten Regeln und Formen geistig erfasst sind, können wir unser Problem von einem neuen Gesichtspunkt aus angehen und anstatt emotioneller Anstrengung und fieberhaften Verlangens unsere mentale Ausrüstung verwerten.

Aber auch die Herztätigkeit findet ihren Platz und Patanjali sagt in seinen wohlbekannten Aphorismen, die Hunderte von Wissenden bei ihrem kühnen (93) Unternehmen geleitet haben:

«Die praktischen Massnahmen, die zur Vereinigung mit der Seele führen, bestehen zunächst in glühender Aspiration, sodann in geistiger Lektüre und zuletzt in völligem Gehorsam dem Meister gegenüber».

Das Wort «Aspiration» stammt vom lateinischen «ad» = «zu, hin» und «spirare» = «atmen, hauchen, gegen etwas hinhauchen», wie Webster es erklärt. Das Wort «spirit» stammt aus derselben Wurzel. Aspiration muss der Inspiration vorausgehen. Vor dem Einatmen durch den höheren Aspekt muss erst ein Ausatmen des niederen Selbstes erfolgen. Vom Standpunkt östlicher Mystik schliesst Aspiration die Idee des Feuers in sich. Sie ist brennendes Verlangen und feurige Entschlossenheit, die dem Aspiranten schliesslich dreierlei einträgt. Sie wirft über seine Probleme helles Licht und ist der läuternde Ofen, durch den das niedere Selbst gehen muss, damit alle Schlacken ausgebrannt werden; sie beseitigt ausserdem alle Hindernisse, die ihn zurückhalten könnten. Dieselbe Vorstellung von Feuer zieht sich durch alle Bücher über christliche Mystik, und viele Bibelstellen ähnlicher Art kommen einem dabei in den Sinn. Die Bereitwilligkeit, das Kreuz zu tragen», «durch das Feuer zu gehen», «täglich zu sterben» (es ist ganz gleich, welche Art der Symbolik angewendet wird) das sind die Hauptmerkmale des wahren Aspiranten. Bevor wir uns auf den Weg der Meditation begeben und in die Fussstapfen der unzähligen Gottessöhne treten, die uns vorausgegangen sind, müssen wir die Höhen und Tiefen abschätzen und für den mühsamen Aufstieg und das ungestüme Streben alle (94) unsere Kräfte anspannen, Wir müssen mit J.C. Earle sagen:

«Ich wandere durch das Tal und gehe mutig auf den Steilhang los.

Ich trage das Kreuz; das Kreuz trägt mich.

Licht führt mich zum Lichte. Ich weine

Vor Freude darüber, was ich zu sehen hoffe,

Wenn ich die steile Höh' endlich erklommen habe;

Denn nach jedem schmerzenden Schritt komm' ich

Zu immer neuen Welten voll Licht

Und dringe noch tiefer ein in Gottes Tiefen».

Wir beginnen nun mit einer gefühlsmässigen Vorstellung über unser Ziel und gehen von da aus weiter durch das Feuer der Disziplinierung bis zu den Höhen intellektueller Gewissheit. Dies veranschaulicht uns die Bibel sehr schön durch die Erzählung über Shadrach, Meschach und Abed-Nego. Wir lesen da, dass diese drei in einen brennenden Ofen geworfen wurden; trotzdem bestand die Folge dieser scheinbaren Tragödie darin, dass sich mitten aus der Form eine vierte Identität loslöste, deren Erscheinung einem Sohn Gottes glich. Diese drei Jünglinge sind das Symbol des dreifachen niederen Menschen. Der Name Meschach bedeutet «agil, beweglich», eine Fähigkeit des unterscheidenden Denkvermögens, des Mentalkörpers. Shadrach bedeutet «Freude am Weg», die Umwandlung des Emotionalkörpers und das Hinwenden des Verlangens zum Weg. Abed-Nego bedeutet «ein Diener der Sonne» (95) und betont damit die Tatsache, dass die einzige Funktion des physischen Körpers darin besteht, der Diener des Sohnes (der Sonne), des Egos oder der Seele zu sein (vgl. Daniel III, 23/24). Es gibt kein Entkommen aus dem feurigen Ofen, die Belohnung aber ist der Prüfung angemessen.

Die Bedeutung des zweiten Erfordernisses, des geistigen «Lesens» (oder Deutens) muss gleichfalls erfasst werden. Die Herkunft des englischen Wortes «read» (lesen) ist sehr dunkel und Philologen scheinen anzunehmen, dass hier zwei Worte herangezogen werden müssen. Eines ist das lateinische Wort «reri», denken, und das andere das Sanskritwort «radh», erfolgreich sein. Möglicherweise sind beide Ideen zulässig, denn es ist gewiss wahr, dass derjenige, der am erfolgreichsten denken und seinen Denkapparat kontrollieren und richtig gebrauchen kann, auch die Technik der Meditation am leichtesten beherrschen wird.

Zu beten ist jedem möglich. Meditation ist aber nur dem mental polarisierten Menschen möglich und dies ist ein Punkt, der hervorgehoben zu werden verdient und dessen Behauptung oft Gegnerschaft hervorruft. Alle Menschen, die bereit sind, sich einer Selbstdisziplinierung zu unterwerfen und Emotion in geistige Hingabe (Devotion) umzuwandeln, können Heilige werden; viele unterwerfen sich wirklich in dieser Weise. Nicht alle Menschen jedoch können schon Wissende sein, denn dies setzt all das voraus, was der Heilige bereits erreicht hat und dazu den Gebrauch des Intellekts und die Kraft, durch Denken zu Wissen und Verstehen zu gelangen. Der erfolgreiche Mensch ist der denkende Mensch, also derjenige, der den sechsten Sinn, das Denkvermögen, zur Hervorbringung gewisser besonderer Resultate benützen kann. Andere Ursprungshinweise haben mit Worten zu tun, die auf eine Annahme von Ratschlägen hindeuten, so dass drei grundlegende Ideen zutage treten: Erfolgserlangung durch das Denkvermögen, also Erreichung der (96) Vollkommenheit, die Annahme von Ratschlägen und die Verwendung aller Informationsquellen, um Wissen zu erlangen.

Das ist der grundlegende Sinn des von Patanjali gebrauchten Ausdrucks, der mit «spiritual reading» (geistiges Lesen) übersetzt wurde. Er bedeutet wirklich ein Lesen mit den Augen der Seele, mit einer hellwachen inneren Vision, um das Gesuchte herauszufinden. Es wird klar erkannt, dass alle Formen nur Symbol einer inneren, geistigen Wirklichkeit sind; geistiges Lesen bedingt daher die Entwicklung der Fähigkeit, den in der äusseren Form verschleierten und verborgenen Lebensaspekt «zu lesen», also «zu sehen» und zu erkennen. Dies trifft sowohl auf eine menschliche Form als auch auf jede andere Form in der Natur zu; alle Formen verschleiern einen göttlichen Gedanken, eine Idee oder Wahrheit und sind daher die sinnlich wahrnehmbaren Manifestationen einer göttlichen Idee. Sobald ein Mensch dies weiss, beginnt er geistig zu lesen, unter die Oberfläche zu schauen und so auf die Grundidee zu kommen, welche die Form hervorbrachte. In dem Masse, als er darin Übung erlangt, kommt er schrittweise zur Erkenntnis der Wahrheit und wird nicht mehr durch die Erscheinungsform getäuscht. Die praktische Anwendung dessen wird den Menschen z.B. dazu führen, nicht die äussere Erscheinung eines Mitmenschen zu beachten, sondern sich mit ihm auf der Grundlage der in ihm verborgenen göttlichen Wirklichkeit zu befassen. Das ist nicht leicht, wird aber durch Übung in geistigem Lesen möglich.

Die dritte Forderung ist Gehorsam dem Meister gegenüber. Das bedeutet jedoch nicht unterwürfige Aufmerksamkeit gegenüber den Befehlen eines mutmasslichen, verborgenen, geheimnisvoll hinter den Kulissen wirkenden Lehrers oder Meisters, wie dies von so vielen (97) esoterischen Schulen verlangt wird. Es ist viel einfacher als das. Der wirkliche Meister, der unsere Aufmerksamkeit und den daraus erwachsenden Gehorsam beansprucht, ist der Meister im Herzen, die Seele, der innewohnende Christus. Dieser Meister lässt seine Gegenwart zuerst durch die «stille, kleine Stimme» des Gewissens fühlbar werden, eifert uns zu höherem, selbstloserem Leben an und warnt sofort mit eindringlicher Stimme, wenn wir vom geraden Weg der Rechtlichkeit abweichen. Später wird sie als die Stimme des Schweigens erkannt, als jene Äusserung, die vom «fleischgewordenen» Wort kommt, das wir selber sind. Jeder von uns ist ein Fleisch gewordenes Wort. Noch später nennen wir es die erwachte Intuition. Der Studierende der Meditation lernt zwischen diesen dreien genau zu unterscheiden. Dieses Erfordernis verlangt daher bedingungslosen Gehorsam, den der Aspirant sofort dem höchsten Impuls leistet, den er zu jeder Zeit und um jeden Preis verspüren kann. Wenn sich dieser Gehorsam zeigt, ruft er ein Niederströmen von Licht und Erkenntnis aus der Seele hervor, worauf Christus mit den Worten hinweist: «So jemand will des Willen tun, der wird innewerden ...» (Ev. Joh. VII, 17).

Diese drei Faktoren: Gehorsam, Suche nach Wahrheit in jeglicher Form und ein brennendes Verlangen nach Befreiung sind die drei Abschnitte des Aspirationsstadiums und müssen dem der Meditation vorangehen. Sie brauchen nicht in ihrer ganzen Vollständigkeit zum Ausdruck kommen, müssen aber im Leben als wirksame Verhaltungsregeln eingebaut sein. Sie führen zu innerer Loslösung, einer Eigenschaft, die im Osten wie auch im Westen nachdrücklich betont wird. Das ist das Befreien der Seele von der Knechtschaft des Formlebens (98) und die Unterordnung der Persönlichkeit unter die höheren Impulse. Dr. Maréchal drückt die diesbezügliche christliche Absicht wie folgt aus:

«Was bedeutet diese Loslösung vom Selbst?»

«Zuerst ist es klarerweise die Loslösung vom niederen, durch die Sinne wahrnehmbaren Ich das heisst die gewohnheitsmässige Unterordnung des fleischlichen Gesichtspunktes unter den geistigen, die Koordinierung der niederen Vielheit unter eine höhere Einheit».

«Ferner ist es die Loslösung vom grosssprecherischen Ich, vom zerstreuten, launischen Ich, dem Spielball äusserer Umstände, dem Sklaven schwankender Meinungen. Stetigkeit inneren Lebens könnte sich einer so schwankenden Einheit nicht anpassen».

«Vor allem aber ist es die Loslösung vom "stolzen Ich". Wir müssen dies recht verstehen, denn Demut wird mit Recht als eine der charakteristischen Merkmale christlicher Askese und Mystik betrachtet».

Hier sehen wir also die Unterordnung des physischen, emotionellen und mentalen Lebens unter den göttlichen Plan, Einheit zu erlangen, betont, denn Launenhaftigkeit ist eine Eigenschaft des Empfindungsapparates, während Stolz eine solche des Denkvermögens ist.

Der Meditationsprozess gliedert sich in fünf Abschnitte, die einander regelmässig folgen. Wir wollen diese verschiedenen Stadien durchnehmen und jedes gesondert studieren, denn wenn wir sie beherrschen, können wir den stetigen Aufstieg des bewusst sprirituellen Menschen aus dem Reich der Empfindungen in das der Erkenntnis und sodann in das der intuitiven Erleuchtung verfolgen. Diese Stadien können kurz wie folgt aufgezählt werden: (99)

I. Konzentration. - Der Akt der Konzentration des Denkvermögens, wodurch man lernt, dieses auf einen Zielpunkt einzustellen und so zu gebrauchen.

2. Meditation. - Die verlängerte Konzentration der Aufmerksamkeit in einer bestimmten Richtung und das beständige Festhalten des Denkens an einer gewünschten Idee.

3. Kontemplation. - Eine Tätigkeit der Seele, losgelöst vom Denken, das in einem Zustand der Ruhe gehalten wird.

4. Erleuchtung.- Das Resultat der drei vorangegangenen Prozesse, verbunden mit dem Herabbringen der erlangten Erkenntnis in das Gehirnbewusstsein.

5. Inspiration. - Die Auswirkung der Erleuchtung, wie sie sich im Leben des Dienstes bemerkbar macht.

Wenn diese fünf Stadien befolgt werden, führen sie zur Vereinigung mit der Seele und zum direkten Erkennen der Göttlichkeit. Für die meisten, die das Studium der Meditation in Angriff nehmen, ist Konzentration, die Erlangung der Kontrolle über die mentalen Vorgänge, das Stadium, das ihre ganze Aufmerksamkeit während einer langen Zeitspanne praktisch unter Ausschluss der anderen Stadien in Anspruch nehmen sollte. Aspiration ist aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin bis zu einem gewissen Grade vorhanden, da sonst kein Verlangen nach Meditation bestünde. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass Aspiration allein nicht weiterhilft, wenn sie nicht von einem starken Willen, einer Fähigkeit zur Ausdauer und geduldigen Beharrlichkeit unterstützt wird.

I. Das Stadium der Konzentration.

In allen Schulen fortgeschrittener oder intellektueller Mystik besteht der erste und notwendige Schritt darin, die Kontrolle über das Denken zu erlangen. Meister Eckehart, der im vierzehnten Jahrhundert schrieb, sagt:

«Der Heilige Paulus erinnert uns daran, dass wir als Ebenbilder Gottes zu einer höheren und wahreren Vision gelangen können. Dazu benötigen wir sagt der (100) Hl. Dionysius dreierlei. Erstens die Besitzergreifung unseres Denkvermögens. Zweitens ein freies Denkvermögen. Drittens eines, das "sehen" kann. Wie können wir dieses grübelnde und betrachtende Denkvermögen erwerben? Durch die Gewohnheit mentaler Konzentration».

Diese Auffassung steht in vollster Übereinstimmung mit der östlichen Methode, die den Menschen zuerst zur Beherrschung seines Mentalapparates zu bringen sucht, so dass er diesen nach Belieben benützen kann und nicht (wie dies so oft der Fall ist) ein Opfer seines von Gedanken und Ideen beherrschten Denkvermögens wird, über die er keine Kontrolle besitzt und die er nicht verbannen kann, wie sehr er dies auch wünschen mag.

Die gleichen Ideen wie die Meister Eckeharts können auch in der altehrwürdigen indischen Schrift, der Bhagavad Gita, gefunden werden:

«Der Denksinn, o Krishna, ist wankelmütig; er ist stürmisch bewegt; eigensinnig und schwer im Zaum zu halten. Er scheint sich ebenso schwer zügeln zu lassen wie der Wind».

«Zweifellos ist das Denken schwer zu zähmen, denn es ist flatterhaft und huldigt bald diesem, bald jenem; aber es kann durch Übung und Beharrlichkeit bezwungen werden».

«Wenn deine Seele durch den Wald der Täuschungen hindurchkommen soll, dann sollst du nicht mehr beachten, was gelehrt worden ist oder gelehrt werden wird».

«Wenn abgewandt der Überlieferung dein Denken fest und unbeirrbar in der Schau verweilt, dann wird Vereinigung dir zuteil».

Der erste Schritt besteht also in der Beherrschung des Denkvermögens. Darunter versteht man jene Kraft oder Macht, die das Denken dazu bringt, das zu tun, was man will, das zu denken, was einem beliebt und Ideen und Gedankenfolgen nach erteilter Weisung zu formulieren. In den meisten Fällen (101) besteht die Funktion des Denkvermögens zunächst darin, von der äusseren Welt über die fünf Sinne Botschaften zu empfangen, die durch das Gehirn übermittelt wurden. Hume sagt, dass «das Denken eine Art Theater sei, worin mehrere Wahrnehmungen nacheinander auftreten». Es ist der Sitz intellektueller Funktionen und eine Registrierungszentrale für Eindrücke aller Art, auf Grund deren wir handeln oder deren Annahme wir ablehnen, wenn sie uns nicht passen. Das Denkvermögen hat die Tendenz, das anzunehmen, was ihm dargeboten wird. Die Vorstellungen der Psychologen und der Wissenschaft über die Natur des Denkvermögens sind zu zahlreich, als dass hier darauf eingegangen werden könnte. Manche betrachten es als eine für sich bestehende Wesenheit, andere wiederum als einen Mechanismus, dessen integrale Teile das Gehirn und das Nervensystem sind. Eine Schule lehrt, dass es «eine Art höherer, nicht physischer Organismus sei ... , der für ein exaktes wissenschaftliches Studium zugänglich und seinen eigenen Störungen unterworfen ist». Andere dagegen sehen in ihm eine Form des Selbstes mit eigenem Leben; oder einen im Lauf von Äonen aufgebauten Schutzmechanismus; oder einen Reaktionsapparat, durch den wir mit Aspekten des Universums in Berührung kommen, die uns sonst unzugänglich wären. Für manche ist es einfach ein unbestimmter Begriff für das, womit wir Gedanken registrieren oder auf Vibrationen reagieren, wie sie z.B. in der öffentlichen Meinung oder in den Büchern aller Zeiten ihren Niederschlag finden. Dem Esoteriker ist es einfach ein Wort, das einen Aspekt des Menschen bezeichnet, der in einer gewissen Richtung für die äussere Welt des Denkens und Handelns empfänglich ist, der aber ebensogut in einer anderen Richtung auf die Welt subtiler Energien und geistiger Existenz reagieren kann. An dieser Vorstellung werden wir beim Studium der (102) Meditationstechnik festhalten. Dr. Lloyd Morgan fasst dies in einer Weise zusammen, die alle Teildefinitionen enthält. Er sagt:

« ... das Wort "Denkvermögen" (mind) kann in dreifachem Sinne gebraucht werden; erstens als Denkprinzip oder Geist in bezug auf eine grosse Aktivität, für uns Gott; zweitens als eine Qualität, die auf einer hohen Stufe des evolutionären Fortschrittes in Erscheinung tritt; und drittens als physisches Attribut, das alle natürlichen Ereignisse in universeller Wechselbeziehung durchdringt». Hier haben wir die Idee der göttlichen Absicht, das universelle Denkvermögen, die Vorstellung über jene menschliche Denkweise, die auf der Leiter der Evolution den Menschen vom Tiere unterscheidet, sowie die Bezugnahme auf jenes universelle psychische Bewusstsein, welches das Belebte und das sogenannte Unbelebte durchdringt. Mit eben diesem Denkvermögen als einer Qualität, die auf einer hohen Entwicklungsstufe in Erscheinung tritt, haben wir als Menschen zu tun. Es ist für uns ein Kontaktmittel, das Mitteilungen aus verschiedenen Quellen und auf verschiedene Art empfängt. Informationen werden durch die fünf Sinne übermittelt und der Mensch wird der Welt physischer Phänomene und psychischen Lebens gewahr, darin er versunken ist. Aber nicht nur das, das Denkvermögen registriert auch von anderen Denkvermögen ausstrahlende Eindrücke, und die Gedanken der Menschen (alte wie moderne) werden ihm durch Lektüre, durch das gesprochene Wort, durch Schauspiele, durch Bilder und Musik vermittelt.

Vieles davon wird einfach zur Kenntnis genommen und aufbewahrt, um später als Erinnerung und Voraussicht Ausdruck zu finden. Launen, emotionelle Reaktionen, Gefühle und Wünsche niederer oder höherer Art werden vom Denkvermögen ebenfalls registriert; das ist beim Durchschnittsmenschen alles, was sich zuträgt. Nach der Registrierung von Mitteilungen folgt sehr wenig wirkliches Denken, keine klare Gedankenformulierung. Das Einkleiden der Ideen in Worte, die sie klar zum Ausdruck bringen, (103) ist eine der Funktionen des Denkvermögens; doch wie wenige Menschen haben Ideen oder bringen wirklich intelligente Gedanken hervor. Ihr Denkvermögen reagiert auf das, was ihnen von der äusseren Welt übermittelt wird, besitzt aber keine eigene Regsamkeit oder Initiative.

Deshalb verläuft die gedankliche Aufnahme, wie sie derzeit beim Durchschnittsmenschen vorherrscht, von der äusseren Welt über die Sinne nach innen zum Gehirn. Dieses «telegraphiert» dann die erhaltene Information dem Denkvermögen, das sie seinerseits zur Kenntnis nimmt. Damit ist der Vorfall für gewöhnlich abgeschlossen.

Im Fall des wahren Denkers ereignet sich aber weit mehr als dies. Auf das Registrieren folgt eine Analyse des Vorfalles oder der Mitteilung und der Wechselbeziehung zu anderen Vorfällen sowie ein Erforschen von Ursache und Wirkung. Der «Denkstoff», wie ihn die Orientalen nennen, wird zur Aktivität veranlasst, Gedankenformen und Gedankenbilder werden im Zusammenhang mit der gegebenen Idee erschaffen. Dann wird - wenn gewünscht - der klar formulierte Gedanke dem Gehirn aufgeprägt, wodurch eine rücklaufende Tätigkeit einsetzt. Der Mystiker aber und der Anfänger in der Meditation entdeckt noch etwas anderes. Er stellt fest, (104) dass das richtig beherrschte und disziplinierte Denkvermögen für umfassendere und tiefere Reaktionen empfänglich ist; dass es Ideen und Vorstellungen gewahr werden kann, die von einem unergründlich geistigen Reich ausstrahlen und von der Seele mitgeteilt werden. Anstelle von Eindrücken aus dem äusseren täglichen Leben, die vom sensitiven Empfangsgerät des Denkvermögens registriert werden, können auch solche aus dem Reich der Seele kommen; sie werden durch die Aktivität der eigenen Seele oder auch durch andere Seelen verursacht, mit denen die eigene Seele in Berührung kommen mag.

Das Denkvermögen tritt dann in eine Phase ganz neuer Nützlichkeit, und sein Kontaktbereich umfasst nicht nur die Welt der Menschen, sondern auch die Welt der Seelen. Seine Aufgabe besteht dann darin, als Mittler zwischen Seele und Gehirn zu funktionieren, um dem Gehirn das zu übermitteln, wessen der Mensch als Seele gewahr wurde. Dies wird dann möglich, wenn die alten mentalen Tätigkeiten von den höheren abgelöst werden und wenn das Denkvermögen gegenüber allen äusseren Einflüssen zeitweilig unempfindlich gemacht werden kann. Das wird indes nicht durch irgendwelche Methoden erreicht, die das Denkvermögen in einen passiven, empfänglichen Zustand versetzen oder durch ein «Leermachen» des Denkens oder durch dessen Lahmlegung oder durch andere Formen der Selbsthypnose, es wird vielmehr durch die treibende Kraft eines neuen und grösseren Interesses und durch die unbeirrte Aufmerksamkeit der konzentrierten mentalen Fähigkeiten auf eine neue Welt von Erscheinungen und Kräften veranlasst. Darin besteht die Methode der Konzentration, jenes ersten und sehr mühsamen Schrittes auf dem Wege zur Erleuchtung des Lebens.

Das Wort «Konzentration» stammt von den lateinischen Worten «con» = «zusammen» und «centrare» = «im Mittelpunkt vereinigen» (105). Es bedeutet das «Zusammenbringen oder Zusammenziehen auf einem gemeinsamen Mittelpunkt oder Brennpunkt»; es deutet das Sammeln unserer umherschweifenden Gedanken und Ideen an sowie das Bemühen, das Denken fest und unentwegt auf den Gegenstand unserer unmittelbaren Aufmerksamkeit konzentriert zu halten, ohne abzuschweifen und sich ablenken zu lassen. Dazu gehört die Ausschaltung all dessen, was nicht zu der unter Beobachtung stehenden Sache gehört. Patanjali definiert dies wie folgt: «Die Bindung des wahrnehmenden Bewusstseins an ein bestimmtes Gebiet ist Aufmerksamkeit oder Konzentration».

Das bedingt notwendigerweise eine Unterscheidung zwischen dem Denker, dem Denkapparat und dem, was vom Denker betrachtet werden soll. Wir müssen also zwischen uns als dem Denker und dem, was wir zum Denken benützen, dem Denkvermögens unterscheiden. Daraus ergibt sich der dritte Faktor, nämlich das, was gedacht wird.

Studierende würden gut daran tun, gleich am Anfang ihrer Meditationsarbeit zu lernen, diese grundsätzlichen Unterschiede auseinanderzuhalten und sich dies zur täglichen Gewohnheit zu machen. Man muss immer unterscheiden zwischen:

1. dem Denker, dem wahren Selbst, der Seele;

2. dem Denkvermögen oder dem Apparat, den der Denker zu gebrauchen sucht;

3. dem Denkprozess, also der Arbeit des Denkers, der dem Denkvermögen (wenn es sich im Gleichgewicht befindet) das Gedachte einprägt;

4. dem Gehirn, das seinerseits vom Denkvermögen Eindrücke aufnimmt und als Werkzeug des Denkens fungiert, um Eindrücke und Informationen zu übermitteln.

(106) Konzentration ist also jene Fähigkeit, das Bewusstsein auf einen gegebenen Gegenstand zu konzentrieren und es da nach Belieben festzuhalten; sie ist die Methode genauer Wahrnehmung und die Fähigkeit, sich ein richtiges Bild zu machen, denn sie ist ja die Qualität, die dem Denker die Beobachtung und das Erkennen des Wahrnehmungsgebietes ermöglicht. Ein anderes Wort für Konzentration ist Aufmerksamkeit, nämlich die auf ein einziges Ziel gerichtete Aufmerksamkeit. Interessant ist die Bemerkung Vater Maréchal's in diesem Zusammenhang. Er erklärt, dass «Aufmerksamkeit ein direkter Weg zu voller Wahrnehmung, zu Halluzination, oder allgemeiner gesprochen, zum Glauben sei ... sie bewirkt eine wenigstens momentane Vereinheitlichung des Denkvermögens durch das Vorherrschen einer einzigen Gedankengruppe. ... Aber diese bis zu einem gewissen Grad durch die Aufmerksamkeit verwirklichte, mentale Einigung ist auch der einzige subjektive Zustand, der wie wir gesehen haben immer die wahre oder falsche Wahrnehmung des Wirklichen begleitet».

Es könnte gefragt werden, welcher Weg zur Erlernung der Konzentration der leichteste ist; man könnte mit dem französischen Sprichwort antworten: «Le meilleur moyen de deplacer est de remplacer» der beste Weg, etwas auszuschalten, ist der, es durch etwas anderes zu ersetzen. Eine hier recht brauchbare Methode wäre die Nutzbarmachung dessen, was als die «treibende Kraft einer neuen Neigung» genannt worden ist. Das starke Interesse an einer neuen und anziehenden Aufgabe, und die Konzentrierung der Aufmerksamkeit auf eine neue, dynamische Angelegenheit wird automatisch dazu führen, das Denkvermögen unbeirrt und beständig zu machen.

(107) Es könnte auch noch eine andere Antwort gegeben werden: Seid auf alles, was ihr den ganzen Tag über tut, stets konzentriert. Konzentration wird sich rasch entwickeln, wenn wir es uns zur Gewohnheit machen, in allen Dingen des Lebens genau zu sein. Sorgfältige Ausdrucksweise würde sorgfältige Aufmerksamkeit allem Gesagten, Gelesenen oder Gehörten gegenüber bedingen und dies würde notwendigerweise Konzentration erfordern und sie also entwickeln. Wahre Meditation ist ja schliesslich ein mentaler Zustand und entwickelt sich aus der Konzentration.

Das Ziel aller unserer Bemühungen besteht also in der Schulung des Denkvermögens, damit es unser Diener wird und nicht uns beherrscht, und ferner darin, die Fähigkeit der Konzentration als Vorbereitung auf die wahre Meditation auszubilden. Der ernste Student wird daher diese volle Aufmerksamkeit auch den Ereignissen des täglichen Lebens zuwenden und wird dadurch lernen, sein Denkvermögen wie einen Denk-Apparat zu regulieren.

Ich möchte hier die Notwendigkeit einer fortwährenden konzentrierten Einstellung dem Leben gegenüber besonders betonen. Das Geheimnis des Erfolges kann mit den einfachen Worten: Seid bei der Sache! ausgedrückt werden. Im Gespräch mit Menschen, beim Lesen eines Buches oder beim Schreiben eines Briefes wollen wir unsere Gedanken ständig auf das konzentrieren, was wir tun und dadurch allmählich die Fähigkeit zur Konzentration entwickeln.

Mit dieser sorgsam gepflegten Einstellung müssen ganz bestimmte, täglich mit Ausdauer durchgeführte Konzentrationsübungen Hand in Hand gehen. Dazu gehört das Fixieren des Denkens auf einen besonderen Gegenstand oder ein erwähltes Thema. Sodann muss man beharrlich und ruhig lernen, das Bewusstsein (108) aus der äusseren Welt und den exoterischen Zuständen zurückzuziehen und es nach Belieben auf irgendeinen Gegenstand zu konzentrieren.

Die regelmässige und unablässige tägliche Konzentration überwindet allmählich die Schwierigkeit der Beherrschung und bringt Ergebnisse zustande, die man wie folgt aufzählen könnte:

1. Die Reorganisation des Denkvermögens.

2. Die Polarisierung des Menschen in seinem mentalen, anstatt emotionellen Vehikel.

3. Die Zurückziehung der Aufmerksamkeit von den Sinneswahrnehmungen und die Erwerbung der Fähigkeit, sich im Gehirn zu konzentrieren. Die meisten Menschen benutzen gleich den Tieren den Solar plexus.

4. Die Entwicklung der Fähigkeit augenblicklicher Konzentration als Einleitung zur Meditation.

5. Die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit fest und unverwandt auf einen erwählten Saatgedanken zu richten.

II. Das Stadium der Meditation.

Patanjali definiert Konzentration als das Festhalten des wahrnehmenden Bewusstseins in einem bestimmten Bereich, und Meditation als das verlängerte Festhalten dieses wahrnehmenden Bewusstseins in einem bestimmten Bereich. Der Unterschied besteht nur in einer Differenz des Zeitfaktors, und es handelt sich wohl in beiden Fällen um die Erlangung der Kontrolle. Durch die praktische Anwendung der Konzentration sollte eine genügende Kontrolle erlangt worden sein, so dass sich der Studierende nicht immer wieder damit plagen muss, seine Gedanken aufs neue zu sammeln. Eine verlängerte Konzentration bietet also dem Denkvermögen die Gelegenheit, auf jede Sache innerhalb des erwählten Betätigungsgebietes (109) einzuwirken. Die Wahl eines Wortes oder eines Satzes als Meditationsgegenstand schafft dieses Betätigungsfeld, und wenn die Meditation gut geführt wird, schweift das Denken niemals von dem so gewählten Objekt ab. Es bleibt darauf konzentriert und ist während der ganzen Meditationsdauer tätig; überdies wird dem Denkvermögen nicht gestattet, mit dem Gegenstand oder dem Saatgedanken nach Belieben zu verfahren. Der Meditierende sollte sich während der Konzentration stets dessen bewusst bleiben, dass er sein Denkvermögen benützt. In der Meditation geht diese Bewusstheit (dass man das Denken benützt) verloren, es darf jedoch daraus kein Wachträumen und kein Verfolgen unerwarteter Ideen entstehen, die in Beziehung zum Gedankenobjekt auftauchen mögen. Der Saatgedanke wurde mit einer bestimmten Absicht gewählt, entweder wegen seiner Wirkung auf den Meditierenden oder wegen seines Nutzens für den Dienst an einer anderen Person oder mit Beziehung auf irgendein geistiges Werk, oder in irgendeiner Phase bei der Suche nach Weisheit. Wenn der Verlauf erfolgreich ist, wird im Meditierenden nur eine geringe oder gar keine Reaktion (als Freude oder fehlende Freude) hervorgerufen. Emotionelle Reaktionen sind überwunden und das Denkvermögen kann daher unbehindert in seinem eigenen Bereich funktionieren. Die Folge ist eine Klarheit des Denkens, wie sie nie zuvor erlangt wurde, denn das Denkvermögen ist bei gewöhnlicher Funktion stets mit Verlangen irgendwelcher Art verbunden und daher durch dieses beeinflusst. In diesem Bewusstseinszustand wird das Verlangen überstiegen, geradeso wie im späteren Stadium der Kontemplation das Denken überschritten wird. Wenn das Denkvermögen durch Behinderung oder ständige Wiederholung zur Tatenlosigkeit gezwungen wird, kann es weder in der Kontemplation überschritten, noch in der Meditation benützt werden. Die Angewohnheit, das Denken leer zu machen, ist nicht nur töricht, sondern ausgesprochen gefährlich.

(110) In den Yoga Sutras von Patanjali finden wir folgende Worte:

«Die allmähliche Bezwingung der Tendenz des Denkvermögens, von einem Objekt zum anderen zu flattern und das Vermögen, sich auf ein einziges Ziel zu konzentrieren, führen zur Entwicklung der Kontemplation».

Meditation ist das Resultat von Erfahrung. Sie ist die augenblickliche Erlangung einer gedanklichen Einstellung auf Grund langer Übung. In der Bhagavad Gita finden wir die Feststellung, dass bei jeder Tätigkeit folgende fünf Faktoren beteiligt sind:

1. Das materielle Instrument - das Gehirn

2. Der Handelnde - das Selbst

3. Das Organ - das Denkvermögen

4. Der Impuls - Energie

5. Die Bestimmung (das Schicksal)- Karma. 

Meditation ist eine Aktivität sehr intensiver Art und man wird feststellen, dass dabei tatsächlich alle fünf Faktoren mitspielen. Das materielle Instrument, das wir in der Meditation benützen müssen, ist das physische Gehirn. Viele Menschen meinen, dass sie über das Gehirn hinausgelangen, irgendeine ausserordentliche Höhe erreichen und auf einem Gedankengipfel verharren müssten, bis sich etwas Übersinnliches ereignet und sie dann sagen können, sie hätten Gott erkannt. Wirklich notwendig aber ist, dass wir die Kontrolle über das Denken und die Gehirnprozesse erlangen sollten, so dass das Gehirn ein feinfühliger Empfänger der Gedanken und Wünsche der Seele, des Höheren Selbstes wird, die sie durch das Denkvermögen übermittelt. Das Denkvermögen wird (111) als eine Art sechster Sinn und das Gehirn als Empfangsgerät betrachtet. Wir benützen die fünf Sinne bereits als Wahrnehmungswege, und diese Sinne telegraphieren dem Gehirn fortwährend Informationen. Sie überbringen dem Menschen Mitteilungen über fünf ausgedehnte Erkenntnisgebiete, also über fünf Schwingungsbereiche. Bestimmungsgemäss soll das Denkvermögen einem ähnlichen Zwecke dienen. Meister Eckehart fasst dies zusammen und vertritt den Standpunkt aller Mystiker beider Hemisphären:

«Trachte zuerst, die äusseren Sinne richtig zu kontrollieren. ... Dann wende dich den inneren Sinnen, den edlen Kräften der Seele zu, sowohl den niederen, als auch den höheren. Beginne zuerst mit den niederen Kräften. Diese liegen zwischen den höheren Kräften (oder Anlagen) und den äusseren Sinnen, und erhalten durch die letzteren Reiz-Impulse. Was das Auge sieht, was das Ohr hört, bieten sie sogleich dem Verlangen dar. Dieses wiederum bietet es im gewöhnlichen Verlauf der Dinge der zweiten Kraft, Urteilsvermögen genannt, dar, das es begutachtet und wiederum an die dritte Kraft, Einschätzung oder vernünftige Überlegung, weitergibt. ...

Der Mensch muss überdies ein freies, unbefangenes Denkvermögen besitzen. ... Der Körper sollte von körperlicher Arbeit nicht nur der Hände, sondern auch der Zunge und der fünf Sinne ausruhen. Die Seele bleibt rein am besten in der Stille und Ruhe; im abgehetzten Körper wird sie oft von Trägheit übermannt. Dann mühen wir uns in rastloser Anstrengung und streben in göttlicher Liebe nach intellektueller Vision, bis wir uns - mittels der wiedergesammelten Sinne einen Weg bahnend - über unser eigenes Denken zur herrlichen Weisheit Gottes erheben. ... Der zum Höhepunkt seines Denkens aufsteigende Mensch ist erhabener Gott».

Durch Vermittlung des Denkvermögens als geleitetes Instrument kann die Seele die Impulse oder Gedankenströme handhaben. Diese Kräfte strömen in das Erfahrungsgebiet (112) des Denkers und er muss lernen, sie bewusst zu leiten und mit ihnen zu arbeiten, um die gewünschten Resultate zu erzielen.

Der fünfte Faktor erinnert uns daran, dass ein gewisses Stadium evolutionärer Entwicklung erreicht sein muss, bevor wahre Meditation möglich wird; eine gewisse Arbeit muss geleistet und gewisse Verfeinerungen unseres Instrumentes müssen herbeigeführt worden sein, bevor der Mensch gefahrlos und weise meditieren kann. Nicht alle Menschen besitzen das geistige Rüstzeug, um mit Aussicht auf vollen Erfolg zu meditieren. Dies braucht aber Studierende keineswegs zu entmutigen. Ein Anfang kann immer gemacht und eine gesunde Grundlage geschaffen werden. Die Kontrolle des Mentalprozesses kann begonnen und zu hoher Vollendung geführt werden, so dass der Seele ein gebrauchsfertiger Gedankenapparat zur Verfügung steht. In zusammenfassender Weise auf die drei Abschnitte der Meditation zurückblickend, sehen wir, dass die physische oder Formnatur studiert und dass die sie belebende Qualität sowie die Motive oder Ursachen der Erscheinungsform betrachtet wurden. Auch kam es dabei zu einer immer tieferen Konzentration und einer immer intensiveren Meditation. Die Aufmerksamkeit wurde in zunehmendem Masse nach innen gewandt, und äusserliche Dinge wurden standhaft abgewiesen und zwar nicht durch eine passive Haltung, sondern im Gegenteil durch eine solche schärfsten und vitalsten Interesses. Die Meditation war in ihrer Methode positiv und führte keineswegs zu negativen oder Trance-Zuständen. Das Denkvermögen war während der ganzen Zeit fleissig tätig, jedoch nur in einer einzigen Richtung.

Schliesslich tritt einmal jenes Stadium ein, das man Gott-Seligkeit (113) (bliss) oder Einswerdung nennt. Das Bewusstsein konzentriert sich nicht mehr im Intellekt, sondern identifiziert sich mit dem Meditationsgegenstand. Darüber wollen wir aber später sprechen.

Wir haben daher die vier Stadien im Folgenden kurz zusammengefasst; sie stellen das dar, was man unter «Meditation mit einem Saatgedanken» versteht:

1. Meditation über die Natur (das Wesen) einer besonderen Form.

2. Meditation über die Qualität einer besonderen Form.

3. Meditation über den Sinn und Zweck einer besonderen Form.

4. Meditation über das Leben, das eine besondere Form beseelt.

Alle Formen sind Symbole eines innewohnenden Lebens und eben durch Meditation mit einem Saatgedanken gelangen wir zum Lebens-Aspekt.

In der Abhandlung über kosmisches Feuer finden wir folgende Worte:

«Der weise Student betrachtet alle Ausdrucksformen gleichsam als Symbole. Ein Symbol hat drei Auslegungen; selbst ist es der Ausdruck einer Idee, hinter der wiederum ein bis jetzt unverständlicher Sinn und Zweck oder Impuls steht. Mit diesen drei Interpretationen eines Symbols wollen wir uns wie folgt befassen:

«1. Die exoterische Auslegung eines Symbols gründet sich hauptsächlich auf dessen objektive Nützlichkeit und auf die natürliche Beschaffenheit der Form. Das Exoterische (Äussere) und Körperliche jeder Form dient zweierlei Zielen:

(114) «a) um über die Idee oder den Grundgedanken eine leise Andeutung zu geben. Dadurch wird das Symbol ... mit der Mentalebene ursächlich verbunden, jedoch von den drei Welten menschlicher Wahrnehmung nicht freigegeben;

«b) um die Idee zu beschränken, zu begrenzen und einzukerkern und sie dadurch der vom Menschen erreichten Evolutionsstufe anzupassen. Das wahre Wesen der verborgenen Idee ist stets mächtiger und vollständiger als die Form oder das Symbol, durch das sie Ausdruck sucht. Materie ist ein Symbol einer zentralen Energie. Formen jeder Art und aller Naturreiche sowie die manifestierten Hüllen in ihrer umfassendsten Bedeutung und Gesamtheit sind bloss Symbole des Lebens; was dieses Leben selbst sein mag, bleibt bis jetzt noch ein Geheimnis.

«2. Die subjektive (innere) Interpretation oder Bedeutung ist jene, welche die hinter der objektiven Erscheinungsform liegende Idee enthüllt. Diese an sich unkörperliche Idee nimmt auf der Ebene der Objektivität konkrete Form an. ... Wenn der Studierende die Meditation aufgenommen hat, werden für ihn diese Ideen ebenso sichtbar, wie die exoterische Form des Symbols für den Anfänger alles ist, was er sieht. Sobald ein Mensch seinen mentalen Apparat bewusst zu benützen beginnt und einen, wenn auch nur geringen Kontakt mit seiner Seele hergestellt hat, erfolgt dreierlei:

«a) er wächst über die Form hinaus und versucht, dafür eine Erklärung zu geben;

«b) er gelangt mit der Zeit zu der (115) von der Form verhüllten Seele und zwar durch ein Verstehen seiner eigenen Seele;

«c) er beginnt dann, Ideen zu formulieren und jene Seelen-Energie oder -Substanz offenbar werden zu lassen, mit der er - wie er herausfindet - manipulieren kann.

«Menschen zur Arbeit mit mentaler Materie zu erziehen, heisst sie zu lehren, schöpferisch tätig zu werden; Menschen das Wesen der Seele erkennen zu lehren, bedeutet, sie mit der subjektiven (inneren) Seite der Schöpfung in bewussten Kontakt zu bringen und ihnen die Macht, mit Seelen-Energie zu arbeiten, anzuvertrauen; Menschen zur Entfaltung der Machtfülle des Seelen-Aspektes zu bringen, heisst sie mit den in allen Naturreichen verborgenen Kräften und Energien in Berührung zu bringen.

«Wenn ein Mensch seinen Seelenkontakt und seine subjektive Wahrnehmung verstärkt und entfaltet hat, kann er dann ein bewusster Schöpfer werden, der an den Evolutionsplänen und dem Plan Gottes mitarbeitet. Das Durchlaufen dieser verschiedenen Stadien erhöht seine Tüchtigkeit für eine solche Tätigkeit sowie seine Fähigkeit, bis zu dem allen Symbolen und Formen zugrundeliegenden Gedanken vorzudringen. Er fällt nicht mehr auf die äussere Erscheinung herein, sondern erkennt sie als die einen Gedanken verhüllende, einkerkernde und begrenzende illusorische Form.

«3. Die geistige Bedeutung ist das, was hinter dem subjektiven Sinn liegt und was durch den Gedanken oder die Idee verhüllt wird, so wie die Idee durch die Form verschleiert wird, die sie in der äusseren Welt annimmt. Man kann diese geistige Bedeutung als den Sinn und Zweck ansehen, der die Idee angeregt und zu ihrer Ausstrahlung in die Welt der Formen geführt hat. Sie ist die (116) zentrale dynamische Energie, welche die subjektive Aktivität verursacht». ...

Dieses Aufspüren der Wirklichkeit, die hinter jeder Form liegt, das ist das Resultat der Meditation mit einem Saatgedanken. Dazu gehört das Erkennen dieser drei Aspekte des göttlichen Lebens. Deshalb wird Studierenden geraten, für ihre Meditation spezielle Worte oder einen Vers aus einem heiligen Buch zu wählen, um ihre Fähigkeit zu schulen, hinter die Wortform zu kommen und dadurch die wahre Bedeutung herauszufinden.

Wir sind in die Welt der Ursachen eingedrungen; wir müssen nun versuchen, den Plan, wie er im Denken Gottes besteht und sich durch die aus dem Herzen Gottes strömende Liebe entfaltet, zu begreifen. Ist es nun menschlichem Denken möglich, weiter als bis zur Liebe und zum Willen Gottes zu gelangen? Gerade an diesem Punkt wird Göttlichkeit berührt. Das Denken hört auf zu funktionieren und der wahre Student der Meditation gleitet in einen Zustand bewusster Einswerdung mit jener geistigen Wirklichkeit, die wir den innewohnenden Christus, die göttliche Seele nennen. An diesem Punkt geht der Mensch in Gott ein.