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3. Einige psychologische Probleme - Teil 1

Einleitung

Was ich hier zu sagen habe, sollte von allgemeinem Interesse sein. Ich bin bestrebt, mich möglichst einfach auszudrücken und Fachausdrücke, wie sie die akademische Psychologie benützt, beiseite zu lassen, dafür die psychologischen Probleme des Menschen so klar verständlich zu machen, dass vielen eine Hilfe zuteil wird, die von Wert ist. Die Gegenwart bürdet uns so viele Schwierigkeiten auf, die notwendigen Anpassungen an die Umwelt sind so hart und die Ausrüstung des Menschen für die gestellten Aufgaben so ungenügend, dass es den Anschein hat, als ob man von der Menschheit [402] Unmögliches verlangen würde. Es sieht so aus, als ob das Organsystem des Menschen so viele physische Schwächen angesammelt hätte, von so vielen emotionellen Spannungen belastet wäre und so voller vererbter Krankheit und Überempfindlichkeit sei, dass es einem Rückfall und einer Niederlage gleichkomme. Es sieht so aus, als wenn die Haltung des Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegenüber derartig war, dass das Dasein sinnlos erscheint, dass kein Hoffnungsschimmer verbleibt und keine Hilfe zu finden ist, wenn man Rückschau hält.

Was ich hier sage, ist stark verallgemeinert. Es gibt genügend Menschen, auf die diese Verallgemeinerung nicht zutrifft. Aber selbst diejenigen, die menschliche Verhältnisse, soziale Bedingungen und psychophysische Fragen studieren, sind voller Zweifel und zeitweilig verzweifelt. Das Leben ist heutzutage so schwer, die Spannung, der die Menschen unterworfen sind, ausserordentlich gross; die Zukunft hat etwas Drohendes; und die grosse Masse der Menschen ist unwissend, krank und unglücklich. Ich setze dieses düstere Bild an den Anfang unserer Erörterung, um keine Tatsache zu übersehen und keine Situation zu schildern, die unrealistisch, optimistisch und irreführend wäre. Ich habe auch nicht im Sinn, einen bequemen Ausweg aufzuzeigen, der uns nur noch tiefer in den düsteren Wald menschlicher Irrtümer und Illusionen führen würde.

Und dennoch zeigen die gegenwärtigen Zustände deren Ursachen und das Heilverfahren an - wenn wir es nur richtig erfassen würden! Ich hege die Zuversicht, dass, wenn wir das Problem in grossen Zügen überdacht haben (denn mehr kann man kaum tun), es mir gelungen ist, einen möglichen Ausweg gezeigt und solch' praktische Vorschläge gemacht zu haben, dass Licht in das Dunkel kommen könnte. Dieses Licht wird erkennen lassen, dass die Zukunft vielversprechend ist und dass in der Gegenwart Experimente angestellt werden, die zu Verbesserungen und grösserem Verständnis führen werden.

Der wichtigste Zweig der heutigen Wissenschaft ist die Psychologie. Sie ist zwar noch in den Kinderschuhen, aber sie umfasst in ihrem Konzept das ganze Schicksal der Menschheit und hat (bei richtiger Entfaltung und Anwendung) die potentielle Kraft in sich, die menschliche Familie zu retten. Der Grund für die Wichtigkeit und Nützlichkeit der Psychologie liegt in der Tatsache, dass sie nachdrücklich die Beziehung des einzelnen zur Gesamtheit und zur Umwelt sowie die Kontaktpflege betont; sie studiert des Menschen Wahrnehmungsorgane und seine Reaktion auf Kontakte; sie versucht, rechte Anpassung, korrekte Integration und harmonische [403] Angleichung zuwege zu bringen, um den einzelnen für ein nutzbringendes Leben, für Leistungen und werktätigen Dienst frei zu machen.

Wenn man die verschiedenen Schlussfolgerungen der vielen Psychologie-Schulen betrachtet, lassen sich einige Schwierigkeiten erkennen, die auf dem Unvermögen dieser Schulen beruhen, die vielen Gesichtspunkte miteinander in Verbindung zu bringen. Wir finden im Bereich dieser Wissenschaft dieselben Spaltungen und inneren Kämpfe wie im einzelnen Menschen oder in den religiösen Organisationen. Es fehlt die Synthese. Man bringt es nicht fertig, die verschiedenen Ergebnisse in wechselseitige Beziehung zu bringen, und man neigt dazu, eine Einzelkomponente der gefundenen Wahrheit auf Kosten anderer, gleich bedeutsamer Aspekte übermässig zu betonen. Die Schwächen, die beim Einzelmenschen (und auch bei Gesellschaftsklassen) hinsichtlich der Ausrüstung und Lebensführung besonders deutlich zutage treten, werden in den Vordergrund gestellt und andere Schwächen, die weniger augenfällig, aber ebenso lähmend sind, werden gar nicht beachtet, ja sogar in Abrede gestellt. Oft vereiteln Vorurteile, die auf einer einseitigen, pedantischen Ausbildung beruhen, die richtige Anschauung, so dass die Schwäche in des Psychologen eigener Ausrüstung seine Bemühungen, einem Patienten zu helfen, unwirksam macht. Die heutige Erziehung berücksichtigt nicht den ganzen Menschen und lässt auch die Wirksamkeit eines integrierenden Zentrums, eines zentralen Bewusstseinspunktes völlig ausser acht. Man übersieht und ignoriert die Aktivität dieses Zentrums, das ein entscheidender Faktor in der Konstitution des betreffenden Menschen ist, dem geholfen werden muss, sich seinen Lebensbedingungen anzupassen; und dies ist mehr als alles andere die Ursache dafür, dass so viele Schwierigkeiten bestehen. Die rein materialistische Einstellung und wissenschaftliche Denkweise, nur das gelten zu lassen, was man mit exakten Methoden beweisen oder auf Grund einer momentanen Hypothese annehmen und nachprüfen kann, hat viel Zeitverlust verursacht. Wenn die schöpferische Vorstellungskraft in allen Bereichen menschlichen Denkens wieder einmal freigemacht werden kann, dann werden viele neue Dinge ans Licht kommen, die gegenwärtig nur von religiös [404] eingestellten Menschen und bahnbrechenden Denkern akzeptiert und bejaht werden. Eines der ersten Forschungsgebiete, das davon profitieren wird, wird die Psychologie sein.

Religiöse Organisationen haben leider viel auf dem Gewissen, da sie so fanatisch auf ihren doktrinären Lehrsätzen beharren und diejenigen bestrafen, die sich weigern, die Vorschriften anzunehmen. Das hat das Streben des Menschen, Gott und der Wirklichkeit näher zu kommen, unwirksam gemacht. Durch Überbetonen des Unerreichbaren und Kultivierung des Sündenbegriffs während vieler Jahrhunderte kam es zu vielen unheilvollen Zuständen, zu inneren Konflikten, die das Leben verzerrten, zu krankhaften Symptomen, sadistischen Neigungen, selbstgerechten Posen und schliesslich zu Verzweiflung, was die Kehrseite der Wahrheit ist.

Wenn einmal richtige Erziehung (das ist die Wissenschaft von der wahren Anpassung), wahre Religion (das ist die Pflege des Gefühls für Göttlichkeit) und richtige wissenschaftliche Entfaltung (das ist die rechte Würdigung der Form oder Formen, durch die sich das innere Leben der Göttlichkeit offenbart), in richtige Beziehung zueinander gebracht werden können, so dass sich ihre Schlussfolgerungen und Anstrengungen gegenseitig ergänzen, dann wird es Männer und Frauen geben, die alle Teile ihrer Wesensnatur voll entfaltet und ausgebildet haben. Sie werden dann gleichzeitig Bürger des Seelenreiches, schöpferisch begabte Mitglieder der grossen menschlichen Familie und gesunde Geschöpfe sein, deren tierischer Körper so weit entwickelt ist, dass er in der Welt das notwendige Instrument für die Offenbarung göttlicher, menschlicher und tierischer Züge ist. Das werden wir im Neuen Zeitalter erleben, und hierfür bereiten sich die Menschen bewusst oder unbewusst vor.

Wir wollen die Probleme der Psychologie in folgende Gruppen einteilen:

1. Die Probleme der Spaltung, die häufig zu den vielen Entrinnungs- und Fluchtsymptomen führen, welche die Hauptmasse der modernen Komplexe bilden.

2. Die Probleme der Integration, die bei fortgeschritteneren [405] Menschen viele Schwierigkeiten hervorrufen.

3. Die Probleme, die auf vielerlei Vererbungsfaktoren (z.B. Rassen- und Familieneigentümlichkeiten usw). zurückzuführen sind und Fragen über ererbte Krankheiten, die den Menschen zum Invaliden machen, mit sich bringen.

Mit der dritten Gruppe werde ich mich nur wenig befassen. Allzuviel kann hier nicht geändert werden. Zeit und grössere Kenntnisse werden zu deren Lösung beitragen. Man muss einem solchen Leidenden helfen, seine endokrinen Mangelstörungen zu verbessern, man muss ihn, falls es geht, in Selbst-Disziplinierung schulen und man muss seinen physischen Körper so hoch entwickeln, als es in den gegebenen Grenzen möglich ist. Die Zeit ist nicht fern, in der jedes Kind frühzeitig in bestimmter Weise untersucht, einem Test-Verfahren unterzogen wird und fachmännische Pflege erhält, um sein Nervensystem so funktionstüchtig, aufnahmefähig und gesund zu machen, als es eben möglich ist. Ich muss indes daran erinnern, dass man in irgendeiner Inkarnation die körperliche Konstitution nur bis zu einem gewissen Punkt entwickeln kann - einem Punkt, der von der im Lauf des Evolutionsprozesses erreichten Stufe abhängt, ferner von Rassenfaktoren, von der Qualität der subjektiven Art, von gemachten Erfahrungen, vom Seelenkontakt (der noch fern ist, der bald erwartet werden kann oder der bereits stattgefunden hat) und von dem mentalen Rüstzeug.

Um unser Thema und die Art und Weise, wie ich es behandeln will, richtig zu verstehen, möchte ich vier grundlegende Feststellungen machen:

1. Der Mensch ist in Zeit und Raum konstitutionell ein zweifaches Wesen, das aus Seele und Körper besteht, aus einer intelligenztragenden und einer körperlichen Komponente, aus einer spirituellen Wesenheit und einem Kontaktapparat, der körperlichen Natur. Durch letztere erhält diese geistige Wesenheit Kenntnis von sichtbaren Welten und Bewusstseinszuständen, die verschieden sind von denen des eigenen Bewusstseinsbereiches.

2. Diese körperliche Komponente besteht aus [406] der physischen Erscheinungsform, dem Äther-Körper, der alle vitalen Kräfte enthält (den die Wissenschaft sehr bald erkennen und anerkennen wird), dem sensitiven emotionellen Wunschkörper und dem Denkvermögen. Der physische Körper vermittelt den Kontakt mit der greifbaren Umwelt. Durch den Vitalkörper kommen die Impulse, die auf der physischen Ebene Anweisungen geben und Tätigkeit hervorbringen. Der Empfindungskörper (die astrale oder Gefühlsnatur) bringt fast alle die Wünsche und Triebe hervor, von denen der unentwickelte Durchschnittsmensch sich leiten lässt; man kann sie auch Wunsch-Impulse oder das individuelle Wunschleben nennen. Das Denkvermögen entwickelt schliesslich intelligentes Verstehen und ermöglicht ein Leben, das von Zielen und Planungen anstatt von Begierden geleitet ist.

3. Die Entwicklung des Menschen kommt durch eine Reihe von integrierenden, koordinierenden und vereinheitlichenden Prozessen voran; diese bringen - besonders wenn der Verstand dominierend in den Vordergrund tritt - Gefühle von Spaltung und Dualität mit sich. Diese Integrations-Vorgänge liegen (soweit die Menschheit in Betracht kommt) entweder weit zurück in der Vergangenheit, oder sie spielen sich zurzeit ab, oder sie können erst in der Zukunft erwartet werden.

Vergangene Integrationen.

a) Zwischen dem Tier- und dem Vitalkörper.

b) Zwischen diesen beiden und dem sensitiven Wunschkörper.

c) Zwischen diesen dreien und dem niederen, konkreten Denkvermögen.

Gegenwärtige Integrationen.

Zwischen den genannten vier Aspekten, wodurch eine harmonisch ausgeglichene Persönlichkeit zutage tritt.

Zukünftige Integration.

Zwischen der Persönlichkeit und der Seele.

Es gibt noch andere, höhere Integrationen, doch brauchen wir uns hier damit nicht zu befassen. Sie werden [407] durch Einweihungsvorgänge und Dienstleistungen an der Menschheit erlangt. Man muss im Auge behalten, dass im Lauf der Menschheitsgeschichte schon viele solche Integrationen unbewusst stattgefunden haben, und zwar als Folge der Lebens-Stimulierung, des Evolutions-Antriebes, der normalen Lebens-Prozesse, auf Grund von Erfahrungen mit der Umwelt, und auch als Folgeerscheinung der Wunsch-Befriedigung, die eine Übersättigung der Wunschnatur bewirkte. Doch kommt einmal in der Entwicklung der Menschheit, wie im Leben eines einzelnen, die Zeit, da der blinde Gehorsam gegenüber dem Evolutions-Prozess sich in eine lebendig-bewusste Kraftanstrengung verwandelt, und das ist genau der Punkt, an dem die Menschheit heute steht. Daher erkennt und sieht die moderne Psychologie das Problem des Menschen von diesem Standpunkt aus an. Daher sehen wir so viel Leid unter den Menschen auf der ganzen Erde. Daher stammen die Bemühungen der modernen Erzieher, und deshalb treten überall drei Arten von Menschen in immer grösserer Anzahl in Erscheinung:

a) solche, die sich einer seelischen Spaltung bewusst sind;

b) solche, die mit viel Schmerzen und Schwierigkeiten eine Integration erlangen;

c) solche, die bereits Persönlichkeiten, d.h. integrierte Menschen sind und daher eine dominierende Rolle spielen.

4. Gleichzeitig aber gehen in allen Ländern Männer und Frauen einer weit höheren Synthese entgegen und erreichen sie auch: - die Synthese von Seele und Körper. Diese ruft ein Empfinden für das Schicksal einzelner und der Menschheit, ein Verständnis für das Ziel und den Plan hervor; sie entwickelt auch die Intuition, die eine Sublimierung des Intellekts ist, gleichwie der Intellekt eine Veredelung der Instinktnatur war. Dies führt auch zur Anerkenntnis höherer Ideen, des Idealismus und jener fundamentalen Wahrheiten, die, wenn sie allen Denkern aufgezeigt und bekannt werden, grosse geistige und materielle Veränderungen hervorrufen werden, mit all ihren zeitweiligen Begleiterscheinungen wie Umwälzung, Chaos, Experimentieren, Zerstören und Neuaufbauen.

Alle Typen von Menschen finden im Rahmen [408] der Gesamtmenschheit einen fruchtbaren Boden, sowohl diejenigen, die heute ihre Integration aus vergangener Zeit manifestieren, als auch die anderen, die im Begriffe sind, denkende Erdenbürger zu werden. Die beiden frühesten Integrationen - die des ätherischen mit dem physischen Körper, und die dieser beiden mit dem Wunschkörper - treten nicht mehr zutage. Sie sind eine weltweite Tatsache und liegen unter der Schwelle bewusster Tätigkeit; sie wurden in der Urzeit der Menschheitsgeschichte erlangt. Man kann sie noch im Säuglings- und Kindesalter wiederfinden und als historische Wiederholung studieren. Hier kann man mit aller Klarheit die Kraft beobachten, die Bewegungen auslöst, wie der Sinnesapparat anspricht und wie sich Wünsche bemerkbar machen. Dieselbe Beobachtung kann man an Rassen machen, die noch unentwickelt und unzivilisiert sind. Das dritte Integrationsstadium, die schrittweise mentale Entfaltung, schreitet nun zusehends voran; es kann wissenschaftlich beobachtet werden und wird auch sorgfältig studiert. Die moderne Erziehung befasst sich fast ausschliesslich damit. Aber grössere Fortschritte werden sich erst dann einstellen, wenn die Erzieher damit Schluss machen, nur die Gehirnzellen auszubilden und das Gedächtnis zu schulen, und wenn sie es aufgeben, Gehirn und Denkvermögen als identisch anzusehen, anstatt diese beiden in ihrem Unterschied zu erkennen. Wenn einmal das Kind darin geschult wird, seine Gedanken zu beherrschen, und es gelehrt wird, mit Hilfe dieser Denkkraft seine Wunschnatur und sein Gehirn zu meistern - wodurch der physische Körper von der Mentalebene aus dirigiert wird -, dann werden wir sehen, mit welcher Präzision und Schnelligkeit diese Integrationen vorankommen werden. Dann wird man das Hauptaugenmerk auf die Integration der Persönlichkeit richten, so dass alle drei Aspekte sich einheitlich betätigen können. Wir haben daher drei Stufen:

1. Die Stufe des Kindes. Hier werden die ersten drei Integrationen durchgeführt. Das Ziel der Erziehung besteht darin, diesen Zusammenbau so reibungslos als möglich zu gestalten.

2. Die Stufe des reifen Menschen. Hier werden alle drei Aspekte in eine einheitliche, selbstbewusste, selbstgelenkte Persönlichkeit [409] zusammengefasst.

3. Die spirituelle Stufe. Hier findet die Integration der Persönlichkeit mit der Seele statt, wodurch jenes Bewusstsein erweckt wird, das um das grosse Ganze weiss. Ist dies erreicht, dann wird das Selbstbewusstsein vom Gruppenbewusstsein überlagert. Das ist der zweite grosse Schritt auf dem Wege zum Gottesbewusstsein.

Was die heutige Zeit so schwierig macht, ist die Tatsache, dass sich auf dem ganzen Erdenrund Menschen in den verschiedenen Stadien des Integrationsprozesses befinden. Alle sind im «Zustand einer Krise» und geben daher dem modernen Psychologen Probleme auf.

Diese Probleme lassen sich genauer in drei Hauptgruppen zusammenfassen:

a) Die Probleme der Spaltung. Diese umfassen zwei Arten

1. Die Probleme der Integration.

2. Solche, die aus einem Gefühl des Zwiespaltes stammen. Dieses Dualitäts-Gefühl, das als Resultat der erkannten Spaltung auftritt, schwankt von den Symptomen der «gespaltenen Persönlichkeit», an denen so viele Menschen leiden, bis zu denen des Mystikers, der den Akzent auf den Liebenden und Geliebten, den Sucher und den Gesuchten, auf Gott und Gottes Kind legt.

b) Die Probleme der Integration. Diese rufen unter den bereits fortgeschrittenen Menschen viele Schwierigkeiten hervor.

c) Die Probleme der Stimulierung. Sie treten als Resultat einer vollbrachten Synthese und Integration auf, weil dadurch ungewohnte Energien einströmen. Dieser Zufluss mag sich als hochgespannter Ehrgeiz bemerkbar machen, als Machtgefühl, als starkes Verlangen nach persönlichem Einfluss oder als [410] wahre geistige Stärke und Kraft. In jedem dieser Fälle aber ist es notwendig, die resultierenden Symptome richtig zu verstehen und sorgfältig zu behandeln.

Aus diesen Problemen ergeben sich ferner:

1. Mentale Probleme. Gewisse ausgesprochene Komplexe treten auf, wenn die Integration des Denkvermögens mit den drei niederen Aspekten erlangt wurde; ein klares Nachdenken hierüber wird von Nutzen sein.

2. Die Krankheiten der Mystiker. Diese betreffen jene Geisteshaltung, jene verwickelten Ideengänge und «spirituellen Spekulationen», welche die mystisch Veranlagten oder diejenigen, die sich des geistigen Dualismus bewusst sind, beeindrucken. Über letztere schrieb der Hl. Paulus in seinem Römerbrief: «Wir wissen ja, dass das Gesetz aus göttlichem Geiste stammt: ich aber bin von fleischlicher Art und unter die Herrschaft der Sünde verkauft. Mein ganzes Tun ist mir unbegreiflich: denn ich vollbringe nicht das, was ich will, sondern tue gerade das, was ich verabscheue.

Wenn ich aber gerade das tue, was ich nicht will, so erkenne ich durch innere Zustimmung an, dass das Gesetz gut sei.

Also bin nicht mehr ich derjenige, der das Böse vollbringt, sondern die in mir wohnende Sünde.

Denn ich weiss, dass in mir, das heisst in meinem Fleisch, nicht das Gute seine Wohnung hat; der gute Wille ist bei mir wohl vorhanden, aber wie das Gute zu vollbringen sei, das kann ich nicht herausfinden.

Das Gute, das ich tun möchte, tue ich nicht: aber das Böse, das ich nicht tun will, das gerade tue ich.

Wenn ich nun das tue, was ich nicht will, so bin ich es nicht länger, der es tut, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

Ich finde somit, der ich das Gute tun will, ein Gesetz, dass mir das Böse anhangt.

Denn mein innerer Mensch stimmt dem göttlichen Gesetz freudig zu:

Aber ich sehe, dass ein anderes Gesetz sich in meinen Gliedern bekundet, das da widerstreitet dem Gesetz meiner Vernunft und mich gefangen nimmt in der Sünde Gesetz, das in meinen Gliedern wirkt.

O ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich von diesem [411] Körper des Todes erlösen?» (Römer VII, 14 - 24)

Diese Schwierigkeiten verlangen immer mehr Beachtung, je näher die Menschen zur Integration der Persönlichkeit und von da zum Seelenkontakt kommen.

Es ist daher offensichtlich, wie umfangreich und wie wichtig unser Thema ist. Ebenso wird es einleuchten, wie viele Nervenstörungen, Hemmungen, Unterdrückungen, Resignationen - oder die gegenteiligen Aspekte - mit diesem ganzen Prozess sukzessiver Synthesen oder Fusionen verknüpft sind.

Zwei Punkte müssen hier kurz erwähnt werden. Erstens: Wenn wir einen Menschen studieren - gleich, ob wir ihn einfach als Mensch oder als spirituelle Wesenheit ansehen - so haben wir es in Wirklichkeit mit einem höchst vielseitigen Aggregat differenzierter Energien zu tun, durch die oder zwischen denen das Bewusstsein seine Rolle spielt. Dieses Bewusstsein ist in den Frühstadien der Evolution nur ein vages, zerstreutes Gewahrsein, unbestimmt, unbeteiligt und ohne einen klaren Zielpunkt. Später wird dieses Bewusstsein wacher und der Wahrnehmungsbereich grösser; es konzentriert sich auf egoistisches Verlangen, auf dessen Befriedigung und Stillung. Diesen Zustand können wir allgemein als «Wunschleben» bezeichnen, das nach physischem Glück und Wohlergehen strebt. Dies führt schliesslich zur vollkommenen Wunschbefriedigung, die aber erst nach dem Tod erfolgt und der wir den Namen «Himmel» gegeben haben. Später (wenn das Denkvermögen sich mit den anderen höher entwickelten Aspekten integriert) tritt eine gänzlich eigenbewusste Wesenheit zutage, und so kommt ein Mensch im eigentlichen Sinne des Wortes, ein mit Intelligenz begabter Mensch in aktive Manifestation. Sein Hauptaugenmerk ist zwar immer noch auf die Befriedigung von Wünschen gerichtet, aber es ist Wissbegier und der [412] Wille, durch Nachforschen, durch scharfsinniges Unterscheiden und Zergliedern mehr Verständnis zu bekommen.

Schliesslich kommt es zur Integration der Persönlichkeit. Der Wille zur Macht erscheint. Das Eigenbewusstsein richtet sich auf die Beherrschung der niederen Natur. Des weiteren strebt er danach, die Umwelt und andere Menschen in grösserer oder kleinerer Anzahl zu beherrschen sowie Situationen zu meistern. Ist dies einmal erfasst und verstanden, dann wendet sich das Interesse dem Bereich der höheren Energien zu, und nun wird die Seele in zunehmendem Masse ein wirksamer und massgebender Faktor, der die Persönlichkeit beherrscht und diszipliniert, und durch den die Umwelt eine völlig neue Auslegung erfährt. So entsteht eine bisher unerkannte Synthese, ein Zusammenschluss zweier Naturreiche, - des menschlichen und des geistigen.

Bei all diesen Vorgängen kommen viele Energien, alle nach Art und Qualität verschieden, miteinander in Berührung. Dieses Zusammentreffen bringt zunächst Chaos, Anarchie und kritische Situationen hervor. Sodann folgt eine Zeit harmonischen Zusammenfügens, organisierter Tätigkeit und einer stärkeren Ausdrucksverleihung der Göttlichkeit. Doch besteht für lange Zeit die Notwendigkeit weiter, Energien und deren rechte Anwendung kennen und würdigen zu lernen.

Nun zu dem zweiten Punkt. Diese inneren Energien kommen miteinander durch Vermittlung des Lebens- oder Ätherkörpers in Berührung. Dieser besteht aus Energieströmen, die sich durch sieben Brennpunkte oder Kraftzentren im Ätherkörper betätigen. Diese Energiezentren befinden sich in der Nähe oder in direkter Beziehung zu den sieben Hauptdrüsen des [413] endokrinen Systems:

1. der Zirbeldrüse,

2. dem Hirnanhang,

3. der Schilddrüse und den Nebenschilddrüsen,

4. der Thymusdrüse,

5. der Bauchspeicheldrüse,

6. den Nebennieren,

7. den Geschlechtsdrüsen.

Die korrespondierenden Zentren sind:

1. das Kopfzentrum,

2. das Ajnazentrum zwischen den Augenbrauen,

3. das Kehlzentrum,

4. das Herzzentrum,

5. das Zentrum des Sonnengeflechts,

6. das Zentrum am Ende der Wirbelsäule,

7. das Sakralzentrum.

Diese Zentren stehen mit dem endokrinen System in enger Beziehung; sie bestimmen dessen Funktion und schaffen, wenn sie aktiv sind, die biologischen Bedingungen, entsprechend der Qualität und Eigenart der Energien, die sie durchfliessen. Darüber habe ich ausführlich in meinen anderen Büchern berichtet, und so will ich hier nicht weiter davon sprechen. Ich möchte lediglich die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass eine Beziehung zwischen den Kraftzentren im Ätherkörper, den Integrations-Prozessen, durch die ein Zentrum nach dem anderen in Tätigkeit kommt, und der endlichen Seelenherrschaft besteht, sobald die ganze Persönlichkeit endgültig geeint wurde.

Die modernen Psychologen werden das Problem des Menschen erst dann lösen und die Methode der Entfaltung und Integration verstehen lernen, wenn sie ihre höchst erstaunlichen Kenntnisse über den niederen Menschen mit einer Interpretation der östlichen Lehre über die Kraftzentren, durch welche die inneren Aspekte des Menschen - die niederen, die persönlichen und die göttlichen - zum Ausdruck kommen sollen, verbinden. Daraus wird ein verständnisvolles Erfassen, eine kluge Lösung der Schwierigkeiten und eine richtige Auslegung der eigenartigen Fälle resultieren, mit denen sie so häufig zu tun haben. Wenn die Psychologen dies akzeptieren und dazu noch die sieben Haupt-Typen studieren, dann wird diese Wissenschaft immer nützlicher und ein Hauptinstrument dafür werden, um den Menschen methodisch zu vervollkommnen. Eine gute Hilfe wird ihnen das Studium der Astrologie sein, wenn sie diese Wissenschaft von dem Standpunkt aus aufnehmen, dass es sich um Energie-Kontakte und um Linien des geringsten Widerstandes [414] handelt, und wenn sie den bestimmenden Einfluss der Sterne mit den Eigenheiten des zu untersuchenden Menschen-Typus vergleichen. Ich denke hier nicht an die Aufstellung eines Horoskops, das die Zukunft aufdecken und das Handeln bestimmen soll. Dieser Aspekt astrologischer Deutungen wird immer wertloser werden, je mehr die Menschen die Fähigkeit erlangen, ihre Sterne zu beherrschen und so ihr Leben zu lenken und zu leiten. Ich denke hier vielmehr daran, dass man die astrologischen Menschentypen, ihre Charakterzüge, Qualitäten und Neigungen erkennen soll.

Wenn wir an die früher gegebene Analyse der verschiedenen Aspekte eines menschlichen Wesens zurückdenken, die sich während des evolutionären Prozesses Schritt um Schritt in eine integrierte Persönlichkeit verschmelzen, so dürfen wir nicht vergessen, dass diese Fusion und die damit verbundenen Veränderungen die Folge einer ständigen Bewusstseinsverlagerung sind. Das Bewusstsein wird zunehmend umfassender. Wir befassen uns hier nicht so sehr mit dem Formaspekt als mit dem bewussten Erkennen des im Körper wohnenden Gastes. Hier liegt unser Problem, und gerade mit dieser Bewusstseinsentwicklung hat sich der Psychologe in erster Linie zu befassen. Vom Gesichtspunkt der allwissenden Seele aus ist das Bewusstsein begrenzt, gestört, einseitig, egozentrisch, verzerrt und launenhaft, und in den Frühstadien irregeleitet. Erst wenn die Entwicklung eine verhältnismässig hohe Stufe erreicht hat und das Dualitätsbewusstsein sich einzustellen beginnt, werden die Probleme akut; grössere Schwierigkeiten und Gefahren treten auf, und der Mensch wird sich seiner Situation bewusst. Vorher sind die Schwierigkeiten anderer Art; sie drehen sich dann grösstenteils um die Ausrüstung des physischen Körpers und betreffen die Schwerfälligkeit der lebenswichtigen Reaktionen sowie die primitiven niederen Begierden der Tiernatur. Ein menschliches Geschöpf ist in diesem Stadium nicht mehr als ein Tier; der bewusste Mensch ist noch tief verborgen und eingekerkert. Das Lebensprinzip und der Lebensdrang [415] stehen beherrschend im Vordergrund, und die Instinktnatur lenkt und bestimmt. Das Sonnengeflecht ist der Sitz des Bewusstseins, Kopf und Gehirn sind noch nicht aktiv.

Ich möchte nochmals daran erinnern (auch wenn ich schon oft davon sprach), dass die Realität, der wir den Namen «Seele» geben, im Grunde ein Produkt dreier Energien ist - Leben, Liebe und Intelligenz. Um diese drei Energien aufnehmen zu können, wurde die dreigeteilte niedere Natur in Bereitschaft gebracht. Der Aspekt der Intelligenz spiegelt sich im Denkvermögen wider, die Liebeskraft im emotionellen Wunschkörper und das Lebensprinzip in und durch den Äther- oder Vitalkörper. Was den physischen Körper in seinem dichteren Aspekt anbelangt (der Ätherkörper ist die feinstoffliche Ausdrucksform des Körpers), so verankert sich die Seele mit zwei Energieströmen an zwei verschiedenen Kontaktstellen: der Lebensstrom im Herzen und der Bewusstseinsstrom im Kopf. Dieser Bewusstseinsaspekt ist an sich zweigeteilt. Was wir Eigenbewusstsein nennen, entwickelt und vervollkommnet sich allmählich, bis das Ajnazentrum, das Zentrum zwischen den Augenbrauen, erweckt ist. Das Gruppenbewusstsein, das die Erkenntnis des grossen Ganzen vermittelt, bleibt für den grössten Teil des Evolutions-Zyklus latent und ruhend; es wird nicht eher aktiv, als bis der Integrationsprozess soweit vorangeschritten ist, dass die Persönlichkeit voll wirksam ist. Dann beginnt das Kopfzentrum aufzuwachen, und der Mensch wird in einem grösseren Umfang bewusst. Dann kommen Kopf- und Herzzentrum miteinander in Verbindung, und nun erscheint der spirituelle Mensch in grösserem Format.

Ich weiss, dass diese Lehre wohlbekannt ist, aber eine kurze Rekapitulation ist ganz gut, um ein klares Bild zu gewinnen. Ohne das oben Gesagte zu vergessen, wollen wir indes auf die Schwierigkeiten der Frühzeit nicht näher eingehen, sondern uns mit den Schwierigkeiten des modernen Menschen und mit jenen betrüblichen Zuständen befassen, mit denen wir leider nur zu sehr vertraut sind.

a) Probleme der Spaltung

Unsere heutigen Denker werden sich dieser besonderen Art von Schwierigkeiten immer mehr bewusst; sie stellen fest, dass die Spaltungen in der menschlichen Natur so weit verbreitet und sogar in der Konstitution der ganzen Menschenrasse so tief eingewurzelt [416] sind, dass sie die Situation mit grosser Besorgnis betrachten. Diese Spaltungen scheinen ein grundsätzliches Phänomen zu sein und bringen die Uneinigkeiten und Absonderungen hervor, die wir unter den Nationen und bei den Religionsgemeinschaften überall antreffen; sie können bis zu jenem fundamentalen Manifestationszustand zurückverfolgt werden, den wir die zusammengehörige Beziehung zwischen positiv und negativ, männlich und weiblich, und - im esoterischen Sinn - Sonne und Mond nennen. Das Mysterium des Geschlechtes selbst ist eng verbunden mit der Wiederherstellung des Sinnes für harmonische Einheit und Ausgeglichenheit, für Eins- oder Ganzwerden. Diese Differenzierung in zwei Geschlechter ist, vom höhermenschlichen Gesichtspunkt aus, nur das Symbol oder die niederste Ausdrucksform der Sonderung oder Spaltung, deren sich der Mystiker bewusst wird und die ihn veranlasst, das Einswerden, die Vereinigung mit dem Göttlichen (wie er es nennt) zu suchen. Zwischen dieser physischen Spaltung und dieser geistigen Erkenntnis der Göttlichkeit liegen zahllose kleinere Trennungserscheinungen, deren sich der Mensch bewusst wird.

Hinter all dem besteht eine noch weit fundamentalere Spaltung, - die zwischen dem Menschen- und dem Seelenreich -, die mehr im Bewusstsein als tatsächlich vorhanden ist. Die Scheidelinie zwischen Tier- und Menschenreich ist weitgehend durch die Erkenntnis beseitigt worden, dass Tier und Mensch physisch gleich sind und dass die Instinktnatur beider in gleicher Weise zum Ausdruck kommt. Innerhalb der menschlichen Familie werden verschiedene Spaltungen, deren sich der Mensch so schmerzlich bewusst ist, überbrückt und beendet werden, wenn das Denkvermögen so weit geschult ist, dass es im Persönlichkeitsbereich die Leitung und Vorherrschaft bekommt und in rechter Weise als ein analytisch-integrierender Faktor benützt wird, anstatt als Werkzeug der Kritik, der Entzweiung und separatistischer Tendenzen zu fungieren. Die richtige Benutzung der Verstandeskräfte ist für die Heilung der Persönlichkeits-Spaltung von wesentlicher Bedeutung. Der Trennungszustand zwischen Persönlichkeit und Seele wird beseitigt:

1. Durch richtiges, instinktives Empfinden für Göttlichkeit, das [417] zu einer Neuorientierung in der rechten Richtung führt. Dies bringt mit sich:

2. Intelligente Verwendung der Denkkraft, so dass der Mensch bewusst die Seele wahrnimmt und die Gesetze erkennt, welche die Seelenentfaltung bestimmen.

3. Durch intuitives Erkennen der Wirklichkeit; die unterschiedlichen Teile werden zur Einheit, und daraus kommt Erleuchtung.

4. Diese Erleuchtung enthüllt das essentielle Einssein, das auf der inneren Seite des Lebens besteht, und macht den äusseren Anschein der Getrenntheit zunichte.

Somit wird es klar, dass die Spaltungen durch richtige und überlegte Anwendung des Qualitätsaspekts der Formnatur «geheilt» werden.

1. Instinkt ist das Kennzeichen der automatisch arbeitenden physischen Natur, des Vital- oder Lebenskörpers und der Wunschnatur. Instinkt betätigt sich durch das Sonnengeflecht und die Fortpflanzungs-Organe.

2. Intelligenz ist das Kennzeichen des Denk-Aspekts oder Mentalkörpers und wirkt durch die Vermittlerstelle Gehirn sowie durch das Ajna- und Kehlzentrum.

3. Intuition ist das Kennzeichen der Seelennatur und wirkt durch die höheren Denkkräfte, das Herz- und Kopfzentrum. Von diesen drei Hauptstützpunkten aus beherrscht die Seele schliesslich die Persönlichkeit.

Ich empfehle diese Gedanken sorgfältiger Beachtung und gebe die Versicherung, dass sie, richtig verstanden, zur Lösung der Probleme verhelfen werden, die mit den verschiedenen Spaltungen in der menschlichen Natur zusammenhängen.

Es gibt heute kein wirkliches Getrenntsein mehr zwischen dem vitalen und dem physischen Körper. Gelegentlich ist ein teilweiser Trennungszustand vorhanden, den man ein «lockeres Verbundensein» nennen kann. Die beiden Ströme der Lebensenergie - Leben [418] und Bewusstsein - sind für gewöhnlich im Kopf und im Herzen verankert. In gewissen Fällen von Idiotie ist jedoch gar kein Bewusstseinsstrom im Körper verankert, nur der Lebensstrom hat im Herzen Kontakt. Daher fehlt hier jegliches Eigenbewusstsein und das Vermögen einer zentralen Kontrolle; ein Idiot besitzt daher auch nicht die Fähigkeit, seine Handlungsweise zu bestimmen oder ein Lebensprogramm aufzustellen oder einen Plan zu machen. Er reagiert nur auf Aspekte seiner Instinktnatur.

Gewisse Formen von Epilepsie sind eine Folge dieses «lockeren Verbundenseins», wie wir es nannten. Der Bewusstseinsfluss oder Energie-Faden hat manchmal die Neigung, zurückzuweichen, sich zurückzuziehen, und dies ruft die bekannten epileptischen Symptome und qualvollen Zustände des üblichen Anfalls hervor. Dieselbe Grundursache ruft, nur in geringerem Grade und ohne gefährlichen Dauerschaden zu verursachen, die «petit mala» - Krämpfe und gewisse Ohnmachtsfälle hervor; diese entstehen dadurch, dass sich der Faden der Bewusstseins-Energie für kurze Zeit und vorübergehend zurückzieht. Wenn dies stattfindet und eine Trennung des Bewusstseins von dem Körper, dem Instrument bewusster Kontakte, erfolgt, dann ist all das, was wir unter «Bewusstsein» verstehen, wie Eigen-Bewusstsein, Wunschregung und Intelligenz, abgetrennt und was zurückbleibt ist nur jenes Bewusstsein, das in den Zellen des physischen Körpers lebt.

In der Regel besitzt jedoch der heutige Durchschnittsmensch ein festverbundenes, gutfunktionierendes Gefüge, was sowohl für die unentwickelten Massen zutrifft, wie für die materialistisch eingestellten Weltbürger. Der Durchschnittsmensch ist physisch, ätherisch und emotionell fest integriert. Sein physischer Körper, sein Vitalkörper und seine Wunschnatur (Gefühle sind ja nur der Ausdruck von Wünschen aller Art) sind fest miteinander verbunden. Dennoch kann es sein, dass die ätherische Integration schwach ist, was sich als schwache Lebenskraft, als Mangel an Wunschimpulsen, als Unvermögen, dynamische Ansporne entsprechend zu registrieren, als Unreife und manchmal als Besessenheit oder fixe Idee auswirkt. Ein [419] sogenannter Willensmangel und die Kennzeichnung eines Menschen als «willensschwach» oder «charakterschwach» hat häufig gar nichts mit dem Willen zu tun, sondern kann sehr wohl das Resultat einer schwachen Integration und einer lockeren Verbindung zwischen Bewusstsein und Gehirn sein. Das macht diesen Menschen unempfindlich für Wunschimpulse, die normalerweise zum Gehirn strömen und den Körper zu irgend einer Art von Betätigung anspornen sollten.

Der Wille, der sich gewöhnlich durch ein Programm oder einen geordneten Plan bekundet, hat seinen Sitz im Denkvermögen, und nicht im Bewusstseinsbereich der Wünsche und Begierden. Ein solches Arbeitsprogramm gründet sich auf das Streben in einer bestimmten Richtung, auf die zielbewusste Einstellung des Willens auf ein erkanntes Ziel; in solchen Fällen ist nicht der Wille die Ursache der Schwierigkeiten. Das Übel ist viel einfacher und die Erklärung liegt viel näher. Diese Störungen sind unverkennbar zellularer Natur und müssen dementsprechend richtig behandelt und behoben werden. Die geschwächte Konstitution eines solchen Patienten bessert sich, wenn seine Vitalität gesteigert und wenn sein Ätherkörper durch Sonne, vitaminreiche Nahrung, Körperbewegung und Verabreichung von Hormonen, die das endokrine System ins Gleichgewicht bringen, behandelt wird. In dieser Richtung wird heutzutage viel geleistet, und so erklärt es sich, dass die weniger ernsten Fälle gelockerter Verbindung mit dem Ätherkörper gut und schnell auf Therapie ansprechen. Mangel an Vitalität, fehlende Reife, Niedergeschlagenheit und Abspannung, die auf einer schwachen Bindung des Vitalkörpers basieren, und der heute so weit verbreitete Mangel an Interesse für das Leben werden dann weniger oft auftreten.

Ich kann hier nicht ausführlich die Probleme der Besessenheit erörtern, die dadurch entstehen, dass sich das Eigenbewusstsein des inkarnierten Körperbewohners (der Seele) zurückzieht. Nach einem solch totalen Auszug bleibt nur ein lebendes Gehäuse, ein leeres Haus zurück. Für eine ausführliche Behandlung dieses Themas müssten allzuviele Einzelheiten berücksichtigt und besprochen werden, was im Rahmen dieser Abhandlung nicht vorgesehen ist. Es ist für einen wissenschaftlich geschulten Psychologen nicht leicht, die These zu akzeptieren, dass das Bewusstsein einer fremden Wesenheit [420] sich an die Stelle des Originalbewusstsein eines Menschen setzen kann, der nicht imstande war, die Verbindung mit seinem Gehirn genügend fest und hartnäckig aufrecht zu erhalten. Doch ereignen sich solche Fälle häufig (ich sage das als Kenner) und bringen viele Probleme der sogenannten «gespaltenen Persönlichkeit» mit sich. Hier handelt es sich in Wirklichkeit darum, dass zwei Personen einen bestimmten Körper in Beschlag genommen haben; die eine Person steuert den Lebensstrom bei (der im Herzen verankert ist), die andere liefert den Bewusstseinsstrom (der im Gehirn verankert ist) und hat damit die Macht über den Körper, lenkt dessen Tätigkeiten und kann sich durch das Sprachwerkzeug Ausdruck verschaffen. Manchmal wechseln sich die beiden Individuen in diesem Besessenheits-Modus ab. Es können auch mehr als zwei Individuen dabei beteiligt sein, sodass mehrere Personen auf der inneren Seite des Lebens denselben physischen Körper benützen. Dann haben wir das Phänomen der multiplen, vielfachen Persönlichkeit. Dieser Zustand kommt daher, dass der Originalbewohner eine ausgesprochen schwache Verbindung mit dem Ätherkörper hat; es mag auch sein, dass diese menschliche Seele eine starke Abneigung gegen physische Inkarnation hat. Es kann auch die Folge eines Nervenschocks oder eines Unglücksfalles sein, wodurch das Bewusstseinsband plötzlich zerriss; in diesem Fall besteht keine Hoffnung auf Genesung. Jeder einzelne Patient muss als Sonderfall diagnostiziert und nach individuellen Symptomen behandelt werden, wobei man sich am besten mit dem wirklichen, ursprünglichen Bewohner befasst, und zwar wenn er «zu Hause, in seiner eigenen Behausung» ist. Manchmal ist das Bewusstsein dieser Menschenseele so stark anderswohin als zur physischen Existenz hin gerichtet, dass es davon völlig abgezogen ist und sein Interesse bewusst auf andere Dinge konzentriert. Dieser Zustand ist die unerwünschte Seite oder Auswirkung derselben Abstraktionskraft, die den Mystiker befähigt, seine Visionen zu erschauen und an Ereignissen im Himmel teilzunehmen und die es dem fortgeschrittenen Adepten ermöglicht, in den Zustand von Samadhi einzugehen. Im ersten Fall bleibt der Körper unbewacht und wird die Beute irgend eines herumstreifenden Besuchers. Im zweiten Fall ist der Körper gebührend behütet und er merkt es unbedingt und sofort, wenn sein Besitzer ruft oder seine Eigenschwingung geltend macht.

Es ist mir nicht möglich, mehr als diese angedeuteten Erklärungen [421] zu geben. Vorurteilslose Forscher, die bereit sind, ungewöhnliche Hypothesen zu akzeptieren, mögen die Spur weiter verfolgen, die ihnen grösseres Verstehen bringen könnte. Für eine erfolgversprechende Beseitigung dieser pathologischen Zustände sind vorgeburtliche Pflege und ein Studium der erblichen Belastung von wesentlicher Bedeutung; Syphilis und die übrigen Geschlechtskrankheiten sind stark prädisponierende Ursachen. Richtige Körperpflege nach der Geburt und die Entfaltung positiven Selbstgefühls im Kind, so dass es im Denken selbstsicher wird und sein Individualitäts-Empfinden ausbildet - all dies sind gesunde Hilfsmassnahmen, um die genannten Störungen zum Verschwinden zu bringen. Die heutige Tendenz, vitaminreiche Kost und eine angepasste Diät zu verordnen, ist gut.

Echtes Empfinden von Zwiespältigkeit und wirklich ernste Schwierigkeiten treten indes dann auf, wenn sich zwei Vorfälle ereignet haben. Man könnte diese folgendermassen beschreiben:

1. Das Eigenbewusstsein eines Menschen erreichte einen Punkt, an dem seine Wünsche so mächtig und zwingend werden, dass er sich ihrer Stärke bewusst wird. Gleichzeitig erkennt er klar sein Unvermögen, diese Wünsche wirklich zu befriedigen. Überdies verspürt er, dass in ihm ein Element oder Aspekt lebt, der sich der Wunscherfüllung entgegenstellt. Ein Gefühl der Ohnmacht und Unzulänglichkeit überkommt ihn, und er wird sich schmerzlich der Wünsche und dessen bewusst, was aus ihm werden würde, wenn sie wirklich alle befriedigt würden. Er wird dann in zwei Richtungen hin- und hergezogen: sein Wunschdenken lässt ihn in Gefilden der Sehnsucht, hoffnungsvoller Erwartung und begehrlichen Verlangens schwelgen, während sein Gehirn und seine körperliche Verfassung ihm die Überzeugung geben, dass keiner seiner Wünsche erfüllbar ist und selbst wenn das möglich wäre: verlangt er innerlich wirklich danach? Das ist die Situation des Menschen, der das eine Ziel hat, seine Sehnsucht nach materiellen Dingen erfüllt zu sehen, oder eines Menschen, der dem Verlangen nach intellektueller oder spiritueller Befriedigung nachgibt. In dem [422] einen Fall tritt der Zwiespalt in den niederen Aspekten seiner Wunschnatur zutage; in dem anderen Fall zeigt sie sich in den höheren Aspekten, doch sind in beiden Fällen die Trennungslinien offensichtlich. Der Konflikt hat begonnen und es gibt nun zwei Möglichkeiten:

a) Der Mensch findet sich drein. Sein Leben endet mit einem Gefühl der Nutzlosigkeit, tiefer Depression und Enttäuschung, das alle Grade einer hin- und angenommenen Unterwerfung bis zu den vielen Fluchtsymptomen durchläuft, die einen Menschen in die Welt der Träume und Illusionen, in einen negativen Zustand und sogar bis zur Selbstvernichtung in den Tod treiben.

b) Es kommt zu einem leidenschaftlichen Kampf, da es der Mensch ablehnt, sich durch Umstände oder seine Umwelt formen und modeln zu lassen. Das treibt ihn zu Erfolgen und bringt ihm die Erfüllung seiner Wünsche, oder es bricht ihm das Steuerrad seines Lebens, sei es physisch oder geistig.

2. Ein Zustand der Spaltung tritt ferner ein, wenn der Mensch seinen ihm von Gott gegebenen Intellekt nicht gebraucht und unfähig ist, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen richtiger Orientierung und falschen Zielen zu wählen oder unter den verschiedenen Arten von Befriedigung, die seiner niederen Natur zusagen, eine Wahl zu treffen und schliesslich zu entscheiden, ob er die niedere oder die höhere Dualität vorzieht. Er muss unterscheiden lernen:

a) Zwischen der Ergebung ins Unvermeidliche und dem Nachgeben gegenüber dem Drang der eigenen persönlichen Wünsche.

b) Zwischen tatsächlich vorhandener Leistungsfähigkeit und möglichen Fortschritten. Viele Konflikte könnten gelöst werden, wenn alle als vorhanden erkannten Werte verstanden und richtig herangezogen würden, so dass unmögliche Zielsetzungen, die unvermeidlich zum Misserfolg führen, vermieden würden. Wenn einmal dieser Teil [423] des Konfliktes überwunden ist, dann können die entwicklungsfähigen Anlagen zu ihrem Recht kommen und kraftvoll in die Tat umgesetzt werden.

c) Zwischen den Zielen eines einzelnen und denen einer Gruppe, zwischen sozialer und antisozialer Haltung. In dieser Richtung ist schon vieles unternommen worden, doch wird der Nachdruck immer noch auf den einzelnen und nicht auf die Gruppe gelegt. Solange noch dieser Übelstand besteht, machen wir uns für die Existenz antisozialer Gruppen verantwortlich.

Ich habe hier nur drei von den zahlreichen möglichen Erkenntnissen erwähnt. Wenn man die Spaltung, die dahinter steckt, beheben kann, werden sehr viele Menschen, die darunter leiden, davon befreit werden. Man könnte vielleicht sagen, dass viele Patienten, deren Zwiespältigkeit hauptsächlich in der Wunschnatur liegt, was zu einem Gefühl der Aussichtslosigkeit und zu völliger Interesselosigkeit am Leben führt, durch folgende Therapie geheilt werden können:

1. Man muss in erster Linie den Körper und die innersekretorischen Drüsen, insbesondere die Schilddrüsen behandeln und die Diät regulieren.

2. Man muss beim Patienten die harmonische Zusammenarbeit der Organe fördern. Die Harmonie in der physiologischen Körpertätigkeit ist eine äussere Parallele des inneren Integrationsprozesses. Hier kann durch richtige Schulung viel getan werden.

3. Man muss dem Patienten sein Leben und seine Umwelt so erklären und darstellen, dass er es richtig einschätzt und zu würdigen weiss. Dieser Rat verdient Beachtung.

4. Man muss die Gedanken und Interessen des Patienten von sich ablenken:

a) Durch Aufzeigen der richtigen Interessengebiete, durch geeignete Erziehung und Berufsschulung.

b) Durch Ausbildung der Fähigkeit, die Bedürfnisse der Umwelt zu erkennen und zu beheben. Dadurch wird der Wunsch, Dienst zu tun, geweckt, was ein Gefühl der Befriedigung verschafft, das der vollbrachten Leistung und der entgegengebrachten Wertschätzung entspringt.

c) Durch sorgfältige, langsame Umwandlung von Wünschen [424] und Begierden in geistiges Höherstreben.

5. Man muss den Patienten auf höhere Ziele hinweisen und in ihm den Sinn für die rechte Richtung entwickeln. Das bedingt und umfasst

a) die Pflege einer umfassenderen geistigen Schau;

b) die Aufstellung eines klug ausgewählten inneren Programms, das der gegebenen Entwicklungsstufe angepasst ist, aber nicht so fortgeschritten sein darf, dass es den Rahmen des Möglichen übersteigt;

c) das Vermeiden solcher Massnahmen und Tätigkeiten, die von vornherein zum Misserfolg verurteilt sind.

6. Man muss später, wenn das bisher Gesagte erfasst ist, nach irgend einer schöpferischen Fähigkeit Ausschau halten und sie entwickeln. Dadurch wird dem Wunsch, beachtet zu werden und einen Beitrag zu liefern, entsprochen. Viele künstlerische Bestrebungen, ebenso literarische und musikalische Beiträge sind aus dem Wunsch geboren, ein Mittelpunkt der Beachtung zu werden, und sind weniger auf echte schöpferische Qualität aufgebaut. Es herrscht hier das Gefühl vor, das in dem Satz «Ich, der dramatische Schauspieler» zum Ausdruck kommt. Wenn eine solche Fähigkeit in rechter Weise genützt und entwickelt wird, ist sie von wirklichem Wert und Belang.

7. Man muss endlich das Gefühl von Sünde und Missbilligung mit all ihren Begleitumständen, wie inneres Revoltieren, Misstrauen und Minderwertigkeitskomplexe abbauen und ausmerzen.

Ich habe das Empfinden, den einen Punkt immer wieder nachdrücklich betonen zu müssen, wenn wir über den Menschen, seine Wesensäusserung und seine Existenz sprechen, nämlich, dass wir uns tatsächlich mit Energie befassen, und dass wir aufmerksam die Beziehung oder Beziehungslosigkeit von Kräften betrachten. Solange wir uns dies sorgfältig vor Augen halten, werden wir von unserem Thema nicht abkommen. Wir erforschen Energie-Einheiten, die zueinander Beziehungen haben und in einem Energiefeld sich betätigen. Wenn wir dies stets beachten, so werden wir (wenigstens symbolisch) imstande sein, ein ziemlich klares Bild über unser Thema zu bekommen. Solange wir unser Problem so ansehen, dass es sich dabei um die Wechselbeziehungen vieler Energien, deren Verschmelzung und Ausbalancierung handelt, und dass es auch die [425] endgültige Synthese zweier Hauptenergien sowie deren Verschmelzung und Ausgleichung umfasst, werden wir dieses Problem einigermassen verstehen und dann auch eine Lösung finden. Das Energiefeld, das wir Seele nennen - die Hauptenergie, die für den Menschen in Betracht kommt - absorbiert, beherrscht und macht sich die Energien von geringerer Stärke, die wir die Persönlichkeit nennen, zunutze. Das müssen wir klar erfassen. Wir müssen uns ferner stets vor Augen halten, dass diese Persönlichkeit selbst aus vier Energie-Arten besteht. Je nach dem Strahl, dem wir zugehören, werden wir auch die Worte «absorbiert, beherrscht und macht sich zunutze» anwenden. Ich muss hier nochmals an die oft gemachte Bemerkung erinnern, dass uns die Worte fehlen, um alles klar auszudrücken; die Sprache ist eher ein Hindernis als ein Hilfsmittel, um das, was mir vorschwebt, verständlich zu machen. Die Gedanken des Menschen dringen nun in eine Region ein, für die es noch keine richtige Sprachform gibt. Die entsprechenden Ausdrücke sind noch nicht geprägt, und Wortbilder besagen nur wenig. Wie die Erfindung des Automobils und Radios eine Reihe ganz neuer Fachausdrücke und Redewendungen, neuer Haupt- und Zeitwörter notwendig machte, genau so wird die Entdeckung, dass eine Seele tatsächlich existiert, ganz neue sprachliche Formulierungen notwendig machen. Würde nicht ein Mensch aus dem vorigen Jahrhundert, der die technischen Fachausdrücke in einer heutigen Radiowerkstatt oder Garage hören würde, völlig im Dunkeln bleiben? In gleicher Weise tappe der Psychologe unserer Tage so oft im Dunkeln und kann nicht erfassen, was wir ihm vermitteln möchten, weil die neuen Worte noch nicht geprägt sind und die alten Begriffe nicht mehr genügen. Es bleibt mir daher, wohl oder übel, nichts anderes übrig, als solche Worte zu benutzen, die mir am passendsten erscheinen, obwohl ich weiss, dass ich damit die volle Bedeutung meiner Gedanken und Vorstellungen nicht auszudrücken vermag. Das bringt es mit sich, dass meine Leser nur ein ungefähres Bild von meinen Gedankengängen gewinnen können, die zu erklären und auszulegen ich bemüht bin.

Wir haben bereits ein wenig das Problem der Spaltungen, denen der Mensch unterworfen ist, betrachtet und gesehen, dass der menschliche [426] Entwicklungsprozess im Grunde genommen eine Reihe von Integrationen ist. Jeder Schritt vorwärts bedeutet das Zusammenbringen gewisser Energiearten, aus deren Verschmelzung ein Mensch hervorgeht, der vollständiger, weiter vervollkommnet ist. Ich möchte hier eine interessante Bemerkung einschieben. Das Problem entsteht überhaupt erst dadurch, dass es einen Beobachter gibt. Dieser Beobachter kommt, wenn in der normalen Entwicklung des Menschen gewisse Marksteine erreicht sind, zu der Erkenntnis, dass da Spaltungen existieren. Er leidet darunter, da er sie in seinem Eigenbewusstsein verspürt. Er erkennt, dass er das Opfer der Spaltungen in seiner Natur ist. Aber der Mensch auf der physischen Ebene - und das ist der wesentliche Punkt - ist völlig ausserstande, diese Spaltungen zu verstehen oder gar zu heilen; er benötigt hierfür die Hilfe der Seele, des Beobachters, seines eigenen höheren Aspektes. Ein Beispiel: ein Mensch, der unter dem Zwiespalt zwischen seiner emotionellen Gefühlsnatur und seinem Mentalaspekt leidet, ist sich dieser Bedrängnis, seines vergeblichen Mühens, seines intensiven Leidens und seiner Notlage klar bewusst. Er braucht die verständnisvolle Hilfe eines geschulten Psychologen oder seiner eigenen Seele, bevor eine Verschmelzung stattfinden kann, durch die er als Einzelwesen «ganz und heil» werden kann.

Das trifft für alle Spaltungen zu, die im Menschen vorkommen, doch sind drei besonders wichtig:

1. Die Spaltung zwischen dem Denkvermögen und den übrigen Aspekten der niederen Natur - der physischen, vitalen und astralen oder emotionellen.

2. Die Spaltung zwischen dem Menschen und seiner Umgebung. Wenn dieser Zwiespalt einmal geheilt und überbrückt ist, resultiert ein Mensch mit Verantwortungsgefühl, ein guter Bürger, der seine Umwelt nimmt, wie sie ist, und ihr sein Bestes gibt. So entwickelt sich durch die systematische Wechselwirkung zweier Faktoren - der eigenen Person und der Umwelt - sein Charakter und seine Leistungsfähigkeit.

3. Die [427] Spaltung zwischen dem Menschen (als Persönlichkeit) und der Seele. Diese Spaltung hat zwei Auswirkungen:

a) sie erschafft eine herrsch- und selbstsüchtige Persönlichkeit;

b) sie bringt einen praktischen Mystiker hervor, der sich bewusst ist, wie notwendig für ihn Fusion und Einheit sind.

Parallelen zu diesen Bewusstseinszuständen finden sich beim Jugendlichen. Sie sind auch beim Erwachsenen vorhanden, der mit seiner Lebensarbeit immer mehr verwächst, und ebenso beim denkenden Aspiranten. Das gilt in gleicher Weise für den Menschen, dessen Gedanken, Absichten und Bestrebungen entweder selbstsüchtig oder aber auf geistige Dinge gerichtet sind. Das Gefühl einer vorhandenen Spaltung, die Notwendigkeit, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, der Prozess, der Spaltung überbrückt, und am Ende die Empfindung, etwas erreicht zu haben - dieser Verlauf ist in beiden Fällen der gleiche.

Der Psychologe, der mit diesen Situationen zu tun hat, sollte sich von gewissen allgemeinen Regeln leiten lassen; und der betreffende Patient sollte schliesslich gewisse allgemeine Voraussetzungen akzeptieren. Derjenige, der ohne die Hilfe eines geschulten Psychologen darangeht, sich selbst zu schulen, um die von ihm erkannten Spaltungen zu überbrücken, kann dieselben Regeln und Voraussetzungen heranziehen und annehmen. Diese grundlegenden Voraussetzungen sind folgende:

1. Schwierigkeiten psychologischer Art gibt es überall in der Welt, sind also kein Einzelfall. Dieses Gefühl, ein Einzelfall zu sein, - mit seiner Eigenbrötelei und eingebildeten Vereinsamung - ist oft derjenige Faktor, der die Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nimmt; er nimmt die Persönlichkeit zu wichtig, und man sollte diesem Gefühl ganz entschieden entgegenwirken.

2. Die eingetretene Krise ist ein Zeichen von Fortschritt und eine sich bietenden Gelegenheit, nicht ein Unheil oder Misserfolg. Der Patient (wie ich ihn nenne) muss belehrt werden, dass die Menschheit gerade durch solche Krisen bis zu ihrer gegenwärtigen Evolutionsstufe fortgeschritten ist. In der gleichen Weise macht der Einzelmensch Fortschritte. Im Grunde genommen sind psychologische Krisen ein Anzeichen dafür, dass auf dem Entwicklungswege Fortschritte erzielt wurden. Das bringt notwendigerweise Anstrengungen mit sich, schenkt aber [428] auch gleichzeitig das Gefühl, etwas gewonnen zu haben und mehr Freiheit zu besitzen, sobald die Krisen ausgefochten, überwunden und behoben sind.

3. Die Kraft, um die nötige Integration zu erlangen und den Zyklus des empfundenen Zwiespalts zu beenden, liegt im Menschen selbst, denn:

a) All sein Unbehagen, seine mangelhafte Koordinierung, sein Schmerz und sein Kummer sind ja die Symptome des Höherstrebens, die vielleicht als solche nicht erkannt werden, aber trotzdem vorhanden sind. Diese Symptome sind die Reaktion der bereits integrierten Aspekte oder Teile auf jenen Aspekt, der nach Integration verlangt.

b) Der Aspekt, der integriert werden soll, ist wesentlich stärker als die niederen wartenden Aspekte, denn diese sind negativ oder empfangsbereit, wogegen der Aspekt, der erfasst und aufgenommen werden soll, positiv und voller Energie ist. Daraus erklärt sich das Gefühl des Unbehagens.

4. Die dem Menschen angeborene Vorstellungskraft oder schöpferische Fähigkeit, so zu handeln «als ob», ist der Schlüssel zur Lösung des Problems. Durch Anwendung der schöpferischen Vorstellungskraft kann zwischen dem niederen und dem höheren Aspekt eine Brücke gespannt und aufgebaut werden. «Wie ein Mensch denkt, hofft und will», so ist er Diese Feststellung ist eine unwandelbare Tatsache.