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Ein Ruf zum Dienst

Zum Abschluss dieser Abhandlung über das magische Wirken des einzelnen Aspiranten möchte ich zweierlei tun:

1. Den Studierenden dieses Jahrhunderts das unmittelbare Ziel aufzeigen und die Schritte aufzählen, die sie unternehmen müssen.

2. Auf das, was ausgemerzt und überwunden werden muss sowie auf die Strafen hinweisen, die den Anfänger und Jünger treffen, wenn Irrtümer begangen und Fehler entschuldigt werden.

Zu allererst muss das unmittelbare Ziel gut erkannt werden, wenn man keine Mühe verlieren und wirkliche Fortschritte erzielen will. Viele gutwillige Aspiranten sind geneigt, den verspürten Aspirationen und der Ausgestaltung ihrer Dienstpläne ungebührlich viel Zeit zu widmen. Das geistige Streben in der Welt ist jetzt so stark, und die Menschheit wendet sich jetzt so intensiv dem Pfad zu, dass feinfühlige Menschen allenthalben in einen Strudel geistigen Verlangens geschleudert werden und sich brennend nach einem Leben der Befreiung, geistiger Unternehmungen und erlebten Seelenbewusstseins sehnen. Die Erkenntnis der in ihnen ruhenden Möglichkeiten ist jetzt so stark, dass sie sich selbst überschätzen; sie verwenden viel Zeit darauf, sich selbst als ideale Mystiker vorzustellen, oder ihre mangelhaften geistigen Fortschritte oder den Umstand zu beklagen, dass sie unfähig sind, sich einen Dienstbereich zu schaffen. So verlieren sie sich auf der einen Seite in den verschwommenen, nebelhaften Regionen eines schönen Idealismus, farbenprächtiger Hypothesen und grossartiger Theorien; andererseits werden sie dazu verleitet, sich selbst dramatisch als Kraftzentren in einem Bereich fruchtbaren Dienstes zu empfinden; sie [619] entwerfen in Gedanken Pläne für weltweite Aktionen, in denen sie sich als Angelpunkte sehen, um die sich dieser Dienst dreht; sie bemühen sich häufig, diese Pläne auszuarbeiten und - zum Beispiel auf der physischen Ebene - eine Organisation ins Leben zu rufen, die möglicherweise wertvoll ist, aber ebenso möglicherweise nutzlos, wenn nicht gar gefährlich sein kann. Sie können nicht erkennen, dass der bewegende Impuls hauptsächlich daraus herrührt, was die Hindulehrer ein «Gefühl der Ichheit» nennen, und dass sich ihr Werk auf einen subjektiven Egoismus gründet, der ausgeschaltet werden muss - und wird -, bevor ein echter Dienst geleistet werden kann.

Diese Neigung zu geistigem Streben und zum Dienst ist richtig und gut, und sollte als ein Teil des kommenden Universalbewusstseins und der Ausrüstung der Gesamtmenschheit betrachtet werden. Sie kommt immer mehr an die Oberfläche, da jetzt der Wassermanneinfluss an Stärke zunimmt; dieser hat (ungefähr seit dem Jahr 1640 n. Chr.) an Wirkungskraft gewonnen und bringt zweierlei mit sich: er zerbricht die kristallisierten, alten Formen des Fischezeitalters und regt die schöpferischen Fähigkeiten an, die in Gruppenideen und Gruppenplänen zum Ausdruck kommen. Wie ihr alle wohl wisst, ist das die Ursache für die gegenwärtigen verwirrten Zustände, und diese Zustände können mit folgenden Worten zusammengefasst werden: Hintanstellung der Persönlichkeit, das heisst der Zustand, in dem der Staat, die Gruppe oder die Gruppen für wichtiger angesehen werden als der Einzelne und seine Rechte; Verschmelzung) das heisst die Tendenz zu verschmelzen, zu vereinigen und zusammenzuhalten und jene Wechselbeziehung herzustellen, die schliesslich den Verkehr aller Menschen untereinander kennzeichnen und jene «Synthese all der einzeln stehenden Menschen» mit sich bringen wird, was - wie Browning so richtig bemerkt - das Ziel des Evolutionsvorganges ist und das Ende der Wanderschaft des göttlichen, verlorenen Sohnes bedeutet; und feinfühlige wechselseitige Verbundenheit zwischen Einzelwesen, Gruppen und Gruppenverbänden - sowohl auf der subjektiven als auch auf der objektiven Seite der Erscheinungswelt. In diesen drei Begriffen - Hintanstellung der Persönlichkeit, Verschmelzung und wechselseitige Verbundenheit - sind für euch die hervorstechenden [620] Erscheinungen zusammengefasst, die heute unter uns zutage treten. Die Schüler werden dringend gebeten, den Plan in diesen Äusserungen zu erkennen und diese wachsenden Tendenzen in den menschlichen Angelegenheiten genau zu beobachten. Die Tatsache, dass sie so bedeutend sind, wird sichtbar werden, wenn der Schüler sich die Mühe nimmt, das Panorama der Geschichte zu betrachten; er wird dann bemerken, wie gerade die Geschichte der Zeit vor fünfhundert Jahren ihm die Tatsache offenbart, dass damals grosse Individualitäten die massgebenden Faktoren waren, und dass die Geschichte sich weitgehend mit den Taten mächtiger Persönlichkeiten befasst, die ihren Zauber über ihre Zeit und Epoche werfen; damals herrschte Absonderung und Getrenntheit in den Menschheitsangelegenheiten; jeder kämpfte für sein eigenes Land, jeder vergass seinen Bruder und lebte selbstsüchtig; es gab damals kaum Beziehungen zwischen den verschiedenen Rassen oder zwischen menschlichen Familien, und es gab keine wirklichen Verkehrs- und Verbindungsmittel ausser der persönlichen Fühlungnahme, die häufig unmöglich war.

Die Schüler sollten darum über die Worte nachdenken, die in den nächsten fünfzig Jahren immer grössere Bedeutung erlangen werden. Für die Durchschnittsschüler ist das ein Zeitraum, der genügend weit in die Zukunft reicht, um vorauszuschauen und zu planen; während sie nun die Auswirkung der göttlichen Absicht in diesem Zeitabschnitt erkennen, würden sie gut daran tun, ihre persönlichen Lebensäusserungen zu studieren und sich die folgenden Fragen zu stellen:

1. Vergeude ich meine Zeit mit mystischen Träumen, oder beschäftige ich mich mit einer praktischen Anwendung der empfundenen geistigen Wahrheiten und mache ich sie so zu einem Teil meiner Alltags-Erfahrung?

2. Stelle ich fest, dass ich auf die zunehmende Unpersönlichkeit des Zeitalters mit Verstimmung reagiere, oder finde ich, dass diese verhältnismässig neue Haltung persönlichen Abstandnehmens dazu führt, meine eigenen, persönlichen Probleme zu lösen?

3. Kann ich [621] bei mir feststellen, dass meine Fähigkeit wächst, die Gedanken und Ideen anderer zu spüren, und bemerke ich, dass ich feinfühliger werde und daher besser imstande bin, mich in die grosse Strömung der wechselseitigen Verbundenheit mit einzuschalten?

4. Wie weit beherrscht die Anlage zur dramatischen Gestaltung mein tägliches Leben? Sehe ich mich als das Zentrum des Alls, das mich automatisch umkreist, oder arbeite ich an dem Problem, mich aus dem Mittelpunkt abzusetzen und im Ganzen aufzugehen?

Diese und andere aufkommenden Fragen können dazu dienen, die Aufgeschlossenheit des Aspiranten gegenüber dem kommenden neuen Zeitalter anzuzeigen. In dieser Abhandlung über die Entwicklung des Einzelmenschen und die Beherrschung des Astralen ist ein geistiges Bild gegeben und eine Lebensregel ausgedeutet worden, welche die nötige Unterweisung für die Zwischenzeit zwischen den beiden grossen Zeitaltern - dem Fische- und dem Wassermannzeitalter - enthält. Ein Teil der zugrundeliegenden Absicht ist in Worten ausgesprochen worden - einer Absicht, die von vielen Menschen in der ganzen Welt erkannt wird und die sich praktisch auf jedem Gebiet menschlichen Lebens auswirkt. Sie wird unterbewusst wahrgenommen und von vielen intuitiv befolgt, die nichts von den technischen Einzelheiten des Planes wissen. Die Menschheitsführer kümmern sich nicht sonderlich um den Erfolg der neu in Erscheinung tretenden Situationen. Dieser Erfolg ist absolut gesichert; das Wachstum menschlicher Erkenntnis und des geistigen Bewusstseins für Gemeinschaft kann nicht aufgehalten werden. Das Problem liegt darin, welche Mittel weiterhin anzuwenden sind, um diese erwünschten Ziele in einer solchen Weise herbeizuführen, dass die Formnatur verfeinert und dafür vorbereitet wird, ihre neuen Verantwortlichkeiten zu tragen und mit ihren neuen Kenntnissen umzugehen, und zwar ohne übermässiges Leiden und ohne jene schmerzvolle Zerrissenheit und qualvollen Stunden, die mehr Aufmerksamkeit beanspruchen als das feinere und erfolgreichere Wachstum [622] göttlichen Gewahrseins. Jedesmal, wenn in der Welt eine Neigung zu Synthese und Verständnis besteht, immer, wenn das Kleinere im Grösseren aufgeht und die Einheit mit dem Ganzen verschmilzt, und immer wenn grosse und universelle Ideen auf das Denken der Massen eindringen, stets gibt es dann grosses Unheil; es folgen Katastrophen, ein Zerbrechen des Formaspekts und all dessen, was diese Grundideen hindern könnte, zu Tatsachen der physischen Ebene zu werden. Das Problem der Menschheitsführer in der Hierarchie besteht also darin, wie man dieses gefürchtete Leiden abwendet und wie man die Menschen weiterführt, während die Flut der geistigen Erkenntnis die Welt überschwemmt und die notwendige Aufgabe erfüllt. Daher ergeht jetzt der Aufruf zum Dienst und er dröhnt wie eine Posaune in das Ohr aller aufmerksamen Jünger.

Dieser Ruf zum Dienst findet gewöhnlich einen Widerhall, aber dieser wird durch die Persönlichkeit des Aspiranten beeinflusst und mit seinem Stolz und seinem Ehrgeiz durchtränkt. Man macht sich die Not wirklich klar. Der Wunsch, die Not zu lindern, ist echt und ehrlich; das Verlangen zu dienen und zu helfen ist aufrichtig. Es werden vom Aspiranten Schritte unternommen, die es ihm ermöglichen sollen, sich dem Plan anzupassen. Aber das Problem, mit dem wir uns auf der inneren Seite notgedrungen befassen müssen, liegt darin, dass zwar die Bereitwilligkeit und der Wunsch zum Dienst nicht anzuzweifeln ist, Charaktere und Temperamente jedoch so beschaffen sind, dass sich fast unüberwindliche Schwierigkeiten ergeben. Durch diese Aspiranten müssen wir wirken, und das Material, das sie uns bieten, macht uns häufig viel Sorge.

Diese verborgenen Merkmale treten oft erst dann in Erscheinung, wenn mit dem Dienst bereits begonnen wurde. Dass sie da sind, können die beobachtenden Menschheitsführer vermuten, aber selbst sie haben nicht das Recht, dem Menschen die Gelegenheit vorzuenthalten. Wenn sich nun diese Merkmale nachträglich zeigen, dann besteht die Tragödie darin, dass ausser dem betreffenden Aspiranten auch viele andere leiden. Wenn sich das vom Menschen erschaffene Gebilde bemerkbar macht und aus dem Nebel des Idealismus, der schönen Pläne, des vielen Geredes und Anordnens [623] herausragt, dann sind inzwischen viele von einem gleichartigen Idealismus angezogen worden und sammeln sich um den Diener. Zeigen sich dann die verborgenen Schwächen, leiden sie ebenso wie er. Die Methode der Grossen, die darin besteht, diejenigen auszuwählen, die sich bis zu einem gewissen Grad in feinfühliger Reaktionsfähigkeit geschult haben, und dann durch diese zu wirken, birgt gewisse Gefahren in sich. Der gewöhnliche, gutwillige Aspirant befindet sich nicht in solcher Gefahr wie der weiter fortgeschrittene, aktive Jünger. Er ist nach drei Richtungen hin in Gefahr und kann auf dreierlei Art den Boden unter den Füssen verlieren:

1. Sein ganzes Wesen steht unter übermässiger Anregung infolge seiner inneren Kontakte und der geistigen Kräfte, mit welchen er in Berührung steht, und das birgt wirkliche Gefahren in sich, denn er weiss noch kaum, wie er mit sich selbst umgehen muss, und ist sich selten des damit verbundenen Risikos bewusst.

2. Die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, bilden ihrerseits für ihn ein Problem. Ihre Gier, ihre Schmeichelei, ihr Lob und ihre Kritik sind dazu angetan, seinen Weg zu umwölken. Da er noch nicht genügend inneren Abstand hat und geistig noch nicht weit genug fortgeschritten ist, wandert er benebelt in einer Wolke von Gedankenformen und weiss es nicht. So verliert er seinen Weg; er kommt von seiner ursprünglichen Absicht ab und weiss es wiederum nicht.

3. Seine verborgenen Schwächen müssen unter dem Druck der Arbeit zutage treten, und er wird zeitweilig unvermeidlich Zeichen eines «Knackses» zeigen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Die Fehler seiner Persönlichkeit werden verstärkt, wenn er versucht, der Welt seine besondere Form des Dienstes nahezubringen. Ich meine damit jenen Dienst, der selbsterwählt ist, und hinter dem persönlicher Ehrgeiz und Machtliebe stehen, selbst wenn das nur teilweise oder überhaupt nicht erkannt wird. Er steht naturgemäss unter der Anspannung und - wie ein Mensch, der eine schwere Last den Berg hinaufträgt - erkennt er Zeichen der Überanstrengung und weist die Neigung auf, entweder physisch zusammenzubrechen oder [624] sein Ideal herabzumindern, um es seiner Schwäche anzupassen.

Zu all dem muss die Belastung unserer Epoche selbst hinzugerechnet werden sowie der Allgemeinzustand der unglücklichen Menschheit. Dies übt im Unterbewusstsein seine Wirkung auf alle Jünger und alle diejenigen aus, die jetzt in der Welt arbeiten. Bei einigen zeigt sich physische Bedrängnis, obgleich ihr inneres Leben ausgeglichen, normal, gesund und richtig orientiert bleibt. Andere brechen emotionell zusammen, und das hat zwei Wirkungen, je nach der Entwicklungsstufe des Aspiranten zum Dienst. Entweder lernt er - gerade infolge der Anspannung - innere Losgelöstheit, und das ist seltsamerweise das, was man den «Verteidigungsmechanismus» der Seele in dieser gegenwärtigen Epoche der Weltentfaltung nennen könnte; oder aber er wird immer nervöser und wird zum Neurotiker. Andere wieder spüren die Belastung im Mentalkörper. In manchen Fällen geraten sie in Verwirrung, und es zeigt sich ihnen keine reine Wahrheit. Dann arbeiten sie ohne Inspiration weiter, da sie wissen, dass es richtig ist, und sie auch den Arbeitsrhythmus haben. Andere ergreifen eine Gelegenheit, so wie sie diese sehen, und fallen dabei in eine angeborene Anmassung zurück (die der ganz besondere Fehler der mentalen Typen ist) und bauen um ihren Dienst herum ein Gerüst und bilden eine Form, die eigentlich das verkörpert, was sie sich wünschen und was sie für richtig halten; es trägt jedoch zur Absonderung bei und ist das Kind ihres Verstandes und nicht das ihrer Seele. Andere wieder, die stärker und harmonischer ausgeglichen sind, spüren den Druck der ganzen Persönlichkeit auf sich lasten; ihre bewegliche psychische Natur reagiert sowohl auf die Not als auch auf die Theorie des Planes; sie erkennen ihre wirklich wertvollen Anlagen und wissen, dass sie einen Beitrag leisten können. Sie sind jedoch noch so erfüllt von dem, was die Persönlichkeit genannt wird, dass ihr Dienst allmählich und stetig auf die Ebene dieser Persönlichkeit absinkt; folglich wird er von den Persönlichkeitsreaktionen, von ihren Sympathien [625] und Antipathien und von ihren individuellen Lebensgewohnheiten und Neigungen beeinflusst. Diese behaupten sich schliesslich, und dann sehen wir einen Menschen, der zwar gute Arbeit leistet, jedoch durch sein von ihm nicht erkanntes Sondersein und seine individuellen Methoden alles verdirbt. Das bedeutet, dass ein solcher Diensttätiger nur diejenigen um sich sammelt, die sich ihm unterordnen und die er beherrschen kann. Seine Gruppe wird nicht von den Impulsen des neuen Zeitalters bestimmt, sondern von den trennenden Instinkten des Gruppenleiters. Die Gefahr ist hier so leise wirksam, dass der Jünger viel Sorgfalt auf die Selbstprüfung verwenden muss. Es ist so leicht, sich durch die Schönheit der eigenen Ideale und der eigenen Schau sowie durch die vermeintliche Rechtschaffenheit der eigenen Position verblenden zu lassen, und doch während der ganzen Zeit subjektiv von der Liebe zu persönlicher Macht, von individuellem Ehrgeiz und der Eifersucht auf andere Leute beeinflusst zu werden und in die vielen Fallen zu tappen, die den Fuss des unbedachtsamen Jüngers festhalten können.

Aber wenn die echte Unpersönlichkeit gepflegt wird, wenn man die Fähigkeit entwickelt, fest und beharrlich dazustehen, wenn man an jede Situation im Geist der Liebe herangeht, und wenn man sich weigert, vorschnell zu handeln, und nicht erlaubt, dass sich ein Absonderungsbestreben einschleicht, dann wird eine Gruppe echter Diener heranwachsen, und es werden jene erfasst werden, die den Plan verwirklichen und das neue Zeitalter mit all dessen Wundern ins Leben rufen können.

Um das zu erreichen, muss man Mut seltenster Art haben. Die Furcht hält die Welt in Banden und niemand bleibt von ihrem Einfluss verschont. Für den Aspiranten und für den Jünger gibt es zwei Arten von Furcht, die besonders beachtet werden müssen. Die Furchtgefühle, die wir in dem früheren Teil dieser Abhandlung besprochen haben, und die Furchtgefühle, die - wie ihr wisst - dem Dasein selbst innewohnen, sind uns allen bekannt. Sie haben ihre Wurzeln in der Instinktnatur (da sind Furchtgefühle, die auf wirtschaftlichen Sorgen beruhen oder aus dem Geschlechtsleben kommen, physische Furcht und Bestürzung, Furcht vor dem Unbekannten sowie jene beherrschende Furcht vor dem Tod, die das Leben so vieler Menschen beeinflusst); alle diese sind Gegenstand vieler psychologischer Forschungen gewesen. Mit ihnen will ich mich nicht beschäftigen. Sie müssen durch das Leben der Seele, welches das Alltagsleben durchdringt und umwandelt sowie dadurch überwunden werden, dass der Aspirant ihnen keinerlei Beachtung zukommen lässt. Die erste Methode arbeitet auf künftige Charakterstärke [626] hin und verhindert das Aufkommen irgendwelcher neuer Furchtgedanken. Sie können nicht bestehen, wenn die Seele das Leben und alle seine Situationen bewusst beherrscht. Die zweite Methode macht die alten Gedankenformen unwirksam und bewirkt schliesslich deren Zerstörung dadurch, dass sie nicht mehr genährt werden. So ist also ein zweifacher Prozess im Gang, der eine echte Offenbarung der Qualitäten des geistigen Menschen und ein wachsendes Freiwerden von der Knechtschaft uralter Furchtbegriffe mit sich bringt. Der Schüler merkt, dass er immer mehr von den beherrschenden Hauptinstinkten loskommt, die bis dahin bestrebt waren, ihn in den allgemeinen Rahmen des planetarischen Elementarlebens hineinzuzwängen. Es könnte hier folgender Hinweis wertvoll sein: Alle Hauptinstinkte haben ihre Wurzeln in dieser besondere Eigenschaften unseres planetarischen Lebens, in den Furchtreaktionen, die zur Tätigkeit irgendwelcher Art führen. Wie ihr wisst, zählen die Psychologen fünf beherrschende Hauptinstinkte auf, und wir wollen kurz auf diese eingehen.

Der Instinkt der Selbsterhaltung hat seine Wurzel in einer dem Menschen angeborenen Todesfurcht; dadurch, dass es diese Furcht gab, hat sich die Menschheit bis zu ihrer gegenwärtigen Langlebigkeit und Lebensdauer durchgefochten. Die Wissenschaften, die sich um die Erhaltung des Lebens kümmern, die derzeitige medizinische Wissenschaft und die Errungenschaften der zivilisierten Bequemlichkeit, - sie alle sind aus dieser grundlegenden Furcht erwachsen. Alles zielte auf die Fortdauer des Einzelwesens und auf die Erhaltung der notwendigen Lebensbedingungen ab. Die Menschheit lebt - als Gattung und Naturreich - infolge dieser Furchtneigung, dieser instinkthaften Reaktion des menschlichen Einzelwesens auf die Selbstverewigung weiter.

Der Geschlechtsinstinkt hat seine Hauptwurzel in der Furcht vor dem Getrenntsein und der Isolierung sowie in einer Empörung gegen die abgetrennte Einheit auf der physischen Ebene, gegen das Alleinsein; und er hat dahin gewirkt, dass die Menschheit [627] weiterbesteht, und dass jene Formen weiterleben und sich fortpflanzen, durch welche die Menschheit in sichtbare Erscheinung treten kann.

Der Herdeninstinkt hat seine Wurzel - wie man leicht sehen kann - in einer ähnlichen Reaktion; um des Gefühls der Sicherheit und des überzeugend gesicherten Schutzes willen - der sich auf einen zahlenmässig grossen Zusammenschluss gründet - haben die Menschen immer ihre eigene Art gesucht und haben sich in einer Herde zusammengerottet, um sich zu verteidigen und eine wirtschaftliche Stabilität zu erhalten. Aus dieser Instinktreaktion der Gesamtmenschheit entstand unsere moderne Zivilisation; ihre grossen Zentren, ihre riesigen Städte mit ihren Massenbehausungen sind Folgeerscheinungen, und so ergab sich die moderne Zusammenrottung höchsten Grades.

Der vierte grosse Instinkt, jener der Selbstbehauptung, beruht ebenfalls auf der Furcht; er bedeutet die Furcht des Einzelnen, nicht anerkannt zu werden und dadurch viel zu verlieren, was anderenfalls sein wäre. Im Lauf der Zeit hat auf diese Weise die Selbstsucht der Menschheit zugenommen, ihr Erwerbssinn hat sich entwickelt und die Fähigkeit zu ergreifen (der «Wille zur Macht» in irgendeiner Form) ist in Erscheinung getreten, so dass wir heute den starken Individualismus und das positive Gefühl der Wichtigkeit erleben, wodurch ein Grossteil der modernen wirtschaftlichen und nationalen Unruhen verursacht wurde. Wir haben die Selbstbestimmung, die Selbstbehauptung und das Selbstinteresse grosswerden lassen, so dass wir heute einem beinahe unüberwindlichen Problem gegenüberstehen. Aber aus all dem ist auch viel Gutes entstanden, und wird noch mehr entstehen, denn kein Einzelmensch ist von Wert, solange er nicht diesen Wert selbst erkennt und dann mit Entschiedenheit die erworbenen Werte dem Wohl des Ganzen zum Opfer bringt.

Der Forscherinstinkt beruht auf der Furcht vor dem Unbekannten, aber aus dieser Furcht sind - als Folge jahrhundertelangen Forschens und Suchens - unsere gegenwärtigen erzieherischen und kulturellen Systeme und das ganze Gebäude der wissenschaftlichen Forschung hervorgegangen.

Diese Tendenzen, die sich auf die Furcht gründen, haben (da der Mensch von göttlicher Art ist) als eine ungeheure Anregung seines ganzen Wesens gewirkt und ihn auf seine gegenwärtige Stufe umfangreicher Fassungskraft und Nützlichkeit gebracht; sie haben unsere moderne Zivilisation mit all ihren Fehlern und doch mit der [628] ganzen, sich in ihr zeigenden Göttlichkeit hervorgebracht. Aus diesen - endlos fortgesetzten - Instinkten heraus und aus deren Umwandlung in höhere Entsprechungen wird die volle Blüte der Seelenäusserung entstehen. Ich möchte gern auf folgendes hinweisen:

Der Instinkt der Selbsterhaltung findet seine Vollendung in der als Gewissheit erkannten Unsterblichkeit; die Methode zur Annäherung daran und die unausbleibliche Gewähr dafür ist die Arbeit, die von den Spiritisten und psychischen Forschern seit alten Zeiten unternommen wurde.

Der Geschlechtsinstinkt hat sich ausgewirkt und findet seine logische Erfüllung in der - bewusst erkannten - Beziehung von Seele und Körper. Diese Beziehung ist das Leitmotiv des Mystizismus und der Religion, welche heute, wie immer, der Ausdruck für das Gesetz der Anziehung ist, - nicht insofern es durch die Ehe auf der physischen Ebene zum Ausdruck kommt, sondern soweit es, für den Menschen, seine Vollendung in der veredelten - mit bewusster Absicht herbeigeführten - Ehe zwischen der positiven Seele und der negativ-empfangenden Form findet.

Der Herdeninstinkt findet seine göttliche Erfüllung in einem erwachten Gruppenbewusstsein, das sich heute in der allgemeinen Neigung zur Verschmelzung und in dem weit um sich greifenden Vereinigungs- und Zusammenschlussbestreben zeigt, dem man heute in aller Welt begegnet. Es bekundet sich in der Fähigkeit, im internationalen Sinn, in universalen Ideen zu denken, die schliesslich zur Begründung der universellen Bruderschaft aller Menschen führen wird.

Der Instinkt der Selbstbehauptung wiederum hat unserer Zivilisation den intensiven Individualismus gebracht, den Persönlichkeitskult sowie die Ahnen- und Heldenverehrung. Er führt jedoch dazu, dass das grosse Selbst, der innere, göttliche Herrscher zur Geltung kommt; aus unserer neuesten Wissenschaft, der Psychologie, wird das Wissen um das sich durchsetzende und herrschende geistige Selbst hervorgehen, und das wird schliesslich zur Manifestierung [629] des Seelenreiches auf Erden führen.

Und wie steht es mit dem Forscherinstinkt? Wenn er einmal zur Erforschung des Göttlichen eingesetzt wird und wenn dabei das Seelenlicht praktisch angewendet wird, dann werden wir eine Menschheit erleben, die in die Halle der Weisheit geführt werden wird; so wird der Mensch seine Erfahrungen in der Halle des Wissens hinter sich lassen. Unsere grossen Erziehungsstätten werden zu Schulen für die Entwicklung intuitiver Wahrnehmung und geistigen Gewahrseins werden.

Der Schüler sollte die folgende Tabelle sorgfältig studieren:

Instinkt                                         Entsprechung                                                                        Methode

1. Selbsterhaltung                     Unsterblichkeit                                                                       spiritistische Forschung.

2. Geschlecht                              Geistige Vereinigung, Einssein                                             Religion, Mystizismus.

3. Herde                                       Gruppenbewusstsein                                                             Bruderschaft.

4. Selbstbehauptung                  Das Zur-Geltung-Kommen des Grossen Selbstes              Psychologie.

5. Forschung                                intuition                                                                                     Erziehung.

So scheinen die Furchtgefühle, welche die Menschheit bedrängen und ihre Wurzeln in den Instinkten haben, trotzdem göttliche Merkmale zu sein, die nur falsch angewandt und missbraucht werden. Wenn man sie jedoch richtig versteht und nutzt und sie durch die wissende Seele umwandelt, dann führen sie zur Bewusstheit; sie werden zu Quellen des inneren Wachstums und dessen, was der schlafenden Seele - in Zeit und Raum - den notwendigen Impuls, Anstoss und Vorwärtsdrang verleiht; diese haben ja den Menschen von der Stufe des Höhlenbewohners und der prähistorischen Epoche durch den langen Zeitraum der Geschichte hin vorangebracht, und man darf darauf vertrauen, dass sie ihn heute mit zunehmender Schnelligkeit vorwärts bringen werden, da er jetzt ein intellektuelles Begriffsvermögen erlangt und sich dem Problem des Fortschritts mit vollem Bewusstsein zuwenden kann.

Die Schüler müssen noch deutlicher erkennen, dass der ganze Vorgang von göttlicher Art und das sogenannte Böse nur eine Illusion und ein Bestandteil der Dualität ist, die einmal der göttlichen Einheit weichen wird. Es gibt das Böse, weil man falsch wahrnimmt [630] und das Wahrgenommene falsch auslegt. Wenn man eine wahre geistige Schau sowie rechtes Verständnis erlangt hat, wird man frei von den Instinktreaktionen, und es wird jenes innere Losgelöstsein erweckt, das den Menschen befähigt, frei im Reich Gottes zu wandeln.

Aber wie ist es nun mit den zwei Arten von Furcht, mit denen der Aspirant ganz besonders zu tun hat? Wie ist es mit der Angst vor der öffentlichen Meinung und der Furcht vor einem Misserfolg? Das sind zwei mächtige Faktoren im Leben des Dienstes und behindern viele.

Diejenigen, die am Plan mitzuarbeiten beginnen und die Bedeutung des Dienens kennen lernen, neigen zu der Befürchtung, dass ihr Tun kritisiert und falsch beurteilt wird, oder sie werden ein Opfer der entgegengesetzten Idee, dass man nämlich ihre Arbeit nicht genügend schätze, anerkenne und verstehe. Sie verlangen Anerkennung und Lob. Sie messen ihren Erfolg zahlenmässig und an dem Widerhall, den sie finden. Sie lassen ihre Motive nicht gerne anfechten und falsch beurteilen, und sie stürzen sich heftig in Erklärungen; sie sind unglücklich, wenn ihre Methoden, die Mitarbeiter ihrer Gruppe, und die Art, wie sie ihren Dienst leisten, kritisiert werden. Sie werden von dem falschen Gedanken beherrscht, dass die grosse Anzahl, die Macht oder eine fertige Lehre das erstrebenswerte Ziel seien. Wenn das, was sie tun, nach Meinung der Gruppe nicht den Wertnormen entspricht, nicht mit der Methode der Ratgeber übereinstimmt, oder bei den meisten dieser Menschen keinen Anklang findet, dann sind sie unglücklich und ändern infolgedessen häufig ihre Pläne, wechseln ihre Ansichten und setzen ihren Wertmassstab herab, bis er mit dem derzeitigen massenpsychologischen Verständnis oder mit den Ansichten der von ihnen erwählten Ratgeber übereinstimmt.

Der echte Jünger erschaut das geistige Bild. Er versucht dann, mit seiner Seele eine so enge Fühlung zu halten, dass er fest und sicher stehenbleiben kann, während er sich bemüht, diese Vision in eine Realität umzusetzen; er ist bestrebt, das zu erreichen, was vom Standpunkt der Welt aus unmöglich erscheint, und er weiss, dass [631] das geistige Bild nicht verwirklicht wird durch Nützlichkeitsüberlegungen oder falsche Anpassung an Ideen, die ihm weltliche oder nur intellektuelle Ratgeber vorschlagen. Die öffentliche Meinung und der Rat derer, die in ihren Neigungen Vertreter des Fische- und nicht des Wassermannzeitalters sind, werden zwar sorgfältig, aber nicht allzu sehr erwogen; wenn der Rat als separatistisch empfunden wird, wenn er darauf abzielt, die Harmonie auszuschalten, und wenn er einen Mangel an brüderlicher Liebe und an Verständnis bewirkt, dann wird er sofort abgelehnt. Falls jemand ständig eine kritische Haltung gegenüber anderen Arbeitern auf dem Gebiet des Weltdienstes bekundet, wenn irgendwo die Neigung besteht, nur Selbstsucht und Fehler zu sehen, unrechte Motive zu unterstellen und stets das Böse zu glauben, dann weigert sich der echte Aspirant, sich davon beeinflussen zu lassen und geht gelassen seines Weges.

Ich sage euch nachdrücklich, dass im kommenden Zyklus die wirkliche Arbeit (die Aufgabe des geistigen Zusammenschweissens der Welt in eine Synthese und die Herstellung einer anerkannten Bruderschaft von Seelen) nur von denen vorangebracht werden wird, die sich nicht absondern wollen und die ihre Worte überwachen, so dass nichts Böses gesprochen wird; das sind die tätigen Menschen, die das Göttliche in allem erkennen und sich weigern, Böses zu denken und Böses zu unterstellen; sie wirken mit versiegelten Lippen; sie kümmern sich weder um die Angelegenheiten ihrer Brüder, noch geben sie weiter, was diese betrifft; ihr Leben ist von Verständnis und Liebe geleitet; ihr Denken ist gekennzeichnet durch eine geschulte geistige Wahrnehmungsfähigkeit und jenes geistige Bewusstsein, das einen scharfen Verstand als Folgeerscheinung eines liebevollen Geistes anwendet.

Darf ich dieses Thema mit anderen Worten wiederholen, denn es ist ausserordentlich wichtig, und die Wirkung, die durch die Arbeit dieser Werkzeuge und Kräfte auf die Welt ausgeübt wird, ist ungeheuer. Diese Menschen, deren Mission es ist, das Neue Zeitalter einzuleiten, haben das Geheimnis des Schweigens erfahren; sie sind unaufhörlich von einem Geist allumfassender Liebe beseelt; ihre Zunge führt sie nicht vom Weg ab in das Gebiet gewöhnlicher Kritik, und sie erlauben keine Verurteilung anderer; sie sind beseelt vom Geist des Beschützens. Ihnen wird die Aufgabe übertragen werden, das Leben des Neuen Zeitalters zu hegen und zu pflegen.

Für diejenigen, die [632] diese Evolutionsstufe noch nicht erreicht haben, deren geistige Schau nicht so klar, deren Wesen noch nicht so in Zucht genommen ist, verbleibt die wichtige Aufgabe, auf einer tieferen Ebene mit ihresgleichen zu arbeiten. Ihre Eigenschaften und Qualitäten führen ihnen diejenigen zu, die ihnen gleichen; sie arbeiten nicht in solcher Einsamkeit, und ihrem Wirken ist - wenn auch nicht immer - mehr äusserlicher Erfolg beschieden.

Man muss berücksichtigen, dass alle Arbeit in den Augen der Grossen gleich wichtig ist. Für jene Seelen, denen auf ihrer Entwicklungsstufe Heim und Büro genügend Erfahrungsmöglichkeiten bieten, bedeutet eine Arbeit in diesem Bereich die höchste Anstrengung; ihr Bemühen zu arbeiten und zu wirken ist - auf dieser Ebene - eine ebenso grosse Leistung wie die, bei der es um die Erfüllung des Schicksals eines Christus oder eines Napoleon geht. Vergesst das nicht und versucht das Leben so zu sehen, wie es in Wahrheit ist, - und nicht mit seinen Unterschieden -, die von Menschen gemacht werden und gefährlich sind. Ein Jünger, der noch nicht die grössere Schau eines besser geschulten Menschheitsdieners hat, und der gerade erst das Abc der Arbeit für die Allgemeinheit lernt, kann mit all seinen Fehlern und groben Dummheiten seine Sache ebenso gut machen, wie ein älterer Jünger mit seinen grösseren Erfahrungen und Kenntnissen.