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KAPITEL V - Teil 1

KAPITEL V

Dieses Kapitel bedeutet eine vollkommene Trennungslinie zwischen der Welt, mit der ich es bis dahin zu tun hatte, und der Welt, in der ich heute (1947) tätig bin. Ein ganz neuer Zyklus tritt in Erscheinung. Bis dahin war ich bloss Alice Bailey, Dame der Gesellschaft, Mutter, Kirchenhelferin; meine Zeit hatte mir selbst gehört; niemand wusste etwas von mir; ich hatte meine Tage einteilen können, wie es mir passte, abgesehen davon, dass ich mich um meine Kinder zu kümmern hatte; niemand hatte sich zu einer Besprechung mit mir gedrängt; ich brauchte keine Druckabzüge zu korrigieren und keine öffentlichen Vorlesungen abzuhalten und vor allem hatte nicht endloses Korrespondieren und Briefediktieren meine Zeit in Anspruch genommen. Ich frage mich manchmal, ob man sich im allgemeinen überhaupt eine Vorstellung davon macht, welche erstaunliche Masse von Briefen bei mir ein- und ausgehen. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass ich in manchen Jahren 10'000 Briefe diktiert habe; ich habe gelegentlich einmal nach der Uhr festgestellt, dass ich beim Eingang der Tagespost allein achtundvierzig Minuten brauchte, bloss um die Umschläge aufzuschlitzen und die Briefe herauszunehmen. Dazu kommen noch die Tausende von Formbriefen, die ich unterzeichnet habe sowie die Rundschreiben an ganze nationale Gruppen (die nicht meine persönliche Unterschrift trugen). Unter diesen Umständen kann man verstehen, dass ich einmal meinem Mann sagte, mein Grabstein solle die Inschrift tragen: «Sie wurde von den Papiermassen zu Tod erstickt». Heute sind es nur noch ungefähr 6000 Briefe im Jahr, weil ich jetzt einen grossen Teil meiner Korrespondenz Männern und Frauen übertrage, die mehr Zeit erübrigen können, um die Briefe sorgfältig und eingehend zu beantworten. Manchmal unterzeichne ich diese Briefe, manchmal nicht. Ich möchte an dieser Stelle Mr. Victor Fox und ein oder zwei anderen Helfern meinen aufrichtigen Dank aussprechen für die wirklich wundervollen Briefe, die sie in meinem Namen an andere geschrieben haben, und für die man mir warm gedankt hat, ohne dass ihnen selbst irgendwelche Anerkennung dafür zuteil wurde. Das nenne ich wirklich selbstloses Dienen - einen Brief zu schreiben, den man selbst nicht unterzeichnet und für den jemand anders Dank empfängt.

Dieser ganze Abschnitt meines Lebens, von 1921 bis 1931, ist für den Leser verhältnismässig uninteressant. Es fällt mir schwer, irgend etwas Leichtes oder Vergnügliches oder überhaupt etwas darüber zu sagen, was etwas die Eintönigkeit der Tretmühle abschwächen könnte, in die ich in diesen Jahren hineingeraten war. Weder Foster Bailey noch ich hatten ein derartiges Leben geplant, und wir haben uns oft gesagt, wenn wir diese Zukunft vorausgesehen hätten, dann hätten wir uns nie auf das eingelassen, was wir jetzt unternahmen. Damit beweist sich wieder einmal die Wahrheit der Redensart von der «gesegneten Unwissenheit».

Nach der wirklich empörenden Jahrestagung der T. G. in Chicago kehrten Foster und ich schwer enttäuscht nach Krotona zurück, restlos davon überzeugt, dass die T. G. durchweg nur von Persönlichkeiten geleitet wurde, die ihren persönlichen Rang betonten, rein persönliche Gefolgstreue erwarteten, sich von persönlichen Zuneigungen oder Abneigungen bestimmen liessen und von ihrem Persönlichkeitsniveau aus der Masse ihrer Persönlichkeitsanhänger ihre Entscheidungen aufzwangen. Wir wussten einfach nicht, was wir tun oder in welcher Richtung wir uns weiterhin betätigen sollten. Mr. Warrington war nicht mehr Vorsitzender der Gesellschaft, Mr. L. W. Rogers hatte das Amt übernommen. Mein Mann war immer noch nationaler Sekretär, und ich war noch Schriftleiterin des nationalen Magazins und Vorsitzende des Verwaltungsausschusses von Krotona.

Ich werde nie den Morgen vergessen, als wir Mr. Rogers nach seiner Amtsübernahme in seinem Büro aufsuchten, um ihm unseren Wunsch vorzutragen, der T. G. weiterhin zu dienen. Mr. Rogers sah uns bloss an und fragte: «Können sie sich irgendwie vorstellen, wie sie mir noch von Nutzen sein könnten?» Da standen wir also da, ohne Stellung, ohne Geld, ohne Zukunft, mit drei Kindern und ohne jede Ahnung, was wir unternehmen wollten. Es wurden Anstalten getroffen, uns vom Gesellschaftsgelände von Krotona auszuweisen, aber Foster kabelte an Frau Besant, und sie sorgte sofort dafür, dass das unterblieb. Solch rohe Behandlung hatten wir eben doch nicht ganz verdient.

Es folgte für uns eine recht schwierige Zeit. Wir waren noch nicht verheiratet, und Foster lebte in einem Zelt auf dem Krotonagelände. Als vorsichtige Engländerin hatte ich für eine Anstandsdame gesorgt, die bei mir wohnte und mich vor schmutzigem Klatsch bewahrte. Eines von den Dingen, die ich anstrebte und die mir, glaube ich, auch gelungen sind, bestand darin, den Okkultismus von seinem schlechten Ruf zu befreien. Ich habe versucht, den Okkultismus zu einer achtbaren Betätigung zu machen, und das ist mir in überraschender Weise gelungen. Solange ich unverheiratet war, und die Kinder noch klein waren, hatte ich stets eine ältere Freundin bei mir. Später erwiesen sich mein Mann und die Kinder selbst als hinreichender Schutz. Erstens einmal habe ich ausser für meinen Mann, Foster Bailey, nie Interesse für andere Männer gehabt und zweitens würde keine Frau, die Anstand und Selbstachtung besitzt, ihren heranwachsenden Kindern Anlass zur Kritik geben. Das ist der okkulten Bewegung zugute gekommen, und heute bedeutet das Wort Okkultismus etwas Achtbares; eine ganze Menge hochstehender Leute ist heute durchaus gewillt, sich der Welt gegenüber als okkulte Schüler zu bekennen. Ich habe das Gefühl, dass das eine der Aufgaben war, an denen mitzuwirken mir vom Schicksal bestimmt war, und ich glaube nicht, dass die okkulte Gedankenwelt jemals wieder in den schlechten Ruf kommen wird, der ihr von 1850 bis jetzt anhaftete.

Noch immer werden Bücher geschrieben, die H. P. B. und Frau Besant in den Schmutz ziehen, und man fragt sich, was die Autoren damit zu erreichen hoffen. Soweit ich das feststellen kann, ist die moderne Schülergeneration an den Vorzügen oder Mängeln ihrer Charaktere ganz und gar nicht interessiert. Es ist ihnen auch ganz unwichtig, ob dieser oder jener Autor diese beiden Menschen billigt oder missbilligt. Was diese Schüler interessiert, ist die Lehre selbst und die Wahrheit, die sie enthält. Das ist eine durchaus gesunde und richtige Einstellung. Ich wünschte, diese modernen Schriftsteller, die Monate damit zubringen, Schmutz zusammenzukratzen, um damit irgend jemanden schlecht zu machen, würden sich über die Dummheit dieser Betätigung klarwerden. Sie kommen der Wahrheit nicht einmal nahe; sie ändern nichts an der Ergebenheit derer, die Bescheid wissen; sie ändern nichts an der Tendenz zu okkulter Erkenntnis, und sie schaden nur sich selbst.

In dieser Nachkriegswelt gibt es für jedermann Wichtigeres zu tun, als sich mit der Verleumdung und Erniedrigung von Leuten zu befassen, die schon seit Jahrzehnten tot sind. Es gibt viel zu tun in der heutigen Welt; Wahrheit muss erkannt und verkündet werden, und da hat man keine Zeit für Leute, die Schmutz aufwühlen und Persönlichkeiten verleumden, nur um dadurch bei den Feinden einer Lehre ein paar Hundert Dollar zu verdienen. Das ist mit ein Grund, warum ich diese Autobiographie schreibe und die Tatsachen klarstelle.

In den Tagen unseres Beginnens, von denen ich schreibe, würde niemand geglaubt haben, dass eine Zeit kommen würde, in denen die Lehre, die zu veröffentlichen ich im Begriff stand, und das Werk, dem Foster und ich uns widmeten, einmal einen derartigen Umfang annehmen würde, dass deren verschiedene Abteilungen heute international bekannt sind, und dass die Lehre vielen Hunderttausenden helfen würde. Wir standen allein mit einigen wenigen, unbekannten Freunden einer der mächtigsten, sogenannten okkulten Körperschaften der Welt gegenüber. Wir hatten kein Geld und wussten nicht, was die Zukunft uns bringen würde. An dem Tag, an dem wir uns einmal hinsetzten, um die Lage zu überdenken und Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen, bestanden unsere gemeinsamen Finanzen aus 1.85 Dollar. Es war am Monatsende, die Miete war fällig, die Lebensmittelrechnung für den abgelaufenen Monat war noch nicht bezahlt und ebenso wenig die Gas-, Licht- und Milchrechnung. Da wir noch nicht verheiratet waren, hatte Foster keinerlei Verantwortung dafür, aber er teilte schon damals alles mit mir. Wir bezogen keine Gehälter mehr von der T. G., und mein kleines Einkommen war im Augenblick nicht verfügbar. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.

Obgleich ich in der ganzen Welt als Lehrerin der Meditation bekannt bin, habe ich persönlich doch nie meine Gewohnheit aufgegeben, zu beten. Ich glaube, der wahre Okkultist benutzt Gebet und Meditation abwechselnd, je nach Bedürfnis, und beide erscheinen mir im geistigen Leben als gleich wichtig. Das Gebet hat wohl seit jeher darunter gelitten, dass der Durchschnittsmensch es als rein egoistisches Mittel zur Erlangung von materiellen Dingen für sein abgesondertes Selbst benutzt hat. Wahres Gebet verlangt nichts für das abgesonderte Selbst, sondern es wird immer nur denen nützen, die anderen helfen möchten. Manche Leute halten sich für zu überlegen, um zu beten, und betrachten die Meditation als etwas, was weit erhabener sei und zu ihrer hohen Entwicklungsstufe besser passt. Mir hat es stets genügt, dass Christus nicht nur selbst betete, sondern uns auch das Vaterunser beten gelehrt hat. Ausserdem ist die Meditation für mich ein gedanklicher Vorgang, durch den man ein klares Wissen über Göttlichkeit erlangen und des Reiches der Seelen oder des Reiches Gottes gewahr werden kann. Sie ist die Methode des Kopfes und des Denkens, und ist für die Menschen der Welt, denen das Denken noch etwas Ungewohntes ist, sehr notwendig. Das Gebet gehört zur Gefühlsnatur und zum Herzen und wird allgemein zur Befriedigung von Wünschen benützt. Die aufwärts strebenden Jünger der Welt sollten sich beider Arten bedienen. Später werde ich auf die Invokation zu sprechen kommen, die eine Synthese beider bedeutet.

Auf alle Fälle hielt ich mich in dieser Zeit materieller Not wiederum ans Gebet und in jener Nacht betete ich. Als ich am nächsten Morgen auf die Veranda ging, fand ich dort das nötige Bargeld, und ein oder zwei Tage später erhielt Foster Bailey einen Brief von Mr. Ernest Suffern, der ihm bei der T. G. in New York eine Stellung mit einem Monatsgehalt von 300 Dollar anbot. Ausserdem erbot er sich, uns in einer kleinen Stadt jenseits des Hudson ein Haus zu kaufen, von wo aus Vorortverbindung nach New York bestand. Foster nahm das Angebot an und fuhr nach New York, während ich bei den Kindern zurückblieb, um den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten.

Damals wohnte Augusta Craig bei uns, die wir und alle anderen, die sie kannten und liebten, gewöhnlich «Craigie» nannten. Sie lebte mit Unterbrechungen viele Jahre mit uns, und die Kinder und ich hingen sehr an ihr. Sie war einzig in ihrer Art, voller Humor und gesundem Verstand. Sie packte ein Problem nie in der gewöhnlichen Art oder vom gewöhnlichen Gesichtspunkt aus an. Vielleicht kam das daher, dass sie viermal verheiratet gewesen war und über Menschen und Dinge vielerlei Erfahrung gesammelt hatte. Sie war einer von den wenigen Menschen, an die ich mich um Rat wenden konnte, weil wir uns beide wirklich von Grund auf verstanden. Sie hatte eine spitze Zunge, aber auch so viel weibliche Reize, dass überall, wo immer wir auch gerade wohnten, jeder unverheiratete Briefträger, Milchmann oder Eislieferant bemüht war, sie mir wegzulotsen. Sie wollte aber von keinem etwas wissen. Sie fand, dass das Leben mit mir interessant genug sei, und sie hielt bei mir aus, bis sie wenige Jahre vor ihrem Tod nach Kalifornien in ein Heim für alte Damen zog, wie sie mir erklärte, hauptsächlich deshalb, weil sie sich aus alten Damen nichts mache. Da sie jedoch, als sie von mir weg ging, selber schon über 70 Jahre alt war, dachte sie, die anderen Damen würden aus ihren Erfahrungen Nutzen ziehen können. Ich glaube nicht, dass sie sich dort wohlgefühlt hat, aber sie hatte das Empfinden, die alten Damen könnten sie sehr gut gebrauchen, und ich bin todsicher, dass das auch der Fall war. Mir war sie jedenfalls immer eine sehr gute Stütze.

Gegen Ende des Jahres 1920 schrieb mir Foster, ich solle zu ihm nach New York kommen; ich liess die Kinder in Craigies Obhut wo ich sie sicher, versorgt und liebevoll betreut wusste. Ich reiste nach New York, wo Foster mich abholte und in ein Miethaus nach Yonkers brachte. Er selbst wohnte in der Nähe. Wir heirateten bald darauf; wir besorgten uns eines Morgens auf dem Standesamt einen Eheschein und liessen uns von dem dortigen Beamten einen Pfarrer empfehlen, der uns auch sofort kirchlich traute. Gleich darauf kehrten wir ins Büro zurück, um unser Nachmittagspensum zu erledigen, und von dem Augenblick an leisteten wir 26 Jahre lang gemeinsam unsere Arbeit.

Der nächste Schritt bestand darin, das Haus zu möblieren, das Mr. Suffern für uns in Ridgefield Park, New Jersey, gekauft hatte, und dann musste Foster nach dem Westen fahren, um die Kinder abzuholen. Ich blieb zurück, um alles fertigzumachen, Vorhänge zu nähen und die notwendigen Hausvorräte zu besorgen - die uns in der Hauptsache von Mr. Suffern geschenkt wurden - und dann wartete ich sehnsüchtig auf meinen Mann mit den drei Mädchen. Craigie kam nicht mit, sie folgte später nach.

Nie werde ich ihre Ankunft am grossen Zentralbahnhof vergessen. Nie habe ich einen müderen, abgekämpfteren Mann gesehen, als Foster Bailey. Als die vier die Rampe heraufkamen, hatte Foster Ellie auf dem Arm, und Dorothy und Mildred hingen ihm an den Manteltaschen. Wie froh waren wir alle, in unserem neuen Heim zu sein! Es war das erste Mal, dass die Kinder im Osten waren. Sie hatten noch nie Schnee gesehen und selten Schuhe getragen, und es war für sie gewissermassen ein ganz neues Erlebnis zivilisierten Daseins. Wie Foster das fertiggebracht hat, weiss ich nicht, aber ich denke, dies ist der geeignete Augenblick, um darauf hinzuweisen, welch wunderbarer Stiefvater er den Kindern gewesen ist. Solange sie klein waren, liess er sie nie merken, dass sie nicht seine eigenen waren, und sie verdanken ihm unendlich viel. Ich denke sie hängen sehr an ihm und haben auch allen Grund dazu.

Dieser völlig neue Lebenszyklus verlangte von uns allen eine Anpassung an ganz veränderte Verhältnisse. Zum ersten Mal handelte es sich nicht nur um die Last intensiver Arbeit für die Menschen und für die Meister, sondern dazu kamen auch noch die Sorgen um die Familie, die Pflichten des Haushalts, die Erziehung der Kinder und - was mir am schwersten fiel - unser zunehmendes Bekanntwerden in der Öffentlichkeit. Ich habe nie etwas für die Neugierde des Publikums übriggehabt oder für die Ansicht, dass jemand, der Bücher schreibt, und öffentliche Vorlesungen hält, kein Anrecht auf Privatleben mehr besitze. Viele Leute scheinen zu denken, dass sie einem in alles hineinreden dürfen, und dass man genau das sagen und sich ihnen gegenüber genauso geben muss, wie sie es erwarten.

Ich werde nie vergessen, wie ich einmal 800 Zuhörern in New York erklärte, sie könnten alle ein gewisses Mass von geistiger Erkenntnis erlangen, wenn sie es wirklich ernst damit meinten, dass das aber Opfer kosten würde, wie ich sie selbst in meinem Leben bringen musste. Ich erzählte ihnen, dass ich gelernt hätte, während des Bügelns von Kindersachen gleichzeitig ein Buch über geistige oder okkulte Dinge zu lesen, und dass ich dabei trotzdem nicht die Kleider versengte. Ich sagte ihnen, dass sie beim Kartoffelschälen oder Aushülsen von Erbsen ihr Denken regulieren und mentale Konzentration und geistige Orientierung erlernen könnten, denn genau das hatte ich selber tun müssen, da ich einfach nicht daran glaubte, dass man seine Familie und deren Wohlergehen den eigenen geistigen Bestrebungen zum Opfer bringen dürfe. Am Ende der Vorlesung stand eine Frau unter den Zuhörern auf und erteilte mir einen öffentlichen Verweis dafür, dass ich mich vor so vielen Leuten mit solch unwichtigen Kleinigkeiten blossgestellt hätte. Ich antwortete ihr mit der Erklärung, dass ich das Wohlergehen der Familie keinesfalls als unwichtige Kleinigkeit betrachten könne und dass ich dabei immer an eine gewisse Frau denken müsse, die eine bekannte Rednerin und Lehrerin war, die sich aber bei ihrer Familie mit sechs Kindern nie sehen liess, sondern die Verantwortung für deren Wohlergehen irgend jemandem überliess, der sich gerade dazu hergab.

Ich persönlich habe durchaus nichts für einen Menschen übrig, der seine geistigen Ziele auf Kosten seiner Familie oder Freunde fördert. Das findet man gar zu häufig in verschiedenen okkulten Gruppen. Wenn Leute zu mir kommen und mir sagen, dass ihre Familien kein Verständnis für ihre geistigen Bestrebungen haben, dann lege ich ihnen folgende Fragen vor: «Lassen Sie ihre okkulten Bücher herumliegen, um die anderen damit zu ärgern? Verlangen sie vollkommene Ruhe im Haus, während sie ihre Morgenmeditation abhalten? Muss sich die Familie um ihr Abendbrot selber kümmern, während sie eine Versammlung besuchen?» Gerade in diesen Dingen machen sich okkulte Schüler so lächerlich und bringen den ganzen Okkultismus in einen schlechten Ruf. Das geistige Leben vollzieht sich nicht auf Kosten anderer, und wenn andere Leute darunter leiden müssen, weil man selbst in den Himmel kommen möchte, dann hat die Sache eben einen Haken.

Wenn mich irgend jemand in der Welt ermüdet, anödet und krank macht, dann ist es der akademische, technische Okkultist. Ähnlich geht es mir mit den Einfaltspinseln, die denken, dass sie mit den Meistern in Verbindung stünden, und die geheimnisvoll von Mitteilungen sprechen, die sie von den Meistern erhalten hätten. Meine Einstellung zu all solchen Mitteilungen ist folgende: «Ich glaube, das hat der Meister gesagt; ich glaube, dies ist die Lehre, aber bitte, folgen sie ihrer eigenen Intuition, denn vielleicht habe ich unrecht». Manche mögen mich deshalb für einen Aal halten, der sich gerne herauswindet, aber ich lasse eben allen Menschen die Freiheit zur selbständigen Meinungsbildung.

Diese Berührung mit der breiten Öffentlichkeit begann im Jahr 1921 und leitete eine recht schwierige Periode meines Lebens ein. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass astrologisch Krebs mein aufsteigendes Zeichen sein muss, weil ich mich gern verstecken und nicht gesehen werden möchte; und der Bibelvers, der mir immer besonders wichtig erschien, bezieht sich auf den «Schatten eines grossen Felsens im trockenen Land» (Jesaja 32, 2).

Viele führende Astrologen haben sich damit amüsiert, mein Horoskop aufzustellen. Die meisten geben mir Löwe als aufsteigendes Zeichen, weil sie mich für eine ausgesprochene Individualistin halten. Einer von ihnen hat mir Krebs als aufsteigendes Zeichen zugewiesen, weil er meine Scheu vor der Öffentlichkeit kannte und mitempfand, und dieser Umstand bestimmte ihn wohl zu der Annahme, dass Krebs mein aufsteigendes Zeichen sei. Ich selbst glaube jedoch, dass die Fische mein aufsteigendes Zeichen sind. Mein Mann und eine meiner Töchter sind in diesem Zeichen geboren, es ist das Zeichen des Mediums oder des Vermittlers. Ich bin zwar kein Medium, aber ich bin eine Art von «Mittelsperson» zwischen der Hierarchie und der Allgemeinheit. Ich sage mit Absicht «Allgemeinheit» und nicht «okkulte Gruppen». Ich weiss bestimmt, dass die Allgemeinheit für ein gesundes Wissen über die Meister aufgeschlossener, und auf eine normale und vernünftige Auslegung okkulter Wahrheit besser vorbereitet ist als die Mitglieder einer durchschnittlichen okkulten Gruppe.

Die Kinder kamen jetzt allmählich in das Alter, in dem sich ihr Bedürfnis nach körperlicher Fürsorge, das die Mutter normalerweise in Anspruch nimmt, in Bedürfnisse emotionaler Art verwandelte. Diese Zeit zwischen dem dreizehnten und neunzehnten Jahr ist eine recht schwierige, - schwierig für die Kinder und schrecklich schwierig für die Mütter. Ich bin mir durchaus nicht sicher, ob ich darauf in der richtigen Weise reagierte und mich weise verhielt, und vielleicht ist es reine Glückssache, dass meine Töchter mich heute noch gern zu haben scheinen. Sie wuchsen unter weit normaleren Umständen auf als ich, die ich doch fremden Leuten, Gouvernanten und Privatlehrern überlassen worden war, und vielleicht wurde es mir deshalb schwerer, sie zu verstehen. Ich hatte eine sehr erhabene Vorstellung von dem Verhältnis zwischen Mutter und Kindern, wie es idealerweise sein sollte. Sie hatten kein solch erhabenes Ideal. Für sie war ich bloss jemand, von dem man Hilfe erwarten konnte, die sich aber meistens ihren Wünschen entgegenstellte. Ich habe in jener kurzen Zeitspanne viel gelernt, was mir später sehr zustatten kam, wenn andere Mütter mich wegen ihrer Probleme um Rat fragten. Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, so bin ich ehrlich überzeugt, dass meine Kinder nicht viel Grund hatten, sich über mich zu beklagen, denn ich versuchte aufrichtig, sie zu verstehen und mich in sie einzufühlen; aber im grossen und ganzen halte ich die Einstellung der Durchschnittseltern hier in Amerika und in England für ziemlich verfehlt.

Hier in den Staaten sind wir so nachlässig und nachgiebig gegenüber unseren Kindern, dass sie sehr wenig Verantwortungsgefühl oder Selbstdisziplin besitzen, während drüben in England die von den Eltern gestellten Anforderungen in bezug auf Disziplin, Überwachung und Kontrolle wahrlich genügen, um jedes Kind zur Auflehnung herauszufordern. Auflehnung ist in beiden Ländern gleichermassen das Endresultat der Erziehung. Die junge britische Generation scheint sich nach allem, was ich höre, völlig im Unklaren über die Wünsche und Belange zu sein, für welche die heutige Jugend sich in der Welt einsetzen sollte; andererseits haben sich die amerikanischen Soldaten in Europa und anderswo derartig benommen, dass sie dem Ansehen der USA in der Welt ernstlich geschadet haben. Dafür kann ich aber die amerikanischen Jungen nicht verantwortlich machen, sondern ihre Mütter, ihre Väter, ihre Lehrer und ihre Offiziere, die ihnen keine Richtlinien, kein Verantwortungsgefühl und keine wahren Lebensideale gegeben haben. Es ist bestimmt nicht ihre alleinige Schuld, wenn so viele von diesen jungen Leuten während des Krieges und in überseeischen Ländern ausser Rand und Band gerieten.

Als ich im Sommer 1946 in England und auf dem europäischen Kontinent weilte, erhielt ich aus vielen Ländern Berichte aus erster Hand über ihr Benehmen; ich hörte von den Zehntausenden illegitimer Kinder, die sie unversorgt und unanerkannt zurückliessen und von den Hunderten von Mädchen, die sie heirateten und dann im Stich liessen. Besonders interessant war für mich die Feststellung, dass die Negertruppen sich eines verhältnismässig guten Rufes erfreuten, weil sie den Mädchen gegenüber höflich und nett waren und sie nicht ausnutzten, wenn die Mädchen nicht selbst dazu gewillt waren. Bei dieser Kritik der amerikanischen Soldaten, die in gewisser Beziehung auch auf die etwas mehr disziplinierten britischen Truppen zutrifft, bin ich mir natürlich über eines klar, was ich verschiedentlich in England denen gegenüber zum Ausdruck brachte, die sich bei mir über das Benehmen amerikanischer Soldaten beschwerten: «Das ist alles schön und gut, und ich nehme durchaus alles an, was sie mir von den amerikanischen Jungen sagen, aber was halten sie von den leichtsinnigen kleinen englischen, französischen und holländischen Mädchen - denn es gehören doch immer zwei zu solchem Spiel?» Obwohl unsere Jungen zu viel Geld hatten und obendrein von ihren Offizieren dazu ermuntert wurden, sich während ihrer aktiven Dienstzeit «kein Korsett anzulegen», sind die ausländischen Mädchen doch mitverantwortlich. Man kann sogar einigermassen verstehen, dass diese ausgehungerten und unterernährten Mädchen sich an unsere amerikanischen Soldaten heranmachten, wenn sie und ihre Familien dadurch etwas zu essen bekamen. Ich sage das nicht, um sie zu entschuldigen, sondern weil es sich um eine bestehende Tatsache handelt.

Das Sexualproblem und das ganze Verhältnis zwischen beiden Geschlechtern ist überhaupt eine der Hauptfragen, welche die Welt im Lauf des nächsten Jahrhunderts lösen muss. Zu bestimmen, wie es gelöst werden soll, ist natürlich nicht meine Aufgabe. Es ist wohl in der Hauptsache eine Frage der vorbeugenden Erziehung, die der aufwachsenden Jugend klarmacht, dass der Tod der Sünde Lohn ist. Einer der saubersten Männer, der mir je begegnet ist, und der sich im puritanischen Sinn nie schlecht in seinem Leben benahm, sagte mir, das komme nur daher, weil ihn sein Vater als Neunzehnjähriger einmal in ein medizinisches Museum geführt und ihm einige Folgen schlechten Benehmens gezeigt habe. Ich glaube allerdings nicht, dass Furcht das richtige Mittel zur Besserung des Benehmens und zum Überwinden von Schwächen ist, aber es ist möglich, dass physisches Beweismaterial physischer Missetaten einen gewissen Wert hat.

Ich will nicht weiter auf dieses Thema eingehen, aber es hat einiges mit dem Problem zu tun, vor dem ich stand, als wir uns in dem Haus in Ridgefield Park niedergelassen hatten. Ich musste meine Kinder in die öffentlichen Schulen des Staates New Jersey schicken. Ich war an den Gedanken einer gemeinsamen Erziehung von Knaben und Mädchen gewöhnt, aber nur bei Kindern unter zehn Jahren, die alle aus besseren Kreisen stammten. Ich selbst war allerdings kein Produkt einer solchen Erziehung und ich war mir deshalb gar nicht sicher, ob diese für Kinder, die allmählich in die Zehnerjahre kamen, zu empfehlen sei, aber ich hatte keine andere Wahl und musste mich damit abfinden.

Wenn ein Kind in einem richtigen Heim und unter dem richtigen elterlichen Einfluss aufwächst, dann kenne ich kein besseres System als das der gemeinschaftlichen Erziehung. Das Erstaunen meiner eigenen Töchter, als sie zum ersten Mal nach England kamen und sahen, wie englische Mädchen sich englischen Jungen gegenüber benahmen, war recht amüsant. Sie stellten fest, dass diese Mädchen die englischen Jungen überschätzten, dass ihnen das sexuelle Gebiet ein tiefes Geheimnis war, und dass sie keine Ahnung hatten, wie man die Jungen eigentlich behandeln sollte; dagegen hatte das amerikanische Mädchen, das mit den Jungen zusammen aufwuchs, mit ihnen in der Schule sass, in der Frühstückspause, beim Spiel auf dem Schulhof und auf dem Schulwege ständig mit ihnen zusammen war, eine viel gesündere und vernünftigere Einstellung. Ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis das gemeinsame Erziehungssystem in jedem Land der Welt eingeführt sein wird. Das Rückgrat der Erziehung muss aber das Elternhaus sein, das die Lücken des Schulsystems ausfüllt und ausgleicht. Es ist wesentlich, dass die Jungen und Mädchen rechte Beziehungen und Übernahme von gegenseitiger Verantwortung lernen, und dazu gehört, dass man ihnen mancherlei Freiheit innerhalb beiderseits klar umrissener Grenzen gewährt - eine Freiheit, die auf Vertrauen beruht.

Die drei Mädchen gingen also in eine Volksschule. Ich kann nicht behaupten, dass sie sich besonders auszeichneten. Sie wurden jedes Jahr versetzt, aber ich kann mich nicht entsinnen, dass sie je unter den ersten ihrer Klasse waren oder Auszeichnungen erwarben. Sie alle hatten kluge Köpfe und haben sich zu intelligenten Staatsbürgerinnen entwickelt, aber sie zeigten eben kein besonderes Interesse an der Schule. Ich weiss noch, wie Dorothy, als sie zur höheren Schule ging, mir einmal einen Leitartikel aus der New York Times brachte. Der Artikel befasste sich mit dem modernen Erziehungssystem und betonte dessen Vorteile für die Massen. Er wies aber im weiteren Verlauf auch darauf hin, dass das System hochintelligenten und schöpferisch begabten Kindern gegenüber versage. «Und das», sagte meine Tochter, «sind wir und das ist der Grund, warum wir in der Schule keine besseren Zensuren kriegen». Sie hatte wahrscheinlich recht, aber ich gab mir Mühe, mir das nicht anmerken zu lassen. Die Massenerziehung in gemischten Schulklassen leidet darunter, dass die Lehrer zu grosse Klassen haben und den einzelnen Kindern nicht genügend Aufmerksamkeit widmen können. Ich weiss noch, wie ich Mildred einmal fragte, warum sie keine Schularbeiten mache, und die Antwort erhielt: «Ach Mutti, ich hab mir ausgerechnet, dass es bei 60 Kindern in meiner Klasse drei Wochen dauern wird, bis ich beim Lehrer an die Reihe komme, und da brauche ich doch jetzt noch nichts zu tun». Immerhin schwitzten sie sich durch die Schule hindurch, wurden immer mitversetzt und erhielten die normalen Abgangszeugnisse; und das war eben alles. Sie sind aber alle sehr belesen, lernten durch Foster und mich viele interessante Menschen aus der ganzen Welt kennen und hörten vielen interessanten Gesprächen zu, so dass sie wirklich eine sehr umfassende Erziehung erhielten.

Foster war zu der Zeit als Sekretär der Theosophischen Vereinigung von New York tätig, die eine unoffizielle, unabhängige Organisation war, während ich kochte, nähte, den Haushalt besorgte und zu Hause Bücher schrieb. Jeden Montagmorgen pflegten Foster und ich um 5 Uhr aufzustehen und die wöchentliche Wäsche einschliesslich Bettwäsche zu waschen, denn wir hatten wenig Geld, und erst während der letzten paar Jahre meines Lebens habe ich mich von einem Teil meiner Hausarbeit freimachen können.

Foster organisierte damals den Ausschuss der 1400, der es sich zur Aufgabe machte, die Theosophische Gesellschaft wieder zu ihren ursprünglichen Prinzipien zurückzubringen. Dieser Ausschuss war gewissermassen ein Miniaturbild der grossen Weltspaltung, die seit 1939 ihren Höhepunkt im Weltkrieg fand. Es handelte sich in der Hauptsache um einen Kampf zwischen den reaktionären, konservativen Kräften in der Gesellschaft und den neuen, liberalen Kräften, die auf die Wiederherstellung der ursprünglichen Prinzipien der Theosophischen Gesellschaft hinarbeiteten. Es war ein Kampf zwischen einer exklusiven, auf Absonderung ausgehenden und sich überlegen dünkenden Gruppe von Leuten, die sich für weiser und geistiger als die übrigen Mitglieder hielten, und denjenigen, die ihre Mitmenschen liebten und an Fortschritt und an die Universalität der Wahrheit glaubten. Es war ein Kampf zwischen einer exklusiven Partei und einer inklusiven Gruppe. Es war kein Kampf um bestimmte Doktrinen, sondern um Prinzipien, und Foster verwandte viel Zeit darauf, um diesen Kampf zu organisieren.

B. P. Wadia kam aus Indien zurück, und das verleitete uns im Anfang zu der Hoffnung, er würde unseren Bestrebungen grösseren Rückhalt verleihen. Wir mussten aber feststellen, dass er, wenn möglich, den Vorsitz über die T. G. in Amerika übernehmen wollte und dabei auf die Unterstützung von Foster und seines Ausschusses der 1400 rechnete. Foster hatte die Organisation aber nicht dafür geschaffen, um jemanden an die Macht zu bringen, der den Ausschuss vertreten würde. Der Ausschuss war vielmehr zu dem Zweck gegründet worden, um den Mitgliedern der T. G. die vorliegenden Fragen und die dabei gefährdeten Prinzipien klarzumachen. Als Wadia herausfand, dass das der Fall war, drohte er, seine Interessen und das Gewicht seines Einflusses zugunsten der Vereinigten Theosophenloge, einer gegnerischen und sehr sektiererisch eingestellten Gruppe, geltend zu machen. Sie vertreten die strenggläubige Richtung innerhalb der T. G., im Verein mit einer oder zwei weiteren theosophischen Gruppen, die sich auf den orthodoxtheologischen Standpunkt stellen und der Ansicht sind, dass H. P. B. das letzte Wort gesprochen habe, und dass niemand ein guter Theosoph sein könne, wenn er nicht das, was H. P. B. gesagt hat, in dem von ihnen gedeuteten Sinn annimmt. Das erklärt vielleicht die Tatsache, dass all diese strenggläubigen Gruppen sehr klein geblieben sind.

Der Ausschuss der 1400 setzte seine Tätigkeit fort. Die nächsten Wahlen fanden statt, die Mitglieder trafen ihre Entscheidungen (oder vielmehr die E. S. diktierte ihnen ihre Entscheidungen) und damit endete die Tätigkeit des Ausschusses. Wie er es uns vorausgesagt hatte, stellte sich Wadia auf die Seite der Vereinigten Theosophenloge und kehrte nach einiger Zeit nach Indien zurück, wo er eine der besten Zeitschriften ins Leben rief, die es heute auf okkultem Gebiet gibt. Sie heisst «The Aryan Path» (der Arische Pfad) und ist ausgezeichnet. Das Wort arisch hat nichts mit dem Sinn zu tun, in dem Hitler es verwendet. Es bezieht sich vielmehr auf die arische Methode geistiger Bewertung und auf die Art, wie Angehörige der Fünften Stammrasse sich der Wirklichkeit annähern.

Ich hatte während dieser Zeit eine Unterrichtsklasse über die Geheimlehre begonnen und in der Madison Avenue ein Zimmer gemietet, wo wir Versammlungen abhalten und Interviews arrangieren konnten. Dieser Kurs über die Geheimlehre begann im Jahr 1921 und fand ausserordentlich viele Zuhörer. Leute von den verschiedenen theosophischen Vereinigungen und okkulten Gruppen stellten sich dazu regelmässig ein. Mr. Richard Prater, ein alter Mitarbeiter von W. Q. Judge und Schüler von H. P. Blavatsky, kam eines Tages zu mir in den Unterricht, und in der darauffolgenden Woche führte er mir alle Teilnehmer seiner eigenen, bisherigen Geheimlehreklasse zu.

Das erwähne ich zugunsten der Vereinigten Theosophenloge und all derer, die behaupten, dass die wahre, theosophische Nachfolge von H. P. B. über W. Q. Judge führe. Alles, was ich von der Theosophie wusste, war mir von persönlichen Freunden und Schülern von H. P. B. beigebracht worden, und das erkannte Mr. Prater. Später übergab er mir die ihm von H. P. B. erteilten Unterweisungen der Esoterischen Sektion. Sie sind genau die gleichen, wie die, welche ich während meiner Mitgliedschaft in der E. S. selbst zu Gesicht bekommen hatte; aber er übergab sie mir ohne jeden Vorbehalt, und ich konnte sie jederzeit benutzen und habe das auch getan. Als er vor vielen Jahren starb, gelangte seine theosophische Bibliothek in unseren Besitz, einschliesslich aller alten «Lucifers» und aller alten Ausgaben des theosophischen Magazins sowie anderer esoterischer Schriften, die er von H. P. B. erhalten hatte.

Unter den Schriftstücken, die er mir gab, befand sich eines, in dem H. P. B. den Wunsch aussprach, die Esoterische Sektion sollte die Arkanschule genannt werden. Dazu war es nie gekommen und ich beschloss daher, den Wunsch der alten Dame zu erfüllen; und auf diese Weise erhielt die Schule ihren Namen. Meine Bekanntschaft mit Mr. Prater betrachtete ich als einen grossen Vorzug und ich war sehr glücklich darüber.

Eine andere alte Schülerin von Madame Blavatsky und Oberst Olcott, Miss Sarah Jacobs, gab mir die photographischen Platten der Meisterbilder, die Oberst Olcott ihr gegeben hatte; und das beweist mir, über jede rein persönliche Genugtuung hinaus, dass die persönlichen Schüler und Freunde von H. P. Blavatsky dem zustimmten, was ich zu tun vorhatte. Sie gaben mir auch weiterhin ihre Anerkennung und Hilfe, bis sie ins Jenseits hinübergingen. Als ich sie kennenlernte, waren sie alle natürlich schon alte Leute. Die Einstellung der jetzigen theosophischen Mitglieder und ihrer Leiter hat mich von jeher einigermassen belustigt. Sie haben dem, was ich lehrte, nie zugestimmt, obwohl es doch direkt von persönlichen Schülern der H. P. B. stammte und daher eher stimmen dürfte, als das, was von Leuten herrührt, die sie nie gekannt haben. Das erwähne ich, weil ich im Interesse des Werkes dessen Ursprung anerkannt wissen möchte.

Aus der Geheimlehreklasse entwickelten sich Schülergruppen im ganzen Land, die im Umriss den Lehrstoff erhielten, den ich in der Madison Avenue meinen Zuhörern vortrug. Diese Schülergruppen wuchsen und gediehen derart, dass sie unverkennbar die theosophische Gegnerschaft hervorriefen, und Dr. Jacob Bonggren warnte mich vor den zu erwartenden Angriffen. Er war ein alter Schüler von H. P. B., dessen Schriften in den älteren Ausgaben der Magazine zu finden sind, und ich bin sehr stolz darauf, dass er mir in jener Anfangszeit zur Seite stand.

Im Jahr 1921 bildeten wir eine kleine Meditationsgruppe, der ausser Foster und mir, fünf Männer angehörten. Wir trafen uns gewöhnlich jeden Dienstagnachmittag nach Geschäftsschluss, um über die Dinge zu sprechen, auf die es ankam, um uns über den Plan der Meister der Weisheit zu unterhalten und über unseren Anteil daran ein Weilchen zu meditieren. Diese Gruppe kam regelmässig vom Sommer 1922 bis zum Sommer 1923 zusammen. Während dieser Zeit schrieb ich weiter für den Tibeter, und «Initiation - Menschliche und Solare Einweihung», «Briefe über okkulte Meditation» und mein eigenes Buch «Das Bewusstsein des Atoms» waren im Druck erschienen.

Man neigt leicht zu der Annahme, dass jemand, der über so einen technischen Gegenstand wie Meditation, ein Buch schreibt, auch wirklich alles darüber wissen muss. Aus der ganzen Welt erhielt ich nun Briefe von Leuten, die mich baten, sie Meditation zu lehren oder sie mit den Meistern der Weisheit in Verbindung zu bringen. Ich gehöre aber nicht zu den okkulten Lehrern, die sich einbilden, genau zu wissen, was der Meister will, oder das Recht zu haben die Dummen und die Neugierigen bei den Meistern einzuführen. Die Meister lassen sich nicht auf diese Weise erreichen. Sie sind keine Zielscheibe für Raritätensucher, Leichtgläubige oder Einfältige. Nur der selbstlose Diener der Menschenrasse und der intelligente Dolmetscher der Wahrheit kann sie finden, aber sonst niemand.

Ich habe die Lehre so veröffentlicht, wie sie mir vom Tibeter aus zuging, aber die Verantwortung trägt er. Als Meister der Weisheit weiss er, was ich nicht weiss, und er hat Zugang zu Aufzeichnungen und Wahrheiten, die mir versiegelt sind. Die Annahme, dass ich alles weiss, was in seinen Büchern verkündet wird, ist demnach irrig. Als geschulte Jüngerin weiss ich wohl mehr als der Durchschnittsleser, aber ich besitze kein Wissen, das dem des Tibeters gleichkommt. Er besitzt umfassende Kenntnisse, und ich muss manchmal lächeln, wenn irgendein theosophischer Gegner (ich könnte Namen nennen, will es aber nicht) mich als die «merkwürdige Dame» bezeichnet, «die am Schlüsselloch von Shamballa lauscht». Es wird noch lange dauern, bis ich das Recht erworben habe, «in die Stätte einzugehen, wo man Gottes Willen kennt»; und wenn es einmal dazu kommt, dann werde ich kein Schlüsselloch brauchen.

Im Sommer 1922 ging ich mit meiner Familie drei Monate lang nach Amagansett auf der Insel Long Island, und damals unternahm ich es, der Studiengruppe einmal wöchentlich einen Brief zu schreiben, damit sie während meiner Abwesenheit weiterstudieren und lesen konnten. In manchen Fällen schien sich dieser Brief auch für jene zu eignen, die über Meditation, den Weg zu Gott und den geistigen Plan für die Menschheit anfragten; daher sandten wir ihnen fortlaufend Durchschläge dieser Briefe. Als wir im September 1922 in die Stadt New York zurückkehrten, erhob sich dringend die Frage, wie wir wohl am besten die Korrespondenz behandeln sollten, die sich infolge der wachsenden Bücherverkäufe anhäufte, und wie wir der Nachfrage nach Geheimlehreunterricht und nach geistiger Unterweisung gerecht werden könnten, die uns von allen Seiten entgegentrat. Deshalb organisierten wir im April 1923 die Arkanschule.

Die vier oder fünf Männer, die mit meinem Mann und mir zu der Dienstag-Nachmittag-Klasse gehört hatten, sammelten sich um uns. Zwei von ihnen arbeiten noch heute, nach vierundzwanzig Jahren mit uns, und zwei von ihnen sind im Jenseits. Wir hatten nicht die geringste Ahnung, wie wir eine derartige Arbeit anpacken sollten. Mit einer einzigen Ausnahme hatte keiner von uns jemals einer Korrespondenzschule angehört oder wusste, wie man andere auf brieflichem Weg unterrichten könnte. Alles, was wir besassen, war eine gute Absicht, der brennende Wunsch, irgendwie zu helfen, und drei Bücher über okkulte Themen. Seit jener Zeit sind über 30'000 Menschen durch die Schule gegangen. Hunderte, die der Schule vor zehn, zwölf oder achtzehn Jahren beitraten, sind immer noch bei uns, und das Werk der Arkanschule ist fast in jedem Land der Welt bekannt und anerkannt, ausser in Russland und ungefähr vier anderen Ländern.

Hätten wir damals im geringsten geahnt, welche umfassende Arbeit uns bevorstand und wie restlos sie uns in Anspruch nehmen würde, dann erscheint es mir sehr fraglich, ob wir wohl den Mut gehabt hätten, überhaupt anzufangen. Wenn ich mir über die damit verbundenen Kopfschmerzen und Bedrängnisse und die Verantwortungen klar gewesen wäre, die ein esoterischer Lehrer auf sich nehmen muss, dann hätte ich das Werk bestimmt nicht unternommen; aber Esel gehen halt gern aufs Glatteis, und so ging's mir auch.

Ohne die Unterstützung und weise Beratung meines Mannes hätte ich nichts von alledem leisten können. Mir schaudert, wenn ich an die Fehler, die ich ohne ihn gemacht, die falschen Entscheidungen, die ich ohne ihn getroffen hätte und an die Rechtsfragen denke, in die ich verstrickt worden wäre. Sein klares, juristisches Denken, seine Unpersönlichkeit und seine unerschütterliche Ruhe, wenn er sich meines Erachtens nach hätte aufregen sollen, haben mich immer wieder vor mir selbst errettet.

Eine esoterische Schule zu leiten, ist keine Kleinigkeit. Es ist durchaus nicht leicht, die Verantwortung zu übernehmen, anderen Leuten wahre Meditation beizubringen. Es ist schwer, nicht vom engen, messerscharfen Pfad abzuweichen, der zwischen höherem Psychismus oder geistiger Wahrnehmung und jenem niederen Psychismus hindurchführt, den manche Leute mit Katzen und Hunden gemeinsam haben. Es ist nicht leicht, zwischen einer psychischen Ahnung und intuitiver Wahrnehmung zu unterscheiden und ausserdem das geistige Leben anderer Leute zu erfassen und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden, wenn sie sich einem zur Schulung anvertrauen. Nichts davon wäre mir in dem erlebten Ausmasse ohne die wundervolle Unterstützung möglich gewesen, die mir von meinen Mitarbeitern im Büro und von den Schüler-Sekretären draussen im Land zuteil wurde. Wir fingen mit einem Büroraum an. Heute (1947) haben wir zwei ganze Stockwerke in einem Geschäftshaus der zweiundvierzigsten Strasse in New York und einen grossen Stab von Angestellten, ausserdem Niederlassungen in England, Holland, Italien und der Schweiz. Abgesehen von den Angestellten im Hauptbüro haben wir eine Gruppe von 140 Sekretären, d.h. älteren Schülern, die uns bei der Unterweisung anderer Schüler helfen. Diese Sekretäre sind über die ganze Welt verstreut, und ihrer selbstlosen und freiwilligen Mithilfe, die sie uns unbeirrt im Lauf der Jahre zuteil werden liessen, ist es zu danken, dass wir in der Lage waren, unser Werk fortzuführen.

Von Anfang an gab es gewisse Grundprinzipien, die laut unserem Beschluss alle Tätigkeiten dieser Gruppe bestimmen sollten. Es liegt mir sehr daran, diese Prinzipien klarzumachen, weil ich sie für grundlegend und für alle esoterischen Schulen gültig erachte, und weil ich nach meinem Dahinscheiden das Gefühl haben möchte, dass sie auch bei allen künftigen Entscheidungen richtunggebend sein werden. Im Grunde ist die in der Arkanschule gebotene Unterweisung die gleiche, wie sie schon von altersher Jüngern erteilt worden ist; sie wird daher - wenigstens in diesem Jahrhundert - keine grosse Anzahl von Mitgliedern haben. Die Menschen, die zu geistiger Unterweisung in den für alle Jünger gültigen, geistigen Gesetzen reif sind, sind in der Tat selten, aber man kann damit rechnen, dass ihre Zahl stetig wächst. Die Arkanschule ist keine Schule für Probejünger. Sie ist vielmehr als Schule für diejenigen gedacht, die dazu ausgebildet werden können, sich direkt und bewusst unter Leitung der Meister der Weisheit zu betätigen. Es gibt heute viele Schulen für Probejünger in der Welt und sie leisten grossartige, prächtige und notwendige Arbeit.

Ich war lange Zeit hindurch äusserst verwundert darüber, warum die Mitglieder der T. G. und besonders der E. S. meinen Bestrebungen so feindlich gegenüberstanden. Ich wusste, dass das nicht auf unsere frühere Betätigung innerhalb der Gesellschaft zurückzuführen war, sondern dass ein anderer Grund vorlag, und darüber machte ich mir Gedanken. Es schien mir und scheint mir heute noch, dass die Welt für Hunderte von wahren, esoterischen Schulen genügend Platz hat, und dass sie alle es fertig bringen sollten, miteinander zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu ergänzen und einander zu unterstützen.

Das war mir lange Zeit ein Rätsel, bis ich anfangs der dreissiger Jahre in Paris mich einmal bei Herrn Marcault, dem damaligen Leiter der T. G. in Frankreich, danach erkundigte. Er sah mich ganz gross und verwundert an und sagte, natürlich hätte man etwas gegen mich, weil ich Leute in meine eigene Gruppe aufnahm, anstatt sie der E. S. zuzuführen. Ich blickte ihn ebenso erstaunt an und erklärte ihm, wir hätten in der Arkanschule vier verschiedene Sorten von Theosophen, vier verschiedene Abarten von Rosenkreuzern, und dass auch nicht einer von ihnen der T. G. beizutreten wünsche, der er und ich als Mitglieder angehörten. Ich erinnerte ihn daran, dass niemand in die E. S. aufgenommen werden kann, der nicht mindestens zwei Jahre lang Mitglied der T. G. gewesen ist, und fragte ihn, warum man Leute, die für eine esoterische Schulung reif sind, zwei Jahre lang in einer rein exoterischen Gruppe warten lasse. Darauf konnte er mir keine Antwort geben; ich erhöhte noch seine Verwirrung dadurch, dass ich (in einer, wie mir heute scheint, nicht gerade taktvollen Weise) darauf hinwies wie schade es doch eigentlich sei, dass die Arkanschule und die Esoterische Sektion nicht zu gemeinsamem Gedeihen zusammenarbeiten könnten. Ich erklärte ihm, die E. S. sei für Probejünger die beste Schule der Welt, da sie das Feuer der Aspiration schüre und bei ihren Mitgliedern Hingabe erwecke, während unsere Schule die Heranbildung «angenommener Jünger» bezwecke - das heisst also, dass wir Leute auf der letzten Entwicklungsstufe des Probepfades für die akzeptierte Jüngerschaft vorbereiteten, und dass wir Unpersönlichkeit und mentale Entfaltung betonten. Ich fügte hinzu dass wir absichtlich auf Ausmerzung hinarbeiteten und nur die Schüler beibehielten, bei denen wirkliche Anzeichen wahrer Denkkultur vorlägen. Ich sagte ihm, dass wir Hunderte von rein emotionalen Frömmlertypen fallen liessen, und dass ich viele davon in die E. S. hätte überführen können, wenn wir nur irgendwie zusammenarbeiten könnten. Er war weder beeindruckt noch erfreut, und ich nahm ihm das auch nicht übel. Ich hatte das durchaus nicht in einem beeinträchtigenden Sinn gemeint, denn meines Erachtens werden beide Gruppen in gleicher Weise gebraucht; beide können sie einem geistigen Zweck dienen, und ob jemand nun Probejünger oder Jünger ist, ändert doch nichts an der Tatsache, dass er immerhin ein geistig orientierter Mensch ist, der Schulung und Disziplin braucht.

Diese Idee von Rang und Stellung ist der Fluch der T. G und vieler anderer okkulter Gruppen gewesen. Oft habe ich den Schulsekretären gesagt, dass die Tatsache ihrer höheren Rangstufe in der A. S. nicht notwendigerweise ein Anzeichen geistiger Entwicklung sei, und dass sie in ihrer Schülergruppe einen Anfänger haben könnten, der ihnen auf dem Pfad der Jüngerschaft weit voraus ist. Warum manche denken, dass ein emotionaler, stark gefühlsmässiger Mensch, dessen Wahrnehmung auf dem Empfinden beruht, weniger wichtig sein solle, als ein mentaler Typus, ist eine andere Frage, die mich stets beunruhigt hat. Niemand kann ohne sein Herz oder ohne seinen Kopf bestehen, und der wahre okkulte Schüler vereinigt beides. Die Leiter der T. S. gestatten es keinem Arkanschüler, der E. S. anzugehören, ohne seine Verbindung mit uns aufzugeben. Das ist durchaus irrig und gehört zur grossen Sünde der Absonderung.

Wir verlangen kein solches Aufgeben einer anderweitigen Mitgliedschaft und sagen unseren Schülern, dass, wenn es der Schule gelingt, ihr geistiges Leben zu vertiefen, ihren Horizont zu erweitern und ihr mentales Wahrnehmungsvermögen zu steigern, es ihnen überlassen bleibt, all das in die Tat umzusetzen, und zwar innerhalb der Kirche, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe, Familie oder Gemeinde, der sie schicksalsgemäss angehören. Deshalb haben wir aktive Schüler, die Mitglieder verschiedener theosophischer Organisationen sind, von denen sich jede für die einzig wahre hält. Wir haben Schüler, die vier verschiedenen Gruppen von Rosenkreuzern angehören. Wir haben katholische und protestantische Kirchenmitglieder, Christliche Wissenschaftler, Leute aus der «Unity»-Bewegung und Angehörige aller möglichen Körperschaften, die eine geistige oder religiöse Grundlage besitzen. Wir nehmen Leute an, die überhaupt keinen Glauben haben, aber willens sind, eine Hypothese anzunehmen und den Versuch zu machen, ihren Wert oder Unwert nachzuweisen. Die Arkanschule ist demnach keine Sekte, sie ist unpolitisch, wenn auch ihrem Denken nach ausgesprochen international. Dienst ist ihr Leitgedanke. Ihre Mitglieder können sich in jeder beliebigen Sekte oder politischen Partei betätigen, solange sie dessen eingedenk bleiben, dass alle Pfade zu Gott führen, und solange das Wohl der einen Menschheit ihr ganzes Denken beherrscht. Vor allem anderen handelt es sich um eine Schule, in der ein Schüler lernt, dass die Seelen der Menschen eins sind.

Ich möchte noch hinzufügen, dass es eine Schule ist, in welche der Glaube an die Geistige Hierarchie unseres Planeten wissenschaftlich gelehrt wird, zwar nicht im Sinn einer Doktrin, sondern eines bestehenden und nachweisbaren Naturreichs. Die Kirchen haben mancherlei vom Reich Gottes und vom Reich der Seelen gelehrt. Das sind nur andere Ausdrücke für die Geistige Hierarchie des Planeten.

Es ist eine Schule, in der wahrhaft okkulter Gehorsam entwickelt wird. Dieser okkulte Gehorsam bedingt nicht, dass man mir oder irgendeinem anderen Leiter der Schule oder überhaupt irgendeinem anderen Menschen gehorcht. Keine Treueide oder persönliche Verpflichtungen einem Einzelwesen gegenüber werden von den Mitgliedern der Arkanschule verlangt oder erzwungen; sie werden aber gelehrt, den Eingebungen der Seele bereitwillig Folge zu leisten. In dem Mass, in dem ihnen die Stimme ihrer Seele mehr und mehr vertraut wird, wird diese sie am Ende zu Mitgliedern des Reiches Gottes machen, und sie werden Christus von Angesicht zu Angesicht erschauen.

Im Jahr 1923 begannen wir also mit einer Schule, die weder an einer Lehrmeinung starr festhielt, noch sektiererisch war und auf der Ewigen Weisheit beruht, die uns seit grauester Vorzeit überliefert wurde. Wir gründeten eine Schule, die einen ganz bestimmten Zweck und ein spezifisches Ziel vor Augen hatte - eine Schule, die ihrem Wesen nach inklusiv und nicht exklusiv war, und die ihren Schülern ein Leben des Dienens als den Pfad der Annäherung an die Hierarchie vor Augen hielt, anstelle eines Pfades selbstsüchtiger geistiger Eigenkultur. Wir beschlossen, das Pensum absichtlich hart und schwierig zu gestalten, um unintelligente Schüler von vornherein auszuschalten. Nichts ist leichter als eine okkulte Schule aufzumachen, die dem Interesse an der eigenen Person gewidmet ist, das geschieht fortwährend, aber wir beabsichtigten nichts dergleichen.

Ganz allmählich lernten wir, wie sich die Arbeit organisieren liess, wie man Angestellte schult, eine Briefregistratur systematisch anordnet und - überhaupt einen Geschäftsbetrieb so sachgemäss aufzieht, dass er eine prompte Bedienung unserer Schüler gewährleistete. Wir haben die Schule stets durch freiwillige Beiträge finanziert und keinerlei Gebühren verlangt. Auf diese Weise sind wir den Schülern finanziell nicht verpflichtet und es steht mir frei, einen Schüler jederzeit fallen zu lassen, wenn er aus unserer Hilfe keinen Nutzen zieht. Es steht kein «gütiger Engel» hinter uns und überhaupt niemand, der uns mit grösseren Beiträgen unterstützt. Wir verlassen uns ganz auf die kleinen Beiträge der Vielen, was viel gesünder und verlässlicher ist.

Ich denke, das ist alles, was ich über die Anfänge der Schule und ihren Betrieb zu sagen habe. Aus diesem Anfang entwickelte sich alles, was wir jetzt tun. Heute haben wir eine britische, eine holländische, eine italienische eine schweizerische und eine südamerikanische Abteilung, mit einer Sondergruppe in der Türkei und in Westafrika, und mit einzelnen Schülern in vielen anderen Ländern. Die Schulhefte gehen in vielen Sprachen in die Welt hinaus und den Schülern in den einzelnen Ländern stehen Sekretäre zur Verfügung, die ihre Sprache sprechen. Die Dienstfunktionen der Schule sind sogar noch weiter gefächert, doch möchte ich mich mit diesen hier nicht befassen.

Die nächsten sechs Jahre (von 1924 bis 1930) verliefen ziemlich eintönig. Wenn ich heute darauf zurückblicke, kommt mir ein Zyklus tief zum Bewusstsein, in dem ich Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat immer dasselbe tat, wobei ich mich gleichzeitig um die Weiterentwicklung der Arkanschule bemühte. Andauernd verfasste ich Schullektionen und schrieb Artikel. Ewig musste ich auf Verabredung Leute empfangen, und im Jahr 1928 war ich so weit gekommen, dass ich oftmals den ganzen Tag hindurch alle zwanzig Minuten einen andern Besucher hatte. Ich habe mir nie eingebildet, dass das deshalb so war, weil man mich für eine so grossartige Person hielt; der Grund war hauptsächlich der, dass ich keine Gebühren verlangte.

Das waren die Jahre, in denen Psychologen aller Schattierungen im Land umherzogen und Vorlesungen hielten. Psychoanalyse-Spezialisten aller Art liessen sich überall für schweres Geld konsultieren. Ich habe niemals irgendwelche Gebühren verlangt, und meine Tage waren erfüllt mit Besuchen von Leuten, die irgendein Problem hatten und von mir dessen Lösung erhofften. Es gab damals eine Frau in New York, die für eine halbstündige Konsultation 500 Dollar verlangte, und sie hatte eine lange Warteliste. Ich bin sicher, dass sie niemals so nützliche Ratschläge erteilte, wie ich es umsonst tat.

Eines der Geheimnisse der menschlichen Natur tauchte damals besonders deutlich in meinem Bewusstsein auf. Ich entdeckte, dass die Menschen durchaus gewillt sind, über die intimsten Einzelheiten ihres täglichen Lebens zu sprechen und mir sogar ihre geschlechtlichen Beziehungen zu ihren Ehegatten enthüllten, obwohl ich ihnen doch vollkommen fremd war. Die Art, wie ich darauf reagierte, gründete sich wohl auf meine britische Erziehung, denn hier in Amerika spricht man seit jeher viel freier zu Fremden, als das bei der anderen Hälfte der angelsächsischen Rasse üblich ist. Offen gestanden habe ich das nie leiden können. Es gibt eine gewisse Zurückhaltung, die nützlich und angezeigt ist, und ich habe schon immer gewusst, dass Leute, die sich zu frei ausgesprochen und in intimer Unterhaltung blossgestellt haben, einen am Ende bloss hassen - mit einer Art von Hass, der durchaus unangebracht ist und den die Person, der sie sich anvertrauten, in keiner Weise verdient hat. Ich habe an den sexuellen Beziehungen der Leute niemals ein Interesse gehabt, aber ich weiss, dass sie für die Harmonie des einzelnen ein wesentlicher Faktor sind.

Die ganze Sexualfrage befindet sich heute im Stadium des Umbruchs. Ich selbst bin eine konservative Engländerin, die den blossen Gedanken an eine Ehescheidung verabscheut und über sexuelle Probleme überhaupt nicht gern diskutiert, aber ich weiss, dass die moderne Generation darin nicht ganz unrecht hat. Ich weiss auch, dass die viktorianische Einstellung innerlich faul und verderblich war. Der geheimnisvolle Schleier, mit dem man damals das ganze Problem umhüllte, war für eine unwissende Gruppe junger Leute etwas Gefährliches im Sinn von natürlichem, schöpferischem Leben. Das Geflüster, die Geheimnisse und Mitteilungen hinter verschlossenen Türen erregten die Neugierde der Jugend und verleiteten sie zu obszönem Denken; und das ist etwas, was man den Vätern und Müttern jener Zeit nur schwer verzeihen kann. Heute leiden wir unter den Nachwirkungen dieser Einstellung. Fast möchte man denken, die jungen Leute wissen heute zu viel, aber meiner Ansicht nach befinden sie sich damit in einer weit gesicherteren Lage, als jener, in der ich aufwuchs.

Wie das Sexualproblem einmal gelöst werden wird, weiss ich nicht. Ich weiss, dass nach britischem Gesetz (und wahrscheinlich auch nach dem Gesetz anderer Kolonialmächte) ein Mohammedaner im Ausland mehrere Frauen haben darf. Die Männer westlicher Nationen, wie z.B. die Briten oder die Amerikaner, haben aber seit jeher die gleichen polygamen Kontakte gehabt. Aus all dieser Zwanglosigkeit sexueller Erziehungen und aus all diesem Suchen nach einer Antwort wird sich wohl am Ende irgendeine richtige Lösung ergeben. Die Franzosen haben keine Lösung dafür gefunden, denn ihre Nation ist ein lebendiger Beweis dafür, dass «das Denken das Wirkliche ertötet». Sie sind solche Tatsachenmenschen, dass sie dabei das Schöne, das Geistige, das Subjektive oft vergessen, und das deutet auf einen ernsten Mangel in ihrer inneren Ausrüstung. Ihr Senat tritt zusammen, ohne der Gottheit zu gedenken; ihre Freimaurerlogen werden von den Grosslogen anderer Länder geächtet, weil sie den Grossen Baumeister des Weltalls nicht anerkennen; und ihre sexuellen Beziehungen beruhen lediglich auf dem Nützlichkeitsprinzip, an dem nichts auszusetzen wäre, wenn es nichts anderes in der Welt gäbe als materielles Dasein.

Heute, im Jahr 1947, leidet die Welt unter sexueller Anarchie. In Grossbritannien, Amerika und in anderen Ländern nehmen Ehescheidungen überhand; junge Leute heiraten von vornherein mit dem Gedanken, dass die Ehe aufgelöst werden kann, wenn sie sich nicht als glücklich erweist, und wer darf sagen, dass sie damit unrecht haben? Uneheliche Kinder als Nachwirkungen der Kriegspsychose sind in allen Ländern heute fast die Regel und nicht die Ausnahme. Wo marschierende Heere durchziehen, da bleiben Tausende von unehelichen Kindern als Folge zurück. Die Kirche wütet gegen die modernen Ansichten über die Ehe und deren Enttäuschungen, ohne jedoch eine Lösung anzubieten; und sowohl die katholische als auch die Episkopalkirchen in den Vereinigten Staaten und in Grossbritannien stehen auf dem Standpunkt, dass die Wiederverheiratung geschiedener Personen Ehebruch bedeute.