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FÜNFTER VORTRAG

FÜNFTER VORTRAG

DIE EVOLUTION DES BEWUSSTSEINS

In [97] der letzten Woche studierten wir, wenn auch nur flüchtig, die Evolution des Menschen, des Denkers, des Bewohners der Körper, also desjenigen, der sie während des Evolutionszyklus benutzt. Wir sahen, dass er die Summierung aller Evolutionen ist, die ihm vorausgingen. Die beiden früheren Vorträge führten uns an das Studium dieses Evolutionsstadiums heran, indem wir zuerst die Substanz oder atomare Materie vor deren Einbau in eine Form betrachtet haben, also das winzige Atom, bevor es in einen irgendwie gearteten Träger einverleibt war. Dann studierten wir die Bildung der Formen mittels des grossen Gesetzes der Anziehung, welche die Atome um sich versammelt und sie veranlasst, zusammenzuhalten und im Einklang miteinander zu schwingen, wodurch dann eine Form oder Anhäufung von Atomen zustandekommt. Wir kamen zu der Erkenntnis, dass wir in der atomaren Substanz einen Aspekt der Gottheit oder Göttlichkeit und der zentralen Kraft oder Energie des Sonnensystems vor uns haben, das sich unter dem Aspekt der Intelligenz manifestiert, und wir sahen, dass sich im Formaspekt der Natur eine weitere Qualität der Gottheit offenbart, die der Liebe oder Anziehung, jener Bindekraft, welche die Form zusammenhält. Dann studierten wir den Menschen und stellten fest, wie in ihm alle drei göttlichen Aspekte zusammentreffen und mussten den Menschen als den zentralen Willen erkennen, der sich durch eine aus Atomen zusammengesetzte Form darstellt und die drei göttlichen Qualitäten, Intelligenz, Liebe-Weisheit und Wille oder Kraft demonstriert.

Heute verlassen [98] wir den Materieaspekt der Manifestation, mit dem wir es in den anderen Vorträgen zu tun hatten und gehen zur Betrachtung des Bewusstseins in der Form über. Wir haben gesehen, dass das Atom dabei als das zentrale Leben angesehen werden kann, das sich durch eine sphäroide Form manifestiert und eine Art Denkqualität zeigt; aber das menschliche Atom kann ebenfalls als ein zentrales, positives Leben betrachtet werden, das eine Form benutzt und die verschiedenen, von uns aufgezählten Eigenschaften aufzeigt; und dann sagten wir, wenn unsere Hypothese über das Atom stimmt und wenn es richtig ist, den Menschen als ein Atom anzusehen, dann könnten wir diese Grundvoraussetzung auch auf den Planeten ausdehnen und behaupten, im Inneren des planetarischen Atoms gibt es ein sich durch eine Form manifestierendes grosses Leben, das besondere Qualitäten aufweist und ein spezifisches Ziel ausarbeitet; dann wandten wir das gleiche Konzept noch auf die grössere Sphäre des Sonnensystems und die ihm innewohnende Gottheit an.

Lassen Sie uns jetzt die Frage nach dem Bewusstsein selbst aufgreifen, das Problem etwas genauer studieren und uns mit der Reaktion [99] des Lebens innerhalb der Form beschäftigen. Wenn es mir dadurch gelingt, einige Grundgedanken zu übermitteln, die mit dem vorher Gesagten zu vereinbaren sind, werde ich dem Gebäude, das ich aufzubauen versuche, einen weiteren Stein einfügen können.

Das englische Wort «consciousness» (Bewusstsein) stammt aus zwei lateinischen Wörtern, nämlich «con», mit und «scire», wissen und wörtlich bedeutet das «das, womit wir wissen». Im Lexikon findet sich folgende Erklärung für Bewusstsein: «Der Zustand des Gewahrseins» oder die Bedingung für Wahrnehmung, die Fähigkeit auf Stimuli zu reagieren, die Gabe, Kontakte zu erkennen und die Kraft, Schwingung zu synchronisieren. Jeder dieser Begriffe könnte für alle Definitionen des Bewusstseins gelten, aber die eine, die ich heute betonen möchte, ist diejenige aus dem «Standard Dictionary», die ich schon früher zitiert habe. Der durchschnittliche Denker, der die meisten Textbücher in die Hand nimmt, die sich mit diesem Gegenstand befassen, wird sie wahrscheinlich sehr verwirrend finden, denn sie unterteilen Bewusstsein und Gewahrseinszustand in zahlreiche Unterabteilungen, bis die Verwirrung vollkommen ist. Wir wollen heute nur drei Bewusstseinsarten behandeln, die wie folgt aufgezählt werden könnten: Absolutes Bewusstsein, universales Bewusstsein und individuelles Bewusstsein; und von diesen dreien lassen sich in Wirklichkeit nur zwei einigermassen klar definieren.

Für absolutes Bewusstsein [100] ist einem normalen Denker praktisch keinerlei Erkennen möglich. In einem Buch wurde es einmal beschrieben als «Das Bewusstsein, welches alles enthält, sowohl das Mögliche als auch das Tatsächliche», und es betrifft alles, was möglicherweise als etwas bereits Geschehenes erkannt werden kann, als auch etwas, das gerade geschieht oder geschehen wird. Möglicherweise ist dies das absolute Bewusstsein und vom Standpunkt des Menschen gesehen das Bewusstsein Gottes, der in Sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft enthält. Was ist aber dann universales Bewusstsein? Es könnte als Raum-Zeitdenkens Bewusstsein definiert werden, das also die Idee von Ort und Abfolge in sich enthält oder in Wirklichkeit Gruppenbewusstsein, wobei die Gruppe selbst entweder eine grössere oder kleinere Einheit bildet. Und das individuelle Bewusstsein kann schliesslich definiert werden als gerade so viel vom universalen Bewusstsein enthaltend, als eine abgetrennte Einheit für sich selbst kontaktieren und begreifen kann.

Um nun diese vagen Ausdrücke - absolutes, universales, individuelles Bewusstsein - verständlich zu machen, sollte ich versuchen, sie etwas zu veranschaulichen. Etwa so: In früheren Vorträgen erkannten wir, dass wir das Atom im menschlichen Körper als Entität, als winziges, intelligentes Leben und eine mikroskopische, aktive Sphäre verstehen müssen. Nehmen wir diese kleine Zelle als Ausgangspunkt, dann können wir mit ihrer Hilfe eine gewisse Vorstellung davon bekommen, was diese drei Bewusstseinsarten sind, wenn wir sie vom Standpunkt des Atoms und des Menschen [101] her betrachten. Individuelles Bewusstsein wäre für das winzige Atom in eines Menschen Körper sein eigenes, vibrierendes Leben, seine eigene innere Aktivität und alles was es spezifisch selbst betrifft. Universales Bewusstsein wäre für die kleine Zelle das Bewusstsein des gesamten physischen Körpers, weil sie es als die Einheit sieht, in die das Atom einverleibt ist. Absolutes Bewusstsein könnte für das Atom das Bewusstsein des denkenden Menschen sein, der den Körper mit Energie versorgt. Das wäre für das Atom freilich etwas so unendlich weit von seinem eigenen inneren und inwendigsten Leben Entferntes, dass es ihm praktisch unerfassbar und unbekannt bliebe; und doch wird die Form und das Atom in der Form und alles, was diese betrifft, von ihm in die Richtung seines Willens gerissen. Diese Vorstellung braucht nur auf den Menschen als Atom oder Zelle im Körper einer grossen Entität erweitert zu werden, dann kann man auf derselben Gedankenlinie diese Vorstellung eines dreifältigen Bewusstseins ausarbeiten. Es wäre an dieser Stelle ratsam, wieder etwas herunterzukommen und uns mit praktischen Dingen zu befassen, anstatt mit dem absoluten Bewusstsein.

Die westliche Wissenschaft kommt allmählich zur Schlussfolgerung der esoterischen Philosophie des Ostens, dass Bewusstsein nicht nur dem Tier und dem Menschen zugestanden, sondern auch erkannt werden muss, dass es sich durch das Pflanzenreich bis in das Mineralreich erstreckt und dass Selbst-Bewusstsein als die vollzogene Vollendung des evolutiven Wachstums des Bewusstseins in [102] den drei niederen Naturreichen zu sehen ist. Es ist nicht möglich, in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit tiefer in das ungeheuer faszinierende Studium der Bewusstseinsentwicklung im Tier und Pflanzenreich sowie auf sein Aufscheinen im Mineralreich einzugehen. Wir würden dann nämlich entdecken, dass sogar Mineralien Symptome von Wahrnehmung, von Reaktion auf Stimuli zeigen; dass sie Zeichen von Ermüdung erkennen lassen, und dass es möglich ist, ein Mineral zu vergiften und regelrecht zu ermorden, wie man auch einen Menschen ermorden kann. Die Tatsache, dass Blumen Bewusstsein haben, wird bereitwilliger aufgenommen, und es gibt äusserst interessante Veröffentlichungen über die Bewusstheit der Pflanzen, die enorme Gedankenweiten eröffnen. Wir haben gesehen, was sich über die atomare Materie als Einziges sicher behaupten lässt, ist, dass sie Intelligenz zeigt, die Kraft zur Auswahl und zur Unterscheidung besitzt. Das ist auch der vorherrschende Faktor, der sich im Bewusstsein des Mineralreichs manifestiert. Im Pflanzenreich erscheint eine weitere Qualität, die der Empfindung oder einer rudimentären Form des Fühlens. Es ist auf andere Weise reaktionsfähig als das Mineralreich. Im Tierreich tritt dann eine dritte Reaktion in Erscheinung; das Tier zeigt nicht nur Anzeichen von Empfindung weit stärkeren Grades als sie im Pflanzenreich aufscheint, sondern hier zeigen sich Anzeichen von Intellekt oder eines embryonalen Denkvermögens. Instinkt ist eine allgemein anerkannte Fähigkeit aller animalischen Einheiten und das Wort stammt bezeichnenderweise aus derselben Wurzel wie das lateinische «instigere» (antreiben). Wenn sich in einer Tierform eine Antriebskraft zu regen beginnt, ist [103] es das Zeichen, dass sich eine Embryo-Mentalität manifestieren will. In allen Naturreichen sind die verschiedensten Grade und Arten von Bewusstsein anzutreffen, während sich im Menschen die ersten Symptome von Selbst-Bewusstsein zeigen oder die Fähigkeit, durch die er gewahr wird, dass er nicht nur eine gesonderte Identität ist, sondern auch der dem Körper innewohnende Impuls und der eine, der vermittels dieser Körper Gewahrsein zu entwickeln sucht. Im Osten hat man das längst gelehrt und «esoterische Philosophie lehrt, dass alles lebt und bewusst ist, aber dass nicht alles Leben und Bewusstsein dem des Menschen gleicht», und weiter wird die Tatsache betont, dass «zwischen dem Bewusstsein des Atoms und dem einer Blume, zwischen dem einer Blume und dem eines Menschen, zwischen dem eines Menschen und dem eines Gottes enorme Intervalle bestehen.» Wie Browning gesagt hat: «Im Menschen beginnt ein neues Streben hin zu Gott.» Er ist noch nicht göttlich, sondern seine Göttlichkeit ist erst im Entstehen, er ist dabei, das Ebenbild Gottes auszuarbeiten und wird es eines Tages vollkommen hervorbringen. Er ist der einzige, der das subjektive, göttliche, dreifältige Leben durch das Medium des Objektiven zu demonstrieren sucht.

Die evolutive Entwicklungsmethode des Bewusstseins in einem Menschen ist nichts anderes als die Wiederholung der beiden Stufen, die wir bei der Evolution des Atoms feststellten, die der atomaren Energie und der Gruppenkohärenz, auf einer höheren Windung der Spirale. In der gegenwärtigen Welt ist deutlich zu erkennen, dass sich die Menschenfamilie auf ihrer atomaren Manifestationsstufe befindet, die zu einem noch nicht erreichten Ziel führt, dem Gruppenstadium.

Wenn [104] es etwas gibt, das sich uns allen aufdrängt, sofern wir nur irgend an der Fähigkeit der Wahrnehmung interessiert und gewohnt sind, unsere Umgebung wirklich wahrzunehmen, dann sind es die verschiedenen Mentalitätsabstufungen und Bewusstseinstypen der Menschen, die einem überall begegnen. Wir begegnen Leuten, die aufmerksam und lebhaft alles bemerken, was geschieht, die äusserst bewusst leben, auf die unterschiedlichsten Gedankenströmungen reagieren und sich aller Arten von Kontakten bewusst sind. Dann treffen wir wieder andere, die zu schlafen scheinen; da gibt es kaum etwas, das ihnen Interesse abnötigt, Kontakte nehmen sie nicht wahr; sie befinden sich noch in einem Zustand der Indifferenz und sind nicht fähig, auf Stimulierung von aussen zu reagieren; sie sind mental nicht lebendig. Das lässt sich auch bei Kindern beobachten; einige reagieren rasch und lebhaft, während wir andere als dumm bezeichnen. Dabei ist aber nicht wirklich das eine wesentlich dümmer als das andere, sondern das hängt einfach vom inneren Evolutionsstadium des Kindes ab, von seinen häufigeren Inkarnationen und der längeren Zeitdauer, während der es mit dem Gewahrwerden beschäftigt war.

Lassen Sie uns jetzt die beiden Stufen, das atomare und das Form-Stadium nehmen und sehen, wie sich das menschliche Bewusstsein entwickelt, wobei man immer im Auge behalten muss, dass sich im menschlichen Atom alles das speichert, was in den früheren Stadien der drei niederen Naturreiche gewonnen wurde.

Denn [105] der Mensch ist in diesem ungeheuren evolutiven Prozess, der hinter ihm liegt, der Gewinner und trägt bei seinem Start alles Gewonnene latent in sich. Er ist sich seiner selbst bewusst und es liegt ein bestimmtes Ziel vor ihm, das Erreichen von Gruppenbewusstsein. Für das Substanzatom war Selbst-Bewusstsein das Ziel gewesen; vor dem Menschen liegt als Ziel ein umfassenderes Bewusstsein und ein um vieles weiterer Gewahrseinsbereich.

Das atomare Stadium, das wir jetzt betrachten wollen, ist für uns so besonders interessant, weil es das Stadium ist, in dem sich der Grossteil der Menschheitsfamilie befindet. In ihm durchlaufen wir die (ausserordentlich notwendige) Periode der Selbst-Zentriertheit, jenen Zyklus, in dem der Mensch vorwiegend um seine eigenen Angelegenheiten besorgt ist und auf das, was ihn vordringlich interessiert, und so lebt er sein intensives innerliches, vibrierendes Leben. Während sehr langer, hinter uns liegender Zeit waren wir ausserordentlich selbstsüchtig, und vielleicht sind es die meisten von uns (denn ich glaube nicht, dass viele beleidigt wären, wenn man sie als noch nicht vollkommen betrachten und sagen würde, sie hätten das Ziel noch nicht erreicht) gewiss auch heute noch. Wir sind nur verstandesmässig an den Dingen interessiert, die in der Welt vorgehen, wenn überhaupt, und nur weil unser Herz angerührt wird und wir uns nicht gern unbehaglich fühlen, oder wir zeigen nur deshalb Interesse, weil es gerade Mode ist. Und doch ist trotz dieser mentalen Einstellung unsere ganze Aufmerksamkeit im Grunde auf Dinge konzentriert, die unser eigenes individuelles [106] Leben betreffen. Wir sind im «atomaren» Stadium und leben intensiv in aktivem Zusammenhang mit unseren persönlichen Problemen. Beobachten Sie das Gedränge in den Strassen irgend einer Grossstadt und Sie werden überall die Menschen im Atom-Stadium sehen, wie sie ganz auf sich konzentriert, nur mit ihren eigenen Belangen beschäftigt und auf ihr eigenes Vergnügen aus sind, sich hauptsächlich amüsieren wollen und nur gelegentlich einmal mit Dingen beschäftigen, welche die Gruppe betreffen. Es ist dies aber ein notwendiger, schutzbringender Zustand und für jede Einheit der Menschenfamilie von wesentlichem Nutzen. Die Erkenntnis dieser Tatsache wird daher sicher dazu beitragen, dass wir mit unseren Brüdern und Schwestern Geduld haben, die uns oft so ärgerlich machen können.

Durch welche zwei Faktoren entwickeln wir uns in das Atomstadium hinein und wieder aus ihm heraus? Im Osten ist jahrhundertelang die Evolutionsmethode als eine zweifache angesehen worden. Der Mensch wurde gelehrt, dass er sich zuerst durch seine fünf Sinne entwickelt und gewahr wird, und später durch eine mit Leidenschaftslosigkeit gepaarte wachsende Unterscheidungsfähigkeit. Hier im Westen haben wir immer vor allem die fünf Sinne betont, aber nicht jene Unterscheidungsfähigkeit gelehrt, die so wesentlich ist. Beobachten Sie die Entwicklung eines Kleinkindes, dann werden Sie zum Beispiel bemerken, dass es seine fünf Sinne gewöhnlich [107] in geordneter Reihenfolge entwickelt. Zuerst entwickelt sich das Gehör, das Kind bewegt oder wendet bei Geräuschen den Kopf. Das nächste ist der Tastsinn, es beginnt mit den Händchen herumzufühlen. Als drittes scheint der Gesichtssinn zu erwachen. Das soll nicht heissen, dass ein Kind nicht sehen könnte oder blind wie ein Kätzchen geboren wird, aber es dauert oft mehrere Wochen, bis das Baby bewusst sieht und erkennend «schaut». Die Sehfähigkeit war schon immer da, nur gab es noch kein Erkennen. So ist es auch mit der gestuften Erweiterung des Bewusstseins und den Erkenntnissen die der Mensch heute noch vor sich hat. In diesen drei wichtigsten oder Hauptsinnen, Gehör, Gefühl, Gesicht, besteht eine sehr interessante Analogie und Beziehung zur dreifältigen Manifestation der Gottheit, dem Selbst, dem Nicht-Selbst und der Beziehung dazwischen. Das Selbst hört und antwortet okkult auf Schwingung, es erkennt und verwirklicht dadurch sich selbst. Es wird des Nicht-Selbst und dessen Berührbarkeit durch «berühren» (begreifen) gewahr; aber erst, wenn Sehen oder bewusstes Erkennen aufleuchtet, kommt die Beziehung zwischen den beiden zustande. Es werden noch zwei weitere Sinne vom Selbst für seine Kontakte benutzt, die des Geschmacks und des Geruchs, aber zur Entfaltung intelligenten Gewahrseins sind sie nicht so wichtig wie die anderen drei. Durch diese fünf Sinne stellen wir jeglichen Kontakt her, der auf der physischen Ebene möglich ist, durch sie lernen und wachsen wir, werden wir gewahr und entwickeln uns; durch sie werden auch alle grossen Instinkte herausgebildet; sie sind die grossen schützenden Sinne, denn sie ermöglichen nicht nur den Kontakt zu unserer Umgebung, sondern schützen uns auch vor ihr.

Nachdem [108] wir durch unsere fünf Sinne gelernt haben, zu intelligenten Einheiten zu werden und durch sie unser Bewusstsein erweitert haben, kommt es zu einer bestimmten Krise und es tritt ein neuer Faktor hinzu, die intelligente Unterscheidungskraft. Hier meine ich das Unterscheidungsvermögen, das eine ihrer selbst bewusste Einheit demonstriert. Ich meine die bewusste Wahl, die Sie und ich beweisen und anzuwenden gezwungen werden, wenn die Macht der Evolution uns zu dem Punkt treibt, wo wir lernen, zwischen dem Selbst und dem Nicht-Selbst zu unterscheiden, zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, dem Leben in der Form und der Form, die es benutzt und zwischen dem Wissenden und dem, was gewusst wird. Hier haben wir das ganze Ziel der Evolution, das Erreichen des Bewusstseins des wirklichen Selbst durch das Medium des Nicht-Selbst.

Wir durchlaufen eine lange Periode oder einen Zyklus vieler Leben, in denen wir uns mit der Form identifizieren und so sehr eins mit dem Nicht-Selbst sind, dass wir gar keinen Unterschied erkennen, weil wir ganz mit den Dingen der Vergänglichkeit und Unbeständigkeit erfüllt sind. Diese Identifizierung mit dem Nicht-Selbst ist es, die zu all dem Leid, der Unzufriedenheit und Mühsal in der Welt führt, und doch dürfen wir nicht vergessen, dass wir durch diese Reaktion des Selbst auf das Nicht-Selbst unvermeidlich lernen und [109] uns schliesslich aus dem Unbeständigen und Unwirklichen losreissen. Dieser Zyklus der Identifikation mit dem Unwirklichen läuft parallel mit dem Stadium des individuellen Bewusstseins. Genau wie das Substanzatom den Weg in irgendeine Form finden und seinen Anteil an Vitalität dem einer grösseren Einheit hinzufügen muss, so muss auch die Evolution des Bewusstseins des Menschenatoms einen Punkt erreichen, wo es seinen Standpunkt in einem grösseren Ganzen erkennt und seine Verantwortlichkeit in der Gruppenaktivität auf sich nimmt. Das ist nun das Stadium, dem sich heute ein grosser Teil der menschlichen Familie nähert. Die Menschen erkennen wie nie zuvor den Unterschied zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, zwischen Bleibendem und Vergänglichem; durch schmerzliche und leidvolle Erfahrung erwachen sie zur Erkenntnis, dass das Nicht-Selbst nicht genügt, und so suchen sie nach aussen und im Inneren nach dem, was ihren Bedürfnissen angemessener entsprechen kann. Die Menschen suchen sich selber zu verstehen und in sich selbst das Reich Gottes zu finden; und durch mentale Wissenschaft, Neues Denken und Studium der Psychologie werden sie zu bestimmten Erkenntnissen gelangen, die sich für das Menschengeschlecht von unschätzbarem Wert erweisen werden. Das sind Anzeichen dafür, dass das Form-Stadium sich rasch nähert und dass die Menschen aus der Atom-Periode zu etwas unendlich viel besserem und grösseren weitergehen. Schon beginnt der Mensch die Schwingung jenes grösseren Lebens zu spüren, in Dessen Körper er nur wie ein Atom ist und fängt an im Kleinen eine bewusste Antwort auf diesen grossen Ruf zu geben und Kanäle zu finden, durch die er dieses grössere Leben, das er fühlt, aber bis jetzt noch nicht kennt, verstehen kann. Wenn er beharrlich so weitergeht, wird er die Gruppe finden, zu der er gehört und wird dann seinen Mittelpunkt verlagern. Er wird nicht mehr durch seine eigenen kleinen Atomwände begrenzt, wird sie hinter sich lassen und seinerseits ein bewusster, aktiver, intelligenter Teil des grösseren Ganzen werden.

Und wie wird dieser Wandel zustandegebracht? Das Atomstadium wurde mittels der fünf Sinne und durch Anwendung der Unterscheidungsfähigkeit entwickelt. Das Stadium, in dem der Mensch zur Gruppenerkenntnis erwacht und bewusster Teilnehmer an den Aufgaben der Gruppe wird, kommt auf zweierlei Weise zustande: durch Meditation und durch eine Reihe von Einweihungen. Wenn [110] ich das Wort «Meditation» gebrauche, meine ich nicht, was vielleicht allgemein darunter verstanden wird, also eine negative, rezeptive Haltung oder einen Trancezustand. Es bestehen heute viele Missverständnisse darüber, was Meditation wirklich ist und es gibt eine Menge sogenannter Meditation, die mir vor kurzem tatsächlich so beschrieben wurde: «Ich schliesse die Augen und öffne den Mund, und dann warte ich, dass etwas geschieht.» Wahre Meditation erfordert intensivste Anwendung des Denkapparates, strengste Gedankenkontrolle und eine Einstellung, die weder negativ noch positiv, sondern das genaue Gleichgewicht zwischen beiden [111] ist. In den östlichen Schriften wird ein Mensch, der sich zu meditieren bemüht und dabei Ergebnisse erreicht, wie folgt beschrieben, und aus einer sorgfältigen Überlegung dieser Worte kann uns viel Hilfe und Erleuchtung zukommen: «Im Maha Yogi, dem grossen Asketen, in dem die höchste Vollkommenheit strengster Busse und abstrakter Meditation sich konzentrieren, durch welche die grenzenlosesten Kräfte erlangt, Wunder bewirkt, höchstes geistiges Wissen und schliesslich die Vereinigung mit dem grossen Geist des Universums erreicht wird.» Hier wird also diese Vereinigung mit dem Gruppenleben als Ergebnis der Meditation angesehen und es gibt in der Tat keine andere Methode, das Ziel zu erreichen.

Wahre Meditation (deren einleitende Stufen Konzentration auf eine bestimmte Gedankenrichtung und ihre Durchführung sind), wird immer für verschiedene Völker und Menschentypen verschieden sein. Der Religiöse, der Mystiker, wird seine Aufmerksamkeit auf das Leben in der Form richten, auf Gott, auf Christus, auf das, was ihm das Höchste bedeutet. Der Geschäftsmann oder jeder Fachmann, der sich den ganzen Tag eindeutig auf das konzentriert, was er zu tun hat und seine Aufmerksamkeit auf die Lösung bestimmter Probleme richtet, lernt bereits zu meditieren. Wenn er später zu mehr geistigen Aspekt der Meditation gelangt, wird er merken, dass er den schwierigsten Teil des Weges schon bewältigt hat. Ein Mensch, der ein schwieriges Buch liest und sich mit aller Kraft und Konzentrationsfähigkeit seines Gehirns bemüht, das durch das geschriebene Wort Gemeinte zu begreifen, meditiert sicher genau in dem Mass, in dem er zu diesem Zeitpunkt meditieren kann. Ich [112] sage Ihnen das zur Ermutigung, denn wir leben in einer Zeit, in der zahlreiche Bücher über Meditation geschrieben werden und es viele Meditationsschulen gibt. Alle verkörpern irgend einen Aspekt der Wahrheit und können auch viel Gutes bewirken, mögen aber trotzdem nicht das vermitteln, was für irgend einen Einzelnen das Beste ist. Wir müssen unsere eigene Konzentrationsweise finden, unsere eigene Annäherungsmethode an das, was in uns ist, feststellen und die ganze Frage der Meditation für uns selber klären.

An dieser Stelle möchte ich eine Warnung aussprechen. Vermeiden Sie solche Schulen und Methoden, die Atemübungen mit Meditation koppeln, die verschiedene Körperhaltungen lehren und ihren Schülern beibringen, ihre Aufmerksamkeit auf physische Organe oder Zentren zu richten. Wer solche Methoden befolgt, begibt sich in Gefahr, denn abgesehen von den damit verbundenen körperlichen Schädigungen und dem Risiko von Irrsinn und Nervenzerrüttung, beschäftigen sie sich mit der Form, die Begrenzung bedeutet und nicht mit dem Geist, der Leben ist. Das Ziel wird auf diese Weise nicht erreicht. Für die meisten von uns muss intellektuelle Konzentration, die zu Gedankenbeherrschung führt und die Fähigkeit, klar zu denken und nur das zu denken, was wir denken wollen, der echten Meditation vorausgehen; das ist etwas, worüber die wenigsten genügend wissen. Diese Meditation, über die ich hier unmöglich ausführlicher berichten kann, wird eine definitive Veränderung der Polarisierung bewirken; sie wird dem Menschen Erfahrungsbereiche öffnen, von denen er bisher nicht einmal geträumt hat, wird ihm Kontakte offenbaren, die er bisher noch gar nicht erkennt und wird ihn befähigen, seinen Platz innerhalb der Gruppe zu finden. Er wird nicht mehr von den Wänden seines persönlichen Lebens eingeengt sein, sondern anfangen, dieses Leben in das grössere Ganze zu verschmelzen. Er wird sich nicht mehr mit den Belangen seiner selbstsüchtigen Interessen abgeben, sondern seine Aufmerksamkeit den Problemen der Gruppe zuwenden. Er wird seine Zeit nicht mehr der Kultivierung seiner kleinen Identität widmen, sondern versuchen, jene grosse Identität zu verstehen, von [113] der er ein Teil ist. Das ist es in Wirklichkeit, was alle fortgeschrittenen Menschen mehr oder weniger schon tun. So wenig der Durchschnitt das auch bemerken mag, kommen grosse Denker wie Edison und andere über Meditation zu den Lösungen ihrer Probleme. Durch brütende Konzentration, durch ständige Rückerinnerung, durch unentwegtes Verfolgen der spezifischen Gedankenlinie, die ihr Interesse fesselt, erreichen sie die Resultate, zapfen ihr inneres Reservoir der Inspiration und Kraft an und bringen von den höheren Stufen der Mentalebene Ideen herab, [114] die der Gruppe zugute kommen. Wenn wir selbst ein bestimmtes Ausmass an Arbeit entlang der Meditationslinie geleistet haben, wenn wir dazu die Interessen der Gruppe im Sinne behalten und nicht die persönlichen, wenn wir physisch entwickelte Körper besitzen, die stark und rein, und Emotionalkörper, die unter Kontrolle sind und nicht von Wünschen beunruhigt, wenn unsere Mentalkörper unser Instrument geworden sind und nicht mehr unser Meister, dann werden wir die wahre Bedeutung der Meditation kennen.

Hat ein Mensch durch Meditation seinen Kontakt mit der Gruppe gefunden, welche die seine ist und dadurch ständig immer gruppenbewusster wird, dann ist er auch bereit für das, was «eine Reihe von Initiationen» genannt wird. Diese Initiationen - oder Einweihungen - sind nichts weiter als Erweiterungen des Bewusstseins. Sie kommen unter Beihilfe jener zustande, die bereits das Ziel erreicht, sich also mit der Gruppe identifiziert haben und zu einem bewussten Teil des Körpers des Himmlischen Menschen geworden sind. Mit ihrem Beistand und durch ihre Hilfe wird dann ein Mensch allmählich zu der Erkenntnisstufe gelangen, welche die ihre ist.

Überall besteht jetzt ein ungewöhnliches Interesse an diesem Thema der Einweihungen, wobei aber der Zeremonienaspekt übermässig betont worden ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass jede grosse Bewusstseinsentwicklung eine Einweihung ist. Jeder Schritt vorwärts auf dem Weg des Gewahrwerdens ist eine Einweihung.

Als [115] ein Substanzatom in die Form eingebaut wurde, war das für das Atom eine Einweihung. Es wurde sich einer neuen Art von Kraft gewahr und sein Kontaktbereich wurde erweitert. Als das Bewusstsein des Pflanzen und des Tierreiches einander durchdrangen und das Leben vom niedereren Naturreich in das höhere überging, war das eine Einweihung. Als das Bewusstsein des Tieres sich in das des Menschen ausdehnte, fand wiederum eine grosse Einweihung statt. Der Übergang in alle vier Naturreiche fand jedesmal durch eine Einweihung statt und durch eine Erweiterung des Bewusstseins. Der menschlichen Familie steht nun der Übergang in das fünfte Naturreich oder das Reich des Geistes bevor, und dieser Übergang vollzieht sich ebenfalls durch eine bestimmte Einweihung wie das erkannt werden kann, wenn man sein Neues Testament intelligent zu lesen versteht; und in allen Fällen wurden diese Einweihungen durch die Hilfe Jener herbeigeführt, die bereits «wissen». So kommt es, dass wir im Evolutionsschema keine grossen Lücken zwischen dem einen Naturreich und einem anderen und zwischen dem einen Gewahrseinszustand und dem nächsten haben, sondern eine allmähliche Entwicklung eines Bewusstseins, an dem wir, jeder einzelne von uns, teilgehabt haben und teilhaben werden. Wenn wir uns diese Universalität der Einweihung vergegenwärtigen, wird unsere diesbezügliche Vorstellung richtigere Proportionen gewinnen. Jedesmal, wenn wir uns unserer Umgebung mehr gewahr werden und unser mentales Fassungsvermögen zunimmt, bedeutet das in einem winzigen Massstab eine Einweihung. Und jedesmal, wenn unser Horizont sich erweitert, wir umfassender denken und sehen gelernt haben, ist das eine Einweihung, und hierin liegt für uns der Wert des Daseins überhaupt und die Grösse der uns gebotenen Gelegenheit.

Eines möchte [116] ich noch ausdrücklich betonen: Jede Einweihung muss von uns selbstinitiiert werden. Das Endstadium, wenn entscheidende Hilfe uns aus anderen Quellen zufliesst, wird nicht deshalb erreicht, weil es «grosse Wesen» gibt, die begierig darauf warten, uns zu helfen, uns aufzusuchen und emporzuheben. Diese Hilfe kommt uns zu, weil wir die notwendige Arbeit geleistet haben und nichts kann das Ereignis aufhalten. Es ist unser Recht. Die das Ziel schon erreicht haben, wollen und können uns helfend beistehen und tun es auch; aber ihre Hände sind gebunden, solange wir nicht unseren Teil zu dem Unternehmen beigetragen haben. Nichts aber, was wir je tun, um unsere Brauchbarkeit in der Welt zu steigern, kein Schritt zur Herausbildung besserer Körper, keine Anstrengung zur Erreichung von Selbstkontrolle und zur besseren Ausrüstung unseres Mentalkörpers ist je verloren. Das alles fügen wir der Gesamtheit hinzu, die wir anhäufen und die uns eines Tages zu einer grossen Offenbarung führen wird, und jede tägliche und stündliche Bemühung lässt die Energieflut anschwellen die uns zum Tor der Einweihung tragen wird. Das Wort «Initiation» bedeutet hineingehen. Das heisst einfach, dass ein Initiant einer ist, der die ersten Schritte in das Reich des Geistes getan und die ersten aus einer Reihe geistiger Offenbarungen erlebt hat, von denen jede der Schlüssel zu einer noch grösseren Erkenntnis ist.